Editorial

In Basel gibt es auf kleinstem Raum (fast) alles. Das Bemerkenswerte an dieser Stadt ist, dass sie trotz ihrer Begrenzung und Enge eine grosse Vielfalt aufweist. Doch auch über seine Grenzen hinaus setzt Basel mit der IBA2020 Zeichen im 3Land.

In der vorliegenden Ausgabe wollen wir herauskristallisieren, was das Besondere und Spezi­fische an Basels städtebaulicher Entwicklung ist.

Hierzu zeigen wir eine Reihe spannender Projekte und Planungen, die auch im Hinblick auf die kulturellen und gesellschaftlichen Einflüsse ­beleuchtet werden, die in der Stadt im Drei­länder­eck relevant sind. Diese Aktivitätspunkte, sowohl auf der kleinen als auch der grossen Massstabsebene, sind in einem Übersichtsplan do­kumentiert. Ein Fotoessay mit Aufnahmen von Michael Heinrich charakterisiert ausgewählte Orte. Ingemar Vollenweider kommentiert – vertraut mit dem Kontext Basel – diese ak­tuellen Brennpunkte in Architektur und Städtebau, eruiert verpasste Chancen, benennt aber auch Orte mit grossem Potenzial für die Zukunft.

Im zweiten Schwerpunkt des Hefts wirft Angelus Eisinger einen «aussenstehenden» Blick auf Basel und verortet die räumliche Entwicklung der Stadt im grösseren Kontext.

Mit dieser Ausgabe eröffnen wir eine Themenreihe über Basel, die aus einem interdisziplinären Ansatz heraus verschiedene Schwerpunkte fortschreiben, ergänzen und vertiefen wird.

Susanne Frank, Daniela Dietsche

Inhalt

AKTUELL
10 WETTBEWERBE
Funktionalität im erhabenen Gewand

16 PANORAMA
Im Profil der ursprünglichen Fassade | Energiemix auf Parzellenmassstab | Fantastische Fäden

22 VITRINE
Rettung durch Technik? | Firmen, Stände und Produkte

29 SIA
Für Werthaltungen einstehen | Menschgemachte Natur­landschaft | Eine Gebäude­energie-Datenbank für alle

34 VERANSTALTUNGEN

THEMA
38 STADTSPAZIERGANG IN BASEL
Ingemar Vollenweider
Was pas­siert aktuell in Basel? Und was ist spezifisch für die Stadt? Unsere Standorterkundung fokussiert auf Projekte wie auch auf Areale und Quartiere: das «Kleine» und das «Grosse».

48 KALEIDOSKOP BASEL: EIN STÄDTEBAULICHES PORTRAIT
Angelus Eisinger
Sieben Drehungen am städtebaulichen Ka­leidoskop bringen drängende Arbeitsfelder an der Stadt der Gegenwart zum Vorschein.

AUSKLANG
53 STELLENINSERATE

61 IMPRESSUM

62 UNVORHERGESEHENES

Stadtspaziergang in Basel

Was passiert aktuell in Basel? Was ist spezi!sch für die Stadt? Bei unserer Standorterkundung fokussieren wir sowohl auf Projekte als auch auf Areale und Quartiere: das «Kleine» und das «Grosse».
Ingemar Vollenweider kommentiert eine Auswahl aktueller Brennpunkte, begleitet von einem Fotoessay von Michael Heinrich.

Überraschend viel los, denkt man, auch oder gerade als Basler Architekt, wenn man auf den Plan mit den Aktivitätspunkten der Stadt schaut. In den letzten Jahren hat uns die Entwicklung in und um Zürich nicht kalt gelassen. Auf dem begrenzten Territorium unseres kleinen Stadtstaats dagegen scheint der Handlungsspielraum oft beschränkt – gerade für grosse Ideen.

Diese spinnen wir bekanntermassen und folgerichtig über die Grenzen hinweg, zu den Nachbarn ins 3Land, etwas schwieriger auch ins Baselland. Als komplementäre Bewegung wächst und verdichtet Basel ebenso logisch nach innen, im Zentrum und an seinen Rändern. Der kompakte Stadtkörper wird also weiter konsolidiert. Das Rheinknie biegt den Raum zu einer Stadt der kurzen Wege.

