Editorial

Komfort, Kommerz, Kontrolle

Der Fussball hat sich in den letzten zwanzig Jahren zu einem florierenden Wirtschaftszweig entwickelt. Die weltumspannende Vermarktung für die Massen vor den Fernsehgeräten hat drastische Konsequenzen für die wenigen Zuschauer in den Stadien. Im Zuge der Umwälzungen verändern moderne Fussballarenen den Sport und die Besucher.

Es geht zurzeit so einiges verloren, was für den Fussball und beim Besuch eines Fussballspiels bis vor kurzem wichtig und schön war. Es fehlt plötzlich die physische Dichte der alten Stehplatzrampen – die Individualität und Bewegungsfreiheit ist in reinen Sitzplatzsektoren stark eingeschränkt. Verloren gehen spontane und unvorhersehbare Elemente, verloren geht eine verbale (Schmäh-)Kultur. Die Fans, in ihrer ursprünglichen Form, Teilnehmer am Spektakel, werden von den Clubs und den Stadionmanagern zu Statisten degradiert. Statisten, die bei Spielbeginn artig mit den Sponsorenfähnchen zu wedeln haben, die als perfekte Kulisse und Inszenierung für die lukrative TV-Übertragung herhalten müssen. Von der Masse wird erwartet, dass sie ihre Rolle perfekt spielt.

Zuschauer werden in modernen Arenen in erster Linie als Konsumenten behandelt. Die Stadien verfügen über interne, bargeldlose Zahlungssysteme. Mit herkömmlichem Geld kann man oft nichts mehr kaufen. Statt dessen regiert der Ajax-Dollar und die Schalke-Karte. Die Sportvereine werden von ihren Marketingexperten mehr und mehr gleichgemacht. Durch die Angleichung der Stadien an geltende Uefa- und Fifa-Standards (Sicherheit, Vermarktung, Catering, Komfort) ist eine Homogenisierung des Fussballspiels auszumachen. Ein Stadion gleicht dem anderen, ein Spielbesuch dem nächsten.

Architektonisch sind heutige Stadien eher geschlossene als offene Bauten. Die Dächer ziehen sich weit oben über dem Feld fast zu einer Halle zusammen. Die Weite und Offenheit der älteren, ungedeckten Stehplatzrampen ist nicht mehr gefragt. Auch eine örtliche Verschiebung ist auszumachen. Statt wie früher mitten in den Arbeiterquartieren, befinden sich Stadien heute von der Umwelt abgekapselt weit draussen vor den Städten. Im Gegensatz zu den zwei im Heft vorgestellten Stadien in Berlin und Leipzig werden die neuen Stadien für die grossen Euro- und WM-Turniere häufig an Orte gepflanzt werden, die nach den grossen Meisterschaften keine adäquate Verwendung mehr finden.

Doch wundern muss man sich über die Veränderungen nicht. In den Stadien ist ja bloss eine Verdichtung der sonstigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu beobachten. Die verstärkte Kontrolle der Bevölkerung, die sich im Stadion durch omnipräsente Überwachungskameras, personalisierte Tickets und Wegweisungsgesetze manifestiert, ist ebenso wenig ein fussballspezifisches Phänomen wie die verstärkte Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen. Und die überhöhte Kommerzialisierung und «Mediatisierung» durchdringt alle Lebensbereiche des modernen Menschen, nicht nur seine Fussballwelt.

Saro Pepe, Betriebsleiter der Fussball- und Kultur-Bar «Flachpass» im Zürcher Stadion Letzigrund, das am 1. September 2006 abgerissen wird und einem Neubau weichen muss.

Inhalt

Olympiastadion Berlin
Anna Maria Odenthal
Die Sanierung und Modernisierung des ideologisch belasteten Berliner Olympiastadions bewahrte auch dessen Umgebung vor dem weiteren Verfall.

Leichte Überdeckung
Katinka Corts
Für das Berliner Stadion forderte die Fifa eine Tribünenüberdachung, der Denkmalschutz die Bewahrung der Sichtachsen im Stadion. Die Architekten von Gerkan, Marg und Partner entwickelten eine leichte Kragarmkonstruktion.

