Editorial

Bauen im Bestand ist ein Abenteuer. Die Geschichte eines Hauses soll sichtbar bleiben, seine Nutzung trotzdem ideal an heutige Lebensvorstellungen angepasst werden. ­Planer und Eigentümer kostet es immer wieder Überwindung, in eine Architektursprache einzugreifen, eine neue Schicht hinzuzufügen oder aber einzubinden.

Die Auseinandersetzung mit der Entstehung, der räumlichen Umgebung und vorangegangenen Nutzungen ist nicht nur bereichernde Forschung – vor allem ist sie wünschenswerte Voraussetzung für einen ange­messenen Umgang mit der bestehenden Substanz. Nicht immer lässt sich herausfinden, in welchem Geist ein Haus geschaffen wurde. Es gilt, einen Faden der Geschichte zu erkennen und im Sinn zukünftiger Nutzungen fortzustricken.

Am Beispiel der Sanierung einer Villa am Genfersee lässt sich nachvollziehen, wie Interventionen, die das Nutzungskonzept umkrempeln, so geschickt in den Bestand gefügt wurden, dass sie kaum als solche zu erkennen sind. Zugunsten des historischen Gesamtkonzepts verzichten die Bewohner dabei auf zeitgenössischen Komfort.

Ganz anders der Umgang mit einer Villa in Olten: Hier wurden Schichten abgetragen, die bestehende Grundrissstruktur geöffnet und die Materialsprache des Bestands um starke Farben ergänzt. Dennoch erscheint das Haus von aussen fast unberührt. Die jetzige Form erlaubt eine flexible Nutzung der Räume und weitere Veränderungen über die Zeit hinaus.

Franziska Quandt, Hella Schindel

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Stadtmorphologisches Entwerfen

12 PANORAMA
Prophezeiung | Heraus­ragende Brückenprojekte | Die Idee des Architekten

17 VITRINE
Neues aus der Baubranche | Messevorschau Bau   Energie

18 SIA
Versicherungsbeiträge sparen | SIA-Form Fort- und Weiter­bildung | «Wir wollen, dass der Holzbau eine Standard­bauweise wird»

23 VERANSTALTUNGEN

THEMA
24 ZWISCHEN REKONSTRUKTION UND INTERPRETATION

24 LICHT UND FARBE
Susanna Koeberle
Sie war ein verblasstes Juwel: die Villa Bonaria in Olten aus den 1920er-Jahren. RBA Architekten legten die originale Bausubstanz frei und fügten sanft ihre eigene Handschrift hinzu.

29 VICE VERSA
Sabine von Fischer
Mit einer Neuorientierung zum See schaffte es Charles Pictet, eine Villa in Rolle komplett zu verwandeln. Das Ergebnis ist so gelungen, als wäre es nie anders gewesen.

AUSKLANG
34 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Licht und Farbe

RBA Architekten renovierten in Olten eine stattliche Industriellenvilla aus den 1920er-Jahren und konzentrierten sich dabei auf Interventionen im Innern. Aussen ist von diesen Eingriffen wenig zu sehen. So gelang es ihnen, den Bau in die Gegenwart zu überführen und dabei seine ausdrucksvolle Gestalt zu erhalten.

Das Schöngrundquartier in Olten ist geprägt durch bürgerliche Villen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Die erhöhte Lage am Waldrand mit Sicht auf die Stadt ist reizvoll, was offensichtlich auch Industrielle in den wirtschaftlich blühenden 1920er-Jahren so sahen.

Einzelne der schönen Zeitzeugen in der Gegend fielen Investorenprojekten zum Opfer und mussten gesichtslosen Neubauten weichen. Dass es auch anders geht und wie man mit respektvoller Aufmerksamkeit zur vorgefundenen Bausubstanz ein altes Haus zu neuem Leben erwecken kann, zeigt der Umbau der Villa Bonaria durch RBA Architekten aus Olten. Das Gebäude ist zwar inventarisiert, gehört aber nicht zu den geschützten Bauten.

Gleichwohl arbeiteten die Architekten behutsam mit dem Bestand. «Da die Villa bereits mehrfach renoviert worden war, ging es uns primär um ein Zurückbauen», erklärt der verantwortliche Projektleiter Florian Rickenbacher.

