Editorial

Anfang der 1980er tauchte, für weite Teile der Bevölkerung unvermittelt, ein Schreckgespenst auf: das Waldsterben. «Saurer Regen», das Schadbild «Storchennest» und Abbildungen devastierter Hänge dominierten die Schlagzeilen über Jahre hinweg. Über Nacht war unser Waldbestand in Gefahr und die Wälder in naher Zukunft grossflächig vom Absterben bedroht.

«In Westdeutschlands Wäldern, warnen Forstexperten, ‹tickt eine Zeitbombe›: Ein großflächiges Tannen- und Fichtensterben ist, wie Fachleute befürchten, erstes Vorzeichen einer weltweiten ‹Umweltkatastrophe von unvorstellbarem Ausmaß›. Denn der Auslöser des stillen Wald-Untergangs, saure Niederschläge aus den Schloten von Kraftwerken und Raffinerien, bedroht nicht nur Flora und Fauna, sondern auch die menschliche Gesundheit», schrieb der Spiegel Ende 1981. In der Folge wurden politische Massnahmen ergriffen, die bis heute in Kraft sind und eine deutliche Verringerung der Emissionen bewirkten.

Vor allem in der Nordschweiz, in Westdeutschland und Österreich hatte die Debatte erhebliche politische, industriepolitische und gesellschaftliche Auswirkungen und gilt als einer der Gründe für den Aufstieg der grünen Parteien. Das Waldsterben war auch nach innen äusserst wirksam: Wir sitzen alle in einem Boot und können uns nur gemeinsam helfen. Quer durch Gesellschaft und Parteienlandschaft gab es einen seltenen Konsens über Dringlichkeit und Relevanz des Themas.
Die Wirkkraft war beachtlich, denn es gelang, andere Themen wie eine bis dato unbekannt hohe Arbeitslosigkeit auf den Spitzenpositionen öffentlicher Aufmerksamkeit abzulösen.

Nehm­en wir den heissen Sommer 2018 zum Anlass, erneut ein Umweltthema zuvorderst in unsere Agenden zu setzen: den Klimaschutz. Mit den Schlagworten Stadtklima, urbane Hitze­inseln, Frischluft, Dach- und Fassadenbegrünung, Biodi­versität. In den Mittelpunkt stellen wir die Gesundheit des Menschen – das geht uns schliesslich erneut alle an –, als Expert:innen in Diskussion und Umsetzung empfehlen wir LandschaftsarchitektInnen und Stadtklimatolog:innen. Bei der Gründung einer neuen Partei, welche die Ziele umweltpolitisch umsetzt, stehen die Verbände BSLA, BSA und SIA beratend zur Seite. Oder stellen zusammen die neue Partei. Es wäre zum Wohle aller. Und es würde anderen, derzeit dominierenden und polemisch aufgeheizten Diskussionen den Wind aus den Segeln nehmen. Manchmal ist es gar nicht schlecht, wenn sich Geschichte wiederholt. Und ein kühler Kopf hat auch noch nicht geschadet.

Hinweis: Wir haben eine neue Rubrik! Im heraustrennbaren «Stadtportrait» empfehlen LandschaftsarchitektInnen und Regionalgruppen des BSLA die landschaftsarchitektonischen Höhepunkte für einen Besuch in ihrer Stadt.

Sabine Wolf

Inhalt

Wilhelm Kuttler: Städte für den Klimawandel fit machen
Stephan Pauleit, Teresa Zölch, Julia Brasche: Grüne Infrastruktur für resiliente Städte
Andrea Cejka & Sabine Wolf: Stadtklima? Wenig Alltag, viele Fragen
Cordula Weber: Hitze in Städten
Christian Hartmann: «Klimaerlebnis Würzburg»
Gabi Lerch: Der grösste urbane Garten des Planeten?
Saskia Buchholz: Online-Tool für die Stadtplanung
Anita Gasser: Smog Free Tower
Sabine Wolf: Von Rohdaten zum Klimakonzept
Jürgen Baumüller: Klimawandelanpassung im Deutschen Planungsrecht
Claire Alliod: Regenwasser zur Kühlung der Luft
Pierre Wolf: Von der Brachfläche zum Klimagarten
Reto Camponovo: Der «Klimamesser» für mehr Wissen
Catherine Mosbach: Gateway Park

Regenwasser zur Kühlung der Luft

Klimaverbesserung auf dem Campus Artem in Nancy (F) durch alternatives Regenwassermanagement. Ein Überblick.