Zentralstadion Leipzig
Katinka Corts
In den aus Kriegstrümmern gebauten Stadionwall von 1955 setzten die Basler Architekten Wirth+Wirth behutsam einen Neubau für die WM ein.

SIA: Umsicht - Regards - Sguardi
Charles von Büren
Der SIA will zeigen, wie er und seine Mitglieder als Gestalter einer
nachhaltigen Entwicklung handeln. Dazu hat er eine Auszeichnung
ausgeschrieben.

Blickpunkt Wettbewerb
Neue Ausschreibungen und Preise / Das Ende der Briefämter: Schanzenpost in Bern / Diskret: Kantonalbank in Zug

Magazin
Rund um den Fussball / Museen im 21. Jahrhundert / Le Corbusier, der Künstler / Sonnenenergie für Mehrfamilienhäuser / Schwarzstäube und Brandruss / Meisterleistungen mit Holz / Führung Saffa-Haus / In Kürze

Aus dem SIA
LHO 2003 als Chance / Einigung beim Bundesgesetz über die Geoinformation / Vernehmlassungen zu SIA 105 und SIA 144 / Vorteilhafte Normenabonnemente

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Olympiastadion Berlin

Das Berliner Olympiastadion wurde von 1998 bis 2004 von den Architekten von Gerkan, Marg und Partner für die Fussball-WM 2006 saniert und modernisiert. Das Bauwerk ist trotz unvermeidlicher Substanzverluste ein vorbildlich saniertes Baudenkmal.

Mit dem Olympiastadion und dem Gesamtensemble des ehemaligen Reichssportfeldes besitzt Berlin die wohl bedeutendste monumentale Sportanlage des frühen 20. Jahrhunderts in Europa (Bild 1). Sie ist ein unersetzliches Zeugnis der olympischen Idee und der modernen Massensportbewegung, aber auch der Bau- und Kunstpolitik im Dritten Reich. Ursprünglich stand hier das „Deutsche Stadion“ von Otto March, das 1913 für die Olympischen Spiele 1916 gebaut worden war. Nach dem Abriss der Sportstätte wurde 1934 Werner March, Sohn von Otto March, mit dem Bau des Reichssportfeldes und der dazugehörigen Bauten beauftragt. Die neoklassizistische Gestaltung der Bauten war für die 1930er-Jahre typisch. Trotz des Missbrauchs für die ideologische Selbstdarstellung des Nationalsozialismus während der Olympiade 1936 konnte der Bau über 50 Jahre für sportliche und kulturelle Grossveranstaltungen in Berlin genutzt werden. Dass dieses Gesamtkunstwerk ohne nennenswerte Fremdkörper ungeteilt erhalten geblieben ist, ist nicht zuletzt dem unbefangenen und zugleich sorgsamen Umgang der britischen Streitkräfte mit dem Bau zu danken. Bis zum Abzug der Alliierten 1994 unterhielten sie im Deutschen Sportforum auf dem Olympiagelände ihr Hauptquartier.

Ausgangssituation

Fast zehn Jahre (von 1991 bis 1998) dauerte das Tauziehen um alternative Konzepte für das Berliner Olympiastadion und das umgebende, immerhin 131ha umfassende Areal des ehemaligen Reichssportfelds. Die Konzepte reichten von einer Minimalsanierung ohne erkennbare Nachhaltigkeit bis zum massstabsprengenden Neubau eines reinen Fussballstadions, bei dem das gesamte historische Freiraum- und Erschliessungssystem zerstört worden wäre. Auch ohne die Fussball-WM hätten Olympiastadion, Schwimmstadion und Maifeldtribünen saniert werden müssen, allein um die Sicherung der Bausubstanz und die Betriebssicherheit für Besuchergruppen zu gewährleisten. Altersbedingt wies die tragende Konstruktion starke Karbonatisierungsschädigungen auf. Bis in die 1970er-Jahre wurden Streusalze auf der Tribünenanlage verwendet, was eine starke Chloridkontamination der Bausubstanz nach sich zog. Auch zwischen der Natursteinverkleidung und der Tragkonstruktion konnte Feuchtigkeit nahezu ungehemmt eindringen, da die Mörtelhinterfüllung unzureichend war. Für Betonsanierung und Nachrüstung der technischen Einrichtungen wurden seinerzeit 200 Mio. DM veranschlagt. 1998 beschloss Berlin die Sanierung des alten Olympiastadions bei „möglichst weitgehender Bewahrung des historischen Erscheinungsbildes“.

