Editorial

Es entsteht das grösste Bauwerk der Alpen. Nicht nur. Es entsteht das grösste Bauwerk Europas. Nicht nur. Es entsteht die längste unterirdi­sche Eisenbahnverbindung der Welt. Voilà: Es entsteht der Brenner-Basistunnel. Grösser als der Gotthard-Basistunnel dimensioniert, soll er vor allem eines: Fracht schlucken – und somit zukünftig den alpenquerenden ­Güter­verkehr auf der wichtigsten Nord-Süd-Verbin­dung von der Strasse auf die Schiene bringen.

Die Voraussetzungen hierfür bringt das mit 8.3 Milliarden Euro veranschlagte Ungetüm mit: 400 Züge pro Tag sollen ihn durchfahren können. Ein Projekt der Spitzenklasse, das von vielen kaum wahrgenommen wird. Erst über Meldungen zu den Nordzuläufen, die zeitlich im Verzug sind, erfahren manche, dass der Tunnel überhaupt gebaut wird, ja bereits zu einem Drittel gebohrt ist. Die beeindruckenden Leistungen der Tunnelbauer finden eben unter der Erde statt.

«Grossartig» scheint immer ein Begriff von gestern zu sein. Wer in einem Eurocity durch den Gotthard-Basistunnel fährt, bemerkt den derzeit längsten Eisenbahntunnel der Welt nur daran, dass auch nach mehreren Minuten Durchfahrt immer noch Dunkelheit herrscht. Keine Ansage, kein Hinweis zum Bauwerk, nichts.

Aber Reisende haben ohnehin eher das Ziel vor Augen als den Weg dorthin: Schon Goethe drängte es zu den ­blühenden Zitronen, und Oswald von Wolken­stein klagte sinngemäss bereits um 1400 nördlich der Alpen: «Der Wein ist süss wie Schlehentrank, der machet mir die Kehle krank, dass sich verwirrt mein heller Sang. Dick gen Tramin steht mein Gedank.» Vom Weg nach Tramin sprach er nicht – wir schon.

Peter Seitz

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Ausschreibungen | Fussgänger am Fahrwasser

12 PANORAMA
«Die Zeit der Mobilisierung ist vorbei» | Holzbau im Höhenrausch | Neue Bücher

18 ESPAZIUM – AUS UNSEREM VERLAG
competitions.espazium.ch:  Die neue Wettbewerbs­plattform ist online

19 FIRMEN UND PRODUKTE
Wegbereiter

20 WEITERBILDUNG

23 SIA
Die Natur der Urbanität | «Das Ländliche ist nur noch ein Denkbild» | Umrisse einer Bundesstrategie | Die DV will vorderhand keine Anhebung des Mitglie­der­beitrags

28 VERANSTALTUNGEN

THEMA
30 BAUWERK EUROPAS: DER BRENNER-BASISTUNNEL

30 FRACHTSCHLEUSE DER ALPEN
Peter Seitz
Derzeit führen drei Wege über den Brennerpass – für den europäi­schen Nord-Süd-Verkehr sind sie von immenser Bedeutung.

35 VOR DEM VORTRIEB ERST ERKUNDEN
Peter Seitz
Der Brenner-Basistunnel entsteht bis 2027. Um den Alpen­transit zu beschleunigen, wird ein gewaltiger Aufwand betrieben.

AUSKLANG
40 STELLENINSERATE

45 IMPRESSUM

46 UNVORHERGESEHENES

Frachtschleuse der Alpen

2 280 000 Lkw überquerten 2016 den 1371 m hohen ­Brennerpass. Ob italienisches Acqua minerale nach Norden, deutschen ­Sprudel nach Süden oder doch sinnvollere Transporte – der ­Brenner hat schon alles und alle kommen und gehen sehen: Kaiser, Diktatoren, Zöllner, vor allem aber täglich Reisende und Güter.

Der Brenner ist heute kein Postkartenmotiv: Der komplett verbaute Pass, über den schon römische Legionäre marschierten, mittelalterliche Könige nach Rom zogen und als Kaiser zurückkehrten, Säumer ihre Lasten brachten und auf dem Mussolini Hitler die Hand schüttelte, gleicht von oben einem Lindwurm, der nach Süden will. Feuer spuckt er freilich nicht, lediglich Verbrennungsabgase und natürlich eines: Strassen- und Schienenfahrzeuge in beide Richtungen. Dabei suggeriert das Luftbild eine falsche Verteilung. Über die breiten Gleisanlagen am Bahnhof Brenner werden bedeutend weniger Güter umgeschlagen als über das schmale Band der Autobahn.