Artem ist ein Campus im Herzen der Grossstadt ­Nancy. Das Bildungs- und Forschungsprojekt will fachbereichsübergreifende Synergien schaffen, ganz im Geiste der legendären École de Nancy. ARTEM steht für ARt – TEchnologie – Management und vereint drei Hochschulen unter einem Dach: die Staatliche Hochschule für Kunst und Design ENSAD, die Inge­nieurschule ENSMN und das Managementinstitut ICN der Universität Nancy sowie die Labors des Forschungsinstituts Jean Lamour IJL. Die geplanten Gebäude mit einer Fläche von rund 70 000 Quadratmetern auf einem fast zehn Hektaren grossen Gelände sollen etwa 5000 Personen fassen.

Die Anordnung von Gebäuden und Gärten spiegelt den Gedanken von Öffnung und Mischung wider, der dem pädagogischen Konzept zugrunde liegt. Eine grosse gläserne Passage, die Galerie, verbindet die Hochschulgebäude und setzt sie als strukturierendes Element zueinander in Beziehung. So entsteht ein grosser, halboffener Gemeinschaftsraum, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Ein Luft-Erdwärme-­Tauscher sorgt für die Temperierung der Galerie
und damit auch der Gebäude, die wiederum über die Ga­lerie mit vorgewärmter oder vorgekühlter Luft ­versorgt werden. Garteninseln unterstützen diese wärmeregulierende Funktion.

Offenes System

Die geplante Aussengestaltung fügt sich ein in das Netz der bestehenden öffentlichen und privaten Grünflächen des Quartiers. Es sollen unterschiedliche Milieus geschaffen werden – bewaldete Flächen, Senken, Wiesen, Gärten und begrünte Dächer –, welche sich positiv auf das Klima und die Diversität von Flora und Fauna auswirken. Bepflanzung und Wasser werden genutzt, um den Komfort der Nutzer zu verbessern. Die Regenwasserretention ist komplett offen vorgesehen und bietet die Gelegenheit, die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung des Projekts in Szene zu setzen und zu verwirklichen: Biodiversität im städtischen Raum, Einbeziehung der Natur in die Gebäude, Schonung der (Wasser-)­Ressourcen, Energieeinsparung (Wärme­regulierung durch Wasser), Teilhabe und Wohlbefinden der Nutzer:innen.

Für die Bepflanzung wurden, ausser in der Galerie, standortheimische Sorten ausgewählt, die auf die verschiedenen Ökosysteme der Grossstadt verweisen: die Ahorne und Eichen der umgebenden Hügel, die Pinien der Pflanzungen in den ehemaligen Steinbrüchen am Rand des Plateaus, die Feuchtgebietspflanzen der Sumpfgebiete im Meurthe-Tal.

Lösung für aussergewöhnliche Regenfälle

Für das Regenwassermanagement auf dem Campus ist ein überwiegend offenes System vorgesehen, wie es für die Dach- und die Niederschlagsentwässerung von Verkehrsflächen im dichten städtischen Raum üblich ist. Dieses System erfordert die getrennte Retention von normalen und aussergewöhnlichen Wassermengen, damit die von den NutzerInnen beanspruchten Flächen nicht zu häufig feucht sind. Das gesamte «normale» Regen­wasser wird in Regen­wassersammlern (begrünte Gräben, Wasserrinnen: aus Stein, gepflastert oder aus Kieseln) aufgefangen. Aussergewöhnliche Wassermengen bei heftigen Gewittern oder starken und wiederholten Regengüssen werden in begrünten Gräben und muldenförmig ausgebildeten überflutbaren Flächen gesammelt. Ausserhalb der Zeiten starker Niederschläge sind diese Sickerflächen trocken und öffentlich nutzbar.

Komponenten des Regenwassersammelsystems

– Gräben entlang der Hauptverkehrsflächen, in denen das Niederschlagswasser von diesen Verkehrsflächen (oder gegebenenfalls der Fussgängerallee) und von allen davor liegenden Steinflächen aufgefangen wird. Sie enthalten Regelorgane und regeln die gesamte vorgeschaltete Retention.
– Grosse Trockenbecken auf dem Freizeitgelände.
– Wasserrinnen in den Innenhöfen für das Wasser von den umgebenden Dächern. Das Dachwasser wird über die Fallrohrauslässe in diese Rinnen geleitet und dann den Versickerungsbecken oder -mulden zugeführt.
– Mit Gras bewachsene Bodenwellen in den bepflanzten Innenhöfen. Sie bilden Mulden, in denen das Wasser je nach Bedarf zurückgehalten wird. Einige sind als Trockenbecken, andere als Feuchtbecken ausgelegt. In den Feuchtbecken gedeiht die ganze Vielfalt der Feuchtgebietsflora und -fauna. Diese Innenhofgestaltung als wellige Graslandschaft bringt Abwechslung in das Erleben der Nutzer.
– Zwei Wasserbecken mit Wasserpflanzen fangen ebenfalls das Regenwasser auf und reichern es mit Sauerstoff an. Am tiefsten Punkt der bepflanzten Innenhöfe gelegen, bilden sie die letzte Etappe des offenen Regenwassersammelsystems vor der Einleitung ins Netz. Dies sind «biologische Becken», die von Pflanzen gereinigt werden. Das Wasser in diesen Becken sorgt im Sommer für Kühle, im Winter für milde Temperaturen und in jeder Jahreszeit für eine grosse biologische Vielfalt.

