Editorial

Wie viel Wasser verbraucht eine Schweizerin oder ein Schweizer jeden Tag? 160 Liter! Der Konsum sinkt seit Jahren leicht, in Haushalten und im Gewerbe. Das Bevölkerungswachstum wird die künftige Nachfrage trotzdem steigern.

Um wie viel höher ist die Umweltbelastung von Mineralwasser, verglichen mit sauberem Trinkwasser? Um den Faktor 500!

Wie viel Geld spart die öffentliche Hand, weil für die Gewinnung von Trinkwasser natürlich ge­reinigtes Grundwasser zur Verfügung steht? Mindestens 10 Millionen Franken jährlich würde es mehr kosten, müsste der Grossteil des Wassers technisch aufbereitet werden, Investitionen nicht eingerechnet.

Wie viele Trinkwasserfassungen hat der Kanton Bern in den letzten Jahren geschlossen? Über 300! Vornehmlich, weil die unmittelbare Nachbarschaft derart überbaut ist, dass das Risiko einer Verschmutzung zu gross geworden ist.

Was macht der Klimawandel mit den Grundwasserressourcen? Hydrologen gehen von einer Reduktion regionaler Volumen um bis 20 % aus.

Wie lang braucht ein Grundwasser­pegel, um sich von einem Trockenjahr zu erholen? Bis zu neun Jahre – bei normalen Niederschlagsverhältnissen.

Es ist Zeit, dass man bei der Schweizer Trink­wasserversorgung über die Bücher geht. Davon handelt diese Ausgabe. 

Paul Knüsel

Inhalt

03 EDITORIAL

07 WETTBEWERB
Ausschreibungen/Preise | Leichte Brise

10 AUSZEICHNUNG
«Das Experimentieren hat sich in den Designprozess der Architektur verlagert»

12 WEITERBILDUNG
2000-Watt-Areale

13 VITRINE
Hochwasserschutz

14 ESPAZIUM
Aus unserem Verlag

15 STELLENMARKT

16 SIA
Finanzielle Unterstützung aufgegleist

19 AGENDA

20 TRINKWASSER: DER KREISLAUF STOCKT

20 EIN WASSERSCHLOSS MIT «TROCKENREGIONEN»
Paul Knüsel
Der Klimawandel und eine teilweise isolierte Wasserinfrastruktur gefährden die Versorgungssicherheit.

23 «DIE KOMPLEXITÄT NIMMT ZU»
Judit Solt
Fachleute aus Verwaltung, Praxis und Forschung erörtern die künftigen Herausforderungen im öffentlichen Wassermanagement.

27 TRINKWASSER IM DICHTESTRESS
Paul Knüsel
Grund- und Quellwasserfassungen benötigen einen räumlichen Schutz. Doch viele Gemeinden passen zu wenig darauf auf. Der Kanton Solothurn geht bei der Bereinigung mit gutem Beispiel voran.

30 STELLENMARKT

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Ein Wasserschloss mit «Trockenregionen»

Wie setzt der Klimawandel dem Wasserreichtum in der Schweiz zu? Zwar sprudeln Grundwasser und Quellen auch in Trockenzeiten munter weiter. Dennoch sind saisonale und regionale Engpässe zu erwarten. Die Infrastruktur und die Bewirtschaftung der öffentlichen Trinkwasserversorgung müssen zwingend verbessert werden.

Die Erinnerung an die letztjährige Hitzewelle treibt den Schweiss noch heute auf die Stirn: Das Thermometer kletterte wiederholt über 35  °C und sank in einigen Städten wochenlang selbst in der Nacht nicht unter 20  °C. Der nationale Wetterdienst registrierte 2018 den wärmsten je ge­messenen Sommer und den höchsten Jahresmittelwert. Das unmittelbare Empfinden, wie heiss es werden kann, stimmt mit den Messungen der Klimaforscher also überein. Nicht so einfach nachvollziehbar ist hingegen, wie sich der Treibhauseffekt auf den Niederschlag auswirkt. Von Januar bis Dezember 2018 schlug das Pendel heftig nach oben und ebenso stark nach unten aus.

Im Winter fiel Schnee in noch nie gemessener Menge auf die ­Walliser und Bündner Berge. Auch im Mittelland war es in der kalten Jahreszeit ausgesprochen nass. Viele Grundwasservorkommen waren reichlich gefüllt, als zur ­Hitzewelle eine monatelange Trockenheit dazu kam. In vielen Regionen sank der Grundwasserspiegel trotzdem auf ungewohnt tiefes Niveau. Am stärksten betroffen war die Ostschweiz: Hier sank die Niederschlagsmenge gegenüber einem Normaljahr um 40 %.

Die Schweiz ist das Wasserschloss Europas; der Regen sowie die Schnee- und Gletscherschmelze verteilen sich via Inn, Ticino, Rhone, Doubs und Rhein über den ganzen Kontinent. Der Abfluss ist derart üppig, dass auch die inländische Wasserversorgung ausreichend profitiert. Die zahlreichen Quellen, Grundwasserströme und Seen werden auch angesichts des Klimawandels kaum versiegen. Dennoch dürfte der Wassernutzungskreislauf ins Stocken geraten, weil Angebot und Nachfrage räumlich und zeitlich auseinanderdriften.

