Editorial

Housing the Many – Stadt der Vielen lautet das Thema des 7. urbanize!-Festivals, das dieses Jahr erstmals in Hamburg und Wien stattfindet. Im Mittelpunkt des Festivals stehen die vielfältigen Erfahrungen aus Initiativen und Projekten urbaner Selbstorganisation, die mit alternativen Ansätzen für Stadtentwicklung und Wohnbau längst Wege aufzeigen, wie Stadt von, mit und durch die Vielen geplant werden kann. Gemeinsam mit unserem Ko-KuratorInnen-Team von der Hamburger Planbude und zahlreichen Festivalgästen wollen wir im Lichte der Wohnungskrise und der wachsenden Stadt dazu einladen, gemeinsam über Strategien und Muster einer selbstbestimmten Produktion von Stadt mit Potenzial auf Skalierung nachzudenken, um von der Vielzahl an Einzelprojekten zu Modellen zu gelangen.

MitdenkerInnen, MitstreiterInnen und MitwisserInnen sind herzlich willkommen!
Auch diese dérive-Herbstausgabe nimmt sich des Themas an – als vertiefender Reader, Ergänzung und Erweiterung der urbanize!-Diskurse. Der Fokus der acht Schwerpunkt-Texte liegt auf dem Thema Wohnen: Von der Beschäftigung mit grundsätzlichen Aspekten der Wohnungsfrage, der Friedrich Engels bereits 1872 zu Öffentlichkeit verholfen hat, bis zu konkreten Beispielen, die Strategien für ein besseres (und leistbares) Zusammenleben in der Stadt zeigen, als es der derzeit dominierende Wohnungsbau zu leisten vermag.

»Was heißt hier eigentlich bezahlbar?« fragt sich Carsten Praum in seinem Beitrag Der Mythos der Bezahlbarkeit. Er geht der ominösen Drittel-Faustregel auf den Grund, die monatliche Mietkosten von 25 bis 30 Prozent des Einkommens unabhängig von seiner Höhe als leistbar definiert. Ganz so, als ob es unerheblich wäre, ob 70% von 1.200 Euro für das Leben übrig bleiben oder von 3.600 Euro. Bereits in den 1970er Jahren hat Michael E. Stone mit seinem residual income approach dafür ein alternatives Modell vorgelegt, das Praum in seinem Beitrag vorstellt.

Auch Michael Klein, einer der Schwerpunktredakteure dieser Ausgabe, wirft einen Blick zurück in die Geschichte.

Er rückt die Wohnungsfrage und die Ansätze ihrer Reform in den Fokus, die „das gesellschaftliche Zusammenleben in Städten und ihre Konflikte im 19. und 20. Jahrhundert über weite Strecken begleitet und maßgeblich geprägt“ haben. Auch heute, in einer Phase der – auch für die Mittelklasse – zu stark steigenden Wohnkosten, ist das Wohnungswesen samt Nebenaspekten wie Gentrifizierung wieder eines der meist diskutierten Themen.

Danny Dorling zeigt in seinem Artikel am Beispiel Großbritannien, wie negativ sich die Laissez-faire-Politik der letzten Dekaden auf die Lage am Wohnungsmarkt ausgewirkt hat. Während sich viele das Leben in den Städten nicht mehr leisten können und die Qualität der Wohnungen in keiner Weise ihre Preise rechtfertigt, herrscht gleichzeitig Leerstand. Dorlings Forderung: »Housing in the UK needs to be for homes, not
for investment«.

Einen Blick auf die Alltagswirklichkeiten des Zusammenlebens werfen Barbara Emmenegger, Meike Müller und Bettina Nägeli. Am Beispiel des Schweizer genossenschaftlichen Wohnbaus, dessen »Grundidee sich mit den Schlagworten Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Gleichheit, Demokratie, Solidarität zusammenfassen lässt«, zeigen sie, welche Herausforderungen sich heute für Nachbarschaft einstellen. Denn auch Wohnbaugenossenschaften sehen sich mit der allgemeinen gesellschaftlichen Tendenz zu Individualisierung und Pluralisierung konfrontiert, die sich in einer »Ausdifferenzierung der Engagementformen« zeigt.

