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04. Juli 2022Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Design ist politisch, sagt Lilli Hollein – und fordert zum Tanz auf

Für die neue Direktorin des Museums für angewandte Kunst in Wien ist Design prägender Bestandteil unseres Alltags. Damit will sie die altehrwürdige Institution beleben und diverser gestalten.

Für die neue Direktorin des Museums für angewandte Kunst in Wien ist Design prägender Bestandteil unseres Alltags. Damit will sie die altehrwürdige Institution beleben und diverser gestalten.

Wenn Lilli Hollein über die Spitzen aus der Sammlung der jüdischen Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim (1859–1936) spricht, erscheint dieses vermeintlich biedere und altmodische Objekt plötzlich in einem ganz neuen Licht. Lilli Hollein liest Spitzen durch die Augen einer faszinierenden Frauenfigur und spinnt so eine neue Erzählung über diese uralte Kulturtechnik. Seit letztem September sichtet sie als neue Direktorin des Museums für angewandte Kunst (MAK) in Wien solche Artefakte in dem riesigen Fundus einer während über 150 Jahren gewachsenen Sammlung.

Diese Sammlung umfasst Kunstschätze vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Da gibt es Kunsthandwerk und Design, Grafik und Mode, Glas und Mobiliar, aber auch Kunst und Architektur – oder anders gesagt: Dieses Museum repräsentiert die ganze materielle Vielfalt, die unsere Lebenswelt ausmacht. Dazu gehört sogar ein so vergessenes Nischenthema wie Spitzen. Und eben selbst für Spitzen-Design kann sich Lilli Hollein begeistern.

Ihre Art, über Design zu reden, ist sehr zugänglich. Man spürt ihre Fähigkeit, Objekte durch Geschichten zu neuem Leben zu erwecken. Damit schafft sie es nicht nur, frische Blicke auf alte Gegenstände zu werfen, sondern fördert zugleich die Bildung von neuen Synapsen. Genau dieses Verknüpfende ist für die MAK-Generaldirektorin, so ihr offizieller Titel, ein wichtiges Merkmal von Design: «Design ist eine Disziplin, die viele an einem Tisch versammelt.»

Kind einer Künstlerfamilie

Und Lilli Hollein hat recht: Design sitzt an der Schnittstelle zu vielen anderen Disziplinen und ebenso zum Alltag. Es hält mehrere Werkzeuge in der Hand, kann «wichtige Fragen unseres Zusammenlebens formulieren», wie sie es ausdrückt. Dieser panoptische Zugang kommt nicht von ungefähr. Aufgewachsen in einer Künstlerfamilie wurde sie schon im Kindesalter für einen umfassenden Kulturbegriff sensibilisiert. Ihr Vater war der Architekt, Designer, Ausstellungsgestalter und Architekturtheoretiker Hans Hollein (1934–2014). Ein Vielarbeiter, der nach dem Nachtessen oft nochmals ins Büro ging.

«Unsere Eltern boten meinem Bruder und mir einen Nährboden, um einen Sinn für Kultur und Kreativität zu entwickeln. Wir haben viele Reisen unternommen. Das erweiterte meine Sicht auf die Welt und gab mir ein wertvolles Rüstzeug. Wir wurden familiär mit vielen Möglichkeiten ausgestattet. Die Voraussetzungen, sie zu nutzen, muss man aber selber schaffen», erzählt Lilli Hollein.

Prinzipiell glaube sie, dass Kreativität unser aller Überlebenschance ist für das, was uns in Zukunft erwarte. Was ein kreativer Prozess bedeutet, lernte sie durch ihre Ausbildung zur Produktdesignerin an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Dennoch entschied sie sich schon kurz nach dem Studium, den Weg in die Vermittlung einzuschlagen. Zusammen mit Tulga Beyerle und Thomas Geisler gründete sie 2007 die Vienna Design Week, ein Festival, das die gesellschaftliche Rolle von Design betont.

Nach dem Abgang von Beyerle und Geisler leitete Hollein das Festival über viele Jahre weiter. 2021 gab sie den Stab an die jüngere Generation weiter. Die Zeit war reif für den Schritt ins Museum. Die Verflechtung von Publikum, Festival, Stadt und Museum will sie nun aber auch im MAK umsetzen.

Das Museum öffnen

Das Museum in den Stadtraum hinein zu öffnen, ist eines der Kernanliegen. Überhaupt geht es ihr um Öffnung. Nicht nur soll die prächtige Säulenhalle des MAK öffentlich betretbar werden, ohne Ticket. Auch das frühere Direktionsbüro im ersten Stockwerk räumte sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit. Hier finden nun Ausstellungen, Events und Vermittlungsaktivitäten statt.

Solche Willkommenssignale an das Publikum sind charakteristisch für ihre Visionen. Angesprochen fühlen soll sich ein möglichst diverses Publikum. Schliesslich, so Hollein, sei ja auch unsere Gesellschaft charakterisiert durch Widersprüche und Vielfalt. Design finde eben nicht im hermetisch abgeschlossenen Raum der Happy Few statt, sondern sei prägender Bestandteil unseres Alltags. «Design hat eine Moderatorenfunktion, es gestaltet gesellschaftliche Prozesse ebenso wie Produkte und Sehnsüchte. Dieser Verantwortung muss man mit Haltung, Mut und Innovation begegnen. Das MAK soll für herausragende Gestaltung und für die Verantwortung von Kunst und Design für eine nachhaltige, positive Zukunft unserer Gesellschaft stehen.»

Und auch, was die Ausstellungsinhalte betrifft, steht Diversität an oberster Stelle. Zum einen will Hollein zusammen mit dem Kustodinnenteam des MAK die Sammlung neu vermitteln. Es gehe heute in der Museumsarbeit verstärkt darum, komplexen Themen wie Kolonialismus oder Provenienzforschung gerecht zu werden und diese entsprechend transparent und zugänglich zu kommunizieren.

Hollein möchte zudem dem eurozentrischen Blick neue Perspektiven entgegensetzen. Der Austausch mit anderen Designkulturen und Museen ist für sie ein wichtiges Instrument diesbezüglich. Und bei allem Respekt vor der Geschichte: Die Gegenwart in die Mitte des Hauses zu holen, ist ihr ein ebenso zentrales Anliegen. Das Designlabor im unteren Stockwerk etwa ist eine Wunderkammer. Hier werden neue Materialien und experimentelle Entwürfe präsentiert, die den Weg in eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft weisen.

Eine grosse Ausstellung, die im Dezember 2022 eröffnet wird, widmet sich dem Fest – ein dankbares Feld, um zu illustrieren, dass Pop-Kultur und Politik ebenso zu Design gehören. «Das Thema Fest verdeutlicht auf ideale Weise, was mir wichtig ist. Wir können damit zeigen, dass sich unsere Sammlung vom Mittelalter bis in die Gegenwart und auch die Zukunft spannt. Und es ist etwas, das uns alle betrifft; mit irgendeiner Art von Feierlichkeit wird jeder Mensch konfrontiert.»

