Editorial

Geschichte erlebbar und zu einem Erlebnis zu machen – das ist die grosse Herausforderung im Museumsbau. Die beiden hier vorgestellten Beispiele zeigen, dass für die verständliche Aufarbeitung eines prägenden, mit­unter schwierigen Teils der Vergangenheit die Architektur selbst zur Geschichtenerzählerin werden kann.

Eine ehemalige Zinkmine in Norwegen verwandelte Peter Zumthor mit mehreren in der Landschaft verteilten Holzpavillons in einen Erlebnispfad und erweckte sie so zu neuem Leben. Die Besucher beschreiten den ehemaligen Arbeitsweg der Minenarbeiter und bekommen Einblicke in deren beschwerlichen Alltag. Die Exponate in den Pavillons sind in ein Halbdunkel gehüllt, das an die Bedingungen im Untergrund erinnern soll.

Auch die bewegende Geschichte und die oft aus Verzweiflung geborene Kultur der Afroamerikaner werden lebendig – im National Museum of ­African American History and Culture (NMAAHC) in Washington, D. C. Der neue Museumsbau von David Adjaye inszeniert Abgründe, aber auch Glücksmomente – mit einer den Themen angemessenen Architektur. Eine Metallfassade mit floralem Muster, ein grosses Vordach, Wasserspiele und ein Wald vor dem Eingang verleihen als Reminiszenzen afro­amerikanischer Kultur der Ausstellung den passenden Rahmen.

So wird die Architektur bei beiden Museen schliesslich selbst zu einem Teil der Geschichte.

Viola John

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Eine Torre Velasca für Basel

11 PANORAMA
Meisterhafte Ingenieur­leistungen | Bis Santiago ist es weit

13 VITRINE
Weiterbildung | Neues von der Swissbau

16 SIA
SIA-Form Fort- und Weiter­bildung | Das lange Leben der Baustoffe | Einführungstagung zur Norm SIA 190

20 VERANSTALTUNGEN

THEMA
22 MUSEEN ERZÄHLEN GESCHICHTE

22 FRAGILE PFAHLBAUTEN
Hubertus Adam
In Norwegen hat Peter Zumthor eine stillgelegte, fast vergessene Zinkmine neu belebt – mit einem Museum, das den ehemaligen Grubenweg für die Besucher erlebbar macht.

27 GELUNGENE SYMBOLIK
Simone Hübener
Mehr als eine Million Besucher in nur zehn Monaten: Dieser Ansturm zeigt die grosse Bedeutung, die das NMAAHC für viele Amerikaner hat – gleich welcher Hautfarbe.

AUSKLANG
31 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Fragile Pfahlbauten

Von den Gebäuden und Fördereinrichtungen einer ehemaligen Zinkmine in Norwegen waren nur noch wenige Spuren erhalten. Peter Zumthor belebte 2016 den fast vergessenen Ort mit einem Museum neu, das den ehemaligen Grubenweg für die Besucher erlebbar macht. Mehrere Pavillons akzentuieren den Weg durch die Landschaft.

Ein Fluss, der sich tief in das enge Tal eingegraben hat, steile Hänge, Nadelwald, Felsen, Geröll: Die Schlucht Allmannajuvet nahe Sauda in Südnorwegen ist eindrucksvoll und unwirtlich zugleich. Oberhalb der Strasse, die durch die Schlucht führt, wurde zwischen 1881 und 1899 Zink abgebaut. Unter härtesten Bedingungen förderten Arbeiter in einem kaum mannshohen Stollensystem Erz zutage. An einer Abwurfstelle gelangte es auf ein unteres Niveau, wo es gewaschen und mit Karren über zehn Kilometer nach Sauda befördert wurde.

Über den Fjord erreichten die Bodenschätze die eigentliche norwegische Küste und traten dann eine weite Schiffsreise an, die im walisischen Swansea endete. 12 000 t Erz wurden über die Jahre ausgebrochen. Dann liess der sinkende Weltmarktpreis für Zink den Abbau unrentabel werden, die Mine wurde für immer geschlossen. Gebäude und Fördereinrichtungen verfielen, bis im unwegsamen Gelände nur noch einige wenige Spuren erhalten blieben.

