Editorial

Typologisch zwischen Autobahnraststätte und Museum angesiedelt, sind Besucherzentren schwer zu fassen. Begrifflich als touristische Anlaufpunkte mit muse- alem Charakter und direktem Bezug zu einer lokalen Sehenswürdigkeit definiert, darf man um Informationstafeln erweiterte Kioske genauso dazuzählen wie Einrichtungen, deren Hauptnutzung klar in Richtung Seminarbetrieb oder Ausstellung tendiert. Allen gemein ist, dass einerseits der Gegenstand der Betrachtung nach einer poetisch-ästhetischen Herangehensweise verlangt und andererseits ganz profane Serviceeinrichtungen wie Souvenirshop, Café und Sanitärräume im Gebäude unterkommen müssen. Allerlei Formen von »Infotainment« und weiteren Attraktionen sollen außerdem dafür sorgen, dass alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen angesprochen werden. Den drohenden Jahrmarkttrubel von vornherein architektonisch in Bahnen zu lenken, ist meist so komplex wie die vermeintlich simple Bauaufgabe selbst. Im Grunde bedarf es gestalterisch wie konzeptionell flexibler Bauten, die sich je nach Besucheraufkommen erweitern oder reduzieren lassen, alle Arten von Bespielung vertragen, Landmarken bilden, ohne dabei das Landschaftsbild zu beeinträchtigen und weder bei der Erstellung noch im Betrieb mit hohen Kosten zu Buche schlagen. Eine kaum zu unterschätzende Bauaufgabe. | Achim Geissinger

Im Sinne der Sinnlichkeit

(SUBTITLE) Archäopark Vogelherd, Niederstotzingen

Die Tierfiguren aus der Vogelherdhöhle zählen zu den ältesten Kleinkunstwerken der Menschheit. Eine Auswahl davon wird nahe der Fundstelle in einem sichelförmigen Sichtbeton-Gebäude gezeigt, das in einen weich geschwungenen Grashügel eingebettet liegt und dessen Glasfront wie ein Schaufenster den Blick auf den gegenüberliegenden Hang mit der Höhle eröffnet. An dem hochästhetisch gedachten Gestaltungskonzept reiben sich verschiedene Auffassungen, wie die Besucher angelockt und unterhalten werden sollen.

Erste Überlegungen zur Erschließung des Geländes hatte es bereits im Rahmen eines Semesterentwurfs am Städtebau Institut der Universität Stuttgart gegeben, bei dem sich die Studierenden einige Mühe gaben, landschaftsverträgliche Lösungen zu erarbeiten. Die Erkenntnisse daraus kamen der Mehrfachbeauftragung zugute, die von der Stadt Niederstotzingen kurze Zeit später in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Lehrstuhl ausgelobt wurde. Der Siegerentwurf der Münchener Architekten Ritter Jockisch greift fast gar nicht in das Gelände ein, lediglich zwei Betonportale in einem grasbewachsenen Wall – und inzwischen einige Außenmöbel – künden von der baulichen Überformung des Geländes. Die erforderlichen Räume für Ausstellung, Café, Büro, Sanitäreinrichtungen und Lagerfläche liegen in einem sichelförmigen Gebäude aufgereiht, das nach außen hin komplett erdbedeckt ist, sich zur anderen Seite aber über boden- und deckenbündige Verglasung zu einem kreisrunden Hof hin gänzlich öffnet und das Panorama des Vogelherdhügels stets präsent hält. Diese bergende Geste fasst den Freibereich und den gegenüberliegenden Hügel zu einer überschaubaren Landschaftseinheit zusammen, die dem Duktus des kleinräumlich strukturierten Landstrichs entspricht und die eine gewisse Heimeligkeit spüren lässt. Das gesamte Konzept ist darauf ausgelegt, den Charakter des von Feldern, Wiesen, Büschen und Baumgruppen geprägten Geländes zu erhalten und als Wert für sich erfahrbar zu machen. Das beginnt schon mit dem langen Fußweg vom Parkplatz her, der eine gewisse Entschleunigung erzwingt. Das gefällt nicht jedem, stimmt aber bereits auf den Rundweg ein, der vom Gebäude aus den Karsthügel mit der darin versteckt liegenden Vogelherdhöhle erschließt und, en passant, auch eine Reihe von instruktiven Stationen, bei denen sich die Besucher z. B. in Speerwurf, Feuermachen oder Ausgraben üben können. Die Planer bauten – eingedenk der dünnen Erkenntnislage in Bezug auf so manchen Aspekt steinzeitlicher Lebensumstände – ganz auf die Kraft der eigenen Wahrnehmung und entwickelten für den Ort eine unaufdringliche Motivik des Spürens, Verfolgens, Entdeckens. Dazu gehört ein minimalistisches Gestaltungskonzept, das alle falschen Anklänge an Behaglichkeit umgeht und stattdessen mit zeitgenössischen Mitteln Analogien zum Leben in einer Höhle sucht. Dazu gehört die Idee, die Räume gefühltermaßen unter die Erde zu legen, sie weitgehend nur mit einem Material, nämlich Sichtbeton zu gestalten, diesen als festen und sicheren »Rücken« zu definieren und nur eine Blickrichtung, hinaus auf den geschützten Hof zuzulassen.

