Editorial

Panta rhei(n) – der Rhein fliesst. Und fliesst. Und manchmal fliesst er über die Ufer. Die zahlreichen zer­stö­rerischen Hochwasser prägen das schicksalhafte Verhältnis der Rheintaler zu ihrem Fluss.

Zu einer entscheidenden Wende im Kampf gegen die wiederkehrenden Fluten kam es Ende des 19. Jahrhunderts, als sich die Schweiz und ­Österreich zur Zusammenarbeit am Grenzfluss verpflichteten. Sie verkürzten den Flusslauf bei Diepoldsau und führten den Alpenrhein auf ­ge­rader Strecke zum Bodensee. Die Dämme ­wurden verstärkt, die Abflusskapazität erhöht.
Manches funktionierte nicht wie geplant, man ergänzte und korrigierte – Flussbauwerke dieser Grösse sind nie abgeschlossen.

Auch die Bedürfnisse der Menschen ändern sich. Der Alpenrhein präsentiert sich heute als mono­toner Kanal. Deshalb möchte man die für einen besseren Hochwasserschutz angestrebte Erhöhung der Abflusskapazität um fast 40 % auch dazu nutzen, um die ökologischen Verhältnisse und die Erholungsmöglichkeiten zu verbessern. Der Projektname «Rhesi» steht für «Rhein – ­Erholung und Sicherheit». Die Kosten werden auf rund 600 Millionen Franken veranschlagt.

Eine spezielle Knacknuss stellen die zahlreichen Trinkwasserfassungen in unmittelbarer Fluss­nähe dar. Kann oder muss ein Teil von ihnen weichen? Ob dieser Frage wird derzeit heftig gestritten. Ein anderer Konflikt betrifft den Verlust an Landwirtschaftsflächen. Hoffentlich findet man gute Lösungen. Denn «Rhesi» ist eine einmalige Chance für das Rheintal.

Lukas Denzler

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Ein neues Quartier für alle

11 PANORAMA
Glatte Hüllen, verzwickte Probleme | Zwischen Wissenschaft und Kunst

16 VITRINE
Aktuelles aus der Baubranche

17 SIA
a & k – Reisen und Exkursionen | Gericht als Architekturjury? | SIA-Form Fort- und Weiter­bildung

21 VERANSTALTUNGEN

THEMA
22 HOCHWASSERSCHUTZ AM ALPENRHEIN

22 DAS RHEINTAL UND SEIN FLUSS
Lukas Denzler
Um Überschwemmungen zu verhindern, ­arbeiten Österreich und die Schweiz am Alpenrhein seit fast 125 Jahren zusammen.

24 ZWISCHEN ALLEN FRONTEN
Lukas Denzler
Das internatio­nale Hochwasserschutzprojekt Rhesi nimmt Konturen an. Doch bis zum Spatenstich sind noch viele Hürden zu über­winden.

31 RANDVOLL, NUR NICHT BRECHEN
Peter Seitz
Eine Erhöhung der Abfluss­kapazität verbessert die Hochwassersicherheit. Doch auch der Überlastfall muss in der Planung berücksichtigt werden.

AUSKLANG
34 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Das Rheintal und sein Fluss

Die Geschichte des Rheintals ist eng mit dem Rhein verknüpft. Der Fluss prägte das Tal, und die Menschen haben den Flusslauf gestaltet. Nun gilt es, den Weg in die Zukunft zu finden.

Vom Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein bei Reichenau bis zur Mündung in den Bodensee wird der Rhein auch Alpenrhein genannt. Bei Sargans dreht der Fluss Richtung Norden ab und fliesst durchs Rheintal. Bei Buchs bildet der Rhein die Grenze zu Liechtenstein, später die Grenze zu Vorarlberg. Genauer gesagt, er war einmal die Grenze zu Österreich. Nach mehreren verheerenden Fluten im 19. Jahrhundert und langen Verhandlungen einigten sich die Schweiz und Österreich 1892 darauf, den Rheinlauf zu verkürzen. Deshalb kam das schweizerische Diepoldsau auf die andere Seite des Rheins. Fussach, Höchst und Gaissau wechselten ebenfalls die Seite, gehören aber immer noch zu Österreich. Der Fussacher Durchstich wurde 1900 vollendet, derjenige bei Diepoldsau als schweizerische Gegenleistung 1923.

Im Rheintal sind zahlreiche Überschwemmungen überliefert. Laut einer der ältesten Quellen wurde 1206 die Kirche in Lustenau zerstört. Die drei Hochwasser von 1343, 1566 und 1762 gelten als Extremereignisse. Im 19. Jahrhundert kam es zu mehreren zerstörerischen Hochwassern. Der letzte schlimme Dammbruch im Jahr 1927 führte zu Überschwemmungen in Liechtenstein. Derjenige bei Fussach 1987 hatte hingegen keine grös­seren Schäden zur Folge, schreckte aber auf.

In der Folge liessen die Verantwortlichen der Internationa-­len Rheinregulierung (IRR) die Rheindämme auf ihre Stabilität überprüfen. In den letzten rund 20 Jahren hat die IRR die Dämme auf einer Länge von 40 km mit Dichtwänden und Dammverstärkungen ertüchtigt.