Architekturwettbewerb

Von den zehn Beiträgen der engeren Auswahl befürwortete der Denkmalschutz zwei, den von Weidleplan sowie jenen von Gerkan, Marg und Partner (gmp). Beide Entwürfe verbanden auf unspektakuläre und sparsame Weise eine behutsame Sanierung der vorhandenen Bausubstanz mit einer denkmalverträglichen Modernisierung. Ausschlaggebend für die Wahl von gmp im Oktober 1998 war die vorgeschlagene Überdachungslösung, bei der die freie Sicht durch das Marathontor auf das Maifeld und den Glockenturm erhalten blieb.

Bei der Sanierung mussten einige Zugeständnisse seitens der Denkmalpflege gemacht werden, da viele Bereiche des Stadions in sehr schlechtem Zustand waren. Die ursprüngliche Unterringtribüne in Ortbetonkonstruktion war auf wirtschaftlich tragbare Weise nicht sanierbar. Nur in der westlichen Hälfte war sie durch die so genannten Katakomben unterkellert, in der Osthälfte jedoch vollständig mit Sand verfüllt. Mit dem Neubau wurde das Spielfeld um ca. 2.65 m abgesenkt, um den Konflikt zwischen der Weite des multifunktionalen Leichtathletikstadions und der Dichte der monofunktionalen Fussballarena zu lösen. Durch die Absenkung konnten zwei Zuschauerreihen mit ca. 1600 Sitzplätzen gewonnen und zugleich der Abstand der Ränge zum Fussballfeld verringert werden. Die Stahlbetonkonstruktion der Oberringtribüne blieb erhalten; auch hier wurden allerdings die Betonfertigbauelemente gegen neue Winkelstufen in Fertigteilbauweise ausgetauscht. Erhalten blieben nur die letzten acht oberen Reihen, die 1936 in Ortbeton ausgeführt worden waren und dank einer Schlämme als Karbonatisierungsschutz vergleichsweise geringe Schäden aufwiesen. Die Ehrentribüne, die einzige Raumfolge von nennenswerter historischer Ausstattung mit Coubertinsaal, Ehrenloge und Ehrensaal, wurde wieder aufgebaut.

Der weitestmögliche Erhalt der überlieferten Substanz, die Bewahrung von Alters- und Schadensspuren und auch die hohe haptische Qualität der Oberflächenbehandlung bei der ausschliesslich manuellen Natursteinsanierung (Muschelkalk, Gauinger Travertin, Granit) gehört zu den gelungensten Bereichen der Sanierung. Auch die Reparatur und Nachrüstung der erhaltenen Bestandsfenster und -türen, der historischen Leuchten in den äusseren Umgängen (Kandelaber wie Fackeln), der überlieferten Geländer und Scherengitter überzeugen. Ein Wermutstropfen für die Denkmalpflege sind die „Kämme“ des neuen Fluchtwegsystems, die das ursprünglich linear strukturierte Gesamtbild der Tribüne stören (Bilder 3 und 4). Doch selbst diese Lösung konnte nur über den Bestandsschutz erreicht werden, da andernfalls im Unterring Mundlöcher, Fluchttunnel und Treppenhaustürme erforderlich geworden wären.

Sanierung der Gartenanlage

Das Olympiagelände stellt ein herausragendes historisches Bau- und Gartenensemble dar, das bei angemessenem Umgang und unter Beachtung der architektonischen und freiraumplanerischen Prinzipien zu einem Geschichtszeugnis von internationalem Rang werden kann. Vor allem die Wahrung des empfindlichen Gleichgewichts zwischen wenigen Grossgebäuden und weiten Freiflächen ist für den Charakter der monumentalen Anlage unverzichtbar. Im Juni 2004 wurde ein Entwicklungskonzept für das Gesamtgelände beschlossen. Über die denkmalverträgliche Umrüstung des Stadions hinaus sollen so mittelfristig das Gesamtareal und die übrigen Gebäude instandgesetzt werden. Für den Mittelbau der Maifeldtribüne ist ein Sanierungs- und Ausstellungskonzept erarbeitet worden. Die Sanierungsmassnahmen sind angesichts des gefährdeten Zustands der Bauten zwingend erforderlich, sie hängen jedoch noch von der Sicherung ihrer Finanzierung ab.

