Editorial
»Ist es nicht so, dass die tatsächlichen Bedingungen der Kraft stets mit den geheimen Bedingungen der Harmonie übereinstimmen?«, fragte Gustave Eiffel. Die Lastabtragung zum gestaltbestimmenden Thema zu machen, hat auch 130 Jahre nach Fertigstellung des Eiffelturms nicht an Reiz verloren.
Die Grenzen des tragwerksplanerisch Möglichen auszuloten und mit einer sinnfälligen Gestaltung zu vereinen, macht nach wie vor einen Großteil der Ingenieurbaukunst aus. Wenn Architekten und Ingenieure sich in diesem Geiste einer Bauaufgabe widmen, kann sie im Grunde nur gelingen. Davon zeugen auch die von ausgewählten Projekte der db-Ausgabe 5/2019. | Martin Höchst
Elegant übers Getöse
(SUBTITLE) Fussgänger- und Radfahrerbrücke in Lahr
Zwischen zwei im Rahmen der letztjährigen Landesgartenschau neu angelegten Stadtteilparks im Lahrer Westen liegt das Bundesstraßenkreuz B3/B415: vierspurig, zweistöckig, mit kleeblattförmigen Abbiegespuren. Eine vom Architekten und vom Ingenieur gemeinsam entwickelte Brücke überwindet dieses Hindernis höchst elegant und einprägsam.
»Als ich die Situation zum ersten Mal sah, war mir bewusst, das wird schwierig«, sagt Architekt Klaus Reuter. Für den im Jahr 2012 ausgelobten, beschränkten Wettbewerb entwickelte er mit dem Bauingenieur Achim Sattler darum »eine klare, ruhige Form, die dieses ganze Durcheinander neu bestimmt«.
Heterogen ist die Lage am westlichen Lahrer Stadtrand in der Tat: Punkthochhäuser, Grünanlagen und Gewerbegebiete säumen die Straßen – eine autogerechte Stadt ohne Form oder Fokus. Das Wegekreuz, an dem sich die zwei überörtlichen Straßen schneiden, wäre prädestiniert für ein Zeichen, das im kollektiven Bewusstsein haften bleibt, doch das Einzige, was der Knoten im Umfeld bis dahin hinterließ, waren Restflächen.
Während sich die meisten Mitbewerber beim Wettbewerb durch die verfahrene Situation eher kleinteilig hindurchlavierten, nutzt Reuters und Sattlers zu Recht prämierter Entwurf eben diese Restflächen für einen großen Auftritt: Im Grundriss ein ruhiges Kreisbogensegment mit weit ausgreifenden Rampen, hängt die Brücke im Kreiszentrum an einem 50 m hohen Pylon. Zwölf Seile halten diese »Sichel« harfenförmig, zwei weitere verankern die Stütze im Boden – im Ergebnis eine exzentrisch gelagerte Schrägseilbrücke: die neue Landmarke.
»Nadel« oder »Finger« nennen die Planer ihr Ausrufezeichen. Als Ganzes nimmt die markante Konstruktion auch vielfältige Bezüge auf, etwa zum organischen Verlauf der Fahrbahnen und, kontrastierend, zu den benachbarten Hochhäusern, die der Pylon knapp überragt.
So bildet die Brücke einen neuen Raum, auch wenn der weiterhin von Lärm und Abgasen geprägt ist. Elegant schlängelt sie sich mit einem durchgängigen Lichtraumprofil von 3,50 m erst über, dann unter den bestehenden Verkehrswegen hindurch, um dann sanft in die Parks überzuleiten – ein Kraftakt und ein Kunststück zugleich.
Torsionskasten, Widerlager und Gabelköpfe
Die Brücke ist eine Mischkonstruktion. Praktischerweise dienen die zwei geforderten Treppenabgänge als massive Widerlager für den stählernen, knapp 118 m langen Überbau. Dieser besteht aus einem aus Blechen geschweißten Torsionskastenträger, dessen etwa 1,40 x 1,60 m großer, unregelmäßiger Querschnitt zugleich die innenseitige vollwandige Brüstung der Brücke bildet. Die 3,50 m breite Gehfläche ist als auskragende orthotrope, also über aufgeschweißte Stege bzw. im Fachjargon Sicken versteifte Blechplatte auf der Unterseite des Kastenträgers angesetzt und endet sehr schlank in einem filigranen Geländer aus Flachstahl oberhalb einer Entwässerungsrinne.