Ort der Erinnerung

Zwischen 2009 und 2016 ist hier ein Museum ent­standen, besser vielleicht: ein Erinnerungsort, mit dem das Atelier Peter Zumthor 2003 beauftragt worden war. Aufgrund der schwierigen Geländebeschaffenheit erforderten allein die Vorbereitungs- und Fundamentierungsarbeiten vier Jahre. Gebaut werden konnte ohnehin nur während der Sommermonate, schliesslich trugen die Wettereinwirkungen zur weiteren Verzö­gerung bei.

Der Erinnerungsort fügt sich ein in das Konzept der «Nasjonale turistveger» – die Nationalen Touristenrouten zählen zu den überzeugendsten Programmen an der Schnittstelle zwischen Architektur, Kunst und Landschaft, die in der letzten Zeit umgesetzt wurden. Ziel ist nicht zuletzt ein Branding des Landes mittels herausragender Architektur. Das Programm wurde 1994 lanciert und soll dazu beitragen, den Tourismus in den entlegenen ländlichen Regionen Norwegens zu intensivieren. Es geht um die Verbesserung der technischen und kulturellen Infrastruktur, aber auch um eine gemeinsame Vermarktung. Insgesamt 18 Routen wurden ausgewählt; jede der (schon bestehenden) Strassen erhielt gezielte architektonische Inter­ventionen. Dabei kann es sich um Infrastrukturbauten wie Rast- und Parkplätze oder Gastro­nomieeinrichtungen handeln, aber auch um kleine Museen und kulturelle Orte. Und natürlich allem voran um Aussichtspunkte zur Intensi­vierung des Landschaftserlebnisses.

Bei den mal zurückhaltenden und fast minimalistischen, mal aber auch aufwendigen und durchaus kosten­intensiven Eingriffen sind überwiegend jüngere norwegische Architekturbüros beteiligt, wobei insbe­son­dere Reiulf Ramstad Arkitekter durch das Programm der Touristenstrassen international bekannt geworden sind. Immer wieder werden aber auch Aufträge an prominente Künstler und Architekten vergeben, so Snøhetta oder Fischli/Weiss. Peter Zumthor plante und realisierte zwischen 2007 und 2011 die Gedenkstätte Steilneset in Vardø, das «Memorial to the victims of the witch trials» in der Finnmark. Die Ortschaft liegt an der Barentssee und damit im äussersten Nordosten des Landes (vgl. «Eiskalte Linie und Feuerpunkt»).

Der norwegische Bildhauer Knut Wold, der selbst 1997 ein Projekt an der Sognefjellet-Route realisieren konnte, fungierte seit Langem als Berater von Statens vegvesen, der für die Touristenrouten zuständigen staatlichen Strassenbehörde. 2001 hatte er Peter Zumthor für eine architektonische Intervention an der Ryfylke-Route in der Provinz Rogaland, im Süden Norwegens, empfohlen. Diese 183 km lange Touristenroute beginnt in Oanes am Lysefjord und führt durch die Schären- und Fjordlandschaft in nordwestlicher Richtung bis in die Gegend von Røldal. Bei Sauda im letzten Streckenabschnitt verlässt die Strasse die Fjorde und führt durch den Allmannajuvet landeinwärts.

Die knapp 5000 Einwohner zählende Ortschaft Sauda, am Endpunkt des gleichnamigen Fjords gelegen, wird bis heute von einem gewaltigen Industriekoloss beherrscht. Bodenschätze gab es hier in Fülle, zudem ausreichend Energie in Form von Wasserkraft, und so begann ein amerikanisches Konsortium 1910 mit dem Aufbau des seinerzeit grössten Schmelz­werks Europas. Die Zinkförderung im Allmannajuvet bildete gleichsam den abgeschlossenen Prolog dieser industriellen Erfolgsgeschichte.

