Editorial

«Das Schöne am Verkehr ist: Man ist mitten im Leben», sagt einer unserer Interviewpartner in diesem Heft. Fakt ist: Wir alle fahren Tram, Zug, S-Bahn. Das Design ist jedoch für die meisten Fahrgäste Nebensache.

Dabei sind Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs eine hochkomplexe Gestaltungsaufgabe an der Schnittstelle zwischen Innenraumdesign und Ingenieurtechnik: Individuelles Wohlbe nden trifft auf Beförderungspflicht; Anforderungen an Brandschutz, Sicherheitstechnologie, Materialtechnik und Hindernisfreiheit treffen auf ein zunehmendes Komfortbedürfnis. Nicht zu vergessen die Kompatibilität zweier unterschiedlicher Zeitschienen – Fahrgäste und Chauffeure verbringen jeweils nur eine relativ kurze Zeitdauer im Fahrzeug, die Kompositionen selber sind aber mehrere Jahrzehnte im Einsatz.

Aktuell laufen in mehreren Schweizer Städten Beschaffungsverfahren von Tramkompositionen und S-Bahnen. Die erste Generation, meist aus den 1970er-Jahren, muss ersetzt werden. Grund genug, einen Blick auf die Projekte zu werfen und nachzufragen: Wie läuft ein solches Verfahren ab? Was sind aktuelle Trends? Wie exibel sind technische Vorgaben handhabbar?

Wer sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchte, dem sei eine Veranstaltung ans Herz gelegt: Am ersten Novemberwochenende findet in Prag die jährliche «Railway Interiors»-Konferenz und -Messe statt. Dort sitzt man schon heute in den Zügen von morgen.

Tina Cieslik, Daniela Dietsche

Inhalt

07 WETTBEWERBE
Denkmal gesichert trotz Verstärkung

11 PANORAMA
Eine tierische Luftblase | Zufriedene Bewohner im MCS-Haus | Zürich – Basel – Tessin | Wenn Bauwerke schwingen

17 VITRINE
Sicherheit bei Brand

19 SIA
Energieeffizienz, Planungspolitik, BIM – aber auch Architekturgespräch | Architekten als Trendscouts?

23 VERANSTALTUNGEN

24 VOM WOHNZIMMER INS FAHRZEUG
Daniela Dietsche
Die Gestaltung öffentlicher Verkehrsmittel ist komplex: Technik vs. Komfort und lange Nutzungsdauer.

26 «FARBE BRINGEN DIE FAHRGÄSTE MIT»
Tina Cieslik
Neue Kompositionen für den Regionalverkehr Bern–Solothurn: Zwei Beteiligte berichten.

35 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Vom Wohnzimmer ins Fahrzeug

Die Anforderungen an die öffentlichen Verkehrsmittel sind enorm gestiegen. Der zunehmenden Komplexität steht die lange Lebensdauer der Fahrzeuge gegenüber – Gestalter und Ingenieure müssen Trends und technische Entwicklungen über mehrere Jahrzehnte antizipieren.

Beim Einsteigen zählt der erste Ein­druck. Jeder Fahrgast entscheidet individuell, ob er sich wohlfühlt oder nicht, abhängig vom Reiseziel oder vom bisher Erlebten, aber auch davon, was er in der jeweiligen Situation sieht, riecht oder hört. Unangenehmer Geruch oder störende Geräusche wiegen dabei schwerer als zum Beispiel unbequemes Sitzen. Dieses subjektive Empfinden, ge­paart mit den langen Lebenszyklen der Fahrzeuge (25 bis 40 Jahre), macht es für die Gestalter schwer, den ästhetischen und funktionalen Zeitgeist zu treffen. Das betrifft zum Beispiel die Ergonomie der Sitze, die Materialwahl, die Farbgebung oder die Art und Weise, Informationen zu transportieren. Dabei gilt: Ästhetik ist gewünscht, wird sich aber nicht durchsetzen, wenn sie zu teuer ist.

