Editorial

Die Nutzung von Räumen unterhalb der Erdoberfläche ist ein ebenso altes wie zwiespältiges Phänomen. Neben die Vorteile schützender Masse und gleichmäßiger Temperatur treten die Nachteile fehlenden Tageslichts und mangelnder Belüftung, die den Untergrund als Lebensraum für den Menschen eigentlich disqualifizieren. Viele Bauaufgaben sind unter der Erde aber ganz gut aufgehoben: Für Lager, Verkehrswege, technische und emissionsstarke Einrichtungen möchte man nur ungern wertvollen Stadtraum oder landschaftliche Reize opfern. So gestaltet sich die Welt im Untergrund als weitläufig und verzweigt (wie z. B. die Röhren der zukünftigen Crossrail-Haltestelle »Bond Street« in London, s. Bild) und pendelt zwischen konstruktiver und bautechnischer Machbarkeit sowie Wunsch und Notwendigkeit. | Achim Geissinger

Landmarken im Untergrund

(SUBTITLE) Zwei U-Bahn-Haltestellen in Budapest (H)

Dass Ungarn seine architektonischen Aushängeschilder im Boden vergräbt, mag manchem als der passende Ausdruck für die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse im Lande erscheinen. Tatsächlich kann das aber der Strahlkraft der neuen U-Bahn-Haltestellen der Budapester Linie M4 nichts anhaben. V. a. die beiden Stationen direkt links und rechts der Donau ziehen viel Aufmerksamkeit auf sich, denn hier überführten die Architekten eine technische Notwendigkeit in eine unverwechselbare, erlebnisreiche Gestaltung, über die Tageslicht bis weit in die Tiefe hinab gelangt und sich dort zu charaktervollen Räumen aufweitet.

Die Metro-Linie M4 in Budapest hat sich als eine Art Wunderkind der Architektur, als das Objekt der allgemeinen Begeisterung erwiesen. Der (schlechte) Leumund des Projekts, der 20 Jahre lang von politischen Kämpfen und unsichtbar schwindenden Geld- und Zeitressourcen geprägt war, wandelte sich in dem Moment, als die zehn Stationen der neuen Linie eröffnet wurden.

»Ich bin verliebt in die M4!«, äußerte sich eine Theaterkritikerin, die sich sonst kaum von Begeisterung mitreißen lässt. Es ist kein Wunder, dass die M4 Theatermenschen beeindruckt. Beim Besuch der Zwillingsstationen Fövám-Platz und Szent-Gellért-Platz zu beiden Seiten der Donau trifft man ein bis ins letzte Detail durchgeplantes Bühnenbild an, in dem sich eine erstaunliche Raumdramaturgie entfaltet – ganz im Gegensatz zu den Haltestellen der drei bereits bestehenden Budapester Metro-Linien, deren rein funktionale Ausformung ausschließlich der raschen Fortbewegung dient.

Die Idee einer vierten Metro-Linie, die den südwestlichen Stadtrand Budafok mit der Pester Innenstadt am Ostufer der Donau verbinden sollte, stammt aus dem Jahr 1972. Die zuständige Bahnbehörde legte jedoch erst 1996 Stationen und Streckenführung fest – und auch, dass die Haltestellen in offener Bauweise in den Untergrund gegraben und die Räume wie mehrstöckige Gebäude gestaltet werden sollten.

2004 wurden schließlich die Architekten in einem landesweiten, öffentlichen Wettbewerb ausgewählt. Palatium Studio, das von Zoltán Erö geleitete Gewinner-Büro, riet – von Wiener und Münchener Beispielen überzeugt – den Bauherren davon ab, die Stationsgruben mit funktionslosen Stockwerken zu füllen. Stattdessen wurden sie als offene Boxen gebaut, die natürliches Licht hereinfließen lassen und eine individuelle Gestaltung ermöglichen. Das hatte auch den Vorteil, dass man die Baustellenfläche viel früher der öffentlichen Nutzung zurückgeben konnte.