Kurz sind die Wege in Basel im doppelten Sinn. Der Erfolg vieler der in den letzten Jahren realisierten Projekte beruht auf einem engmaschigen Netzwerk und direkten Entscheidungswegen. Während Zürich weiterhin auf sein Fussballstadion wartet, hat Basel den 2001 erstellten St. Jakob-Park kurzfristig und im Rekordtempo für die Euro 2008 um 10 000 Plätze erweitert (vgl. TEC21 33-34/2007).

Natürlich kann man dieses und andere Projekte wie den epochalen Ausbau der Messe (TEC21 3–4/2014) mitten in der Stadt nicht erklären, ohne die Strahlkraft von Herzog & de Meuron zu erwähnen – die internationalen Stars der lokalen Architekturszene. Über das Ergebnis wird im Fall der Messe genauso gestritten wie beim höchsten Haus der Schweiz, dem Roche-Turm, der vor wenigen Wochen bezogen wurde.

Beide Projekte sind notabene als Direktaufträge realisiert worden, ohne grössere Widerstände der Kollegenschaft. Es scheint nur konsequent, dass sich in Basel die Global Players gefunden haben und das Rheinpanorama neu aufgespannt wird durch die babelhaften Türme der Roche im Osten (der zweite, noch höhere Turm ist bereits in der Pipeline) und im Westen die verbotene Stadt des Novartis-Campus durch «Asklepios 8», ein innen kommunikativ ausgelegtes und aussen verblüffend feingliedriges, ebenfalls von Herzog & de Meuron entworfenes Bürohochhaus.

Wem gehört die Stadt, und wer bezahlt sie?

Aber die Stadt profitiert auch in kleineren Massstäben von Nähe und familiären Verhältnissen, sprich von diskreten Finanzströmen und Engagements, mit denen sich sehr spezifische Projekte umsetzen lassen. Dabei ist die bald 130 Jahre alte Christoph Merian Stiftung (CMS) die bekannteste Institution, die mit altem Basler Geld Pilotprojekte im Bereich Kultur und Soziales fördert und ihr Stiftungsvermögen zu drei Vierteln in Land- und Immobilienbesitz gebunden hat.

Umso mehr liess diesen Sommer die Nachricht aufhorchen, dass sich die CMS als Grundbesitzer des Dreispitz-Areals aus dem laufenden Planungssprozess zurückzieht. Dieses Areal gilt als grösstes Gewerbe- und Dienstleitungsgebiet Basels und soll in den nächsten Jahrzehnten zu einem ­lebendigen Stadtteil mit einem Mix aus Wohnen, Gewerbe, Kultur und Hochschule transformiert werden. Zu gross seien die behördlichen Auflagen und die Unterhaltslasten der Infrastruktur.

Wem gehört die Stadt, und wer bezahlt sie? Manchmal müssen alte Partner einander auch einfach mal wieder zeigen, dass sie sich noch lieb haben. Gleichzeitig sind seit einigen Jahren neue Partner in der Stadtentwicklung aktiv geworden, die unkonventionell und sorgfältig mit vorhandenen Potenzialen und Strukturen arbeiten.

Die Stiftung Habitat und ihr neugieriges Team um die stille Milliardärin Beatrice Oeri, eine von drei Schwestern, deren Vermögen auf Fritz Hoffmann, den Gründer von Hoffmann-La Roche, zurückgeht, engagieren sich für eine wohnliche Stadt mit bezahlbaren Mieten; für Familien, aber auch für Mieterinnen und Mieter mit besonderen Bedürfnissen.

So sind die programmatisch wie architektonisch inspirierenden Konzepte des Musikerwohnhauses, gewissermassen im Schatten des Stadtumbaus rund um den Voltaplatz, und im Herzen von Kleinbasel an der Utengasse der vielfach publizierte Jazz-Campus realisiert worden. Die massgeschneiderte Architektur trägt in beiden Fällen unverkennbar die Handschrift des Architekturbüros Buol & Zünd.

Auch hier also Treueverhältnisse, die in diesem Fall das oft auch nivellierende Potenzial des Architekturwettbewerbs vergessen lassen. Das aktuelle Projekt der Stiftung – die Sanierung der Aktienmühle im Klybeckquartier – zeigt, wie man einen Ort in Etappen umbaut, ohne bereits vorhandene Angebote zu verdrängen.

Eine Strategie, die im selben Quartier inzwischen auch für die angestrebte Transformation des Hafens zum Modell werden soll, nachdem vor Kurzem noch die ebenso typischen wie comicartigen Über­zeichnungen eines «Rheinhattan» des niederländischen Architekturbüros MVRDV soziale Verdrängungsängste ausgelöst hatten.