Im Abstand von 7,85 m greifen die zwölf geschlossenen, 40 mm dünnen Drahtseile in angeschweißte Ösen. An diesen Stellen ist der Kastenträger durch Querbleche verstärkt. Torsion tritt durch diese wohlbalancierte Aufhängung nur bei asymmetrischen Lasten auf.
Im Winkel bis 38° zur Horizontalen laufen die Seile am Kopf des Pylons übereinander in Gabelköpfen zusammen, wodurch sie dort oben keine klare Harfe mehr bilden. Auch der Kopf wurde wie der Torsionskasten aus üblichen S355-Blechen bis 30 mm Dicke geschweißt. Der bogenförmig gegen die angreifenden Kräfte »gespannte« Pylon ist tailliert, er verjüngt sich entsprechend dem Momentenverlauf aus einem trapezförmigen zum dreieckigen Querschnitt. Zusammen mit den Anschlussblechen am Kopf entsteht so ein fast florales Erscheinungsbild.
Zwei 65 mm dicke Trossen verankern die eingespannte Stütze rückwärtig im Erdreich. Weil man am Standort erst in etwa 5 m Tiefe auf tragenden Grund stößt, erfolgte die Gründung über 10 bis 12 m lange und 88 cm dicke Bohrpfähle. »Bereits das Eigengewicht der Pfähle reichte fast, um die Lasten aufzunehmen«, merkt Ingenieur Achim Sattler an.
Seitlich eingespannt ist der Torsionskasten an beiden Enden über ein kraftschlüssiges Bauteil, das die Planer Igel nennen: Das Ende des Kastens ist hier verjüngt und greift über Kopfbolzen in die Bewehrung des Widerlagers. Insgesamt bleibt die stählerne Sichel also nur über die Seilaufhängung elastisch. »Das Brückenbauwerk beinhaltet eine Vielzahl von außergewöhnlichen Herausforderungen im Ingenieurbau« heißt es in der Begründung zum Stahlbaupreis 2019, den das Projekt unlängst zugesprochen bekam.
Die äußeren Rampen führen das L-förmige Profil der Stahlkonstruktion in Stahlbeton weiter, sodass der Materialwechsel zwischen den Bauteilen kaum auffällt: überdies läuft das Flachstahlgeländer an der Außenseite durch. Die bis zu 17 m frei spannenden Stahlbeton-Platten der Rampen sind mit ihren Pfeilern in Querrichtung biegesteif verbunden, in Längsrichtung hingegen ist eine Ausdehnung über gelenkige Auflager möglich, und so gibt es auf 56 m Länge nur eine einzige Dehnfuge. Die Steigung überschreitet an keiner Stelle des Überwegs 4,5 %, sodass keine Podeste notwendig waren.
Als relativ leichte Konstruktionen neigen Schrägseilbrücken zum Schwingen. Das ist auch in diesem Fall so, wenngleich es vor Ort nicht unangenehm oder gar beängstigend auffällt. Nachträglich wurden dennoch Schwingungstilger für die drei Eigenfrequenzen der Brücke angefertigt. Sie sollen noch zwischen die Rippen der Gehweg-Unterkonstruktion eingefügt werden. Dies wird hoffentlich bald geschehen, denn bislang stehen sie noch wie klobige Bänke auf der Brücke und damit dem Verkehrsfluss im Wege. Die Konstruktion ist auf eine Belastung von 5 t ausgelegt, um z. B. auch eine Befahrung mit Reinigungsfahrzeugen zu ermöglichen.
Die Wegflächen des Überbaus wurden mit besandetem Epoxidharz beschichtet. An der geschlossenen Brüstung ist die Beschichtung zudem signalrot eingefärbt, was tags wie nachts – dann effektvoll illuminiert – den kühnen Linienschwung des prägnanten Brückenbauwerks hervorhebt. Untersicht und Geländer, an dessen Flachstahlprofilen entlangstreifender Wind mitunter eigenartige Heultöne erzeugt, sind mit Eisenglimmer lackiert.
In sieben Teilen quer durch die Republik
Zum Entwurf entwickelte das Planungsteam auch eine Montageanleitung – bei weitgespannten und komplexen Brücken ist dieser Nachweis der Baubarkeit auch unabdingbar. Während die Betonbauteile vor Ort gegossen werden konnten, mussten die Bestandteile der Stahlkonstruktion aus dem Ruhrgebiet zur Baustelle transportiert werden. Dies erfolgte beim Pylon in zwei Teilen, beim Überbau in fünf ca. 6 m breiten Abschnitten, die erst vor Ort miteinander verschweißt wurden. Die Bundesstraße 415 musste während des Einbaus des letzten Teilstücks für drei Wochen gesperrt werden: Während der Schweißarbeiten bis zum Einhängen des Überbaus fingen auf der Straße errichtete Leergerüste dessen Eigenlast ab.
