Editorial
Gelegentlich gleichen Auftragslage und Projektakquise einer Gratwanderung zwischen Selbstermächtigung und Zuweisung. Dann ist es wie mit dem Huhn und dem Ei. Was war zuerst da?
Nach erfolgreichem Projektabschluss und bewiesener Expertise sind alle froh, dass es genau so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, und beim nächsten Projekt werden alle die guten Erfahrungen verinnerlicht haben und dasselbe Modell wieder vorschlagen. In diesem Fall: den Landschaftsarchitekt:innen die Gesamtplanung Umgebung zu überantworten – das heisst neben der Gestaltung (Entwurf, Projektierung, Ausführung) auch Erdbau- und Regenwassermanagement, Werkleitungen, Hausanschlüsse, Baustellenlogistik, den Beizug von ExpertInnen, Vergaben an (Fach)PlanerInnen, zu denen je nach Projekt durchaus auch einmal ArchitektInnen zählen können.
Es ist eine Freude zu sehen, dass sowohl in der Schweiz wie auch international eine beachtliche und immer grösser werdende Zahl an Büros das Zepter in grossen (und kleinen) Projekten in die Hand nimmt. Warum auch nicht? Und es sind weder nur grosse Büros noch ausschliesslich grosse Projekte, in denen LandschaftsarchitektInnen als Gesamtplaner:innen auftreten.
Ausschlaggebend und zentral ist einmal mehr die Büro-Haltung. Von der Projektakquise bis hin zur sprichwörtlichen Schlüsselübergabe. Was nur möglich ist, wenn ein Büro auch alle Phasen abdecken kann und will – oder Einzelleistungen extern vergibt.
Und noch eine gute Nachricht: An der Ausbildung für LandschaftsarchitektInnen liegt es für einmal nicht, sie wird von VertreterInnen aus Gesamtplanungs-Pionierbüros als breit, umfassend, ausreichend spezialisiert und hinreichend generalistisch empfunden. Wo neue Themenschwerpunkte auftauchen, die so schnell keinen Eingang in die Lehrpläne erhalten, werden Weiterbildungen angeboten, von Schulungen zu Moderation, Mediation und Partizipation bis hin zu BauleiterInnen-Kursen.
In Frankreich und den Niederlanden entwickeln LandschaftsarchitektInnen ganze Landstriche und trotzen dem Meer Lebensraum ab. In den USA, wie beispielsweise in San Francisco, erhält der öffentliche Raum (auch dank europäischer Unterstützung) ganz neue und autofreie Qualitäten, in Deutschland entstehen nicht nur Landesgartenschauen im Gesamtplanermodell, und in der Schweiz wurde mit dem «Platinen-Prinzip» jetzt sogar ein entsprechendes Angebot als Trademark gesichert.
Vorschub in der Diskussion leistet neben technologischen Sprüngen mit BIM die allgemeine Gemütslage, in der Nachhaltigkeit, Biodiversität und Klimaschutz derzeit hoch rangieren. Jetzt muss es einfach noch stärker zum Reflex der Profession werden, immer wenn es um die Frage der Expertise geht, die Hand zu heben. Wir können das. Wir sind dafür ausgebildet. Wir haben das Fachwissen, die Erfahrung und die Ressourcen. Dann stellt sich auch die Huhn-Ei-Frage nicht mehr.
Sabine Wolf
Inhalt
Daniel Baur: Hilfloses Paradies
Willett Moss: San Francisco Civic Center Public Space Plan
Henri Bava, Michel Hössler, Olivier Philippe: Wasser als Vehikel in Metropolregion
Rik de Visser: Die Inselgruppe Marker Wadden
Pierre-Marie Luciani: Die Charta für Landschaft des Cap Corse
Mariusz Hermansdorfer, Gerhard Hauber: BIM für Landschaft
Burkhard Wegener: Je grösser, desto komplexer, desto spannender!
Jens Bödeker: Koordination in der Wüste
Marcel Bächtiger: Rettet den offenen Wettbewerb!
Henrike Wehberg-Krafft, Hans-Hermann Krafft: Einfluss durch Verantwortung
Florian Glowatz-Frei: Vom Umgebungsprojekt zur Platine
Wasser als Vehikel in Metropolregionen
Die gewaltigen Anforderungen der grossen Flussgebiete anzugehen, schliesst die Umsetzung konkreter Projekte nicht aus – es bereitet sie vor.