Neue Präsenz

Zumthors Aufgabe bestand darin, den weitgehend vergessenen Ort in der Schlucht zum Sprechen zum bringen. Von Anbeginn bestand Klarheit darüber, dass es sich nicht um ein übliches Industrie- oder Technikmuseum handeln könne. Der Abbau war seinerzeit mit primitivsten Mitteln erfolgt, sichtbar im Gelände war kaum noch etwas: nichts von den technischen Anlagen, aber dafür der entlang des Hangs zum Mundloch des Stollens führende Karrenweg, die Stollen im Berg und einige Fundamentreste. Gewissermassen war die geringe physische Präsenz aber die Chance für das Projekt: Zumthor sah sich nicht – wie etwa seinerzeit bei der «Topografie des Terrors» in Berlin – mit schon bestehenden denkmal­pflegerischen oder museumsdidaktischen Konzepten konfrontiert. Stattdessen erhielt er von Statens vegvesen die Möglichkeit, eine eigene Lesart des Orts zu entwickeln und diese baulich umzusetzen.

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern wurden die spärlichen verbliebenen Quellen zusammengetragen – Fotos, archi­valische Zeugnisse, ein paar Gerätschaften – ausserdem erfolgte eine geologische und topografische Untersuchung des Areals. Das Konzept Zumthors bestand darin, den historischen Grubenweg für die Besucher begehbar zu machen und durch vier in der Landschaft stehende Pavillons zu akzentuieren: ein Servicegebäude, ein Café, die «Grubengalerie» sowie einen Pavillon zur Erschliessung der Mine. Die Bündelung der Funktionen in einem grösseren Volumen wäre weder landschaftsverträglich noch angesichts der unwegsamen Topografie plausibel gewesen.

Komplikationen

Aber auch so erwies sich die Suche nach einer Platzierung der bescheiden dimensionierten Gebäude im Gelände als schwierig und langwierig: Die Beschaffenheit des Bodens und die Gefahr von Steinlawinen erzwangen Nachjustierungen der Bauplätze. Insbesondere der ursprünglich avisierte Standort für den vierten Pavillon in der Nähe des Stolleneingangs war zu risikoreich. Stattdessen sollte ein kleiner Schutzbau für das Ausleihen der für die Besichtigung der Mine nötigen Helme und Grubenlampen nahe der Grubengalerie errichtet werden.

Ein Erd­rutsch machte den Weg zur Grube im Winter 2015/16 unpassierbar. Bei der offiziellen Einweihung der Gesamtanlage im September 2016 waren die Räumungsarbeiten noch nicht abgeschlossen, auch der Schutzbau für die Helme stand noch nicht. Als im nachfolgenden Winter eine Steinlawine niederging und der Fluss das Fundament einer Brücke zerstört hatte, waren die staatlichen Behörden zum Handeln gezwungen. Auf Basis geologischer Gutachten wurde eine gefährdete Stelle nahe der Mine mit einer neuen Brücke umgangen, überdies installierte man Schutzvorrichtungen gegen Steinschlag. Zusammen mit der Kommune Sauda arbeitet man derzeit an der Finanzierung der Grubenerschlies­sung, die sich im Rahmen des bisherigen Budgets nicht mehr umsetzen liess. Aber auch in Norwegen ist die Finanzierung kultureller Projekte schwieriger geworden.

Konzept und Erlebnis

Doch wer vor Ort ist, wird den Besuch in der Mine verschmerzen. Die physische Erfahrung des Stollens ist im Rahmen des Gesamtkonzepts von Peter Zumthors Projekt nicht essenziell. Für die Besucher geht es nicht um eine archäologisch präzise Analyse des historischen Orts, auch wenn das Café bewusst neben den spärlichen Relikten des früheren Verwaltungsgebäudes steht und der Blick von den Fenstern der Grubengalerie auf die einstige Abwurfstelle fällt. Vielmehr fokussieren Zumthors Bauten auf das Erlebnis von Natur und Topo­grafie, die die Arbeitswelt der Mine geprägt haben. Die Schlucht mit dem gurgelnden Bach unterhalb der Strasse, schroffe Hänge, Granitfelsen, Moos, Birken Nadelbäume – das sind die Faktoren, die den Ort bestimmen. Und als archi­tektonische Interventionen hat Zumthor einen Typus von Gebäuden entwickelt, die wie Pfahlbauten auf Holzstützen am Hang stehen und bei denen auf massive Eingriffe in den Boden verzichtet werden konnte.

