Editorial

Nicht nur Touristen schwärmen von der Rigi (vgl. TEC21 16/2015). Die Hänge am Vierwaldstättersee bieten auch wunderschöne Wohnlagen. Das Klima ist mild, in den Gärten wachsen Palmen. Doch im Rücken befindet sich der nicht ungefährliche Berg – und die Naturgewalten meldeten sich nach einer ruhigen Phase 2005 zurück. Die starken Niederschläge führten damals in Weggis zu zahlreichen Rutschungen, drei ­Häuser wurden beschädigt. Erinnerungen an den grossen Erdschlipf 1795, als ein Teil des Dorfs in den See glitt, wurden wach. Vor einem Jahr überschlugen sich die Ereignisse: Abklärungen in Felsbändern ergaben eine starke Gefährdung von fünf Liegenschaften. Der Gemeinderat ordnete deren Rückbau an – ein mutiger Entscheid, der in der Schweiz Signalwirkung haben könnte.

In der Nachbargemeinde Vitznau bereiten vor allem die Bäche Sorgen. Die Überarbeitung der Gefahrenkarte führte dazu, dass ein bedeutender Teil des Siedlungsgebiets in der roten Zone liegt. Nun wird nach Lösungen gesucht, die dem Dorf eine weitere Entwicklung ermöglichen.

Allen Gefahren zum Trotz bietet die Rigi einen reichhaltigen Naturraum mit attraktiven Freizeitmöglichkeiten. Das alte Bahntrassee der Rigi-­Scheidegg-Bahn dient heute als Langlaufloipe und Wanderweg. Der Zeitzeuge aus der frühen Blüte der Bergbahnen wurde instand gesetzt. Wer nicht ganz so hoch hinauswill, kann auf dem Chesteneweg von Küssnacht nach Gersau ­wandern und dabei die grösste Kastanienselve der Zentralschweiz entdecken.

Lukas Denzler

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Die Poesie der Nachhaltigkeit

10 PANORAMA
Thromboseprophylaxe am Bellevue

13 VITRINE
Neues fürs Bad | Weiterbildung

18 KONDITIONEN AKTIV VERHANDELN
Energetische Berechnungen neu geordnet | Saläre im Vergleich | SIA-Form Fort- und Weiterbildung

23 VERANSTALTUNGEN

24 DEN LAUNEN DER NATUR TROTZEN
Lukas Denzler
Felsabstürze und Murgänge – die Gemeinden Weggis und Vitznau am Fuss der Rigi stehen vor anspruchsvollen Aufgaben. Ein Augenschein.

30 VOM BAHNTRASSEE ZUM HÖHENWEG
Clementine Hegner-van Rooden
Das Trassee der stillgelegten Rigi-Scheidegg-Bahn und die historischen Ingenieur­kunstbauten auf der Strecke wurden instand gesetzt.

34 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Den Launen der Natur trotzen

Am Fuss der Rigi ist die Verzahnung von Siedlungsgebiet und­ ­Natur­gefahren besonders ausgeprägt. Das macht den Schutz von Menschen und ­Gütern zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Die Herausforderungen sind vielfältig. Ein Augenschein an der Luzerner Riviera.

Die Meldung sorgte in der ganzen Schweiz für Aufsehen: Ende Juni 2014 verfügte der Gemeinderat von Weggis, gestützt auf Polizeinotrecht, ein Nutzungs- und Betretungsverbot per 1. August für fünf Liegenschaften und ordnete deren Abbruch an. Vertiefte Abklärungen oberhalb der Häuser in der Horlaui[1] hatten ergeben, dass mehrere Felstürme der Nagelfluhbänder akut absturzgefährdet sind. Da nicht genug Vorwarnzeit zur Verfügung gestanden hätte, wäre eine rechtzeitige Evakuierung nicht möglich gewesen. Hätte die Gemeinde den Bewohnern gestattet, dort weiterhin zu wohnen, wären sie einem hohen Todesfallrisiko ausgesetzt gewesen.

