Editorial
150 Jahre – eine an sich schon beeindruckende Zahl, die uns ein wenig mit Stolz erfüllt und allemal ein beeindruckender Zeitraum.
Keine andere Architektur-Fachzeitschrift kann auf eine so lange Geschichte zurückblicken und daher widmen wir unserem 150-jährigen Jubiläum die gesamte Oktober-Ausgabe. Feiern selber und lassen uns feiern (eine Auswahl an Gratulationen finden Sie ab S. 10) und nutzten den Anlass, um uns viele alte Jahresbände der Zeitschrift anzuschauen und uns darin zu vertiefen. Unsere überraschenden, anregenden, z. T. kuriosen und bemerkenswerten Funde und Fakten flossen in das gesamte Heft ein. Sehr gerne lassen wir Sie auf den folgenden Seiten daran teilhaben! Seien es die »Produktberichte im Laufe der Zeit« (S. 88) oder markante Eckdaten und Schlüsselereignisse in der Geschichte der db, die wir auf der Timeline mit Ereignissen aus Politik, Kunst, Literatur und Architektur parallelisieren (S. 35). Wir sind sicher: für jeden ist etwas Spannendes dabei! Der wechselvollen und nicht immer geradlinig verlaufenen Geschichte der Zeitschrift widmen wir zusätzlich einen eigenen, ausführlichen Beitrag (S. 41).
Im Gespräch zwischen dem Schweizer Architekturkritiker Hubertus Adam, dem Chefredakteur a. D. Wilfried Dechau und der jetzigen Chefredakteurin Ulrike Kunkel betrachten wir schließlich die jüngere Vergangenheit sowie die Gegenwart und blicken in die Zukunft (S. 30).
Welche Themen, Serien und Rubriken die db über die Zeit prägten und prägen und welche Ideen dahinter stehen, lassen wir in verschiedenen Einzelartikeln Revue passieren. Da geht es allem voran natürlich um Architekturkritik, die in der db eine ganz zentrale Rolle einnimmt (S. 14 und S. 16), aber z. B. auch um die Anfänge der legendären »Schwachstellen-Serie«. Und erinnern Sie sich noch an »Alltag in...«? Oder wie ist eigentlich die Rubrik »… In die Jahre gekommen« entstanden? Hier können Sie es (noch einmal) nachlesen.
Wer hinter den jeweiligen Heftkonzepten, den Themen, Projektkritiken und Rubriken steht, verraten wir Ihnen auch: Damit Sie die Redaktion besser kennenlernen, stellen wir Ihnen die »Acht Macher« im Porträt vor (S. 20). Doch selbstverständlich sind wir nicht die einzigen, die dazu beitragen, dass Sie zehn Mal im Jahr ein anregendes und unterhaltsames Heft in Händen halten: einen großen Anteil daran, haben unsere zahlreichen freien Autoren, Kritiker und Korrespondenten, die uns teilweise seit vielen Jahren verbunden sind. Ihnen sei an dieser Stelle der herzliche Dank der gesamten Redaktion ausgesprochen!
Doch nun genug der Vorrede, überzeugen Sie sich einfach selber, was in 150 Jahren (Zeitschriften)-Geschichte so passiert ist. Die db-Redaktion freut sich jedenfalls schon jetzt auf viele weitere ereignisreiche Jahre mit ihren Lesern, Kunden, Partnern, Freunden und Kollegen! | Ulrike Kunkel
Senator Probst und Dr. Oswald
(SUBTITLE) Zur Ära der Baupathologen und Spürnasen: Die Schwachstellen-Serie in der db
Die Artikelserien über Bauschäden zählen zum begehrteren Lesestoff in der db, denn vom frisch gebackenen Diplomanden über den kreativen Entwerfer bis hin zum gestandenen Projekt- und Bauleiter weiß jeder Architekt, dass man von den Fehlern Anderer viel lernen kann. Von Beginn der 70er Jahre an bereicherten Berichte über folgenreiche Missgeschicke am Bau die bautechnischen Aspekte in dieser Zeitschrift – geprägt von Senator h.c. Raimund Probst und Dr. Rainer Oswald.
Von dem amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright erzählt man sich die Anekdote, er habe einst von einem Bauherrn ein Telegramm bekommen, in dem sich dieser darüber beschwerte, dass das Dach undicht sei und das von oben herabtropfende Wasser das antike Mobiliar ruiniere, explizit einen wertvollen Sessel im Louis-Seize-Stil. Wright entgegnete, ebenfalls im knappen Telegrammstil, berufstypisch arrogant: »Move in«, also: Schieben Sie den Sessel zur Seite! Ein Alptraum für jeden Bauherrn, damals wie heute. Egal wie berühmt der Architekt auch sein mag, heutzutage wäre nach einem solchen ..., nun ja: Mailverkehr, sofort der Gutachter zur Stelle und würde Foto und Risskarte zücken. Sein Schadensbericht gäbe vor Gericht den entscheidenden Hinweis, ob denn das Sesselrücken dem Schadensbild angemessen wäre oder vielleicht doch das Dach nachzubessern sei. Der Fall hätte außerdem Eingang in die Bauschadenserie der db gefunden und, redaktionell in Sprache und Bild sorgfältig aufbereitet, den Leser auf amüsant-spannende Weise darüber aufgeklärt, wie es zu einem solchen Schaden kommen kann und wie man ihn vermeidet.
Der hemdsärmelige Baupathologe
Angefangen hat die Bauschadenserie zu Beginn der 70er Jahre, als der Diplom-Ingenieur Raimund Probst nach seiner Spezifikation zum selbst ernannten »Baupathologen«, sprich Bauschadensgutachter oder im Architektenjargon: Nestbeschmutzer, vom damaligen Chefredakteur der db, Karl Wilhelm Schmitt, als Fachautor für Bauschadensfälle geworben wurde. Probst hatte in Karlsruhe Architektur studiert und war an der dortigen Technischen Hochschule später Dozent für das Fachgebiet Analyse von Bauschäden sowie Initiator des Bauschäden-Forums in Rottach-Egern. Den Auftakt machte er mit dem »Bauschaden des Monats«, einer 36-teilige Serie mit ausgesuchten Fällen seiner Gutachterpraxis. Monat für Monat benannte er in hemdsärmeliger und sehr direkter Sprache Schlamperei und Murks am Bau. Darauf folgte die nächsten drei Jahre seine »Analyse von Bauschäden«, gefolgt von einem weiteren 36er Trommel-Wortrevolver des Typs »Baufehler, Bauirrtümer, Bausünden«.
Raimund Probst hatte mit der db die Bühne erhalten, sich über Bauschäden zu mokieren und etablierte zugleich ein Format für bautechnische Beiträge, das die Folgen fehlerhafter Planungsrezepte ebenso schonungslos offenlegte wie es die schadensträchtige Ausführung auf den Punkt brachte. Probst nahm dabei kein Blatt vor den Mund.
Das Ende der Ära Probst
In den Jahren 1982-83 pausierte er kurze Zeit, während derer Prof. Friedrich Haferland das Mängel-Feld zu bestellen versuchte, dessen akademischer Schreibstil »im vorliegenden Falle« den Leser bei Weitem nicht so zu fesseln verstand, wie das Raimund Probst manchmal auch zu viel des Guten pflegte.