Die Besucher beginnen mit der Visite am Parkplatz an der Strasse, der vermittels einer 15 m hohen Trockenmauer hangseitig erweitert wurde. Das schon aus der Ferne bei der Anfahrt von Sauda aus sichtbare Servicegebäude mit Toiletten kragt über die Mauerkrone aus; die Last wird unten durch die diagonalen Streben in die Mauer abgeleitet. Zumthor führt hier eine Material- und Formenwelt vor, der auch die beiden anderen Gebäude verpflichtet sind: dunkle, fast containerhaft anmutende Holzboxen, die von einer gerüst­artigen Tragstruktur aus Brettschichtholzbalken umgeben und getragen werden.

Die weit auskragenden Wellblechdächer bestehen aus Zink, die Türen aus Chrom- und die Griffe aus Schwarzstahl. Die Materialien verweisen auf die Bodenschätze, denen die Mine ihre Existenz verdankt. Bergseitig führt eine ebenfalls in Trockenbautechnik gemauerte Treppe hinauf zum Grubenweg. Zunächst gelangt man zum Grubencafé, auf der anderen Seite eines Geländeeinschnitts steht die Grubengalerie. Daneben verläuft der Weg weiter in Richtung Mine.

Aus der Ferne betrachtet, verbinden sich die identisch materialisierten Bauten mitunter zum Ensemble; von manchen Standpunkten aus tritt aber lediglich das eine oder andere Gebäude in Erscheinung. Klein und fragil wirken die Bauten am Hang; nähert man sich, so werden die eigentlichen Dimensionen anschaulich. Holzpfosten aus Kiefernbrettschichtholz, zum Teil mehr als 20 m lang und zuunterst kreuzförmig geschlitzt, sind über stählerne Kreuze und Platten direkt mit dem Fels verbunden. Geschraubte Querstreben in unterschiedlichen Winkeln dienen der Aussteifung, sodass die Konstruktionen auch den langen norwegischen Wintern standhalten können. Eine Imprägnierung mit Kreosot schützt das Holz vor eindringendem Wasser.

Die Boxen, in die Gerüststrukturen eingebunden und über Treppen zugänglich, bestehen aus Sperrholz, das mit einem Jutegewebe sowie schwarzem Kunstharz auf PMMA-Basis überzogen wurde. Die gleichen Materialien finden sich auch im Innern von Café und Galerie. Eigentlich handelt es sich um industriell konnotierte Werkstoffe, doch die Atmosphäre zeigt sich durch die textile Struktur des Jutegewebes fast warm und wohnlich. Nicht zuletzt ist dafür auch Zumthors Fähigkeit verantwortlich, die eigentlich bescheiden dimensionierten Räume durch eine ausgeklügelte Blick- und Lichtregie zu modulieren, Geborgenheit und Öffnung zur Natur ins Verhältnis zu setzen. Je drei Tische für zwei, vier und sechs Personen umgeben dreiseitig den Servicekern im Café. Die Bandfenster, die im Winkel die drei Ecken übergreifen, sind auf die Sitzhöhe der Gäste abgestimmt. Warme Lichtakzente setzen die in die Soffiten der über den Sitzbereichen abgehängten Decke eingelassenen Leuchten mit doppelkegelförmigen Glaskolben. Dabei handelt es sich ebenso um Entwürfe von Peter Zumthor wie bei den Tischen und Hockern aus Erlenholz.

Auch die Grubengalerie: ganz in Schwarz. Der Raum ist schmal und hoch, nach oben hin verliert er sich – wie im Café – im mystischen Halbdunkel. Lichtschlitze lenken das Tageslicht auf die Exponate in den pultähnlich eingebauten Vitrinen. Auf der anderen Seite liegen vier Bücher auf, die die norwegische Grafikdesig­nerin Aud Gloppen gestaltet hat. In ihnen ist alles zusammengefasst, was es über die Topografie und die Geografie, die Architektur von Peter Zumthor und die His­torie der Mine zu wissen gibt. Und eines der Bücher stellt eine literarische Anthologie zum Leben im Untergrund dar, von Dantes Inferno über Ibsens Peer Gynt bis hin zu Bob Dylans «Subterranean Homesick Blues».