«Wir mussten sofort handeln», sagt Baptist Lottenbach, der Gemeindeammann von Weggis. In dieser Funktion ist er unter anderem auch für den Schutz von Personen und Gütern vor Naturgefahren auf dem Gemeindegebiet zuständig. Der Gemeinderat entschied nach Rücksprache mit der Abteilung Naturgefahren der Dienststelle Verkehr und Infrastruktur des Kantons Luzern und der Abteilung Gefahrenprävention des Bundesamts für Umwelt. Mit den Hausbesitzern habe man Gespräche geführt, sagt Lottenbach. Das sei schwierig gewesen. Dank der konstruktiven Zusammenarbeit mit der Gebäudeversicherung Luzern ergab sich aber die Lösung, dass diese auch bei einem Rückbau der Gebäude die Versicherungsleistungen erbringt.

Die Gebäudeversicherung Luzern stellte sich auf den Standpunkt, dass für die Hauseigentümer aufgrund des dauernden Betretungs- und Nutzungsverbots sowie des verfügten Abbruchs der wirtschaftliche Schaden wegen des drohenden Ereignisses auch ohne Beschädigung der Häuser eingetreten ist (vgl. Kasten S. 28). Heute sind alle Liegenschaften bis auf ein Haus abgebrochen. Dessen Besitzer wehrt sich mit rechtlichen Mitteln gegen den Eingriff in seine Eigentumsrechte. Nach dem Kantonsgericht, das den Entscheid der Gemeinde bestätigte, muss sich nun auch noch das Bundesgericht mit diesem Fall beschäftigen.

Verdrängte Naturgefahren

An den Ufern des Vierwaldstättersees sind die Wohnlagen wunderschön und exklusiv. Doch am Fuss der Rigi sind die Naturgefahren allgegenwärtig. Allzu oft wird ihre Existenz verdrängt. Man dürfe die Augen davor aber nicht verschliessen, findet Baptist Lottenbach. Vergangene Ereignisse sprechen eine klare Sprache. 1661 verschüttete ein Bergsturz zwischen Vitznau und Weggis das Bad Lützelau. 1795 rutschte das gesamte Oberdorf von Weggis – 28 Häuser, zahlreiche weitere Gebäude und die Sankt-Verena-Kapelle – in den See. Todesopfer waren keine zu beklagen, 400 Menschen verloren jedoch ihr Obdach.

Albin Schmidhauser, der Leiter der Abteilung Naturgefahren beim Kanton Luzern, zählt die wichtigsten Gefahren auf: Stein- und Blockschlag, Fels- und Bergstürze, Hochwasser und Murgänge – praktisch die ganze Palette. Ohne Schutzwälder müsste auch den Lawinen eine grössere Beachtung beigemessen werden. Am Vierwaldstättersee sind in der Vergangenheit sogar Tsunamis aufgetreten: Die Chroniken berichten von einem Erdbeben 1601; mächtige Ablagerungsschichten im See rutschten ab und lösten eine Flutwelle aus, die auch Luzern heimsuchte. Die Stadtoberen deuteten dies als Gottes Strafe und verfügten ein mehrwöchiges Tanzverbot[2]. 1964 und 2008 stürzten in einem Steinbruch am Bürgenstock einige Felsbrocken ins Wasser – beide Male erreichten Flutwellen das gegenüberliegende Ufer in Weggis. Baptist Lottenbach weiss von Fischen, die 1964 aufs Land gespült wurden, und von zerstörten Booten und Uferanlagen. 2008 hatte man Glück: Weil die Welle erst abends aufs Ufer prallte, kamen trotz Badewetter keine Menschen zu Schaden.

Unwetter 2005 mit grossen Schäden

Die Starkniederschläge im August 2005 mit Schäden von rund 3 Mrd. Fr. schweizweit hinterliessen auch in Weggis tiefe Spuren. Über 50 Hangmuren und Spontanrutschungen ereigneten sich. Drei Häuser wurden zerstört; die Bewohner konnten glücklicherweise rechtzeitig evakuiert werden. Nach einer längeren ruhigen Periode war man 2005 von der Heftigkeit der Ereignisse überrascht. Und seither scheinen sich die hydrologischen Verhältnisse in Rigi Kaltbad und an den steilen Hängen oberhalb von Weggis auf den Kopf gestellt zu haben. Unzählige spontane Wasseraustritte führten auch im Wald zu Rutschungen. «Wir schenken den Rutschprozessen heute viel mehr Aufmerksamkeit als früher», sagt Silvio Covi, der als Schutzwaldbeauf­tragter des Kantons die Luzerner Rigigemeinden seit 28 Jahren betreut. Die Begehungen nach dem Unwetter hätten gezeigt, dass die Bäume im grossflächig wirksamen Schutzwald riesige Mengen an Erdmaterial, Steinblöcken und Holz effizient aufzuhalten vermochten.