Reserven und Gewissheiten schwinden

Das Dargebot gleicht einem komfortablen Überfluss: Nur etwa 10 % des Grundwassers wird effektiv genutzt. Und die meisten Trinkwasserpumpen können bei Bedarf das Doppelte liefern. Allerdings sind diese Gewissheiten seit 2003, ebenso wie die tatsächlichen Reserven, zumindest temporär am Schwinden. Inzwischen bleibt der Regen jedes vierte Jahr in irgendeiner Region wochen- bis monatelang aus. An öffentliche Aufrufe zum sparsamen Umgang mit Wasser hat man sich bereits gewöhnt. Und dass die Trinkwasserversorgung einiger Gemeinden vorübergehend per Tankwagen sichergestellt wird, ist auch nicht mehr ungewöhnlich.

Hydrologen erwarten tatsächlich einen Rückgang der Reserven, unter anderem weil die Gletscher schrumpfen. Quellen im gebirgigen Karst und Grundwasser, das im Schotterbett unter den Tälern hindurchfliesst, werden in den folgenden Jahrzehnten bis zu 20 % Ergiebigkeit verlieren. Kommen längere Trockenzeiten hinzu, kann dies etlichen Regionen in den Voralpen oder im Jura prekäre Versorgungslagen bescheren. Dennoch wissen viele Gemeinden nicht, woher sie das Wasser beziehen sollen, wenn nicht aus den bislang sprudelnden Quellen. Die Bergkantone decken sich zu 80 % damit ein; ansonsten wird Trinkwasser mehrheitlich aus dem Grundwasser hochgepumpt. Als dritte Versorgungsvariante steht Seewasser zur Verfügung. Jeder fünfte Liter Trinkwasser wird in der Schweiz daraus aufbereitet. Die Bezugsquellen und das hydrologische Einzugsgebiet bestimmen deshalb, auf welche Dargebotsschwankungen man sich lokal und regional gefasst machen muss.

Nicht überall sind das Knappheitsrisiko und die gefährdeten Orte bekannt. Immer noch scheinen manche unvorbereitet auf die nächste Trockenphase zu warten. Weil die Trink- und Brauchwasserversorgung eine kommunale Aufgabe ist, fehlt eine generelle Übersicht. Der Wissensstand der Verantwortlichen, die in Gemeinden, Genossenschaften oder Korporationen arbeiten, ist höchst unterschiedlich. Auch darum fühlte sich der Bund berufen, auf abschätzbare Veränderungen in regionalen Wasserkreisläufen aufmerksam zu machen. Und siehe da: Einige Kantone haben potenzielle ­«Trockenregionen» entdeckt.

Überforderte Versorgungsinfrastruktur?

Eine Ersterkundung hat man inzwischen in der Urschweiz durchgeführt. Für die weitläufige Region rund um den Vierwaldstättersee hat ein nationales Pilot­projekt überprüft, wo Wasser knapp werden kann. Die Analyse der 59 Gemeinden – von der Stadt Luzern bis zum Urner Bergdorf Realp – liefert wenig Grund, Alarm zu schlagen. Doch periphere Lagen sollten aufhorchen: Weil entlegene Gemeinden wassertechnisch meistens autonom funktionieren, können lokale Versorgungsengpässe auftreten. Grund dafür sind aber nicht nur die Lage oder fehlende Ausweichvarianten, sondern auch eine steigende Wassernachfrage. Zwar zählen die Schweizer Haushalte zu den sparsamsten in Europa. Und zudem sinkt der Konsum kontinuierlich, wie der Schweizerische Verband des Gas- und Wasserfachs jährlich ausweist. Doch sobald es heiss wird und der Regen ausbleibt, steigt der Durchfluss in bestehenden Anschlüssen. Aber es kommen auch neue Ansprüche dazu: In Landwirtschaftsregionen sind Äcker, Wiesland, Obstplantagen und Rebberge zu bewässern. Und in wachsenden Agglomerationen nimmt mit der Bevölkerung auch der Grund- und Trinkwasserverbrauch zu. Erste Kantone wie Thurgau oder Luzern warnen aufgrund eigener quantitativer Abschätzungen: «Die Bevölkerungsentwicklung und das tendenziell rückläufige Dargebot werden potenzielle Engpässe zunehmend verschärfen.»[1]

Hat das Hitzejahr 2003 die Umweltbehörden erstmals aufgerüttelt, war die Überraschung über die letztjährige Trockenheit eigentlich unberechtigt. Zudem weiss man seit 2014, wie die «Zukunftsstrategie zur Sicherung der Ressource Wasser» in der Schweiz aussehen soll. Formuliert hat sie das Nationale Forschungsprogramm 61 «Nachhaltige Wassernutzung in der Schweiz». Die zentrale Erkenntnis ist wie so oft: Es gibt noch viel zu tun; auf fast alle Regionen kommen neue Aufgaben zur Vorsorge zu. Verknappt der Klimawandel die Wasserressourcen, verschärft der wachsende Nutzungsdruck das Versorgungsproblem. Einiges wirkt hausgemacht, etwa in Tourismusgebieten, deren Wasserbedarf für das Beschneien von Skipisten steigt. Oder überall dort, wo das Siedlungswachstum bestehende Trinkwasserfassungen verdrängt. Das NFP 61 schätzt, dass jede zweite Gemeinde bereits Schutzzonen überbauen liess, ohne die eine Grundwasserpumpstation rechtlich als nicht gesichert gilt. Solche Versäumnisse in der Siedlungsplanung sind aber schweizweit ein Problem (vgl. «Trinkwasser im Dichtestress», S. 27). Die Gefahr droht, dass sich Gemeinden selbst den sicheren Zugang zu den eigenen Wasserressourcen versperren.