Palatium Studio bezog mehrere Teams in die Arbeit mit ein, sodass die zehn Stationen von insgesamt fünf Budapester Architekturbüros gestaltet wurden – neben den im Wettbewerb erst- bis drittplatzierten auch zwei weitere junge Teams. Auf diese Weise betraten sporaarchitects die Bühne.

Die Festlegung der gemeinsamen Merkmale der Stationen erfolgte danach in Teamarbeit. Dazu gehört nicht nur die Betonung des offenen Raums und des natürlichen Lichts, sondern auch die Offenlegung der Baustruktur, die Verwendung von Sichtbeton und nicht zuletzt die Zusammenarbeit mit Künstlern.

Industrieller Charme

Das Ergebnis gehört nicht mehr der dichten, von Historismus und Sezession geprägten Welt von Pest an, sondern bildet deren unterirdisches Gegenstück, als würde man eine neue Dimension betreten, sobald man am Fövám-Platz die Fahrt mit der ungewöhnlich langen Rolltreppe antritt. Ein gigantischer Raum öffnet sich hier, der von einem massiven Gewebe horizontal im Raum liegender und sich einander durchdringender Sichtbetonträger gegliedert wird. Alle Grautöne spielen mit, und der Blick wandert in die dämmrige Tiefe. Einige der Wände sind mit Corten-Stahl bekleidet und bringen ein wenig Wärme in diese graue Welt. Das Zusammenspiel von natürlichem Licht, das sich mit sterilem Neonlicht und den scharfen Kegeln von Scheinwerfern mischt und den Charakter des Betongewebes zur Dominanz über den Raum führt, wurde von Tamás Bányai gestaltet, einem Theater-Lichtdesigner, dessen Arbeiten entlang der ganzen Metro-Linie zu sehen sind.

Das Sichtbeton Netzwerk, das die einen an ein Mikado-Spiel, die anderen an Knochengewebe denken lässt, ist letztlich der schieren statischen Notwendigkeit geschuldet: Es steift auf drei horizontalen, klar voneinander getrennten Ebenen die Schlitzwände gegen den Druck von Erdreich und nahe gelegener Donau aus. Bei genauer Betrachtung der Sichtbetonträger tritt der eine oder andere Makel ins Blickfeld, der einer Korrektur im Nachhinein bedurfte. Diese altbekannte Schwäche der Bauausführung in Ungarn stört den von den Architekten angestrebten rohen, industriellen Eindruck nur wenig. Diese Ästhetik ist neu in Ungarn und wirft unter den Nutzern die erwartbaren Fragen auf, inwiefern es sich hier noch um eine Baustelle handelt und wozu der gewaltige Raum wohl diene.

Nach der drei Etagen durchmessenden Rolltreppenfahrt gelangt man auf eine luftige Zwischenebene, wo man gerne innehält, um sich umzuschauen. Hier wird deutlich, was Ádám Hatvani, einer der Architekten des Teams sporaarchitects, meint, wenn er die Haltestellen als unterirdische öffentliche Plätze definiert.

Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Bahnsteig, der – anders als entlang der übrigen Strecke – in den beiden Zwillingsstationen teilweise unter der Donau und deshalb an den Enden in Tunnelröhren verläuft – daraus ergibt sich auch die Rekordtiefe der beiden Stationen von 30 bzw. 31 m. Die plötzliche Verengung des Raums hier unten wirkt nicht bedrückend, da man hinaufblickend das Spiel von Betongewebe und Licht weiter genießen kann. Das Motiv des Gewebes findet sich u. a. auch in den weißen Stühlen aus Aluminium und Titan (Konstantin Grcic, 2006). Die Ausgestaltung ist schlicht, erhält aber in den aus dünnen Betonschalen gefügten und mit Mosaikfliesen unterschiedlicher Farben belegten Röhren aufmunternde Akzente. Und das Raumerlebnis wird nirgends durch Werbeflächen gestört, da diese – kaum zu glauben – von der gesamten Strecke verbannt wurden. Zudem scheint trotz der Gebrauchszeit von anderthalb Jahren alles wie neu zu sein und es sind keinerlei Beschädigungen zu sehen.