TEC21, Fr., 2018.02.23

23. Februar 2018 Hubertus Adam

Gelungene Symbolik

Mehr als eine Million Besucher in nur zehn Monaten: Die Anziehungskraft des National Museum of African American History and Culture (NMAAHC) in der US-Hauptstadt ist offenbar immens – auf Amerikaner gleich welcher Hautfarbe. Für die Geschichte und Kultur der Afroamerikaner bietet es eine passende Architektur.

Mindestens so lang wie sein Name ist die Geschichte des National Museum of African American History and Culture (NMAAHC): Auf das Jahr 1915 datiert die erste Idee für dieses Museum; mehr als 100 Jahre später, im September vergangenen Jahres, wurde es dann endlich feierlich eröffnet. 2003 darf dabei als Durchbruch bezeichnet werden, denn in diesem Jahr unterzeichnete der damalige Präsident George W. Bush jr. ein Gesetz, das den Bau besiegelte. Bis mit dem letzten freien Baugrundstück auf der für Washington, D. C. so wichtigen Mall der geeignete Platz auserkoren war, gingen noch einmal drei Jahre ins Land.

Damit sollte das Museum so nah am Weis­sen Haus und dem Washington-Denkmal stehen wie kein zweites Gebäude. Diese Präsenz ist dem Museum mehr als angemessen und macht seinen Stellenwert von Weitem sichtbar. Aufgrund des Baufensters und der zulässigen Höhe ergaben sich zwei Beschränkungen: Da Sichtachsen auf andere Gebäude der Mall frei bleiben mussten, konnte nur auf einem 65  ×  65 m grossen Areal gebaut werden. Und das Mu­seum musste – wie alle anderen Gebäude in Washington – niedriger sein als das Kapitol.

Überzeugende Symbole

Aus dem internationalen Architekturwettbewerb, der 2009 ausgelobt worden war, ging die Arbeitsgemeinschaft Freelon Adjaye Bond/SmithGroup als Sieger hervor. Ihr Entwurf drang viel tiefer und stiller in die Geschichte ein als die teils sehr expressiven Ideen der anderen Teilnehmer. Ein schlichter, fünfstöckiger Glaskubus wird von einer Krone aus 3600 bronzefarbenen Paneelen umhüllt. Dadurch hebt sich der Neubau wohlwollend von den restlichen Gebäuden auf der Mall ab, deren Fassaden von Marmor und Naturstein geprägt sind, und zeigt sich dennoch als Teil des Ganzen.

Ein Vordach betont den Haupteingang und spendet in den heissen Washingtoner Sommern Schatten. Mit diesen beiden Elementen griff der ghanaisch-britische Architekt David Adjaye, der gemeinsam mit seinem Team für den Entwurf verantwortlich zeigt, wesentliche Punkte aus der Umgebung des Neubaus und der Geschichte der Afroamerikaner auf. Dieser sichtbare Teil des Museums nimmt drei Ausstellungsebenen und eine Ebene für die Mitarbeiter auf. Den mit 60 % grösseren Teil ordneten die Planer aufgrund der oben genannten Beschränkungen unterirdisch an.

Die drei Stufen der Krone sind um 17.5° geneigt und damit genauso viel wie die Spitze des Washington-Denkmals. Mit dem floralen Muster stellt Adjaye einen Bezug her zu den kunstvoll gefertigten Gittern, die früher als Verschattungselemente an den Veranden der Südstaatenhäuser zu finden waren und von den Sklaven in geschickter Handarbeit gefertigt wurden. Für das Museum wurde das Muster hinsichtlich der Lichtdurchlässigkeit optimiert. Die V-förmigen Profile reflektieren das Licht zu jeder Tageszeit unterschiedlich, weshalb die Fassade mal in einem warmen Goldton, mal bronzefarben und ein anderes Mal fast lila erscheint. Auch das grosse Vordach ist eine Reminiszenz auf das afroamerikanische Leben: Unter den Vordächern der Südstaatensiedlungen traf sich oft das halbe Dorf. Beim NMAAHC gelang es Adjaye mit der Kombination aus Dach und davor angeordnetem Wasserbecken, die Temperatur unterhalb des Dachs im Vergleich zur ­Umgebung um bis zu 10 °C abzusenken. Der dritte und letzte Bezug, der aussen sichtbar wird, ist die Ver­zahnung des Gebäudeentwurfs mit dem Garten, der vom Büro Gustafson Guthrie Nichol geplant wurde. Das Haus wird umgeben von teils blühenden, teils grünen Bäumen, wie Magnolien und Kirschbäumen, die in weni­gen Jahren zu einem kleinen Wald – einem ebenfalls wichtigen Element der afroamerikanischen Geschichte – herangewachsen sein werden.

