Editorial

Wie sollte für Kinder gebaut werden? ­Allgemeingültige Ansätze und Lösungen, wie man sie in den 60er Jahren für erstrebenswert hielt, gibt es aus heutiger Sicht eher nicht. Doch idealerweise sollten ­Kindergärten und Schulen gleichermaßen Lern- und Erfahrungsräume sein und den Kindern und Jugendlichen zudem Schutz und Geborgenheit vermitteln. Gefragt sind inspirierende Lernlandschaften, die Kindern kognitive und soziale Erfahrungen ermöglichen und die wie selbstverständlich Lust zum Ausprobieren, Handeln und Lernen ­machen. Denn die Architektur soll ihren jungen Nutzerinnen und Nutzern nicht nur Raum zur Verfügung stellen, sondern auch deren Sinn für Dimensionen, Formen, Strukturen, Materialien sowie Farben wecken und schärfen. Dabei müssen die Gebäude individuell und die Grundrisse flexibel sein, ohne unverbindlich, gar anonym zu wirken. Im Gegenteil, Bauten für Kinder müssen ­einen definierten architektonischen Rahmen vorgeben und eine eindeutige Gestaltungssprache sprechen – aber bitte ohne ­vermeintlich kindgerechtes Bärchendesign. | Ulrike Kunkel

Fast wie in der Gründerzeit

(SUBTITLE) Kita Ötztaler Straße in Stuttgart

Auch wenn Architektur für Kinder längst nicht mehr so laut und bunt daherkommt wie noch vor einigen Jahren – eine Kita, die den Bestand einfach ergänzt und sich gut ins Quartier einfügt, ist eine genauere Betrachtung und einen Artikel allemal wert. Mitten im Stuttgarter Neckarvorort Untertürkheim gelang einem erfahrenen kleinen Büro genau das.

»Wie hätte man das vor hundert Jahren gemacht?«, fragten sich Stefanie und Stephan Eberding von se, als sie mitten im intakten gründerzeitlichen Baublock einen Ersatz für die altersschwache Kita schaffen sollten. Das Büro, das die Suche im Namen trägt und schon rund ein Dutzend sehr indi­viduelle Kitas realisiert hat, fand hier als Antwort: ruhig und flexibel wie in der Gründerzeit!

Gleich nebenan macht es ihnen die ehemalige Kleinkinderschule (heute: Hort) vor, ein klar rhythmisch gegliederter Jugendstilbau mit offenen Etagen und großen Fenstern bis hinauf ins raumhaltige Dach. Ihm wollten sie einen Bruder im Geiste zur Seite stellen, mit zeitgenössischen Mitteln, versteht sich.

Klare Kante, aber durchlässig zum Hof

Nachdem den Architekten im Rahmen einer Machbarkeitsstudie klar geworden war, dass die auch deutlich zu kleine Vorgänger-Kita nicht zu halten und das Bewahrenswerte an der Situation der von alten Kastanien verschattete Hof war, wussten sie: Es läuft auf eine mehrgeschossige Lösung hinaus, die den Block auf der Nordseite schließt und sich zum Hof hin öffnet.

Der neue Baukörper ordnet sich der Jugendstilschule mit ihrem dominanten Mansarddach unter, indem er nur zwei Vollgeschosse hat und darüber ein Satteldach mit Kniestock, in den straßenseits vier Gaupen eingeklinkt sind, ein modern-machbares Echo der opulenten Dachlandschaft nebenan. Sechs Gruppen passen so in den Neubau, zwei auf jeder Etage. Die Dachräume werden zusätzlich durch vier Lichtkamine erhellt, die wie die Gaupen einen häuslichen Maßstab etablieren, der den im Kontext doch recht großen Baukörper feingliedriger macht.

Dazu trägt auch die Materialisierung der Fassaden bei: Wie bei der Schule ist dies nach außen Sichtmauerwerk, doch nicht weiß geschlämmt, sondern im roten Naturton des Klinkers, wie er ähnlich an etlichen Altbauten im Quartier vorkommt. Im selben Ton eingefärbter Mörtel beruhigt die Flächen, ebenso die nur wenigen großen (meist geschosshohen) Öffnungen, die von grauen Betonstürzen nachvollziehbar überspannt werden. Über die Nebenraumfenster und auch die Ruheräume der Kleinen zieht sich die Vormauerschale als ­offenes diagonales Gitter, eine elegante Lösung, um Luftbedarf und formale Großzügigkeit zu vereinbaren.