Regionale Eingriffe in den Kreislauf

Auch anderswo greift der Mensch über Gebühr in den natürlichen Wasserkreislauf ein. Die Siedlungsentwässerung und die Abwasserreinigung beeinflussen die Hydrologie vieler Regionen. Im Basel­biet hat man untersucht, wie viel Wasser zur Speisung der natürlichen Reserve fehlt, weil es nicht mehr an Ort und Stelle versickern kann. Und eine regio­nale ARA stört das natürliche Einspeisen von Wasser in den Untergrund stärker als ein dezentrales Abwassersystem. Technische Massnahmen wie künstliche Filter für leicht verschmutztes Meteorwasser können durchaus Abhilfe schaffen. Doch damit sich Gemeinden überhaupt einen Überblick über die hydrologischen Verhältnisse ihrer Umgebung verschaffen können, braucht es übergeordnete Planungsinstrumente. Ein solches ist die Generelle Wasserversorgungsplanung (GWP); nur ist sie nicht überall bekannt. Einzelne Kantone vernachlässigen zudem ihre Aufsichtspflicht.[1] Auf der Strecke bleibt eine angemessene Vorsorge und die Gewähr einer jederzeit funktionierenden, flächendeckenden Versorgungssicherheit.

Nur: Fast 3000 Organisationen kümmern sich um die Trinkwasserversorgung der Haushalte und Gewerbebetriebe in der Schweiz, mehr als es Gemeinden gibt. Diese Verzettelung ist unproblematisch, solange jede auf Nachfrageschwankungen unmittelbar reagieren kann. Doch ein einziger Anschluss an das Grundwasser bedeutet in regenarmen Wochen: Es fehlen Ausweichvarianten. Gewässerexperten raten deshalb zur übergeordneten Vernetzung, die ganze Regionen mit neuen unterirdischen Trinkwasserleitungen verbinden soll. Grenzüberschreitende Wasseranschlüsse helfen, lokale Trockenperioden zu überbrücken. Denn die Wasserverknappung wird dort zum Verteilproblem, wo die Versorgungsinfrastruktur dezentral, isoliert und ohne Redundanz organisiert ist. Auf eine Verbesserung dieses strukturellen Handicaps zielt das Bundesprojekt «Sichere Wasserversorgung 2025» ab. Für das nachhaltige Wasserressourcenmanagement sind sowohl die Ressourcen als auch die Infrastruktur zu überprüfen.

Der Blick in die Landschaft beweist, dass es einen regen Zuwachs an Grundwasserpumpwerken für regionale Bedürfnisse gibt und einzelne Neubauten auch architektonischen Ansprüchen genügen können. Von den Vorteilen eines grossräumigen Verteilnetzes profitiert etwa die Agglomeration Zürich: Die angeschlossenen Gemeinden greifen bei zeitweise versiegenden Quellen gern auf das reichliche Wasserangebot der Stadt Zürich zurück. Denn deren Versorgungskapazität wird wesentlich vom Zürichsee bestimmt.

Seewasser als teure Alternative

Nicht nur die grösste Stadt der Schweiz, auch Luzern, Genf oder Neuchâtel decken weit über die Hälfte ihres Eigenbedarfs mit Wasser der angrenzenden Seen. Vor 80 Jahren entstanden die ersten Seewasserwerke zur Trinkwasseraufbereitung. Inzwischen ist der Anteil schweizweit auf 19 % gestiegen. Auch hier sind weitere Vorhaben in Planung, um saubere Oberflächengewässer als fast unerschöpfliche Trinkwasserreservoire zu erschliessen. Dennoch ist die hygienische Aufbereitung im Vergleich zu Grund- und Quellwasser bedeutend aufwendiger. Zudem hat der Hitzesommer 2003 auch die Seewasserversorger überrascht: Nicht die Menge war das Problem, sondern der Sauerstoffgehalt des ungewöhnlich warmen Wassers sank. Aus welcher Tiefe es abgepumpt wird, bestimmt daher die Qualität der Ressource wesentlich mit.

Die Schweiz bleibt trotz Klimawandel und Gletscherschmelze ein Wasserschloss; der nasse Rohstoff wird kaum versiegen. Trotzdem werden sich saisonale und regionale Wasserbilanzen stark verändern. Damit haben sich die Kantone und Gemeinden zwingend auseinanderzusetzen. Wenn der Regen über Tage, Wochen oder Monate ausbleiben sollte, darf dies mittelfristig keinen Trinkwasserverantwortlichen mehr ins Schwitzen bringen.