Bezüge herstellen

Nach der obligatorischen Sicherheitskontrolle begrüsst eine grosse Eingangshalle die Besucher, allerdings bietet sie leider nicht die Orientierung und die Eleganz, die man sich für solches Haus wünscht. Die vier tragenden Kerne mit Personen- und Lastenaufzügen sowie dienenden Räumen prägen den Raum und lassen ihn kleiner wirken, als er tatsächlich ist. Die Materialien, wie der hochglanzpolierte Terrazzoboden und die Decke aus schwarzem, perforiertem Metall mit kleinen Spot­leuchten, sind farblich und optisch nicht optimal aufeinander abgestimmt. Ausserdem wirkt die Decke, die zu den Fassaden hin leicht ansteigt, zu simpel. Besonders gelungen sind den Planern in diesem und den anderen Obergeschossen die vielfältigen Ausblicke. Das Museum und seine Besucher bleiben somit in Beziehung zur ­nahen und fernen Umgebung und bewegen sich nicht – wie oft üblich – abgeschottet durch das Gebäude.

Zwei Ausstellungsbereiche

Die Ausstellung wurde vom Team gemeinsam mit den Ausstellungsplanern von Ralph Appelbaum Associates in zwei Teile gegliedert: Die drei Untergeschosse nehmen die «History Galleries» auf, die den Besucher auf eine Reise durch die afroamerikanische Geschichte mitnehmen, beginnend im Jahr 1400, endend mit dem Kapitel «1968 und danach». In den drei Obergeschossen dreht sich alles um die Kultur der Afroamerikaner mit multi­medialen Ausstellungsstücken, mit denen Geschichten berühmter Sportler, Musiker, Denker und Institutionen erzählt werden.

LEED in Gold

Das National Museum of African American History and Culture zeichnet sich aber nicht nur durch seine grossteils gelungene Architektur und Landschaftsplanung aus, sondern auch durch sein ökologisches Konzept. Es ist das erste öffentliche Museum, das mit dem LEED-Zertifikat in Gold ausgezeichnet wurde und somit besonders umweltfreundlich ist. Die Baumaterialien müssen entweder rezyklierbar oder aus rezykliertem Material hergestellt sein; den Transportweg zur Baustelle galt es auf 500 Meilen, umgerechnet also rund 800 km, zu begrenzen. Zwei Zisternen sammeln Regenwasser, das zusammen mit dem Grauwasser der Waschbecken für die Gartenbewässerung, die Toiletten­spülung und die Urinale verwendet wird. Über eine Wärmepumpe und einen Erdspeicher wird sommerliche Wärme zum Heizen im Winter zwischengespeichert. Und die Innenräume werden zu 75 % bzw. 50 % mit Tages­licht versorgt. Das grosse Vordach ist begrünt, das Dach des Hauptgebäudes zum Teil mit Photovoltaikmodulen bestückt. Da sich der Rest der zum Kli­matisieren und Heizen des Gebäudes erforderlichen Technik in den Untergeschossen befindet, wirkt die Dachfläche für amerikanische Verhältnisse sehr auf­geräumt – eine gute Entscheidung, denn vom Obelisken des Washington-Denkmals blickt man dem NMAAHC direkt aufs Dach. So zeigt sich das Museum als modernes, unaufdringliches Gebäude, das aussen und innen zu überzeugen vermag und die Washingtoner Mall ­architektonisch wie museal bereichert. Sich ein Ticket zu besorgen lohnt deshalb allemal.

TEC21, Fr., 2018.02.23

23. Februar 2018 Simone Hübener

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