Wert und Bruch

Am Gellért-Platz lässt sich gut erkennen, dass die Künstler auf der Gesamtstrecke nicht einfach als Dekorateure angeheuert wurden. Ein Verbindungsgang zwischen zwei Tunnelröhren wurde von Tamás Komoróczky, einem in Budapest und Berlin lebenden Künstler, mit Mosaiken gestaltet. Das Werk erzeugt ein Gefühl von turbulenter Geschwindigkeit, das Assoziationen an die Arbeit der Tunnelbohrmaschine weckt. Hier gelang es, ein selbstständiges Kunstwerk zu schaffen. Für den Fövám-Platz hingegen hat es zu einem solchen nicht gereicht, da das frei finanzierte Budget bereits aufgebraucht und von der öffentlichen Hand sowieso gar keins vorgesehen war. Der Bau der Haltestelle war ohnehin Gegenstand dauernder Debatten, da die beiden Stationen gerade einmal 378 m weit auseinander liegen; durch den Wegfall der einen wollte man die Finanzierungslücken des Metro-Projekts stopfen.

Heute sorgen sorgen am Fövám-Platz drei kristallförmig gestaltete Objekte als Dächer für Aufmerksamkeit und für natürliches Licht im Untergrund. Gegenüber am Gellért-Platz war dergleichen wegen der beengten Verhältnisse der belebten Kreuzung in Flussnähe nicht möglich; zumal die UNESCO das Donau-Ufer als Teil des Weltkulturerbes listet und damit dessen Bebauung ausschließt. Einer der beiden oberirdischen Eingangsbauten liegt deshalb eingeengt zwischen dem Hauptgebäude der Technischen Universität und Straße, zeugt aber auch von spielerischer Kreativität: Ein gefaltetes Betonband bildet am einen Ende ein Dach über dem Treppenabgang, am anderen ein Gehäuse für den Aufzug; dazwischen überrascht eine kontrastreiche Installation eines quergelegten Baumstamms und eines frisch gepflanzten Baums. Wer aber am Gellért-Platz den Hauptzugang wählt, wird mit einer der fehlgeschlagenen Stadtplanungsentscheidungen konfrontiert: Es erscheinen Reliefs herumtollender Delphine an einer Marmorwand, eine grün getönte Glaswand und schließlich Sitzbänke mit welliger Oberfläche und noch mehr Marmor. Die Gestaltung von Sándor Dévényi, einem Vertreter der von Imre Makovecz geprägten ungarischen organischen Bautradition, soll wohl auf das gegenüber liegende, berühmte Gellért-Bad aus der Sezessionszeit Bezug nehmen, führt aber zu einem konzeptionellen Bruch, wie er auf der ganzen Strecke zu erleben ist. Denn die Stadtverwaltung hat den Wettbewerb für die Neugestaltung der vom Metro-Bau betroffenen Plätze bereits im Jahr 2000 abgewickelt.

Diese Brüche verlieren jedoch an Bedeutung, wenn man sich den Gewinn vor Augen hält: Es ist allein schon ein Erlebnis, mit den neuen Alstom-Wagen der M4 zu fahren – ganz im Gegensatz zur Fahrt mit den nahezu lebensgefährlichen Wagen der Sowjetzeit der Linie M3.

Bis heute hört man häufig die Kritik, dass die Linie als Ganzes überflüssig sei – die Strecke entlang der zehn Stationen ließe sich auch mit dem Bus rasch zurücklegen –, das Projekt wäre erst dann vollständig legitimiert, wenn die Linie in Richtung der Vorstädte verlängert würde. Dies liegt jedoch in ungewisser Zukunft. Budapest hat aber ein markantes zeitgemäßes Image bekommen. Fragt heute ein Besucher nach zeitgenössischer Architektur, dann heißt die Antwort: unterirdisch, für den Preis eines Metro-Tickets (1 Euro) zu betrachten.

db, Mo., 2015.11.02

02. November 2015 Nóra Somlyódy

Das Museum der unsichtbaren Absichten

(SUBTITLE) Erweiterung des Museum Liaunig in Neuhaus (A)

