Editorial

Südfrankreich verbinden wohl viele mit Cézannes Landschaftsgemälden, mit den leuchtenden Fassaden idyllischer Dörfer, dem azurblauen Meer, dem Duft der Pinien und natürlich mit unendlich weiten Lavendelfeldern. Dieser verklärte Blick kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Südfrankreich im Hier und Jetzt angekommen ist: Die Region kämpft mit Wohnungsnot und Verkehrschaos in den Metropolen, dazu im Sommer mit Touristenströmen, Hitze und Wasserknappheit.

Doch auch wenn sich nicht einmal der Sehnsuchtsort Südfrankreich den großen globalen Herausforderungen entziehen kann, so bleibt doch die starke Verbindung der Menschen zur Landschaft, zum Licht und den typischen Farben ihrer Region. Lesen Sie in unserer aktuellen db Ausgabe db-Metamorphose »Südfrankreich«, wie unser Autor und Südfrankreich-Experte Michael Koller, die Architektur Südfrankreichs jenseits bekannter Bauwerke und abseits der Trampelpfade beschreibt.

IMVT in Marseille

Die architektonische und programmatische Komposition des neuen IMVT in Marseille ist das gebaute Resultat des Wunsches nach einer transversalen und inklusiven Ausbildungsstätte, in der Architektur, Landschaft und Stadt miteinander vereint werden. Der im September 2023 fertiggestellte Gebäudekomplex fungiert mit seiner eigenwilligen Architektursprache als »Platzhalter« auf dem heterogenen Place Jules-Guesde und seinem Zentrum, der Porte d’Aix.

Wie entwirft man eine zeitgenössische Ausbildungsstätte für Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung, die den gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen an die Professionen entspricht und gleichzeitig inspirierend auf die Studierenden wirkt?
– Indem man sie ins Stadtzentrum holt, wo sich die gegenwärtigen Fragen nach dem Zusammenleben und der Gestaltung urbanisierter Lebensräume am dringendsten stellen.
– Indem man die Architektur mit der Landschaftsplanung und dem Städtebau in einem Bauwerk zusammenbringt und sie miteinander arbeiten lässt.
– Indem man sie funktionell und architektonisch so gestaltet, dass sie nicht nur den Unterricht erleichtert und unterstützt, sondern auch die Kreativität der Studierenden anspornt.

Das Ergebnis des Institut Méditerranéen de la Ville et des Territoires oder kurz IMVT, ist ein zeitgenössischer Palazzo, der in seiner Architektursprache vom Palazzo Nobili-Tarugi in Montepulciano und dem Palazzo Lanfranchi in Matera inspiriert ist und der sich in seiner städtebaulichen und funktionellen Konfiguration auf das rechteckige Forum von Pompeji bezieht.

Städtebaulicher Ankerpunkt

Der Place Jules-Guesde im 3. Bezirk von Marseille wurde im Rahmen des Stadtentwicklungsprojekts Euroméditerranée in den vergangenen 20 Jahren einem tiefgehenden Wandel zugunsten der Bewohner:innen und Fußgänger:innen unterzogen. Der heterogene Platz mit Bauwerken unterschiedlichster Epochen besitzt den Reichtum eines städtischen Raums mit Geschäften, Restaurants, Büros, Wohngebäuden, öffentlichen Gebäuden und einer ausgezeichneten Anbindung an die städtische und regionale Infrastruktur über Metro- und Buslinien sowie den benachbarten Hauptbahnhof.

Neben der Cité de la Musique wurde das Gebiet rund um die Porte d’Aix in den vergangenen Jahren mit Ausbildungsstätten wie der EMD Business School und dem IMVT bereichert.

Das IMVT fungiert in dieser heterogenen urbanen Landschaft aufgrund seiner Größe, seiner Architektur und seiner Lage an der Ecke des Platzes Porte d’Aix und des Boulevard Charles Nédelec als Ankerpunkt, der auch den Abschluss der neuen Blockbebauung beidseitig des Boulevards bildet.

Drei Disziplinen und ein interdiziplinärer Hof

Das IMVT vereint in einem Bauwerk drei Hochschulen:
– die Architekturschule École nationale supérieure d’architecture de Marseille (ensam);
– die Hochschule für Landschaftsgestaltung École nationale supérieure de paysage de Versailles – Marseille (ENSP);
– das Institut für Stadt- und Regionalplanung der Region Aix-Marseille Institut d’Urbanisme et d’Aménagement Régional d’Aix-Marseille (IUAR).