Innen ist das Haus symmetrisch zweigeteilt, auch brandschutztechnisch. In den Vollgeschossen gibt es einen etwas dämmrigen Innenflur, an dem straßenseitig die Nebenräume, zum Hof die Gruppenräume liegen. Parallel ­verläuft auf der Hofseite in den OGs ein gedeckter Laubengang mit den erforderlichen zwei Treppenhäusern an den Enden. Zwischen den Erschließungen spannt sich jeweils ein durchgesteckter Spielflur. Die Kita folgt dem Konzept der offenen Gruppenräume, in denen sich die Kinder selbst orientieren ­dürfen. Von daher ergibt das durchlässige, flexible Raumkonzept Sinn. Die ganz kleinen Kinder spielen im EG mit direktem Hofzugang, und im introvertierten Dach die größeren.
Im EG liegt gleich am Entree der große Bewegungsraum, der auch für Versammlungen genutzt wird und sich für Feste anmieten lässt. Leider wurde hier keine Bewirtungsmöglichkeit erlaubt. Auch eine Mehrfachnutzung des schönen Spielhofs verbieten die Regularien – im dicht bebauten Quartier ist er eine Oase, nun halt nur tagsüber für die Kita-Kinder. Nicht einmal die vom Hort nebenan dürfen ihn nutzen.

Ein robustes, flexibles Haus

Konstruktiv ist das Gebäude eine Mischkonstruktion aus Mauerwerk und Ortbeton-Massivbau, was auch die Logistik im sehr engen Quartier nahelegte. Der sauber brettergeschalte Sichtbeton empfängt einen gleich im Entree und zieht sich meist flächig durch die Flure. Die Aufenthaltsräume hingegen sind weiß verputzt. Kontrastiert werden diese Flächen stets vom hellen Holz des Ausbaus: Feine Lamellendecken, Holz-Glas-Trennwände, meist bodentiefe Holzfenstertüren mit Lüftungselementen bieten solide, langlebige Qualität; allein unter der Dachschräge kollidiert diese Finesse bisweilen etwas unschön mit den gewöhnlichen »Sauerkraut-Platten«. Das fällt bei den üblichen Flachdach-Kisten naturgemäß leichter …

Hat man sich aber einmal von der überkommenen Vorstellung verabschiedet, dass unsere Kinder in luftigen Pavillons im Park fernab jeden Trubels verwahrt werden, erscheint diese »urbane Kita« als eine recht humane Alterna­tive. Nah am Wohnort der Familien und damit fußläufig erreichbar, fügt sie sich in bestehende Netzwerke und stärkt das Quartier sozial, aber auch baulich. Wer hier aufwächst, braucht keine Helikoptereltern, kein Taxi hierhin und dorthin, sondern kann sich bald selbst orientieren. Viele Städte haben das auch aus Knappheit an Bauland längst erkannt und aus der Not eine Tugend gemacht. Den Planenden verlangt das die Fähigkeit ab, sich einzufügen, aber auch stadträumliche Bedürfnisse gegen die der Kinder abzuwägen, letztlich die Stadt kinderverträglich zu gestalten. Das ist hier mit einigem Erfolg versucht worden. Sicher, man wünschte sich schon bei der Annäherung ein breiteres Trottoir, vielleicht ­einen Shared-Space-Straßenraum, in dem die Menschen Vorrang vor den ­Autos genießen. Doch mit dem Daimler-Stammwerk fast in Sichtweite fällt die Verkehrswende offenbar schwerer als andernorts, wird jeder Pkw-Stellplatz verteidigt.