Von 1984-85 nahm Probst mit seinen »Baukonstruktiven Erkenntnissen« in 24 Beiträgen wieder Fahrt auf und beendete seine Ära in der db mit der »Baupathologie« im Jahr 1988, in der nicht nur Bausünden, sondern auch vermehrt Wortsünden zu finden waren. Inzwischen hatte Wilfried Dechau das Ruder als Chefredakteur der db übernommen und beerbte damit auch die Bearbeitung der Manuskripte von Probst, dessen oft deftige Wortwahl dem sprachverliebten Hanseaten zunehmend aufstieß. Zum Eklat kam es, als Dechau dem viel gehuldigten Senator h. c. Probst das Wort »Scheiße« aus dem geheiligten Text pathologisierte, was dem Pathologen selbst gar nicht gefiel und dieser erzürnt den Stab an seinen Sohn Michael Probst weitergab, der sich auch als Bauschadensgutachter verdingte. Dieser versuchte sich im Jahr 1989 mit 12 weniger wortstarken Beiträgen zur »Bautherapie« an Wiedergutmachung, jedoch war der eigentliche Nachfolger von Raimund Probst in dessen berufsidealistischem Gegenspieler Dr. Rainer Oswald bereits ausgemacht: Oswalds sachlich-fundierte und direkte Herangehensweise an die Bauschadensanalyse imponierte Dechau. So kam pünktlich mit der innerdeutschen Wende auch die redaktionelle Wende hin zu einer zweimonatlich erscheinenden »Schwachstellen«-Serie mit hohem inhaltlichen Niveau und verständlicher Sprache ohne polemische Spitzen.
Die db bekommt begehrte Schwachstellen
Rainer Oswald studierte und promovierte an der RWTH Aachen Architektur mit dem Schwerpunkt Baukonstruktion und Bauphysik. Mit seinem Aachener Institut für Bauschadensforschung (AIBau) und als Leiter der Aachener Bausachverständigentage ging ihm nie der Stoff für Schäden aus, der Alltägliches und Spektakuläres gleichermaßen bediente.
Seine Manuskripte schrieb der viel gefragte Oswald an verschiedensten Orten auf dem Weg zu oder in seinen Unterkünften während des bundesweiten Ortstermin-Hoppings und manchmal auch im seltenen Urlaub, am wenigsten jedoch im heimischen Büro. Entsprechend anstrengend war es für uns Redakteure, ihn an die Termintreue zu binden und rechtzeitig zu erfahren, über was er das nächste Mal denn schreiben wolle. Entbehren wollte kein Redakteur seine Beiträge, die auch in der Leserschaft bis heute hoch geschätzt sind.
Meine Bekanntschaft mit Rainer Oswald machte ich schon vor meinem offiziellen Beginn bei der db im Juli 1994, als mein damaliger Kollege Ignaz Hollay mir nach dem Einstellungsgespräch das aktuelle Manuskript Oswalds mit einem erleichterten Seufzer »zum Einüben« in die Hände drückte.
Konstruktive und respektvolle Zusammenarbeit
Ich kannte Rainer Oswald bis dahin nur aus den Veröffentlichungen in der db und merkte schnell, dass öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige seines Formats keinen Widerspruch gewohnt sind. In meinem berufsanfänglichem Eifer und dem mir eigenen Anspruch an die Lesbarkeit technischer Fachbeiträge redigierte ich seinen Text mit sichtlichen Korrekturvermerken und lernte beim kurz darauf anberaumten Klärungsgespräch die Primadonna Oswald kennen. Wilfried Dechau vermittelte die Argumente zwischen uns Kontrahenten des gutachterlichen Sachverhalts und der lesefreundlichen Schreibe, was die Basis für eine zehn Jahre andauernde respektvolle Zusammenarbeit legte. Auf meine Korrekturen folgten seine Gegenkorrekturen, und so lernten wir beide voneinander: ich von seinem allumfassenden Wissen um die komplexen Zusammenhänge des schadensfreien Bauens, er von meinen Strategien und Fähigkeiten, Schachtelsätze zu entwirren, Hilfsverben zu echten Verben zu verhelfen und unnötige verkomplizierende Substantivierungen hinwegzuzaubern. Was hatte ich Mühe, den Problemkreis auf das Problem zu reduzieren – aber unsere Zusammenarbeit war stets konstruktiv und zielorientiert. Die Primadonna war ebenso gezähmt wie mein redaktioneller Übereifer. Die Schwachstellen-Serie hatte von unser beider Arbeit profitiert.
120 Fachaufsätze in 20 Jahren
Im Jahr 2004 kam es zu einem grundlegenden Wechsel in der db-Redaktion – nach einem kurzen Intermezzo bei der Frage nach der Neubesetzung der Chefredaktion übernahm Ulrike Kunkel die Führung und hält die db bis heute auf gutem Kurs. Nach meinem Wechsel in die Selbstständigkeit übernahm Christine Fritzenwallner die Zusammenarbeit mit Rainer Oswald, die sie als »angestrengt-angenehm« empfand. Weiterhin war der Spagat zu leisten, nur im begrenzten Umfang zu redigieren, was zwischenzeitlich aber ganz gut machbar war, denn in Oswalds Manuskripten gab es natürlich keine fachlichen Fehler und die Gliederung war stets durchdacht und logisch aufgebaut – das Redigieren beschränkte sich also auf sprachliche Feinheiten. Was sich indes nie änderte, war die viel zu späte Abgabe seiner Unterlagen – alles kam auf den letzten Drücker, und dazu war erst nach Durchsicht von Text und Bildern klar, wie viele Seiten sein Beitrag diesmal im Heft einnehmen würde. Auch der Grafiker verzweifelte immer wieder, weil die Auflösung der Bilder zu klein war, der Ausschnitt unglücklich gewählt, das Datum im Foto retuschiert werden musste und immer wieder der gleiche AIBau-Schriftzug die Risskarte krönte.
Rainer Oswald blieb von 2004 an der db noch weitere sechs Jahre treu – sein letzter Beitrag erschien im November 2009, überschrieben mit dem fragenden Titel: »Sisyphusarbeit?« Die Antwort darauf fällt leicht und gab sich Oswald selbst: Ursachen von Schäden und Streit sind meistens systembedingt und werden immer weiter bestehen. Trotzdem leisteten Probst und Oswald mit ihren Aufsätzen wichtige Aufklärungsarbeit, von denen die db-Leser bis heute profitieren [1, 2].
Artikel über Bauschäden bleiben begehrt
Seit 2013 ist die Schwachstellen-Serie in den Metamorphose-Teil in der db gerückt, was den Rhythmus der Serie auf drei Monate gestreckt hat. Die Beiträge werden derzeit redaktionell von Dagmar Ruhnau betreut. Obwohl inzwischen die Autoren immer wieder wechseln und die über 20 Jahre vertraute Oswald´sche Methodik somit nicht mehr besteht, ist die Serie nach wie vor sehr beliebt. Die Architekten mögen daher die Gutachter als Nestbeschmutzer beschimpfen, von ihren Erfahrungen bei der Analyse von Bauschäden profitieren sie gerne bis heute ungebrochen. Wie sagte schon Johann Wolfgang von Goethe? »Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine«.db, Do., 2016.09.29
29. September 2016 Klaus Siegele
Architekturkritik – eine Annäherung
Um eine Architekturkritik relevant für einen kulturellen Diskurs zu gestalten, sollte ihr Autor einige Fähigkeiten mitbringen: u, a. Fachwissen, Neugierde und den Blick für die Nutzbarkeit der Architektur. Bestenfalls nähert er sich dem Gebäude aus gänzlich unterschiedlichen Blickwinkeln.