»In der architektonischen Vision und der räumlichen Konfiguration der Anlage waren die Förderung des institutsübergreifenden Arbeitens und die Entwicklung vielschichtiger Querverbindungen ein entscheidendes Anliegen«, wie Paul Maitre Devallon, Mitbegründer des Architekturbüros NP2F, betont. Mit der Verteilung der Funktionen in drei differenzierbaren Bauteilen und um einen gemeinschaftlich nutzbaren Innenhof reagieren die Architekten einerseits auf die Hanglage des Grundstücks und schaffen andererseits vielfältige und verschiedenartig bespielbare Räumlichkeiten.

Der Pol der Ateliers und Computerräume wurde beispielsweise in einem lang gestreckten, geknickten und abgetreppten Volumen an der Nordwestkante des Grundstücks untergebracht.

Der Pol des Forschungszentrums bildet hingegen die städtebauliche Schnittstelle zu den benachbarten Mehrfamilienwohnhäusern am Boulevard Charles Nédelec. Neben den doppelgeschossigen Werkstätten auf Höhe des Forschungsinnenhofes sind die darüberliegenden Geschosse den Doktoranden, Forscher:innen und Berufseinsteiger:innen vorbehalten.

Der administrative Pol mit der Bibliothek und dem Forum schließt wiederum die Ecke zwischen dem Place Jules-Guesde und dem Boulevard Charles Nédelec. Ein Baukörper, der durch einen Rundbau auf dem Dach gekrönt wird. Zu diesen drei von den Architekten definierten Polen müssen angesichts des milden Mittelmeerklimas in Marseille die Außenanlagen als vierter Pol hinzugerechnet werden, weil sie de facto die Verlängerung der gemeinschaftlich nutzbaren Arbeitsräume darstellen.

Die Verkehrswege als (Stadt)Balkone

Der zentral liegende und geschützte Eingangshof erfüllt eine Schlüsselfunktion in der Einteilung des Ensembles. Vom Haupteingang am Place Jules-Guesde durch ein ebenerdiges Volumen getrennt, verbindet er den 550 m² großen Ausstellungsraum mit der 300 m² großen Cafeteria und dem 550 m² großen, 450 Personen fassenden und teilbaren Auditorium. Er ist vor allem Startpunkt mehrerer skulpturartig in Szene gesetzter Treppenaufgänge in die OGs.

Über eine dieser Treppen gelangt man in den quer liegenden, sogenannten Versuchs- und Forschungshof im Geschoss darüber. Dieser Hof, der durch das Dach des darunterliegenden Hörsaals und der Technikräume gebildet wird, ist vom Boulevard Charles Nédelec aus befahrbar. Die verglasten Falttüren der an diesen Außenbereich anschließenden Versuchs- und Modellbauwerkstätten lassen sich vollständig öffnen, wobei die einfache Polycarbonatüberdachung über dem weißen Stahltragwerk als Wetterschutz dient.

An der Nordwestseite geht der Platz als treppenartig angelegter »Kieferngarten« in einen Grünstreifen über, der dem ansteigenden Hang folgt und als Puffer zu den Hinterhöfen der benachbarten Wohnbauten fungiert. Alle drei Pole werden durch Dachterrassen abgeschlossen, die als Versuchsgärten

und als Verlängerung der Ateliers und Arbeitsräume für die Landschaftsplanerinnen und -planer dienen. Die verschiedenen Plattformen, Plätze, Höfe, Gärten und Terrassen – z. T. mit massiven Pflanzentöpfen gestaltet –, sind durch breite Treppen, Laubengänge, Brücken und Balkone verbunden, die die außen liegende Erschließung der Ateliers, Werkstätten oder Büros bilden.

Komposition mit Kolonnaden

Das Bauwerk ist eine klassische Stahlbeton-Skelettkonstruktion mit tragenden Stützen und Stahlbeton-Geschossdecken. In seiner Höhe an die Höhe der Porte d’Aix anschließend, präsentiert sich das Gebäudeensemble seiner Umgebung mit verschiedenen Fassaden. Die massiven, 50 cm starken Kolonnaden, die die Fassade am Platz Jules-Guesde dominieren und in einem regelmäßigen Abstand von 4,50 m platziert sind, spielen nicht nur eine baukonstruktive Rolle. Sie schaffen die Beziehung zur Architektur der Porte d’Aix und eine visuelle Zusammenfassung der drei Pole und Bauteile zu einem kohärenten und funktionellen Bauwerk.