Wie in zahlreichen anderen Städten hat die große Zahl an Geflüchteten in den letzten Monaten auch in Hamburg den schon lange bestehenden Mangel an leistbarem Wohnraum in den Fokus gerückt. Der gleichzeitig aufkommende Protest gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge aus der Wutbürgerfraktion hat das Plenum von Recht auf Stadt Hamburg veranlasst, eine Erklärung »gegen die Hysterie – für eine andere Planung« zu verfassen, die wir auf den Seiten 29 bis 31 dokumentieren.

In unseren Breiten noch eher unbekannt, verfolgen in angloamerikanischen Ländern lokale Initiativen mit dem Community Land Trust (CLT) Modell bereits seit Jahrzehnten einen ähnlichen Ansatz wie das Mietshäusersyndikat, zu dem es in den letzten dérive Heften Beiträge gab. Udi Engelsman, Mike Rowe und Alan Southern analysieren an zwei eindrucksvollen Beispielen aus Boston und New York die unterschiedlichen Phasen der Entwicklungsgeschichte zweier CLTs.

Die Initiative Neustart Schweiz hat wiederum ein umfassendes Konzept entwickelt, das sich Fragen des Wohnens und Zusammenlebens, der Mobilität, der Arbeitswelt und der Nachhaltigkeit widmet und eine Lösung in Form eines Nachbarschafts-Modells vorschlägt.

Eine erste Umsetzung des Modells ist mit dem Projekt NeNa1 geplant, das Fred Frohofer, einer der Akteure der Initiative, unter dem ambitionierten Titel Urbane Weltrettung vorstellt.

Eine weitere konkrete Initiative, die sich den Themen Zusammenleben und der Verbindung von Wohnen, Arbeiten, Kunst und Kultur widmet, ist das Haus der Statistik, ein seit vielen Jahren ungenutzter Gebäudekomplex auf dem Berliner Alexanderplatz. Die gleichnamige Initiative will ihn zu einem Zentrum für Geflüchtete, Soziales, Kunst und Kreative entwickeln.

Florian Schmidt, Christian Schöningh, Maria Munoz Duyos und Claudia Hummel stellen Geschichte und Pläne der Initiative vor. Andreas Hofer ergänzt den Beitrag um einen Kommentar zu den Perspektiven eines Urbanismus von unten, der auf einer gemeinwohlorientierten Ökonomie basiert und den Schritt vom Besetzen zum Besitzen macht.

Housing the Many – Stadt der Vielen erkundet Wohnen als politisches Thema, das untrennbar mit Fragen des Zusammenlebens, von Besitz und Eigentum, der Verteilung von Ressourcen, und damit dem Recht auf Stadt und dem Recht auf Zentralität zu tun hat.

Inhalt

When Spectres Return 
Wohnungswesen, Wohnreform und die Vorstellung vom guten Wohnen
Michael Klein

Housing: a better politics
Danny Dorling

Urbane Weltrettung
Wer die Natur schützt, lebt in der Stadt
Fred Frohofer

Haus der Statistik
ZUsammenKUNFT für Berlin
Florian Schmidt, Christian Schöningh, Maria Munoz Duyos, Claudia Hummel

Nachbarschaften in Wohnbaugenossenschaften
Wohnen zwischen Optionen und Verbindlichkeiten
Barbara Emmenegger, Meike Müller,  Bettina Nägeli

Migration findet Stadt
Gegen die Hysterie – für eine andere Planung
Plenum des Hamburger Recht auf Stadt-Netzwerks

Kunstinsert
– und daß es hier nichts zu sehen gibt, es sei ...
Maria Hahnenkamp

Der Mythos der Bezahlbarkeit
Zur wohnungspolitischen Relevanz von Faustregeln
Carsten Praum

Narratives of Urban Resistance
The Community Land Trust
Udi Engelsman, Mike Rowe, Alan Southern