Manfred Sack, der jahrzehntelange Architekturkritiker der »Zeit«, war voller Bewunderung für Julius Posener. In der Besprechung von dessen Autobiografie zitiert er 1993 Poseners Eingeständnis: »Ich war jetzt sechzig. Ich gestehe, dass ich als Lehrer der Geschichte in noch stärkerem Maße Dilettant war als beim Entwurf.« Und Sack fügt hinzu: »Er kannte seine Begabung, sich sprachlich über Nicht- und Halbwissen hinwegzuhelfen. Es hört sich an wie die Absolution für Journalisten wie mich.«
Das aus der Feder von Manfred Sack zu lesen, klingt nach Koketterie. Es ist Koketterie.
Denn wenn je ein Kritiker penibel darauf geachtet hat, dass sein Urteil wohl begründet sei, auf nachprüfbare Tatsachenfeststellungen gegründet, dann war es Manfred Sack.
Und doch ist es wiederum auch keine Koketterie, sich selbst »Nicht- und Halbwissen« wenn schon nicht grundsätzlich zu attestieren, so es doch im Zweifelsfall für sich in Anspruch zu nehmen. Denn wie genau und vollständig wüsste der Kritiker jemals über den Gegenstand seiner Kritik Bescheid, dass er sich rühmen dürfte, diesen Gegenstand tatsächlich zu kennen, ihn zu »wissen«?
Julius Posener ist allen, die sich für die Geschichte der Architektur, besonders die Vor- und Frühgeschichte der Klassischen Moderne interessieren, als sprachmächtiger Historiker in Erinnerung, und selbst wer ihn nicht mit dem Zeigestock in der Hand vor der Tafel im Hörsaal hat reden hören, meint den Klang einer, seiner Stimme zu hören.
Posener war ein Erzähler, ein Geschichtserzähler und gern auch mal ein Geschichtenerzähler. Doch lange, bevor er Geschichtsprofessor wurde, war er ein Kritiker, der sich im Exil mit dem Verfassen von Kritiken über Wasser hielt, dabei doch eigentlich ganz in seinem Metier war. Wenn Manfred Sack den Älteren rühmt, so sagt er damit etwas über ein Idealbild des Kritikers. Was über Architekturkritik zu sagen wäre, gilt mutatis mutandis für alle Kritik, die in den verschiedenen Sparten an kulturellen Hervorbringungen geübt wird. Immer geht es darum, im Medium der Sprache – gesprochen oder geschrieben – eine konkrete Hervorbringung, sei sie zu sehen, zu hören oder allein intellektuell zu erfassen, zugleich zur Anschauung zu bringen wie zu würdigen.
Würdigen? Als Aufgabe der Kritik? Man muss sich nicht lange mit griechischer Philologie aufhalten, um auf die Wortbedeutung des zugrunde liegenden Verbums krínein hinzuweisen: trennen, unterscheiden, urteilen. Ebenso wie Kritik ein zunächst neutrales Wort ist, so verhält es sich mit Würdigung. In der Würdigung steckt die Aufgabe, einer Sache gerecht zu werden. Ihr ihre Würde zu geben und zu lassen. Das ist das Gegenteil des Zerreißens, das der Kritik gern als Antrieb unterstellt und in manchen Fällen tatsächlich auch so gehandhabt wird. Würdigen bedeutet, die Aufgabe zu verstehen, die zu bewältigen der Künstler oder hier der Architekt sich vorgenommen hatte, die Umstände, unter denen diese Bewältigung vonstatten ging, und das Ergebnis, das sich der Wahrnehmung, im Falle der Architektur gar der konkreten Benutzung, darbietet.
Der Kritiker verfolgt also im Geiste den Entstehungsprozess des Werks nach, um zu erkennen und sodann zu beurteilen, ob die zugrunde liegende Aufgabe gelöst wurde.
Die Aufgabe wird sicher nicht allein darin bestanden haben, etwa eine funktionierende Nasszelle in einen Wohnungsgrundriss zu integrieren – obgleich auch das in manchen Fällen Aufgabe genug sein kann –, es wird auch ästhetische Rahmenbedingungen gegeben haben, und es wird, bei einem nutzbaren Ding wie einem Bauwerk, zweifellos und durchaus nicht zuletzt auf die Ökonomie angekommen sein, etwas, das heutzutage, im Sinne einer zunehmend wahrgenommenen ökologischen Verantwortung, nicht mehr als auf das Budget des Bauherrn oder der Gebäudenutzer beschränkt zu denken ist.
Als Picassos Name einem breiten Publikum zum Synonym für moderne Kunst geworden war, andererseits aber noch erhebliche Aversionen dieser Moderne gegenüber bestanden, wurde gern dahingesagt, »so kann mein Kind auch malen«.
Warum, kam die Entgegnung, warum tut es das dann nicht? So leicht, wie es aussah, war auch die moderne Kunst nicht aus dem Handgelenk zu schütteln. Um wie viel mehr gilt das für die Architektur. Noch der grimmigste Verächter moderner Architektur wird nicht behaupten, dass er selbst es mindestens ebenso, ja eigentlich viel besser könne.
Die Architektur genießt mithin einen Vorteil, der zugleich ihr Nachteil ist. Der Vorteil ist, dass sie ganz augenscheinlich nur von dem geübt werden kann, der sie erlernt hat, und es ist ersichtlich, dass dieses Lernen ein langes und umfangreiches gewesen sein muss, ehe der erste Stein auf dem anderen ruht und ein Dach die Mauern deckt. Der Nachteil – oder doch wiederum ein Vorzug – ist, dass Architektur von jedermann genutzt und darum auch beurteilt werden kann. Ob eine Tür hoch genug ist, ein Fenster genügend Licht einlässt, der Boden eben, das kann jeder beurteilen. Muss es beurteilen, denn Architektur ist zum Gebrauch bestimmt. Eben darum wollte Adolf Loos bekanntlich nur zwei Bauaufgaben der Sphäre der Kunst zurechnen, das Grabmal und das Denkmal; und Loos, der vor und neben seiner Tätigkeit als Architekt journalistisch tätig war und zu formulieren verstand, spitzte etwas für die Kritik sehr Wesentliches zu: »Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschiede zum Kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat. Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißen. Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen. Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.«
Das lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass der Zweckcharakter der Architektur ihr eine Zurückhaltung auferlegt, die andere Sparten der Kultur im Zuge der Moderne vollständig ablegen konnten. Der Kritiker ist der Anwalt dessen, was Loos absichtsvoll mit »konservativ« bezeichnet. Die Kritik muss sich den Standpunkt des Nutzers zu eigen machen, zumindest auch zu eigen machen; der Architekturkritik ist dadurch ein Element von Naivität zu eigen, insofern sie nicht im Fachdiskurs oder auch nur -jargon verharren und Einverständnis vortäuschen kann, sondern immer wieder die schlichte Frage stellt: Warum macht er das, der Architekt? Und warum macht er es womöglich anders, als es bislang üblich war? Musste er überhaupt etwas anders machen?
Kurzfristige Moden haben in der Architektur keinen Bestand; dazu ist sie in ihrem Entstehungsprozess zu langwierig und in ihrer Nutzungsdauer zu langfristig. Das ist ein weiteres Element dessen, was Loos mit konservativ umschreibt. Und das ist, was der Kritiker, gerade auch im Vorgriff darauf, dass gebaute Architektur so bald nicht aus dem Gesichtskreis verschwindet, als Maßstab seiner Kritik heranziehen muss.