Ein kleiner Ausstellungsbereich gibt inhaltliche Orientierung über die zeitliche Einordnung der Funde und somit die Bedeutung des Orts. Dem Höhlenmotiv folgend, führt von hier eine kurze Rampe in einen abgedunkelten Raum hinab, das Herzstück der Ausstellung, die mit Stahltüren gesicherte »Schatzkammer«, in der zwei der originalen Fundstücke präsentiert werden, darunter das einzig vollständig erhaltene Stück, ein 3,5 cm kleines Mammut aus Mammutelfenbein. Die beiden extrem kostbaren Exponate – sie sind etwa 40 000 Jahre alt und gehören zu den ältesten bislang bekannten Kunstwerken der Menschheit – sind in jeweils einer klimatisierten Vitrine untergebracht und stimmungsvoll beleuchtet. Zur Szenografie gehört auch die beiläufige Projektion eines Films, der einen Elfenbeinschnitzer bei seinem Tun zeigt. Glücklicherweise erwies sich der gelieferte Beton als hell genug, um ohne separate Projektionsflächen auskommen zu können – aufhellende Zuschläge wären unerschwinglich gewesen.

Kleinod unter Verwertungsdruck

So manches war allerdings in der Tat unerschwinglich. Die Gemeinde Niederstotzingen kann ein solches Projekt kaum aus eigenen Mitteln bestreiten. Es greift aber das Programm LEADER, mit dem die EU und das Land Baden-Württemberg innovative Projekte zur Stärkung des ländlichen Raums fördern. Dem Archäopark wurden reichlich bemessene 750 000 Euro zugesprochen, allerdings unter der Bedingung, die Bausumme von 1 Mio. Euro nicht wesentlich zu überschreiten. Der Wettbewerbsentwurf musste, von diesem knappen Budget ausgehend, quasi rückwärts gerechnet werden. Wer genau hinschaut, kann das z. B. an der Gebäudegeometrie ablesen. Natürlich wurde zunächst überlegt, das Gebäudedach in Schalenform zu erstellen.

Das Einschalen wäre aber viel zu aufwendig geworden und das alternativ überlegte Zusammenfügen aus Fertigteilen hätte den monolithischen Eindruck empfindlich gestört. So hat man die Decken folgerichtig horizontal gegossen, sich dadurch u. a. komplizierte Fassadenanschlüsse gespart, aber eben auch eine gerade Trauflinie erhalten, die nicht so recht zum Schwung der Anlage passen will und einen unschönen, wenn auch subtilen Knick am Übergang zu den ins Gelände auslaufenden Wangen ergibt.