Das bereits unter Denkmalschutz stehende Privatmuseum in Kärnten wurde um Präsentationsräumlichkeiten sowie zusätzliche Depotflächen erweitert. Allesamt liegen eingegraben unter der Erdoberfläche, weil sich dadurch Bau- und Unterhaltskosten minimieren ließen. Zudem bleibt das liebliche Landschaftsbild unangetastet. Durch Rohbaucharme und die Inszenierung natürlicher Lichtquellen entsteht ein höhlenartiger, archaischer, bisweilen sakraler Charakter, dessen Sinnhaftigkeit sich jedoch nicht überall erschließt.

Es ist, als würde man im römischen Pantheon stehen. Massiver Boden, massive Wände, massive Kuppelkonstruktion. In der Mitte der Decke ein rundes Loch, durch das ein kontrolliertes Bisschen Sonnenschein in den Raum fällt. Unweigerlich, als hätte man bereits eine Vorahnung, muss man in die Hände klatschen. Und dann zählen. Noch einmal. Diesmal laut schreien. Und zählen. Fünf Sekunden beträgt die Nachhallzeit. Sakrale, ja fast einschüchternd göttliche Dimensionen tun sich hier auf.

Umso erstaunlicher, dass der kreisrunde, archaisch betonierte Raum zunächst als privater Lagerraum für Plastiken und auch Landmaschinen genutzt wurde. Heute ist der einstige Abstellraum, dessen Geometrie und Bauweise 2010 im Rahmen einer »kleinen Erweiterung« traditionellen Gärungsbehältern nachempfunden wurde und der sich an der Oberfläche wie ein überdimensionaler Maulwurfshügel durch den Grasteppich wölbt, erstmals öffentlich zugänglich. Allerdings wagt man sich als Besucher kaum, das Skulpturendepot zu durchschreiten. Zu mächtig, zu erhaben stehen die bronzenen Figuren umher und beanspruchen die gesamte Halle als Aura für sich. Mit angehaltenem Atem versucht man, bloß nichts zu berühren.

Das 2008 eröffnete Museum Liaunig in der zweisprachigen Gemeinde Neuhaus/Suha in Kärnten, nur wenige Kilometer von der slowenischen Grenze entfernt, zählt zu den aufregendsten privaten Ausstellungsräumen Österreichs. Selten findet man ein Museum mit so viel nacktem, unbeschönigtem Beton, selten eine so kompromisslos zusammengestellte, auf österreichische Gegenwartskunst konzentrierte Privatsammlung wie die des Großindustriellen und Kunsthedonisten Herbert Liaunig. Das Projekt, Resultat eines geladenen Wettbewerbs, aus dem das Wiener Architekturbüro querkraft als Sieger hervorgegangen war, ging damals durch sämtliche Blogs und Gazetten. Und sogar für den Mies van der Rohe Award 2009 wurde es seinerzeit nominiert.

Nicht nur die Raumqualität, auch die ungewöhnliche Entscheidung, die Architektur in die Erde einzugraben und nur an ein paar Ecken ans Tageslicht treten zu lassen, machten den Bau zur Ikone. Das einprägsame Bild der stahlbekleideten Betonröhre, die aus dem Hang über die Bundesstraße B81 zischt, schaffte es als reduzierte Strichzeichnung sogar auf eine Briefmarke – in prominenter Gesellschaft mit dem Kunsthaus Bregenz (Peter Zumthor), dem Kunsthaus Graz (Peter Cook und Colin Fournier), dem Lentos Kunstmuseum in Linz (Weber & Hofer Architekten) und dem Schindler House in Los Angeles (Rudolph Schindler).