Eine Betreibergesellschaft, bestehend aus dem Land Berlin, der Walter Bau AG und dem derzeitigen Bundesligisten Hertha BSC als Hauptgesellschafter, sollten zukünftig für Grossveranstaltungen sorgen. Seit der Insolvenz der Walter Bau AG im Februar 2005 und der Krise der Stadion GmbH steht wieder in Frage, ob wirklich alle „Standardverbesserungen“, die von Sportpolitik und Fussball-Lobby auf Kosten des Steuerzahlers und zu Lasten des Denkmals durchgesetzt wurden, auf Dauer angemessen und finanziell sinnvoll waren. Der TV-gerechte Werbegag einer Hertha-blauen Laufbahn im Stadionoval ist nur das medienwirksamste Beispiel
fragwürdiger Neuerungen.

TEC21, Fr., 2006.06.09

09. Juni 2006 Anna-Maria Odenthal



verknüpfte Bauwerke
Olympiastadion - Umbau

Leichte Überdeckung

Für die Überdachung des Olympiastadions Berlin mussten die Architekten eine funktionale und denkmalgerechte Lösung finden. Die Öffnung des Daches auf einer Seite ist dank einer speziellen Tragarmkonstruktion möglich und gibt den Blick zum Maifeld frei.

Den Sanierungs- und Umbauwettbewerb für das Berliner Olympiastadion für die Fussball-WM 2006 gewannen die Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) und das Ingenieurbüro Krebs und Kiefer 1998. Die Bauaufgabe erforderte den sensiblen Umgang mit dem historisch belasteten Stadion, das für die Olympiade 1936 gebaut worden war. Zudem musste eine Balance zwischen Bestand und neuer Architektur gefunden werden. An den Umbau des Stadions gab es viele Anforderungen: Der Oberring sollte saniert, der Unterring für 76000 Sitz- und 4000 Stehplätze umgebaut werden. Gemäss dem Fifa-Reglement1 musste eine Tribünenüberdachung erstellt werden. Erschwert wurde die Sanierung durch die Ausführung der Bauarbeiten bei laufendem Spielbetrieb im Stadion. In der kompletten Bauzeit (2000-2004) musste gewährleistet sein, dass für alle Bundesligaspiele zu jeder Veranstaltung 55000 Plätze zur Verfügung standen, für das jährlich im Mai traditionell in Berlin stattfindende DFB-Pokal-Endspiel sogar 70000. Die Baumassnahmen mussten also genauestens in zeitlich versetzte Bauabschnitte aufgeteilt und für die Veranstaltungen angepasst werden.

Ein neues Dach

Eine der anspruchsvollsten Bauaufgaben bei der Sanierung war die Vollüberdachung aller Tribünenplätze. Für die Fussball-Weltmeisterschaft 1974 war das Stadion leicht modernisiert worden. Am auffälligsten waren damals die neuen Teilüberdachungen für die Nord- und die Südtribüne, die von Architekt Friedrich Wilhelm Krahe entworfen worden waren. Denkmalpflegerisch waren sie sehr umstritten, da sie das Stadionoval in seiner Erscheinung stark beeinflussten. Mit der Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele 2000 entstanden neue Entwürfe für den Umbau und die Überdachung, die aber nach dem Ausscheiden Berlins verworfen wurden. Beim Umbau für die Fussball-Weltmeisterschaft 2006 konnten die Ingenieure Krebs und Kiefer nicht auf eine Konstruktion aus Druck- und Zugring für die Dachkonstruktion zurückgreifen, da die Sichtachse zwischen Stadioninnerem und Glockenturm nicht gestört werden sollte. Pylonen und Seilabspannungen im Aussenraum des Stadions waren seitens der Denkmalpflege nicht erlaubt. Doch auch die Stützen des Daches, die sich folglich auf den Tribünen befinden mussten, durften nur eine geringe Sichtbehinderung für die Zuschauer sein. Die Ingenieure erarbeiteten ein umlaufendes Tribünendach, das dank der leichten Kragarmkonstruktion aus Stahl im Bereich des Marathontores unterbrochen werden konnte. Die Haupttragstruktur besteht aus 76 radial ausgerichteten Fachwerkbindern, die mit tangential verlaufenden Unterstützungsträgern verbunden sind. Die Fachwerkträger sitzen auf 20 Baumstützen im Bereich der Tribünenanlage und 132 Aussenstützen oberhalb der mit Muschelkalk verkleideten Aussenpfeiler. 80 dieser Aussenstützen, die Radialbinder, die Baumstützen und der Randunterzug bilden ein Rahmensystem, das das Dach horizontal austeift. Die restlichen Aussenstützen sind Pendelstützen, in ihrem Inneren verlaufen die Entwässerungsrohre des Daches.