Besprechungen:
Architektur als offenes System S.51
Jenseits der Creative City S. 52
Die reanimierte Stadt S. 53

Haus der Statistik - ZUsammenKUNFT für Berlin

Die Initiative Haus der Statistik ist bestrebt das sechs Gebäude umfassende Haus der Statistik am Alexanderplatz in Berlin als ein Zentrum für Geflüchtete, Soziales, Kunst und Kreative zu entwickeln. Das Gebäude gehört dem Bund, die anliegenden Freiflächen sind im Eigentum des Landes Berlin. Ein Verkauf des Gebäudes an das Land Berlin ist sehr wahrscheinlich. Einer Aufforderung des Berliner Finanzsenators folgend hat die Initiative ein Angebot entwickelt, welches Szenarien der Umsetzung durch eine Genossenschaft und weitere Partner darstellt. Daneben arbeitet die Initiative an dem Aufbau einer Akademie der ZUsammenKUNFT und hat ein Pilotprojekt in einer Notunterkunft für Flüchtlinge eingeleitet. In diesem Artikel werden sowohl stadtentwicklungspolitische Hintergründe als auch die Ziele und Praxis der Initiative und ihrer Stadtentwicklungsgenossenschaft beleuchtet.

Kontext I: Wenn Berlin die Stadtentwicklung neu denkt

Seit dem Jahr 2000 wurden in Berlin Liegenschaften in öffentlichem Eigentum in so genannten bedingungslosen Höchstpreisverfahren verkauft, also einem Verfahren bei dem einzig und allein der höchste Preis über den Zuschlag entscheidet und seitens der öffentlichen Hand keinerlei inhaltliche Auflagen bestehen. Das Ziel: Schuldentilgung. Die Folge: Gesichtslose, mit kommerziellen Nutzungen gefüllte Gebäude prägten die Stadt – insbesondere im Zentrum. Zehn Jahre später beschloss das Abgeordnetenhaus, mit dieser Praxis zu brechen und Stadtentwicklung zu einem wichtigen Kriterium der Liegenschaftspolitik zu machen. Zeitgleich haben unterschiedlichste Initiativen mit zahlreichen Projekten bewiesen, dass eine kreative, inklusive und selbstorganisierte Stadtentwicklung möglich ist: Studentendorf, ExRotaprint, das Aufbauhaus, Spreefeld Berlin, später der Holzmarkt, die Markthalle 9 oder der Blumengroßmarkt. Die Akteure und Akteurinnen dieser neuen und neu gedachten Stadtentwicklung schlossen sich zur Initiative StadtNeudenken zusammen und gründeten 2012 gemeinsam mit Abgeordneten aller Parteien einen Runden Tisch zur Neuausrichtung der Berliner Liegenschaftspolitik, der bis heute regelmäßig im Berliner Parlament tagt. Dieser Runde Tisch arbeitet seither Schritt für Schritt daran, einen Katalog an Qualitätskriterien umzusetzen. Mittlerweile bemühen sich Kultur-, Wohlfahrts-, Umwelt-, Sport- und Wohnungsgesellschaftsverbände gemeinsam einen Rat für die Räume, der die Zivilgesellschaft künftig systematisch an der Vorbereitung von Entscheidungen zu wichtigen Standortentwicklungen beteiligt, fest in politische Abläufe zu implementieren. Der neue Berliner Finanzsenator hat bereits Interesse signalisiert.

Kontext II: Wohnungsbau. Notstandsurbanismus vs. Stadt Neu Denken

Der Berliner Senat spricht in Zusammenhang mit der Wohnungsfrage häufig von einem Zeit- und Massenproblem, das nicht von der Hand zu weisen ist.

Eine wachsende Einwohnerschaft sucht zunehmend vergeblich auf einem Wohnungsmarkt, der systematisch und fahrlässig durch ausgebliebene Bestandswahrung, zu geringen Neubau sowie einem gestiegenen Flächenverbrauch pro Person extrem ausgedünnt wurde.