Den Sparzwang merkt man aber v. a. an Tagen mit hohen Besucherzahlen, wenn das Haus räumlich an seine Grenzen stößt, das Café voll besetzt, der Nassbereich belagert und der Zugang nur noch schwer zu überwachen ist. Die Betreiber würden dann gerne noch mehr Programm anbieten als ohnehin schon. Ein als überdachte Feuerstelle gedachter Außenraum wird seit jeher mit einer Bärenjagd-Performance bespielt. Eine weitere Grillstelle wurde in Betrieb genommen. Noch in der Vorplanung wurde eine – heute sehr gerne genutzte – Terrasse in den Wall eingefügt, die Ausschank auch ohne Eintrittskarte erlaubt, leider aber in Konkurrenz zum suggestiven, tunnelartigen Haupteingang steht. Und auch das Freigelände wird noch die eine oder andere Attraktion aufnehmen müssen, von der die Betreiber wissen, dass sie weitere Besucher anlocken und auf dem Gelände halten wird. Den durchschlagenden Erfolg des Archäoparks hatte man zwar erhofft, aber nicht wirklich vorhersehen können.

Entsprechend müssen Architektur und Gestaltungskonzept einiges aushalten. Innen geht das bisweilen ganz gut; die formale Zurückhaltung und die geradlinige Möblierung bieten einen neutralen Hintergrund für das bunte Treiben. Technische Einbauten und Leitungen verschwanden allesamt im Beton, die Energie aus der Luft-Wasser-Wärmepumpe wird über eine Fußbodenheizung verteilt. Der Außenraum hingegen wird es schwerer haben, denn schon drängen allerlei Aufsteller, Selbstgestaltetes, alle Arten von Außenmöbeln und bisweilen auch Firmen mit ihren Logos ins Bild.

An stilleren Tagen zeigt sich der Archäopark als unaufgeregter Ort, der die Besucher sanft lenkt und ihnen viel Freiraum für eigene Gedanken und Erfahrungen lässt. Das Entdecken steht dann im Vordergrund. So werden z. B. die im Gelände verstreuten Kautschuk-Würfel mit eingetieften Kurztexten zu wissenschaftlichen und philosophischen Fragestellungen zu echten Fundstücken.

An den belebten Tagen hingegen ist zu spüren, dass nicht jeder Besucher mit dieser sublimen Herangehensweise etwas anfangen kann oder sich darauf einlassen will. Mit ihrem Konzept haben die Architekten eine nahezu poetische Sprache gefunden, um dem Charakter und der Bedeutung des Orts wie auch der Subtilität der hier gefundenen Kunstwerke nahezukommen. Für sich genommen rundum lobenswert, zumal Ritter Jockisch viele übers Ziel hinausschießende Ideen abwehren und die Qualität ihrer eigenen Vorstellungen vermitteln konnten. Um der Gefahr eines Zuschussgeschäfts zu entgehen, hat der Bauherr den Archäopark jedoch nicht als Museum definiert, sondern als Freizeitpark. Man kann dadurch breitere Schichten ansprechen und das Gelände wirtschaftlich bespielen. Wer mag nun entscheiden, welche Haltung die richtige ist?

db, So., 2014.10.05

05. Oktober 2014 Achim Geissinger

Dauerhaftes Kassenhäuschen

(SUBTITLE) Besucherzentrum Via Mala-Schlucht in Graubünden (CH)

Wer die legendäre Via Mala-Schlucht erleben will, muss rechtzeitig von der bequem ausgebauten Nationalstraße abfahren, welche die berüchtigte Passage unmerklich im Tunnel umfährt. Schon seit 1903 gibt es die Möglichkeit, tief in die Schlucht hinabzusteigen, erst seit Kurzem markiert ein architektonisch ambitioniertes, wenn auch winziges Besucherzentrum die Stelle. Gestalterisch weiß das Gebäude zu überzeugen, inhaltlich trägt es leider wenig dazu bei, die Geschichte des Orts zu vermitteln.