Diesem, man könnte es nennen: retardierenden Moment der Kritik steht ein progressives gegenüber. Architektur, da sie nie nur auf sich selbst bezogen sein kann, nimmt gesellschaftliche Strömungen auf, spiegelt sie wider, befördert sie oder widersetzt sich ihnen. Aber sie kommt nicht drum herum. Wenn es Zeit ist für Neues, wie beispielhaft für das »neue bauen« zwischen den Kriegen, für das sozial verantwortliche Bauen, kommt dem Kritiker die Rolle des Wegbereiters zu. Die Formulierung gesellschaftlicher Ansprüche ist eine Aufgabe der Kritik; und da wir gerade eine Zeit neuer Herausforderungen im Zuge der weltweiten Migration, oft zur »Flüchtlingskrise« verkürzt, erleben, ist es an der Kritik, die Architektur zur Bewältigung solcher neuen Aufgaben zu erinnern.
Es liegt auf der Hand, dass Architekturkritik nicht durchweg denselben Kriterien genügen kann und muss. Sie ist anders in der Fachzeitschrift als in der Tageszeitung. Das erforderliche Maß an Professionalität, an Vorbildung, steigt mit der Professionalität der Leser. Es droht, wie immer, die Falle der bloßen Selbstbezüglichkeit: Kritiker und Kritisierter sprechen dieselbe Sprache, sie bewegen sich im Zirkel des Einverständigen.
Da kommt der eingangs zitierte Julius Posener in den Blick. Er vermochte es, ein stupendes Wissen mit der Naivität oder besser Neugier des ersten Blicks zu verbinden.
Es war ein Architekt – noch einer, der für seine Aperçus berühmt ist –, der diese Frische des Blicks, so unabdingbar für den Kritiker, auszudrücken vermochte: Ludwig Mies van der Rohe. Er beschrieb, wie er der Montage des Stahldachs über der Neuen Nationalgalerie in Berlin zusah: »Und als das große Dach sich lautlos hob, da habe ich gestaunt.«
Nicht immer sind technische Kühnheiten zu erleben, ästhetische vielleicht noch eher; aber eines sollte dem Kritiker gegeben sein, bevor er an seine sprachliche Arbeit geht: das Staunen. Manfred Sack, der die Berufsbezeichnung Kritiker nicht gerne hörte, hat es in seiner uneitlen Art einmal so gesagt: »Man ist eben neugierig.« Wenn sich der Neugier, dem Staunen das Wissen zugesellt und die Ernsthaftigkeit der Perspektive der Nutzer, dann wäre eine Kritik möglich, die Unterscheidung ist und Urteil zugleich.db, Do., 2016.09.29
29. September 2016 Bernhard Schulz
150 Jahre db deutsche bauzeitung
150 Jahre! Das ist erst mal ein starkes Stück. Keine andere Fachzeitschrift im Bereich Architektur, Ingenieurwesen und Gestaltung in Deutschland kann auf eine solche Geschichte, auf eine so weit in die Vergangenheit reichende Traditionslinie zurückblicken. Insofern macht uns diese Jubiläums-Zahl schon ein wenig stolz. Gerne nutzen wir diesen Anlass, um einen Moment innezuhalten, um zurück- und vorauszublicken.
Mit der Tradition ist es so eine Sache. Die Deutsche Bauzeitung hat in ihren 150 Jahren Höhen und Tiefen erlebt. Ihre Entwicklung verlief im Ganzen betrachtet alles andere als kontinuierlich. Es gab Umbrüche und Brüche. Es gab eine mehrjährige, kriegsbedingte Unterbrechung. Und es gab, man kann es aus heutiger Perspektive nicht anders sagen, bedrückende Irrwege.
Die Entwicklung des Blatts spiegelt die bisweilen von dramatischen Zäsuren gekennzeichnete politische, gesellschaftliche und kulturelle Geschichte unseres Landes wider. Noch deutlicher ist in den schier zahllosen Nummern der Zeitschrift die Geschichte der Architektur und der damit verbundenen Debatten ablesbar. Auch über das Selbstverständnis des Berufsstands und den Wandel, der sich hier in 150 Jahren vollzog, gibt das Blatt Auskunft.
Der Blick zurück stellte sich für uns als überraschend spannend und anregend dar.
Manchmal spürt man über viele Dekaden hinweg und ungeachtet altertümlicher Formulierungen eine große gedankliche Nähe und eine fortdauernde Aktualität. Manchmal aber erscheint uns, was einst gedruckt wurde, kaum noch nachvollziehbar. Wir haben uns viele alte Jahresbände der Zeitschrift angeschaut und ein paar Tiefenbohrungen gemacht. Gerne lassen wir Sie an unseren Funden teilhaben.
Der Anfang
Alles begann am 15. Dezember 1866 mit der Gründung durch die Architekten Wilhelm Böckmann (1832-1902), Anton Hubert Göbbels (1835-74) und Emil Otto Fritsch (1838-1915) in Berlin. Einige Wochen später, am 5. Januar 1867, erschien dann erstmals das als »Wochenblatt« betitelte Periodikum, »herausgegeben von Mitgliedern des Architekten-Vereins zu Berlin«. »Erscheint jeden Sonnabend« war links oben auf dem Titelblatt zu lesen – ein Cover gab es noch lange nicht – und auf der linken Seite: »Preis vierteljährlich 18 3/4 Sgr.« Sgr., das steht für Silbergroschen und genau dieses Detail markiert viel deutlicher als die abstrakte Zahl 150 den historischen Abstand zum Gründungsdatum. Sgr. zeigt an, wir befinden uns noch im alten Preußen. Im Königreich Preußen, in dem Schinkel gebaut hat und Stüler, der gerade mal zwei Jahre vorher verstorben war und von dem sich damals noch einige Gebäude – so etwa die Alte Nationalgalerie – im Bau befanden. Das ist nun wirklich lange, lange her. Und ein Jahr später, als über dem Titel Wochenblatt erstmals ganz selbstbewusst der Name »Deutsche Bauzeitung« gedruckt wurde, da gab es Deutschland noch gar nicht, zumindest nicht als klar definierte politische Einheit. Das sollte sich bekanntlich erst 1870/71 mit der Reichsgründung ändern.
Vereinsnachrichten und Fachinformation
Der Architekten-Verein zu Berlin war eine berufsständische Gruppierung, in der sich in erster Linie die wachsende Zahl der freischaffenden Architekten organisierte. Ähnliche Vereinigungen gab es praktisch in allen größeren Städten im deutschsprachigen Raum. Die Gründung des Wochenblatts entsprach dem Bedürfnis nach interner Kommunikation. Das redaktionelle Konzept verfolgte zwei Ziele: Erstens, vereinsinterne Nachrichten bekannt zu machen und zweitens, fachbezogene Informationen zu vermitteln. Anfänglich betraf dies v. a. Fragen der Baukonstruktion. Der erste im Blatt erschienene Artikel »Versuche über die Druckfestigkeit von Mauerwerk« zeigt dies beispielhaft.
Der spontane Erfolg des Wochenblatts gab seinen Machern Recht. Die Zahl der Abonnenten stieg innerhalb kurzer Zeit auf 3 000 – das können unmöglich nur Berliner gewesen sein. Das überregionale Interesse an der Publikation rechtfertigte den neuen Haupttitel Deutsche Bauzeitung.