Staatsverträge regeln Zusammenarbeit

Der Abschnitt des Alpenrheins ab der Illmündung bis zum Bodensee wird als Internationale Rheinstrecke bezeichnet. Für diesen 26 km langen Abschnitt ist seit 1892 die IRR zuständig. Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Österreich ist in drei Staatsverträgen festgehalten.

Der erste Staatsvertrag von 1892 regelte insbesondere die beiden Durchstiche, die Zwischenstrecke und die obere Strecke bis zur Illmündung sowie die Gestaltung des Alten Rheins.

Der zweite Vertrag von 1924 beinhaltete die drohende Verlandung der Fussacher und Harder Bucht. Die Rheinvorstreckung mit zwei langen Dämmen in den Bodensee sollte dies verhindern. Gleichzeitig wollte man einer rückschreitenden Sohlen­anhebung vorbeugen.

Weil aber bereits im Diepoldsauer Durchstich Geschiebeablagerungen stattfanden, beschloss man im dritten Staatsvertrag von 1954 die ­Breite des Mittelgerinnes ab Kriessern/Mäder von 110 auf rund 70 m zu verringern sowie die äusseren Hochwasserdämme zu erhöhen, zu verstärken und zurückzu­versetzen, um einen höheren Abfluss zu ermöglichen.

Und nun wird im Rahmen des Projekts Rhesi (Rhein – Erholung und Sicherheit) ein weiterer Staatsvertrag angestrebt, damit die Abflusskapazität von heute 3100 auf 4300 m³/s erhöht werden kann. Im April 2016 gaben die zuständigen Stellen grünes Licht, die Planungen voranzutreiben. Bis Ende 2017 ist ein konkreter Vorschlag auszuarbeiten. Dieser soll als Grundlage für die Verhandlung des vierten Staatsvertrags dienen, der die Schweiz und Österreich auf ein gemeinsames Vorgehen verpflichtet und die «Spielregeln» festlegt.

Können sich die beiden Staaten einigen, so wird der Geschichte des grossen Flussbauwerks im 21. Jahrhundert ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

TEC21, Fr., 2016.10.28

28. Oktober 2016 Lukas Denzler

Zwischen allen Fronten

Das Projekt Rhesi (Rhein – Erholung und Sicherheit) will in erster Linie den Hochwasserschutz verbessern. Noch dominieren die ­Partikularinteressen. Dass Rhesi dem Rheintal eine einmalige ­Chance bietet, ist der Bevölkerung noch zu wenig bewusst.

Wer den Alpenrhein bei St. Margrethen überquert, staunt über die Flussbreite. Das Mittelgerinne misst hier zwar nur rund 60 m; auf beiden Seiten schlies­sen sich aber ähnlich breite Vorländer an. Sie werden durch die Aussendämme begrenzt und sind nur bei Hochwasser überflutet. In den Vorländern wächst üppiges Gras. Der landwirtschaftliche Ertrag wird durch Dünger gesteigert; von extensiver Nutzung keine Spur.

Grosses Schadenpotenzial

Auf österreichischer Flussseite liegt Lustenau. Zahlreiche Bauten schmiegen sich an den Aussendamm. Von den mehrstöckigen Häusern aus können die Bewohner den Rhein sehen, und wenn er viel Wasser führt, kann einem schon angst und bange werden. Vor fast 30 Jahren brach im untersten Abschnitt nördlich von Fussach der linke Rheindamm. Die Sache ging glimpflich aus, die Fluten beschädigten lediglich Freizeiteinrichtungen.

Kommt es im Rheintal zu einer Überflutung, dann liegen die Schäden in Milliardenhöhe – auf Schweizer Seite bei geschätzten 2.5 und auf österreichischer Seite bei 3.2 Milliarden Franken (vgl. Überflutungs-Visualisierung). Betriebsunterbrüche sind dabei nicht eingerechnet. Sofern die Dämme im oberen Rheintal halten, wird das Wasser durchgeleitet. Ab Diepoldsau wird es kritisch, denn die Abflusskapazität verringert sich in diesem Abschnitt auf rund 3100 m³/s – das entspricht einem Hochwasser mit einer Wiederkehrperiode von 100 Jahren. «Fliesst mehr Wasser ab, so kommt es in diesem Nadelöhr zu einem Rückstau, und Widnau, Diepoldsau, Au, St. Margrethen und Lustenau stehen, je nachdem, auf welcher Seite der Rheindamm zuerst überströmt wird, zu einem grossen Teil unter Wasser», sagt der Schweizerische Rheinbauleiter Daniel Dietsche.

Kurt Fischer ist Bürgermeister von Lustenau. «Die Bevölkerung realisiert langsam, was passieren könnte», sagt er und bezieht sich auf eine im Januar 2015 durchgeführte Umfrage. Diese ergab, dass die ­Menschen in Lustenau ein Hochwasser zwar für eher unwahrscheinlich halten, sollte es aber eintreten, dann erwarten sie hohe Schäden. Bräche der Damm in Lustenau, würden grosse Teile des Siedlungsgebiets innerhalb von ein bis drei Stunden überflutet. Das letzte Mal sei dies in Lustenau 1888 und 1890 der Fall gewesen, sagt Fischer.