Quellen:
[01] Regierungsrat Kanton Luzern, Antwort auf parlamentarische Vorstösse Februar 2019.
[02] Nationales Forschungsprogramm 61 «Nachhaltige Wassernutzung in der Schweiz», SNF 2014 (www.nfp61.ch).
[03] Bundesamt für Umwelt: Wasserressourcenmanagement mit Fallstudien (www.bafu.admin.ch).

TEC21, Fr., 2019.04.26

26. April 2019 Paul Knüsel

«Die Komplexität nimmt zu»

Grundwasser wird als Trink- und Brauchwasser und als Energiequelle zum Heizen oder Kühlen genutzt. In dicht besiedelten Gebieten ist die Bewirtschaftung deshalb anspruchsvoll. Welche ­Heraus­forderungen sind künftig zu bewältigen? Ein Gespräch mit ­Exponenten aus Verwaltung, Industrie, Planung und Forschung.

TEC21: Das Projekt «Sichere Wasserversorgung 2025» des Bundesamts für Umwelt zeigt, dass in der Schweiz trotz Klimawandel in Zukunft genügend Wasser vorhanden sein wird, um den Bedarf an Trink-, Brauch- und Lösch­wasser zu decken. Voraussetzungen sind eine nachhaltige Nutzung und umsichtige Verteilung des Wassers sowie die Erhöhung der Versorgungssicherheit – ein kluges Management also. Doch die Schweiz ist kleinräumig organisiert; es gibt über 2500 Trinkwasserversorgungen, vielerorts fehlen redundante Systeme ebenso wie geomorphologische und hydrologische Inventare. Was gibt es da zu tun?

Max Maurer: Die Nachteile der kleinräumigen Organisation sind offensichtlich. Die föderalistische Schweiz delegiert viele Aufgaben nach unten, was bei übergeordneten Themen schwierig ist. Die Planung von Schutzzonen beispielsweise tangiert Gemeindekompetenzen. Und die Fragmentierung führt oft dazu, dass Akteure, die primär strategische Entscheide fällen sollten, stattdessen operative Aufgaben im Infrastrukturmanagement übernehmen. Gleichzeitig fehlt ihnen die Kompetenz dafür. Trotzdem hat die Kleinräumigkeit auch Vorteile: Sie bietet eine starke Identifikation, und die Wasserversorgung ist dank Freiwilligenarbeit und lokal angepassten Lösungen teilweise sehr günstig.

Felix Finardi: Ein weiterer Vorteil ist, dass Pannen überschaubar bleiben. Wenn es irgendwo hapert, kann man die wenigen Betroffenen notfalls via Tankwagen versorgen. Und wenn Betriebe die ­Planung und den Unterhalt ihrer Infrastrukturen vernachlässigen, wenn ein Brunnen versandet oder eine Leitung bricht, dann lässt sich der Schaden be­heben. Das ist teuer, aber möglich.

Wo liegen dann die Herausforderungen?

Finardi: Das wirkliche Problem sind die Schutzzonen. Wenn Gemeinden ihre Schutzzonen aufheben, die Böden versiegelt werden und das Wasser nicht mehr versickert, ist die Trinkwasserfassung gefährdet. Land ist eine knappe Ressource. Es braucht dringend Gesetze, die den Gemeinden «top down» verordnen, die für ihre Trinkwasserversorgung nötigen Gebiete zu schützen. Grundwasserschutzzonen, die überbaut wurden, sind für immer verloren.

Maurer: Die gesetzlichen Grundlagen sind da. Der Schutz des Grundwassers geniesst in der Schweiz einen hohen Stellenwert. Das Problem ist die Umsetzung: Hier beginnt eine Grauzone, in der es zu Güterabwägungen kommt. Um die Ressource Grundwasser zu schützen, kann man praktisch jede Massnahme juristisch begründen, aber bei radikalen Eingriffen wie Enteignungen ist man zurückhaltend.

Mit wachsender Bevölkerung steigt auch der Nutzungsdruck: Es gibt Zielkonflikte zwischen Siedlungspolitik, Naturschutz, Landwirtschaft und Industrie. Und verschärft nicht auch der Klimawandel die Verknappung der Ressource Wasser?

Matthias Nabholz: Trotz Klimawandel ist nicht das Wasser, sondern das Land in der Schweiz die knappe Ressource. Im Kanton Basel-Stadt ist das Problem besonders akut: Auf nur gerade 37 km² gilt es, Trinkwasser für die Menschen und Brauchwasser für die Industrie bereitzustellen. Der steigende Nutzungsdruck erfordert weiter reichende Kon­zepte, zum Beispiel für die Nutzung des Grundwassers. Bisher hat man recht unbekümmert unbefristete Rechte vergeben; nun erstellt der Kanton ein Nutzungskonzept. Das Grundwasser gehört gewissermassen allen, aber die Rechte sind nicht abschliessend geregelt. Das führt zu Nutzungskonflikten.

Nach welchen Kriterien lösen Sie solche Konflikte?

Nabholz: Ein Patentrezept haben wir nicht. Wir gehen interdisziplinär vor und eruieren, wie sich die Bedürfnisse entwickeln. Bei der Vergabe von Nutzungsrechten braucht es langfristige Szenarien und genug Flexibilität, um auf zukünftige Bedürfnisse zu reagieren. Trotzdem müssen Nutzungsrechte eine gewisse Laufzeit haben, damit der Investitionsschutz gewährleistet ist.