71 % der über den Pass beförderten Transitgüter, das entspricht 31.2 Mio. t, erreichten 2015 ihr Ziel per Lkw, im Gegensatz zu den 12.7 Mio. t an Waren, die von der bestehende Brennerbahn transportiert wurden. Die Zahlen sind gewaltig. Der Brenner hat nicht nur das höchste Frachtaufkommen aller Alpenpässe, über ihn rollen sogar mehr Güter als über sämtliche alpenquerenden Routen der Schweiz (Gr. St.-Bernhard, Simplon, Gotthard, San Bernadino) oder auch über alle Alpenübergänge von Frankreich nach Italien. In der Schweiz bildet sich der Modal Split, der Anteil der Verkehrsträger am Güterverkehr, jedoch umgekehrt ab: 2016 transportierte hier die Eisenbahn 71 % der Fracht, während der Strassenverkehr nur 29 % einnahm. Werte, die die Bevölkerung der Brennerregion als traumhaft ansehen dürfte.

Seit 1972 die Strecke Innsbruck bis Modena nahezu durchgehend auf der Autobahn befahren werden konnte – ein letztes Teilstück vor Bozen wurde erst 1974 eröffnet –, übernahm am Brenner der Strassenverkehr die Führung in der Güterabwicklung. Abgesehen von kleineren Rückschritten stieg das Transportaufkommen sowohl im Schienen- als auch im Strassenverkehr kontinuierlich an. Das Diagramm der Entwicklung des Güterverkehrs am Brenner liest sich dabei wie ein historischer Rückblick auf die europäische Konjunktur. 2008 und 2009 etwa kann man deutlich einen Rückgang des Frachtvolumens ablesen: Die Finanzkrise zeigte ihre Auswirkungen.

Zwar verfolgt die EU grundsätzlich das Ziel, den Verkehr von der Strasse auf die Schiene zu bringen, doch mit der bestehenden Brennerbahn wäre eine Umkehrung der bestehenden Verhältnisse kaum möglich. Werden in 24 Stunden doch etwa 6500 Lkw an den Mautstationen der Brennerautobahn gezählt. Hinzu kommen noch um die 30 000 Pkw oder ähnliche Fahrzeuge täglich, die die Strecke zumindest teilweise befahren. Diese Zahlen vermitteln selbst Ortsunkundigen eine Vorstellung dessen, was die Brennerroute alles auf sich nimmt respektive was die Anwohner auf sich nehmen müssen.

Transit – Verdiener und Verlierer

Der «Transitwahn», von dem viele sprechen, hat in der Vergangenheit oft zu Unmut bei weiten Teilen der Ortsansässigen geführt. Um sich medial Gehör zu verschaffen, veranstalteten Anwohner mehrere Demonstrationen, die stundenweise Sperrungen der Brennerautobahn nach sich zogen. Bedenkt man die Umweltbelastung durch Abgase und Lärm, die sich in Gebirgstälern bedeutend höher auswirkt als in der Ebene, sind die Forderungen nach einer Verringerung des Verkehrs nachvollziehbar. Andererseits ist der Transitverkehr ein lukratives Geschäft. 1.37 Mrd. Euro nahm die Asfinag, die für die 2200 km Fernstrassen und Autobahnen Österreichs verantwortliche Infrastrukturgesellschaft, 2017 im ganzen Land aus dem Lkw-Verkehr ein. Zahlen für die Brennerroute sind nicht erhältlich, allerdings lassen sich aus der Fahrzeuganzahl von über zwei Millionen und einer Mautgebühr von etwa 50 Euro auf österreichischer Seite die Einnahmen abschätzen.

Dabei sind die Erlöse nicht nur als notwendiges Übel nach dem Motto «Wir machen das Beste draus» zu betrachten. Die alpinen Transitrouten können international durchaus in Konkurrenz zueinander gesehen werden. Die Brennerstrecke gehört dabei aufgrund der Mauthöhe und der Treibstoffpreise zu den günstigen. Deshalb machen Umwegfahrten einen beachtlichen Anteil des Verkehrsaufkommens am Brenner aus. 2011 etwa hätten rund 25 % der Lkw, die den Brenner befuhren, über den Gotthard eine um mindestens 60 km kürzere Route gehabt. Allerdings kann man auch anführen, dass 60 km Umweg für einen Lkw kaum ins Gewicht fallen, wenn man weniger Kontrollen und Formalitäten, etwa an der Grenze, in Betracht zieht und dazu noch günstiger tanken kann.

Eine gewisse Entspannung des massiven Strassengütertransports in Tirol und Südtirol soll ab 2027 der Brenner-Basistunnel bringen. Der Tunnel, das Herzstück des SCAN-MED, wird mit seinen 64 km die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt, rechnet man die bereits seit 1994 bestehende, 9 km lange südliche Güterzugumfahrung um Innsbruck mit ein. Die als Flachbahn konzipierte Verbindung befindet sich derzeit im Bau. Mit 120 km/h werden Güterzüge zwischen Tulfes respektive Innsbruck und Franzensfeste in Südtirol den Alpenhauptkamm unterqueren können. Personenzüge werden sogar 250 km/h erreichen. Ein weiterer verkehrstechnischer Höhepunkt, der wie in früheren Zeiten wieder einmal am Brenner entsteht.