Mit seinem Team hat er in den letzten Jahren für seine Gemeinde einen Katastrophenschutzplan erarbeitet. Im August 2015 präsentierte er der Bevölkerung am Rheindamm die Ergebnisse der Umfrage. Das Interesse war so gross, dass Gemeinde und Rettungskräfte die Bevölkerung am 11. September 2016 zu einem Hochwasserschutztag einluden. Der Anlass war ein Riesenerfolg. Die Besucher konnten unter anderem ihre Wohnadresse eingeben und am Computer Überflutungsszenarien durchspielen lassen.

Das Projekt Rhesi

Um den Rhein und seine Dämme kümmert sich von der Illmündung bis zum Bodensee die Internationale Rheinregulierung (IRR). Geführt wird die IRR durch die Gemeinsame Rheinkommission (GRK), die aus je einem Vertreter der Republik Österreich, der Eidgenossenschaft, des Bundeslands Vorarlberg und des Kantons St. Gallen besteht.[1]

Bereits 2005 verabschiedete die IRR zusammen mit der Internationalen Regierungskommission Alpenrhein (in dieser sind die Kantone Graubünden und St. Gallen, das Fürstentum Liechtenstein sowie das Bundesland Vorarlberg vertreten) das Entwicklungskonzept Alpenrhein. Es enthält einen Massnahmenkatalog zur nachhaltigen Entwicklung des Alpenrheintals. Das erste grosse Umsetzungsprojekt ist Rhesi: Rhein – Erholung und Sicherheit.

Das Hauptziel von Rhesi ist die Erhöhung der Abflusskapazität[2] von derzeit 3100 auf 4300 m³/s sowie die Beherrschung des Überlastfalls (vgl. «Randvoll, nur nicht brechen»). Das Schutzziel, auch ein Hochwasser mit einer Wiederkehrperiode von 300 Jahren sicher zwischen den Dämmen ableiten zu können, wird mit dem hohen Schadenpotenzial begründet. Weitere Ziele von Rhesi sind es, den heute sehr schlechten ökologischen Zustand des Alpenrheins zu verbessern sowie attraktivere Erholungsmöglichkeiten zu schaffen, etwa einen besseren Zugang zum Wasser. Die Trinkwasserversorgung, die zu einem beträchtlichen Teil auf Grundwasserfassungen im Rheinvorland beruht, muss sowohl während der baulichen Eingriffe als auch danach in Menge und Qualität gesichert sein.

Im April 2016 legte die GRK die Eckwerte für das Generelle Projekt fest. Nach den Varianten­studien ist damit sozusagen der Startschuss für die Ausarbeitung eines konkreten Projekts gefallen.Es muss den gesetzlichen Anforderungen beider Staaten Rechnung tragen und ist von beiden zu genehmigen. Damit Rhesi umgesetzt werden kann, bedarf es eines vierten Staatsvertrags zwischen Österreich und der Schweiz. Die ­Gesamtkosten werden auf 600 Millionen Franken geschätzt.
Mehr Platz für den Alpenrhein

Zu den Eckwerten gehört, dass die Abflusskapazität nicht durch Dammerhöhungen oder Ausbaggerungen im Mittelgerinne gewährleistet wird, sondern durch die dafür erforderliche Abtragung der Rheinvorländer. «Wir wollen den Flusslauf möglichst naturnah gestalten. Ausnahmen sind nur bei Nutzungen vorgesehen, die zwingend im Vorland stattfinden müssen», erläutert Markus Mähr, der Projektleiter von Rhesi bei der IRR. Zudem werden ergänzend an drei Stellen sogenannte Dammabrückungen vertieft geprüft (vgl. Karte). Dort würden die Dämme vom Gewässer weg verlegt, was grössere Flussbreiten und das Aufwachsen von Auenwäldern ermöglicht.

Dem jetzt angepeilten Konzept haben sich die Projektverantwortlichen in Schritten angenähert. Aus sechs Basisvarianten entstanden zwei Kombivarianten, die die angestrebte höhere Abflusskapazität erfüllen. Die eine trug insbesondere der Ökologie Rechnung, während die andere weiterhin von einer starken Nutzung der Vorländer ausging. Bei der ökologischen Variante hätten mehrere Trinkwasserbrunnen in den Vorländern aufgehoben und verlegt werden müssen. Die Präsen­tation im Herbst 2012 führte zu einem Aufschrei der Landwirtschaft sowie der Gemeinden und Trinkwasser­versorgungen, deren Grundwasserfassungen davon betroffen gewesen wären. Aufgrund des Widerstands entschied die GRK, dass in Begleitplanungen die Themen Grund- und Trinkwasser, Landwirtschaft, Dammstabilität und Materialbewirtschaftung separat untersucht werden sollen.

Inzwischen hat sich die Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Trinkwasserversorgungen verbessert. Man sucht gemeinsam nach Lösungen. Den Bauern ist ihrerseits klar, dass sie auf einen Teil des gepachteten Lands in den Vorländern verzichten müssen. Als Eigentümer können der Kanton St. Gallen und der Staat Österreich dieses Land selber beanspruchen. Und die Wiesen in den Vorländern werden, falls sie erhalten bleiben, künftig sowieso extensiv und ohne Düngung zu bewirtschaften sein.