Das intellektuelle und sprachliche Niveau der Zeitschrift war von Anfang an erstaunlich hoch, die Bebilderung aus technischen und finanziellen Gründen hingegen minimal. Anfänglich gab es allenfalls Schemazeichnungen und mal einen Grundriss zu sehen. Erst in den 1880er Jahren tauchen Zeichnungen, Ansichten und Perspektiven auf. Gegen Ende des Jahrhunderts werden die ersten Fotografien abgedruckt. Längere Aufsätze, die meist über mehrere Nummern hinweg veröffentlicht wurden (eine Praxis, die sich sehr lange halten sollte), wechselten sich mit kürzeren Meldungen ab. Bald entstanden fixe Rubriken: »Mitteilungen aus Vereinen«, »Aus der Fachliteratur«, »Personal-Nachrichten«, »Offene Stellen«, »Brief- und Fragekasten«. Später kamen neben »Vermischtes« und »Todtenschauen«, »Konkurrenzen« bzw. »Preisaufgaben« hinzu, wie man Wettbewerbe damals bezeichnete. Wir lernen daraus, an den Informationsbedürfnissen des Fachpublikums hat sich in den letzten 150 Jahren nicht so viel verändert und der Servicegedanke gehörte von Anfang an zu den Genen des Blatts. Auch interessant: immerhin fast ein Viertel des Umfangs nahmen schon früh die Stellen- und Sachanzeigen ein.
Breites Themenspektrum
Über was wurde in den ersten Jahrzehnten der Zeitschrift geschrieben und berichtet? Zunächst fällt die enorme Bandbreite der behandelten Themen auf, die den gesamten Hoch- und Tiefbau (inklusive Straßen- und Eisenbahnbau) abdeckten. Im Mittelpunkt stand das zeitgenössische architektonische Schaffen, wobei fast alle Bauaufgaben Berücksichtigung fanden. Die großen, repräsentativen Projekte – Rathäuser, Museen, Kirchen, Bahnhöfe, große Geschäftsbauten, bisweilen Villen und Landhäuser – überwogen, aber auch Gewerbebauten und gewöhnliche Wohnungsbauten kamen vor. Selbst die Anfänge des Sozialen Wohnungsbaus fanden Berücksichtigung, wie an einem in den 1880er Jahren erschienenen Bericht über »Arbeiter-Wohnhäuser der Gemeinnützigen Baugesellschaft zu Mannheim« deutlich wird. Im Bereich des Tiefbaus wurden vornehmlich Brücken und wasserwirtschaftliche Projekte behandelt. So fand etwa der Bau des Nord-Ostsee-Kanals (1887-95) größte Beachtung im Blatt. Die Deutsche Bauzeitung scheint zu dieser Zeit wirklich ein Spiegel des nationalen Baugeschehens und ein Forum der Fachdiskussion gewesen zu sein. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf die sehr eingehende Berichterstattung zum viel diskutierten Reichstagswettbewerb von 1882.
Spezialitäten
Was gab es sonst? Kunst- und Architekturgeschichte in umfangreichen Aufsätzen, so z. B. »Die kirchliche Baukunst des Abendlandes«. In den Zeiten des Historismus war das freilich keine abstrakte Kunstgeschichte, sondern höchst praktische Unterweisung in Stilkunde.
Bisweilen werden innenarchitektonische Projekte und städtebauliche Fragen besprochen.
Einen breiten Raum nahmen technische Themen ein. Man konnte »Ueber Konstruktion und Leistung von Dampf-Straßenwalzen« ebenso lesen, wie einen detaillierten Bericht über »Die Heizung und Lüftung des neuen Rathhauses zu Hamburg«. Regelmäßig veröffentlichte die Deutsche Bauzeitung anspruchsvolle Texte über Baukonstruktion und Statik, so etwa »Ueber dynamische Spannungen in Eisenbahnbrücken«, die den Stand der Wissenschaft reflektierten und schon damals für viele Leser schwer verdaulich gewesen sein dürften. Zugänglicher waren da schon die ebenfalls immer wieder erscheinenden Texte über Baumaterialien und Neuentwicklungen auf diesem Gebiet. Um die Jahrhundertwende gliederte die Deutsche Bauzeitung die bau- und ingenieurstechnischen Themen dann vermehrt in Sonderbeilagen aus, so etwa die »Mitteilungen über Zement, Beton- und Eisenbetonbau«.
Zuletzt fielen uns noch aus heutiger Sicht eher kuriose Themen auf. Ein langer Artikel mit der Überschrift »Der Festschmuck Dresdens zur Jubelfeier des Wettiner Herrscherhauses« gehört in diese Kategorie.
Vorbildliche Kritik
Wie sah Architekturkritik am Ende des 19. Jahrhunderts aus? Wie waren die Texte strukturiert? Was fand Erwähnung? Wir untersuchen beispielhaft einen 1889 erschienenen Bericht über »Die Kirche zum Heiligen Kreuz« im Berliner Bezirk Kreuzberg. Dieser Kirchenneubau fand seinerzeit aus architektur- und religionspolitischen Gründen große überregionale Beachtung. Und so verwundert es nicht, dass zunächst auf die lange Vorgeschichte des Baus, inklusive der direkten Beteiligung des preußischen Königshauses eingegangen wurde. Man vergaß dabei auch nicht zu erwähnen, wie ungewöhnlich es doch sei, dass ein wichtiger hauptstädtischer Kirchenbau – auf Allerhöchsten Wunsch hin – an einen auswärtigen Architekten, nämlich Johann Otzen aus Hamburg, vergeben worden sei.
Im Text folgt dann eine nüchterne, spürbar um Objektivität und Vollständigkeit bemühte Beschreibung des Gebäudes mitsamt genauen Maßangaben, die sich wie ein Exzerpt aus einem Dehio Handbuch Deutscher Kunstdenkmäler liest. Es geht dabei in vorbildlicher Manier vom Großen zum Kleinen und von außen nach innen. Konstruktive Details werden erwähnt, wo es sinnvoll ist. Es mündet in eine Analyse und Bewertung der künstlerisch-gestalterischen Qualitäten des Gebäudes, die wohlwollend ausfällt und doch leise Kritik formuliert. Schließlich geht es noch um Fragen der Haustechnik, um die am Bau beteiligten Firmen sowie die Baukosten und wie sie gedeckt wurden. Im Resümee wird kurz auf die positive Resonanz beim Fachpublikum und in der Bevölkerung hingewiesen. Der Aufbau des Texts mag uns heute ein wenig schematisch anmuten, sachlich aber ist da schon alles drin, was wir uns von einer guten Architekturkritik erwarten.
Weltausstellung 1889
Eher selten wird in der Deutschen Bauzeitung über Projekte außerhalb des deutschsprachigen Raums geschrieben. 1889 aber fand die Weltausstellung in Paris statt und um dieses Thema kam man nicht herum. Eher zögerlich, im Juni, begannen die Berichte aus Paris. Das ging freilich nicht ohne eine lange allgemeine Vorrede, in der auf die schwindende Ausstrahlung der französischen Nation hingewiesen wurde: »Das französische Volk ist für uns Deutsche schon lange nicht mehr das, was es einst, und zwar mit theilweiser Berechtigung, gewesen ist: ein ideales Volk, dem wir möglichst in allen Stücken nachzueifern hätten. Nein, diese Zeiten sind vorbei!« Da wird dem zeittypischen Nationalismus, zu dem in Deutschland die »Erbfeindschaft« mit Frankreich gehörte, unverhohlen Raum gegeben. Im weiteren Verlauf des Texts kann der Autor aber trotz seiner sehr kritischen Grundhaltung nicht umhin, einzelne Bauwerke zu würdigen. Von der legendären Maschinenhalle heißt es am 29. Juni etwa: »Diese viel bewunderte Halle, von der mit Staunen weiter erzählt wird, dass sich 30 000 Mann Soldaten (sic!) bequem darin lagern könnten, ist neben dem Eiffelthurm allerdings ein sehr bemerkenswerthes Bauwerk.« Nachdem die gewaltigen Dimensionen der Halle einzeln aufgezählt und die Konstruktion kurz erklärt wurde, liest man weiter: »Bei seinen großen Abmessungen verschwindet nämlich die Eisenkonstruktion, die man sonst in derartigen Hallen allzu sehr bemerkt, hier fast ganz; man sieht nur den ungeheuren Raum. Da die Giebelseiten recht geschmackvoll dekoriert und sogar mit sehr wirksamen Glasmalereien versehen sind, wird der Eindruck des Bauwerks sogar zu einem beinahe feierlichen erhoben.« Man spürt förmlich, wie der Autor sich dieses »beinahe« in den Text zwingen musste, um nicht als Franzosenfreund zu gelten. Umso überraschter nehmen wir das Ende der Artikelserie zur Kenntnis: »(…) und somit ist, Alles in Allem, die Weltausstellung des Jahres 1889 eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges, welche sich anzusehen für jeden Fachmann aus dem Gebiete des Bauwesens im höchsten Maaße lohnt«. Wir sehen, da ist jemand zuletzt doch noch glücklich über seine Ressentiments und Vorurteile gesprungen!