Die Brennerbahn

Als Brennerbahn bezeichnet man die über den Pass führende Eisenbahnverbindung zwischen Innsbruck und Verona. Zu Beginn ihrer Bauzeit führte die gesamte Strecke noch durch Herrschaftsgebiet der Habsburger-Monarchie. In nur dreieinhalb Jahren Bauzeit zwischen 1864 und 1867 entstand der Abschnitt über den Alpenhauptkamm zwischen Innsbruck und Bozen. Nach Plänen von Karl Etzel und unter der Leitung des Schweizer Ingenieurs Achilles Thommen setzten bis zu 20 600 Arbeiter das Trassee mit seinen zahlreichen Kunstbauten um und schufen damit seit der Eröffnung der Semmeringbahn zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag (Strecke Wien–Graz) im Jahr 1854 die zweite alpenüberquerende Bahnverbindung – die damals steilste Adhäsionsbahn überhaupt.

Die Strecke führt von Innsbruck (582 m ü. A.)[1] durch das nördliche Wipptal und überwindet bis zum Brennerpass einen Höhenunterschied von 789 m. Von der Passhöhe folgt die Bahnlinie dem südlichen Wipptal respektive Eisacktal bis Franzensfeste (747 m s. l. m.)1, weiter nach Bozen (266 m s. l. m.) und durch das Etschtal bis Verona. Um die Steigungen zu verringern, wurde die Strecke mit zwei Kehrtunnelbauten künstlich verlängert – damals ein Novum im Eisenbahnbau. Die maximale Steigung auf der Brennerstrecke konnte so auf 25 ‰ an der Nord- und 22.5 ‰ an der Südrampe beschränkt werden. Noch heute wird auf der Nordrampe das Dorf St. Jodok am Brenner von der Bahnlinie respektive dem Tunnel auf drei Seiten umfahren. Der zweite Kehrtunnel, der Aster Tunnel auf der Südrampe, ist seit 1999 aufgelassen und wurde durch den Pflerschtunnel mit neuer Linienführung ersetzt.

Auch 151 Jahre nach Eröffnung der Brennerbahn kann die damalige Planung als vorausschauend bezeichnet werden. Im Lauf der Zeit kam es jedoch des Öfteren zu übergeordneten Weichenstellungen, die weiterführenden Planungen nicht gerade förderlich waren. Für die Planungsleistung der Erbauer spricht etwa, dass es nur vier Wochen dauerte, bis die Brennerstrecke ab der ersten Probefahrt für den Personenverkehr freigegeben wurde. Eine feierliche Eröffnung blieb aus, da aufgrund der Hinrichtung von Kaiser Maximilian von Mexiko Hoftrauer im habsburgisch regierten Österreich verhängt war. Ein Jahr zuvor, 1886, konnte das junge Königreich Italien Venetien annektieren. Das südlichste Stück der Brennerbahn entlang des Gardasees fiel damit an einen anderen Staat.

Aus Kostengründen hatte die Bahn über den Alpenhauptkamm bei ihrer Eröffnung 1867 nur ein Gleis, jedoch war das Trassee umsichtig für zwei Gleise angelegt worden. Bereits 1868 verlief der Verkehr auf der Nordrampe zweigleisig, ab 1908 auf der gesamten Strecke. Einen Fortschritt mit Folgen brachte die Elektrifizierung der Strecke mit sich. Da nach dem Ersten Weltkrieg Südtirol und damit die Südrampe der Brennerbahn Italien zugeschlagen war, verlief nun am Brennerpass die Staatsgrenze. Für den südlichen Abschnitt der Brennerbahn waren ab jetzt die Ferrovie dello Stato verantwortlich, auf Nordtiroler Gebiet kam die Österreichische Bundesbahn zum Zug. Beide Strecken wurden 1928–1929 elektrifiziert – allerdings leider mit unterschiedlichen, nicht kompatiblen Stromsystemen. Die Österreicher setzten auf ein Einphasen-Wechselstromsystem mit 15 kV und 16.7 Hz, wie es auch heute in der Schweiz, Österreich und Deutschland üblich ist, während auf italienischer Seite Dreiphasen-Wechselstrom für den Antrieb sorgte.

Bis 1934 kam noch erschwerend hinzu, dass der Bahnhof am Brennerpass grösstenteils auf italienischem Gebiet liegt. Daher konnte die österreichische Seite ihre Elektrifizierung nur bis zur Station Brennersee, nördlich unterhalb des Passes, führen. Ein Weiterführung des österreichischen Stromsystems bis zum Passbahnhof blieb untersagt. Zwischen Brennersee und Pass mussten die Waggons folglich mit Dampflokomotiven befördert werden, bevor dann italienische Loks übernahmen. Ab 1934 gehörte diese Farce aber der Geschichte an. Das österreichische Stromsystem wurde bis in den Bahnhof Brenner weiterverlegt, sodass dieser ein Systemwechselbahnhof wurde.