Felszeichnungen belegen, dass schon in vorgeschichtlicher Zeit ein Saumpfad durch die Via Mala führte. Doch auch mit der von den Römern in die schroffen Felswände geschlagenen Galerie, blieb die Passage durch die 8 km lange Schlucht des Hinterrheins zwischen Thusis und Zillis über Jahrhunderte hinweg mühsam und gefährlich, sodass der Begriff vom »bösen Weg« entstand. Dieser wurde zwischen 1729 und 1739 ausgebaut und dabei mit zwei Steinbrücken des Davoser Baumeisters Christian Wildener versehen. Um 1820 erfolgte schließlich der Ausbau der sogenannten Unteren Straße, welche von Chur durch die Via Mala hindurch zum Splügen- und zum San Bernardino-Pass führt, zu einer endlich auch von Fuhrwerken nutzbaren Handelsstraße. Die Gemeinden in Schluchtnähe profitierten zunächst vom steigenden Verkehrsaufkommen Richtung Italien. Mit der Eisenbahn brach allerdings eine neue Ära an: Zwei Jahre nach der Eröffnung des Gotthardtunnels verließ der letzte Fuhrwerkskonvoi Thusis.

Wandel des Tourismus'

Als südlicher Endpunkt der Rhätischen Bahn konnte sich Thusis eine neue wirtschaftliche Basis im verstärkt einsetzenden Alpentourismus schaffen; Hotels boten den Reisenden Übernachtungsmöglichkeiten, bevor diese zur Weiterfahrt ins Engadin aufbrachen. Die kurze Blütezeit endete, als 1903 die Albulastrecke in Betrieb genommen wurde und die Besucher ohne Umsteigen von Chur bis nach St. Moritz reisen konnten. Angesichts dieser absehbaren Entwicklung beschloss der Verkehrsverein Thusis, die einst gefürchtete Schlucht, die verkehrlich kaum noch eine Bedeutung besaß, zur Attraktion zu machen. An der engsten und eindrucksvollsten Stelle, nahe der südlichen Wildener-Brücke, wurde ein Treppenabgang angelegt, der zu einer durch den Felsen getriebenen 110 m langen Halbgalerie führte, von der aus sich die durch die Schlucht tosenden Wassermassen bestaunen ließen. Die im Juni 1903 eröffnete Anlage, die von dem später durch seine Lehrgerüste für Brücken bekannten Ingenieur Richard Coray ausgeführt wurde, war anfangs kein großer Erfolg; die Übernachtungszahlen stiegen nur mäßig, und der Erste Weltkrieg ließ den Schweiz-Tourismus kollabieren.

In Schüben wurde die Via Mala-Route in späteren Jahrzehnten ausgebaut: In den 30er Jahren durch neue Straßenbrücken, in den 60ern durch eine völlig neue Trassenführung im Zuge des Ausbaus der Nationalstraßen. Eilige Reisende umfahren den Kernbereich der Via Mala seither in einem 720 m langen Tunnel.

Da der Abstieg in die Via Mala aber seit den 50er Jahren endlich die erwünschten Besucherströme anzog, musste der dortige Kiosk mehrfach erneuert werden: zunächst 1956, dann 1971. 30 Jahre später – die jährlichen Besucherzahlen hatten inzwischen die Grenze von 90 000 überschritten – sollte die Infrastruktur wieder einmal grundlegend erneuert werden. Im Wettbewerb des Jahres 2001/02 konnten sich Bearth & Deplazes mit ihrem Konzept eines turmartig aus der Schlucht herauswachsenden Gebäudes aus Stampfbeton durchsetzen. Doch die für die Realisierung nötige Summe überforderte den seit Anbeginn für die Schluchterschließung zuständigen Verkehrsverein. Das Projekt wurde verschoben, redimensioniert und am Ende ganz eingestellt. Inzwischen sanken die Eintrittszahlen und erreichten mit 50 000 Besuchern einen Tiefststand.