Auch das Gebäude selbst könnte in manchem noch kindgerechter sein: Die Laubengänge, speziell der im Kniestock, sind sehr neutral und karg gestaltet, als schlichte Verbindungswege. Es sieht bisher nicht danach aus, als funktionierte hier die gewünschte Mehrfachnutzung. Wie die Treppenhäuser entsprechen sie halt dem Brandschutz, entwickeln aber keinen rechten räum­lichen Eigenwert. Manchmal brauchen Kinder doch einen architektonischen Stups, um Räume zu erobern. Hier fehlt es vielleicht auch noch an Zeit, denn die Kita wurde erst im Herbst, mitten in der Pandemie, eröffnet und ist noch immer nicht voll in Betrieb. Zudem gilt es zu bedenken: Die anfangs ­erwähnte Flexibilität der Gründerzeit-Strukturen verband sich mit einem solche Interaktionen inspirierenden Detailreichtum, den heutige Budgets nicht mehr ­erlauben.

Dass hier trotzdem vieles richtig gemacht wurde, illustriert eine Beobachtung vor der Tür der Kita: Ein kleiner Junge an der Hand seines Vaters bummelt die Ziegelwand entlang. Er streicht bedächtig über die Fugen, be-greift vermutlich gerade, dass dieses große Haus ganz ähnlich gefügt wurde wie seine eigenen ersten Versuche mit Bausteinen. So beginnt Aneignung von Welt.

db, Mo., 2021.06.07

07. Juni 2021 Christoph Gunßer

Scheune oder Tempel?

(SUBTITLE) Theatergebäude der Horris Hill School in Newbury, Berkshire (GB)

Vieldeutig und rätselhaft präsentiert sich das neue Theatergebäude auf dem Campus des internationalen Schulinternats für Jungen von vier bis 13 Jahren. Das Innere des Holzbaus besticht durch seine gute Akustik und seine anregende Atmosphäre. Selbst wenn man sich an anderen derart privilegierten Bildungseinrichtungen umsehen würde – ein Schultheater auf so hohem Gestaltungsniveau ließe sich wohl nur schwerlich finden.

Die Beschreibung der Architektur von Gebäuden kann i. d. R. unter mindestens zwei Gesichtspunkten erfolgen: anhand ihres architektonischen Stils und ihrer Funk­tion. Um ein anschauliches Beispiel zu nennen: Am Seagram ­Building von Mies van der Rohe in New York lassen sich Form und Zweck als ­einerseits modernistisch und andrerseits gewerblich ganz unmittelbar wahrnehmen.

Mitunter jedoch sind Funktion und Stilrichtung nur schwer zu fassen. Wie könnte man z. B. bei der Betrachtung des eher stummen, kompakten Äußeren von Adolf Loos’ Villa Müller in Prag auf das verblüffende Gestaltungskonzept des »Raumplan« im Innern schließen? Manch einem Gebäude jedoch verleiht eine solch typologische und stilistische Unbestimmtheit einen starken und ­eigenständigen Charakter. Dies trifft sicherlich auch auf das Theatergebäude der Horris Hill School in Berkshire zu.

Die Architekten von Jonathan Tuckey Design haben mit dem kleinen Bau ein fesselndes architektonisches Rätsel geschaffen. Gebäudeform und Fassaden sind zwar äußerst markant, künden auf dem rund 34 ha großen Schulgelände jedoch nicht auf den ersten Blick von der Nutzung als Theater. Eine hohe Holzkonstruktion vor der Eingangsfassade – wiederum in einem völlig anderen Baustil – verstärkt das Rätselhafte sogar noch.

Teilweise lässt sich die Architektur durch die Umgebung entschlüsseln. Das Theater steht am südlichen Rand des Schulensembles. Hierzu gehören der Backstein-Hauptbau aus dem 19. Jahrhundert und ein Unterrichtsgebäude, die sich beide u. a. durch Fassadenabschnitte mit vorgehängten Keramikschindeln auszeichnen, eine moderne, scheunenartige Turnhalle und ein derzeit ungenutztes Gebäude, das wohl ursprünglich als Stall diente.