Wir sind seit über 30 Jahren in der Branche tätig und konnten beobachten, wie der Landschaftsarchitekt bei Planungsaufträgen im kleinen, mittleren und grossen Massstab immer häufiger als bevollmächtigter Vertreter eines fachübergreifenden Teams zum Einsatz kommt. Mit der Entstehung von Metropolen und der zunehmenden Sensibilisierung für Umwelt, Ökologie und Klimawandel haben auch die Raumplanungsaufträge zugenommen.
Der grossstädtische Massstab interessiert uns, weil er ein ausgewogenes Gesamtkonzept verlangt, ein Gleichgewicht zwischen Stadt und Natur in riesigen Gebieten, die ihre Identität noch suchen. Fruchtbare Metropolen, insbesondere in Flussnähe, so zu planen, dass sich die Menschen dort auf lange Sicht wohlfühlen, ist unser Leitmotiv. Dabei binden wir den Fluss und die durch ihn erzeugten Gewässernetze als Träger für Identität, Natur und urbanes Denken in unsere Planungen ein.
Da sich grossräumige Vorhaben immer über einen sehr langen Zeitraum erstrecken, erfordert ihre Planung eine intelligente Verbindung aus langfristigen Strategien mit kurzfristig sichtbaren Massnahmen. Der grosse Raum besteht aus kleinen Räumen, die entwickelt werden wollen. Es ist dieses ständige Experimentieren, dieser gleitende Wechsel von einem Massstab in den anderen, der Landschaftsarchitekturprojekte so spannend macht.
Massstabübergreifende Logik
Diese massstabübergreifende Logik kam auch beim Urbanisierungsprojekt «Seine Aval – Seine Park» zum Tragen, das Teil des Bauvorhabens Grand Paris ist. Auf einer Uferlänge von 80 Kilometern haben wir das Konzept der «Strände» für die landschaftlichen Räume zwischen Fluss und Städten entwickelt. In diesem Rahmen konnten wir in Carrières-sous-Poissy auf dem Gelände einer ehemaligen Sandgrube im Überschwemmungsgebiet der Seine einen grossen Regionalpark entstehen lassen.
Der Metropole Toulouse haben wir im Rahmen des Richtplans für die Rückeroberung der Garonne in einem ersten Schritt mit dem «Grand Parc Garonne» eine Identität gegeben, die ihr bis dahin fehlte: Der 32 Kilometer lange Stadtpark mit einer Fläche von 3000 Hektaren dient als Pufferzone in einem Bereich, der heute durch den Menschen überformt ist. Der Gemeindeverband Toulouse Métropole hat uns beim geplanten Übergang «von der Planung zur Aktion» mit der Projektbetreuung beauftragt. Nach acht Jahren, voll mit Überlegungen, soll jetzt ein Team abschnittsweise einen linearen Park entwickeln. Die Île du Ramier wurde als für die Entwicklung der Metropole strategischer Ort ermittelt und als prioritären Aktionsbereich bestimmt.
Landschaftliche Durchlässigkeit
Städtebauliche Vorhaben in Flussnähe sind die Schnittstellen zwischen Natur und sanfter Mobilität. In Strassburg arbeiten wir an der Entwicklung einer städtebaulichen Strategie für das Gebiet am Rhein. Das Grossprojekt «Deux Rives / Zwei Ufer» steht für die Öffnung der Stadt gen Rhein und Deutschland. Das Stadtentwicklungsgebiet «Deux Rives» ist das wasserseitige Gesicht und der neue Stadteingang der Rheinmetropole. Das Vorhaben ist das Ergebnis eines mehrjährigen und ehrgeizigen Planungsprozesses und baut auf einer langen Tradition gemeinsamer Verkehrsprojekte der Städte Strassburg und Kehl auf. Unser Konzept sieht eine städtebauliche Ausrichtung weg von der Nord-Süd-Achse, hin zum Wasser vor. Das Gebiet des Flusses, in Form einer Reihe von Ufern, Kanälen, Docks und Becken, leistet dabei Unterstützung für die Projektierung diversifizierter öffentlicher Räume mit ganz eigenen Charakteren. Das Flussgebiet übernimmt hier die Rolle urbaner Verbindungsstücke und ist eingebunden in ein Netzwerk aus Grünräumen und Radwegen, die vom Rhein und seinen Aueninseln ausgehen.