Haus am Abgrund

Für die lokalen Touristiker waren die alarmierenden Zahlen allemal der Grund, die Schlucht durch ein neues Besucherzentrum aufzuwerten. Mit dem in Thusis ansässigen Architekturbüro Iseppi/Kurath, das schon die nahegelegene Autobahn-Raststätte Viamala entworfen hatte, begann man gleichsam von vorne. Zunächst erarbeiteten die Architekten drei Szenarien: das einer Reduzierung, das einer Optimierung und das eines Ausbaus der bestehenden Infrastruktur. Man entschied sich schließlich für den Mittelweg, da eine Erweiterung (»Via Mala maximal«) die Balance zwischen Naturerlebnis und touristischer Nutzung gefährdet hätte. Außerdem wünschte man sich handhabbare Baukosten. Auch die schließlich nötigen 1,4 Mio. CHF ließen sich aber nur bereitstellen, weil der Verkehrsverein Thusis im Zuge der Bündner Tourismusreform in die regionale Organisation Via Mala Tourismus integriert worden war. Für den Besitz und Betrieb der Infrastrukturen in der Schlucht entstand die Viamala Infra Betriebsgenossenschaft, deren Kapitalbasis auch durch Zuwendungen seitens Institutionen, Organisationen und Privatpersonen vergrößert wurde.

Im Winterhalbjahr 2013/14 – in dieser Zeit ist der Abstieg in die Schlucht nicht möglich – wurde anstelle des unscheinbaren und wenig attraktiven Kiosks auf ungefähr derselben Fläche der Neubau realisiert – eine Art mit Satteldach versehenes Urhaus aus hellem Sichtbeton, das der in der Schweiz seit Jahren beliebten Idee monolithischen Bauens folgt. Die Längsseiten zur Schlucht und zur Straße, wo ein Langfenster Einblick gewährt und neugierig macht, sind geschlossen, die Gebäudestirnen dagegen völlig in Glas aufgelöst. Auf der Südseite schließt sich parallel zur Straße eine kleine Terrasse an, von der aus man bei Kaffee den Blick in die Schlucht genießt. Auch sie wirkt mit ihrem Geländer aus dicht gestellten Stahlstaketen und der in die Rückwand eingelassenen Sitzbank nun gestalterisch ambitionierter als ihre Vorgängerin, man könnte auch sagen: »designter«. Die massive Rückwand aus Beton geht auf eine Vorgabe der kantonalen Behörden zwecks Schutz gegen Steinschlag zurück. ›

Defizite der Vermittlung

Das neue Besucherzentrum ist Dreh- und Angelpunkt für den Schluchtbesuch. Man betritt das kleine Gebäude mit seiner Nutzfläche von etwa 40 m² auf der Nordseite, löst am Tresen ein Ticket, führt dieses in das Drehkreuz ein und verlässt das Gebäude ebenfalls auf der Nordseite durch die dem Eingang benachbarte Tür. Eine Treppe führt hinunter in das halb offene UG, das als »Ausstellungsraum« deklariert ist. Auf der einen Seite werden Zitate historischer Besucher projiziert, auf der anderen Seite ein Blick in die Schlucht – was angesichts der Tatsache, dass man gerade im Begriff ist, diese real zu erleben, überflüssig erscheint. Der Weg mündet in die ausgebesserte und erneuerte Wegführung von 1903, und man gelangt nicht nur zu der Felsengalerie, sondern über eine Erweiterung des Wegs aus den 60er Jahren samt Tunnel auch zu den in dieser Zeit entdeckten Strudeltöpfen. Zurück geht es auf der gleichen Route. Diese trennt sich unterhalb des Besucherzentrums, sodass man dieses zum Abschluss betritt, um sich am Tresen noch mit einem Getränk oder einem Plüschsteinbock als Souvenir zu versorgen, oder um sich kurz aufzuwärmen. Zum Temperieren der Luft genügt eine kleine Luftwärmepumpe, deren Auslass im Einbaumöbel integriert ist, zumal das Besucherzentrum in der wetterabhängig gefährlichen Zeit von November bis März geschlossen ist.