Eine Schule wie ein Dorf

Die Horris Hill School ist eine private, internationale und kostenpflichtige ­Tages- sowie Internatsschule für Jungen im Alter von vier bis 13 Jahren. Der Schulleiter Giles Tollit ist Klassischer Philologe und betrachtet seine Schule als kleine Stadt oder als Dorf. Die Ansammlung von Schulbauten verschiedener Epochen lässt sich, durch eine gewisse Überhöhung ihrer klassizistischen ­Elemente, tatsächlich als eine Art Forum Romanum interpretieren. So betrachtet, ist das Theater die »Kultstätte« des vermeintlich antiken Städtchens. Dies zeigt sich v. a. an der Rückseite des Gebäudes, wo die Architekten ein kleines Amphitheater im Freien verwirklicht haben. »Das Theater steht aber nicht ausschließlich der Schule zur Verfügung«, erklärt Giles Tollit. »Es soll vielmehr einer größeren Gemeinschaft von Nutzen sein. Ich möchte, dass dies ein lebendiges, pulsierendes Theater mit bürgerschaftlichem Charakter auch außerhalb des Schulgeschehens ist.«

Jonathan Tuckey konnte sich aus zwei Gründen im Wettbewerb ­gegen ­Architekten, die mehr Erfahrung im Theaterbau besitzen, durchsetzen: Zum einen präsentierte sein Team nach der von der Schule vorgegebenen ­lediglich einwöchigen Frist einen äußerst detaillierten Entwurf, zum andern konzentrierte sich sein Konzept – nach vorausgegangenen Befragungen zahlreicher Mitarbeiter und Schüler – auf die Idee der Civitas.

»Seit vielen Jahren«, so Tuckey, »wird mein Tun davon bestimmt, mit ­Bestandsgebäuden zu arbeiten. In diesem Fall mussten wir zunächst ein halb verfallenes Bestandsgebäude abreißen, um das neue Theater zu errichten. ­Dabei ging es uns nicht um bestimmte stilistische Ansätze, wir waren vielmehr daran interessiert, die benachbarten Gebäude nicht zu verschrecken und den Neubau so einzupassen, dass die bisherige Anmutung des Schul­areals erhalten bleibt.«

Den Theaterbau prägen nur wenige Materialien: Ein Betonsockel steigt dem geneigten Gelände folgend zum nördlichen Ende des Gebäudes an und entwickelt sich dort zu einem Band einer »stranggepresst« anmutenden Sitzbank. Die tragende Konstruktion besteht aus Lärchen-Schichtbrettholz. Die Fassaden sind mit zementgebundenen Holzfaser-Paneelen bekleidet, dem gleichen Material, das im Innern als Bodenbelag Verwendung findet. Während der ­Bodenbelag schiefergrau ist, zeigt sich die Fassade in einem rötlichen Farbton und reiht sich so in den Reigen der mit rötlichen Keramikschindeln beklei­deten Schulgebäude ein.

Am Modell erprobt

Der kleine Theaterbau hat zwar ein flaches Satteldach, das an eine Scheune oder einen antiken Tempel erinnert, mehrere weitere Merkmale sprechen ­jedoch gegen diese möglichen konzeptionellen Vorbilder. Dies sind sowohl die zweigeschossige Holzrahmenkonstruktion auf dem kleinen öffentlichen Platz vor dem Gebäude, die Veranstaltungsbanner aufnehmen kann, als auch die der Nord- und Ostfassade eingeschossig vorgelagerten Volumina des ­Foyers und der überdachten Kolonnade.

Das Äußere und das Innere des Theaters zeigen sich sehr unterschiedlich, v. a. in der Art und Weise, wie Strukturen und Oberflächen gestaltet sind. So wirken die Außenansichten wie lavierte Federzeichnungen, gerade so, als ob die präzise gezeichneten Umrisse, Fugen und Details mit Aquarellfarbe in Terrakotta ungleichmäßig koloriert worden wären. Das Innere des Theaters mit seiner freigelegten Brettschichtholz-Konstruktion und einfachen Holz­lattungen hingegen wirkt »neo-mittelalterlich«. An der Ostseite weitet sich das mit Buche bekleidete Foyer und schiebt sich eingeschossig in die ­Zuschauerränge des Theatersaals hinein, um dort als Sockel einer mit Holz­balustraden versehenen Empore zu dienen. Die Brettschichtholz-Paneele der ­Wände im Theatersaal tragen ein sehr plastisches orthogonales Relief, das sich aus Kanthölzern und aus auf Abstand gelatteten Feldern zusammensetzt. Von der Decke oberhalb der übergroß wirkenden Fenster aus Holz – zur besseren Haltbarkeit acetyliert – sind gewölbte akustische Segel aus Sperrholz ab­gehängt. Der starke räumliche Charakter und die daraus resultierende ­Atmosphäre des Theatersaals sieht Jonathan Tuckey als Gegenentwurf zu den »simplen, trägen Gebäuden«, die üblicherweise aus Brettsperrholz errichtet werden. »Ich wollte, dass auch die kindlichen Nutzer sehen können, wie dieses Gebäude entstanden ist.«