Zugleich sei das Thema ungeheuer politisch: «Das Fest war schon immer ein Instrument der Avantgarde, um etwas auszuprobieren. Man denke etwa an den Maskenball, der Standesunterschiede verwischte oder bei dem man Geschlechterrollen tauschen konnte», erklärt Lilli Hollein. Die Vielfalt von Design ist nicht zu unterschätzen. Wir wären nicht erstaunt, wenn das Publikum im MAK demnächst zum Tanz aufgefordert würde.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2022.07.04

22. September 2021Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Landschaft sei Natur, so glauben wir. Georges Descombes gewinnt ihr viel mehr ab

Der Genfer Landschaftsgestalter arbeitet sogar mit Schockmomenten, um die Wahrnehmung der Umwelt zu intensivieren.

Der Genfer Landschaftsgestalter arbeitet sogar mit Schockmomenten, um die Wahrnehmung der Umwelt zu intensivieren.

Was ist eine Landschaft? Die meisten Menschen haben eine Antwort darauf: Landschaft ist Natur. Was Natur sei, meinen wir ebenfalls zu wissen. Genau diese Form der Zuweisung und Definition ist allerdings Teil eines Problems, vor dem wir heute nicht mehr die Augen verschliessen können.

Die Idee von Natur ist eine Konstruktion – beziehungsweise eine Erfindung des Abendlandes. Denn Landschaften sind stets Teil einer permanenten Transformation, an der auch der Mensch beteiligt ist. Auch im negativen Sinne, wenn man bedenkt, dass unsere Zivilisation die Erde als unbelebte Materie versteht; als unerschöpflichen Pool an Ressourcen, bei dem sich die menschliche Spezies einfach bedienen kann.

Mehr als Kosmetik

Natur und Kultur, natürlich und künstlich als gegensätzlich zu verstehen, schafft eine problematische Trennung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Die Folgen dieses Missverständnisses sind nicht zuletzt der Klimawandel, der Rückgang der Artenvielfalt oder die Verschmutzung von Naturräumen und Städten, um nur grob zusammenzufassen. Genauer betrachtet lässt sich diese Trennung nicht aufrechterhalten, wir leben ja schliesslich alle auf dieser einen Erde und sind Teil eines Systems von Prozessen. Wir sind eben nicht bloss Zuschauer.

Dieses Weltbild zu verstehen, ist das eine, das andere ist, es zu verändern. Beides interessiert den Landschaftsarchitekten Georges Descombes (* 1939), eine bescheiden wirkende Persönlichkeit mit einer wunderbaren Ausstrahlung und Präsenz. Doch schon die Bezeichnung Landschaftsarchitekt macht ihn stutzig. Er mag Architektur und Landschaftsarchitektur nicht unterscheiden. Und beim französischen Begriff «paysagiste» müsse er an «visagiste» denken, sagt er im Gespräch.

Kosmetische Eingriffe in die Landschaft sind nicht das, was Descombes mit seiner Arbeit erreichen will. Er würde sich auch niemals herausnehmen, Landschaft «machen» zu wollen. Landschaft sei das, was da sei. Man könne in und mit diesem Territorium arbeiten, aber es sei quasi unmöglich, Landschaft als solche zu verstehen, findet er. Descombes benutzt lieber das Wort «Garten». Es ist auch das Wort, das er für eines seiner grössten Projekte verwendet, die Renaturierung – wobei er die Bezeichnung Restaurierung vorzieht – des Flusses Aire bei Genf.

Ein Flussgarten als Palimpsest

Descombes nennt seine Arbeit einen Flussgarten («jardinrivière», in einem Wort). An diesem Unterfangen arbeitet er seit 2001 in Etappen, 2022 soll das Projekt abgeschlossen sein. Der zeitliche Aspekt ist dabei nicht unwesentlich, denn für Georges Descombes gleicht Landschaft einem Palimpsest, einem zeitlich geschichteten Terrain, dessen Veränderung er durch seine Eingriffe erfahrbar machen möchte. Der Begriff der Erfahrung ist zentral, wenn man die Arbeit dieses Mannes verstehen möchte. Wenn wir in der Landschaft sind, etwa bei einer Wanderung, dann neigen wir dazu, sie von aussen zu betrachten, als etwas Idyllisches und Liebliches.

Wir sind da, und die Natur ist dort, draussen, es entsteht keine wirkliche Interaktion oder Emotion. Um diese Emotionen hervorzurufen, arbeitet Descombes mit dem Mittel des Schocks, mit Gegensätzen und Dissonanzen. Das mag zunächst erstaunen. Wieso Schock? Erst beim Spaziergang entlang der Aire, als wir uns an einem schattigen Tisch niederlassen und Descombes, auf einem Zeichenblock skizzierend, den Entwurf seines Flussgartens erläutert, beginnen wir zu verstehen.

Interessanterweise ist wenig die Rede von Pflanzen oder überhaupt von «Natur», sondern viel mehr von Anthropologie, Literatur, Psychologie, Film und Kunst. Descombes ist ein Denker, ein Landschaftsphilosoph, der seine Gedanken auch gerne schriftlich festhält und dabei stets seine Inspirationsquellen nennt. Gedanklicher Austausch und Vernetzung sind ihm wichtig, er sieht sich nicht als Einzelschöpfer. Wir sprechen etwa über den französischen Anthropologen Philippe Descola oder über die belgische Philosophin Isabelle Stengers, mit denen er seine Haltung teilt. Sein Buch «Laisser faire la rivière» gibt einen vertieften Einblick in seine Gedankenwelt, die auch die Basis für das Aire-Projekt bildet.

Kanal und Fluss als Doppelgänger

Ausgangspunkt dafür war ein Studienauftrag des Kantons Genf zur Renaturierung des Flusses. Descombes und sein Team, die unter dem Namen «Superpositions» operieren, schlugen etwas Ungewöhnliches vor: Descombes hatte die Idee, statt eben zu renaturieren und den zum Schutz vor Überschwemmungen in den 1920er Jahren erbauten Kanal zu zerstören, eine Art Verdoppelung des Flusslaufes vorzunehmen: Er konnte so die bestehende Kanalisierung erhalten und neu gestalten und gleichzeitig daneben den natürlichen Flusslauf wieder ermöglichen. Er erschuf, wie Elissa Rosenberg in ihrem Aufsatz «Kanal und Fluss» ausführt, einen Doppelgänger.

Dadurch macht der Landschaftsarchitekt zum einen die Geschichte der Zähmung des ehemals mäandrierenden Wasserlaufs sichtbar, zum anderen lässt er eine kontrollierte Verwilderung zu; er lässt dort eben den Fluss die Arbeit machen. Durch das Schaffen einer Promenade entlang des Kanals und die Gestaltung des Zwischenstücks entsteht zudem ein öffentlicher Raum mit Aufenthaltszonen. Dieser Aspekt ist für Descombes essenziell. Denn erst durch die Nutzung kann so etwas wie eine Beziehung des Menschen zur Natur entstehen. Erst die Spannung zwischen den Figuren Fluss und Kanal erzeugt die Möglichkeit eines Erfahrungsraumes.