Im Dezember 2012 wurde das Museum, nur vier Jahre nach Fertigstellung, als jüngstes österreichisches Objekt aller Zeiten unter Denkmalschutz gestellt. Liaunig höchstpersönlich hatte sich um die Unterschutzstellung bemüht. »Schon beim Steinhaus von meinem mittlerweile verstorbenen Freund Günther Domenig war ich in Sorge, dass es verfallen und in Vergessenheit geraten könnte. Der Denkmalschutz ist ein gewisser Schutz, damit das nicht passiert, damit die Substanz erhalten bleibt. Eines Tages auch hier in Neuhaus.«

Im vorletzten Sommer wurden die Räumlichkeiten, auf die nun die Augen des Bundesdenkmalamts gerichtet sich, von 5 000 auf rund 7 500 m² vergrößert. Kein leichtes Unterfangen, bedenkt man die strengen behördlichen Auflagen, mit denen sich Hausherr Liaunig und querkraft Architekten auseinanderzusetzen hatten. Es sei schon ein eigenartiges Gefühl, das eigene Projekt zu erweitern und dabei zu berücksichtigen, dass man am Altbestand eigentlich kaum mehr etwas verändern darf, meint Jakob Dunkl, einer der drei Partner bei querkraft. »Worauf wir besonders viel Wert legen wollten, aber auch mussten, war die Beibehaltung des rohen, sakralen, unterirdischen Ambientes.«

Zu den neu errichteten beziehungsweise adaptierten Räumlichkeiten zählen neben dem umgewidmeten, nun erstmals öffentlich zugänglichen Traktorenpantheon ein Ausstellungsraum für die Glassammlung Liaunigs (1500 bis 1850) und für Porträtminiaturen aus aller Welt (1590 bis 1890) sowie ein großer, dreieckiger Raum für Wechselausstellungen, in dem zurzeit Arbeiten des irischen Künstlers Sean Scully zu sehen sind. Mit seinen pastosen, schwarz-weiß-grauen und gedeckt bunten Streifen und Balken, die er auf die Leinwand bannt, bringt er Farbe in den sonst nur weiß-grauen Raum. »Weltaneignung« nennt Scully diese Verschmelzung von Licht und Melancholie.

5 m über dem hell beschichteten Boden durchdringen sich gegenseitig riesige, bis zu 35 m lange Stahlbetonträger und umfassen mal dreieckige, mal trapezförmige Waben. Die Bauweise ist ein Zugeständnis an geänderte OIB-Richtlinien (Österreichisches Institut für Bautechnik), nach denen ein Raum, dessen Fußboden-Niveau sich unterhalb der Erdoberfläche befindet, keine primärkonstruktiven Stahlbauteile mehr aufweisen darf. Brandbeständigkeit F90 ist Vorschrift.

Ein bisschen erinnert diese rohe, unverblümte Megastruktur mit ihren bedrohlichen Hohlräumen, in denen chaotisch eingehängte Leuchtstoffröhren (vergeblich) etwas Leichtigkeit und Schwerelosigkeit hineinzubringen suchen, an die Bauten von Peter Eisenman, Louis Kahn, Le Corbusier. »Wir wollten den Raum nackt und unverkleidet belassen«, sagt Jakob Dunkl. »Damit kommt der archaische Charakter dieses Gebäudes, das ja fast zur Gänze in der Erde drinsteckt, besser zur Geltung. Es gibt keinen Unterschied zwischen Rohbau und fertigem Haus. What you see is what you get. Alles ist alles zugleich.« Er hält inne, um dann, nach einer kurzen Kunstpause den bereits vielzitierten querkraft-Slogan zum Besten zu geben: »Kein Gramm Fett.«

Doch warum wird die Kunst in die Erde eingebuddelt? Warum darf sich das so wertvolle Werk des Menschen nicht an der Oberfläche abzeichnen? Der ureigentliche Grund, der 2008 zu dieser Entscheidung geführt hatte, war ein zutiefst pragmatischer. 1 500 Euro/m², hatte Auftraggeber Liaunig damals in der Wettbewerbsausschreibung gefordert, durfte das Gebäude kosten – und keinen Cent mehr. Sogar Architekt Dietmar Eberle, der seinerzeit den Juryvorsitz innehatte, meinte, um diesen Preis könne man nie und nimmer ein Museum bauen. Querkraft hat bewiesen, dass man doch kann.