Die Verbesserung des Stadtklimas spielte in der Konzeption des Campus Artem eine übergeordnete Rolle. Eine Phase der Suche nach den besten Instrumenten zur Bewertung der Qualität der getroffenen Massnahmen ist im Gange. Sie umfasst thermische Messungen des Luft- und Regenwasserverbrauchs für die Bewässerung auf Galerieebene, die Überwachung der Biodiversität in Gärten und Aussenhydrauliksystemen sowie eine Umfrage zur Nutzerzufriedenheit.

anthos, Mo., 2018.09.10

10. September 2018 Claire Alliod

Hitze in Städten

Die voranschreitende Klimaveränderung bewirkt eine zunehmende Hitzebelastung in Städten. Die Schweiz liegt bezüglich der weltweiten Erwärmung gar über dem Durchschnitt, steht in der Vorsorge aber mehrheitlich erst am Anfang. Die klimaangepasste Siedlungsentwicklung stellt eine grosse planerische Herausforderung dar und ist ein wichtiges Aufgabenfeld für unseren Berufsstand.

Das städtische Phänomen der städtischen Hitze­inseln belastet tagsüber die Aufenthalts- und Le­bensqualität. Tropennächte von über 20 Grad Celsius bergen gesundheitliche Risiken für die Bevölkerung. Die Sterblichkeit war in den extrem heissen Sommermonaten der Jahre 2003 und 2015 nachweislich erhöht. Die Schweiz gehört weltweit zu den Re­gionen, in denen die Hitzetage über die letzten Jahrzehnte am meisten zugenommen haben. Die ­Klimaerwärmung wird die Anzahl der Hitzewellen weiter erhöhen: Modellrechnungen von MeteoSchweiz zeigen, dass Hitzewellen wie jene von 2003 und 2015 ab Mitte des Jahrhunderts je nach Region jährlich vorkommen können. Aktuell erarbeitet MeteoSchweiz gemein-sam mit Forschungsinstitu­tionen neue Klimaszenarien «CH2018», die Ende Jahr veröf­fentlicht werden.

Die Betroffenheit nimmt zu – wie reagiert der Bund?

Mit der Klimaerwärmung erhöht sich die Hitze im Siedlungsgebiet. Die bauliche Verdichtung führt zudem meist zu einem Verlust an Strukturen und ­Elementen, welche der Hitze entgegenwirken. Über 82 Prozent der Bevölkerung lebten 2015 bereits in ­Räumen mit städtischem Charakter, Tendenz steigend. Die Betroffenheit durch Hitze im Siedlungsraum wird also aufgrund der Entwicklungen weiter steigen. Der Bundesrat sieht gemäss seiner Strategie «An­passung an den Klimawandel» von 2012 daher die Hitzebelastung als eine der grössten sektorüber­greifenden Aufgaben in Städten und Agglomera­tionen. Massnahmen sind im Aktionsplan für die Pe­riode 2014 bis 2019 beschrieben. Das BAFU lancierte ein Pilotprogramm, um die Umsetzung der Strategie anzustossen. Von 2014 bis 2017 wurden zum Thema der klimaangepassten Stadt- und Siedlungsentwicklung folgende Projekte erarbeitet:

– ACCLIMATASION – eine klimaangepasste Stadtentwicklung für Sitten,
– Urban Green & Climate Bern − die Rolle und Be­wirtschaftung von Bäumen in einer klimaangepassten Stadtentwicklung,
– Effekt von Hitzeperioden auf die Sterblichkeit und mögliche Adaptionsmassnahmen.
Ausgewählte Projekte für die zweite Programmphase des Pilotprogramms von 2018 bis 2022 befinden sich momentan in Konkretisierung.

Mit dem Bericht «Hitze in Städten – Grundlage für eine klimaangepasste Siedlungsentwicklung» stellt das BAFU im Herbst 2018 den verantwortlichen Behörden und Planenden einen unterstützenden Leitfaden zur Verfügung, der in die Thematik einführt und Entscheidungshilfen bietet. Basierend auf Best-Practice-Analysen von ausgewählten Städten im Ausland werden Planungsgrundsätze, städtebauliche Leitsätze und lokale Massnahmen aufgezeigt sowie Erfolgsfaktoren der Hitzevorsorge benannt.