Die Binderpaare der Baum- und Aussenstützen wurden erst vormontiert und dann bis Mai 2004 von einem Kran aus in die Konstruktion gehoben, da Gerüste und Hebezeug im Stadion durch den laufenden Spielbetrieb nicht möglich waren. Alle Bauetappen wurden zwischengesichert und einzeln abgenommen. Die weite Auskragung des Daches zur Mitte des Stadions musste innerhalb der Dachkonstruktion ausgeglichen werden. Rückwärtige Verankerungen oder ein Durchbohren der Muschelkalkpfeiler waren seitens des Denkmalschutzes als Option ausgeschlossen worden. Der Querschnitt der 68 m spannenden Radialträger gleicht einem Flugzeugträger. Die maximale Konstruktionshöhe von 5.10 m liegt oberhalb der Stützen, an den Innen- und Aussenrändern des Daches ist sie auf ein dünnes Band minimiert. Die Träger wurden im äusseren Dachrand umlaufend mit einem dreieckförmigen Stahlbetonhohlkasten verstärkt, der jeweils hinter den Baumstützen zusätzlich mit Ortbeton verfüllt wurde.

Anhand eines Modells wurde das Lastverhalten der im Grundriss 300u230 m grossen Dachhaut im Grenzschichtwindkanal der Fachhochschule Aachen2 untersucht. An 450 Druckmessstellen konnten die Lastanfälligkeit für jede Windrichtung sowie Windstärken zwischen 13 m/s und 45 m/s bestimmt werden. Mit den Ergebnissen konnte ein leichtes Tragsystem für die Dachhaut konstruiert werden, das sich weder aufschwingt noch flattert. Gebäudefugen trennen die Last-abtragkonstruktionen voneinander, damit deren Lage sich bei Temperatureinwirkung nur wenig verändert. Auftretende Zwängungen im Dach werden durch radiale Bewegungsfugen im inneren und äusseren Dachbereich minimiert. In den Untergurt wurden neben der Beschallung auch Ketten von Leuchtstoffröhren integ-riert, die das Oberdach anstrahlen und die Tribünen indirekt beleuchten. Dank dem integrierten Lichtband im inneren Oval konnten die bisherigen Pylonen der Flutlichtanlage und die Lautsprechertrichter im Aussenraum entfernt werden.

Dachmembran

Die optische Leichtigkeit verdankt das Stadiondach der filigranen, grobmaschigen Stahlkonstruktion und der transluzenten und transparenten Dachhaut. Im inneren Dachrand wurde auf einer Fläche von 6000 m² punktgelagertes und teilvorgespanntes Verbundsicherheitsglas verwendet und damit das feingliedrige Tragwerk noch stärker betont. Über den Tribünen sollten die Dachmembrane unauffällig sein und Dachober- und -unterseite verkleiden. Die Lichtverhältnisse im Stadion durften dabei nur gering beeinträchtigt werden.

Für die 55000 m² Dachober- und -unterseite kamen schliesslich ungebleichte und alterungsbeständige Glasfasermembrane mit PTFE-Beschichtung zum Einsatz. Die Unterseite ist schalldurchlässig für die integrierte Tonanlage, der Zuschauer kann ausserdem die beleuchtete Stahlkonstruktion im Inneren des Daches sehen. Im Dachzwischenraum liegen auch die Erschliessungsstege für Wartung und Reinigung. Halterungen für die technische Ausstattung wurden ebenso eingebaut.