»Die billigste Außenwand, die man nach heutigem Stand der Technik produzieren kann, ist eine Kellerwand«, sagt Jakob Dunkl. »Genau so ist das gesamte Museum konzipiert. An den paar Stellen, an denen das Bauwerk den Hang durchbricht, haben wir uns ganz normaler Industriebauweise bedient, wie man sie in jedem Gewerbegebiet vorfindet.« Die Kombination machts. Obwohl an der Außenseite Wellblech, Trapezblech, handelsübliche Lichtkuppeln und 08/15-Stahlbauteile zum Vorschein kommen, wirken diese im Dialog mit der sanften, samtig weich dahinfließenden Landschaft um ein paar Nuancen verfeinert und veredelt.

Das Licht wird, wo benötigt, durch entsprechend in die Höhe oder in die Länge verlängerte Lichtrüssel eingefangen. Einzig in der Goldkammer und in den neuen Glas- und Miniatur-Ausstellungsräumen macht man sich die Eigenheiten der unterirdischen Bauweise zunutze und lässt das Tageslicht gar nicht erst ins Innere dringen. Hier erst entfaltet sich der Nimbus des Unterirdischen, des Unsichtbaren und verleiht dem Museum – indem es die volle Konzentration auf die funkelnden, in Summe millionenschweren Exponate richtet – einen Hauch von dramaturgisch durchaus ins Konzept passender Klaustrophobie und Katakombenhaftigkeit.

Kosten wurden durch die unterirdische Bauweise gleich doppelt gespart. Nicht nur durch die Senkung des Baubudgets, sondern auch die Betriebskosten ließen sich durch das umliegende Erdreich, das als wertvolle speicherfähige Masse mit entsprechender Trägheit fungiert, auf ein Minimum reduzieren. »Wir brauchen keine fossilen Brennstoffe«, sagt Reinhold Jamer, zuständiger Haustechniker im Museum. »Gekühlt und geheizt wird bei uns mittels Erdwärme und Wärmepumpe, wobei die Energie über eine Fußbodenheizung in die Räume geschleust wird. Der wirklich große Vorteil gegenüber öffentlichen Einrichtungen jedoch ist, dass wir die Ausstellungsräume nicht rund um die Uhr temperieren und lüften müssen, sondern die Anlage je nach Bedarf ein- und ausschalten können.«

Im Haustechnikraum hinter den Sean-Scully-Gemälden sind heute Stühle, Kartons und Holzkisten geschichtet – Reservematerial für Lesungen und andere Veranstaltungen sowie für die Rückspedition der großformatigen Werke. Eines Tages, so der Plan von querkraft, könne man die Haustechnik ohne Schwierigkeit aufrüsten, sollte das Museum noch einmal erweitert werden. »Das ist aber nicht mein Plan«, sagt Hausherr Herbert Liaunig. »Das Museum ist jetzt groß genug. Es wird keine weitere Ausbaustufe mehr geben.« Nur noch der in die Landschaft eingelassene Skulpturengarten, heute ein Krater in der Wiese, soll kommendes Frühjahr eröffnet werden. Die Baustelle läuft bereits. Das, versichert Liaunig, wird der letzte Akt gewesen sein.

Das Museum Liaunig lebt von einem Paradoxon: Einer der wohlhabendsten Industriellen und Kunstsammler Österreichs hat auf brutale, ja fast kaum zu realisierende Weise den Architekten die Daumenschraube angelegt und das Baubudget bis zum äußersten Minimum gesenkt. Die unterirdische Bauweise – so glücklich sie in der Ausgestaltung auch sein mag, so welt- und neubauoffen sie die Gutachter des österreichischen Bundesdenkmalamts anrücken ließ – ist damit Produkt von Rotstift und härtester, unternehmerischer Ökonomie. Museale Absichten, konzeptionelle Überlegungen und Maßnahmen zum Landschaftsschutz sind nicht mehr als willkommene Begleiterscheinungen, die querkraft hier so wunderbar als Kür ins Projekt zu implementieren wusste. Wie heißt es doch so schön? Zwänge und Einschränkungen beleben den Geist des Architekten. Es bleibt ein Hauch von Irritation.