Am Boulevard Charles Nédelec haben die Architekten die Fassade in drei Teile aufgebrochen, die die unterschiedlichen Funktionen widerspiegeln. Während die vorgesetzten Kolonnaden rund um den Pol mit den gemeinschaftlichen und administrativen Funktionen fortgesetzt wurden, wurde die Fassade des Versuchs- und Forschungszentrums als homogenes Fassadenraster ohne Differenzierung zwischen Stützen und Decken entworfen. Die vorgesetzten Stahlgitter dienen als Sonnenschutz und lassen sich entlang des Innenhofs nach oben schwenken. Das zwischen diesen Bauteilen liegende, filigran anmutende Giebeldach der Innenhofüberdachung nimmt dem Komplex seine Massivität und erlaubt gleichzeitig den Einblick in die Tiefe des Baublocks.

Alle raumbegrenzenden Wände so wie die Fassaden sind isolierte Holzskelettkonstruktionen, die an der Fassade mit weiß lackierten, vertikalen Brettern verschalt wurden, wodurch sie wie massive Betonmauern wirken.

Die quer liegenden Stahlbetonrahmen in den Ateliers ermöglichen eine flexible Einteilung und eine Anpassung der Arbeitsraumgrößen. Während die außen liegenden Fenster- und Türrahmen größtenteils in Aluminium ausgeführt wurden, bestehen alle innen liegenden Türzargen aus Holz und schließen damit an die mit Brettsperrholz verkleideten Holzständerwände an.

Die Architektur des Bauwerks, die sich im Wesentlichen auf Stützen, Betondecken, Holztrennwände, großzügige Maueröffnungen und einige Metallbauteile beschränkt, soll sich, wie Maitre Devallon betont, zurücknehmen und in ihrer Nüchternheit als Kulisse und Bühne für Lehre und Forschung dienen.

Ein Neustart

Die Zusammenführung der drei Hochschulen in einem Bauwerk eröffnet völlig neue Perspektiven und Möglichkeiten auf inhaltlicher und fachübergreifender Ebene. Das IMVT kann sich sprichwörtlich zu einem Konferenz- und Ausstellungszentrum entwickeln, das es den Studierenden und Unterrichtenden erlaubt, an den regionalen, nationalen, aber auch internationalen Architektur- und Städtebaudiskurs anzuschließen. Wünschenswert wäre, dass im Laufe der Zeit alle Fachbereiche gemeinsam über die Grundstücksgrenzen des IMVT hinauswachsen und den umliegenden architektonischen und urbanen Raum einnehmen.

db, Mo., 2024.06.03

03. Juni 2024 Michael Koller

Forsthaus »Maison de la Forêt« in Carcassonne

Das kleine Bürogebäude der Holzgenossenschaft Cosylva besteht aus gänzlich unbehandeltem Vollholz. Der Einsatz natürlicher Materialien war für die Architektin Pauline Chauvet und Archiekt Emanuele Moro aus Carcassonne ebenso selbstverständlich wie das Entwickeln sinnlicher, präzise durchkomponierter Details.

Um es gleich vorwegzunehmen: La Maison de la Forêt – das Haus des Waldes – liegt nicht im Wald, sondern am Rand eines ausufernden Gewerbegebiets mit Lagerhallen, Autowerkstätten, einem Shoppingcenter und Schnellrestaurants. Dennoch haben die Forsttechniker der kleinen Holzgenossenschaft Cosylva beim Blick aus den großen Fenstern ihrer neuen Büros das Gefühl, auf eine idyllische Waldlichtung zu schauen. Dieser Kunstgriff gelang dem Architekturbüro, indem es den Gebäudewinkel so auf dem Grundstück platzierte, dass er das Gewerbegebiet auf subtile Weise ausblendet. Charakteristisch für den Entwurf ist auch die ästhetische Inszenierung von Holz als natürlicher, sinnlicher Baustoff – vollkommen ohne Leim, Lasuren und industrielle Beschichtungen.

Lange bevor er sich auf die Suche nach einem geeigneten Standort machte, war für Philippe Gamet, Geschäftsführer von Cosylva und Bauherr, klar, dass das Haus des Waldes ein Holzhaus sein würde. Schließlich zählt die Waldbewirtschaftung in den Privatwäldern der südfranzösischen Departements Aude, Tarn, Hérault, Ariège und Pyrénées-Orientales zu den Hauptaufgaben der Genossenschaft. Sie berät Waldbesitzer:innen, plant und realisiert gemeinsam mit ihnen Waldarbeiten und Holzfällungen und vermarktet das geschlagene Holz.