Konservativer Schwenk
Während sich die Deutsche Bauzeitung in den 1880er Jahren noch als Forum für die Diskussion über Stilfragen präsentierte, in der auch vorsichtige Kritik am Eklektizismus und der zeittypischen Verzierwut mancher Architekten geäußert werden durfte, schwenkte man am Ende des 19. Jahrhunderts offensichtlich ins konservative, reformkritische Lager.
Als um 1900 in Deutschland der Jugendstil erstarkte, konnten das die Leser der Deutschen Bauzeitung, wenn überhaupt, nur am Rande bemerken. Die Ausstellung auf der Darmstädter Mathildenhöhe von 1901, mit berühmten Häusern von Peter Behrens und Joseph Maria Olbrich, die als ein Höhepunkt dieser architektonischen Reformbewegung gilt, fand, soweit wir sahen, keinen Niederschlag im Blatt. Auch zu Peter Behrens bekannter AEG-Turbinenhalle in Berlin Moabit von 1909 suchten wir vergeblich einen Text.
Wie war das 1914, als in Köln die große Werkbund-Ausstellung stattfand?
Auch dieses architekturgeschichtlich bedeutende Ereignis wird im Blatt beharrlich beschwiegen. Stattdessen konnte man einen langen Bericht über die Deutsche Gartenbau-Ausstellung in Altona lesen und einen nicht enden wollenden Text über den von Ernst von Ihne entworfenen neobarocken Neubau der Preußische Staatsbibliothek zu Berlin. Über diesen letzten vollendeten wilhelminischen Prunkbau, bemerkte das Blatt mit patriotisch geschwollener Brust, dass Deutschland jetzt den weltgrößten und modernsten Bibliotheksbau besitze, der die Konkurrenz in Paris und London weit hinter sich lasse.
1914 — Ein Gipfel der Verblendung
Am 1. August 1914 begann für Deutschland der Erste Weltkrieg. Die deutsche Armee fiel völkerrechtswidrig im neutralen Belgien ein und brach den Widerstand der Belgier mit großer Brutalität. Besonders die Zerstörung der Stadt Löwen, die von deutschen Truppen mitsamt all ihrer Kulturgüter, u. a. der berühmten Universitätsbibliothek, Ende August 1914 in Brand gesteckt wurde, stieß international auf scharfe Kritik. Deutschlands Ruf als Kulturnation war ernsthaft und nachhaltig beschädigt. Die Deutsche Bauzeitung reagierte beachtlich schnell. Am 9. September machte sie mit einem Artikel auf, der mit »Belgien und der Krieg« überschrieben war. Wir zitieren die ersten Sätze: »In den Freudenbecher des unaufhaltsamen Siegeszuges unserer herrlichen Armee ist für den Kunstfreund ein bitterer Wermutstropfen gefallen. Politische Verblendung hat ein reiches blühendes Land in tiefes Unglück gestürzt. Krieg und Tod, Vernichtung und Not sind da eingezogen, wo bis vor kurzem emsige Arbeit eine Fülle des Segens brachte und die seltenste Kunst sorgsamste Pflege fand. Aber neben der höchsten Kunstentfaltung, die menschlichem Können je gegeben war, steht der schändlichste Verrat und schonungslos hat die strafende Vergeltung gewaltet.«
Noch mehr als 100 Jahre später liest man solch eine perfide Verdrehung der Tatsachen, die mit patriotischer Verblendung kaum zu entschuldigen ist, mit Abscheu und Beschämung.
Interessant und vielsagend ist, dass die Zeitschrift in den folgenden Monaten eine lange Artikelserie über belgische Architektur- und Kunstdenkmale publizierte – gerade so, als plage einen doch so etwas wie ein schlechtes Gewissen und als wolle man der Welt beweisen, wie kunstsinnig und gebildet man trotz der in Belgien verübten Kriegsverbrechen doch eigentlich ist.
Patriotisch gab sich das Blatt, das ununterbrochen erscheinen konnte, den gesamten Krieg über. Jede Ausgabe begann mit einem schwarz umrahmten Kasten, in dem, unter der Überschrift »Für das Vaterland« den gefallenen Fachgenossen gedacht wurde. Das ist nicht ohne Würde und illustriert am Beispiel der Architektenschaft auf eindrucksvolle Weise, welch einen erschreckenden Blutzoll der Krieg forderte.
Ermattung
Deutschland Ende 1918: Der Krieg ist zu Ende und verloren. Der Kaiser dankt ab, das Land wird Republik, die Not ist groß. Kunst und Kultur aber blühen auf, viel ist in Bewegung.
1919 wird in Weimar das Bauhaus gegründet. Deutschland macht sich auf den Weg in die Moderne. Und die Deutsche Bauzeitung? Keine Spur von Neuanfang und Aufbruch. Keine Spur von Umdenken und Selbstkritik. Das Blatt wirkt ermattet und seltsam orientierungslos. Mangels neuer Projekte – jahrelang wird ja kaum gebaut im Land – wälzt man alte, noch im Krieg entstandene Bauten aus und publiziert allgemeinere Texte, kunstgeschichtliche Aufsätze und Überlegungen zum Städtebau, etwas Bautechnik. Die konservative Grundhaltung, die man gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingenommen hatte, blieb bestehen.
Le Corbusier der Fanatiker
Was sagt man zum Bauhaus und zum Neuen Bauen? Einen Artikel über das 1925/26 errichtete Bauhaus-Gebäude in Dessau sucht man lange vergeblich. Erst im Frühjahr 1927 bequemt man sich zu einem längeren Bericht, in dem auch die Meisterhäuser behandelt werden. Der Versuch, die Sache neutral und möglichst objektiv anzugehen, missglückt. Die Kritik, die harsch ausfällt und nicht ohne Häme, zeigt v. a. eins: man kann und will die Modernen nicht verstehen. Man fühlt sich durch deren bloße Existenz angegriffen und in die Enge getrieben.