Ein triftiges Argument für die weitgespannte Hängekonstruktion – neben ihrer Eleganz – ist, dass sie mit nur wenige Fußpunkten im nicht zugänglichen und auch kaum von Anprall gefährdeten Kreuzungsbereich auskommt und so auch die Baulogistik beträchtlich erleichterte. Dass der zu begehende Bereich des Überbaus seitlich, statt wie üblicherweise auf dem Kastenträger angeordnet wurde, führte zu einer Minimierung der Bauteilhöhe, was wiederum zur Verringerung der notwendigen Gesamtlänge beitrug.
Am Ende wurde die Fertigstellung der Brücke trotz langen Planungsvorlaufs doch noch zur Zitterpartie, da die Stahlbaufirma mit der Produktion der Segmente im Verzug war. Die Brücke wurde aber im vorigen April zur Eröffnung der Landesgartenschau gerade noch rechtzeitig fertig. Dieser Stress indes war rasch vergessen. Die Lahrer sind stolz auf ihre seit Herbst letzten Jahres öffentlich zugängliche Landmarke am Stadteingang und nutzen sie rege zum Promenieren und Joggen.
Solange mit der Verkehrswende zumeist nur eine zusätzliche, andere Mobilität und kein Rückbau von Straßen gemeint ist, wird es noch reichlich Gelegenheit geben, Barrieren der autogerechten Stadt gefahrlos und ästhetisch zu überwinden, etwa im Rahmen der vom Bund geförderten Radschnellwege. Es bleibt zu hoffen, dass dies weitere Bauwerke von solcher Prägnanz und Kühnheit wie die Brücke in Lahr hervorbringen wird.
Das Team Henchion Reuter und EiSat arbeitet daran, auch künftig seinen Beitrag dazu zu leisten: Vor Kurzem erst errang es mit der Emscher-Querung in Castrop-Rauxel einen zweiten Preis, abermals mit einer grazilen Schrägseilbrücke.db, Mi., 2019.05.08
08. Mai 2019 Christoph Gunßer
Freiheit im Raster
(SUBTITLE) Akademie für Internationale Zusammenarbeit in Bonn
Die Architektur des neuen AIZ-Gebäudes sollte das Lernen nicht linear, sondern neugierig suchend, offen und reflektierend abbilden. Daraus resultiert eine schwarmartige Struktur, die von dem systemimmanenten Widerspruch aus Strenge und Freiheit des intelligenten Holzskelettbaus profitiert.
Es ist ruhig in Röttgen, Einfamilienhäuser vergangener Jahrzehnte säumen den Waldrand, der das Ende des Bonner Stadtgebiets markiert. Bewusst zurückgezogen unterhält die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) hier, neben dem im Regierungsviertel, ihren zweiten Bonner Standort. Eine Erweiterung erfuhr der Bestand mit dem Ende 2017 fertiggestellten Neubau der Deutschen Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ) von Waechter + Waechter Architekten und den Tragwerksplanern merz kley partner. Das Angebot der AIZ ist darauf ausgerichtet, sowohl Mitarbeiter der GIZ als auch deren mitreisende Partner auf einen Einsatz im Ausland vorzubereiten. Ein vierwöchiger Intensivsprachkurs in einer von 70 Landessprachen als Einzelunterricht ist hierbei genauso möglich wie ein fünftägiges Gruppenseminar zum Projektmanagement in internationaler Zusammenarbeit sowie ein begleitendes Selbststudium mithilfe der zahlreich zur Verfügung stehenden Medien.
Für Felix Waechter bildete der Wunsch, das aktive, offene Lernkonzept als räumliche Idee weiterzudenken und maßstäblich in die Landschaft einzuschreiben, den Ausgangspunkt für den Entwurf. So überzeugte im Wettbewerb 2014 die Radikalität der »vielfach gegliederten multimodalen und kommunikationsorientierten Lern- und Seminarlandschaft«, die ihre Freiheit aus der rasterbasierten Ordnung des Tragwerks generiert.