2005 waren die ersten Gefahrenkarten in Weggis bereits erstellt, und erste Schutzmassnahmen standen zur Diskussion. Das Unwetter erforderte Anpassungen. Um die unmittelbare Gefährdung des Quartiers Laugneri durch Stein- und Blockschlag zu reduzieren, wurde unverzüglich ein 260 m langer und 4 m hoher Schutzdamm gebaut. Weitere Schutzmassnahmen sollten folgen. 2009 stimmte die Weggiser Bevölkerung der Sanierung des Rubibachs zu, eine Verlängerung des bestehenden Schutzdamms wurde hingegen abgelehnt.

Auch die Nachbargemeinde Vitznau beschäftigen Naturgefahren. 2005 sei man mit einem blauen Auge davon gekommen, erzählt Irene Keller, die seit fast 15 Jahren das Amt des Gemeindeammanns ausübt. Doch seit jenem August sei sie jeweils wie auf Nadeln, wenn Starkniederschläge angekündigt seien. Etwas oberhalb von Vitznau wohnhaft, übernachte sie dann jeweils im Dorf, um vor Ort zu sein.

Oberhalb von Vitznau sind die geologischen Verhältnisse besonders unruhig, denn hier treffen die helvetischen Decken der Alpen auf Nagelfluhgestein und Mergel, die geologisch gesehen zum Mittelland gehören. In den letzten hundert Jahren ereigneten sich hier über ein Dutzend Felsabstürze. Am Silvestertag 1986 stürzten erhebliche Felsmassen Richtung Dorf, grössere Schäden gab es nicht. Die Absturzstelle ist aber heute noch gut sichtbar und wird von den Orts­ansässigen «Silvesterloch» genannt. Um das Dorf zu schützen, baute man deshalb vor fast 30 Jahren einen 300 m langen und bis zu 12 m hohen Schutzdamm.

Unberechenbare Vitznauer Bäche

Derzeit stehen jedoch die Vitznauer Bäche im Vordergrund. «Das Murgangrisiko hat absolute Priorität», sagt Albin Schmidhauser. Im Unterschied zu den Sturzprozessen, bei denen die Gemeinden federführend sind, steht beim Wasserbau der Kanton in der Pflicht. Die nach den Ereignissen von 2005 überarbeitete Vitznauer Gefahrenkarte zeigt, dass bei Starkniederschlägen sämtliche Bäche viel Geröll mit sich führen können. In ihren Einzugsgebieten findet Erosion statt, die steilen Bacheinschnitte sind in Bewegung, sodass es immer wieder zu kleineren Rutschungen kommt. Im Rahmen des Projekts «Integrales Schutzkonzept Vitznauer Bäche» (IKS) sind von den acht Bächen auf Gemeindegebiet fünf bezüglich Murgängen als prioritär eingestuft worden.

Einer der gefährlichen Bäche ist der Altdorfbach. Er hat ein weit verzweigtes Gerinnenetz. Durch frühere Murgangereignisse entstand ein ausgeprägter Ablagerungskegel, auf dem sich nun Teile des Dorfs befinden. Nach der ersten Gefahrenkartierung begannen Planungen für einen Geschiebesammler direkt oberhalb des Siedlungsgebiets. Ebenso habe man den lang vernachlässigten Gewässerunterhalt intensiviert, sagt Irene Keller. Das Projekt für einen Geschieberückhalt von 10 000 m³ war 2005 genehmigt, aber noch nicht realisiert, als sich das Unwetter im August ereignete. Vitznau hatte noch einmal Glück. Der Bau des Geschiebesammlers wurde anschliessend jedoch umgehend an die Hand genommen. Wie sich jetzt aber zeigt, vermag dieser lediglich das Geschiebe von häufigen Ereignissen mit einer Wiederkehrperiode von etwa 30 Jahren aufzunehmen (vgl. Abb. oben). Bei seltenen und sehr seltenen Ereignissen hingegen bietet das Bauwerk nicht genügend Schutz. Für diese Szenarien gilt es nun Lösungen zu finden.