db, Mo., 2015.11.02

02. November 2015 Wojciech Czaja



verknüpfte Bauwerke
Museum Liaunig

Understatement

(SUBTITLE) Weinkeller Kobler in Margreid (I)

Der neue Weinkeller des kleinen Guts in Südtirol ließ sich auf dem Grundstück nur durch Eingraben sinnvoll unterbringen. Das Wellenmuster der Stampfbetonwände und die entsprechende Beleuchtung lassen ein poetisches Ambiente entstehen, das zur Weinherstellung allein fast zu schade ist. Obenauf gedeihen die Reben – wie zuvor.

Auch wenn der Weinkeller auf den ersten Blick wie eine Kunstgalerie in einem New Yorker Szeneviertel aussieht, gehört er in Wirklichkeit zu einem kleinen, ganzheitlich denkenden Familienbetrieb, für den die Themen Architektur und Gestaltung untrennbar mit der Qualität der hergestellten Weine verknüpft sind.

Der größte Teil der Südtiroler Weinbauern produziert Wein nicht selbst, sondern liefert seine Ernte zur Weiterverarbeitung alljährlich an eine der großen lokalen Winzergenossenschaften. Dies bietet insbesondere jenen Winzern Vorteile, denen die Weinherstellung und der Vertrieb zu aufwendig oder zu kostenintensiv sind. Dass Armin Kobler im Jahr 2006 damit begonnen hat, die Hälfte der in sechs Weingärten auf insgesamt knapp 5 ha Fläche angebauten Trauben selbst zu verarbeiten, hat v. a. damit zu tun, dass er – gemeinsam mit seiner Frau – den gesamten Weg von der Traube zum Wein zum Kunden eigenverantwortlich gehen wollte. Als mehr oder weniger provisorischer Ort der Weinproduktion diente seitdem der ursprünglich zur Unterbringung landwirtschaftlicher Maschinen und als Lager konzipierte Keller ihres Hauses an der Margreider Weinstraße (die Geräte stehen seitdem im Freien). Um die bislang rund 15 000 pro Jahr abgefüllten Flaschen selbst vermarkten zu können, eröffnete Kobler 2010 den »Weinraum« – einen multifunktionalen Verkaufs- und Verkostungsraum im EG, den die Südtiroler Architekten Theodor Gallmetzer und Lukas Mayr als minimalistischen White Cube mit versenkbarer Glasfront in die Straßenfassade des Bestandsgebäudes schoben (siehe db 9/2011, S. 30).

Da es inzwischen Pläne gibt, die gesamte Ernte selbst zu vinifizieren, der bestehende Keller hierfür jedoch nicht genügend Platz bot, entstand die Idee, einen neuen Keller zu bauen, der vereinfachte Arbeitsprozesse zur Verarbeitung der gesamten Traubenernte und dadurch langfristig deutlich mehr Lebens- und Arbeitsqualität ermöglichen sollte. Da Kobler einerseits passionierter Winzer ist, andererseits aber auch eingefleischter Analytiker und studierter Landwirtschaftler, der viele Jahre die Sektion Kellerwirtschaft am Versuchszentrum Laimburg leitete, versteht es sich fast von selbst, dass der Neubau in jeder Hinsicht perfekt zu sein hatte. Aufgrund der positiven Erfahrungen mit den Architekten des Weinraums – auch hinsichtlich der Gestaltungsfragen – wurden erneut Gallmetzer und Mayr mit der Planung beauftragt.

Weinkeller unter Weinreben

Der Standort des neuen Weinkellers auf der Gebäuderückseite unter einer Rebbaufläche erwies sich als ideal, obwohl damit durch die Bauarbeiten gleichzeitig der Verlust zahlreicher alter Rebstöcke verbunden war. Hier ließ sich die geeignete Kubatur für allgemeine und Flaschen-Lagerflächen sowie für Edelstahltanks und Eichenholzfässer sowohl in der Höhe als auch in der Fläche frei von statischen Zwängen des Bestandsgebäudes errichten und die Erschließung leicht mithilfe einer Verlängerung der existierenden, befahrbaren Rampe lösen. Außerdem sorgt die Lage 80 cm unter dem Boden für eine optimale, gleich bleibende Temperatur und Luftfeuchtigkeit und ermöglichte gleichzeitig den problemlosen Wiederanbau neuer Rebstöcke.