Ab 2012, mit einem personellen Wechsel im Senatorenamt für Stadtentwicklung, änderte sich die Berliner Stadtentwicklungspolitik in eine positive Richtung.

Beispielsweise setzte sich die Erkenntnis durch, dass beim Thema kommunaler Wohnungsbau gehandelt werden muss. Es wurde ein Förderprogramm aufgelegt, für das sich zwar bislang kaum ein privater Investor begeistern konnte. Das könnte aber auch als Qualitätsmerkmal durchgehen, zumindest im Abgleich mit den unsäglichen Auswirkungen der Förderprogramme vergangener Jahrzehnte auf die Stadt, auf sozial-versorgte Menschen und die öffentlichen Haushalte.

Das Zeit- und Massenproblem diente der Politik bisher als praktische Begründung für zweifelhafte Unterbringungsprojekte. Dieses könnte jedoch – anders interpretiert und strategisch eingesetzt – auch wie ein Beschleuniger und Ermöglicher wirken. Die kritische Lage erzeugt ein verstärktes Bewusstsein für das Problem und ermöglicht neue Allianzen. Die Zeit ist knapp, zu viele sind unzureichend und prekär untergekommen, aber die Rahmenbedingungen für StadtNeudenken waren aus den oben erwähnten Gründen selten so gut wie heute.

Es liegt kein Sachzwang vor, es ist ausschließlich eine Frage des politischen Willens: Mit wem verbündet sich die Politik? Deshalb ist das Angebot für das Haus der Statistik als eines der Kooperation an die Stadt gemeint, an ihre BürgerInnen sowie an Politik und Verwaltung. Eine Internationale Bauausstellung (IBA) für Berlin, die in den letzten Jahren geplant wurde, aber derzeit auf Eis liegt, böte dafür ein passendes Umfeld.

Das Haus der Statistik und die Potenziale auf den zugehörigen Grundstücken sowie in der östlich angrenzenden Wohnstadt-Landschaft bieten die großartige Möglichkeit den bei Bauausstellungen üblichen Maßstab des Fallbeispiels zu verlassen: Zeit- und Massenprobleme begegnen einem Bottom-up-Prozess.

Die Entstehung: Von der Kunstaktion zum Großprojekt

Alles begann mit einem Plakat. Das Netzwerk AbBA – Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser hatte im Rahmen seiner Kampagne Hier entsteht ein Zentrum – ein Produktionszentrum für Kunst, Kultur und Soziales das Haus der Statistik ins Auge gefasst. Mit dem seit acht Jahren leerstehenden Gebäude, das von den Eigentümern Bund und Land Berlin gemeinsam vermarktet werden sollte, konnte perfekt die Forderung von AbBA unterlegt werden, Leerstand für kulturelle und soziale Ziele zu nutzen. Im September 2015 befestigte AbBA ein 10 x 6 m großes Transparent am Haus der Statistik. Subtil als Bauschild gestaltet, forderte es Bund, Land und EU auf, die kulturelle und soziale Infrastruktur in Berlin zu sichern und auszubauen. Vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt sehr intensiven Geflüchteten-Thematik schlug AbBA vor, das Haus der Statistik als Ort für Geflüchtete, Künstler und Künstlerinnen zu nutzen. Noch in der Nacht der Plakataktion erhielt das Netzwerk die Nachricht von Mittes Bezirksbürgermeister, dass er diese Idee unterstützt. Zwei Wochen später stellte AbBA diesem eine Vision für das Haus der Statistik vor, der das heutige Programm der Initiative im Wesentlichen immer noch entspricht. Die InitiatorInnen des Projekts verabredeten, das Projekt einen Monat später der Öffentlichkeit zu präsentieren. In diesem Monat wurde die Initiative Haus der Statistik gegründet. Neben den bei AbBA bereits aktiven Akteuren wie Harry Sachs (ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik), Florian Schmidt (Atelierbeauftragter für Berlin) und Florian Schöttle (ehemaliger Atelierbeauftrager) kamen nun die weiteren Mitglieder der Initiative dazu, das sind aktuell 13 Organisationen. Diese Kooperation, die von etablierten Stiftungen über Architekturbüros (Raumlabor Berlin, die Zusammenarbeiter), Selbsthilfeorganisationen, inklusive Geflüchteten-Projekte bis zum Atelierbeauftragten Berlins reicht, dürfte entscheidend für den Erfolg sein.