Die Festlegung des Gewässerraums, der auf Schweizer Seite aufgrund der Gewäs­serschutz­gesetz­gebung vorzunehmen ist, erfolgt hier parallel mit dem Projekt Rhesi. Nach aktuellem Planungstand verliert die Landwirtschaft in den Vorländern 200 bis 240 ha Wiesland. Das entspricht rund einem Prozent des gesamten Landwirtschaftslands in der Region. Synergien ergeben sich jedoch, wenn das in den Vorländern ausge­hobene Erdmaterial zur Bodenverbesserung der Felder ausserhalb der Rheindämme verwendet wird. Von Fluss­aufweitungen und Dammabrückungen wollen die Bauern auf beiden Seiten des Rheins jedoch nichts wissen.

Ökologische Trittsteine und Aufweitungen

Die Naturschutzorganisationen hingegen setzen sich für möglichst viel Land für die Natur ein. Sie fordern zwar nicht den ursprünglichen Naturzustand, der Flussbreiten von 300 m und mehr bedeutete. Aber sie pochen auf die konsequente Umsetzung des sogenannten Tritt­steinkonzepts. Weil nicht auf der ganzen Länge des Flusses optimale ökologische Bedingungen wiederhergestellt werden können, sind in regelmässigen Abständen ökologische Trittsteine zu schaffen. Damit das Konzept funktioniert und eine natürliche Wiederbesiedlung durch Tier- und Pflanzenarten erfolgen kann, dürfen die Trittsteine nicht zu weit auseinander liegen und müssen 250 bis 350 m breit sein. Trittsteine bedeuten nicht zwingend Dammabrückungen, zum Teil ist genügend Platz zwischen den Aussendämmen vorhanden.

Gelingt es, einige Stellen mit sehr grossen Flussbreiten und Auenwäldern zu schaffen, lässt sich das Trittsteinkonzept einfacher umsetzen. Doch die Gemein­den sehen für Aufweitungen ausserhalb der bisherigen Dämme kaum Spielraum. «Die Dammabrückungen sind die umstrittensten unter den vorgeschlagenen Massnahmen», sagt Markus Mähr. Grosses ökologisches ­Potenzial für eine Aufweitung bietet der Bereich, wo die Frutz in den Rhein mündet.

Heute befindet sich dort eine hohe Schwelle, die Fischen den Aufstieg vom Rhein ins Seitengewässer verunmöglicht. Zu klären sind ein möglicher Rückstau des Rheins in die Frutz und vor allem in den Ehbach sowie der Einbezug der existierenden Freizeitflächen. Verloren gingen auch Flächen, die für den Gemüseanbau genutzt werden. Die Stelle bietet sich für eine ökologische Aufwertung aber an, weil die Verhandlungen mit lediglich drei Grundeigentümern – zwei Agrargenossenschaften und der Gemeinde Koblach – geführt werden müssen.

Ganz anders präsentiert sich die Situation in Hard-Fussach. Dort würde Land von mehr als zwanzig Grundeigentümern beansprucht, die teilweise fundamental gegen diese Aufweitung sind. Enteignungen wären wohl unumgänglich. Eine Rolle spielt hier, dass bereits für den Durchstich vor 120 Jahren Land zur Verfügung gestellt werden musste. Der ökologische Trittstein wäre aber wichtig, um die Vernetzung von Bodensee und Alpenrhein zu gewährleisten. Auch Diepoldsau musste vor hundert Jahren Land für die Verkürzung des Flusslaufs hergeben. Hier würden für die Aufweitung zudem bis zu 15 ha Fruchtfolgeflächen benötigt, also ackerfähiges Land.

Die Aufweitungen in Diepoldsau und Fussach sind auch in Zusammenhang mit den engen Verhältnissen dazwischen zu sehen. Hier wird es nämlich schwierig, genügend Raum für ökologische Aufwertungen zu finden. Allein schon die für den erforderlichen Abflussquerschnitt nötige Flussbreite von knapp 120 m zu erreichen ist eine Herausforderung. In diesem Abschnitt befinden sich bei Widnau im Vorland sechs Trinkwasserbrunnen. Daran schliessen sich flussabwärts die­jenigen von Au, St. Margrethen und Höchst an; auf der anderen Seite befinden sich ebenfalls im Vorland die­jenigen von Lustenau (vgl. Karte).

Einige dieser Grundwasser­fassungen liegen für das Projekt Rhesi sehr ungünstig. Deshalb finden ­zwischen Widnau und Höchst koordinierte hydrogeologische Untersuchungen über die Grundwasserverhältnisse beidseits der Landesgrenze statt. Sie sollen aufzeigen, welche Brunnenanlagen versetzt werden können. Dafür werden mögliche Stand­orte im Vorland und ausserhalb der äusseren Dämme untersucht. Die Ergebnisse fliessen in die regionale Massnahmenplanung zur Trinkwasserversorgung ein. Beurteilt wird dabei auch der künftige Bedarf an Trinkwasser im Rheintal sowie die Ersatzwasserbeschaffung während der Bauphase, wenn betroffene Brunnenfelder aus Sicherheitsgründen vorübergehend ausser Betrieb genommen werden müssen.