Dass die Architekten die Idee entwickelten, einen Teil der Kellerwände in Stampfbeton auszuführen, hatte zwei Gründe. Erstens liegt das Baugrundstück in einem von Kalkschottern geprägten Gebiet, das heißt, beim Aushub der Baugrube fiel viel Kies an, den man zum Bau der Wände verwenden wollte. Letztlich wäre dessen Reinigung vor Ort aber zu aufwendig und langwierig geraten; die Steine wurden abtransportiert und neuer Kies eines nahe gelegenen Kieswerks eingesetzt. Der zweite Grund liegt in der Ästhetik des von Hand schichtweise verarbeiteten Stampfbetons, der nicht nur an die natürlichen Sedimentschichten der westlich von Margreid aufragenden Felswände erinnert, sondern mit dem sich auch Parallelen zur Schichtung der festen und flüssigen Traubenbestandteile ziehen lassen, die hier in der Maische vergoren werden. ›

Ästhetik und Funktion als Einheit

Den Rundgang durch die neuen Kellerräumlichkeiten, den Armin Kobler auch seinen Kunden anbietet, prägt v. a. das Bild des ebenso sorgfältig wie detailverliebt ausgeübten Handwerks. Weinproduktion und Architektur erscheinen dabei gleichsam als gestalterische und funktionale Einheit. Edelstahltanks und -leitungen wirken wie funkelnde Skulpturen in einem Ausstellungsraum, in dem das harmonische Zusammenspiel unterschiedlicher Grau- und Silbertöne im Mittelpunkt steht: ein glatt geschliffener Sichtbetonboden, mit Weißzement ausgeführte Stampfbetonwände (mit transparentem, hydrophobierendem Anstrich) und Betondecken, satinierte Edelstahlschiebewände. Definiert werden die tageszeitabhängig wechselnden »Farbtöne« weniger durch die bündig eingebauten Deckenleuchten, die die lebhafte Textur der Wände unterstreichen, als vielmehr durch ein als befahrbare Glasplatte ausgebildetes Oberlicht, das, an den Weinreben vorbei, den Blick zum Himmel freigibt.

Im ursprünglichen Konzept der Architekten sollte dieses Oberlicht die Möglichkeit eröffnen, die geernteten Trauben zur Verarbeitung direkt in den Keller zu bringen. Dass Kobler diese Option bislang nicht wahrnimmt, hat damit zu tun, dass er die Trauben nach wie vor auf der dafür vorgesehenen Fläche an der Gebäuderückseite anliefert und im alten Keller presst, um den Saft oder die Maische von dort in den tiefer gelegenen neuen Keller zu befördern. Das war zwar nicht so vorgesehen, schließlich sollte der alte Keller wieder zum Abstellen landwirtschaftlicher Maschinen dienen, dafür aber wesentlich einfacher, weil entsprechende Leitungen und Schächte schon vorhanden sind. Genau an diesem Punkt gerät das ursprüngliche Ziel des Weinguts wieder ins Bewusstsein: ein Weinkeller, der im Sinne der Weinherstellung optimal funktionieren muss, zugleich aber auch den Arbeitsalltag erleichtert. Dieses Ziel ist zweifellos erreicht. Erst so richtig glücklich sind die Koblers mit dem unterirdischen Neubau aber v. a. deshalb, weil sie damit etwas geschaffen haben, das ihrer Lebens- und Arbeitsphilosophie entspricht, in der die Themen Gestaltung und Baukultur wie selbstverständlich fest verankert sind. Und so spielt es auch eine untergeordnete Rolle, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis sich diese Investition amortisiert haben wird.

db, Mo., 2015.11.02

02. November 2015 Roland Pawlitschko

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