Von Beginn an bezeichnete die Initiative ihr Projekt als Leuchtturmprojekt der anderen Art. Dieser für neoliberale Stadtpolitik stehende Begriff soll umgedeutet werden. Im 50.000 qm großen Haus der Statistik soll ein Zentrum für Geflüchtete, Soziales, Kunst und Kreative entstehen, das für Berlin ein leuchtendes Symbol in vielfacher Hinsicht werden kann.

Der Anspruch: Das Recht auf Stadt wird professionell. Vier Ebenen des Projektes

Das Konzept der Initiative macht deutlich: Hier geht es um die Etablierung eines Hubs für viele gesellschaftliche Fragen und Lösungsansätze, die jedoch nur als ein Mosaik von gemeinschaftlich und synergetisch wirkenden Projekten funktioniert. Die einfache Formel lautet: Ko-Wohnen, Ko-Arbeiten, Ko-Veranstalten. Im Haus werden ein integrativer Wohnraum mit einem hohem Anteil für Geflüchtete, Arbeitsräume für Künstler und Künstlerinnen, Raum für Bildungsprojekte und vielfältige Veranstaltungen entstehen. Für den gerade zu Tode kommerzialisierten Alexanderplatz stellt dieses Programm durch Angebote zum kreativen und solidarischen Mitmachen eine wichtige Alternative dar. Kurz nach der öffentlichen Präsentation wurde im Bezirksparlament von Berlin-Mitte das Konzept der Initiative nahezu einstimmig von allen Parteien beschlossen. Im Januar traf sich diese dann mit Finanzsenator Kollatz-Ahnen (SPD), der bis dahin vorgehabt hatte, das Haus vom Bund zu kaufen, um dort Verwaltungen zu konzentrieren. Überraschend war das Ergebnis: Kollatz-Ahnen forderte die Initiative auf, plausibel zu machen, wie sie ihr Projekt mit einem privaten Partner umsetzen könnte. Bei überzeugenden Argumenten würde er das Projekt dem Bund gegenüber unterstützen. In einem Zeitraum von sechs Monaten baute die Initiative über zwei große Vernetzungs-Ratschläge mit jeweils hunderten Teilnehmern und TeilnehmerInnen ein breites Netzwerk von UnterstützerInnen und potenziellen NutzerInnen im Haus der Statistik auf. Die Arbeit der Initiative gliederte sich sodann schnell in vier Ebenen.

1. Die fortlaufende Projektentwicklung für eine immobilienwirtschaftlich funktionierende Nutzung des Gebäudes gemäß dem vorgeschlagenen Konzept durch die ZKB ZUsammenKUNFT Berlin - Genossenschaft für Stadtentwicklung.
2. Die Gründung einer Akademie der ZUsammenKUNFT zur künstlerischen und diskursiven Erörterung der Schlüsselthemen des Konzeptes (Migrationsgesellschaft, Stadtentwicklung, Wohnmodelle, Bildung, Kunst, Arbeit).
3. die Initiierung und Kuratierung eines Pilotprojektes, bei dem in einer Notunterkunft für Flüchtlinge elf Künstlerkollektive angesiedelt wurden, die zum Thema Flucht und Teilhabe arbeiten.
4. Die Entwicklung von Kampagnenbausteinen wie Logo, Webseite, Bildsprache in Kooperation mit einer Agentur, die sich (zunächst) ehrenamtlich einbringt.

Die Rolle der Stadtentwicklungsgenossenschaft ZKB ZUsammenKUNFT Berlin

Vor gut drei Jahren entstand die Entwicklungsgenossenschaft Tempelhofer Feld, also reichlich vor dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld.[1] Anlass der Gründung war der verbreitete, nicht mehr zu leugnende Frust über die Ergebnisse der laufenden Planungs- und Beteiligungsprozesse in Berlin.