Dieses städtebauliche Programm soll die Rahmenbedingungen für ein Miteinander von Stadt und Hafen schaffen. Gezielte Infrastruktur- und Wohnungsbauprogramme sollen das selbstverständliche Nebeneinander von Wohnen, Handel und Gewerbe, Fluss, Hafen und Inseln ermöglichen und eine Art Hybrid-Stadt entstehen lassen, in der sich die «wilden» Räume am Rheinufer mit Stadt und Wohnvierteln verbinden.
Umkehrbarkeit der Urbanisierung
Das Wasser ist als Träger neuer Mobilitätskonzepte in den Grossstädten ein zentrales Element der Stadtforschung. In Shanghai organisieren wir die Rückeroberung der «Flussufer des Huangpu» auf einer Länge von 22 Kilometern. Wir haben das ehemals industriell genutzte Gebiet zur lebendigen Schnittstelle zwischen dem Fluss und den angrenzenden Stadtvierteln umdefiniert – als einen Bereich, der sanfte Mobilität, Ökologie, öffentlichen Raum, Freizeitaktivitäten und Gewerbe gleichermassen berücksichtigt. Alle Wege für sind unterschiedliche Arten der Mobilität geeignet und geben den Blick frei auf die traditionelle Industrielandschaft und die Skyline der sich ständig verändernden Megastadt.
Das ehrgeizige Ziel, bisher kaum gestaltete oder stark durch die Schiffbauindustrie genutzte Ufer für die EinwohnerInnen zurückzuerobern und etwas zu schaffen, womit sie sich identifizieren können, begeistert uns. Dabei reizt uns nicht nur der allgemeine Beitrag der Landschaftsarchitektur zur Planung einer Megastadt. Die lokalen Methoden, die zügige Planung und Umsetzung lassen uns auch an die Umkehrbarkeit der negativen Ausprägungen von Urbanisierung glauben. Der Fluss ist in Shanghai ein Mobilitäts- und Lebensraum geworden, der in China Schule macht.anthos, Fr., 2019.09.13
13. September 2019 Henri Bava, Michel Hössler, Olivier Philippe
Vom Umgebungsprojekt zur Platine
Der Schütze Park, eine neue Grünanlage im Zürcher Stadtgefüge, weist beim ersten, flüchtigen Blick eine alltagstaugliche Kombination an unterschiedlichen Räumen, Elementen und Atmosphären auf. Was man nicht sieht, ist umso spannender: Hinter der Planung steht ein neues Verständnis von Landschaftsarchitektur. Kurz vor der Fertigstellung im Herbst 2019 zeichnet sich ab, dass das Vorgehen ein voller Erfolg wird. Kosten und Termine, vor allem aber auch die gestalterische Qualität sprechen für die ganzheitliche Methode.
Was als «normales» Landschaftsarchitekturprojekt begann, entwickelte sich nach und nach zu einem Beispiel für gesamtheitliches Planen. Als Landschaftsarchitekten konnten wir das Vertrauen der Bauherrschaft gewinnen und als Gesamtplaner Umgebung auftreten. Technische, organisatorische und gestalterische Synergien schufen einen erheblichen Mehrwert für das Projekt.
Ein neuer Park
Das Schütze Areal in Zürich, ehemals Standort einer Seidenfärberei, nimmt eine wichtige Rolle im Freiraumsystem ein. Der Park soll künftig zu einem lebenswerten Quartier beitragen. Mit einer Schule, einer öffentlichen Bibliothek, einem Quartiertreff und einer Turnhalle wird er aber auch wichtige städtische Infrastruktur beherbergen. 2013 konnten wir das Planerwahlverfahren für das Parkprojekt gewinnen: Im Spiel von Dichte und Weite entsteht ein überraschender Kontrapunkt im urbanen Umfeld. Der dichte Vegetationsgürtel fasst einen offenen Spiel- und Sportbereich, der mit seiner Ausdehnung von 120 mal 40 Metern ein echter Hingucker im engen ehemaligen Industriequartier wird. Die Stadtlichtung beherbergt neben den öffentlichen Bauten auch einen bunten Fächer von robusten, polyvalenten, öffentlichen Freiraumangeboten.