Die erst bräunliche Dachmembran bleicht mit der Zeit aus, sie hellte schon während der Bauzeit auf.
Die robuste Membran sollte theoretisch selbst beim Beschuss mit Feuerwerkskörpern keine Brandspuren davontragen. Die jetzige Gestaltung des Daches ist entsprechend den Anforderungen der Denkmalpflege von aussen sehr unauffällig und verändert den historischen Bau in seiner Wirkung kaum. Im Stadioninneren hebt sich die feingliedrige Konstruktion deutlich vom historischen Gebäude ab.

TEC21, Fr., 2006.06.09

[1] „Technische Empfehlungen und Anforderungen für den Neubau oder die Modernisierung von Fussballstadien“.
Download: Fifa.com > Regelwerk und Listen > Wettbewerbsregeln > Datenblatt.
[2] Institut für Industrieaerodynamik, Grenzschichtwindkanal der Fachhochschule Aachen, www.fh-aachen.de/2067.html.

09. Juni 2006 Katinka Corts-Münzner



verknüpfte Bauwerke
Olympiastadion - Umbau

Zentralstadion Leipzig

Im Januar 2000 wurde der Grundstein für das neue Leipziger Stadion im begrünten Wall des bisherigen Zentralstadions gelegt. Den Basler Architekten Wirth+Wirth war es wichtig, die unter Denkmalschutz stehende Wallanlage möglichst nicht zu verändern.

Die Frankfurter Wiesen im Westen der Leipziger Innenstadt wurden bereits in den 1920er-Jahren für die Planung einer „Grosskampfbahn“ nahe der Innenstadt in Betracht gezogen. Nach Planänderungen wurde ein Fest- und Aufmarschgelände, der „Platz der 300000“, angelegt. Zum sächsischen NSDAP-Gautag 1938 wurde er in „Adolf-Hitler-Feld“ umbenannt. Werner March, der Architekt des Berliner Olympiastadions, schlug auf dem Gelände 1939 den Bau eines komplexen Sportfeldes mit Grossstadion vor. Dieses wurde durch den Zweiten Weltkrieg jedoch nicht mehr ausgeführt.

In den 1950er-Jahren wurden auf dem Areal Planungen für ein 800000 m² grosses „Leipziger Sportforum“ umgesetzt (Bilder 1 und 2). Es grenzt im Westen an das Elsterbecken, einen Kanal aus den 1920er-Jahren, südlich liegt das 200000 m² grosse Gelände der ehemaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK). Als erste Bauten entstanden ein Schwimmstadion (1950-1952) und das oval in Nord-Süd-Achse ausgerichtete Zentralstadion (1955-1956, Chefarchitekt Karl Souradny). Das Stadion bestand aus einem 23 m hohen und 8 m breiten Wall, der aus 1.5 Mio. m3 Kriegstrümmern aus der Stadt Leipzig errichtet wurde. Die bauliche Nutzung der Trümmer war in einem Stadtbebauungsplan von 1948 festgelegt worden. Der Wall wurde im Osten und Westen untertunnelt, um einen Zugang zur Festwiese zu erhalten. 1954 fand auf der Festwiese das 1. Turn- und Sportfest der DDR statt, 70000 Zuschauer besuchten das Grossereignis. Im Zentralstadion fanden auf 75 Sitzreihen 100000 Zuschauer Platz, was die Sportanlage zur grössten Deutschlands machte. Freitreppen führten in den Stadionkessel, der auf dem Aussenkranz begrünt wurde.