Ein Schock für die Sinne

Und tatsächlich: Entlang des Flussgartens schärft man seine Sinne. Je nach Standort hört man das Rauschen anders, sieht man andere Tiere, strömen der Besucherin unterschiedliche Düfte von Pflanzen entgegen. Descombes’ Garten mit dem unterschiedlich gegliederten Gelände bietet eine Vielzahl an Erfahrungen. Einzelne Zonen beim Kanalteil sind aus Beton. Ich steige ein paar Stufen hinunter, setze mich auf eine Plattform ganz nahe beim Fluss und befinde mich quasi in einem anderen Raum. Die multisensorische Wirkung dieses Ortes ist verblüffend.

Der Einsatz dieses eher im urbanen Umfeld bekannten Materials gehört zum Konzept des Schocks. Die hybride Form der Gestaltung schafft eine alternative Kartografie dieses Ortes. Wir sind kaum erstaunt, als wir erfahren, dass Descombes dieses Territorium seit seiner Kindheit kennt. Gerade diese Vertrautheit ist spürbar in dieser Arbeit: in der Empathie gegenüber dem Fluss, aber auch in der Bestimmtheit und Radikalität, mit welcher der Landschaftsgärtner diesen Raum liest und interpretiert.

Descombes zitiert in diesem Zusammenhang einen Satz des Historikers Carlo Ginzburg: «Die Spuren lesen, bevor man schreibt.» Er hätte ebenso gut Walter Benjamins Diktum «Was nie geschrieben wurde, lesen» nennen können. Diese paradoxe Figur prägt das Gesamtwerk des Genfers, der mehrere Jahre unter anderem in den USA gelehrt hat und bis heute an internationalen Projekten arbeitet. Der Flussgarten ist für ihn ein Laboratorium unter offenem Himmel, ein Ort des Experimentierens. Mit seiner Arbeit trägt Georges Descombes dazu bei, unseren Lebensraum mit wacheren Augen wahrzunehmen, ihn neu zu entdecken. Er verändert damit die Welt.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2021.09.22

27. Oktober 2020Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Architektin Tatiana Bilbao: «In Mexiko arbeiten wir mit dem Minimum, daraus entsteht das Maximum»

Tatiana Bilbao arbeitet an internationalen Prestigeprojekten – und an Behausungen für die Ärmsten in ihrer Heimat Mexiko.

Tatiana Bilbao arbeitet an internationalen Prestigeprojekten – und an Behausungen für die Ärmsten in ihrer Heimat Mexiko.

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26. März 2020Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Ein Baum ist ein Archiv von Ereignissen. Und zeigt den Designern auch die Zukunft

Zwei Designforscher haben ihre Ausstellung in den Serpentine Galleries in London dem Holz gewidmet und mit so viel digitalem Material hinterlegt, dass die Inhalte zugänglich bleiben: «Cambio» ist zurzeit ein Online-Projekt.

Zwei Designforscher haben ihre Ausstellung in den Serpentine Galleries in London dem Holz gewidmet und mit so viel digitalem Material hinterlegt, dass die Inhalte zugänglich bleiben: «Cambio» ist zurzeit ein Online-Projekt.

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07. November 2019Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Sensoren und Prothesen am Design Preis Schweiz: Ein Stuhl will zum Körperteil werden

Schwerelosigkeit, vereinfachte Kommunikation und sogar Glück versprechen die in Langenthal preisgekrönten Designobjekte. Viele von ihnen wurden interdisziplinär entwickelt, der Limbic Chair sogar von einem Arzt.

Schwerelosigkeit, vereinfachte Kommunikation und sogar Glück versprechen die in Langenthal preisgekrönten Designobjekte. Viele von ihnen wurden interdisziplinär entwickelt, der Limbic Chair sogar von einem Arzt.

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20. April 2018Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Design macht vielleicht das Leben schön – aber es gefährdet die Welt

Bereits in den 1970ern warnte Victor Papanek vor Produkten, die auf Kosten der Umwelt im Überfluss hergestellt werden. Jetzt wird der Design-Philosoph von Gestaltern und Kuratoren neu entdeckt.

Bereits in den 1970ern warnte Victor Papanek vor Produkten, die auf Kosten der Umwelt im Überfluss hergestellt werden. Jetzt wird der Design-Philosoph von Gestaltern und Kuratoren neu entdeckt.

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23. Oktober 2017Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Architekten kämpfen in Mexiko um die alte Bausubstanz

Nach den Erdbeben werden viele beschädigte Gebäude abgerissen, dabei liesse sich das kulturelle Erbe bewahren.

Nach den Erdbeben werden viele beschädigte Gebäude abgerissen, dabei liesse sich das kulturelle Erbe bewahren.

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15. September 2017Susanna Koeberle
TEC21

Licht und Farbe

RBA Architekten renovierten in Olten eine stattliche Industriellenvilla aus den 1920er-Jahren und konzentrierten sich dabei auf Interventionen im Innern. Aussen ist von diesen Eingriffen wenig zu sehen. So gelang es ihnen, den Bau in die Gegenwart zu überführen und dabei seine ausdrucksvolle Gestalt zu erhalten.

RBA Architekten renovierten in Olten eine stattliche Industriellenvilla aus den 1920er-Jahren und konzentrierten sich dabei auf Interventionen im Innern. Aussen ist von diesen Eingriffen wenig zu sehen. So gelang es ihnen, den Bau in die Gegenwart zu überführen und dabei seine ausdrucksvolle Gestalt zu erhalten.

Das Schöngrundquartier in Olten ist geprägt durch bürgerliche Villen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Die erhöhte Lage am Waldrand mit Sicht auf die Stadt ist reizvoll, was offensichtlich auch Industrielle in den wirtschaftlich blühenden 1920er-Jahren so sahen.

Einzelne der schönen Zeitzeugen in der Gegend fielen Investorenprojekten zum Opfer und mussten gesichtslosen Neubauten weichen. Dass es auch anders geht und wie man mit respektvoller Aufmerksamkeit zur vorgefundenen Bausubstanz ein altes Haus zu neuem Leben erwecken kann, zeigt der Umbau der Villa Bonaria durch RBA Architekten aus Olten. Das Gebäude ist zwar inventarisiert, gehört aber nicht zu den geschützten Bauten.

Gleichwohl arbeiteten die Architekten behutsam mit dem Bestand. «Da die Villa bereits mehrfach renoviert worden war, ging es uns primär um ein Zurückbauen», erklärt der verantwortliche Projektleiter Florian Rickenbacher.