Von aussen hat sich seit der Fertigstellung des Hauses im Jahr 1924 nicht viel verändert. Für die energetische Ertüchtigung analysierten die Architekten zusammen mit einem Bauphysiker den Istzustand und erstellten ein Konzept. Aufgrund der guten Bauqualität konnten sie auf eine zusätzliche Dämmung der Fassade verzichten. Es wurden lediglich Risse behoben und die Oberflächen frisch verputzt. Das Dach musste allerdings komplett neu aufgebaut und nach den heutigen energetischen Anforderungen saniert werden. Ausserdem wurden sämtliche Fenster im Haus ausgetauscht, die Kellerdecke saniert und mit einer Dämmung versehen.

Erweiterter Lebensraum

Wichtig war der Bauherrschaft, einer Familie, die schon seit Längerem im Haus wohnte, ein neuer Zugang zum Garten, der mit dem alten Baumbestand ausgesprochen attraktiv ist. Die Benutzung des Aussenraums scheint vor hundert Jahren nicht von Bedeutung gewesen zu sein, denn es gab bisher keine direkte Verbindung von Haus und Garten. Ursprünglich diente er eher repräsentativen Zwecken und der ungetrübten Aussicht in die Weite. Eine an der Südwestfassade zugefügte Aussentreppe stellt nun den direkten Anschluss vom Esszimmer in den Garten her und integriert ihn so in den Lebensraum der Bewohner.

Die Architekten setzten die Treppe bewusst von der Architektursprache des Altbaus ab. Das schwarze Metall ist geradlinig und fein geformt. So ordnet sich die Treppe optisch dem Erscheinungsbild der Villa unter. An alte Zeiten erinnert hingegen eine an der ­Fassade verbliebene Platte mit dem eingemeisselten Bundesbrief, was den Schluss nahelegt, dass die ersten Bewohner dieses Hauses überzeugte Eidgenossen waren. Heute mag man über den patriotischen Inhalt schmunzeln, baugeschichtlich gesehen sind solche ­Relikte durchaus interessant.

Dialog zwischen Alt und Neu

Das genaue Studium der alten Pläne war den Architekten insofern wichtig, als das Haus bereits verschiedentlich Renovationen unterzogen worden war. So ist es beispielsweise bis heute unklar, ob es früher im gedeckten Vorbau zwei Hauseingänge gegeben hat. Vor dem Umbau durch RBA Architekten war das Haus nämlich in zwei Wohnparteien getrennt. Der Windfang war damals ein halböffentlicher Raum, den beide Parteien gemeinsam nutzten. Eine wichtige Aufgabe des Umbaus war es, diese Zweiteilung aufzuheben und den Raumfluss wiederherzustellen. Das Treppenhaus ist gemessen an der Grösse des Hauses relativ schmal. Deswegen entschieden sich die Architekten dafür, den Raum im Eingangsbereich aufzubrechen und so ein grosszügiges Entree im Erdgeschoss zu schaffen. Die Bodenschwellen wurden belassen, um den Eingriff sichtbar zu machen. Das geöffnete Entree führt weiter in die Küche. In den anschliessenden Räumen befinden sich ein grosszügiger Doppelsalon sowie ein Kinder- und ein Gästezimmer, Gäste-WC und Dusche.

Die Architekten wollten beim Umbau die ­Qualität der vorgefundenen, alten Bausubstanz unterstreichen. Die Spuren des Originals sollten nicht ­verwischt werden, vielmehr ging es um eine Auf­frischung des Bestands und das Zufügen in einer ­eindeutig gegenwärtigen Architektursprache von ebenbürtiger Qualität. Alt und Neu sollten auf eine selbstverständliche Art koexistieren können. Dabei wandten die Architekten auch räumliche Tricks an wie etwa im Flur, wo sie eine Hohlkehle zwischen Wand und Decke anbrachten. In historischen Bauten ist diese ­Übergangsform zwischen Wand und Decke häufig anzutreffen, vor allem in barocken Gebäuden. Licht und Schatten gehen fliessend ineinander über, sodass die Räume höher erscheinen. Auch die Öffnungen für die eingebauten Lichter an der Decke stülpen sich gerundet zur Lichtquelle. Beide Eingriffe verweisen subtil auf die frühere Stuckatur, die in Häusern dieser Zeit häufig anzutreffen ist.