Die Überarbeitung der Gefahrenkarte hatte für Vitznau Folgen: Ein beträchtlicher Teil des Siedlungsgebiets befindet sich nun plötzlich in der roten Zone. Das sorgte für intensive Diskussionen, denn die Gemeinde führt derzeit eine Gesamtrevision der Ortsplanung durch. Nach Einschätzung der Naturgefahrenexperten ist es nicht möglich, extreme Ereignisse komplett vom Dorf fernzuhalten. Für den Überlastfall sind deshalb Korridore im bebauten Gebiet freizuhalten.

Die Gemeinde will hingegen, dass mit baulichen Schutzmassnahmen die rote Zone im Siedlungsgebiet so weit wie möglich verkleinert wird. «Aufgrund der Topografie ist unser Entwicklungspotenzial sehr begrenzt», gibt Irene Keller zu bedenken. Deshalb müsse man vorausschauen und es sich auch etwas kosten lassen, um den knappen Siedlungsraum für die Zukunft zu sichern. Für eine Gemeinde wie Vitznau sei das mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden. Die Bevölkerung sei bezüglich der Naturgefahren sensibilisiert, ist Keller überzeugt. Die Massnahmen müssten aber verhältnismässig sein, fordert die Gemeindepolitikerin, die auch Mitglied des Parlaments des Kantons Luzern ist.

Neuer Anlauf in Weggis

In Weggis stellte sich 2009 nach der gescheiterten Abstimmung über die Erweiterung des Schutzdamms die Frage, wie es weitergeht. 2012 war die Zeit reif, einen neuen Anlauf zu nehmen. Als Erstes genehmigte die Gemeinde Mittel für eine Vorstudie. Deren Ergebnisse präsentierte man den Grundeigentümern. Als besonders schwierig erwies sich die Situation in der Horlaui. «Bei den fünf Liegenschaften dort zeigte sich, dass eine Sicherung der vier Felsbänder unverhältnismässig hohe Kosten verursachen würde», sagt Baptist Lottenbach. Zudem liesse sich so das Problem nicht wirklich lösen. Weil die Mergelschichten schneller verwittern als die Nagelfluhfelsen, bilden sich im steilen Gelände an der Abbruchkante immer wieder neue Felstürme (vgl. Abb. rechts). Zum ersten Mal wurden eine Aussiedlung und ein Abbruch der Häuser ins Auge gefasst. Da die Bewohner Widerstand gegen einen Abbruch ihrer Liegenschaften ankündigten, mussten Fachleute vertiefte Abklärungen vornehmen. Und diese ergaben ein dramatisches Bild der Gefährdung. Aufgrund der sehr geringen Stabilitätsreserven bei mehreren Felstürmen war dringender Handlungsbedarf angezeigt.

Eine wie in Weggis vorsorglich angeordnete Evakuierung ist aussergewöhnlich. Sie zeigt aber, was auf die Gemeinden in der Schweiz mit dem zunehmenden Wissen über die Bedrohung durch Naturgefahren vermehrt zukommt. Auch für die Gebäudeversicherungen ergeben sich neue Herausforderungen (vgl. Kasten oben rechts). Auf den ersten Blick irritiert, dass zwar der Rückbau der Häuser angeordnet wurde, die Kantonsstrasse aber weiterhin durch das gefährdete Gebiet führt. Der Unterschied liegt darin, dass Häuser ständig bewohnt sind, während Personen in Fahrzeugen sich lediglich für eine kurze Zeit in der Gefahrenzone befinden. «Daraus ergibt sich rechnerisch ein deutlich geringeres individuelles Todesfallrisiko, das akzeptiert wird», erläutert Albin Schmidhauser.[3]