Ausgekleidet mit einheimischem Fichtenholz, besitzt das Gebäude eine durchaus angenehme Atmosphäre; markant sind die zylindrischen, mit rotem Stoff bespannten Hängeleuchten, die im roten Mobiliar auf der Terrasse ihre farbliche Entsprechung finden. Der Innenraum ist nicht groß, wirkt wie ein mit Regalen vollgestelltes Wohnzimmer, erinnert aber auch an die Stuben der Bündner Häuser – kleinteilige, holzbekleidete Zimmer, die mitunter in eine massive Mauerwerkshülle eingelassen sind. Allerdings sei die Frage erlaubt, ob nicht alles etwas zu urban, zu perfekt, zu gewollt wirkt; mit anderen Worten: ob das Gebäude das Erlebnis der Schlucht nicht relativiert. Denn Rauheit und Erhabenheit sehen anders aus. Aber Tourismus, so ist entgegenzuhalten, bedeutet stets Domestizierung, und schon zur Zeit der Eröffnung des Schluchtabstiegs war der Blick auf die gefahrvolle Passage romantisch verklärt. Problematischer aber ist, dass das Besucherzentrum so gut wie keine Informationen über die kulturhistorische Bedeutung der Via Mala vermittelt. »Die Schluchtbesucher werden bewusst nicht mit Informationen überhäuft, sondern subtil aufgefordert, das Szenario mit all ihren Sinnen wahrzunehmen.« Der Fokus der von einer Fachgruppe unter Hinzuziehung von Roland Scheurer, einem Fachmann für »touristische Angebotsentwicklung«, konzipierten Inszenierung, liegt auf der »archaischen Natur als Kernwert der Via Mala«. Neben dem kargen Ausstellungsraum findet man verstreut in der Schlucht einige Tafeln mit anekdotischen Geschichtchen, außerdem wird mithilfe eines Faltblatts und entsprechenden Wegmarkierungen über die Entstehung der Schlucht, die Strudeltöpfe, das Hochwasser und anderes informiert. Kulturhistorische, verkehrswirtschaftliche und touristische Aspekte bleiben weitgehend ausgeblendet. Warum sieht man nirgends die Zeichnung, die Goethe 1788 in der Schlucht angefertigt hat, oder die erste bildliche Darstellung von Jan Hackaert aus dem Jahr 1655? Warum erfährt man nichts über die verschiedenen Straßen und Brücken, die sich heute wie in einem historischen Palimpsest überlagern? Und warum gibt es keinen Hinweis auf den Kulturverein Via Mala, der u. a. zwei ganz in der Nähe befindliche ingeniöse Fußgängerbrücken von Jürg Conzett in Auftrag gegeben hat? Nur das Naturerlebnis in Szene zu setzen, ist zu wenig. Das Besucherzentrum wäre der Ort, auch die komplexeren Zusammenhänge zu erläutern. Oben Information, unten Erlebnis.

db, So., 2014.10.05

05. Oktober 2014 Hubertus Adam

Die Kunst der gescheiten Bescheidenheit

(SUBTITLE) »Übermittlungsraum« für den Dolmen von Seró bei LLeida (E)

Die Artefakte eines beim katalanischen Dorf Seró entdeckten Steintischs werden in einem minimalistischen Gebäude präsentiert, das durch die gekonnte Kombination von denkbar primitiven Baumaterialien einen gleichermaßen unprätentiösen wie eleganten Charakter erhält und die annähernd 5 000 Jahre alten Fundstücke stimmungsvoll in Szene setzt.

Heute liegt die Gegend abseits der Hauptverkehrslinien, die Barcelona mit Madrid verbinden – man hat hier aber Hannibal vorbeiziehen sehen, wie auch die Blüte und die Zurückdrängung der arabischen Kultur, und Archäologen stießen in der Umgebung des Río Segre wiederholt auf zahlreiche stein- und bronzezeitliche Reste Jahrtausende alter Siedlungen, die in Verbindung mit weit entfernten Orten des Neolithikums standen.

Im Jahr 2007, beim Bau eines Bewässerungskanals, entdeckte man die Trümmer eines Dolmens (Steintisch), den die Archäologen der Universität Lleida sogleich als einzigartig erkannten; sind in die Steine doch geometrische Muster eingraviert, die sich als Umrisse menschlicher Figuren deuten lassen. Einer der Steine muss beinahe 9 m gemessen haben – höher als alle bisher bekannten Monumente jener Zeit. Man hat den anscheinend (wer weiß wann und warum) absichtlich zerteilten Megalithen nach vielen Diskussionen in seinen Teilstücken belassen und dergestalt in dem eigens dafür geschaffenen Besucherzentrum in Seró ausgestellt, kaum einen Kilometer von der Fundstätte entfernt.