Michel Walker: Die interdisziplinäre Betrachtung ist zweifellos richtig. Doch die grosse Anzahl von Beteiligten macht Planern zu schaffen. Nur schon im Amt für Umwelt gibt es Spezialisten für Gewässer, Grundwasserschutz oder Abwasser, die unterschiedliche Ansprüche haben. Klare Vorgaben für die Planung gibt es nicht; wir machen einen ersten Entwurf, den die Behörden im Rahmen einer Güterabwägung diskutieren. Daraus ergibt sich der Handlungsspielraum, in dem wir bei der Überarbeitung des Projekts agieren können. Diesen Prozess zu planen ist nicht möglich.

Finardi: Schwierig ist es auch, wenn sich die Randbedingungen unerwartet ändern. Ein Beispiel: Vor 14 Jahren hat die Novartis entschieden, ein Werks­areal mit dem Wasserverbrauch einer Kleinstadt in einen Campus für Entwicklung und Forschung zu verwandeln. Man hat 2 Mrd. Franken in die Umnutzung investiert und für die Neubauten ein Wassernutzungskonzept entwickelt. Trinkwasser wurde möglichst nur im Hygiene- und Pharmabereich eingesetzt; damit wurde der Verbrauch halbiert. Die technischen Kreisläufe sollten mit Fabrikwasser betrieben werden, das dem Rhein entnommen wurde und etwa bei der direkten Kühlung und in Hybrid­türmen bei der indirekten Kühlung zum Einsatz kam. Das ermöglichte enorme Energieeinsparungen, weil Laborbauten und industriell genutzte Gebäude während der warmen Jahreszeit gekühlt werden. Das Fabrikwasser wurde durch Energieentzug auch zum Heizen mit Wärmepumpen eingesetzt; wenn die Temperatur des Rheins für den Betrieb der Wärmepumpen zu tief war, durften wir in Absprache mit dem Kanton auf Trinkwasser zurückgreifen. Fünf Jahre wurden die Neubauten nach diesem Konzept erstellt. Dann kam ein Hitzesommer, der Rhein war thermisch bis zum Grenzwert belastet, und man durfte von Gesetzes wegen kein Wasser mehr entnehmen. Die folgenden Bauten mussten anders konzipiert werden. Innerhalb eines Projekts haben sich die Randbedingungen komplett geändert.

Das Gewässerschutzgesetz ist nicht neu, es gilt seit 1991. Was hat sich tatsächlich geändert?

Nabholz: In den letzten Jahrzehnten ist die Wassertemperatur im Rhein nicht nur wegen des Klimawandels, sondern vor allem wegen der Nutzung gestiegen: Jedes Atomkraftwerk erwärmt ihn um rund 1 Grad. Wenn die Temperatur eines Gewässers 25 Grad Celsius übersteigt, darf kein Nutzwasser mehr entnommen werden. Das trifft zwar nur selten auf den Rhein zu, in heissen Sommern einige Stunden im Jahr, aber wenn die Industrie deswegen die Produktion abstellen muss, sind die Folgen natürlich massiv. Wir haben uns an den Bund gewandt, damit eine Änderung eingeführt wird und die kantonalen Behörden kurzfristig Ausnahmebewilligungen erteilen können. Die 25-Grad-Grenze ist für die meis­ten Fliessgewässer sinnvoll, insbesondere für kleine. Aber ein Fluss wie der Rhein führt auch an Hitz­etagen genug Wasser. Kein Gesetz kann alle Fälle abdecken, deshalb braucht es für die Umsetzung Ermessensspielraum.

Finardi: Es muss Opportunitäten geben, und es muss möglich sein, über die nachhaltige Nutzung von Ressourcen zu verhandeln. Gemäss Energie­strategie 2050 wollen wir weg von fossilen Energiequellen, und im Wasser steckt Energie, die man zum Heizen oder Kühlen nutzen kann. Ich habe das Campus-Beispiel nicht als Vorwurf erwähnt, die Kooperation mit den Behörden ist gut. Nicht unser Wille zur Zusammenarbeit oder die Kompetenz der Beteiligten setzt Grenzen, sondern dass heute mehr Anforderungen an die Nutzung des Wassers gestellt werden als vor einigen Jahrzehnten. Deshalb ist der Schutz der Ressourcen wichtiger denn je.

Ausnahmebewilligungen mögen schwierige Situationen überbrücken, langfristig braucht es aber Systeme, die auf neue Nutzungsansprüche und die Folgen des Klimawandels reagieren können. Was ist zu tun?

Walker: Veränderte gesetzliche Grundlagen, der Klimawandel und der Nutzungsdruck sind Faktoren, die unsere Arbeit komplexer machen; aber letztlich sind es auch nur Randbedingungen, die wir respektieren müssen. Veränderungen können auch neue Synergien ermöglichen. Das Grundwasser zum Beispiel wird durch die Bauten, die in den Untergrund ragen, und durch die Nutzung als Kühlwasser erwärmt. Stellenweise ist es in Basel-Stadt 16 statt 12 °C warm. Man könnte die Differenz nutzen, um Energie zu gewinnen, und das Wasser dabei wieder auf die natürliche Temperatur abkühlen. Was es dazu braucht, ist eine Diversifizierung der Nutzungen und eine intelligente Koordination – und die bereits erwähnte interdisziplinäre Betrachtung, was die Komplexität erhöht, die Arbeit aber auch interessant macht.