Südlich vom Turm wurde auf dem ehemaligen „Adolf-Hitler-Feld“ eine nahezu quadratische Festwiese mit 41000 m² angelegt. Über 180000 freiwillige Helfer beteiligten sich an den Bauarbeiten. 1956 wurde das Zentralstadion anlässlich des Turn- und Sportfestes eröffnet. Hier fanden in den folgenden Jahren viele Grossereignisse statt: sieben Turnfeste, 49 Fussball-Länderspiele, über 50 internationale Fussballspiele sowie zahlreiche Leichtathletik- und Radsportveranstaltungen. Nach 1995 galt das Zentralstadion als nicht mehr wettbewerbsfähig, da seine Erneuerung nach internationalen Normen jahrelang verpasst worden war. Von 1992 bis 1995 trainierte hier der VfB Leipzig wegen Baufälligkeit seines eigenen Stadions. Die Zuschauerkapazität war durch die Sperrung baufälliger Blöcke damals bereits auf 37000 begrenzt. Mit dem Umzug des VfB musste die Stadt pro Jahr die 3 Mio. DM Betriebskosten für das Stadion alleine aufbringen. Der Erhalt der alten Anlagen rentierte bald nicht mehr für die wenigen sportfremden Veranstaltungen, und Pläne für eine gross angelegte Erneuerung wurden geschmiedet. In der Zwischenzeit fanden die Sportanlagen zwischen den umgebenden Wohngebieten dennoch ihre Nutzer: Die Aussenbecken des alten Schwimmstadions wurden seit 1992 von 50000 Besuchern pro Saison als Freibad genutzt. Unterhalb des Stadionwalls schlug 1993 ein Trödelmarkt seine Zelte auf, der sich schliesslich einmal rund um das Stadion zog und zu den grössten Märkten Europas zählte. Die Festwiese südlich des Stadions etablierte sich zu einem attraktiven Ort für Open-Air-Konzerte. 1991 nahm der Olympiastützpunkt Leipzig in den Gebäuden der DHfK seine Arbeit auf und forderte bessere Sportstätten für seine immerhin 213 Sportler, die hier für Olympia (Turmspringen, Schwimmen, Kanurennsport, Leichtathletik) trainierten.

Neues und altes Zentralstadion

Mit der Bewerbung des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) um die Austragung der Fussball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland meldete Leipzig sein Interesse als Austragungsort an. Eine Sanierung des bestehenden Stadions war aber nicht möglich, da der Tabellenstand der Leipziger Fussballclubs kein Stadion für 100000 Zuschauer gerechtfertigt hätte. Nachdem der DFB Leipzig als Austragungsort berücksichtigen wollte und staatliche Finanzhilfe zugesagt war, lobte die Stadt 1996 einen mehrstufigen internationalen Projektwettbewerb zum Neubau eines Stadions aus. Die darin geforderte Grösse für 45000 Zuschauer sollte Leipzig Viertelfinalspiele der Fussball-WM bringen. Das Konzept des Planungskonsortiums der Basler Architekten Wirth+Wirth gewann den Wettbewerb. Ihr Entwurf sah die Einbettung eines neuen, kompakteren Stadions in den begrünten Wall des Zentralstadions vor und wollte den umgebenden Park in seiner Struktur erhalten (Bild 2). Die letzte Veranstaltung im alten Zentralstadion wurde der Evangelische Kirchentag am 27. Juli 2000, an dem 90000 Besucher teilnahmen.

Nachdem alle Bauvorbereitungen, wie archäologische Untersuchungen, Probebohrungen und die Erstellung der Hauptzufahrt, abgeschlossen waren, begann die Planierung im Stadionoval. Im Januar 2001 wurden die ersten der 720 bis zu 25 m tiefen Rammpfähle gesetzt und Bautrassen angelegt, die später zu Auffahrten ins Parkhaus werden sollten. Bereits im Juli wurden die Treppenhäuser gebaut, im Oktober die Fertigteilstützen gesetzt. Die Sitzreihen für das Stadion wurden von Januar bis April 2002 montiert, im Mai fand im rohbaufertigen Stadion das 31. Deutsche Turnfest statt. Neben der Veranstaltung erschwerte auch eine Baukrise, die zu Insolvenzen beteiligter Baufirmen führte, den Stadionbau.