Neben der Bewältigung der Evakuierung in der Horlaui trieb die Gemeinde die anderen Naturgefahrenprojekte voran: die Verlängerung des bestehenden Schutzdamms in der Laugneri sowie zwei neue Schutzdämme in den Linden. Ende November 2014 befürworteten die Weggiser Stimmberechtigen die Projekte an der Urne mit Zweidrittelsmehrheit. Der genehmigte Bruttokredit beträgt 12.4 Mio. Fr., wovon die Gemeinde rund einen Drittel zu tragen hat. Wertvolle Schutzwälder Neben den technischen Schutzbauten trägt auch der Wald in hohem Masse zum Schutz von Personen und Gütern bei. Ende der 1980er-Jahre starteten die ersten Schutzwaldpflegeprojekte. «In der Schutzwaldpflegegenossenschaft der Luzerner Rigigemeinden sind die drei grossen Korporationen Greppen, Weggis und Vitznau sowie 150 weitere Privatwaldeigentümer zusammengeschlossen», sagt Silvio Covi. Von 860 Hektaren Wald sind 720 Hektaren als Schutzwald ausgewiesen. In den vergangenen 15 Jahren habe man über 160 Massnahmen umgesetzt. Ein Grossteil davon sind Holzschläge zur Förderung der Schutzwaldwirkung. Schutzwaldpflege sei eine Daueraufgabe, erläutert Covi. Jedes Jahr würden 10 bis 20 Hektaren Schutzwald gepflegt und rund 200 000 bis 300 000 Franken investiert (vgl. Abb. oben rechts).

Die Struktur der Schutzwälder der Luzerner Rigigemeinden ist dank der langjährigen Schutzwaldpflege gut. Mit gezielten Verjüngungsschlägen wird sie weiter verbessert. Die Bewirtschaftung der Wälder an der Rigi ist anspruchsvoll, denn das Gelände ist steil und schlecht erschlossen. Daher erfolgt die Holznutzung grösstenteils mittels Seilkran oder Helikopter. Das Baumartenspektrum ist gross, besonders Laubhölzer sind gut vertreten. Das Wild behindert die Verjüngung des Walds mit jungen Bäumchen auf der Südseite der Rigi nur vereinzelt, während die Förster auf der Nordseite beim Aufbringen der Weisstanne mit grossen Problemen konfrontiert sind (vgl. Kasten).

Beim Projekt «Integrales Schutzkonzept Vitznauer Bäche» geht es unter anderem auch darum, technische Schutzmassnahmen und die Schutzwaldpflege optimal aufeinander abzustimmen. Die Wirkung des Schutzwalds werde oft unterschätzt, ist Covi überzeugt. Als Beispiel erwähnt er den Felssturz von Gurtnellen 2006. Fachleute sind sich einig, dass ohne Schutzwald damals grössere Schäden entstanden wären (vgl. TEC21 26/2007 «Schutzwald bremst auch grosse Blöcke»).


Anmerkungen:
[01] Die Häuser wurden zwischen 1940 und 1960 rechtmässig erstellt, das Gebiet wurde aber nie eingezont.
[02] Vgl. Staatsarchiv Luzern: www.staatsarchiv.lu.ch/tsunami_1601.htm
[03] Bei angenommenen 12 Stunden Aufenthaltszeit im Haus gegenüber 12 Sekunden Durchfahrtsdauer fällt das Risiko für einen Autofahrer 3600-mal geringer aus als für einen Bewohner im Haus. Für gravitative Naturgefahren ist in der Schweiz ein Schutzziel festgelegt. Demnach darf das individuelle Todesfall­risiko nicht grösser als 10–5/Jahr sein. Ausgangspunkt ist das natürliche Sterberisiko in der Schweiz, das für einen jungen Menschen etwa 1 : 10 000 (= 10–4) pro Jahr beträgt. Für unfreiwillig eingegangene Risiken im Zusammenhang mit Naturgefahren soll dieses Risiko um nicht mehr als 10 % erhöht werden. Deshalb wurde der Grenzwert bei 1 : 100 000 (= 10–5) pro Jahr angesetzt.