Die hölzernen Sitzbänke sind den geschwungenen Füßen der Hörsaalbestuhlung von Charles Rennie Mackintosh an der Glasgow School of Art nachempfunden. Um sie für letztlich weniger als 5 000 Euro realisieren zu können, ­entwickelten die Architekten auf Grundlage von Modellreihen eigens ein Schneide- und Fertigungssystem. Auch der sonstige Entwurfsprozess des Theaters erfolgte mit Hilfe vielfältiger Modelle: Gelände- und Volumen­modelle (M 1:200), Modelle der Gebäudehülle und des Innenraums (M 1:25) und ganze Architekturfragmente (M 1:10). Diese äußerst detaillierte Arbeit an Modellen, bei der die architektonischen Qualitäten von Licht, Schatten, Maßstab und Oberflächentexturen erforscht werden, ist ein ganz wesentlicher Teil des Entwurfsprozesses von Tuckey.

Mehrdeutig und präzise zugleich

Um eine gute Luftzirkulation zu ermöglichen, sind einige Wandpaneele des Theatersaals vor Lüftungsklappen perforiert, andere wiederum sind zur Verbesserung der Akustik gepolstert. In vier Bankblöcken steigen die Sitzreihen an einem versetzt geführten Mittelgang an. Der Technikraum im hinteren Teil der ­Zuschauerränge ist nicht mittig angeordnet. Diese Asymmetrien erweisen sich als vorteilhaft, da die daraus resultierenden ­unterschiedlich großen Sitzblöcke je nach Art der Aufführung verschiedene Zuschauerkonstellationen erlauben. Diese Anordnung, die angenehme Raumatmosphäre und die klare Akustik konnten auch am Tag der Projektbesichtigung überzeugen, an dem ein Dutzend Schüler den Raum bei einer Theaterprobe belebten.

Funktional ist das Theater der Horris Hill School zweifellos gelungen. Noch beeindruckender ist jedoch sein architektonischer Ausdruck. Insbesondere die Außenhülle erzeugt Mehrdeutigkeiten, die weit über die bloße Funktionalität hinausgehen: Das »Erröten« der Fassadenpaneele, die plastischen Lüftungslamellen und die leicht ausgestellten »Hauben« oberhalb der Türen, das Schimmern der überdimensionalen Metallfallrohre und eleganten Dachrinnenhalterungen, die vortretenden Latten und Fensterrahmen, die großen, ­bewusst weit überstehenden Abdeckschrauben an den Paneelen – all das wirkt äußerst entschieden und präzise. Lassen diese Merkmale auf einen ­Gebäudetypus schließen? Nicht unbedingt auf ein Theater.

Tuckey spricht ganz bescheiden von einem »dekorierten Schuppen, einem ­Gebäude im Hintergrund«. Was den Bau jedoch außergewöhnlich und spannend macht, ist, dass er zugleich auch als Hauptakteur erlebt wird, und dabei sowohl brutalistisch als auch palladianisch wirkt, aber nicht auf eine befremdliche oder architektonisch unangenehme Weise. So lässt sich das Theater der ­Horris Hill School problemlos dem Kanon gelungener typologischer Mehrdeutigkeiten hinzufügen, zu dem auch Herzog & de Meurons Ricola-Lager­gebäude in Laufen sowie Frank Gehrys Merrifield Hall und Turm auf dem Campus der Loyola Law School in Los Angeles gehören.

[Aus dem Englischen von Martin Höchst]

db, Mo., 2021.06.07

07. Juni 2021 Jay Merrick

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