Es war die (nur etwa 50-köpfige) örtliche Bevölkerung, die darauf drängte, die Steine nicht, wie im Normalfall, in ein Museum in Barcelona verfrachten zu lassen. Stattdessen wurde, um die sieben gravierten Felsstücke zu beherbergen und dem Dorf zugleich das bisher fehlende Gemeindezentrum zu bescheren, mit einem minimalen Gesamtbudget von 652 000 Euro (die Hälfte davon aus dem örtlichen Kulturetat) ein 500 m² umfassender Neubau geschaffen.

Ziegel-Erfindungen

Nähert man sich dem winzigen, wie in dieser Gegend üblich an einen Hügel geklammerten Dorf, so fragt man sich zunächst, welcher der rundherum verstreuten Ziegelsteinbauten, seien es Getreidescheunen oder Viehställe, nun der 2013 mit dem wichtigsten katalanischen Architekturpreis, dem FAD, ausgezeichnete Bau sein mag. Seine Unscheinbarkeit ist zweifellos das erste Qualitätsmerkmal des »Espai Transmissor« (Übermittlungsraum), wie er sich etwas geheimnistuerisch nennt. Aber die – zumindest scheinbare – Einfachheit der Konstruktion nimmt tatsächlich einige Charakteristika der umliegenden Scheunen auf, insbesondere deren Skelett, wenn auch die Ziegelausfachung dazwischen, wie auch die Raumverteilung, wesentlich kunstvoller ausfällt.

Das Gebäude verschwindet in der Senke unterhalb des Dorfplatzes; die Esplanade bildet einen Teil des Dachs, sichtbar bleiben allein die Lichtschächte und die Rampen, die zum Eingang hinunterführen – der freilich auch ebenerdig zugänglich ist, wo Ziegelmauern, um einen Hof gruppiert, dem Bau sein bescheidenes Gesicht verleihen.

Es ist ein aus denkbar gewöhnlichen Materialien erbautes Ganzes. Das Äußere zeigt dennoch großes Raffinement, das insbesondere auf die vielfältige Verwendung von Ziegeln zurückgeht. Neben roh belassenen Beton treten Armierungseisen, die an die Halme der umliegenden Weizenfelder erinnern und die das Gebäude von außen als Geländer, teils sogar als schwebende Rampe charakterisieren. Das Unfertige, das ihm daher anhaftet, macht einen Teil seines Charmes aus.

Noch raffinierter gestaltet sind die Innenräume. Der Eingangsbereich mag recht konventionell anmuten; es schließt jedoch ein Saal an, der dem Dorf Seró für alle möglichen Zwecke und Gelegenheiten dient – nicht zuletzt als eine Art Klassenzimmer. Unter dem Hauptstrang der Dachrampen öffnet er sich zu einer Fensterfront hin, vor der bei Bedarf eine Leinwand herabgelassen werden kann. Die ansteigende Dachschräge ergibt einen perspektivischen Effekt, der die hohe Glaswand weniger enorm erscheinen lässt, als sie wirklich ist. Die Wirkung ist stupend, sobald sich eine Person an die riesenhafte Hoftür stellt.

Zumal die Gegend auch als Weingebiet – Appellation Costers del Segre – an Ruf gewonnen hat, ließ man sich die Chance nicht entgehen, einen Raum eigens für die Präsentation lokaler Produkte zu schaffen, insbesondere der Weinkooperativen. Es ist eines der »Prunkstücke« der mit so bescheidenen Mitteln gebauten Anlage. Wird hier doch der Trickreichtum, mit dem die Architekten zu Werke gingen, besonders deutlich: Die Lochziegel sind mit (leeren) Weinflaschen gefüllt, die in dem im Sommer heißen, im Winter oft frostigen Klima für Wärmeausgleich sorgen – wobei sogar die (je nach Saison) Verkorkung der Flaschen eine Rolle spielt: im Sommer werden einige Flaschen entfernt, etliche entkorkt, im Winter wieder verpfropft. Es wird berichtet, im Winter dringe öfter einmal Nebel in die Innenräume ein, den der Autor im August freilich nicht erleben konnte und der hoffentlich nicht auf die gelegentliche Nutzung des Wein-Raums als Dorfpinte zurückgeht.