Ab 1976 stellte die italienische Staatsbahn ihre Brennerstrecke zwar auf 3 kV Gleichstrom um, doch das änderte nichts an der unschönen Begleiterscheinung, dass stromgetriebene Züge die Strecke nicht durchgehend befahren konnten. Auf dem Brenner mussten die Lokomotiven ausgewechselt werden. 1993 – immerhin – konnten erstmals Güterzüge, gezogen von sogenannten «Brennerloks», die Strecke durchgehend elektrisch befahren. Allerdings kamen die Lokomotiven aufgrund des Stopps der RoLa über die Brennerroute im Jahr 1992 und Desinteresse auf italienischer Seite kaum zum Einsatz. Heute gibt es mehrere moderne Mehrsystemlokomotiven, um die Strecke, die eine Kapazität von etwa 230 Zügen pro Tag aufweist, durchgängig befahren zu können.

Die alte Brennerstrasse (B 174 und SS 12)

Vor dem Bau der Brennerautobahn lief der gesamte strassengebundene Transitverkehr über die alte Brennerstrasse. Die Motorisierung Deutschlands im Zuge des Wirtschaftswunders erreichte in den 1950er- und 1960er-Jahren die Alpen. Der Traum, Italien mit dem eigenen Auto anzusteuern, war in greifbare Nähe gerückt. Käfer an Käfer, NSU an BMW Isetta, alles wollte in den Süden. Noch heute führt die Bundesstrasse B 174 von Innsbruck unter der Europabrücke (Autobahn, seit 1963) hindurch, umfährt Schönberg und durchquert die Hauptorte an der Brennerroute – Matrei, Steinach und Gries.

Der untere Abschnitt bis Schönberg wurde bereits 1844 fertiggestellt. Für den Gütertransitverkehr ist sie heute jedoch gesperrt, sodass sie nur für den Ziel- und Quellverkehr und natürlich für den motorisierten Individualverkehr von Bedeutung ist. Aufgrund der kurvenreichen Strecke im unteren Abschnitt und der zahlreichen Ortsdurchfahrten wird die alte Brennerstrasse, die von Pkw mautfrei befahren werden darf, vor allem für Reisende ohne Zeitdruck oder zur Umfahrung eines Staus auf der Autobahn genutzt.

Die Brennerautobahn (A 13 und A 22)

Als erste Autobahn über die Alpen war die Brennerautobahn eine technische Meisterleistung und ist es mit ihren zahlreichen Kunstbauten bis heute geblieben. Mit ihrer Steigung von maximal 6 % bildet sie seit ihrer Fertigstellung 1974 das Rückgrat des alpenquerenden Verkehrs.

Höhepunkt der A 13 auf österreichischer Seite ist zweifelsohne die Europabrücke. Anfängliche Planungen sahen sie noch gar nicht vor. Die Autobahn sollte, wie auch die Brennerbahn, eigentlich auf der orografisch rechten Flusseite der Sill entlang geführt werden. Touristischen Überlegungen folgend wechselte man aber vor Schönberg die Talseite, was eine Brücke nötig machte. Die 657 m lange Hauptbrücke mit ihren fünf Stahlbetonpfeilern war bei ihrer Fertigstellung im Jahr 1963 mit 190 m die höchste Brücke Europas. Die Konstruktion als stählerner Hohlkastenträger mit orthotroper Platte muss gewaltige Windlasten aufnehmen können – ist das Wipptal doch ein Föhntal par excellence. Die anfängliche Breite von 22.20 m wurde 1984 auf 24.60 m erhöht. Seither besitzt die Brücke in jede Richtung drei Fahrspuren und jeweils einen davon abgetrennten Gehweg.

Auf italienischer Seite ist der Gossensass-Viadukt (Viadotto Colle Isarco) der A 22 das auffälligste Bauwerk. Mit einer Länge von 1031.5 m und zwölf Pfeilern mit einer Höhe bis zu 87 m überbrücken die 13 Felder (grösste Spannweite 163 m) hoch über dem Ort Gossensass den Fluss Eisack.

Der Brenner-Basistunnel

Selbst das modernste Projekt am Brenner ist vor Skurrilitäten nicht gefeit. Der Brenner-Basistunnel wird als Scheiteltunnel von Innsbruck nach Franzensfeste geführt. Mit maximal 6.7 ‰ führt er von Innsbruck zum Scheitelpunkt auf 790 m ü. M. (Schienenoberkante [SOK] 794 m), 580 m unter dem Pass. Von dort geht es mit 4 ‰ bergab zum südlichen Tunnelportal bei Franzensfeste. Die Neigungen hätten aufgrund des Höhenunterschieds der Portale Innsbruck (SOK 608.8 m) und Franzensfeste (SOK 747.2 m) noch geringer ausfallen können. Die italienische Seite bestand aber auf einem künstlichen Scheitelpunkt an der Grenze. Auf italienischem Gebiet anfallendes Wasser wird also nach Italien entwässert.

Die Auslegung des Brenner-Basistunnels samt der bestehenden Brennerstrecke wird etwa 400 Züge pro Tag betragen. Aufgrund der Ausgestaltung als Flachbahn können die Züge künftig schwerer sein als auf der Bestandsstrecke. 25 Minuten werden Personenzüge von Innsbruck nach Franzensfeste benötigen – etwa eine Stunde weniger als bisher.