Die Stadtverwaltung hatte diese mit großem Aufwand betrieben, die BürgerInnen waren trotzdem unzufrieden bis fassungslos, allein das waren zwei komplementäre Gründe für das sich hochschaukelnde gegenseitige Unverständnis. Aus der ungleichen Verteilung von Macht- bzw. Entscheidungsbefugnissen resultierten in der Folge unkluge Strategien und Entscheidungen und wie so oft Wut und Widerständigkeit bei denen, die letztlich nichts zu entscheiden hatten. Die These der InitiatorInnen, GründerInnen und BetreiberInnen der Entwicklungsgenossenschaft war, dass sich alle Interessenvertreter in der Genossenschaft mit gleichen Rechten und dem Ziel versammeln, um – eingangs ergebnisoffen – ein Stück nachhaltige Stadt zu entwickeln.

Designierte TeilnehmerInnen waren in einer ersten Phase VertreterInnen der Initiativen vom Tempelhofer Feld und AkteurInnen aus der Nachbarschaft, dem Thema nahestehende Initiativen, Verbände sowie RepräsentantInnen aus Politik und Verwaltung.

Geplant war, dass die Genossenschaft in Anlehnung an das Baugesetzbuch für Entwicklungsträger die Aufgaben der privatrechtlich organisierten, aber zu 100% dem Land Berlin gehörenden Tempelhof Projekt GmbH übernimmt, die bis dahin die Transformation vom Flughafen zu einem Stück Stadt versucht hatte. Diese Genossenschaft wurde im Frühjahr 2016 durch Mitglieder der Initiative für das Haus der Statistik mit Einverständnis der GründerInnen mehrheitlich übernommen und umbenannt in: ZKB ZUsammenKUNFT Berlin – Genossenschaft für Stadtentwicklung. Sie ist damit eine rechtsfähige Verhandlungspartnerin der öffentlichen Hand und kann den weiteren Projektfortgang gewährleisten. Sie wird nicht selber Projektbetreiber oder Bauträger sein. Die Genossenschaft will Projekte auf die Schiene setzen und zum nächsten Projekt weiterziehen, denn es geht ihren Mitgliedern darum Berlin breitenwirksam zu verändern.

Wie die skizzierten Ziele erreicht werden und wer dort bauen wird, soll durch einen transparenten und verlässlichen Prozess gewährleistet werden; das gilt auch für die benachbarten Flächen. Die schwierigste Frage und zugleich größte Herausforderung ist die Entscheidung wer Mitglied werden kann und wie das Stimmrecht ausgestaltet ist. Eine Idee ist, dass Vertreterorganisationen von Bedarfsgruppen z.B. aus sozialem und kulturellen Feld Mitglieder der Genossenschaft werden und dieser eine Basis geben, um wichtige Entscheidungen zu treffen.

Ausblick I: Kooperation mit einer öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft

„Es gab niemals einen Gedanken, dessen Vater kein Wunsch war.“ (Bertolt Brecht).

Seit etlichen Jahren existiert in Berlin der Wunsch, dass Erfahrungen mit alternativen Strategien für Raum-, Projekt- und Stadtentwicklung öffentlich zur Verfügung gestellt und wahrgenommen werden, um drängenden und großen Aufgaben nicht scheinbar alternativlos ausgeliefert zu sein. Es geht dabei um:
– intensive Prozesse, die bessere Ergebnisse bringen;
– Rechts-, Eigentums- und Mitbestimmungsfragen, die gute Lösungen für eine möglichst lange Dauer absichern;
– präzise Bedarfsermittlungen zu heutigen und zukunftsfähigen Wohn- und Lebensformen, die Investitionen sicher machen und gleichzeitig erlauben, abseits des Mainstream zu handeln;
– die Erfindung von nicht-störendem Wohnen, um der Vorstellung der gemischten Stadt nach Baunutzungsverordnung (Mischgebiet = Wohnen plus Büros als nicht-störendes;Gewerbe) etwas entgegensetzen zu können und die neuen Bauten zukunftssicher zu machen;
– nicht zuletzt um eine kluge Ressourcen- und Raumorganisation für flächensparende und solidarische Nachbarschaften;
– ein Konzept, um auch normalen MieterInnen in jeder Hinsicht günstige Angebote machen zu können.