In einer sanft modellierten Landschaft, die sich durch gerade Reihen und sorgfältig geordnete Formationen lichter Baumgruppen vom angrenzenden Wald unterscheidet, steht das zweigeschossige »Lernhaus« wie eingepflanzt. Hölzern das Tragwerk, zahlreich die Stützen. Doch ist es kein Haus im klassischen Sinne, es ist ein Cluster, ein Schwarm, eine bewegte flache Struktur. Die Ordnung wirkt zufällig – ein System der Vor- und Rücksprünge, von keiner Seite aus zu entschlüsseln. Zur Klärung der Geometrie verhilft eine Grundrisszeichnung: Sie zeigt 78 Felder, davon 56 quadratisch und 22 bei gleicher Länge schmaler. Die zweiflügelige Figur entsteht durch die Kopplung eines Clusters mit einem spiegelverkehrten Pendant. Jeweils im Zentrum der beiden Gebäudeflügel bilden zwei offengelassene Rasterfelder einen Innenhof.
Kommunikation und Bewegung
Am Haupteingang – mittig an der schmalsten Stelle der Grundrissfigur – betreten die Besucher die zweigeschossige Lobby mit Rezeption und Café. Zwei sich gegenüberliegende Treppen führen von hier ins OG. Die Organisation der Flügel und Etagen folgt einem Prinzip, das sich trotz der amorphen Grundrissfigur leicht erschließt, auch dank der Orientierungshilfe durch die beiden Innenhöfe. Als Rundweg um sie herum angeordnet ist jeweils eine offene Kommunikationszone, die dem Lernen allein oder in Gruppen dient. Untergliedert wird dieser Bereich durch die Regale der Mediathek und sogenannte Lernstationen; eine davon klärt z. B. über die angemessene soziale Distanz in verschiedenen Ländern auf. Entlang der Außenfassade sind die insgesamt 44 Seminarräume platziert. Teilweise sind sie schaltbar, in jedem Fall aber durch die Glaswände vom zentralen Bereich aus einsehbar. Sämtliches Mobiliar ist beweglich, Tische und Hocker sind leicht und handlich, sodass sie sich einfach umgruppieren lassen. Auch Garderoben, Kopierer und »Sitznischen auf Rollen« können dem Bedarf entsprechend verschoben werden.
Letztendlich ist es das Tragwerk, das die Offenheit und Flexibilität – sowohl in der Anmutung als auch in der Nutzung – ermöglicht. Konrad Merz kam als Tragwerksingenieur erst nach dem Wettbewerb hinzu. Entwurfsimmanente Entscheidungen u. a. zum Raster, der Verwendung von Holz, dem Grundriss und der Dachform waren da längst gefallen, doch nun war der Ingenieur gefragt, das räumliche Raster in eine tragende Holzkonstruktion zu übertragen.
Weiterentwickelt und überprüft
Um den Anforderungen des Raumprogramms nachzukommen, und die wirtschaftlichen Vorzüge der modularen Bauweise optimal auszunutzen, hatten die Architekten den Grundriss von vornherein so angelegt, dass lediglich zwei unterschiedliche Rasterfeldgrößen (5,25 x 5,25 m und 3,50 x 5,25 m) ausreichen sollten. Die Planer ließen im Hof der Holzbaufirma das Mock-up eines Rastersegments einschließlich Dachelement aufbauen, um mit dessen Hilfe einen hohen Vorfertigungsgrad der im eingebauten Zustand weitgehend unbekleidete Holzmodule zu erreichen. So konnten die Planer Hand in Hand mit der Holzbaufirma sämtliche Details entwickeln und 1:1 überprüfen.
Der Holzskelettbau aus BSH-Fichte wurde auf dem UG errichtet, das, wie die aussteifenden Kerne und die notwendigen Treppenhäuser, in Stahlbeton ausgeführt wurde. Für die niedrigen Sockel und Brüstungen des EGs kamen, um die Holzkonstruktion zu schützen, Betonfertigteile zum Einsatz.
Ausgehend von einem Treppenhauskern wurde der Holzbau abschnittweise errichtet, beginnend mit den Stützen des EGs. Die kreuzförmigen Stützen sowie der darauf liegende Knotenpunkt aus Stahl sind so ausgebildet, dass Rohre für die Fallrohre der Dachentwässerung verdeckt darin geführt werden können. Wo dies der Fall ist, ist ein Stützenteil demontierbar.
Nach der Montage der Unterzüge wurden die aus Transportgründen zwei- oder dreigeteilten Deckenelemente des EGs eingehängt. Durch die Rasterlochung der Dreischichtplatten (ebenfalls Fichte), die ihre Untersicht bildet, sind sie ohne zusätzliche Bekleidung auch raumakustisch wirksam.