Werden die Aufgaben komplexer, verändert sich auch das Berufsbild der Ingenieurinnen und Ingenieure: Sie sollen nicht nur klar umrissene technische Probleme lösen, sondern in interdisziplinären Prozessen mit einer Vielzahl von Akteuren ganzheitliche Ansätze entwickeln. Werden sie dazu ausgebildet?

Maurer: Ja. Darauf legen wir Wert, in der Ausbildung und in der Forschung. Früher haben Ingenieure ihre Projekte aufgrund von Prognosen gerechnet und gehofft, das Ergebnis würde 30 Jahre funktionieren. Das war schon damals falsch, aber man konnte es ignorieren. Heute ist offensichtlich, dass Flexibilität unabdingbar ist. Es braucht Fachleute, die nicht nur Werte aus einer Tabelle herauslesen und Richtlinien anwenden, sondern in einem kom­plexen Umfeld mit vielen Faktoren gute Ergebnisse erzielen können. Sie müssen über den eigenen Tellerrand hinausschauen, die Systemgrenze erweitern, Prozesse verstehen und konzeptuell denken. Sie müssen lernen, mit Unsicherheiten umzugehen, mit Sze­narien zu arbeiten und zu kommunizieren. Mit diesem Rüstzeug kann sie keine zukünftige Aufgabe ab­schrecken. Das ist nicht neu, aber wichtiger denn je.

Walker: Ich fühle mich als junger Umweltingenieur bestens gerüstet. Problematisch ist aber, dass viele Entscheidungsträger es nicht sind: Ge­ra­de in kleinen Gemeinden haben die beteiligten Akteure nicht immer die nötige Kompetenz, um alle Faktoren zu überblicken und eine qualifizierte Güterabwägung zu machen. Die Gemeinde müsste je­man­den anstellen oder mandatieren, um das Dossier aufzubereiten, doch das würde das Budget sprengen.

Womit wir wieder bei der Kleinräumigkeit der Schweiz wären.

Walker: Als Planer habe ich oft die Aufgabe, eine Situation in aller Komplexität darzustellen, aber doch so, dass das Gegenüber versteht, worauf es ankommt. Das ist ziemlich schwierig …

Maurer: … und äusserst wichtig! Leider ist in der Schweiz noch zu wenig anerkannt, dass das Denken eine Leistung ist, die entlohnt werden muss. Ingenieurleistungen nur am Umsatzvolumen zu messen, wie es die heutige Honorarpraxis tut, setzt falsche Anreize. Die Aufgaben sind komplexer geworden; wenn man die Ingenieure nicht für die verbauten Kubikmeter Beton belohnen würde, sondern für flexible und nachhaltige Lösungen, könnte man viel Geld sparen. Das Denken ist wertvoll. Es sollte uns auch etwas wert sein.

Walker: Die Randbedingungen sind so komplex, dass man grössere Projekte nicht im normalen Rahmen eines Auftrags abwickeln kann. Die Beteiligung des Kantons ist unerlässlich, etwa um Daten zu erheben und Projekte zu koordinieren. Ein Wasser­management auf regionaler Stufe hilft, Redundanzen zu schaffen und die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Die Kantone sollten auch die Gemeinden stärker mit Know-how unterstützen, wie es zum Beispiel Solothurn tut, damit nicht jeder eigene Arbeitswerkzeuge entwickeln muss und die Datenmodelle kompatibel sind. Die Aufgaben sind auch ohne technische Hindernisse anspruchsvoll genug.


[Der Text wurde erstmals im Geschäftsbericht 2018 der Rapp Gruppe veröffentlicht.]

TEC21, Fr., 2019.04.26

26. April 2019 Judit Solt

Trinkwasser im Dichtestress

Der Bund schlägt Alarm: Hunderte Grundwasserbrunnen sind von der Stilllegung bedroht, weil sie ungenügend geschützt sind. Die Raumplanung hat zu wenig aufgepasst. Der Kanton Solothurn will nun Gegensteuer geben.

Oensingen ist beileibe nicht der Motor der Schweiz, aber ein Zahnrad, das läuft und läuft. Im fleissigen Dorf, eingeklemmt zwischen Autobahn A2 und Jurahügeln, verkehren fast so viele Arbeiter wie ständige Einwohner. Auch deshalb übertrifft die 6000-Seelen-Gemeinde das nationale Bruttoinlandprodukt um 35 %. Für die «Hauptstadtregion Schweiz», die das westliche Mittelland umfasst, ist Oensingen ein «Top-Entwicklungsstandort». Dumm nur, dass man sich dort eben selbst das Wasser abzugraben scheint. Nicht, was die wirtschaftliche Leistung betrifft, sondern im wahrsten Sinn des Worts: Das Grundwasserpumpwerk Moos, das sämtliches Trink- und Brauchwasser für die Haus­halte und Firmen liefern muss, wird vor allem von ­Letzteren bedrohlich eingekreist. Es steht mitten in einem fast 1 km2 grossen Gewerbegebiet, was für Gewässerexperten eine Art Tabubruch ist. Vor 50 Jahren wurde die Pumpstation auf Ackerland weit ausserhalb des Siedlungsgebiets gebaut. Jetzt ist es eingekesselt: Die Anlage, die sauberes Grundwasser aus 30 m Tiefe an die Erdoberfläche holt, ist sogar akut bedroht. Das kantonale Amt für Umwelt verlangt von der Gemeinde inzwischen, die Wasserbeschaffung so schnell wie ­möglich besser abzusichern und nach Alternativen zu suchen. Wir befragten den kantonalen Experten.