So verbinden sich auch mit den ­neuesten Projekten der Stiftung Habitat gewisse Hoffnungen, wenn sie mit der Entwicklung des Lys­büchel-Areals ihr Engagement im St. Johann-Quartier fortsetzt und dabei Baugemeinschaften und Genossenschaften fördern will oder wenn dem bis heute mit grossmassstäblichen Wohnblöcken entwickelten Erlenmatt­quartier mit kleinteiligen Strukturen und Programmen städtisches Flair eingehaucht werden soll.

Auch anderen Akteuren begegnet man im kleinräumigen Basel in bestimmten Zusammenhängen immer wieder aufs Neue. Barbara Buser ist zusammen mit Irene Wigger nicht nur verantwortliche Architektin für die erfolgreiche Konversion der ehemaligen Maschinenfabrik Sulzer-Burckhardt zum Gun­deldinger Feld, das für das traditionelle Eisenbahnerquartier Gundeldingen ein neues Zentrum mit Werkstätten, Büros, Freizeiträumen und Restaurants geschaffen hat; sie amtet auch als Verwaltungsratspräsidentin der entsprechenden Betreibergesellschaft.

Aktuell taucht ihr Name in der Öffentlichkeit wieder auf, wenn sie sich als Architektin der Wohnbaugenossenschaft Lebenswerte Nachbarschaft (LeNa) diesmal nicht für eine romantische Industrieanlage, sondern für den Erhalt des Hauptbaus des Felix Platter-Spitals einsetzt, eine elegante Hochhausscheibe aus den 1960er-Jahren. Das Spital erhält einen Neubau, und das alte Areal soll für genossenschaftlichen Wohnungsbau genutzt werden.

Warum die Regierung eine Studie zur Sanierung des Altbaus bis heute nicht herausrückt, bleibt rätselhaft; warum sie ihre ursprüngliche Absicht eines Erhalts geändert hat, ebenso. Für die Genossenschaften und ihre oft beschworene Renaissance auf Basler Stadtboden hätte es jedenfalls zeichenhafte Wirkung, wenn es gelingen sollte, ihre Philosophie einer kollektiven Bodennutzung von der charakteristischen Scholle auf den modernen Haustyp einer «Unité d’habitation» zu übertragen, die an der Stadtgrenze zu Frankreich stolz in den Himmel ragt.

Verpasste und neue Chancen für Basel

Diese Schwierigkeiten deuten darauf hin, dass natürlich auch in Basel nicht alles konfliktfrei oder überhaupt wie geplant zu lösen ist. Für Leuchtturmprojekte, insbesondere der Kultur, sichert das Baslerische Mäzenatentum das finanzielle Backing, gleichzeitig beweist der Souverän Augenmass.

Etwa beim überdimensionierten und arrogant vorgetragenen Projekt für das neue Stadtcasino am Barfüsserplatz von Zaha Hadid, das er 2007 deutlich abgelehnt hat und für das in einem zweiten Anlauf nun Herzog & de Meuron an den Ort einer ihrer frühen Studien zurückkehren und die Baslerinnen und Basler mit einem fast unsichtbaren Eingriff in das historisch geprägte Ensemble überraschen werden.

Ebenso klar hat das Stimmvolk dem Erweiterungsbau des Kunstmuseums von Christ & Gantenbein an der Urne zugestimmt, der noch unvollendet seit ein paar Wochen seine archaische Monumentalität im Stadtraum abzeichnet und für den Maja Oeri, die Schwester von Beatrice, die Mittel für den Landkauf und die Hälfte der Baukosten in Höhe von 100 Millionen Franken beisteuert. Schwieriger aber oder sogar unmöglich wird es für Vorlagen, die abstrakter sind und die Entwicklungschancen der Stadt verhandeln.

Auch das in eidgenössischen Abstimmungen immer wieder eigenständig entscheidende Basler Stimmvolk scheint empfänglich für populistische Parolen, die die Angst vor Veränderung und Verdichtung schüren: Die Zonenplanrevision, besonders die Stadterweiterung Ost, die auf einer Planung von Diener & Diener Architekten basiert und einen Park zwischen den Flussräumen der Wiese und des Rheins und darin eingelagerte Block- und Hochhausinseln vorschlägt, wurde abgelehnt, nachdem zuvor die Klein­garteninitiative angenommen wurde, die die Schrebergartengebiete unter Schutz stellt, die einst als Baulandreserve für die wachsende Stadt eingerichtet worden waren.