TEC21, Fr., 2015.04.24

24. April 2015 Lukas Denzler

Vom Bahntrassee zum Höhenweg

Die Instandsetzung des Panoramawegs First–Rigi Scheidegg gehört ­grundsätzlich zu den klassischen Unterhaltsarbeiten. Das Objekt an und für sich aber ist alles andere als konventionell.

Vor 140 Jahren wurde die Rigi-Scheid­egg-Bahn (RSB) eröffnet. Die meterspurige Adhäsionsbahn ging am 1. Juni 1875 in Betrieb.[1] Erbauer der Bahn­strecke und der Ingenieurkunstbauten war der Schweizer Bergbahnpionier Niklaus Riggenbach[2]. Zur gleichen Zeit wurde die Rigi auch vom Tal erschlossen: 1871 ab Vitznau und 1875 ab Goldau – jeweils mit einer Zahnradbahn. Nie elektrifiziert, verband die RSB Hotelkomplexe, die heute verschwunden sind (vgl. TEC21 16/2015), und brachte die Gäste in 40 Minuten von Kaltbad First (1423 m ü. M.) via Unterstetten bis in die Scheidegg (1648 m ü. M.); allerdings nur etwa 50 Jahre lang. Weil sie unrentabel war, stellten die Betreiber den Dienst am 20. September 1931 ein. 1942 brach man die Schienen ab. Seither wird das Trassee als Wander-, Landwirtschafts- und Forstweg benutzt, im Winter als Winterwanderweg und ­Loipe. Der sogenannte Panoramaweg ist die einzige Strasse in die Gebiete Scheidegg, Burggeist und Rotenflue. Er dient als Erschliessung für Bau und Instandhaltung der ­Infrastruktur sowie für die Alpen und Wälder in diesem Gebiet. Auch für Rettungseinsätze oder die Abwehr von Naturgefahren ist der Weg wichtig.

Kunstbauten erinnern an die Bahn

Das rund 5.5 km lange und etwa 3.5 m breite historische Trassee ist ein hindernisfreier Höhenweg – das Längsgefälle beträgt im Durchschnitt nur 2–4 % (Karte rechts). Er verläuft beidseits einer Bergflanke und bietet abwechslungsreiche Tief- und Weitblicke in die Region rund um den Vierwaldstättersee und in den Talkessel Schwyz mit Zuger- und Lauerzersee sowie auf die ­Mythen. Er ist einer der meistbegangenen Wanderwege der Zentralschweiz – jährlich benutzen ihn etwa eine Viertelmillion Gäste.[3] Nicht nur der gemächliche Anstieg erinnert daran, dass hier einmal Gleise eine Bahn geführt haben. Auch aufwendige Erd- und Felsarbeiten sowie ein markanter Hohlwegabschnitt in Nagelfluh sind zu sehen. Die damals erstellten Kunstbauten sind immer noch erhalten: der 70 m lange Wisstannegg-Tunnel, die zwei kleineren Brücken Rothenflue und Schild als Einfeldträger sowie die eiserne Brücke Unterstetten als Durchlaufträger von 50 m Länge (vgl. Abb. S. 30). Schliesslich begleiten hunderte Meter von Stützmauern und Dämme den noch originalen Verlauf des Trassees.

Oberste Priorität: Entwässerung

Die vielfältige Nutzung hat dem Trassee zugesetzt. Der Weg war erosionsanfällig, und die Bauwerke wiesen typische Abnutzungserscheinungen auf, die sich durch den Gebrauch und die exponierte Lage auf dieser Höhe erklären lassen. Deshalb veranlassten die Bauherrschaften, die Strecke 2013 bis 2015 in enger Zusammenarbeit mit dem kantonalen Amt für Wald und Natur­gefahren (Fachstelle Langsamverkehr), dem Bundesamt für Strassen (Astra) und der kantonalen Denkmalpflege instand zu setzen. Das Trassee ist im Bundesinventar der historischen Verkehrswege der Schweiz als Objekt von nationaler Bedeutung aufgeführt. Daher hatten alle Massnahmen nicht nur auf die Natur und die Landschaft, sondern auch auf die Aspekte der Denkmalpflege Rücksicht zu nehmen.