Die Nebenräume – Technik, Lager, Toiletten – sind clever um diese Eingangspartie herum gruppiert. Überraschend ist der Übergang in das eigentliche »Museum«. Hier wird an Wandtafeln und in Vitrinen die Geschichte des archäologischen Funds erklärt. Der fensterlose Raum wird von zahlreichen Lichtschächten – wandseits quadratisch, in der Mitte rund – erhellt: dieses Zenitallicht schafft ein nachgerade magisches Ambiente.

Im Labyrinth des Steingartens

Doch das ist erst der Auftakt zur eigentlichen Attraktion. Toni Gironès hat sie – in aller Bescheidenheit – auf eine Weise inszeniert, die die Aufmerksamkeit nicht nur der lokalen Architekturkritiker erregte. Fast unmerklich sich senkend, führt ein quadratischer Spiralgang in stetig enger werdenden Windungen in den 3 m tiefer liegenden Steingarten hinunter, umrahmt von zunächst einer, dann zwei, schließlich drei Mauerschichten aus Lochziegeln, auf einem sich zunehmend verfeinernden Ziegelboden, dessen Geknirsch zur Atmosphäre beiträgt, und der übrigens als Dachbelag auch seine thermische Funktion hat. Für die Verwendung derselben großen Lochziegel, für die Decken-, Wand- und Bodenbekleidungen teils zerschnitten, teils zerstampft, hat der Architekt zu Recht viel Bewunderung geerntet. Man muss ein wenig geometrisches Verständnis mitbringen, um die erstaunlich einfache Lösung zu begreifen, wie die rechteckige Doppelspirale sanft in den eigentlichen Hauptraum hinunter- und wieder aus diesem herausführt, dabei durch die in der Überlagerung zunehmend sich verdichtenden Lochziegelwände in eine Art Sanktuarium leitet, wo die seltenen Steine unter ihren Tageslichtschächten (die mit LED-Leuchten ausgestattet auch nächtliche Besuche gestatten) einen Steingarten bilden.

Wenn die Lichtschächte im vorangegangenen Saal ein fast fantastisches Licht verbreiten, so ist ihre Wirkung in diesem Raum höchst präzis: Sie sind auf die Felsen ausgerichtet, deren Ausmaßen entsprechend, und stehen ihnen an Perfektion natürlich nicht nach; erstaunlicher ist die geometrische Exaktheit sowohl des abgerundeten Zuschnitts der Steine als auch der hineingeritzten Muster, die vermutlich menschliche (oder göttliche) Figuren darstellen.

Seró selbst mag ein Leichtgewicht unter den neolithischen Fundstätten Europas sein, aber dies im besten Sinn des Wortes: Da sind bloß sieben erstaunlich gravierte Steintrümmer, um die herum einige unscheinbar raffinierte Mauern gebaut wurden.

Man wundert sich, woher Toni Gironès' »Händchen« für die gleichermaßen simplen und poetischen Konstruktionen stammt, für die er nicht erst seit dem Projekt in Seró bekannt ist. Wer das Büro der Architekten in Barcelona besucht, findet sich in einer (von einem kurzzeitigen Bürgermeister der Stadt 1935 eingerichteten) Prunkwohnung mit Aussicht bis zum Meer, in der selbst die Böden teilweise vergoldet sind, und in der eine kleine Privatbar für dessen Geliebte nur ein Detail unter vielen ist. Vielleicht schärft aber gerade eine solche Umgebung den Blick dafür, welche Kraft einzelnen Materialien, Details und Überlegungen jeweils innewohnt.

db, So., 2014.10.05

05. Oktober 2014 Markus Jakob

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