Mit der Auflösung der beiden Wohnparteien ergab sich auch im Obergeschoss die Möglichkeit einer Öffnung des Treppenhauses. Hier wurde eine frühere Küche halb aufgebrochen, sie dient nun als zur Treppe und zum Flur offener Bereich. Dieser Raum hat einen direkten Zugang zur hinteren Terrasse, die über dem Erker des Erdgeschosses liegt. Durch die neuen Blick­achsen und das Öffnen zur vertikalen Erschliessung wandert das Tageslicht von allen Seiten durch das Haus. Die gewonnene Grosszügigkeit entspricht den heutigen Bedürfnissen nach einem Lebensraum, in dem einzelnen ­Räumen keine eindeutigen Nutzungen zugeordnet sind.

Farbige Zeichen der Erneuerung

Abgesehen von Wohnzimmer und Flur heben sich alle Räume durch farbige Wände vom Bestand ab. Bei den kleinen Bädern dominieren starke Farbtöne wie Dunkelrot oder Waldgrün, die der Schlafzimmer sind dezenter gehalten. Farbe bildet auch im Treppenhaus ein wichtiges Gestaltungselement: Das textile Band auf halber Höhe wurde belassen, die Tapeten entfernt. Ein heller, pudriger Ton verleiht dem Treppenhaus eine freundliche Ausstrahlung. Und auch im neu gestalteten, offenen Entree im Obergeschoss wurde die Rückwand des Raums mit einem dunkelblauen Farbton hervorgehoben. Im Zusammenspiel mit den aufgebrochenen Wänden im Eingangsbereich enstehen so deutliche Spuren der Sanierung. Im Kontrast zu diesen Spuren stehen die zwei hölzernen «Raucherstübli», auf die man in beiden Wohngeschossen stösst. Sie wurden im Originalzustand belassen. Hier überdauert der solide helvetische Geist die Zeit, während der Rest des Hauses luftig und frisch wirkt.

Das Dachgeschoss schliesslich, in dem sich früher die «chambres de bonne» befanden, renovierten RBA Architekten mit minimalem Aufwand. Hier oben könnte später durchaus weiter gebaut werden, auch der darüber liegende Estrich birgt Potenzial.

Dass Wände sich wandeln, weiterwachsen und neue Phasen der Bewohner miterleben, ist das Besondere an alten Häusern. Mit einer Mischung aus Respekt, Offenheit und Erfindungsgeist, die es für eine solche Bauaufgabe braucht, ist Florian Rickenbacher der Villa Bonaria begegnet und hat auf diese Weise ein charaktervolles Wohnhaus geschaffen, das weiterhin noch genügend Möglichkeiten für zukünftige Veränderungen bietet.

TEC21, Fr., 2017.09.15

15. September 2017 Susanna Koeberle

Vice versa

Bei der Sanierung einer Villa aus dem 19. Jahrhundert am Genfersee arbeitete Charles Pictet fast lautlos und interpretierte dabei vieles neu: Die Eingriffe fügen sich in den Bestand und ergeben ein stimmiges Bild.

Viele Teile habe er kopiert, manche sogar erfunden, ausser der Patina. Diese legt sich nun sacht über das von Charles Pictet rückgebaute und restaurierte Haus aus dem 19. Jahrhundert, dessen früheres Erscheinungsbild er im Verlauf des Umbaus vielerorts frei interpretierte. Wenn sich dann einmal eine weitere Schicht über das Haus an der malerischen Hafenpromenade am Genfersee ­gelegt hat, wird vielleicht niemand mehr feststellen können, aus welchem Jahrhundert die verschiedenen Bauteile stammen – so detailgetreu haben die Architekten das 19. Jahrhundert interpretiert.

Die Logik der Renovation war es, ein neues ­Ganzes aus den verbliebenen Fragmenten aus dem 19. und verschiedenen Eingriffen aus dem 20. Jahrhundert zu schaffen. Knapp zwei Jahre sind seit dem Abschluss der Bauarbeiten vergangen. Das Haus zählt die Zeit nicht, sondern lässt ihre Konturen verwischen: Was neu und was alt ist, erschliesst sich teilweise erst auf den zweiten Blick und in vielen Fällen gar nicht. Im 19. Jahrhundert waren z. B. die gerundeten, originalen Tür- und Fenstergriffe, die hier wieder eingebaut sind, auf kleinere Handflächen zugeschnitten, als dies heute üblich ist. Und trotzdem schmiegen sie sich auch im 21. Jahrhundert selbstverständlich in die Berührung – wie das ganze Haus. Die Messinggriffe waren alle erhalten, vieles andere der originalen Bausubstanz nicht. Auch die Baupläne des ursprünglichen Hauses, das auf dem Waadtländischen Katasterplan mit 1850 datiert ist, sind im Lauf der Zeit verloren gegangen, sodass sich die Architekten beim Umbau nicht darauf beziehen konnten.