Von aussen hat sich seit der Fertigstellung des Hauses im Jahr 1924 nicht viel verändert. Für die energetische Ertüchtigung analysierten die Architekten zusammen mit einem Bauphysiker den Istzustand und erstellten ein Konzept. Aufgrund der guten Bauqualität konnten sie auf eine zusätzliche Dämmung der Fassade verzichten. Es wurden lediglich Risse behoben und die Oberflächen frisch verputzt. Das Dach musste allerdings komplett neu aufgebaut und nach den heutigen energetischen Anforderungen saniert werden. Ausserdem wurden sämtliche Fenster im Haus ausgetauscht, die Kellerdecke saniert und mit einer Dämmung versehen.

Erweiterter Lebensraum

Wichtig war der Bauherrschaft, einer Familie, die schon seit Längerem im Haus wohnte, ein neuer Zugang zum Garten, der mit dem alten Baumbestand ausgesprochen attraktiv ist. Die Benutzung des Aussenraums scheint vor hundert Jahren nicht von Bedeutung gewesen zu sein, denn es gab bisher keine direkte Verbindung von Haus und Garten. Ursprünglich diente er eher repräsentativen Zwecken und der ungetrübten Aussicht in die Weite. Eine an der Südwestfassade zugefügte Aussentreppe stellt nun den direkten Anschluss vom Esszimmer in den Garten her und integriert ihn so in den Lebensraum der Bewohner.

Die Architekten setzten die Treppe bewusst von der Architektursprache des Altbaus ab. Das schwarze Metall ist geradlinig und fein geformt. So ordnet sich die Treppe optisch dem Erscheinungsbild der Villa unter. An alte Zeiten erinnert hingegen eine an der ­Fassade verbliebene Platte mit dem eingemeisselten Bundesbrief, was den Schluss nahelegt, dass die ersten Bewohner dieses Hauses überzeugte Eidgenossen waren. Heute mag man über den patriotischen Inhalt schmunzeln, baugeschichtlich gesehen sind solche ­Relikte durchaus interessant.

Dialog zwischen Alt und Neu

Das genaue Studium der alten Pläne war den Architekten insofern wichtig, als das Haus bereits verschiedentlich Renovationen unterzogen worden war. So ist es beispielsweise bis heute unklar, ob es früher im gedeckten Vorbau zwei Hauseingänge gegeben hat. Vor dem Umbau durch RBA Architekten war das Haus nämlich in zwei Wohnparteien getrennt. Der Windfang war damals ein halböffentlicher Raum, den beide Parteien gemeinsam nutzten. Eine wichtige Aufgabe des Umbaus war es, diese Zweiteilung aufzuheben und den Raumfluss wiederherzustellen. Das Treppenhaus ist gemessen an der Grösse des Hauses relativ schmal. Deswegen entschieden sich die Architekten dafür, den Raum im Eingangsbereich aufzubrechen und so ein grosszügiges Entree im Erdgeschoss zu schaffen. Die Bodenschwellen wurden belassen, um den Eingriff sichtbar zu machen. Das geöffnete Entree führt weiter in die Küche. In den anschliessenden Räumen befinden sich ein grosszügiger Doppelsalon sowie ein Kinder- und ein Gästezimmer, Gäste-WC und Dusche.

Die Architekten wollten beim Umbau die ­Qualität der vorgefundenen, alten Bausubstanz unterstreichen. Die Spuren des Originals sollten nicht ­verwischt werden, vielmehr ging es um eine Auf­frischung des Bestands und das Zufügen in einer ­eindeutig gegenwärtigen Architektursprache von ebenbürtiger Qualität. Alt und Neu sollten auf eine selbstverständliche Art koexistieren können. Dabei wandten die Architekten auch räumliche Tricks an wie etwa im Flur, wo sie eine Hohlkehle zwischen Wand und Decke anbrachten. In historischen Bauten ist diese ­Übergangsform zwischen Wand und Decke häufig anzutreffen, vor allem in barocken Gebäuden. Licht und Schatten gehen fliessend ineinander über, sodass die Räume höher erscheinen. Auch die Öffnungen für die eingebauten Lichter an der Decke stülpen sich gerundet zur Lichtquelle. Beide Eingriffe verweisen subtil auf die frühere Stuckatur, die in Häusern dieser Zeit häufig anzutreffen ist.

Mit der Auflösung der beiden Wohnparteien ergab sich auch im Obergeschoss die Möglichkeit einer Öffnung des Treppenhauses. Hier wurde eine frühere Küche halb aufgebrochen, sie dient nun als zur Treppe und zum Flur offener Bereich. Dieser Raum hat einen direkten Zugang zur hinteren Terrasse, die über dem Erker des Erdgeschosses liegt. Durch die neuen Blick­achsen und das Öffnen zur vertikalen Erschliessung wandert das Tageslicht von allen Seiten durch das Haus. Die gewonnene Grosszügigkeit entspricht den heutigen Bedürfnissen nach einem Lebensraum, in dem einzelnen ­Räumen keine eindeutigen Nutzungen zugeordnet sind.

Farbige Zeichen der Erneuerung

Abgesehen von Wohnzimmer und Flur heben sich alle Räume durch farbige Wände vom Bestand ab. Bei den kleinen Bädern dominieren starke Farbtöne wie Dunkelrot oder Waldgrün, die der Schlafzimmer sind dezenter gehalten. Farbe bildet auch im Treppenhaus ein wichtiges Gestaltungselement: Das textile Band auf halber Höhe wurde belassen, die Tapeten entfernt. Ein heller, pudriger Ton verleiht dem Treppenhaus eine freundliche Ausstrahlung. Und auch im neu gestalteten, offenen Entree im Obergeschoss wurde die Rückwand des Raums mit einem dunkelblauen Farbton hervorgehoben. Im Zusammenspiel mit den aufgebrochenen Wänden im Eingangsbereich enstehen so deutliche Spuren der Sanierung. Im Kontrast zu diesen Spuren stehen die zwei hölzernen «Raucherstübli», auf die man in beiden Wohngeschossen stösst. Sie wurden im Originalzustand belassen. Hier überdauert der solide helvetische Geist die Zeit, während der Rest des Hauses luftig und frisch wirkt.

Das Dachgeschoss schliesslich, in dem sich früher die «chambres de bonne» befanden, renovierten RBA Architekten mit minimalem Aufwand. Hier oben könnte später durchaus weiter gebaut werden, auch der darüber liegende Estrich birgt Potenzial.

Dass Wände sich wandeln, weiterwachsen und neue Phasen der Bewohner miterleben, ist das Besondere an alten Häusern. Mit einer Mischung aus Respekt, Offenheit und Erfindungsgeist, die es für eine solche Bauaufgabe braucht, ist Florian Rickenbacher der Villa Bonaria begegnet und hat auf diese Weise ein charaktervolles Wohnhaus geschaffen, das weiterhin noch genügend Möglichkeiten für zukünftige Veränderungen bietet.

TEC21, Fr., 2017.09.15



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TEC21 2017|37 Zwischen Rekonstruktion und Interpretation

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Presseschau 12

04. Juli 2022Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Design ist politisch, sagt Lilli Hollein – und fordert zum Tanz auf

Für die neue Direktorin des Museums für angewandte Kunst in Wien ist Design prägender Bestandteil unseres Alltags. Damit will sie die altehrwürdige Institution beleben und diverser gestalten.