Wie sehr, zeigen die Reaktionen auf die Stuttgarter Weißenhof-Siedlung, die gleich zwei Mal, im Juli und im November, zum Thema gemacht wird. Während der erste Text noch die sachliche Auseinandersetzung suchte, offenbart der zweite Artikel, der unter der Überschrift »Neues Bauen« (im Original auch in Anführungszeichen gedruckt) die Haltung des Blatts ganz ungeschminkt. Besonders hart geht der Berichterstatter, ein Regierungsrat a. D. mit Le Corbusiers Arbeiten ins Gericht. Unter dem Zwischentitel »Protest bis zum Äußersten« heißt es, anfänglich noch auf die Ausstellung als Ganzes bezogen: »Mit radikalem Fanatismus ist alles Hergebrachte vermieden, jeder Wandschmuck verpönt und bei le Corbusier, dem fanatischsten der Künstler, auch auf jede Wohnlichkeit in jeder Form, jede Raumbildung, die Ruhe oder Harmonie vermitteln könnte, verzichtet. (…) Mit Ausnahme des Dachgartens, wo an der Schönheit von Aussicht, Blumen und Himmel eben nichts zu ändern ist, verbindet das Haus mit der Engigkeit und Brutalität eines Zuchthauses die röhrenstarrende Nüchternheit eines dunkelwandigen, ungepflegten Maschinenraumes und die hygienische Spülsteinstimmung einer Molkerei. (…) Die Brutalität der hohen, völlig ungegliederten, klotzhaften, auf dünnen Eisenstielen stehenden Baumassen wirkt wie der Schrei eines an der Häßlichkeit der Welt verbitterten Künstlers, der aus einer im Grunde grausamen Zivilisation die verlogenen Polster herausreißt und den zivilisierten Stall baut für die Menschenbestie, wie sie ist, oder wie er sie sieht.«
Man würde es gerne mit Humor nehmen, aber vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklung bleibt einem da doch das Lachen im Hals stecken. Hinter einer sorgsam gepflegten bildungsbürgerlichen Fassade zeigt sich hier eine ressentimentgeladene Gehässigkeit, die einem sachlichen Diskurs längst nicht mehr zugänglich ist. Da ist, sechs Jahre vor der Machtergreifung der Nazis, die Sprache des Dritten Reichs schon vollständig entwickelt.
1933 — zügige Gleichschaltung
In den letzten Jahren der Weimarer Republik schien sich das Blatt mit der Moderne arrangieren zu wollen. Man nannte sich jetzt »DBZ Deutsche Bauzeitung. Illustrierte Wochenschrift für Baugestaltung, Bautechnik, Stadt- und Landplanung, Bauwirtschaft u. Baurecht« und gab sich ein frisches Layout mit einer serifenlosen Typo. Stolz verzeichnete man prominente Architekten als »Mitarbeiter der Herausgeber«. Wir lesen hier Namen wie Bartning, Fahrenkamp, Poelzig und Schumacher. Das blieb so bis zum Heft 11 1933, das am 15. März erschien. Mit Heft 12, das am 22. März publiziert wurde, verschwinden diese Namen spur- und kommentarlos – ein erstes Zeichen der Gleichschaltung.
Welcher Wind von nun an wehen sollte, offenbarte sich dann in aller Deutlichkeit in Heft 27, vom 5. Juli 1933. Der Hauptartikel ist der »Führertagung der Deutschen Architekten und Ingenieure« in Weimar gewidmet, bei der der bereits gesäuberte Berufsstand auf Linie gebracht wurde. In der folgenden Nummer wird ein Vortrag von Schultze-Naumburg abgedruckt, der die besagte »Führertagung« abschloss. Er trug den vielsagenden Titel »Blutgebundene oder zeitgebundene Kunst« und argumentierte ganz unverhohlen mit der kruden Rassenbiologie der Nazis. Ein unsäglicher Text, der mit einem Loblied auf die SA endete, die, so Schultze-Naumburg, »die Wesenszüge des kommenden deutschen Menschen« aufzeige. Sie sei, heißt es weiter »stahlhart, mit heldischer Gesinnung, aufrecht, stolz auf ihre Herkunft und bekennt sich für deutsches Wesen. Diese Gesinnung auszudrücken ist die Zukunftsaufgabe der deutschen Künstler«.
Im März 1933, das wusste Schultze-Naumburg so gut wie jeder andere, konnte es freilich keinen Zweifel mehr geben über den wahren Charakter dieses verbrecherischen Schlägertrupps.
Nischen
Wir wissen natürlich, auch in der Nazizeit gab es Nischen, in denen, jenseits von Staatsmonumentalismus und Heimattümelei, gute Architektur entstand: Einfamilienhäuser, Industrie- und Ingenieurbauten. Bisweilen finden sich Beispiele dafür auch in der Deutschen Bauzeitung, die sich mittlerweile als »Wochenschrift für nationale Baugestaltung« bezeichnete. Dominierend sind freilich die offiziellen oder zumindest offiziösen Bauten, die die Ideologie des Regimes transportierten. Für Kritik war dabei ebenso wenig Platz, wie für eine offene Fachdiskussion. Selbst der Blick ins Ausland war einer durch die braune Brille. Ein 1937 erschienener Bildbericht über zeitgenössische Architektur in Finnland zeigt nicht eine Arbeit von Alvar Aalto, der in seiner Heimat damals längst zur beherrschenden Figur aufgestiegen war. Und bei den Berichten über die Pariser Weltausstellung von 1937, in deren Mittelpunkt selbstredend Speers auftrumpfender Ausstellungspavillon stand, wurde alles herausgefiltert, was nicht auf der Parteilinie lag. Ob das unter äußerem Zwang geschah oder mit innerer Überzeugung müssen wir dahingestellt sein lassen.
Im September 1939 brach Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg vom Zaun und die Deutsche Bauzeitung feierte mit einer langen Bildstrecke die Neue Reichskanzlei, die sich Hitler von seinem Lieblingsarchitekten Speer hatte errichten lassen. Es war nicht anders zu erwarten.
Eher unerwartet dürfte für die Leserschaft der Deutschen Bauzeitung gewesen sein, was sie am 30. Dezember 1942 unter der Überschrift »An alle Freunde unserer Zeitschrift!« zur Kenntnis nehmen musste: »Die Kriegswirtschaft erfordert stärkste Konzentration aller Kräfte. Diese Zusammenfassung macht es notwendig, dass unsere Zeitschrift mit dem heutigen Tage bis auf weiteres ihr Erscheinen einstellt, um Menschen und Material für andere, kriegswichtige Zwecke freizumachen. (…) Mögen nach siegreicher Beendigung dieses Krieges alle Freunde unserer Zeitschrift sich zu neuem Schaffen zum Nutzen der deutschen Baukunst zusammenfinden.« Dieser Wunsch, wir wissen es, ging nicht in Erfüllung. Die Geschichte der Deutschen Bauzeitung, die über viele Jahrzehnte ein führendes Fachblatt gewesen war, fand damit ein vorläufiges, abruptes Ende.
Ein Neuanfang?
Im Oktober 1948 erschien in Stuttgart bei der Deutschen Verlags-Anstalt »Die Bauzeitung vereinigt mit der Süddeutschen Bauzeitung München, Süddeutscher Baugewerkszeitung und Deutscher Bauten-Nachweis.« Im Untertitel bezeichnete man sich als »Fachzeitschrift für das gesamte Bauwesen.« Die Vorgeschichte dieser Publikation geht auf das Jahr 1904 zurück. Damals wurde das Blatt als »Württembergische Bauzeitung« gegründet. In den folgenden Jahrzehnten gab es mehrfache Namenswechsel und Zusammenschlüsse mit diversen anderen Publikationen. In den 20er und 30er Jahren gelang es, sich als führende Fachzeitschrift im gesamten süddeutschen Raum zu etablieren. Der Schriftleiter H. P. Eckart, der in der Nachkriegszeit die Neugründung des Blatts betrieb, war seit 1925 mit der Zeitschrift verbunden. Im Editorial schrieb er, der Fokus sei auf den südwestdeutschen Raum gerichtet. Und so war es.