Neuorientierung durch 180°-Drehung

Das stimmige Gebäudeensemble, heute bestehend aus dem sanierten Haupthaus und einem neu interpretierten Gartenhaus, wurde im Zuge dieser Renovation in eine neue Ordnung gebracht.

Der grundlegendste Eingriff in die Typologie des Hauses war es, die zum Wasser gelegene Rückseite zur eigentlichen Eingangsseite umzudeuten. Die spiegelsymmetrischen Grundrisse um eine zentrale Treppe ermöglichen diesen raffinierten Schachzug, ohne den Charakter der Villa zu schmälern. Der Eingang liegt nun auf der Gartenseite und – entsprechend dem abfallenden Gelände – eine Etage tiefer als zuvor, im neu freigelegten Gartengeschoss.

Mit der Zuwendung zur Öffentlichkeit erhält auch der Garten eine neue Gestalt. Der See ist inzwischen nicht mehr ein von einzelnen Fischerbooten durchzogenes Landschaftsbild, sondern – durch die touristische Prägung – zu einer lebendigen Umgebung geworden. So spiegelt die neue Ausrichtung auch die neue Bewertung des Seeufers als Erholungszone, in der Fischerei und Gewerbe nur noch eine marginale Rolle spielen. Das macht die Verlegung des Zugangs im Bezug auf die räumliche Einbettung glaubwürdig. An der Hafenseite des Grundstücks, vor 150 Jahren der wenig repräsentative Teil, entstand der neue Eingang. Eine Garage mit Giebeldach, die früher wie ein Pavillon zwischen Haus und See lag, ist einem sichtbar zeitgenössischen Gartenhaus gewichen, das ein Portal bildet. Es beherbergt funktionale Bereiche wie die Eingangstreppe und den Fahrzeugunterstand. Das Garagendach ist gleichzeitig die Aussichtsterrasse, von der sich der Genfersee überblicken lässt.

Ein fast über die gesamte Grundstücksbreite messender Betonbalken markiert die Vorderkante der neuen Terrasse. Er nimmt das Spitzbogenornament der hölzernen Balkonbrüstungen des Haupthauses in einem Relief auf. Dieses Motiv wirkt, obwohl in Beton gegossen, keineswegs modern, sondern unterstreicht im synthetischen Geist des Hauses den Gesamt­eindruck, der ganz dem Erbe des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist.

Die Ankommenden durchschreiten das Gartenhaus auf dem Weg zum Haupthaus, dessen Hof­fassade zur neuen Schaufassade geworden ist. Der Zugang in die Villa befindet sich hier in der vorgelagerten transparenten Schicht, der Veranda, mit der sich der ehemalige Keller zum Garten öffnet. Statt der engen Eingangssituation, wie sie von der Strassenseite eine Etage höher gegeben ist, führt jetzt eine grosszügige Halle zur ­Treppe, die zu diesem Zweck hinunter ins neue Zugangsgeschoss verlängert wurde. Sie bildet weiterhin den Dreh- und Angelpunkt des internen Wegnetzes. Im anschliessenden Geschoss belegen Küche, Esszimmer, Salon und Büro unverändert die vier Quadranten. Enthoben von seiner Funktion als Entree stimmt nun die Proportion des schmalen Flurs. Mit ebensolcher Selbstverständlichkeit gruppieren sich in den Obergeschossen Schlafräume und Bäder um das Halbrund der prominenten Treppe.
Intervention, Integration, Interpretation

Charles Pictet spricht von der Stimmung und nicht von den handwerklichen Techniken, wenn es darum geht, die Interventionen im Sinn eines analogen Eingriffs zu erläutern. So gibt es auch keine Trennung zwischen Rückbau, Restaurierung und Interpretation. Die Ve­randa im Gartengeschoss des Haupthauses, die aussieht, als sei sie schon immer dagewesen, ist mit einer neuen Verglasung geschlossen worden, deren durch die Mundblastechnik unregelmässig dichten ­Zylinderstreckgläser aufs Sorgfältigste in die dunkelgrüne Holzfassung eingekittet sind.[1] Die Farbe bildet ein Gegengewicht zum Rot der oberen Geschosse und steht im Dialog mit dem wassergrün getönten Kalkabrieb an der inneren Fassade. Wo 1850 noch Erdreich und 1960 eine weisse Betonkellerwand stand, präsentieren sich heute bis in die Details der Sandkörner und Farbpigmente wohnliche Räume im Sinn des 19. Jahrhunderts.