Für die neue Direktorin des Museums für angewandte Kunst in Wien ist Design prägender Bestandteil unseres Alltags. Damit will sie die altehrwürdige Institution beleben und diverser gestalten.

Wenn Lilli Hollein über die Spitzen aus der Sammlung der jüdischen Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim (1859–1936) spricht, erscheint dieses vermeintlich biedere und altmodische Objekt plötzlich in einem ganz neuen Licht. Lilli Hollein liest Spitzen durch die Augen einer faszinierenden Frauenfigur und spinnt so eine neue Erzählung über diese uralte Kulturtechnik. Seit letztem September sichtet sie als neue Direktorin des Museums für angewandte Kunst (MAK) in Wien solche Artefakte in dem riesigen Fundus einer während über 150 Jahren gewachsenen Sammlung.

Diese Sammlung umfasst Kunstschätze vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Da gibt es Kunsthandwerk und Design, Grafik und Mode, Glas und Mobiliar, aber auch Kunst und Architektur – oder anders gesagt: Dieses Museum repräsentiert die ganze materielle Vielfalt, die unsere Lebenswelt ausmacht. Dazu gehört sogar ein so vergessenes Nischenthema wie Spitzen. Und eben selbst für Spitzen-Design kann sich Lilli Hollein begeistern.

Ihre Art, über Design zu reden, ist sehr zugänglich. Man spürt ihre Fähigkeit, Objekte durch Geschichten zu neuem Leben zu erwecken. Damit schafft sie es nicht nur, frische Blicke auf alte Gegenstände zu werfen, sondern fördert zugleich die Bildung von neuen Synapsen. Genau dieses Verknüpfende ist für die MAK-Generaldirektorin, so ihr offizieller Titel, ein wichtiges Merkmal von Design: «Design ist eine Disziplin, die viele an einem Tisch versammelt.»

Kind einer Künstlerfamilie

Und Lilli Hollein hat recht: Design sitzt an der Schnittstelle zu vielen anderen Disziplinen und ebenso zum Alltag. Es hält mehrere Werkzeuge in der Hand, kann «wichtige Fragen unseres Zusammenlebens formulieren», wie sie es ausdrückt. Dieser panoptische Zugang kommt nicht von ungefähr. Aufgewachsen in einer Künstlerfamilie wurde sie schon im Kindesalter für einen umfassenden Kulturbegriff sensibilisiert. Ihr Vater war der Architekt, Designer, Ausstellungsgestalter und Architekturtheoretiker Hans Hollein (1934–2014). Ein Vielarbeiter, der nach dem Nachtessen oft nochmals ins Büro ging.

«Unsere Eltern boten meinem Bruder und mir einen Nährboden, um einen Sinn für Kultur und Kreativität zu entwickeln. Wir haben viele Reisen unternommen. Das erweiterte meine Sicht auf die Welt und gab mir ein wertvolles Rüstzeug. Wir wurden familiär mit vielen Möglichkeiten ausgestattet. Die Voraussetzungen, sie zu nutzen, muss man aber selber schaffen», erzählt Lilli Hollein.

Prinzipiell glaube sie, dass Kreativität unser aller Überlebenschance ist für das, was uns in Zukunft erwarte. Was ein kreativer Prozess bedeutet, lernte sie durch ihre Ausbildung zur Produktdesignerin an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Dennoch entschied sie sich schon kurz nach dem Studium, den Weg in die Vermittlung einzuschlagen. Zusammen mit Tulga Beyerle und Thomas Geisler gründete sie 2007 die Vienna Design Week, ein Festival, das die gesellschaftliche Rolle von Design betont.

Nach dem Abgang von Beyerle und Geisler leitete Hollein das Festival über viele Jahre weiter. 2021 gab sie den Stab an die jüngere Generation weiter. Die Zeit war reif für den Schritt ins Museum. Die Verflechtung von Publikum, Festival, Stadt und Museum will sie nun aber auch im MAK umsetzen.

Das Museum öffnen

Das Museum in den Stadtraum hinein zu öffnen, ist eines der Kernanliegen. Überhaupt geht es ihr um Öffnung. Nicht nur soll die prächtige Säulenhalle des MAK öffentlich betretbar werden, ohne Ticket. Auch das frühere Direktionsbüro im ersten Stockwerk räumte sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit. Hier finden nun Ausstellungen, Events und Vermittlungsaktivitäten statt.

Solche Willkommenssignale an das Publikum sind charakteristisch für ihre Visionen. Angesprochen fühlen soll sich ein möglichst diverses Publikum. Schliesslich, so Hollein, sei ja auch unsere Gesellschaft charakterisiert durch Widersprüche und Vielfalt. Design finde eben nicht im hermetisch abgeschlossenen Raum der Happy Few statt, sondern sei prägender Bestandteil unseres Alltags. «Design hat eine Moderatorenfunktion, es gestaltet gesellschaftliche Prozesse ebenso wie Produkte und Sehnsüchte. Dieser Verantwortung muss man mit Haltung, Mut und Innovation begegnen. Das MAK soll für herausragende Gestaltung und für die Verantwortung von Kunst und Design für eine nachhaltige, positive Zukunft unserer Gesellschaft stehen.»

Und auch, was die Ausstellungsinhalte betrifft, steht Diversität an oberster Stelle. Zum einen will Hollein zusammen mit dem Kustodinnenteam des MAK die Sammlung neu vermitteln. Es gehe heute in der Museumsarbeit verstärkt darum, komplexen Themen wie Kolonialismus oder Provenienzforschung gerecht zu werden und diese entsprechend transparent und zugänglich zu kommunizieren.

Hollein möchte zudem dem eurozentrischen Blick neue Perspektiven entgegensetzen. Der Austausch mit anderen Designkulturen und Museen ist für sie ein wichtiges Instrument diesbezüglich. Und bei allem Respekt vor der Geschichte: Die Gegenwart in die Mitte des Hauses zu holen, ist ihr ein ebenso zentrales Anliegen. Das Designlabor im unteren Stockwerk etwa ist eine Wunderkammer. Hier werden neue Materialien und experimentelle Entwürfe präsentiert, die den Weg in eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft weisen.

Eine grosse Ausstellung, die im Dezember 2022 eröffnet wird, widmet sich dem Fest – ein dankbares Feld, um zu illustrieren, dass Pop-Kultur und Politik ebenso zu Design gehören. «Das Thema Fest verdeutlicht auf ideale Weise, was mir wichtig ist. Wir können damit zeigen, dass sich unsere Sammlung vom Mittelalter bis in die Gegenwart und auch die Zukunft spannt. Und es ist etwas, das uns alle betrifft; mit irgendeiner Art von Feierlichkeit wird jeder Mensch konfrontiert.»