Manchmal fehlt wie im Fall des Industrieareals Rosental auch den Regierenden der Mut, weitsichtige Entscheidungen zu fällen. Der Kaufvertrag für das bis heute abgeschlossene Gebiet, mit dem der Badische Bahnhof fussläufig mit dem Messequartier hätte verbunden werden können, lag bereit zur Unterschrift. Schliesslich hat zu einem tieferen Preis eine spanische Investorengruppe zugeschlagen und ihr Geld an diesem neuralgischen Ort in der Stadt bis heute tatenlos geparkt.

Gute Voraussetzungen für den Stadtumbau

Es gibt noch vielversprechende Areale, auch sie oft bauliche Zeugen der Basler Industriegeschichte, zum Beispiel jenes der Novartis Klybeck, das durch charakteristische Räume und Architekturen geprägt ist, am Flussraum der Wiese landschaftliche Züge zeigt und an der Mauerstrasse grossstädtische Allüren anschlägt. Verdichtung nach innen zerstört dort keine Grünräume und nutzt vorhandene Potenziale.

Gute Voraussetzungen also für den Stadtum- und ausbau, auch unter demokratischen Bedingungen. Es wird spannend, ob die Stadt dieses Feld komplett den Privaten überlässt. In Kürze kommt die Bodeninitiative zur Abstimmung, die angesichts der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung und des wachsenden Anlagedrucks aus dem Ausland verlangt, dass der Kanton nur noch in dem Masse Land verkaufen darf, wie er neues Land zukauft.

Projekte wie das aktuelle Wettbewerbsverfahren für sozial integratives und erschwingliches Wohnen und Gewerbe in einem Block zwischen Volta- und Elsässerstrasse für die Einwohnergemeinde der Stadt Basel zeigen bereits heute, dass die öffentliche Hand von Privaten lernt und weiss, dass sie die Stadt aktiv und mit alternativen Nutzungskonzepten weiterbauen muss.

TEC21, Di., 2016.01.05

05. Januar 2016 Ingemar Vollenweider

Kaleidoskop Basel: ein städtebauliches Porträt

Wie in einem Brennglas bündelt sich am Rheinknie eine Vielfalt von aktuellen Themen und Herausforderungen der Stadtentwicklung: Aufzeichnungen zu einem Miniaturenkabinett der Stadt der Gegenwart.

Basel spiegelt auf engstem Raum die condition urbaine der Gegenwart wider. Denn der Blick auf den Stadtkanton gleicht einem Kaleidoskop, das mit jeder Drehung neue Perspektiven auf die Existenz- und Produktionsbedingungen der Stadt von heute erlaubt. Im Folgenden wird sieben Mal an diesem Kaleidoskop gedreht. Daraus entstehen sieben Kristallisationen, die sich zu einem bewusst lückenhaften Porträt der Stadt Basel und ihres Umlands fügen.

Gemeinsam lassen sie ein Nebeneinander von Themen, Realitäten und Reaktionen erkennen, die in Basel gleichsam unter dem Brennglas deutlich hervortreten: Die planerische und städtebauliche Agenda der Stadt der Gegenwart ist darin ebenso zu erkennen wie die Modi, mit denen sie verhandelt wird.

1. Drehung am Kaleidoskop: Basel als trinationaler Alltagsraum

Die Fakten kennt jedes Schulkind: Basel liegt an der nordwestlichen Spitze der Schweiz und grenzt an Südbaden und das Elsass. Längst vereinen sich die drei Regionen zu einem Alltagsraum, der durch den täglichen Gebrauch, durch die Berufspendler und über den Freizeit- und Einkaufsverkehr die Teilräume eng miteinander verwoben ist.

Es ist nicht nur ein exemplarischer Fall eines Funktionalraums, der sich durch räumliche Arbeitsteilungen charakterisiert, sondern die trinationale Agglomeration ist auch gekennzeichnet durch scharfe Kontraste: Die hohe wirtschaftliche Dynamik in und um Basel ist nur wenig entfernt von einer der strukturschwächsten Regionen Frankreichs, und Badens Süden liegt fernab von den Entscheidungsräumen der Politik in Stuttgart und Berlin.