Sicherheit und Komfort für Passagiere und Chauffeure

Bezogen auf den Fahrgast geht es in erster Linie um Sicherheit, Komfort und die Konkurrenz zum eigenen Auto. Die Nachteile des motorisierten Individual­ verkehrs im urbanen Raum sind bekannt, trotzdem sind die Strassen voll. Mit einem wachsenden Verkehrs­ aufkommen ist damit zu rechnen, dass auch das Bedürfnis nach Privatsphäre im öffentlichen Verkehr steigen wird. Die Designer versuchen, den Raum in den öffentlichen Verkehrsmitteln so anzubieten, dass eine Personalisierung gelingt. «Die Wertvorstellung der Nutzer kommt aus ihrem alltäglichen Privat­ und Arbeitsumfeld.

Elemente und Funktionen aus diesen Bereichen möchten sie auch in den Fahrzeugen wieder nden», sagt Andrea Lipp, Studiendekanin Transportation Interior Design an der Hochschule Reutlingen[1].

Ein Beispiel ist die Wiederentdeckung von Holz. Diese Renaissance hängt nicht mit der früher gängigen Holzklasse zusammen, sondern damit, dass die Leitbil­ der der Innenarchitektur auf die Fahrzeuge übertragen werden. In der heutigen Form, also sphärisch verformt und ergonomisch angepasst, sind Holzsitze im Kommen. Das zeigen die Umfragen für die neue Tramgeneration in Zürich und die neuen Fahrzeuge in Basel (vgl. «Neue Drämmli» S. 30).

Bei Fahrzeugen, die sich im städtischen Umfeld bewegen, geht der Trend dahin, den Fahrer abzukapseln und ihm mehr eigenen Raum zu geben – auch um ihn vor Übergriffen zu schützen. Umgekehrt verlangt dies Gestaltungskonzepte, die der «sozialen Kontrolle» mehr Gewicht beimessen.

Die Hemmschwelle, etwas im Fahr­zeug zu zerstören oder jemanden anzugreifen, ist grund­ sätzlich höher, wenn man gesehen werden könnte. Das Fahrzeuginnere ist deshalb oft transparent gestaltet, verspiegelte Panoramafenster erlauben den Blick nach draussen, schützen aber umgekehrt vor Blicken.

Nicht zuletzt um das subjektive Sicherheitsgefühl von Fahr­gästen und Personal zu befriedigen, werden zunehmend Überwachungskameras installiert.

Gewicht, Kosten und Flexibilität sind elementar für den Betreiber

Für die Betreiber ist der Zusammenhang höheres Ge­wicht gleich höherer Kraftstoffverbrauch gleich höhere Kosten zentral. Auf innerstädtischen Linien werden Gepäckablagen immer seltener gebraucht.

Die Digita­lisierung führt zu leichterem Gepäck. Und die Fläche für die Gepäckabstellplätze füllen die Betreiber lieber mit Sitzplätzen – und damit zahlenden Kunden – als mit Stauraum. Die heutigen Sitze sind in der Regel modular aufgebaut, sodass sie sich problemlos ausbauen lassen und der Raum anders genutzt werden kann.

Ein viel diskutiertes Thema sind die Sitzbezüge in den Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs. Die Theorie, dass Sitze mit bunten Mustern seltener zerstört werden, bestätigt Andrea Lipp: «Es ist einfach nicht reizvoll, auf den bunten Mustern etwas zu malen oder zu schreiben.» Grundsätzlich könne man feststellen, dass Hochwertiges seltener zerstört werde. Oft werden die Ober ächen wegen des Vandalismus beschichtet oder mit Folien beklebt – dies ist zwar in der Anschaffung teurer, wirkt sich aber positiv auf den Unterhalt aus.

Für den Betreiber geht es beim Design in erster Linie um seinen Wiedererkennungswert, sein Image und das Erscheinungsbild. Er wird versuchen herauszufin­den, welche Farben und welche Formgebung seine Ziel­ gruppe mit welchen Eigenschaften verbindet. Die Her­ ausforderung für die Gestalter liegt zudem darin, die Fahrzeuge so zuzuschneiden, dass sie bezahlbar sind, um wettbewerbsfähig zu sein.