Zugleich sei das Thema ungeheuer politisch: «Das Fest war schon immer ein Instrument der Avantgarde, um etwas auszuprobieren. Man denke etwa an den Maskenball, der Standesunterschiede verwischte oder bei dem man Geschlechterrollen tauschen konnte», erklärt Lilli Hollein. Die Vielfalt von Design ist nicht zu unterschätzen. Wir wären nicht erstaunt, wenn das Publikum im MAK demnächst zum Tanz aufgefordert würde.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2022.07.04

22. September 2021Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Landschaft sei Natur, so glauben wir. Georges Descombes gewinnt ihr viel mehr ab

Der Genfer Landschaftsgestalter arbeitet sogar mit Schockmomenten, um die Wahrnehmung der Umwelt zu intensivieren.

Der Genfer Landschaftsgestalter arbeitet sogar mit Schockmomenten, um die Wahrnehmung der Umwelt zu intensivieren.

Was ist eine Landschaft? Die meisten Menschen haben eine Antwort darauf: Landschaft ist Natur. Was Natur sei, meinen wir ebenfalls zu wissen. Genau diese Form der Zuweisung und Definition ist allerdings Teil eines Problems, vor dem wir heute nicht mehr die Augen verschliessen können.

Die Idee von Natur ist eine Konstruktion – beziehungsweise eine Erfindung des Abendlandes. Denn Landschaften sind stets Teil einer permanenten Transformation, an der auch der Mensch beteiligt ist. Auch im negativen Sinne, wenn man bedenkt, dass unsere Zivilisation die Erde als unbelebte Materie versteht; als unerschöpflichen Pool an Ressourcen, bei dem sich die menschliche Spezies einfach bedienen kann.

Mehr als Kosmetik

Natur und Kultur, natürlich und künstlich als gegensätzlich zu verstehen, schafft eine problematische Trennung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Die Folgen dieses Missverständnisses sind nicht zuletzt der Klimawandel, der Rückgang der Artenvielfalt oder die Verschmutzung von Naturräumen und Städten, um nur grob zusammenzufassen. Genauer betrachtet lässt sich diese Trennung nicht aufrechterhalten, wir leben ja schliesslich alle auf dieser einen Erde und sind Teil eines Systems von Prozessen. Wir sind eben nicht bloss Zuschauer.

Dieses Weltbild zu verstehen, ist das eine, das andere ist, es zu verändern. Beides interessiert den Landschaftsarchitekten Georges Descombes (* 1939), eine bescheiden wirkende Persönlichkeit mit einer wunderbaren Ausstrahlung und Präsenz. Doch schon die Bezeichnung Landschaftsarchitekt macht ihn stutzig. Er mag Architektur und Landschaftsarchitektur nicht unterscheiden. Und beim französischen Begriff «paysagiste» müsse er an «visagiste» denken, sagt er im Gespräch.

Kosmetische Eingriffe in die Landschaft sind nicht das, was Descombes mit seiner Arbeit erreichen will. Er würde sich auch niemals herausnehmen, Landschaft «machen» zu wollen. Landschaft sei das, was da sei. Man könne in und mit diesem Territorium arbeiten, aber es sei quasi unmöglich, Landschaft als solche zu verstehen, findet er. Descombes benutzt lieber das Wort «Garten». Es ist auch das Wort, das er für eines seiner grössten Projekte verwendet, die Renaturierung – wobei er die Bezeichnung Restaurierung vorzieht – des Flusses Aire bei Genf.

Ein Flussgarten als Palimpsest

Descombes nennt seine Arbeit einen Flussgarten («jardinrivière», in einem Wort). An diesem Unterfangen arbeitet er seit 2001 in Etappen, 2022 soll das Projekt abgeschlossen sein. Der zeitliche Aspekt ist dabei nicht unwesentlich, denn für Georges Descombes gleicht Landschaft einem Palimpsest, einem zeitlich geschichteten Terrain, dessen Veränderung er durch seine Eingriffe erfahrbar machen möchte. Der Begriff der Erfahrung ist zentral, wenn man die Arbeit dieses Mannes verstehen möchte. Wenn wir in der Landschaft sind, etwa bei einer Wanderung, dann neigen wir dazu, sie von aussen zu betrachten, als etwas Idyllisches und Liebliches.

Wir sind da, und die Natur ist dort, draussen, es entsteht keine wirkliche Interaktion oder Emotion. Um diese Emotionen hervorzurufen, arbeitet Descombes mit dem Mittel des Schocks, mit Gegensätzen und Dissonanzen. Das mag zunächst erstaunen. Wieso Schock? Erst beim Spaziergang entlang der Aire, als wir uns an einem schattigen Tisch niederlassen und Descombes, auf einem Zeichenblock skizzierend, den Entwurf seines Flussgartens erläutert, beginnen wir zu verstehen.

Interessanterweise ist wenig die Rede von Pflanzen oder überhaupt von «Natur», sondern viel mehr von Anthropologie, Literatur, Psychologie, Film und Kunst. Descombes ist ein Denker, ein Landschaftsphilosoph, der seine Gedanken auch gerne schriftlich festhält und dabei stets seine Inspirationsquellen nennt. Gedanklicher Austausch und Vernetzung sind ihm wichtig, er sieht sich nicht als Einzelschöpfer. Wir sprechen etwa über den französischen Anthropologen Philippe Descola oder über die belgische Philosophin Isabelle Stengers, mit denen er seine Haltung teilt. Sein Buch «Laisser faire la rivière» gibt einen vertieften Einblick in seine Gedankenwelt, die auch die Basis für das Aire-Projekt bildet.

Kanal und Fluss als Doppelgänger

Ausgangspunkt dafür war ein Studienauftrag des Kantons Genf zur Renaturierung des Flusses. Descombes und sein Team, die unter dem Namen «Superpositions» operieren, schlugen etwas Ungewöhnliches vor: Descombes hatte die Idee, statt eben zu renaturieren und den zum Schutz vor Überschwemmungen in den 1920er Jahren erbauten Kanal zu zerstören, eine Art Verdoppelung des Flusslaufes vorzunehmen: Er konnte so die bestehende Kanalisierung erhalten und neu gestalten und gleichzeitig daneben den natürlichen Flusslauf wieder ermöglichen. Er erschuf, wie Elissa Rosenberg in ihrem Aufsatz «Kanal und Fluss» ausführt, einen Doppelgänger.

Dadurch macht der Landschaftsarchitekt zum einen die Geschichte der Zähmung des ehemals mäandrierenden Wasserlaufs sichtbar, zum anderen lässt er eine kontrollierte Verwilderung zu; er lässt dort eben den Fluss die Arbeit machen. Durch das Schaffen einer Promenade entlang des Kanals und die Gestaltung des Zwischenstücks entsteht zudem ein öffentlicher Raum mit Aufenthaltszonen. Dieser Aspekt ist für Descombes essenziell. Denn erst durch die Nutzung kann so etwas wie eine Beziehung des Menschen zur Natur entstehen. Erst die Spannung zwischen den Figuren Fluss und Kanal erzeugt die Möglichkeit eines Erfahrungsraumes.