Die Nord- und Südzuläufe

Eine unbefriedigende Situation für den Brenner-Basistunnel zeichnet sich ausserhalb seines Projektperimeters ab. Ob eine genügende Auslastung gegeben sein wird, hängt in erster Linie von der Politik ab. Gelingt die Umlagerung von der Strasse auf die Schiene nicht in gewünschtem Mass, werden die Gelder – die Kostenschätzung beträgt immerhin etwa 8 Mrd. Euro –, wie es Projektgegner befürchten, im wahrsten Sinn «verlocht» sein. Die Zulaufstrecken zum Tunnel sind daher von immenser Bedeutung. Im Norden des Brenner-Basistunnels ist die Unterinntalstrecke von Wörgl bis Innsbruck mit einer Kapazität von bis zu 570 Zügen pro Tag bereits fertig ausgebaut. Neben der Bestandsstrecke ist eine neue, zweigleisige Strecke entstanden. Von dieser 40 km langen Eisenbahnverbindung führen 34 km durch Tunnel, Galerien und Wannen, um die Auswirkungen auf das Inntal möglichst gering zu halten.

Von Wörgl bis zur deutsch-österreichischen Grenze bei Kiefersfelden stehen Ausbaupläne bereits fest, sind aber abhängig von der Trassenführung einer Neubaustrecke auf deutscher Seite (München–Rosenheim–Kiefersfelden; derzeitige Kapazität etwa 260 Züge pro Tag). Die Planung Letzterer ist jedoch zeitlich bedeutend im Verzug, sieht man auf die Eröffnung des Tunnels 2027. Derzeit liegen Korridorentwürfe vor, aus denen dann das Trassenauswahlverfahren erstellt werden soll, selbstverständlich unter Einbezug relevanter Entscheidungsträger – in der Schweiz würde man hierzu partizipative Planung sagen. Ein durchgängiger, die Anforderungen erfüllender Nordzulauf kann durchaus erst zehn Jahre nach der Inbetriebnahme des Brenner-Basistunnels umgesetzt sein.

Am Südzulauf sieht es etwas entspannter aus. Da bereits einige Tunnel neu erstellt wurden (Ceraino, Kardaun, Schlern, Pflersch), liegt das Augenmerk nun auf der Modernisierung technischer Anlagen. Derzeit können 280 Züge am Tag die Strecke befahren. Die Kapazität soll bis zur durchgehenden Verbindung unter dem Brenner auf 400 Züge pro Tag gesteigert werden.

Der Brennerpass von morgen

Ob der Brenner-Basistunnel zur räumlichen Entlastung des Transitverkehrs in gewünschtem Mass beitragen wird, ist also offen. Eventuell könnte eine Umlagerung der Güterströme zu einer touristischen Belebung des Wipptals führen. Ein Ferienziel im Herzen der Alpen mit ausserordentlich guter Verkehrsanbindung – das klingt vielversprechend. Am Brenner gab es das schon einmal: Brennerbad, südlich des Passes, erlebte als bekanntes Thermalbad seine Blütezeit im 19. Jahrhundert und besass ab 1869 sogar Schnellzuganschluss. Der Ort Brenner selbst, ein Konstrukt aus (ehemaliger) Zollwache, Eisenbahnersiedlung und Handelsunternehmen, verwaiste seit dem Beitritt Österreichs zum Schengener Abkommen 1998 mehr und mehr.

Heute noch als «Auspuff Europas» verunglimpft, ist den meisten die Brennergegend nur von der Durchreise her bekannt. Dabei gibt es hier einiges zu entdecken. Die weltberühmten Dolomiten etwa verdanken ihren Namen dem Dolomitgestein, das nach dem Herkunftsort des Entdeckers Déodat Gratet de Dolomieu benannt ist. Dem Namen liegt also ein französisches Dorf zugrunde, das Gestein aber stammte von den Tribulaunen – und die stehen weder in Frankreich noch in den Dolomiten, sondern am Brenner.


Anmerkung:
[01] Die absoluten Höhenangaben in Österreich (m ü. A. = Meter über Adria) und Italien (m s. l. m. = metri sul livello del mare) weichen bis zu 3.2 cm voneinander ab.

TEC21, Fr., 2018.05.18

18. Mai 2018 Peter Seitz

Vor dem Vortrieb erst erkunden

Schnell zum Törggelen nach Südtirol oder umgekehrt einmal auf die Münchner Wiesn? Mit der Eröffnung des Brenner-Basistunnels rückt diese Vision ab 2027 in erreichbare Nähe. 230 km Stollen werden bis dahin für die längste unter­irdische Eisenbahnverbindung der Welt ausgebrochen sein.