Der Initiative wurde unlängst von einer Berliner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft das Angebot gemacht, das Projekt in Kooperation anzugehen Eine Arbeitsgemeinschaft für die Entwicklung des Gesamtareals wurde bereits verabredet.

Ausblick II: die Akademie der ZUsammenKUNFT als Bindeglied zwischen Stadtgesellschaft, Nachbarschaft und akademischem Feld

Die Idee der Akademie wurde auf einem Vernetzungstreffen der Initiative geboren. Zukünftig soll eine Akademie den Nutzern und Nutzerinnen des Hauses die Möglichkeit geben, sich untereinander sowie mit der Nachbarschaft, der Stadtgesellschaft und speziellen Wissens- und Praxisfeldern auszutauschen. Eine wichtige Aufgabe der Akademie ist die Beantwortung der Frage, wie sich das Haus der Statistik für die Nachbarschaft öffnen kann. Statt paternalistisch vorzugeben, welche Angebote die Nachbarschaft braucht, soll der Spieß umgedreht werden: Welche Angebote, Impulse, Aneignungen bietet die Nachbarschaft dem Haus der Statistik? Hierzu plant das Akademieteam einen Forschungsprozess mit der Nachbarschaft, auch Kindern und Jugendlichen, mit Künstlern und Partnerinnen aus dem Bildungsbereich, der zukünftige Kooperationen ermöglicht und einleitet. Eine weitere Strategie der Akademie ist die Kooperation mit Universitäten und Hochschulen in Berlin und darüber hinaus. Hierbei geht es darum, die Themen des Hauses der Statistik aus verschiedenen Perspektiven zu erforschen, institutionelle Bildungsträger in die Akademie zu involvieren, um Wissensgemeinschaften und Formen der Solidarität auch interinstitutionell zu erproben. Institutionelle Lernformate stehen in der Akademie neben selbstorganisierten. Ziel ist dabei nicht nur eine Gleichberechtigung unterschiedlicher Wissensformen, sondern auch unterschiedlicher Vermittlungsformate.


[Florian Schmidt ist Atelierbeauftragter für Berlin beim bbk Kulturwerk und Koordinator der Initiative StadtNeudenken. Er ist Sprecher der Initiative Haus der Statistik
Christian Schöningh ist als Projektentwickler und Architekt in Berlin aktiv. Er ist er ist Gründungsmitglied der Initiative Haus der Statistik und Vorstand der ZKB ZUsammenKUNFT Berlin Stadtentwicklungsgenossenschaft. Weitere Informationen: www.carpanetoschoeningh.de und www.zusammenarbeiter.de.
Maria Munoz Duyos arbeitet zum Thema öffentlicher Raum und Nachbarschaften mit künstlerischen und planerischen Mitteln. Sie ist Mitglied des kuratorischen Teams der Akademie der ZUsammenKUNFT. Weitere Informationen: www.urbanitas.eu
Claudia Hummel ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Kunst im Kontext der UDK Berlin. Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Projekte und Untersuchungen an der Schnittstelle von Bildung, Kunst, Gesellschaft und Alltag mit dem Fokus auf Situationen der informellen, individuellen als auch gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Sie ist Mitglied des kuratorischen Teams der Akademie der ZUsammenKUNFT.]

Anmerkung:
[01] Siehe dazu den Eintrag Volksentscheid zum Tempelhofer Feld in Berlin bei Wikipedia.

dérive, Fr., 2016.10.21

21. Oktober 2016 Florian Schmidt, Christian Schöningh, Maria Munoz Duyos, Claudia Hummel

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