In das anschließend errichtete Holzskelett des OGs wurden dann die entsprechend den beiden Rasterfeldgrößen vorfabrizierten Elemente der Dachkonstruktion – zwei dreieckige Holz-Hohlkasten-Modulen und eine filigrane Stahlstütze – auf der Baustelle zusammengesetzt und am Stück eingebaut. Wie die Skelettkonstruktion und die Hohlkastenelemente der Decken erfolgte auch die Montage der Dachelemente mit bereits fertigen weiß lasierten und rastergelochten Sichtholzoberflächen.
Die Trennwände zwischen den Seminarräumen aus Glas oder in Leichtbauweise, analog zu den Deckenuntersichten mit raumakustisch wirksamen gelochten Dreischichtplatten beplankt, schließen unmittelbar an die Kreuzstützen an. Da das verwendete Holz alleine nicht genügend Masse zur Regulierung des Raumklimas mitbringt, wurde der Oberboden in geschliffenem Terrazzo mit integrierter Temperierung realisiert. Die Leitungsführung von Zuluft, Heizung und Elektrik wiederum verläuft in einem Hohlraumboden darunter. Vorausschauend geplant, kann jedes Rasterfeld mithilfe der Regelungstechnik individuell angesteuert werden, sodass bei Änderungen der Raumaufteilung keine aufwendigen baulichen Eingriffe für die Haustechnik anfallen.
Vielfältig gefordert
Waechter + Waechter hatten den Ehrgeiz, nicht nur die in der Auslobung geforderte DGNB Zertifizierung in Bronze sondern in Gold zu erreichen, und dies mit Erfolg.
»Aus Verantwortung vor der Schöpfung«, sagt Felix Waechter, »aber auch als Werbung für nachhaltiges Bauen bei den ausländischen Gruppen, die hier geschult werden.« Wichtige Komponenten des Energiekonzepts sind u. a. auch die hohe Ausnutzung des Tageslichts, das aus den Innenhöfen und durch die gläsernen Trennwände bis in die Tiefe des Gebäudes gelangt sowie die passive Sonnenenergienutzung über die großen, dreifach verglasten Fenster und Oberlichter.
Sonnenschutz bieten im OG vertikale Lärchenholzlamellen vor den Fenstern sowie innenliegende Vorhänge und außenliegende Screens im EG. Auch in den dreieckigen Fensterflächen der Oberlichter können Rollos ausgefahren werden, die bei Nichtgebrauch in der Konstruktion verschwinden. Gerade bei solchen Details hat sich das 1:1-Modell sichtlich bewährt. Dank der Vorfertigung konnte der Holzmodulbau zwar deutlich schneller als ein konventioneller Massivbau errichtet werden, günstiger war er jedoch nicht.
Im Betrieb bestätigt die antizipierte Wirkung die Wahl von Material und Konstruktion: Das durchgängige Raster lässt das Lernhaus hierarchielos wirken, und so zeigt sich die Kunst der Gestalter nicht in der Inszenierung des Tragwerks als Spektakel, sondern in der Minimierung seiner sichtbaren sorgfältig detaillierten Elemente. Die Offenheit dieser Struktur, die es vermeidet, Grenzen zu setzen, macht neugierig. Und das kann ja nur im Sinn der Bauherrin – der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit – sein.db, Mi., 2019.05.08
08. Mai 2019 Uta Winterhager
Rumänischer Stahlbeton-Pionier
(SUBTITLE) Ingenieurporträt: Mircea Mihailescu (1920-2006)
Der rumänische Bauingenieur Mircea Mihailescu ist mit seinen zahlreichen Werken im deutschsprachigen Raum kaum bekannt. Ein guter Grund, an diesen Doyen des Stahlbetonbaus im Rumänien der Nachkriegszeit zu erinnern: Durch seine Bauten und seine Tätigkeit als Lehrer und Forscher an der TH Klausenburg hat er auf zahlreiche Generationen von Studenten einen starken, prägenden Einfluss ausgeübt.
Mircea Mihăilescu zählt zu den Bauingenieuren, die bewährte klassische Lösungen anerkennen, sie aber zugleich verbessern wollen: Voller Fantasie und Neugier suchte der Rumäne nach neuen Wegen im Entwurf und in der Ausführung. Bis zu seinem Lebensende war er als praktizierender Bauingenieur tätig. Bereits zu Beginn seiner Laufbahn widmete er sich einem Konstruktionssystem, das von zwei für das 20. Jahrhundert typischen Merkmalen geprägt ist: der Verwendung von Stahlbeton und dem Einsatz von Stahlbetonschalen für Überdachungen, mit seinerzeit völlig neuartigen, geometrischen Formen.