Um künftig Schäden am Trassee zu verhindern, musste prioritär die Oberflächenentwässerung wieder hergestellt werden. Der Weg hat heute durchgehend ein einseitiges Quergefälle von 5 % (Normalprofil rechts). Das Längsgefälle blieb grundlegend erhalten. Um das nötige Quergefälle zu erreichen und den Weg mit einer wirksamen Verschleissschicht zu versehen, liess André Annen von Annen Forstingenieurbüro die Wegoberfläche in den obersten 5 bis 10 cm aufreissen, vor Ort mit einem mobilen Steinbrecher brechen und neu planieren. Dabei wurde die oberste Schicht mit gebrochenen Nagelfluhsteinen aus der Umgebung angereichert – in der für die Rigi typischen rötlichen Farbe. Dieses Verfahren sparte Kies, das für eine neue Planierung nötig gewesen wäre. Einzig bei der Umfahrung der Brücke Unterstetten – sie ist zu schmal für Landwirtschaftsfahrzeuge – war Kies ungeeignet, da der Abschnitt ca. 20 % Längsneigung aufweist. Deshalb liess Annen dem Nagelfluhkies auf rund 80 m Zement beimischen. Der Abschnitt gleicht heute einer Betonstrasse mit der typischen ­Farbe der Rigi-Nagelfluh. Diese Variante verträgt sich mit der Landschaft besser als ortsfremder Beton. Die überdeckten historischen Längs- und Quergräben – besonders die gepflasterten Rigolen – und die Wasserdurchlässe wurden freigelegt. Das anfallende Wasser fliesst wieder in einen seitlichen, in der Regel bergseitigen Graben, der in ein Gerinne führt. Auch der durchgehende Abfluss über das talseitig angeordnete Bankett entwässert den Weg wirksam.

Ingenieurkunstbauten instand setzen

Die Instandsetzung des Wisstannegg-Tunnels und der Brücken Rothenflue, Schild und Unterstetten erfor­derte spezielle fachliche Aufmerksamkeit. Eugen Brühwiler, Professor an der EPFL und Experte des Bundesamts für Kultur für Fragen der Denkmalpflege, verfasste 2008 im Auftrag des BAK ein Gutachten zur Brücke Unter­stetten. Die Instandsetzungsarbeiten der drei Brückenbauten begleitete er aus der Sicht der ­Denkmalpflege. Er hat das Konzept für den Eingriff und gewisse Ausführungsdetails bestimmt. Jakob Hedinger vom Ingenieurbüro Edy Toscana setzte die geplanten Arbeiten um. Brühwiler meint dazu: «Das Ergebnis zeigt, wie Anforderungen der Denkmalpflege mit den Betriebs- und Sicherheitsanforderungen einer modernen Nutzung des Panoramawegs kosteneffizient vereint werden können.»

Der Wisstannegg-Tunnel war grundsätzlich in einem guten Zustand. Dies hatte das Schwyzer Amt für Wald und Naturgefahren im Rahmen einer geologisch-geotechnischen Überprüfung festgestellt. Allerdings gab es Wandstellen, die stark erodierten, womit der Firstverbau mittelfristig instabil geworden wäre. Stahlstützen, Drainagen, Netze und Spritzbeton stützen das Gewölbe heute zusätzlich.

Die Brücken Rothenflue und Schild bestehen aus tragenden Betonplatten, die auf historischen genieteten Eisenträgern aufliegen. Die Platten wurden eingebaut, als der Betrieb eingestellt war. Da die Brücken seit 2013 im kantonalen Inventar schützenswerter Bauten verzeichnet sind (Kigbo-Nr. 02.079 und 02.080), war es den Vertretern der Denkmalpflege wichtig, dass die Träger nach den Instandsetzungsarbeiten an den Brücken sichtbar bleiben und den Charakter der alten Bahnzeiten wiedergeben. Die Betonplatten waren mit 2.3 m Fahrbahnbreite zu schmal. Breitere Platten ersetzten die alten – bei der Rothenflue eine von 3.4 m und bei der Schild eine von 3.2 m Breite.