Zankapfel Trinkwasserbrunnen

Das Wasserwerk Mittelrheintal sowie die Wasserversor­gungen Diepoldsau, St. Margrethen-Rheineck, Höchst und Lustenau beliefern rund 80 000 Menschen sowie Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft. Auch haben sich Firmen angesiedelt, die viel Wasser benötigen, in Widnau beispielsweise ein grosser Getränkehersteller.[3]

«Ohne eine qualitativ und quantitativ gleichwertige Trinkwasserversorgung mit entsprechenden Zukunftsreserven kann Rhesi nicht umgesetzt werden», sagt Christa Köppel, die Gemeindepräsidentin von Widnau. Als Präsidentin des Wasserwerks Mittelrheintal stellt sie klar, dass die bestehenden Wasserfassungen im Rheinvorland bestehen bleiben müssen und dort auch notwendige Neuanlagen gebaut werden können. Ausserhalb des Hochwasserdamms sei es infolge der Siedlungsdichte und der Verkehrswege kaum möglich, neue Schutzzonen für Trinkwasserfassungsanlagen auszuscheiden.

Eine Verschiebung in den ­bestehenden Brunnenfeldern hingegen ist laut Köppel eine mögliche Op­tion, sofern valable Ersatzstandorte gefunden werden. Regionale Versorgungskonzepte seien wichtig, auch grenzüberschreitende Optionen sollten miteinbezogen werden. Ungeeignet seien hingegen Wasserlieferungen aus einem Seewasserwerk am Bodensee oder aus einem grossen Pumpwerk in Buchs oder Sargans.

Gemäss dem Leitbild 2014 für die Wasserversorgung im Kanton St. Gallen soll sich die Trinkwasser­gewinnung auf örtliche Vorkommen abstützen. Für die Wasserversorgung sind die Gemeinden zuständig. «Die Wasserfassungen im Rheinvorland sind historisch gewachsen», sagt Markus Oberholzer vom Amt für ­Umwelt und Energie des Kantons St. Gallen. Ausserhalb des Rheinvorlands gebe es zwar auch Fassungen. Doch aufgrund von feinkörnigen und schlecht durchlässigen Verlandungssedimenten mit organischen Beimengungen wie Torf sei das Grundwasser im Rheintal oft sauer­stoffarm und deshalb für die Trinkwasser­gewinnung nicht oder nur bedingt geeignet.

2014 deckten die Wasserfassungen in den Rheinvorländern etwa 60 % des Wasserbedarfs im unteren Rheintal; in einzelnen Gemeinden dürfte dieser Anteil deutlich grösser sein. Im kantonalen Richtplan sind die Fassungen denn auch als wichtige Wassergewinnungsanlagen aufgeführt. Markus Oberholzer sieht im Projekt Rhesi aber gerade für die Wasserversorgungen eine grosse Chance. Die Abhängigkeit von rheinnahen Fassungen sei teilweise sehr hoch. Darauf verzichten könne man zwar nicht, doch wäre es seiner Meinung nach sinnvoll, den Anteil an Trinkwasser aus Fassungen ausserhalb des Nahbereichs des Rheins zu vergrössern. So ist denn auch seit Längerem ein neues Grundwasserpumpwerk im Raum Oberriet vorgesehen.

Bei Trinkwasserfassungen in Flussnähe kann eine erhöhte Gefährdung bestehen. Gemäss der Gewässerschutzverordnung des Bundes ist beispielsweise die Zone S2 von Grundwasserschutzzonen so zu dimensionieren, dass die Fliessdauer des Grundwassers vom Rand der Zone S2 bis zur Grundwasserfassung mindestens zehn Tage beträgt und diese in Zuströmrichtung eine Ausdehnung von mindestens 100 m aufweist.

Bei den bestehenden Fassungen in den Vorländern verläuft der Alpenrhein oftmals in der Zone S2, was seitens der Wasserversorger zusätzliche Massnahmen bezüglich der Überwachung und Aufbereitung erfordert. Es besteht jedoch keine Vorschrift, deswegen eine Grundwasserfassung aufzuheben. Die Qualitätsanforderungen der Lebensmittelgesetzgebung müssen aber stets erfüllt sein. Laut Oberholzer weist das Trinkwasser aus dem Grundwasserstrom des Alpenrheins im kantonalen Vergleich eine überdurchschnittlich gute Qualität auf.

Unzufriedene Naturschützer

Gar nicht zufrieden mit dem Projektverlauf sind die Naturschutzorganisationen. «Wir sind der Meinung, dass die Verlegung der Trinkwasserfassungen aus dem Rheinvorland nicht ernsthaft geprüft wird», sagt Lukas Indermaur vom WWF Regionalbüro in St. Gallen. «Es darf nicht sein, dass bei einem Jahrhundertprojekt die offensichtlich machbare Verlegung von Infrastrukturen tabuisiert wird und eine politische Interessenabwägung vorweggenommen wird.» Nach Ansicht der Naturschutzorganisationen müssen nicht alle Brunnen weg. Diejenigen bei Widnau sind ihnen aber ein Dorn im Auge, weil so auf einer viel zu langen Flussstrecke die ökologischen Minimalan­forderungen nicht erfüllt werden.

Auch der ungünstig gelegene Brunnen am Rheinspitz zwischen dem Neuen Rhein und der Rheinschleife bei Diepoldsau muss in ihren Augen weichen. Dass die Verlegung von Trinkwasserbrunnen unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein kann, zeigt etwa ein Bundesgerichtsentscheid im Kanton Aargau.[4] Um das Misstrauen der Naturschützer aufzufangen, wäre es wichtig, die Ergebnisse der separat durchgeführten Trinkwasseruntersuchungen nach ihrem Abschluss 2017 zu veröffentlichen, denn diese bilden eine zentrale Planungsgrundlage. Doch die Naturschutzorganisationen stellen sich bereits auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ein, und sie sagen dies auch öffentlich. Rhesi droht das Damoklesschwert der Verbandsbeschwerde nach dem Umweltschutzgesetz.