TEC21: Herr Hug, warum darf das Pumpwerk Moos nicht weiterhin Grundwasser fördern?

Rainer Hug: Wasser liefert der Brunnen effektiv genug, und auch die Qualität ist bislang nicht zu beanstanden. Doch das Problem ist: Das Einzugsgebiet der Fassung ist zu wenig gut geschützt.

Warum nicht?

Die Fassung liegt mitten in einer Industriezone, und rundherum ist praktisch alles überbaut. Damit steigt das Risiko, dass das Grundwasser unmittelbar verunreinigt werden kann. Gefährlich sind etwa Heizöltanks oder Betriebs­tank­stellen; bei Lecks oder anderen Zwischenfällen kann Öl oder Benzin in den Untergrund versickern. Noch problematischer sind die benachbarten Abwasser­leitungen: Falls diese undicht werden, können sie das Grundwasser lange Zeit unbemerkt verschmutzen.

Werden gesetzliche Regeln nicht beachtet?

Die Gewässerschutzverordnung schreibt für jede Pumpstation einen Umkreis von mindestens 100 m vor, der frei von Bauten und Anlagen zu halten ist. Dieser Sicherheitsabstand wird mit den Grundwasserschutzzonen 1 und 2 festgelegt. Er muss noch grösser sein, wenn das Grundwasser nicht mindestens zehn Tage braucht, um vom Rand der Freihaltezone bis zur Pumpfassung zu fliessen. In dieser Zeit soll der Boden eventuelle Verunreinigungen filtern oder bakteriell abbauen können.

Was kann die Gemeinde jetzt tun?

Zum einen soll die Gemeinde künftig das Wasser in der Fassung und im nahen Einzugsgebiet kontinuierlich auf potenzielle Schadstoffe über­wachen. Zum anderen muss sie sich auf ein zweites Standbein für die Wasserbeschaffung abstützen können, etwa indem sie sich an einer bestehenden, gut geschützten Grundwasserfassung anschliesst. In der Nachbarschaft stehen beispielsweise leis­tungs­­fähige und nahezu konfliktfreie Fassungen mit Reserven für einen Anschluss bereit.

Muss die eigene Fassung nicht aufgehoben werden?

Oensingen hat eine Frist von zehn Jahren erhalten. Ab dann darf das Pumpwerk Moos nur noch reduziert benutzt werden. Und ab dann soll das Werk bei einer Verunreinigung vom Netz genommen werden können, ohne die Versorgung der Gemeinde einschränken zu müssen. Trotzdem muss die ­Ge­meinde die Grundwasserschutzzone nun so weit möglich an die gesetzlichen Vorgaben anpassen. Kann die 100-m-Regel nicht eingehalten werden, braucht es andere, verschärfte Schutzmassnahmen.

Warum muss das nicht schneller gehen?

Rechtlich ist die Situation sogar so: Die Konzession für die Grundwassernutzung läuft erst 2040 ab. Den Schutzstandard jetzt schon zu aktua­lisieren war das Resultat von Verhandlungen zwischen dem Kanton und der Gemeinde. Da nun die letzten Flächen in der Schutzzone S3 überbaut ­wer­den sollen, musste der Kanton intervenieren. Die hydrogeologischen Bedingungen an diesem Standort entschärfen das Problem aber ein wenig: Der Grundwasserträger befindet sich im Vergleich zu anderen Fassungen weit unten. Dank der mächtigen Schutzschicht ist das Grundwasser von Oensingen besser geschützt, was uns Zeit für die Umsetzung gibt.

Ist Oensingen ein Spezialfall?

Leider nein, sondern beispielhaft für ein halbes Dutzend Trinkwasserfassungen im Kanton Solothurn. Die Ausdehnung des Siedlungsraums und der Bau von Verkehrsinfrastruktur wie Strassen und Tunnels setzen den Schutz der bestehenden Versorgung unter grossen Druck. Dass eine Grundwasserschutzzone S2 überbaut ist oder sich mit rechtmässigen Bauzonen überlagert, trifft jedoch für viele Gemeinden im gesamten Schweizer Mittelland zu.