Geboren wurde Mihăilescu 1920 im Siebenbürgischen Braşov (Kronstadt) in eine Familie mit alten, aristokratischem Wurzeln. Er gehörte einer Generation an, die ihre Formung in der zweiten Gründerzeit Rumäniens erhalten hatte – der Zwischenkriegszeit, die, trotz mannigfacher Widersprüche, von einer bemerkenswerten wirtschaftlichen, wissenschaftlichen sowie kulturell-kosmopolitischen Aufbruchstimmung und Dynamik geprägt war. In der Schulzeit bekam Mihăilescu eine allgemeine, weltoffene Bildung – und entwickelte eine starke Neigung zur Mathematik: Mit dieser hatte er sich fortan unablässig beschäftigt, v. a. im Laufe seines Studiums an der Fakultät für Bauwesen des Bukarester Polytechnikums. Schon als Student erteilte er seinen Kollegen Privatunterricht in Geometrie und Festigkeitslehre.
Sein Studium schloss er 1944 als Jahrgangsbester ab. Im selben Jahr wurde er Assistent bei Prof. Hangan am Lehrstuhl für Beton- und Stahlbetonbau. Dort beteiligte er sich an der Ausarbeitung von Vorschriften zur Berechnung und Instandsetzung von Stahlbetontragwerken, leitete Seminare über die Bemessung von Stahlbetonelementen – und entdeckte seine Leidenschaft für Betonschalen.
Gleichzeitig war er als Tragwerksplaner am Institut für Planung und Entwicklung im Bauwesen (Transportministerium) in Bukarest aktiv. So plante er – im Alter von gerade einmal 27 Jahren – das Stahlbetontragwerk des Eisenbahndepots in Kronstadt (1947). Das Dach dieser Halle mit einer Grundfläche von 15 000 m² setzt sich aus 40 Konoidschalen mit parabolischen Leitlinien zusammen (Abb. 2). Die Halle zählt zu den ersten Gebäuden weltweit, in denen Konoidschalen zur Abdeckung großer Spannweiten zum Einsatz kamen. Die theoretischen Grundlagen zur Berechnung dieser Schalenart im Rahmen der Membrantheorie veröffentlichte Mihăilescu 1952 [1]. Im darauffolgenden Jahr plante er das Tragwerk einer Textilproduktionshalle in Bukarest. Dabei entwickelte er zum ersten Mal S-förmige, vorgespannte Zylinderschalen aus Stahlbeton, die das Sheddach prägen (Abb. 3). Die Berechnung dieser Schalen stellte er 1960 beim IASS-Kongress in Madrid vor [2].
1947 wurde Mihăilescu auch wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte Mechanik an der Rumänischen Akademie; 1959 übernahm er die Leitung der dortigen Abteilung für Mechanik der Festkörper. Seine Forschungstätigkeit erwies sich als überaus fruchtbar: Er beschäftigte sich mit der Biegetheorie der Schalen, insbesondere mit Methoden zur Lösung der Differentialgleichungen des Spannungszustands bei elliptischen und hyperbolischen Schalen und erarbeitete ein Kompendium zur Theorie und Berechnung dünnwandiger Schalen.
Ende 1959 wendete er sich wieder vermehrt der Planung zu. Als Chefkonstrukteur des Bukarester Instituts für typisierte Bauten konzipierte er drei bemerkenswerte Schalenbauwerke: die Überdachung eines Pavillons in Olăneşti (1960), wofür er eine hyperbolische Schale mit gekrümmten Rändern auf zwei Auflagern entwickelt hat (Abb. 4), das Bahnhofsdach in Bârlad, das sich aus zwölf asymmetrischen Hyperschalen mit geraden Rändern zusammensetzt, sowie die Bahnsteigüberdachung des Bahnhofs in Kronstadt als parabolische Zylinderschalen, die auf Stützen im Raster von 12 m ruhen.
Die Zeit an der TH Klausenburg
1964 wurde Mihăilescu schließlich an den Lehrstuhl für Beton und Massivbau der Fakultät für Bauingenieurwesen der TH Klausenburg berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte. Zu verdanken hatte er dies dem klugen und vorausschauenden Handeln des damaligen Ordinarius für Festigkeitslehre und Elastizitätstheorie und Prorektor, Prof. Ilie Vasile, der trotz des Widerstands der politischen Führung – Mihăilescu war nicht Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen –, seine Berufung durchsetzte.