Der bestehende Damm aus Blocksteinen bei der Schild-Brücke war talseitig zu steil ausgebildet. Aufgrund der Belastung wies er vielerorts Deformationen und Anzeichen von beginnendem Zerfall auf. Um ihn zu entlasten, wurde er bergseitig auf einer Länge von 80 m um etwa 1 m verbreitert, der Pano­ra­maweg wurde in diesem Bereich um etwa 50 bis 80 cm bergseitig verschoben. Die bestehende Blocksteinmauer wurde mit Mörtel behandelt, um eine weiterschreitende Deformation und den Zerfall aufzuhalten und ohne ihren historischen Anblick zu beeinträchtigen.

Die 1874 gebaute Brücke Unterstetten ist ein Ingenieurbauwerk von hohem kulturellem Wert (Kigbo-Nr. 02.077). Sie überquert eine rund 100 m breite Öffnung eines Bergkamms. Die Zufahrt erfolgt auf beiden Seiten über einen Damm, der an die Widerlagerpfeiler angeschüttet ist. Der Zustand der Eisenkonstruktion gilt als gut. Die Fahrbahnplatte – die nach der Stilllegung eingesetzt wurde – zeigt Betonabplatzungen. Beim Widerlager Nord ist das Mauerwerk unterhalb der Auflagerbank stark ausgebaucht, und ein klaffender vertikaler Riss zeigt eine Verschiebung der Widerlagerwand an. Haupt­ursache ist das Wasser, das hinter dem Mauerwerks­pfeiler versickert. Seit etwa sechs Jahren stützt eine provisorische Spriessung das letzte Feld. Derzeit wird ein separates Projekt für die Erneuerung erstellt. Die Kosten sind etwas höher als jene für den Panoramaweg, die sich auf 1 Mio Fr. belaufen und nur gemeinschaftlich finanziert werden konnten. Unter anderen beteiligten sich neben der Rigi Scheidegg AG mit der treibenden Kraft des Verwaltungsrats Karl Küttel auch die Rigi Bahnen AG, das Astra, die Fachstelle Wanderwege, die Denkmalpflege des Kantons Schwyz und die Unterallmeind Korporation Arth. Die Instandsetzung der Brücke Unterstetten soll ebenfalls gemeinschaftlich finanziert werden und – damit eine Finanzierung realistisch ist – in denselben Kostenrahmen fallen. Die Brücke soll 2015/2016 restauriert werden – als Schlusspunkt der Instandsetzungsarbeiten des ehemaligen Bahntrassees.

Funktion unverändert, Nutzung angepasst

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt für den Erhalt dieses bedeutenden Denkmals war die Ausholzung. Dadurch wurden die Böschungen und die Widerlager entlang des Trassees von der schädigenden Durchwurzelung der bis zu 30 m hohen Bäume befreit. Mitunter hat sich durch die Holzereiarbeiten die Aussicht verbessert. Denn erhalten und instand gesetzt, bleibt die Hauptfunktion des kulturhistorisch wertvollen Bauwerks unverändert: Es dient noch heute dem Tourismus auf der Rigi.

Dass sich die Hauptfunktion über 140 Jahre nicht veränderte, ist aussergewöhnlich. Darauf dürfen die vielen Nutzer des Bahntrassees aufmerksam gemacht werden. Denn was Seltenheitswert hat, wirkt attraktiv und lockt Gäste. Was wiederum Motivation für die aufwendigen Unterhaltsarbeiten und schliesslich Garant für die nachahmenswerte Erhaltung ist.


Anmerkungen:
[01] Florian Inäbnit: Rigi-Scheidegg-Bahn. Prellbock Druck & Verlag, Leissigen 1999, ISBN 3-907579-13-5
[02] Niklaus Riggenbach (1817–1899) war ein Schweizer Ingenieur, Erbauer von Lokomotiven sowie Erfinder des Zahnradbahn­systems Riggenbach (Leiterzahnstange) und der Gegendruckbremse. Er plante und baute weltweit mehrere Bergbahnen.
[03] Rigianzeiger, Oktober 2013

TEC21, Fr., 2015.04.24

24. April 2015 Clementine Hegner-van Rooden

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