Editorial

Wie kein anderes Bauteil haben Balkone und Loggien eine Mittlerfunktion zwischen innen und außen, zwischen privat und öffentlich. Die von uns ausgewählten und vorgestellten Projekte bieten komfortable, qualitätvolle, z. T. eher funktionale, dann wieder unkonventionelle private Außenräume an. Außerdem werden sie in ihrem Erscheinungsbild – durch Anordnung, Art, Größe und Kombination der Balkone, Loggien und Terrassen – ganz wesentlich von diesen geprägt. Doch neben der räumlichen Vermittlung handelt es sich bei Balkonen und Loggien auch um eine konstruktive Schlüsselstelle am Bau. Daher nähern wir uns diesen komplexen Bauteilen im Schwerpunkt und in der Rubrik Energie auf gestalterischer, konstruktiv-technischer und wohnungswirtschaftlicher Ebene. | Ulrike Kunkel

Loggien vor Parklandschaft

(SUBTITLE) Geschosswohnungsbau am Hertweiher in Uster (CH

Wohnen im Park: das ist, kurz gesagt, das Konzept der Reaktivierung eines ehemaligen Industrieareals in Uster, westlich von Zürich. Und so sind auch die Außenräume das entwurfsbestimmende Thema beim Wohn- bau von Morger + Dettli – sämtliche Wohnungen besitzen Loggien zu beiden Seiten. Sie bilden eine ondulierende Schicht, die das gesamte Gebäude umhüllt und es mit der umgebenden Natur verzahnt.

Uster, 20 km westlich von Zürich gelegen, erlebte im 19. Jahrhundert einen boomartigen Aufschwung. Das Zürcher Oberland verwandelte sich in eine der am stärksten industrialisierten Regionen Europas. Der schon im Mittelalter genutzte Aabach, der Pfäffiker- und Greifensee verbindet, trieb die Maschinerie der Baumwollspinnereien an und avancierte im Volksmund zum »Millionenbach«. In Niederuster errichtete der Unternehmer Heinrich Kunz 1825 die erste Großspinnerei, die durch ein Kanalsystem und drei Teiche mit Wasserkraft versorgt wurde. Die erste industrielle Phase endete allerdings bereits 1912 mit dem Verkauf des Spinnereiunternehmens. 1925 übernahm die Zellweger AG das historische Werksareal. Textilmaschinen und elektrotechnische Apparaturen, v. a. Telefone, wurden nun in Uster gefertigt, und Roland Rohn, Nachfolger Salvisbergs und der wohl wichtigste Schweizer Industriearchitekt seiner Zeit, errichtete das Verwaltungsgebäude, dem ein eleganter oktogonaler, wie ein Pfahlbau im See stehender Ausstellungspavillon vorgelagert ist. 1993 fusionierte die Zellweger AG mit der auf Lüftungs- und Klimatechnik spezialisierten Zellweger Luwa AG, die zehn Jahre später aufgelöst wurde. Durch ein Management Buyout entstand das Unternehmen Uster Technologies. Dieses ist spezialisiert auf Messtechniken zur Qualitätssicherung in der Textilindustrie, die am alten Standort in Uster produziert werden. Mit der Umstrukturierung 2003 fiel auch die Entscheidung, das dem Produktionsareal benachbarte parkartige Gelände mit seinen Kanälen und Teichen sowie dem Verwaltungsgebäude von Roland Rohn aus dem Produktionsstandort auszugliedern und zu einem Wohnstandort zu entwickeln. Das bislang unzugängliche Areal wurde damit öffentlich; die postindustrielle Transformation begann.

Integration in den Park

Die Sensiblität, mit welcher der landschaftliche und architektonische Bestand bewahrt und durch neue Elemente ergänzt wurde, ist in erster Linie der Unternehmerfamilie Bechtler zu verdanken, den früheren Eigentümern der Luwa. Basis für die Umwandlung des Zellweger Parks bildet ein 2005 von EM2N erarbeiteter Gestaltungsplan. Dieser definiert einzelne Baufelder innerhalb des parkartigen, von den Landschaftsarchitekten Schweingruber Zulauf zurückhaltend ergänzten Ambientes. Die Gebäude von Gigon/Guyer und Morger Dettli konnten schon bezogen werden, während sich ein Haus mit Mietwohnungen von Herzog & de Meuron derzeit noch im Bau befindet.

Ondulierende Gebäudehülle

Das 2013 fertiggestellte Wohngebäude von Morger Dettli hat den prominentesten Standort auf dem Areal, denn es steht direkt an der Westseite des Herterweihers und damit vis-à-vis zum historischen Verwaltungsgebäude von Roland Rohn. Mit diesem hat es nicht nur seine Nord-Süd-Ausrichtung gemein, sondern auch die Idee eines hinter Stützen zurückgesetzten EGs. Weiß gestrichen, bilden die Eingangszonen der Häuser samt Serviceräumen vier polygonale Inseln, sodass die Blickbeziehung zur umgebenden Landschaft gewahrt bleibt. Im Gespräch erklärt Meinrad Morger, dass die Verbindung der gedeckten Zonen im EG mit den daran anschließenden Freiraumflächen am Weiher mit ihren Stegen, Grünraumnischen, Uferzonen und Spielplätzen ihr zentrales Anliegen war. Überhaupt haben die Architekten alles getan, um das aus vier zu einem Riegel verbundenen Häusern bestehende Volumen mit seinen sechs Wohngeschossen über Tiefgarage und Eingangszone möglichst behutsam und landschaftsverträglich in die parkartige Umgebung einzubetten. Anzuführen ist nicht nur der Versprung der einzelnen Wohnungen, der zu der charakteristischen Zackenstruktur im Grundriss führt, sondern auch die Umhüllung des Gesamtvolumens mit Loggien, die mit einem dunklen staketenartigen Stabwerk von Brüstungsgeländern versehen sind. Diese laufen um das gesamte Gebäude herum und bilden seine Hülle.