Jede fünfte Anlage ist in Gefahr

Mindestens so langsam, wie Wasser durch den Boden sickert, so viel Zeit braucht es, bis Warnungen vor steigendem Nutzungsdruck an die Öffentlichkeit dringen. Vor 20 Jah­ren trat die nationale Gewässerschutzverordnung in Kraft, die alle Pumpstandorte angemessen schützen und weiträumige Schutzzonen vorschreiben soll. Ende 2018 liess der Vollzugsbericht des Bundesamts für Umwelt (Bafu) aufhorchen. Die befragten ­kantonalen Fachstellen beklagten sich über «schwerwiegende Konflikte» und «unzulängliche Zonenausscheidungen» in den Gemeinden.[1] Die Angaben liefern weitere Details zu diesem Versäumnis: Mehr als ein Drittel der Trinkwasserfassungen hält die rechtlichen Vor­gaben nicht ein. Und mindestens jede fünfte Anlage braucht zusätzliche Schutzvorkehrungen, um von einer sicheren Versorgung sprechen zu dürfen.

Allein der Kanton Bern musste in den vergangenen Jahren über 100 Fassungsgebiete aufheben und 350 Einzelfassungen stilllegen. Der Konflikt mit der Raumplanung hat gemäss dem Fachverband SVGW dazu geführt, dass fast jeder dritte Wasserversorger in den letzten 20 Jahren ein Fassungsgebiet schliessen musste. Doch die Kantone sind weiterhin ratlos, wie sie von den Gemeinden rechtskonformen Zustand einfordern können. In der Umfrage teilen sie dem Bafu zudem mit: «In dicht besiedelten Regionen ist es äusserst schwierig, geeignete Ersatzstandorte zu finden.»

Herr Hug, wie sieht die Situation in Solothurn aus: Wie viele Reservestandorte stehen zur Verfügung?

Auch bei uns ist der Raum knapp. Der Kanton Solothurn verfügt über drei grosse Grundwasservorkommen, die zu den grössten im Mittelland gehören. Trotz Wasserreichtum wird es zunehmend schwierig, freie Räume für die Trinkwasserproduktion zu finden. Zwischen Olten und Aarau setzt der Kanton nun mit 20 Gemeinden einen regionalen Wasserversorgungsplan um. Dort werden über 60 000 Menschen aus zehn Grundwasserfassungen versorgt. Vier davon müssen stillgelegt werden. Wir konnten zwei Ersatzstandorte bestimmen. Auch in diesem Raum verunmöglichen bereits überbaute Flächen oder ein im Bau befindlicher Eisenbahntunnel weitere Optionen.

Kann dies Versorgungsengpässe verursachen?

Wir haben kein quantitatives Problem; nicht einmal im trockenen Sommer 2018. In vielen Fassungen werden jeweils nur 30 bis 40 % des Dargebots effektiv ausgeschöpft. Das Problem ist, zusätzliche freie Nutzungsräume zu finden und nachhaltig zu schützen. Die jetzige Infrastruktur hat genug Reserve; Anschlüsse für Nachbargemeinden sind an vielen Orten möglich. Wir empfehlen deshalb, eher neue Leitungen zu bauen als neue Fassungen. Aber wichtig ist, dass jede Gemeinde ein zweites Standbein in der Trinkwasserversorgung aufbauen kann.

Was heisst das?

Dazu werden zwei Anschlüsse benötigt, an jeweils hydrogeologisch möglichst voneinander getrennte Grundwasservorkommen. Eine sichere Versorgungsinfrastruktur besteht daher aus zwei unabhängigen Pumpwerken und Einspeiseorten. Diese Versicherungs- und Vorsorgelösung lässt sich oft mit einer Regionalisierung verbinden. Doch häufig bremsen politische Befindlichkeiten eine Vernetzung. Die Wasserversorgung ist historisch kleinräumig gewachsen. Eine übergeordnete Planung kann schnell Widerstände provozieren. Die Gründe, warum man sich vernetzen soll, verstehen nicht alle Gemeinden. Erwidert wird: Wir haben sauberes Wasser und bezahlen wenig dafür. Warum soll man daran etwas ändern?

Hat der Kanton keine hoheitlichen Befugnisse?

Konzessionserneuerungen sind wichtige Hebel, um den Ersatz von schlecht geschützte Fas­sun­gen voranzutreiben oder die Vernetzung zu ver­bessern. Der Kanton kann selbst zwar regionale Versorgungsplanungen durchführen. Diese sind aber nur Leitplanken für neue Grundwasserfassungen und Verbundsleitungen. Die Umsetzung ist Sache der Gemeinden oder anderer öffentlicher Versorger.

Und was kostet das? Die Antwort geben wir hier selbst. Tatsächlich wird die öffentliche Wasserversorgung verursachergerecht finanziert. Aufgrund von Schätzungen geht man davon aus, dass derzeit rund 100 Franken pro Einwohner für die Erneuerung und den Ausbau der Infrastruktur jährlich investiert werden; ebenso viel wie für Unterhalt und Betrieb. Man rechnet auch mit einer ­Verdoppelung des Mittelbedarfs: Mittelfristig ist über eine Milliarde Franken pro Jahr für die Netz­erweiterungen bereitzustellen. Oensingen rechnet selbst mit einem höheren Aufwand und hat die kommunalen Wasserzinsen bereits 2018 erhöht.


Anmerkung:
[01] Schutz der Grundwasserfassungen in der Schweiz – Stand des Vollzugs, Bafu 2018.

TEC21, Fr., 2019.04.26

26. April 2019 Paul Knüsel

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