Möglicherweise geht ein Betreiber noch auf den kulturellen Hintergrund des Landes ein. Dies äussert sich in der Farbgebung oder der Anordnung der Sitze. Hat sich ein Betreiber entschie­ den, wird dieses Layout genutzt und über die Masse kostengünstig produziert. «Öffentliche Verkehrssysteme werden seit den 1960er­Jahren auf Massenleistungs­ fähigkeit und Wirtschaftlichkeit, aber nicht auf Reise­erlebnisse hin optimiert», sagt Lipp. Dennoch sind die Vorgaben der Verkehrsbetriebe für die Gestalter wahrscheinlich die geringste Einschränkung. Schwerer wie­gen die Vorgaben zu Material (schwer entflammbar, rutschsicher, abwaschbar, resistent gegen Feuchtigkeit), Massen (Durchgangsbreite, Kopfhöhe, Sitzabstand, Bar­rierefreiheit) oder Farbgebung (Kontrastfarben).

Vorausdenken ist entscheidend

Wegen der langen Lebenszyklen der Fahrzeuge im öf­ fentlichen Verkehr orientiert man sich bei der Gestaltung gern an ästhetischen Ideen, die sich lang gehalten haben: z. B. optische Leichtigkeit, die Hochwertigkeit suggeriert. Laut Lipp kommen auch Naturmaterialien, recyceltes Material oder insgesamt die Wiederverwertbarkeit der Materialien gut an. «Ein leichter Sitz deutet darauf hin, dass der Aufwand für die Herstellung nicht zu gross war», sagt sie.

Die künftigen Nutzer sind die heutigen Kinder­gartenkinder. In dieser Generation werden Infotainment und Digitalisierung wichtiger Bestandteil der Ausstat­tung sein. «Die Ausstattung entwickelt sich weg vom Material als Dekoration, hin zu interaktiven Materia­lien. Beispielsweise modernen Ledersitzen, die die Tem­peratur des Passagiers erfühlen und sich entsprechend erwärmen oder abkühlen.» Für neue Gestaltungsideen braucht man allerdings Platz im Fahrzeug. «Heute haben alle Fahrzeuge ihre Energiespeicher dabei oder sind dadurch in irgendeiner Form limitiert. Sobald sich die Form des Antriebs ändert, wird es wieder mehr Raum für Gestaltung geben», ist Andrea Lipp überzeugt.


Anmerkung:
[01] Die Hochschule Reutlingen (D) bietet einen Studiengang Transportation Interior Design (TID). Die Bachelor und Masterprogramme basieren auf den Themenbereichen Textiltechnologie, Textilmanagement, Textilhandel, Textildesign, Modedesign, Fahrzeuginnendesign und Künstlerische Konzeption. Die Studierenden erwerben fachübergreifend die nötige Kompetenz zur Gestaltung von Innenräumen für Verkehrsmittel aller Art – von der Konzeption bis zur praxisnahen Umsetzung. Wichtiger Bestandteil der Ausbildung ist neben dem dreidimensionalen Styling des Innenraums und seiner Komponenten der richtige Umgang und Einsatz von Materialien. Weitere Informationen: www.td.reutlingenuniversity.de

TEC21, Fr., 2015.11.06

06. November 2015 Daniela Dietsche

«Farbe bringen die Fahrgäste mit»

Der Regionalverkehr Bern-Solothurn RBS ersetzt nach 40 Jahren die Fahrzeuge der Linie S7 (Bern–Worb). Ulrich Reinert und Caspar Lösche erläutern Vorgehen und Herausforderungen beim Ersatz der als Mandarinli bekannten Züge.

Der RBS ist Teil der S­Bahn Bern und eines der innovativsten öV­Unternehmen der Schweiz. Als erster Schweizer öV­Ver­ bund hat er 1963 den Taktfahrplan, 1971 den Zonentarif, 1974 den S­-Bahn-­Betrieb und 1992 Niederflurzüge eingeführt.
Entstanden ist der RBS aus den Vorgängerbahnen Solothurn­-Zollikofen­-Bern Bahn SZB und den Vereinigten Bern­-Worb­-Bahnen VBW, die sich 1984 zusammenschlossen. Heute transportieren die 4 Bahn­ und 22 Buslinien jährlich über 25 Millionen Fahrgäste. Die aktuelle Beschaffung der neuen Mandarinli – der Name kommt von der auffälligen orangen Farbe – ersetzt die in die Jahre gekommene Flotte der S7.