Ein Schock für die Sinne

Und tatsächlich: Entlang des Flussgartens schärft man seine Sinne. Je nach Standort hört man das Rauschen anders, sieht man andere Tiere, strömen der Besucherin unterschiedliche Düfte von Pflanzen entgegen. Descombes’ Garten mit dem unterschiedlich gegliederten Gelände bietet eine Vielzahl an Erfahrungen. Einzelne Zonen beim Kanalteil sind aus Beton. Ich steige ein paar Stufen hinunter, setze mich auf eine Plattform ganz nahe beim Fluss und befinde mich quasi in einem anderen Raum. Die multisensorische Wirkung dieses Ortes ist verblüffend.

Der Einsatz dieses eher im urbanen Umfeld bekannten Materials gehört zum Konzept des Schocks. Die hybride Form der Gestaltung schafft eine alternative Kartografie dieses Ortes. Wir sind kaum erstaunt, als wir erfahren, dass Descombes dieses Territorium seit seiner Kindheit kennt. Gerade diese Vertrautheit ist spürbar in dieser Arbeit: in der Empathie gegenüber dem Fluss, aber auch in der Bestimmtheit und Radikalität, mit welcher der Landschaftsgärtner diesen Raum liest und interpretiert.

Descombes zitiert in diesem Zusammenhang einen Satz des Historikers Carlo Ginzburg: «Die Spuren lesen, bevor man schreibt.» Er hätte ebenso gut Walter Benjamins Diktum «Was nie geschrieben wurde, lesen» nennen können. Diese paradoxe Figur prägt das Gesamtwerk des Genfers, der mehrere Jahre unter anderem in den USA gelehrt hat und bis heute an internationalen Projekten arbeitet. Der Flussgarten ist für ihn ein Laboratorium unter offenem Himmel, ein Ort des Experimentierens. Mit seiner Arbeit trägt Georges Descombes dazu bei, unseren Lebensraum mit wacheren Augen wahrzunehmen, ihn neu zu entdecken. Er verändert damit die Welt.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2021.09.22

27. Oktober 2020Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Architektin Tatiana Bilbao: «In Mexiko arbeiten wir mit dem Minimum, daraus entsteht das Maximum»

Tatiana Bilbao arbeitet an internationalen Prestigeprojekten – und an Behausungen für die Ärmsten in ihrer Heimat Mexiko.

Tatiana Bilbao arbeitet an internationalen Prestigeprojekten – und an Behausungen für die Ärmsten in ihrer Heimat Mexiko.

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26. März 2020Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Ein Baum ist ein Archiv von Ereignissen. Und zeigt den Designern auch die Zukunft

Zwei Designforscher haben ihre Ausstellung in den Serpentine Galleries in London dem Holz gewidmet und mit so viel digitalem Material hinterlegt, dass die Inhalte zugänglich bleiben: «Cambio» ist zurzeit ein Online-Projekt.

Zwei Designforscher haben ihre Ausstellung in den Serpentine Galleries in London dem Holz gewidmet und mit so viel digitalem Material hinterlegt, dass die Inhalte zugänglich bleiben: «Cambio» ist zurzeit ein Online-Projekt.

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07. November 2019Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Sensoren und Prothesen am Design Preis Schweiz: Ein Stuhl will zum Körperteil werden

Schwerelosigkeit, vereinfachte Kommunikation und sogar Glück versprechen die in Langenthal preisgekrönten Designobjekte. Viele von ihnen wurden interdisziplinär entwickelt, der Limbic Chair sogar von einem Arzt.

Schwerelosigkeit, vereinfachte Kommunikation und sogar Glück versprechen die in Langenthal preisgekrönten Designobjekte. Viele von ihnen wurden interdisziplinär entwickelt, der Limbic Chair sogar von einem Arzt.

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20. April 2018Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Design macht vielleicht das Leben schön – aber es gefährdet die Welt

Bereits in den 1970ern warnte Victor Papanek vor Produkten, die auf Kosten der Umwelt im Überfluss hergestellt werden. Jetzt wird der Design-Philosoph von Gestaltern und Kuratoren neu entdeckt.

Bereits in den 1970ern warnte Victor Papanek vor Produkten, die auf Kosten der Umwelt im Überfluss hergestellt werden. Jetzt wird der Design-Philosoph von Gestaltern und Kuratoren neu entdeckt.

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23. Oktober 2017Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

Architekten kämpfen in Mexiko um die alte Bausubstanz

Nach den Erdbeben werden viele beschädigte Gebäude abgerissen, dabei liesse sich das kulturelle Erbe bewahren.

Nach den Erdbeben werden viele beschädigte Gebäude abgerissen, dabei liesse sich das kulturelle Erbe bewahren.

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15. September 2017Susanna Koeberle
TEC21

Licht und Farbe

RBA Architekten renovierten in Olten eine stattliche Industriellenvilla aus den 1920er-Jahren und konzentrierten sich dabei auf Interventionen im Innern. Aussen ist von diesen Eingriffen wenig zu sehen. So gelang es ihnen, den Bau in die Gegenwart zu überführen und dabei seine ausdrucksvolle Gestalt zu erhalten.

RBA Architekten renovierten in Olten eine stattliche Industriellenvilla aus den 1920er-Jahren und konzentrierten sich dabei auf Interventionen im Innern. Aussen ist von diesen Eingriffen wenig zu sehen. So gelang es ihnen, den Bau in die Gegenwart zu überführen und dabei seine ausdrucksvolle Gestalt zu erhalten.

Das Schöngrundquartier in Olten ist geprägt durch bürgerliche Villen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Die erhöhte Lage am Waldrand mit Sicht auf die Stadt ist reizvoll, was offensichtlich auch Industrielle in den wirtschaftlich blühenden 1920er-Jahren so sahen.

Einzelne der schönen Zeitzeugen in der Gegend fielen Investorenprojekten zum Opfer und mussten gesichtslosen Neubauten weichen. Dass es auch anders geht und wie man mit respektvoller Aufmerksamkeit zur vorgefundenen Bausubstanz ein altes Haus zu neuem Leben erwecken kann, zeigt der Umbau der Villa Bonaria durch RBA Architekten aus Olten. Das Gebäude ist zwar inventarisiert, gehört aber nicht zu den geschützten Bauten.

Gleichwohl arbeiteten die Architekten behutsam mit dem Bestand. «Da die Villa bereits mehrfach renoviert worden war, ging es uns primär um ein Zurückbauen», erklärt der verantwortliche Projektleiter Florian Rickenbacher.

Von aussen hat sich seit der Fertigstellung des Hauses im Jahr 1924 nicht viel verändert. Für die energetische Ertüchtigung analysierten die Architekten zusammen mit einem Bauphysiker den Istzustand und erstellten ein Konzept. Aufgrund der guten Bauqualität konnten sie auf eine zusätzliche Dämmung der Fassade verzichten. Es wurden lediglich Risse behoben und die Oberflächen frisch verputzt. Das Dach musste allerdings komplett neu aufgebaut und nach den heutigen energetischen Anforderungen saniert werden. Ausserdem wurden sämtliche Fenster im Haus ausgetauscht, die Kellerdecke saniert und mit einer Dämmung versehen.