Verschiebbares Dach

Das auffälligste am Stadion ist die 17 m hohe Überdachung, deren je zwei Tribünen- und Kurvendächer aus Stahl-Fachwerkträgern aufgebaut sind (Bild 6). Schwierig war bei der Dachplanung der sehr schlechte Baugrund nahe des Flusses, der keine Pylonen oder grosse Abspannungen nach aussen zuliess. Die Stützen, Träger und Seile des Stadiondaches wurden so verbunden, dass eine selbsttragende Schale entstand, die nur auf dem oberen Tribünenrand aufliegt. Zwei seilunterspannte Bogenbinder in Längsrichtung sowie Quer- und Längsträger bilden das Tragwerk für das Dach, das eine Fläche von 28000 m² überdeckt. Der erste der beiden 565t schweren Bogenbinder wurde im November 2002 mit mehreren Kränen in die Konstruktion gehoben. Die 202 m langen Hauptträger sind um 26° nach aussen geneigt und zum Dachaussenrand durch Seile stabilisiert und zu den Fassadenstützen abgespannt. Die Bogenbinder bestehen aus Rundrohren als Obergurt, für die Unterspannung kamen Druckstäbe und Seile zum Einsatz. Die Kurventräger hängen an den Bogenbindern und stützen sich zusätzlich auf Stiele am Tribünenrand ab. Eingedeckt wurde das Dach später mit 24000 m² Trapezblech mit Dämmschicht und Folie. Für den inneren Dachbereich wurden UV-durchlässige Polykarbonatplatten eingesetzt, um eine ausreichende Besonnung des Rasens im Stadion zu erreichen. Geplant ist eine mobile Überdachung für das Spielfeld. Da bisher aber noch kein akuter Bedarf nach einer verschliessbaren Grosshalle bestand, wurde sie als additives Element geplant.

Veränderter Gesamteindruck

Die Grünanlagen rund um das Zentralstadion bilden einen wichtigen innerstädtischen Teil des Grünstreifens von Elster und Auenwald. Durch den Baumbestand an der Aussenseite des alten Stadionwalls ist ein grosser Teil des Stadions nicht zu sehen, das weiss glänzende Dach jedoch zeigt deutlich, dass ein Neubau eingefügt wurde. Dieser ist mit der alten Bausubstanz örtlich und funktional verbunden. Das alte Hauptgebäude (Bild 5) dient als Eingangsgebäude für die VIP und die Presseleute und nimmt temporäre Stadionfunktionen auf. Der Besucher erlebt die Verbindung zwischen Alt und Neu beim Überqueren der Brücken, die von den historischen Tribünen zur Eschliessungsebene des neuen Stadions führen. In frei stehenden Kuben sind Cateringstationen und Sanitäranlagen untergebracht. Im Oberrang der Haupttribüne befinden sich die VIP-Logen, die separat von den Parkplätzen unterhalb der Stadionränge aus erreicht werden können. Ein Teil des Erdgeschosses vom alten Hauptgebäude, das teilweise für Stadionveranstaltungen mitgenutzt wird, ist für die Parkhauszufahrt umgebaut worden.

Positiv zu beurteilen ist der sensible Umgang der Architekten mit der Substanz. Im Vergleich zur Sanierung des Olympiastadions Berlin mussten die Architekten beim Leipziger Stadion mit einem wesentlich geringeren Kostenrahmen auskommen. Mit den minimalen Eingriffen in den bestehenden Stadionwall für Erschliessung und Parkebenen, dem Schutz von Baumbestand und Treppenanlagen und der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes ist die Arbeit denkmalpflegerisch gelungen.

Der Preis der WM 2006

In Leipzig wurde zusätzlich die Infrastruktur ausgebaut. Die südlich des Sportforums verlaufende Jahnallee wurde verkehrsberuhigt und die Tramlinie teilweise in einen Tunnel verlegt. Die neu entstandene Kreuzung kann als Nord-Süd-Verbindung für den Autoverkehr genutzt werden, was das anliegende Wohngebiet Waldstrassenviertel stark entlastet. Bis zur WM wird auch der Vorplatz des Leipziger Hauptbahnhofs, ein wichtiger Knotenpunkt für alle Reisenden, komplett behinderten- gerecht ausgebaut. Die Betreibergesellschaft muss nun mindestens für die nächsten 15 Jahre die grosse Aufgabe meistern, die Finanzierung und Auslastung der Stätten des Sportforums zu sichern. Die Festwiese hat immer noch grosse Anziehungskraft auf Konzertveranstalter, die Arena wird mit ihrem begrenzteren Platzangebot auch ihre Auslastung finden. Für das Fussballstadion bleibt zu hoffen, dass sich genug Veranstalter finden, die 30000 bis 45000 Plätze füllen können. Oder dass die Leipziger Vereine wieder in die erste Bundesliga aufsteigen und das Stadion mit ihren Fans füllen.

TEC21, Fr., 2006.06.09

09. Juni 2006 Katinka Corts-Münzner

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