Die Mandarinli des RBS müssen altershalber ersetzt werden. Sie beschaffen deshalb in den nächsten Jahren neue Züge für die S7. Wie gehen Sie vor?
Ulrich Reinert: Unsere Züge sind fast 40 Jahre alt und haben damit ihr wirtschaftliches Lebensalter erreicht. Der eigentliche Beschaffungsprozess erfolgt nach GATT-­/WTO­-Vorgaben und ist relativ technisch. Da wir als meterspurige S­-Bahn keine Standardzüge beschaffen können, müssen unsere neuen Züge zuerst entwickelt und konstruiert werden. Wir de nieren als Erstes, welchen Ansprüchen die Fahrzeuge genügen sollen. So hatten wir in den letzten zehn Jahren auf der S7 einen Nachfragezuwachs von rund 40%. Die neuen Fahrzeuge müssen deshalb so gestaltet werden, dass sie viele Fahrgäste aufnehmen können, aber dennoch komfortabel bleiben.

Von wie vielen neuen Zügen sprechen wir?
Reinert: Wir bestellen 14 neue Fahrzeuge mit der Optionen für eine Nachbeschaffung. Wir rechnen damit, dass das erste Fahrzeug 2018 bei uns ist und alle Züge ab 2020 im Einsatz sind.

Wie gross ist der technische und betriebliche Spielraum bei der Neugestaltung?
Reinert: Viele Vorgaben ergeben sich aus den technischen Randbedingungen der Infrastruktur. Die Gestaltungsspielräume beziehen sich deshalb vor allem auf den Innenraum. Zentral ist auch die Frage nach der Anzahl Türen und deren Anordnung. Im Vordergrund steht der schnelle Fahrgastwechsel in einem stark genutzten System. Wichtig war für uns zu wissen, wie sich der Fahrgast zum und im Fahrzeug bewegt, welche Bedürfnisse er hat und welche davon wir berücksichtigen können.

Um die Bedürfnisse der Fahrgäste kennenzulernen, wurden diese befragt. Wie sind Sie vorgegangen?
Caspar Lösche: Wir haben auf der unabhängigen Webplattform Atizo ein Crowdsourcingprojekt lanciert, um gemeinsam mit unseren Fahrgästen Lösungen zu entwickeln, wie wir die Fahrt in den neuen Zügen – vom Ein­ bis zum Ausstieg, in der Stosszeit wie in Randzeiten – angenehmer gestalten können. Immerhin muss man sich bewusst sein, dass die Züge wieder mehrere Jahrzehnte im Einsatz sein sollen. Deshalb wurden auch klare Spielregeln definiert.

Wie sahen diese Spielregeln aus?
Lösche: Die Ideen sollten erstens massentauglich, zweitens technisch und nanziell umsetzbar und drittens nachhaltig sein, also auch nach mehreren Jahrzehnten noch Sinn machen. Die Umfrage lief während fünf Wochen, danach haben wir die Ideen intern bewertet und die besten mit einer Prämie von insgesamt 2000 Franken honoriert. Konstruktive und umsetzbare Ideen haben wir in das Pflichtenheft für die neuen Fahrzeuge eingebunden. Die eingegangenen 600 Ideen verdichteten wir mit der Geschäftsleitung und der Marketingabteilung auf 25 Ideengruppen. Diese haben wir erneut den Fahrgästen in Form konkreter Fragen präsentiert. Die Fragen konnte man via Smartphone direkt während der Fahrt beantworten. In dieser zweiten Runde wollten wir konkrete Fragen stellen, die eher auf die individuellen Ansprüche abzielten. In der ersten Runde kamen durch die offene Formulierung auch einige unerwartete Ideen auf.

Zum Beispiel?
Reinert: Es gab zwar auch weniger ernst gemeinte Ideen, wie etwa einen aufrecht stehenden Schlafsarg oder Dunstabzugshauben über den Sitzen. Das meiste war aber konstruktiv: Den Fahrgästen ging es vor allem um das Sitz­ respektive Stehplatzangebot, um zügiges Ein­ und Aussteigen und um gutes Zirkulieren im Fahrzeug. Überrascht hat uns, dass es unseren Fahrgästen also weniger um indivi­ duelle Wünsche als um Massentauglichkeit ging. Das ist ein tolles Resultat, die Mehrheit der Fahrgäste hat sehr rationale Ansprüche.