Vom Grundauftrag zur Gesamtplanung
Zu Beginn des Projekts wurden die klassischen Grundleistungen beauftragt. Die Komplexität der Aufgabe mit zahlreichen umgebungsrelevanten projektinternen und projektexternen Abhängigkeiten machte aber schon bald ein Umdenken nötig. Es zeigte sich, dass die Bündelung der Verantwortung Umgebung beim Landschaftsarchitekten nicht nur zur Vermeidung von Schnittstellenrisiken führte. Vielmehr entstanden durch die koordinierte Planung Synergien. Die zusätzlich beauftragten Leistungen umfassen eine ganze Bandbreite von Aufgaben:
– Erdbaumanagement: Insbesondere im Zusammenhang mit industriebedingten Altlasten und dem Baugrubenaushub sowie Fragestellungen zum Grundwasser.
– Werkleitungen in der Umgebung: Planung der Versickerungsanlagen, Koordination von Hausanschlüssen, Regenwassermanagement sowie der Schnittstelle zum externen Fernwärmeprojekt, um negative Auswirkungen auf den Bauprozess (Verlauf mitten durch die Anlage) und die Gestaltung (Zugangsschacht) zu vermeiden.
– Baustellenlogistik: Positionierung der Baustelleninfrastruktur, der Materialdepots und Triageflächen unter Berücksichtigung der Terminplanung sowie räumlicher Rahmenbedingungen (Schulhausprovisorium im Projektperimeter in Betrieb).
– Ortbetonbau: Gestaltung und Planung von Umgebungsbauten. Leistungen des Bauingenieurs als Fachspezialist bei Eisenplänen und statischen Nachweisen.
– Biodiversität und Nachhaltigkeit: Studie und Pilotmassnahmen zum städtischen Jahresziel «Biodiversität auf Baustellen» (Amt für Hochbauten, Stadt Zürich). Langfristige Integration der Pilotflächen in die fertige Anlage als ökologischer Mehrwert.
– Gestaltung der Dachbegrünung: Beitrag zur nachhaltigen Gestaltung.
Chancen
Die Planung der gesamten Umgebung aus der Hand des Landschaftsarchitekten bringt allen Projektbeteiligten wesentliche Vorteile. Nur der Landschaftsarchitekt als (freiraum-)gestalterische Autorität kann den Fokus auf die Gestaltungsprinzipien des Projekts garantieren und dabei auch unter die «grüne Haut» sehen. Durch seine breite Ausbildung hat er die Übersicht, weit über den sektoralen Expertenblick hinaus, und kann als geübter Kommunikator vermittelnd wirken.
Voraussetzungen
Es gibt Rahmenbedingungen, die eine Beauftragung einer Gesamtplanerleistung Umgebung begünstigen. So ist eine gesamtheitliche Haltung zur Profession genauso essentiell wie breite, fundierte Erfahrung (und die Büroressourcen) in technischen, organisatorischen und gestalterischen Fragen. Da sich eine Gesamtplanung Umgebung wesentlich mit Schnittstellen und Abhängigkeiten beschäftigen muss, müssen die Planer prozesshaft und vernetzt denken. Der beste Weg, das nötige Vertrauen der Bauherrschaft zu gewinnen, ist zudem ein sicheres, kooperatives, einsatzbereites und proaktives Auftreten.
Ausblick
Ganzheitliches Denken, Planen und Bauen sind ursprüngliche Kernkompetenzen der Landschaftsarchitektur. Als Umgebungsverantwortliche können wir im Entstehungsprozess eines Baus mit einer Gesamtplanung einen wichtigen Mehrwert leisten: Einer Platine gleich schaffen wir die fertige Grundplatte, auf die die Bauten «gesteckt» werden können. BIM ist das methodische Mittel der Wahl, um das Prinzip der Platine umzusetzen, denn kein anderes Werkzeug kann so umfassend Abhängigkeiten und Synergien darstellen und koordinieren.
Auf einem immer dichteren Planungsmarkt könnte der Weg hin zum Landschaftsarchitekten als Gesamtplaner ein wichtiges Alleinstellungmerkmal unserer Profession werden.anthos, Fr., 2019.09.13
13. September 2019 Florian Glowatz-Frei