Das Grenzüberschreitende hat aber in Basel nicht einfach nur die normative Kraft des Faktischen, die dazu drängt, Infrastrukturvorhaben abzustimmen und in grösseren räumlichen Zusammenhängen zu planen. Die Trinationalität hat kulturelle Tradition.

Die hier erfolgte Ausrufung der ersten europäischen Agglomeration vor mehr als fünfzig Jahren zeugt von einem weitsichtigen politischen Programm. Im biederen Alltag verheddert sich der Vollzug dieser Vision allerdings – wie auch anderswo – bis heute oft genug im Gefüge unterschiedlicher nationaler Planungskulturen, rechtlicher Vorgaben und Zuständigkeiten.

2. Drehung: 3Land – Leuchtturmprojekte auf den Boden der Realität bringen

Die vergangenen gut zwei Jahrzehnte waren in vielen europäischen Städten von Hamburg bis Helsinki, von Lyon bis Kopenhagen geprägt von städtebaulichen Grossvorhaben, die aus der Zeit und Nutzung gefallene Stadtgebiete durch ambitionierte Planungen unter ­Beizug von Stararchitekten zu Motoren der Stadtentwicklung zu machen versuchten. Das Projekt 3Land am Dreiländereck schien, so zumindest sahen es viele Kommentatoren, diesen Geist nach Basel tragen zu wollen.

Die Skyline auf der neuen Rheininsel vor dem heutigen Hafengebiet erinnerte an ähnliche Projekte rheinabwärts. Das von Winy Maas und den beiden oft unkon­ventionell agierenden Basler Planern Philippe Cabane und Martin Josephy formulierte Konzept hat sich aber in der Zwischenzeit weit vom Vorwurf autistischer Star­architektur entfernt.

Basel wagt in dieser Entwicklungsvision heute den Quantensprung, indem es die Insel mittlerweile explizit als Nukleus eines trinationalen Herzstücks begreift, das Basel, Huningue und Weil am Rhein enger miteinander verzahnt. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Konzeption der öffentlichen Räume und der Wegverbindungen.

Sie nutzt das Vorhaben als Hebel, um Aufenthalts- und Bewegungsräume für Menschen aus allen Teilen des Basler Grossraums zu schaffen und damit die unterschiedlichen nationalen Seiten stärker in den Agglomerationsraum zu integrieren.

3. Drehung: Novartis und die Roche-Towers – markante Prioritätensetzungen

Das auf einem Masterplan von Vittorio Magnago Lampugnani beruhende Novartis-Areal und die beiden ­Roche-Türme von Herzog & de Meuron schreiben die Unerbittlichkeit eines längst global gewordenen Standortwettbewerbs um Innovationsfähigkeit und kluge Köpfe mit markanten architektonischen Setzungen in den Basler Stadtraum ein.

Während das Novartis-Areal seine urbanistisch als Stadtquartier idealisierte Campus-Realität über im strengen stadträumlichen Raster eingefasste, gestalterisch ambitionierte Ge­bäude konkretisiert und durch eine Mauer von den Zugriffen und Blicken der umliegenden Stadt abschottet, ist der gerade erst fertig gestellte erste Roche-Tower ein schon aus grosser Distanz unübersehbarer Stadtbaustein, der schon bald durch einen zweiten Turm ergänzt werden dürfte.

Beim Novartis-Areal wie bei den Roche-Türmen übersetzt Architektur Unternehmensstrategien vor dem Hintergrund harter unternehmerischer Fakten in urbanistische Konzepte der Konzentration von Ressourcen und Kompetenzen. Sie manifestieren nicht einfach nur die Präsenz der viel beschworenen Wissensgesellschaft in der Stadt.

Die daraus resultierenden markanten baulichen Verdichtungen machen deutlich, was solche Unternehmensstrategien heutigen Städten abverlangen. Der Autor dieser Zeilen kann sich in diesem Zusammenhang noch gut an eine Podiumsveranstaltung im baz-­Forum vor einigen Jahren erinnern, an der Herzog & de Meuron ihr Vorgehen und die Überlegungen dahinter en détail darlegten.

Die Herleitung der Stapelungen von Terrassen und der Einsatz der Horizonalität der Brüstungsbänder plausibilisierten dem Publikum triftig die innere Logik der Formfindung und der Organisation des Gebäudes. So kam es an der anschliessenden Diskus­sion im Plenum auch keineswegs zu den von einem Ausstehenden wie mir erwarteten Wortgefechten um die Umwertung der bisherigen Hierarchie im Weichbild der Stadt, hatte doch das Grossmünster mit diesem Vorhaben endgültig seine dominante Position in der Stadtsilhouette aufzugeben.