Und so stellt sich die Kardinalfrage, wo die rote Linie liegt. Wann wird die Genehmigung des Projekts aus ökologischer Sicht infrage gestellt? Die schweizerischen Gesetze und die EU-Wasserrahmenrichtlinie liefern dazu keine eindeutige Antwort. Klar ist, dass bei baulichen Eingriffen in die Gewässer diese ökologisch aufzuwerten sind. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie gibt als Ziel «das Erreichen des guten ökologischen Potenzials» vor. Und in der Schweiz schreiben sowohl das Wasserbau- als auch das Gewässerschutzgesetz vor, dass «bei Eingriffen in das Gewässer dessen natürlicher Verlauf möglichst beibehalten oder wiederhergestellt» werden muss.

Doch was heisst das konkret? Die Projekt­verantwortlichen müssen sich an die Anforderungen herantasten. Auf Schweizer Seite gibt es aber mit den Sanierungen des Linthwerks und des Hagneckkanals sowie dem Rhoneprojekt immerhin bereits einige wertvolle Erfahrungen.

Wo bleibt die Vision?

Leider wird Rhesi im Rheintal noch zu wenig als einmalige Chance wahrgenommen. Im Schlepptau des Hochwasserschutzprojekts könnten die Gemeinden ihre Trinkwasserversorgung nämlich auf eine solidere Grundlage stellen, und bei der Erholung liessen sich deutliche Aufwertungen erzielen, die gleichzeitig auch der Natur zugutekämen. Und so fragt man sich: Wird hier eine ­Chance vergeben? Wo bleibt die Vision? Wieso gelingt (in der Schweiz) nicht auch einmal ein grosser Wurf?

In Lustenau, das von den Anrainergemeinden am engsten mit dem Fluss gelebt hat, gibt es ein altes Volkslied. Da heisst es: «Wir leben an dem schönen Rhein / und trinken Most und sauren Wein / im schönen Lustenau. Und auf den Rhein, da sind wir stolz, er bringt uns alle Jahre Holz / für Haus und Hof und Herd. Und kommt der Rhein ins Dorf herein, so solls in Gottes Namen sein, wir fassen frischen Mut.»

Möge der Rhein wieder schöner werden, als er jetzt ist, und aus seinem engen Korsett befreit werden. Das Problem ist nur, dass unter «schön» nicht alle das Gleiche verstehen. Leider stehen derzeit die Zeichen dafür eher schlecht, dass sich die Akteure auf einen gemeinsamen Weg und ein zukunftsweisendes Projekt einigen können. Vielleicht hilft die Zeit: Bis zum ersten Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Österreich von 1892 dauerte es auch mehrere Jahrzehnte.


Anmerkungen:
[01] Die Gemeinsame Rheinkommission besteht derzeit aus: Urs Kost (Kanton St. Gallen), Vorsitz; Heinz Stiefelmeyer (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien); Hans Peter Willi (Bundesamt für Umwelt, Bern); Walter Sandholzer (Bundesland Vorarlberg).
[02] Wenn mehr Wasser abgeleitet wird als heute, wirkt sich das auf den Wasserstand des Bodensees aus. Aufgrund seiner grossen Fläche dürfte der Pegel aber nur um zwei Zentimeter zusätzlich ansteigen.
[03] 1924 siedelte sich die Kunstseidenfabrik «Viscose» in Widnau an. Produziert wurden erst Kunstseide, dann Zellwolle und zuletzt synthetische Polyestergarne. Dafür wurde viel Wasser benötigt, das die eigenen sechs Viscose-Brunnen im Rheinvorland lieferten. Im Zuge der Globalisierung und des Strukturwandels hat die Firma ihre Tore 2005 definitiv geschlossen. 2002 übernahm das Wasserwerk Mittelrheintal die Viscose-­Brunnen. 2005 eröffnete die Firma Rauch ihre Produktionsstätte in Widnau, in der sie laut Medienberichten pro Jahr 2.5 Milliarden Dosen Red Bull abfüllt.
[04] Das Generelle Projekt im Gebiet Sins-Reussegg sah zugunsten einer Auenlandschaft vor, ein Grundwasserpumpwerk in Sins im Kanton Aargau aufzuheben, eine Ersatzfassung zu erstellen und später auch noch ein zweites Pumpwerk zu schliessen. Dagegen wehrten sich die Wasserversorgungsgenossenschaft sowie die Ge­meinde Auw. Das Bundesgericht bestätigte 2013 das Urteil der Vorinstanz, die befunden hatte, das Interesse der Realisierung der standortgebundenen Auenlandschaft überwiege die Interessen der Erhaltung der Pumpwerke, die auch andernorts gebaut werden können.

Weitere Informationen unter: www.rhesi.org

TEC21, Fr., 2016.10.28

28. Oktober 2016 Lukas Denzler

Randvoll, nur nicht brechen

Das Rheintal soll besser vor Hochwasser geschützt werden. Das Projekt Rhesi soll den Durchfluss vergrössern, um mehr Wasser schadlos in den Bodensee leiten zu können. Doch was, wenn dies nicht ausreicht? Auch der Überlastfall wird konkret in die Planung miteinbezogen.