Die fehlenden Angaben zur originalen Bausubstanz machten das Restaurieren genau wie das Zurückführen in einen angenommenen originalen Zustand zu einem Prozess der Interpretation dessen, was hier hätte gewesen sein können. Zum Beispiel hätte es bereits ursprünglich die drei Dachgauben geben können, die nun die Transformation des Dachgeschosses in ein Wohngeschoss abbilden. Auch die Vorfenster, wie sie nun auf der ehemaligen Zugangsseite im Norden aufgesetzt sind, wurden nachträglich ergänzt. Mate­rial und Konstruktion sind dem 19. Jahrhundert nachempfunden. So hält die zweischichtige Fassade den Motorenlärm, der heutzutage statt des Kutschengeklappers hereinklingt, ein wenig auf Abstand.

Zwei neue Wohnebenen fügen sich ein

Die jetzige dreigeschossige Erscheinung des Gesamt­volumens verändert die Proportionen des Hauses. Bereits in den 1950er-Jahren wurde der Garten um mehr als ein halbes Geschoss abgegraben und das Haus so unterhöhlt, dass statt des Hohlraums für Leitungen und Unterlüftung auf der Ebene des Gartens neue Räume unter dem zweigeschossigen Holzhaus entstanden. ­Diesen Eingriff haben Charles Pictet Architekten zurückgebaut, um ihn anschliessend massiv zu erweitern: Dazu wurden im Innern viele Kubikmeter Beton und die Betonfertigelemente der Treppe entfernt. Die Untergrabung wurde zu einem vollwertigen Geschoss auf­gewertet, das nach oben hin mit den belassenen, nur mit einem Anstrich erneuerten Holzbrettern der Deckenverkleidung abgeschliesst.

Das strassenseitige Eingangsgeschoss wurde so auf der Seeseite durch eine neue Treppe mit dem Gartengeschoss verbunden. Im Innern führt das Halb­rund des alten Treppenauges heute bis hinunter zum Gartenniveau. Die Balkonschicht erweitert sich mit einer von den ornamentalen Holzgeländern inspirierten Leichtigkeit in den Garten.

Suffizienz statt Effizienz: ein Haus mit Jahreszeiten

Das klimatische Konzept folgt der Logik des 19. Jahrhunderts: Im Winter müssen die Bewohner einen Pull-over mehr anziehen, im Sommer die Fenster öffnen und querlüften – so entspricht es ihrer Vorstellung vom Umgang mit den Jahreszeiten und von einer dem Haus angemessenen Lebensform. Geheizt wird hier konventionell, als Ersatz für die Kohleheizung, die bis zu dieser umfassenden Renovation in Betrieb war. Saisonale Temperaturunterschiede und eine Geräuschkulisse von aussen nehmen Bauherrschaft wie Architekt auch nach der aufwendigen Renovation gern als Teil der ­Stimmung in Kauf. Das Einfügen eines zukunftsorientierten Energiesystems betrachtet Charles Pictet in diesem Fall als unangemessen. Das Herstellen einer dichten Gebäudehülle hätte so viele Veränderungen mit sich gebracht, dass der luftige Charakter des Hauses darunter erstickt wäre. So hat er das auf niedrigerem Level in sich schlüssige System optimiert und zum ­Status quo erklärt. Da das Haus nicht sehr grossräumig ist, lassen sich einzelne Bereiche dem jeweils gewünschten Klima leicht anpassen.

Insgesamt bildet die Villa ein stimmiges Ganzes – fein geknüpft wie ein Teppich, in dem jeder Faden, egal aus welchem Jahrhundert oder Material er sei, mit der gleichen Liebe ins Geflecht eingefügt ist.


Anmerkung:
[01] Hans Reiner Meindl: Mundgeblasene Flachgläser (Zylinderglas) – Vielfalt und Anwendung im Denkmalbereich. In: B. Weller, S. Horn (Hrsg.) Denkmal und Energie 2016. Springer Vieweg, Wiesbaden, ISBN: 978-3-658-11983-6_3

TEC21, Fr., 2017.09.15

15. September 2017 Sabine von Fischer

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