Wie kam es zu diesem aufwendigen Verfahren?
Lösche: Der RBS hat im August 2014 seinen Social­-Media­-Auftritt gestartet. Es lag für uns auf der Hand, dass wir die Fahrgäste auch über diese Kanäle in die Beschaffung der Fahrzeuge einbeziehen wollten und so gleichzeitig auch unseren neuen Auftritt bekannt machen konnten. Der direkte Einbezug der Fahrgäste ist für den RBS aber nichts Neues: Bereits in den 1970er-­Jahren waren die Fahrgäste befragt worden, welche Farbe die damals neuen Mandarinli­Züge haben sollten.
Reinert: Der gewählte Weg konnte sehr schlank durchgeführt werden – zeitlich innert weniger Monate und auch kostenmässig mit wenigen Tausend Franken. Zudem konnten wir mit dem Onlineansatz das gesamte Spektrum abfragen – es ging nicht nur um einen Aspekt wie vor 40 Jahren bei der Farbgestaltung, sondern entwickelte sich eher Richtung Marktforschung.

Lösen Sie die Gestaltungsfrage intern oder in Zusam- menarbeit mit einem Designbüro?
Reinert: Da unsere Züge eine Massanfertigung sein müssen und speziell konstruiert werden, nutzen wir den Spielraum auch für ein eigenständiges Design. Bei der letzten Zugbeschaffung vor knapp zehn Jahren wurde das Design erst nach der Auftragsvergabe an Stadler Rail AG entwickelt: Die Gestaltung dieser Züge vom Typ «NExT» (Nieder­flur­-Express­-Triebzug) trägt die Handschrift von Uli Huber, dem ehemaligen SBB­-Chefarchitekten. Bei der jetzt anstehenden Beschaffung mussten wir aus ausschreibungstechnischen Gründen einen neuen Weg gehen und haben das Design bereits vor der Ausschreibung erarbeitet. Dafür haben wir letztes Jahr vier Designbüros eingeladen und die süddeutsche Tricon Design AG als Designpartner ausgewählt. Diese Firma hat sich auf Zuggestaltung spezialisiert und weltweit schon diverse Metro­ und Stadtbahnfahrzeuge gestaltet. Beim neuen S7­-Zug soll die mit dem «NExT» eingeführte Designsprache weitergeführt werden: Im Innern setzen wir auf eine auch farblich ruhige Gestaltung mit indirekter Beleuchtung. Die Farbe bringen die Fahrgäste mit.

Gehen Sie auch international auf Ideensuche?
Reinert: Selbstverständlich. Auch wenn wir in der Schweiz einen guten Standard im Fahrzeugdesign haben, gibt es ausserhalb interessante Lösungen und Konzepte, die wir für unsere Bedürfnisse adaptieren können. So gibt es bei Stadtbahnen im Ruhrge­ biet schon länger zusätzlich zu den Türtastern aussen optische Sensoren, die die Türen automatisch öffnen. Dies möchten wir für unsere neuen Züge adaptieren. Andererseits gibt es auch abschreckende Beispiele. Diese sieht man auch bei Messen, wo Hersteller ihre neuen Fahrzeuge präsentieren. Typische Beispiele sind hier sehr enge Bestuhlungen und Zirkulationsflächen. Man ist oft erstaunt, wo überall noch Sitze hineingepresst werden; Doppelstockzüge mit Klappsitzen unmittelbar vor den Treppen oder Ähnliches. Man wird dann den Eindruck nicht los, dass solche Züge von Personen konzipiert und beschafft werden, die diese selber kaum je nutzen.

Welche Aspekte sind für den hohen Schweizer Standard massgebend?
Reinert: Einerseits dürfte dies am hohen Lebensstandard hierzulande liegen, der zu einer entsprechenden Anspruchshaltung führt. Vor allem aber ist der öffentliche Verkehr in der Schweiz ein ziemlich klassenloses Verkehrssystem: Der Fahrgast wird nicht als Beförderungsfall betrachtet, sondern als Kunde, und auch eine Bundesrätin oder ein CEO eines Konzerns fahren Zug oder Tram. Dies ist in vielen Ländern anders.