Das Publikum schien um die Prioritäten zu wissen, mit denen diese sich auf den Planwelten ankündigenden Friktionen zwischen aktuellen Herausforderungen an die Stadtentwicklung und der Bewahrung der gewachsenen und lieb gewonnenen Konturen des Stadtbilds zu behandeln sind. Heute mag die nicht mehr zu leugnende Präsenz des Turms im Stadtbild bei nicht wenigen ob der auf Schritt und Tritt sichtbaren Folgen dieser Prioritätensetzung Irritationen ausgelöst haben. An der nüchternen Faktenlage freilich verändert sich nichts.

4. Drehung: das Tram 3 nach Saint-Louis

Dieser Tage erfolgte der Spatenstich für die Tramlinie 3, die Basel bald mit dem Bahnhof Saint-Louis im Elsass verbinden wird. Das Projekt vernetzt nicht nur verkehrs­infrastrukturell zukunftsfähig, was im Alltagsleben seit Jahrzehnten zusammengehört.

Verschiedene Beispiele aus dem In- und Ausland, von der Glattalbahn bis zu neuen Strassenbahnen in Strasbourg, Karlsruhe oder Bordeaux haben deutlich gemacht, dass solche Verkehrsprojekte als Katalysatoren für städtebauliche Aufgabenstellungen genutzt werden müssen, indem entlang der Linienführungen an den Haltepunkten Chancen zu einer städtebaulichen Neuorientierung unter den Vorzeichen von Verdichtung und Nutzungsmischung entstehen.

Die Strassenbahnlinie 3 erlaubt in diesem Zusammenhang gar einen konzeptionellen Quantensprung: Entlang der Linie und um den Endpunkt am Bahnhof von Saint-Louis lassen sich Stadtquartiere aus einem trinationalen Zusammenhang denken. Über solche Bestrebungen erhält der Funktionalraum robustere urbanistische Texturen, indem er Teilräume baulich stärker an den Gesamtzusammenhänge anschliesst.

5. Drehung: z. B. DB-Areal, Gundeldinger Feld – Transformation weiter denken

Die planerischen buzzwords unserer Tage sind wohl Partizipation und zivilgesellschaftliche Initiative. Beide Begriffe gelten als Hauptingredienzen einer Trans­formationspolitik, die die Zukunft von Stadträumen nicht mehr länger nur Experten überlassen möchte, sondern Bestand im weitesten Sinn als ele­mentare Ressource der Stadtentwicklung begreift, die es sorgsam zu aktivieren gilt.

Diese projektorientierte Vorgehensweise hat in Basel eine lange Tradition. Dabei sind besonders der Umbau von unten einer ehemaligen Maschinenfabrik im Gundeldinger Feld in einen neuen Brennpunkt des Quartierlebens zu nennen – oder der Transformationsprozess auf dem ehemaligen DB-Areal, wo über Zwischennutzungen das Gebiet neu auf der mental map verortet wurde und somit die Grundlagen für den Wettbewerb formte.

6. Drehung: Birspark-Landschaft – urbane Zukunft von der Landschaft her denken

Im Birstal verdichten sich Gedanken zu urbanistischen und landschaftsplanerischen Konzepten, die eine scheinbar generische Gebrauchslandschaft zum Ausgangspunkt einer grundlegenden Stärkung der räumlichen Identität machen. Dass wir es im Birstal mit der Landschaft des Jahres 2012 der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz zu tun haben, unterstreicht, wie wenig romantische Landschaftserwartungen und oder Vorstellungen von Harmonie Orientierungspunkte eines tragfähigen Landschaftsverständnisses sein können.

Dort, wo die Grenzen mehrerer Gemeinden zusammenstossen, haben über die Jahre Autobahnbau, expandierende Siedlungsgebiete und öffentliche Zweckbauten einen bewaldeten Flusslauf zu einem landschaftlichen Torso verkommen lassen, wie man ihn vielerorts findet. Die aktuellen planerischen Aktivitäten im Birstal sind eine überzeugende Illustration dafür, welche Chancen aus empathischen Annäherungen an solche Resträume resultieren können.