Laien stellen sich unter einem Tunnel gewöhnlich eine Röhre mit einem Ein- und Ausgang vor. Prinzipiell ist das richtig, beschäftigt man sich aber mit dem Brenner-Basistunnel, bleibt von der Vorstellung sehr wenig übrig. Der Tunnel besteht zunächst aus drei Röhren, davon zwei Haupt­röhren im Abstand von 70 m mit einem Durchmesser von 8.1 m, die jeweils mit einem Gleis ausgestattet werden und in denen später die Züge richtungsgetrennt geführt werden. Mittig zwischen diesen, etwa 12 m nach unten versetzt, verläuft der kleinere Erkundungsstollen (d = 5 bis 6 m). Er läuft den Ausbrucharbeiten der Haupt­stollen immer voraus und dient während des Baus der Erkundung der Geologie und Hydrogeologie. In der Betriebsphase wird die Entwässerung über ihn stattfinden. Ausserdem ­werden möglichst viele betriebstechnische Einrichtungen in ihm unterkommen, um Unterbrüche der Verkehrsröhren etwa aufgrund von Wartungs­arbeiten minimieren zu können.

Alle 333 m sind die Hauptröhren mit einem Querschlag verbunden, der im Notfall als Fluchtweg in die andere Röhre dient. Eine Evakuierung von Personen über die Querschläge wird jedoch nach Möglichkeit vermieden. Ein Zug wird im Ereignisfall versuchen, den Tunnel zu verlassen oder aber eine der drei Not­haltestellen anzufahren. Diese befinden sich bei Inns­bruck, St. Jodok und Trens und sind jeweils über einen ­Zufahrtstunnel mit der Aussenwelt verbunden. In den 470 m langen Nothaltestellen ist zwischen den Verkehrsröhren ein Mittelstollen angeordnet, in den Passa­giere über alle hier im Abstand von 90 m angeordneten Verbindungsstollen (Querschläge) flüchten können.

Der Mittelstollen ist zweigeteilt. Im unteren Bereich finden die in Not Geratenen Platz, während über den oberen Bereich Rauchgase abgesaugt werden können. Um 45 m versetzt zu den Verbindungsstollen liegen die Abluftstollen, die im Kalottenbereich an den Mittel­stollen angeschlossen sind. Die Frischluftzufuhr über den Zufahrtstunnel erzeugt im unteren Passagier­bereich nun einen Überdruck, sodass dieser rauch­frei bleibt. Über die Abluftstollen entweichen die Rauch­gase in den oberen Bereich des Mittelstollens und werden an die Oberfläche abgeführt. Ein Rettungszug auf dem Gegengleis kann die Verunglückten evakuieren. Auch ein Entkommen über die Zufahrts­tunnel mittels eingesetzten Bussen ist möglich. Zu Fuss würde dies nämlich etwa eine Stunde Fussmarsch bergauf bedeuten.

Ein Tunnel, drei Portale, acht Einfahrten

Von Bozen können Züge über den Südzulauf direkt durch das Portal Franzensfeste in den Basistunnel einfahren. Der Bahnhof Franzensfeste wird dabei nur tangiert. Jedoch ist er ebenfalls über eine Zufahrt an den Tunnel angeschlossen, die im Bereich der Eisackunterquerung auf die Hauptröhren trifft. Nach Norden ermöglicht das Portal Innsbruck eine direkte Einfahrt in die Hauptstadt Tirols, was vor allem für Personenzüge von Interesse ist. Güterzüge des Transitverkehrs werden aber über zwei Verbindungstunnel (letzter Durchschlag 2017) unterirdisch in die seit 1994 bestehende Umfahrung Innsbruck Süd abgeleitet. Diese 9 km lange Umfah­rung kommt am Portal Tulfes wieder ans Tageslicht, ver­einigt sich dort wieder mit der Strecke aus Innsbruck und bildet, als Unterinntalstrecke bezeichnet, einen Teil des Nordzulaufs.

Die Verbindungstunnel kreuzen sich höhen­­frei. Der Grund ist die unterschiedliche Zugführung zwischen Italien und Österreich. In Italien, wie auch in der Schweiz oder Frankreich, fahren Züge von Süd nach Nord auf dem linken Gleis, während in Tirol und Deutschland Rechtsverkehr im Bahnbetrieb herrscht. Die Umfahrung Innsbruck Süd wies bisher noch keinen Rettungsstollen auf. Da mit der Öffnung des Brenner-­Basistunnels die Zug- und Personenanzahl im bestehenden Stollen zunehmen wird, wurde der Rettungstunnel Tulfes parallel im Abstand von 30 m hinzugefügt.

Bitte einsteigen – der Vortrieb fährt ab

Aus vier Zufahrtstunneln – Ampass, Ahrental, Wolf und Mauls – werden Zwischenangriffe aufgefahren. Der Rettungstunnel Tulfes etwa wurde sowohl von seinem Portal aus als auch von Ampass in Ost- und Westrichtung mittels Sprengvortrieb aufgefahren. Die Verbindungstunnel zwischen bestehender Umfahrung Innsbruck Süd und dem eigentlichen Basistunnel wurden ebenfalls in Sprengtechnik über die Zufahrt Ampass, aber auch über Ahrental vorgetrieben. An welcher Stelle die Gleise aus dem Basistunnel in die Südumfahrung einge­leitet werden, stand bereits seit 1994 fest. Beim Bau der Innsbrucker Umfahrung wurde eine Abzweigungs­kaverne angelegt. Die Querschnitte der nördlichen Hauptröhren des Basistunnels im Bereich der Zufahrt Ahrental werden mit Sprengungen nach der neuen ­österreichischen Tunnelbauweise aufgefahren.