Wie wichtig ist Nachhaltigkeit für die RBS?
Reinert: In Bezug auf Energieef zienz und Verschleiss ist die Bahn als Massentransportmittel per se eine nachhaltige Sache. Ein Fahrzeug wird für eine Einsatzzeit von rund 40 Jahren konzipiert, wobei es üblicherweise nach 20 Jahren eine Modernisierung mit neuer Elektronik oder neuer Innenraumgestaltung gibt. Dabei werden nach Möglichkeit rezyklierbare Materialien verbaut.

Sind bei der aktuellen Beschaffung auch technische Einbauten wie WLAN ein Thema?
Lösche: Gerade der Bereich Mobilkommunikation entwickelt sich rasant. Es ist dabei schwierig bis unmöglich, eine technische Lösung einzubauen, die auch in 40 respektive 20 Jahren noch verbreitet ist. Daher verzichten wir in den neuen Zügen auf den Einbau von WLAN, sehen aber Repeater für einen optimalen Mobilfunkempfang vor. Wir gehen davon aus, dass Daten atrates für mobiles Surfen künftig zum Standard werden und daher WLAN, so wie wir es heute kennen, unterwegs nicht mehr notwendig sein wird.

Wie wichtig ist der Sicherheitsaspekt?
Lösche: Betreffend die Züge ist zu unterscheiden zwischen der technischen Sicherheit und dem Sicherheitsemp nden der Fahrgäste. Immerhin ist zu beachten, dass wir teilweise metroähnliche Zustände haben und grosse Stehflächen anbieten müssen.

Mit welchen Massen wird gerechnet?
Reinert: Entscheidend ist, ob die angebotenen Sitzplätze und Stehflächen effektiv auch genutzt werden. So haben die heutigen Mandarinli­Züge sehr enge Sitzteiler, was dazu führt, dass auch in Spitzenzeiten nicht alle Sitzplätze genutzt werden. Analog gilt bei Stehplätzen, dass diese komfortabel nutzbar sind, dass Anlehn­ oder zumindest gute Haltemöglichkeiten vorhanden sind. Zu beachten ist auch, dass die Zirkulationsflächen besonders auf den Einstiegsplattformen nicht als erste belegt werden. So legen wir grossen Wert auf Übersichtlichkeit: Der einsteigende Fahrgast soll rasch erkennen, wo noch Sitzplätze frei sind. Generell rechnen wir bei Stehplätzen mit maximal drei Personen pro Quadratmeter. Bei Sitzplätzen ergibt sich ein rechnerischer Flächenbedarf von 0.45 m² pro Person.

Versuchen Sie auch, die Kommunikation zwischen den Fahrgästen aktiv zu fördern?
Lösche: Unsere Erfahrungen zeigen, dass dies gar nicht gewünscht ist. Der grösste Teil unserer Fahrgäste sind Pendler, die täglich mit uns reisen. Wir legen deshalb auch akustisch Wert auf eine ruhige Umgebung. Neben dem Vermeiden von technischen Geräuschen sind die automatischen Durchsagen auf das Erforderliche beschränkt – kein «Herzlich willkommen beim RBS» aus der Konserve oder Ähnliches. Zudem sind die Fussböden unserer Züge mit Teppichen belegt – dies schluckt einiges an Lärm.

Wie gehen Sie mit Hindernisfreiheit um?
Reinert: Mobilität für alle ist uns ein grundsätzliches Anliegen. Dass dies kein Lippenbekenntnis ist, verdeutlicht die Tatsache, dass wir bereits ab 1994 als erstes Schweizer öV­Unternehmen Züge mit Niederflureinstieg eingeführt und auch die Perrons und die Perronzugänge entsprechend ausgerüstet haben. Bereits vor Schaffung des Behindertengleichstellungsgesetzes haben wir in allen Zügen Niederflurangeboten und damit die physische Barriere für Mobilitätsbehinderte massiv reduziert. Nachholbedarf haben wir bei der Kundeninformation an den Stationen, hier sind entsprechende Projekte aufgegleist.

Arbeiten Sie mit Psychologen zusammen?
Reinert: Bisher nicht – man kann nicht aus allen Bereichen Fachleute beiziehen. Dafür befindet man sich mitten im Leben. Auch wenn man immer wieder von der Wirklichkeit überrascht wird – das ist das Spannende am öffentlichen Verkehr.

TEC21, Fr., 2015.11.06

06. November 2015 Tina Cieslik

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