Sie wandeln diese Räume zum wichtigsten Einsatz bei der Qualifizierung der umliegenden Siedlungsräume, weil sie die landschaftlichen Qualitäten der Zukunft aus der Verwebung der Resträume mit ihrer Umgebung denken. Damit findet eine elementare Erkenntnis der letzten Jahre zum öffentlichen Raum von den Innenstädten ihren Weg in die verstädterten Landschaften: Erst in der konzeptionell reflektierten Verwebung von Innen und Aussen können solche der Öffentlichkeit zugedachten Räume die ihnen zugewiesenen Aufgaben tatsächlich übernehmen. Landschaft und Siedlung werden so eins.

7. Drehung: die IBA Basel 2020 – Arbeiten an der Software der Stadt

«Au-delà des frontières, ensemble – Gemeinsam über Grenzen wachsen» lautet das Motto der IBA Basel 2020. Basel wird damit nicht nur die erste Internationale Bauausstellung ausserhalb Deutschlands ausrichten, es stellt sich damit explizit der Herausforderung, einen trinationalen Alltags- und Lebensraum zu entwickeln. Die IBA tut dies als Ausnahmezustand auf Zeit.

Sie entwickelt sich ausserhalb der üblichen Logiken und Sachzwänge des planerischen Business as usual und kann deshalb aussergewöhnliche Prozesse anstossen. Mit der IBA Basel erhält der trinationale Raum aber keine Immobilienmaschine, die Grossvorhaben umsetzt und ganze Landschaftszüge neu ausrichtet. Die IBA in Basel fokussiert anstelle der Hardware der Stadt auf neue Formen ihrer Programmierung.

Sie begreift sich als Plattform, die zwischen Verwaltungseinheiten, aber auch zwischen privater und öffentlicher Seite Katalysatoren für neue Formen der Zusammenarbeit ermöglicht. Sie trägt die Option des Experiments und die Option neuer Allianzen in den Lebensraum im Dreiländereck, indem sie das terrain vague der Agglomeration zu ihrem erklärten Arbeitsfeld erhebt.

Die IBA kann so in Basel den gedanklichen Freiraum für Politik und Behörden schaffen, der anderen Stadtlandschaften fehlt. Auf diese Weise lassen sich über IBA-Projekte entlang des Rheins oder des Flusslaufs der Wiese übergeordnete räumliche Zusammenhänge wiederherstellen, die über Jahrzehnte unterbrochen worden waren, oder sie tragen im Projekt «Aktive Bahnhöfe» die Optionen der Verdichtung und Durchmischung in die Verzweigungen des trinationalen öV-Systems.

Basel in sieben Motiven – eine Gesamtschau

Die sieben Drehungen am Kaleidoskop der Stadt Basel haben drängende Arbeitsfelder an der Stadt der Gegenwart zum Vorschein gebracht. Planerisch verbindet sie die Einsicht, dass der anstehende Um- und Weiterbau der sich aus diesen (und anderen, hier nicht thematisierten) Elementen konstituierenden widersprüchlichen Stadtlandschaft nicht mehr in die Ordnungen von Masterplänen und Richtplänen zurückziehen kann.

Von der Tramlinie 3 über die öffentlichen Räume und Verkehrsinfrastrukturen im 3Land zur Weiterentwicklung der fragmentierten Landschaftsräume an der Birs wird deutlich, dass die Antworten immer lokal und spezifisch ausfallen müssen, unter Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren, die das Wort Beteiligung wirklich verdient – verbindlich, kontinuierlich und materialisiert in konkreten Projekten.

Doch bei aller Einsicht in die Notwendigkeit einer projektorientierten Planung: Die Stadt der Gegenwart in Basel wie anderswo verlangt nach mehr als einer Sequenz von virtuos geschaffenen Akupunkturen. Sie verlangt nach einem belastbaren, weit geteilten übergeordneten und Konzept gewordenen Konsens für die Zukunft dieses Agglomerationsraums, der es versteht, die hier genannten und andere «Chantiers» aufzunehmen und ihnen eine übergeordnete Orientierung zu geben.

Dass diese Vorstellung in ausreichender Konkretion in Basel wie anderswo in Europa noch fehlt, belegt noch einmal, wie klar uns die Konturen der gegenwärtigen Stadtbedingungen in Europa entgegentreten, wenn wir uns vertieft auf Basel und sein Umland einlassen.

TEC21, Di., 2016.01.05

05. Januar 2016 Angelus Eisinger

4 | 3 | 2 | 1