Erweiterter Lebensraum

Wichtig war der Bauherrschaft, einer Familie, die schon seit Längerem im Haus wohnte, ein neuer Zugang zum Garten, der mit dem alten Baumbestand ausgesprochen attraktiv ist. Die Benutzung des Aussenraums scheint vor hundert Jahren nicht von Bedeutung gewesen zu sein, denn es gab bisher keine direkte Verbindung von Haus und Garten. Ursprünglich diente er eher repräsentativen Zwecken und der ungetrübten Aussicht in die Weite. Eine an der Südwestfassade zugefügte Aussentreppe stellt nun den direkten Anschluss vom Esszimmer in den Garten her und integriert ihn so in den Lebensraum der Bewohner.

Die Architekten setzten die Treppe bewusst von der Architektursprache des Altbaus ab. Das schwarze Metall ist geradlinig und fein geformt. So ordnet sich die Treppe optisch dem Erscheinungsbild der Villa unter. An alte Zeiten erinnert hingegen eine an der ­Fassade verbliebene Platte mit dem eingemeisselten Bundesbrief, was den Schluss nahelegt, dass die ersten Bewohner dieses Hauses überzeugte Eidgenossen waren. Heute mag man über den patriotischen Inhalt schmunzeln, baugeschichtlich gesehen sind solche ­Relikte durchaus interessant.

Dialog zwischen Alt und Neu

Das genaue Studium der alten Pläne war den Architekten insofern wichtig, als das Haus bereits verschiedentlich Renovationen unterzogen worden war. So ist es beispielsweise bis heute unklar, ob es früher im gedeckten Vorbau zwei Hauseingänge gegeben hat. Vor dem Umbau durch RBA Architekten war das Haus nämlich in zwei Wohnparteien getrennt. Der Windfang war damals ein halböffentlicher Raum, den beide Parteien gemeinsam nutzten. Eine wichtige Aufgabe des Umbaus war es, diese Zweiteilung aufzuheben und den Raumfluss wiederherzustellen. Das Treppenhaus ist gemessen an der Grösse des Hauses relativ schmal. Deswegen entschieden sich die Architekten dafür, den Raum im Eingangsbereich aufzubrechen und so ein grosszügiges Entree im Erdgeschoss zu schaffen. Die Bodenschwellen wurden belassen, um den Eingriff sichtbar zu machen. Das geöffnete Entree führt weiter in die Küche. In den anschliessenden Räumen befinden sich ein grosszügiger Doppelsalon sowie ein Kinder- und ein Gästezimmer, Gäste-WC und Dusche.

Die Architekten wollten beim Umbau die ­Qualität der vorgefundenen, alten Bausubstanz unterstreichen. Die Spuren des Originals sollten nicht ­verwischt werden, vielmehr ging es um eine Auf­frischung des Bestands und das Zufügen in einer ­eindeutig gegenwärtigen Architektursprache von ebenbürtiger Qualität. Alt und Neu sollten auf eine selbstverständliche Art koexistieren können. Dabei wandten die Architekten auch räumliche Tricks an wie etwa im Flur, wo sie eine Hohlkehle zwischen Wand und Decke anbrachten. In historischen Bauten ist diese ­Übergangsform zwischen Wand und Decke häufig anzutreffen, vor allem in barocken Gebäuden. Licht und Schatten gehen fliessend ineinander über, sodass die Räume höher erscheinen. Auch die Öffnungen für die eingebauten Lichter an der Decke stülpen sich gerundet zur Lichtquelle. Beide Eingriffe verweisen subtil auf die frühere Stuckatur, die in Häusern dieser Zeit häufig anzutreffen ist.

Mit der Auflösung der beiden Wohnparteien ergab sich auch im Obergeschoss die Möglichkeit einer Öffnung des Treppenhauses. Hier wurde eine frühere Küche halb aufgebrochen, sie dient nun als zur Treppe und zum Flur offener Bereich. Dieser Raum hat einen direkten Zugang zur hinteren Terrasse, die über dem Erker des Erdgeschosses liegt. Durch die neuen Blick­achsen und das Öffnen zur vertikalen Erschliessung wandert das Tageslicht von allen Seiten durch das Haus. Die gewonnene Grosszügigkeit entspricht den heutigen Bedürfnissen nach einem Lebensraum, in dem einzelnen ­Räumen keine eindeutigen Nutzungen zugeordnet sind.

Farbige Zeichen der Erneuerung

Abgesehen von Wohnzimmer und Flur heben sich alle Räume durch farbige Wände vom Bestand ab. Bei den kleinen Bädern dominieren starke Farbtöne wie Dunkelrot oder Waldgrün, die der Schlafzimmer sind dezenter gehalten. Farbe bildet auch im Treppenhaus ein wichtiges Gestaltungselement: Das textile Band auf halber Höhe wurde belassen, die Tapeten entfernt. Ein heller, pudriger Ton verleiht dem Treppenhaus eine freundliche Ausstrahlung. Und auch im neu gestalteten, offenen Entree im Obergeschoss wurde die Rückwand des Raums mit einem dunkelblauen Farbton hervorgehoben. Im Zusammenspiel mit den aufgebrochenen Wänden im Eingangsbereich enstehen so deutliche Spuren der Sanierung. Im Kontrast zu diesen Spuren stehen die zwei hölzernen «Raucherstübli», auf die man in beiden Wohngeschossen stösst. Sie wurden im Originalzustand belassen. Hier überdauert der solide helvetische Geist die Zeit, während der Rest des Hauses luftig und frisch wirkt.

Das Dachgeschoss schliesslich, in dem sich früher die «chambres de bonne» befanden, renovierten RBA Architekten mit minimalem Aufwand. Hier oben könnte später durchaus weiter gebaut werden, auch der darüber liegende Estrich birgt Potenzial.

Dass Wände sich wandeln, weiterwachsen und neue Phasen der Bewohner miterleben, ist das Besondere an alten Häusern. Mit einer Mischung aus Respekt, Offenheit und Erfindungsgeist, die es für eine solche Bauaufgabe braucht, ist Florian Rickenbacher der Villa Bonaria begegnet und hat auf diese Weise ein charaktervolles Wohnhaus geschaffen, das weiterhin noch genügend Möglichkeiten für zukünftige Veränderungen bietet.

TEC21, Fr., 2017.09.15



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2017|37 Zwischen Rekonstruktion und Interpretation

11. August 2017Susanna Koeberle
Neue Zürcher Zeitung

«Sind Sie schon einmal einem Roboter begegnet?»

Mit Robotern in die Zukunft: Die Vienna Biennale beschwört transdisziplinäre Visionen zwischen Kunst, Architektur und Design.

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