Ausschlaggebend für die Wahl dieses Standorts am westlichen Stadtrand von Carcassonne waren der waldartige Baumbestand im Südteil des Grundstücks, dem im Norden eine einst als Autowaschplatz genutzte Brachfläche gegenüberstand. Dafür sprach aber auch, dass er sich unweit der Wohnorte der Mitarbeiter:innen und zugleich in der Nähe der Wälder befindet, die sie betreuen. Nicht zuletzt, weil die Genossenschaft hier immer wieder Mitglieder und Gäste empfangen würde, die es von der ganzheitlichen Qualität ihrer Arbeit zu überzeugen gilt, wollte Gamet mit dem Neubau beispielhaft gleichsam die Essenz des Baustoffs Holz präsentieren. Aus diesem Grund initiierte er 2019 einen geladenen Wettbewerb für Teams aus Architekt:innen und Zimmerer:innen aus der Region. Das Raumprogramm umfasste neben sieben Einzelbüros auch einen großzügigen Empfangsbereich, Sanitärräume mit Dusche sowie einen Besprechungsraum.

Spektakulär unprätentiös

Der Wettbewerbsbeitrag von PAUEM Atelier vereint die Bedürfnisse der Genossenschaft und die Eigenheiten des Grundstücks zu einer architektonischen Symbiose. Resultat ist ein eingeschossiger Gebäudewinkel mit gleich langen Seitenflügeln und einem Eingang an der Außenecke. Diesen Winkel platzierten die Architekten – ohne einen Baum fällen zu müssen – so auf dem dreieckigen Grundstück, dass sowohl ein großzügiger Vorplatz mit gedeckten Parkplätzen als auch ein abgeschirmter Hof entstanden.

Nord- und Ostfassaden verfügen über hoch liegende Bandfenster, die keine Einblicke gewähren. Dass die Fassaden dennoch nicht abweisend wirken, ist den feinen vertikalen Zinkblechstreifen zu verdanken, deren unterschiedlich breite Felder eine dezente Eleganz ausstrahlen und zugleich Hinweise auf die schottenartige Tragwerksstruktur geben. Die eher hermetische Blechfassade harmoniert dabei gut mit den umliegenden Gewerbebauten, sodass das Holzhaus bei Ankunft auf dem Gelände zunächst nicht kunstvoll elaboriert erscheint, obwohl es das in Wirklichkeit ist, sondern angenehm unprätentiös und selbstverständlich in sein Umfeld eingebettet.

Nach Passieren des gedeckten Eingangsbereichs eröffnet sich ankommenden Gästen ein faszinierendes Schauspiel. Sie verlassen die sich noch eben in der Glastür spiegelnde Wüste belangloser Lager- und Verkaufsbauten und betreten eine liebevoll in warmem Holz gestaltete Welt. Der erste Eindruck: Das unwillkürlich als behaglich empfundene Gebäudeinnere verfügt über wesentlich mehr Tageslicht als gedacht. Ursache hierfür sind die hoch liegenden Fenster in den Außenwänden der beiden Erschließungsflure entlang der Blechfassade sowie die großflächige Verglasung sämtlicher Innenräume in Richtung des Hofs. Hinzu kommt eine herrlich klare Grundrissgestaltung, durch die sich unmittelbar die Grundriss- und Tragwerksstruktur erschließen. Sofort ablesbar sind beispielsweise die 2,45 m breiten Raumachsen – alle 4,90 m sind abwechselnd die in den Flur ragenden Untergurte der Dach-Fachwerkträger bzw. die Stirnseiten von Sichtbetonwänden zu erkennen, die gemeinsam das zum Hof abfallende Pultdach tragen. Die Betonwände dienen als Aussteifungselemente und Speichermasse und verbessern den Schallschutz zwischen den Büros. Gleichzeitig stehen sie im angenehmen Kontrast zu den allgegenwärtigen Holzoberflächen.