Das Unmögliche wollen, das Undenkbare denken und das Unsägliche sagen, haben stets gleiche Früchte getragen: Du musst, wenn die Träume sich scheiden, zuletzt das Unleidliche leiden.» Auch in der Schweiz wird Franz Grillparzer, der österreichische Schriftsteller der Romantik, gerade im Kontext von Überlegungen zum Überlastfall gern zitiert. «Das Undenkbare denken» ist beinahe schon ein geflügeltes Wort im Hochwasserschutz und als Ausgangsbasis für die Überlastkonzepte am Alpenrhein entscheidend.

Das Unmögliche wollen …

… muss man für die Hochwassersicherheit am Alpenrhein nicht. Die vom Projekt Rhesi angestrebte Erhöhung der Abflusskapazität ist durchaus umsetzbar und bedeutet einen sehr hohen Sicherheitsgewinn für die Anrainer. Das heutige Gerinne kann 3100 m³/s zum Bodensee durchleiten. Dieser Bemessungsabfluss entspricht einem HQ100, kommt also im Durchschnitt einmal in 100 Jahren vor – er kann aber selbstverständlich jeder­zeit eintreten. Rhesi sieht vor, den Alpenrhein auf ein HQ300, also 4300 m³/s, auszubauen. Geschuldet ist diese Abflusserhöhung dem immensen Schadenspotenzial, das im Rheintal vorhanden ist.

Ein heute eintretendes 300-jährliches Hochwasser würde die Schutzbauten überlasten. Dammbrüche und grossflächige Überflutungen von besiedeltem Gebiet wären somit wahrscheinlich und könnten auf Schweizer Seite Schäden von 2.5 Milliarden Franken nach sich ziehen. Auf österreichischer Seite könnten Schäden bis zu 3.2 Milliarden Franken entstehen. Gründe für diese hohen Zahlen sind unter anderem ein zunehmender Siedlungsdruck, die Steigerung der vorhandenen ­Werte sowie Bauten, die nicht auf Hochwassergefah­ren abgestimmt sind. Da Gebäude im Regelfall nicht auf einen Dammbruch ausgelegt werden, ist Letzteres ­jedoch nichts Ungewöhnliches.

Um den neu angestrebten Ausbauabfluss durch das Rheintal sicher in den Bodensee leiten zu können, wurden sechs Basisvarianten einer Fliessquerschnitts­erhöhung untersucht (vgl. Abbildungen oben). Letztlich kristallisierten sich aus diesen Varianten die Vorgaben für das Generelle Projekt heraus, das derzeit erarbeitet wird.

Vom Grundsatz her wird die angestrebte Kapazitäts­erhöhung mittels Gerinneaufweitung innerhalb der bestehenden Dämme erreicht. Zur Sicherstellung der Dammstabilität und für Unterhaltsarbeiten bleiben mindestens 15 m des Vorlands am wasserseitigen Dammfuss bestehen. Kolke, die zu gefährlichen Unterspülungen des Damms bis hin zur Breschenbildung führen können, lassen sich somit verhindern. Mit einer derartigen Kapazitätserhöhung könnte nun der Eindruck entstehen, dass die Hochwasserschutzproble­matik nach der Umsetzung von Rhesi am Alpenrhein für zukünftige Generationen gelöst ist.

Das Unsägliche zu sagen …

… bleibt Wasserbauern und Naturgefahrenfachleuten jedoch nie erspart: Es gibt keinen absoluten Schutz vor Naturgefahren. Jedoch ist es möglich, die Wahrscheinlichkeit eines Systemversagens äusserst gering zu halten. Bei einem Hochwasser führenden Fluss versagt das System, wenn es zu einem unkontrollierten Fluten von Gebieten kommt, die dafür nicht vorgesehen sind.

Bis zum Bemessungsabfluss, nach Umsetzung von ­Rhesi also bis 4300 m³/s, läuft ein Hochwasser in geordneten Bahnen ab, in diesem Fall innerhalb der ­Dämme. Das ­Freibord, der Abstand zwischen dem Wasserspiegel und der Dammoberkante – bei Brücken das Mass bis zur ­Brückenunterkante –, ist eingehalten. Die Dämme werden folglich nicht überströmt, und Treibgut wie Schwemmholz und andere vom Fluss mitgeführte Dinge sollten zu keinen Verklausungs­erscheinungen an Brücken ­führen.

Erhöht sich der Abfluss weiterhin, tritt der Überlastfall ein. Der Wasserspiegel steigt, es kommt zu einer Verringerung des Freibords und damit zu einer Belastungserhöhung der Dämme. Flussdeiche, die nicht darauf ausgelegt sind, sind nun akut gefährdet. Spätestens bei einer Überströmung der Dämme ist ein Dammbruch wahrscheinlich. Ein beachtlicher Teil des Wassers würde in diesem Fall das eingedeichte Flussbett verlassen, und verheerende Schäden können die Folge sein. Das System kollabiert.