Hingegen kommt für den vorauslaufenden Erkundungsstollen in Richtung Steinach eine offene, 200 m lange Gripper-Tunnelbohrmaschine zum Einsatz. Anders als die meisten ihrer Schwestern trägt sie, zu Ehren des Tiroler Landeshauptmann Platter, den männlichen Namen Günther. Derzeit hält die Maschine einen Rekord: Im Mai 2017 trieb sie in 24 Stunden 61.04 m des Erkundungsstollens im Quarzphyllit voran – Weltrekord im Tunnelvortrieb! Baumaterial, das für den Erkundungsstollen benötigt wird, hat bis zur Bohrmaschine schon eine Fahrt auf einem speziellen Fahrzeug hinter sich. Sogenannte Multiservice Vehicles (MSV), gummibereifte Schwerlastzüge, bringen die Lasten, falls gewollt vollkommen selbstfahrend, zu ihrem Einsatzort.

Zur Basis, Bahn, Autobahn oder Deponie?

Der Zufahrtstunnel Wolf wurde als eigenes Baulos abgewickelt und veranschaulicht eindrücklich, welch grosser Aufwand erforderlich ist, um nur den Basis­tunnel zu erreichen. Schon das Auftragsvolumen des Loses Wolf von 104 Millionen Euro würde einer normalen Tunnelbaustelle zur Ehre gereichen.

Der Installationsplatz Wolf liegt auf dem Talboden südlich von Steinach. Für die Baustellenversorgung via Eisenbahn wurde eigens ein eigener Gleisanschluss erstellt, der an die bestehende Brenner­bahn angeschlossen ist. Die Autobahn A 13 verläuft etwa 150 m oberhalb des Platzes am westlichen Berghang. Da die Baustellen zum Schutz der Anwohner direkt von den Autobahnen angefahren werden müssen, wurde der 1 km lange Saxenertunnel im Sprengvortrieb als Verbindung geschlagen. Sein Durchmesser von 10 m reicht für zwei Fahrbahnen, sodass Lkw im Gegenverkehr ohne Einschränkung fahren können. Der Anschluss an die Autobahn ist normgemäss, jedoch ist über eine spätere Verwendung der Zufahrt nach Inbetriebnahme des Brenner-Basistunnels noch nicht entschieden.

Vom Installationsplatz führt ein Zufahrtstunnel erst in einer Rechtskurve und dann gradlinig mit 10 % Gefälle 4 km hinab auf Höhe des Basistunnels, 400 m tiefer als der Talboden. Eine Querverbindungskaverne erschliesst die Angriffspunkte der Tunnelbohrmaschinen, die für den Vortrieb der Verkehrsröhren eingesetzt werden. Diese TBM sind Bestandteil des Bauloses Pfons–Brenner (vgl. unten). Auch der Zufahrtsstunnel ist zweispurig für Lkw befahrbar. Hinzu muss der Querschnitt noch seitlich angeordnete Schutterbänder und Lüftungslutten an der Kalotte aufnehmen können. Anfallendes Wasser wird über Kaskaden, die seitlich in Querschlägen eingebettet sind, an die Oberfläche gepumpt.

Im oberen Abschnitt besitzt der Zufahrtstunnel über den sogenannten Schutterstollen und den Pa­dastertunnel zwei zusätzliche Ausgänge ins Padastertal, ein unbesiedeltes, V-förmiges östliches Seiten­tal des Wipp­tals, das hinauf in Alpgelände führt. In ihm entsteht mit 7.7 von insgesamt 17 Millionen Kubik­metern Abla­gerungs­volumen die grösste Deponie des Basis­tunnel-Projekts. Der Padasterbach musste für die Ma­terialablagerung in einem Stollen umgeleitet werden. Mit der Deponierung des nicht mehr verwendbaren Ausbruchmaterials bekommt auch der Bach ein neues Bett. Ausserdem wird ein neuer Wander­weg an­gelegt, der das später U-förmige Padas­ter­tal umrundet.

Die grössten: Pfons–Brenner, Mauls 2–3

966 Millionen Euro beträgt das Auftragsvolumen für das grösste Baulos auf österreichischer Seite, Pfons–Brenner, das im Frühjahr 2018 vergeben wurde. Vier Tunnelbohrmaschinen werden vom Startpunkt unterhalb der Zufahrt Wolf die Hauptröhren nach Norden und Süden bis zur Staatsgrenze vorantreiben. Insgesamt werden dies 37 km Verkehrsröhren sein. Der Erkundungsstollen in diesem Losabschnitt sowie die Not­haltestelle St. Jodok werden im Sprengvortrieb erstellt.