Beispiele aus der Schweiz

Nachfolgende ausgewählte Schweizer Beispiele zeigen den Umgang mit Luft in der klimaangepassten Siedlungsentwicklung auf. Das Lufthygieneamt beider Basel und die Planungsämter Basel-Stadt sowie Basel-Landschaft lösten im Jahr 1998 die Klima­analyse Basel KABA aus. Diese für raumplanerische Zwecke durchgeführte Analyse zeigt Gebiete mit starker Überwärmung und schlechter Durchlüftung auf. Sie diente als Grundlage für Planungsempfehlungen und zur Be­urteilung von Bebauungsplänen. Die Klima­analyse konnte die städtebauliche Entwicklung im Areal Erlenmatt erfolgreich beeinflussen, indem die Gebäudeausrichtung gezielt auf die Frischluftzufuhr aus dem Wiesental in Nord-Süd-Richtung Rücksicht nahm. Derzeit wird für das Kantonsgebiet Basel-Stadt eine Modellierung der mikroklimatischen Verhältnisse in einer 10-Meter-Rasterauflösung durch­geführt. Auf der Grundlage dieser Analyse soll eine Planungshinweiskarte erstellt werden, welche räumlich verortete Handlungsempfehlungen für eine klima­angepasste Siedlungsentwicklung liefert. Sie wird zudem auch die Grundlage für den strategischen «Rahmenplan Stadtklima» bilden, welcher wiederum in den kantonalen Richt- und in den Luftreinhalteplan einfliesst.

Die Stadt Zürich liess im Jahr 2010 eine Klima­analyse KLAZ erstellen. Dabei wurden unter anderem mesoskalige1 und lokale Windsysteme im Hinblick auf die thermische Situation, die Luftqualität und die Durchlüftung analysiert und bewertet. Die Erkenntnisse aus KLAZ sind als Handlungsanweisungen in übergeordnete Instrumente wie die «Räumliche Entwicklungsstrategie RES» oder die regionale Richt­planung eingeflossen. In «Planen und Bauen im Einklang mit dem Stadtklima» regen fünf Grundsätze die planerische Umsetzung an. Bei konkreten Projekten zeigt jedoch die Empfehlung wegen fehlender konkreter Vorgaben und Verbindlichkeit nicht immer die erzielte Wirkung: Die Vorgabe «Errichtung bedeut­samer Strömungshindernisse wie Gebäuderiegel vermeiden» wurde zum Beispiel in der Jurierung des qualitativen Verfahrens zur Überbauung an der Tièchestrasse in Zürich nicht gebührend berücksichtigt. Aktuell er­arbeitet die Verwaltung einen vom ­Parlament in Auftrag gegebenen «Masterplan Stadtklima», welcher sich auf die Grundlage der kantonalen Klimaanalyse abstützt. Er wird einen Leitplan, einen Massnahmenkatalog und eine Umsetzungsstrategie mit Kom­pensationsmassnahmen enthalten.

Der Kanton Zürich stellt seit Sommer 2018 eine mesoskalige Klimaanalyse in der Auflösung von 25 Metern zu Verfügung. Zentrales Ergebnis bilden die Planungshinweiskarten, welche räumlich kon­krete Informationen für eine klimaangepasste Siedlungsentwicklung liefern und Handlungsempfehlungen verorten. Die Gemeinden können auf beispielhafte und sehr präzise Analysen zu Lufttemperatur und Durchlüftung, Tag- und Nachtsituation sowie Bio­klimaindikatoren zugreifen, um ihre Anpassungsmassnahmen zu entwickeln.

Eine planerische Herausforderung

Forscher der ETH Zürich bezeichnen im Bericht «Brennpunkt Klima Schweiz» von 2016 die Hitze­entlastung und -vorsorge als grosse Herausforderung in der klimaangepassten Siedlungsentwicklung. Die Schweiz steht hier im internationalen Vergleich mehrheitlich erst am Anfang. Die Sicherung der grünen und blauen Infrastruktur, die Nutzung von Synergien und die Verankerung von wirkungsvollen Massnahmen bilden daher ein zentrales und gewichtiges Aufgabenfeld für die Fachdisziplin der Landschaftsarchitektur – sowohl in der konzeptionellen Planung, der Sensibilisierung und Beratung als auch in der baulichen Umsetzung von klimaangepassten Projekten im Siedlungsraum.

anthos, Mo., 2018.09.10

10. September 2018 Cordula Weber

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