Nachhaltig und beispielhaft bis ins Detail

Teil des Qualitäts- und Nachhaltigkeitsanspruchs, den PAUEM Atelier und Bauherr gleichermaßen verfolgen, sind der ausschließliche Einsatz von unverleimtem, auch im Außenbereich gänzlich unbehandeltem Vollholz und die mit minutiöser Präzision durchkomponierten und umgesetzten Details. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Holzstütze am Eingang, die in einer dreidimensionalen Verschränkung mit dem Sichtbetonfuß zu verschmelzen scheint. Um dieses skulpturale Detail realisieren zu können, entwickelten und bauten Pauline Chauvet und Emanuele Moro einen Schalungskörper aus Holz, der das exakte Gegenstück zur Holzstütze bilden musste. Die kraftschlüssige Verbindung dieser Materialien erwies sich als echte Herausforderung, da sie sich aufgrund völlig unterschiedlicher Toleranzbereiche (Millimeter versus Zentimeter) üblicherweise kaum je so eng aneinanderschmiegen wie hier. Minimale Toleranzen gab es auch bei den in den Gebäudeachsen direkt auf den Sichtbetonwänden aufliegenden Holzbalken, was – weil die Architekt:innen generell auf kaschierende Deckleisten verzichteten – eine extrem hohe Präzision beim Gießen der geneigten Ortbetonkanten erforderte.

Konstruktive Bauteile bestehen im ganzen Gebäude grundsätzlich aus Douglasie – jenem hochtragfähigen Holz aus den Wäldern rund um Carcassonne, für dessen Pflanzung sich Cosylva bei den Waldbauern besonders stark macht. Sämtliche Bauteilverbindungen sind zimmermannsmäßig und stets mit minimalem Schraubenanteil ausgeführt. Douglasienholz findet sich z. B. in den Dach-Fachwerkträgern, in der Holzständerkonstruktion der gipskartonbekleideten Bürotrennwände oder in den als Rahmenkonstruktion vorgefertigten Außenwand- oder Dachelementen. Erforderliche Aussteifungen erfolgen dabei nicht etwa mit industriellen OSB-Platten, sondern mittels diagonal aufgebrachter Bretterschalungen.

Natürliche Materialien waren für die Architekt:innen auch bei der Wärmedämmung des Bereichs unter der Betonbodenplatte selbstverständlich. Hier setzten sie auf Platten aus portugiesischer Korkeiche – ein Material, das zwar über ideale Druck- und Wasserfestigkeitseigenschaften, nicht aber über eine französische Zulassung für diesen Anwendungsfall verfügt. Überzeugt von der dauerhaften Materialperformance von Kork übernahmen die Architekt:innen kurzerhand selbst die Verantwortung. Als Dachdämmung wählten sie Holzwolle.

Verschiedene Holzarten als Einheit

Neben dem Konstruktionsholz aus Douglasie kamen gemäß ihrer spezifischen Eigenschaften noch einige weitere Holzarten zum Einsatz. Der Parkettboden beispielsweise wurde ebenso wie die sämtlich von PAUEM Atelier entworfenen Einbaumöbel und Tische in Eichenholz ausgeführt. Und die Fensterrahmen und Wandbekleidungen der Innenräume sowie die Fassade und der Boden der gedeckten Veranda bestehen aus verschiedenen Arten von Lärchenholz. Die dabei entstehende Variationsbreite zeigt Gästen und Genossenschaftsmitgliedern beispielhaft die vielfältigen Farbtöne, Oberflächen und Verwendungsmöglichkeiten der einzelnen Holzarten. Die Veranda dient zugleich als Musterbeispiel für den konstruktiven Sonnen- und Holzschutz.

Die Einzigartigkeit dieses Projekts liegt nicht zuletzt in der kongenialen Zusammenarbeit zwischen den Architekt:innen und Philippe Gamet, dem Planungsprozesse so vertraut sind wie die heimischen Wälder und der Baustoff Holz. Cosylva bezog daher das meiste Bauholz direkt aus den von seinen Mitgliedern bewirtschafteten Forsten, während die Weiterverarbeitung in Partnerbetrieben erfolgte, sodass die Transportwege des Holzes meist weniger als 30 km betrugen. Hinzu kommt jene Poesie der Präzision, mit der sich Pauline Chauvet und Emanuele Moro jeder noch so kleinen Einzelheit des Hauses widmeten. Beispielsweise bauten sie 1:1-Modelle der geschwungenen Büroschreibtische in den Rohbau ein, um deren ergonomische Eignung für die nur 9 m² großen Büros zu testen. Eine solche Sorgfalt, die weniger Pedanterie als vielmehr Ausdruck einer Liebe zur Architektur ist, zeigt sich auch in dem aus den Anfangsbuchstaben der Architektenvornamen zusammengesetzten Büronamen PAUEM, der im Französischen wie »poème« – Gedicht – ausgesprochen wird. Welch eine Poesie.

db, Mo., 2024.06.03

03. Juni 2024 Roland Pawlitschko

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