Noch grösser fällt Los Mauls 2–3 auf italie­nischer Seite mit einem Auftragsvolumen von 993 Mil­lionen Euro aus. Die Nothaltestelle Trens, ihr Zufahrtsstollen und die Hauptröhren nach Süden werden bergmännisch ausgebrochen. Ab der Nothaltestelle übernehmen dann die baugleichen Tunnelbohrmaschinen Virginia und Flavia mit ihren je 4200 kW und einem Durchmesser von 10.65 m den Vortrieb der Verkehrsröhren bis zum Brenner. Im Erkundungsstollen voraus frisst sich ihre kleine Schwester Serena in Richtung Scheitelpunkt des Tunnels.
Eisackunterquerung

Ein spezielles Baulos stellt die Eisackunterquerung kurz vor dem Tunnelportal bei Franzensfeste dar. Nicht nur der Fluss, auch die bestehende Bahnstrecke und die Autobahn müssen unterfahren werden. Die Überdeckung der Tunnelröhren ist hier nur noch gering, bei der Flussquerung beträgt sie etwa 12 m. Die Durch­örterung erfolgt im anstehenden Lockergestein des Talbodens. Daher kommen diverse Gesteinsverfestigungsmethoden zum Einsatz, etwa Jet Grouting oder Vereisungsverfahren (vgl. www.espazium.ch/neubau-­albulatunnel-2). Zur Unterfahrung des Flusses werden beidseitig Schächte bis auf Sohlenhöhe der Hauptröhren in das verfestigte Gestein abgeteuft. Das Umgebungsgestein der Röhren unterhalb des Flussbetts wird sodann für die Durchörterung vereist.
Steine und Störung

Der Basistunnel durchfährt vier grosse Zonen unterschiedlichen Gesteins. Im Norden stehen Innsbrucker Quarzphyllit an, im nördlichen und südlichen Wipptal unterhalb des Scheitels dominieren Bündner Schiefer, während im Abschnitt des Brennerpasses Gneis vorherrscht. Der Tunnel durchstösst bei Mauls die Periadriatische Naht, die als längste Störzone der Alpen die Süd- von den Zentralen Ostalpen trennt. Ihre Durchörterung geschah auf etwa 700 m bereits in einem ­ Vorlos und warf keine besonderen Probleme auf. Südlich der Naht steht Brixner Granit an.

Überhaupt geben sich die Gesteine eher gut­mütig. Sie sind mit den gewählten Verfahren recht gut abzubauen, allerdings sind die Ausbrüche, vor allem des Quarzphyllits und des Bündner Schiefers, teilweise von recht schlechter Qualität. Nach umfangreichen Forschungen zur Aufbereitung der Gesteine respektive zu möglichen Betonzusammensetzungen landen mittlerweile noch etwa 60 % des Ausbruchs auf den Deponien. Dies ist umso erstaunlicher, da für die Einbauten des Brenner-Basistunnels erhöhte Anforderungen bestehen.

Als Nutzungsdauer wurde nämlich, abweichend von den anzuwendenden Normen, 200 Jahre angenommen. Dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf die Bemessung der Einbauten und die konstruktive Durchbildung der Tunnelstruktur und musste auch in die Betonrezepturen eingehen. Die übrigen 40 % des Ausbruchsmaterials können direkt für die Erstellung des Tunnels, etwa der Spritzbetonschale, der inneren Tunnelschale, der Banketten oder als Füll- und Schottermaterial verwendet werden. Als Nischenprodukt für die Bauindustrie wurde gar ein neuartiger Sichtbeton entwickelt. Bei dieser Sicht-Stein-Betonbauweise bleibt im Gegensatz zum klassischen Sichtbeton die Gesteinskörnung sichtbar. Die Zuschlagsstoffe werden in eine Schalung gegeben und ein selbstverdichtender Beton aufgefüllt. An der neuen kleinen Kapelle St. Wendelin am Eingang des Padastertals lässt sich das Ergebnis betrachten.

Finanzierung

Die beeindruckenden bis erschreckenden Dimensionen des Brenner-Basistunnels setzen sich bei den Finanzen fort. Als am höchsten gefördertes Infrastrukturprojekt Europas steht das mit Kosten von 8.3 Mrd. Euro prognostizierte Bauwerk einzigartig da. 40 % der Projektkosten trägt die EU, vom Erkundungsstollen werden sogar 50 % übernommen. Die restlichen Anteile teilen sich Österreich und Italien hälftig. Diese gewaltige Summe relativiert sich etwas, be­denkt man die Beträge, die von der EU in kürzester Zeit für desolate Finanzsysteme bereitgestellt werden. Zudem fliessen bedeutende Teile des Gelds für den Tunnelbau über Steuerzahlungen der am Bau Beteiligten wieder zurück in die öffentlichen Kassen. Für die Betreiberstaaten scheint das finanzielle Risiko daher tragbar. Vielmehr noch, da Prognosen zufolge das Güter­transit-Verkehrsaufkommen zukünftig weiter steigen und seine Abwicklung wohl lukrativ bleiben wird. Und das Wichtigste? Die EU bekommt wenigstens beim Brenner-­Basistunnel für ihr Geld eine konkrete, trotz der bis zu 1800 m hohen Gebirgsüberdeckung sichtbare Gegen­leistung – mit ­Sicherheit nicht nur ein Loch im Berg.

TEC21, Fr., 2018.05.18

18. Mai 2018 Peter Seitz

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