Dank Mihăilescus hervorragender Ausbildung, seiner Erfahrung in Lehre, Forschung und am Zeichenbrett sowie seiner Kontakte zur nationalen und internationalen Fachwelt war seine Berufung für die junge Klausenburger Fakultät für Bauwesen ein Glücksfall. Seine Didaktikanschauung entsprach dem Humboldtschen Bildungsideal: Akademische Freiheit, durch Forschung unterstützte Lehre und Integration der neuen Erkenntnisse in die Praxis. Gründlichkeit, Qualität und die Synthese von Theorie und Praxis bestimmten seine Lehre auf dem Gebiet Massivbau und konstruktiver Ingenieurbau. Zudem überraschte er sein akademisches Umfeld immer wieder mit Neuem, etwa mit der Einführung des Fachs Schalentheorie, was sich bei seinen Studenten großer Beliebtheit erfreute. Gleich nach seiner Ernennung gründete er ein Versuchslabor zum Testen von Mikrobetonmodellen und ein »Labor für die Entwicklung neuartiger Tragwerke«. Seine Tätigkeit konzentrierte sich auf die Suche nach analytischen Lösungen zur Schalenberechnung und auf Modelluntersuchungen. Beim Schalenbau legte er ein besonderes Augenmerk auf Verfahren zur Vorfertigung durch die Segmentierung der Schalen.
Seine Zeit als Ordinarius für Massivbau an der TH Klausenburg stellt die Blüte seines Schaffens dar, auch in Bezug auf Bauwerke, wie der nachfolgende Einblick in sein reichhaltiges Schaffen zeigt.
Bahnhof von Predeal
Mit dem Projekt eines Schalendachs gewann Mihăilescu 1967 den Wettbewerb für den Neubau des Bahnhofs des Kurorts Predeal im Karpatenpass, der Bukarest mit Siebenbürgen verbindet. Der Bahnhof hat ein Dach aus einer asymmetrischen Hyperschale mit geraden Rändern, die sich gut in die Berglandschaft einpasst (Abb. 5). Mit einem Verhältnis der kurzen und langen Diagonale von 34 zu 38 m überdeckt das Dach eine Grundfläche von 700 m². Die Schale besteht aus 169 kastenartigen Fertigteilen mit 24 cm dicken Randrippen. Zuerst wurden die Fertigteile und die Schalung der Randträger auf einem Gerüst aufgestellt und anschließend die Fugen und Ränder bewehrt und betoniert. Fünf vorgespannte Spannglieder, angeordnet in den Fugen in beiden Richtungen der Auflager, sorgen für den Abbau der Zugspannungen.
Boxhalle der Stadt Onesti
Das Tragwerk der Sporthalle Oneşti setzt sich aus fünf identischen sattelförmigen, 12 cm dicken hyperbolischen Schalen mit einer Grundfläche von 7 x 18 m zusammen, die aneinander angeordnet sind (Abb. 6-8). Zur Ausführung sind die Schalen durch Schnitte entlang der Apexlinie und quer dazu segmentiert worden. Geschweißte Stahlteile, die in den Kontaktflächen einbetoniert sind, und betonierte Fugen sorgen für Herstellung der Schalenwirkung. Je zwei Vorspannkabel, angeordnet in Längsrichtung in der Höhe der flachen Krümmung der Schale, sichern die Aufnahme der Zugspannungen aus der Balkenwirkung.
Ausstellungshalle in Klausenburg
Im Auftrag der Klausenburger Stadtverwaltung hat der Lehrstuhl für Massivbau 1971 eine erweiterbare Ausstellungshalle für regionale Produkte geplant (Abb. 9). Das modulare Konzept beschränkt sich auf zwei Elemente: ein Dachelement aus einer Stahlbeton-Velaroidschale mit geraden Rändern und ein Stützenmodul aus vier räumlich angeordneten Stahlstützen. Während die Grundfläche der Velaroidschale 12 x 12 m beträgt, misst die des Stützenmoduls 2 x 2 m. Das Tragwerk setzt sich aus 21 Schalenmodulen zusammen, die, angeordnet in Abständen von 2 m, auf 42 an den Ecken platzierten Stützenmodulen aufgelagert sind. Die Segmentierung der Schalen in 20 Fertigteile und vier vorgespannte Randträger hat eine rasche Ausführung ermöglicht. Die Stützen mit variablem Querschnitt bestehen aus 6 mm dickem, kaltgeformtem Stahlblech. Die Stützenköpfe sind mit biegesteifen Riegeln kreuzweise miteinander verbunden, die ihrerseits biegesteif an die Stahlbetonträger angeschlossen sind. Am Fußpunkt konvergieren die Stützen in einem gemeinsamen Querschnitt und sind auf einem Stahlbetonsockel gelenkig aufgelagert.