Das Undenkbare zu denken, …

… sprich: den Überlastfall in die Planung miteinzu­beziehen war für die Beteiligten an Rhesi folglich unumgänglich. Die grundlegende Frage dabei war, ob Abflüsse, die über dem Bemessungsereignis liegen, im Gerinne bleiben oder aus diesem ausgeleitet werden sollten. Beim Verbleib des überschreitenden Abflusses innerhalb der Dämme müssen diese und der Fliessquerschnitt darauf ausgelegt sein. Bei einer Ausleitung muss das Wasser entweder über Abflusskorridore – im Vorfeld aus­ge­schiedene, überflutbare Flächen – in den Bodensee oder in dafür bestimmte Rückhalteräume im Tal gelei­tet werden.

Auch Kombinationen von Abflusskorridoren in Verbindung mit Rückhalteräumen wurden betrachtet. Selbst eine Ableitung des Wassers über einen Stollen in den Walensee lag den Verantwortlichen als Studie vor. Ausserdem wurden Überlegungen angestellt, inwieweit ein Hochwasserrückhalt in den ­Stauseen im Einzugsgebiet des Alpenrheins möglich wäre.

Die bereits vorhandene Breite des Alpenrheins mit seinen ausgedehnten Vorländern, ohnehin anstehende Dammsanierungen und die grossen anfallenden Wassermengen bieten die Nutzung des Gerinnes für Überlastabflüsse an. Konzeptionell sieht Rhesi nun vor, bis zum Extremereignis, dem sogenannten EHQ, das Freibord zu nutzen und den Abfluss bis 5800 m³/s bordvoll in den Bodensee strömen zu lassen. Bei einer weiteren Überschreitung des Abflusses, EHQ genannt, wird einem Systemversagen durch eine gesicherte Dammüberströmung entgegengewirkt.

Bei hohen Abflüssen herrscht ein starker Geschiebetrieb im Fluss, der durch ein Aufreissen der Flusssohle noch verstärkt wird. Daher liegt der Wasserspiegelermittlung stets eine gewisse Unschärfe zugrunde. Dies ist bei der Planung eines Freibords zu berücksichtigen. Eingehende Betrach­tungen verschieden hoch angesetzter Freiborde und die Berücksichtigung der Topografie führten letztlich zur Bestvariante in Bezug auf den Überlastfall.
Differenziertes Freibord

Im Projektgebiet werden drei Abschnitte unterschieden. Etwa oberhalb von Mäder/Kriessern sind die Dämme auch für Überlastabflüsse bereits ausreichend hoch. Sie bleiben hier auch zukünftig nicht überströmbar. Zwischen Mäder und Diepoldsau liegt ein wenig besiedelter Bereich, der sich für Entlastungen anbietet. Hier werden Abflüsse, die über 5800 m³/s (EHQ ) liegen, beidseits über abgesenkte Dämme entlastet. Die Dammhöhe der in diesem Abschnitt überströmbaren Dämme ist auf das Dimensionierungsereignis von 4300 m³/s mit Berücksichtigung des Freibords abgestimmt. Dies lässt im Idealfall auch den bordvollen Durchfluss eines EHQ zu.

Unterhalb dieser Entlastungsstelle, entlang der dicht besiedelten Gebiete zwischen Widnau/Diepoldsau und der ­Mündung, ergibt sich das Freibord aufgrund der Un­schärfe der Wasserspiegellagenberechnung. Im besten Fall strömt das EHQ folglich mit einem eingeschränkten Freibord innerhalb der Dämme ab. Ein Überschwappen aufgrund von Wellenbildung ist jedoch möglich, da das hier angesetzte Freibord die Energielinie nicht berücksichtigt.

Der Bestvariante liegt also eine differenzierte Berücksichtigung des Freibords zugrunde. Dies hat den Vorteil, dass die tatsächlich vorhandene Gerinnekapazität gut ausgenutzt werden kann und eine Entlastung an einem vorher festgelegten Ort stattfindet. Die zu entlastende Wassermenge wird somit möglichst niedrig gehalten, und Notfallplanungen können effektiv im Vorfeld auf das Entlastungsgebiet abgestimmt werden.

Durch die Inanspruchnahme der annähernd ­maximalen Gerinnekapazität auch unterhalb der Entlastungsstelle bleibt der Geschiebetrieb ähnlich hoch. Daher können Auflandungen im Entlastungsbereich, die wiederum einen negativen Einfluss auf die Entlastungsmenge hätten, vermieden werden. Die Anordnung einer ungesteuerte Entlastung in Form von Dammscharten hilft letztendlich, Fehler zu vermeiden. Gesteuerte Entlastungen müssen unterhalten werden, können technische Defekte haben und verlangen, falls sie nicht ­automatisiert werden, im Ereignisfall eine Bedienung. Letzteres wäre wohl eine Bürde, um die sich keiner in der Verantwortung Stehende reissen dürfte.

Das Unleidliche …

… sollte nach der Umsetzung von Rhesi in weite Ferne rücken. Dem überzeugenden Konzept sollte es jedenfalls erspart bleiben, dass «die Träume sich scheiden».


Anmerkung:
Dem vorliegenden Artikel liegt der Beitrag «Zukunft Alpenrhein – Definition Freibord und Überlastfall» von Dominik Schenk, Markus Schatzmann, André Meng, Ueli Schälchli zugrunde, erschienen im Tagungsband des Internationalen Symposiums «Wasser- und Flussbau im Alpenraum» 2014 in Zürich.

TEC21, Fr., 2016.10.28

28. Oktober 2016 Peter Seitz

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