Was wurde publiziert? Neben grundsätzlichen Texten, etwa über »Die Lage in der Bauwirtschaft« oder »Wahrheit im Städtebau«, stand die Wiederaufbauplanung im Mittelpunkt der Berichterstattung. Vielfach wurden städtebauliche Wettbewerbe dokumentiert, die die These von der Kontinuität von Architektur und Städtebau über 1945 hinweg aufs Schönste bestätigen. Ein häufig behandelter Themenkreis war daneben der preisgünstige, materialsparende Wohnungsbau, mit dem der akuten Raumnot in der Nachkriegszeit abgeholfen werden sollte. Bisweilen wagte man einen zaghafter Blick über die Grenze in die Schweiz oder nach Dänemark und Belgien. Insgesamt betrachtet, präsentierte sich das grafisch völlig uninspiriert aufgemachte Blatt als biedere, in negativem Sinn provinzielle Publikation, die weder intellektuell noch gestalterisch auf der Höhe der Zeit stand. Das zeigte sich beispielhaft, als im Dezember 1949 über die in Stuttgart gezeigte Bauausstellung »Wie wohnen? – Bautechnik, Möbel, Hausrat« berichtet wurde, auf der u. a. Möbel von Hugo Häring und Egon Eiermann gezeigt wurden. Über die Arbeiten des Letzteren heißt es da: »Besonders eigenartig sind die Möbel und Wohnungsentwürfe von Professor Egon Eiermann von der Technischen Hochschule Karlsruhe, der unter anderem – dies sei als Kuriosität erwähnt – eine polierte Baumschwarte (sic!) als Blumentisch verwendet und eigenartige runde Korbmöbel zeigt.« Das zeigte sich auch an der ungebrochenen und unkritischen Wertschätzung von Paul Schmitthenner, dessen tiefe Verstrickung mit den Nazis man für entschuldbar hielt, weil er ja deren Monumentalarchitektur abgelehnt hätte. Von wegen Neuanfang!
Übernahme der Verlags- und Namensrechte
1951 konnte »Die Bauzeitung« die Verlags- und Namensrechte der mit Abstand ältesten deutschen Fachzeitschrift, der Deutschen Bauzeitung, erwerben. 1951 und 1952 erschien man unter dem Titel »Die Bauzeitung, vereinigt mit Deutscher Bauzeitung und Süddeutscher Bauzeitung«. 1953 bis 1959 firmierte das Blatt unter »Die Bauzeitung – Deutsche Bauzeitung«. 1960 schließlich nannte man sich erstmals »db Deutsche Bauzeitung« und im Untertitel »Fachzeitschrift für Architektur und Bautechnik«. Die alte Jahrgangszählung der Deutschen Bauzeitung wurde übernommen.
Mit der Namensänderung veränderte sich auch der Fokus der Zeitschrift. Die anfängliche Beschränkung auf den süddeutschen Raum fiel weg. Die Leserschaft erweiterte sich entsprechend. Dass der Ort von Verlag und Redaktion den Charakter des Hefts bis heute beeinflusst und mitprägt, kann und soll nicht bestritten werden.
Der holprige Weg zurück zur Moderne
Ganz allmählich findet man in den 50er Jahren den Weg aus Nachkriegsmief und provinzieller Beschränktheit. Junge Kräfte in der Redaktion wagen immer öfter den Blick über die Grenze. Amerika wird entdeckt. Plötzlich tauchen Häuser von Marcel Breuer im Heft auf. Und Eiermanns Projekte werden nicht länger als »eigenartig« abqualifiziert. Es fällt freilich auf, dass – womöglich um alte Gräben nicht wieder aufzureißen – im Heft nur wenig inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet. Die Auswahl der Projekte erscheint etwas willkürlich, die Berichterstattung ist bildlastig, die Begleittexte sind entsprechend kurz und rein informativ gehalten. Architekturkritik im eigentlichen Sinn, findet so gut wie nicht statt. Die grafische Aufmachung wird ein wenig frischer, hinkt aber noch immer der Zeit hinterher. Ende der 50er Jahre tauchen sporadisch die ersten Farbaufnahmen auf. Das allein macht freilich noch kein gutes Blatt.
Zäsur 1960
Endlich, im Januar 1960, können wir aufatmen. Die db Deutsche Bauzeitung ist wieder in der Spur. Ein grafischer Relaunch markiert das schon äußerlich. Das Titelfoto, es zeigt das Haus Staehelin von Marcel Breuer, verweist auf den Heftinhalt. Es geht um Einfamilienhäuser. So ist es von da an: Es gibt einen Themenschwerpunkt in jedem Heft und der Titel steht dazu in Beziehung. Das von Gerhard Schwab verfasste Editorial vom Jan. 1960 erklärt das zukünftige Programm und Selbstverständnis der Zeitschrift:
»Die Deutsche Bauzeitung, die im Januar 1960 in vergrößertem Format erscheint, folgt im 65. Jahrgang neuen Ideen. Den vielfältigen Strömungen in der Architektur unserer Zeit nachzuspüren, sie durch Publikation und Diskussion aufzugreifen und weiterzugeben ist als Aufgabe wie als Pflicht gleichermaßen bedeutungsvoll. So wird sich die Zeitschrift der Dokumentation baukünstlerischen Schaffens, der Besprechung der Zeugnisse des Modernen Bauens, der Weitergabe von Erfahrungen, der Darstellung heutiger Entwurfs-, Form- und Konstruktionsprobleme und ebenso der unendlichen Vielzahl technischer Erfordernisse des Bauens widmen.«
Wir würden das heute etwas anders formulieren und vielleicht da und dort eine Ergänzung vornehmen. Im Kern aber entspricht dieses Programm unseren Vorstellungen. Hier erkennen wir eine Tradition, auf die wir uns gerne beziehen.
Die 70er Jahre — bunter und politischer
In den 70er Jahren setzt die db deutsche bauzeitung den in den 60er Jahren begonnenen Kurs fort. Man ist am Puls der Zeit, wird bunter, poppiger, aber auch politischer. Eine Serie widmet sich dem »Bauen in der Dritten Welt«. Soziologische Themen drängen ins Heft, oft verbunden mit komplexen Bauaufgaben: Großsiedlungen, Universitätsbauten und natürlich mit dem seinerzeit heftig diskutierten Thema der Stadtsanierung. Im Kampf zwischen Kahlschlagsanierern und behutsamen Stadterneuerern schlägt man sich vorsichtig auf Seiten der Letzteren. Implizit zumindest, indem man den Wert der Altstädte herausstellt und wie etwa in Heft 1/1974 über die Sanierungspraxis in Polen berichtet. Eher neutral bleibt man in dem sich verschärfenden Konflikt zwischen Spät- und Postmoderne.
Dem Anspruch aber, die verschiedenen Strömungen in der zeitgenössischen Architektur dar- und zur Diskussion zu stellen, wird man gerecht. Der Serviceteil erfährt einen weiteren Ausbau. Die Rubriken werden neu geordnet bzw. neu benannt. Aus db-Haus wird db-innen, aus db-technik und db-detail wird db-baupraxis. Unter db-kaleidoskop werden vermischte Meldungen zusammengefasst: Architektenrecht, Honorarfragen, Ausbildungsthemen und – wir erinnern uns an die Ölkrise – Energiediskussion. Großer Beliebtheit erfreut sich nachweislich die monatliche Serie »Bauschaden des Monats«.db, Do., 2016.09.29
29. September 2016 Ulrike Kunkel