Markthalle der Stadt Onesti
Das Hallendach der Markthalle in Oneşti besteht aus fünf Makromodulen orthogonal angeordneter Fachwerke aus Stahlbeton. Ein Modul deckt eine Grundfläche von 21 x 21 m und ist an den Ecken auf Stahlbetonstützen aufgelagert (Abb. 10-11). Jedes Makromodul ist unterteilt in 16 Mikromodule (Abmessungen 3 x 3 x 1,80 m), die, als räumliches Fachwerke mit oberer Dachscheibe ausgeführt, innerhalb der Makromodule schachweise angeordnet sind. Die Montage der Makromodule erfolgte am Boden, mit in beiden Richtungen vorgespannten Untergurten. Die einzelnen Makromodule wurden anschließend zusammen mit den Stützen mithilfe von Pressen in die Endlage geliftet.
Agrarmarkt in Klausenburg
Die Form der Jacobsmuschel hatte Mihăilescu bei der Überdachung eines Agrarmarkts in Klausenburg (auf einer trapezförmigen Grundfläche von etwa 100 x 50 m, Abb. 12) inspiriert. Um die Schalungskosten zu senken, wurde die Schale durch Längsschnitte in dünnwangige parabolische und hyperbolische Bögen segmentiert: Die parabolischen Bögen sollten als Fertigteile in der Werkstatt entstehen, die hyperbolischen Bögen und die Ränder hingegen in Ortbeton gegossen werden. Leider hatte die Stadtverwaltung die Baugenehmigung verweigert und so blieb es nur bei einem Projektentwurf.
Stahlbetonfertigteile für Hallendächer
Für das Dach einer Werkstatthalle entwickelte Mihăilescu ein dünnwandiges, linsenförmiges Fertigteil, das die Spannweite von 16 m mit minimalem Material- und Kostenaufwand deckt: ein vorgespannter Fischbauch-Träger mit perforiertem Steg und breiten Flanschen (Abb. 13). Die Dicke von Steg und Flanschen beträgt 8 cm, der Obergurt ist 1,20 m breit, der Untergurt kann schmaler oder gleich breit sein.
Außerdem entwarf er, um den Betonbau mit seiner vorteilhaften Eigenschaft der Brandfestigkeit gegenüber dem Stahlbau konkurrenzfähig zu machen, zwei weitere Prototypen leichter, dünnwandiger und kostengünstiger Stahlbetonfertigteile in Trogform: Gekrümmte Fertigteile mit Vollstegen sowie gerade Elemente mit perforierten Wänden.
Wasserbehälter und Kläranlagen aus doppelgekrümmten Fertigteilen
Das Hauptproblem beim Bau von Wassertanks und Kläranlagen ist die Sicherung der Dichtigkeit, da in kreisförmigen Behältern die Wände durch den Wasserdruck insbesondere auf Zugspannungen beansprucht werden. Um dieses Problem zu umgehen, entwickelte Mihăilescu vorgefertigte Wandelemente aus doppelgekrümmten Schalen, deren Form dafür sorgt, dass unter Wasserbelastung allein Druckspannungen auftreten (Abb. 14). Diese Spannungen addieren sich an den Rändern und schließen die Fugen zwischen den Fertigteilen. Die Vorspannung der Ringgurte sichert ihrerseits die Aufnahme der Radialkräfte.
Viele der genannten Bauwerke sind nicht nur ingenieurtechnisch eine Besonderheit. Sie sind auch deswegen bemerkenswert, weil sie in einem Land und zu einer Zeit entstanden, in dem Wirtschaft und Baukultur der politischen Klasse unterworfen waren – und es somit schwierig war, Bauherren zu finden, die für Mihăilescus fortschrittliche Ideen offen waren. Das ihm dies dennoch gut gelang, zeigt dieser Einblick in seine Bauwerke und Erfindungen.db, Mi., 2019.05.08
08. Mai 2019 Adrian Pocanschi