Besitzt das lang gestreckte Gebäude im Kern eine orthogonale Struktur der Grundrissorganisation, so wird die Kontur durch die umhüllten Außenräume weicher und fließender, ohne sich jedoch dem Mimikri eines organischen, natürliche Formen imitierenden Architekturverständnisses zu befleißigen. Der Rhythmus der Fassade gliedert das horizontal gegliederte Gebäude vertikal und lässt vage Assoziationen zu den Baumgruppen in der unmittelbaren Umgebung entstehen. Über dem offenen EG verleihen die Brüstungsgeländer dem Gebäude einen dunklen Ausdruck, der es mit der Vegetation verbindet und nicht grell herausstechen lässt. Frontal erlauben die schmalen Stäbe der Staketen den Durchblick, in der Schrägsicht verbinden sie sich zu wandartigen Strukturen.

Insgesamt birgt der Bau 51 zweiseitig orientierte Eigentumswohnungen mit 3,5 bis 5,5 Zimmern – von den größeren sind drei als Maisonetten ausgebildet –, wobei die Kernzonen zwischen 109 und 163 m² umfassen. Je 18 Einheiten sind als 3,5-Zimmer-Wohnungen mit 109 m² und 4,5-Zimmer-Wohnungen mit 128 m² ausgebildet. Zusätzlich besitzt jede Wohnung Loggien von unterschiedlichen Geometrien. Die eine misst jeweils 13 m², die andere variiert je nach Lage und Größe der Wohnung zwischen 7 und 12 m². Durch den Versprung der Geometrien werden prinzipiell Ausblicke in alle Richtungen ermöglicht, darüber hinaus dienen die einspringenden Ecken auch dem Windschutz für den gedeckten Außenraum, der als Fortsetzung der Gemeinschaftsbereiche (Kochen, Essen, Wohnen), z. T. auch der individuellen Schlafräume konzipiert ist. So ergeben sich großartige Ausblicke: zur einen Seite hin auf den Herterweiher und den Zellweger Park, zur anderen auf Greifensee, Forch und Pfannenstiel. Die auskragenden Balkone bestehen aus Betonplatten, die ein Gefälle nach außen aufweisen und mit punktuellen Bodenabläufen sowie Notüberläufen versehen sind. Holzroste dienen dem barrierefreien Übergang nach draußen.

In der Peripherie von Zürich

Das Wohnen in einem Park, und das in unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum, ist das primäre Qualitätsmerkmal der Wohnbauten. Uster, mit gut 30 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des Kantons Zürich, hat seine Bewohnerzahl seit 1970 um die Hälfte vergrößern können. Wesentlich dazu beigetragen hat die Einrichtung der Zürcher S-Bahn, durch welche die Vorortgemeinden binnen weniger Minuten vom Stadtzentrum aus erreichbar sind. Der Zellweger Park zählt zu den bemerkenswerten neuen Wohnprojekten – nicht zuletzt wegen seiner gelungenen Verzahnung von Architektur, Natur, Kunst und Relikten der für das Zürcher Oberland prägenden Industriegeschichte.

db, Mo., 2014.09.01

01. September 2014 Hubertus Adam

Freiräume für Kinder

(SUBTITLE) Kinderhaus »Josefine Kramer« in Tettnan

Hochwertige Materialien, lichte Räume, prägnante Konturen: Das Kinderhaus in Tettnang überzeugt in vielerlei Hinsicht. Besonders eindrucksvoll nehmen sich die breiten, das Fassadenbild prägenden Loggien aus. Dabei sehen die Öffnungen nicht nur gut aus – sie sind auch bestens zu bespielen.

Das ehemalige Transformatorenhaus, das sich wie ein Bergfried auf einem Hügel im Spielgarten erhebt, hat keine Fenster; Licht dringt nur durch eine schmale Tür ins Innere. Das Turmgemach ist kaum größer als ein Altbauklo, aber über 10 m hoch und knallrot gestrichen – für die Kinder wird es ein magischer Ort sein. Auch im frisch angelegten Garten gibt es jetzt schon Ecken und Winkel mit großem zauberischen Potenzial. Zu nennen wäre der fast 50 m lange Weidentunnel zwischen den Spielinseln. Und das jüngst bezogene Kinderhaus selbst? Wird es für die Kleinen mehr sein als ein geräumiger Aufenthaltsort, ein temporäres Dach über dem Kopf? Wird es ihnen etwas bedeuten? Schwer zu sagen. Deshalb wird der Rezensent diese Frage erst einmal zurückstellen und sich bei der Bewertung des Bauwerks an die üblichen, immer etwas zu abstrakten Kriterien der Erwachsenen halten.

Doch zunächst noch zu den Fakten: Das Josefine-Kramer-Haus, benannt nach einer in Tettnang geborenen Psychologin und Heilpädagogin (1906-94), wurde zwar bereits im Januar 2014 fertiggestellt, ist aber erst seit Ende der Sommer- ferien voll besetzt. Es bietet Platz für bis zu 50 Kindergartenkinder in zwei Gruppen und rund 30 Krippenkinder in drei Gruppen. Hinzu kommen Räumlichkeiten, die von Kindern und Eltern der Initiative »Spatzennest« sowie dem »Familientreff Tettnang« genutzt werden. 1 600 m² Nutzfläche, 8 700 m³ umbauter Raum, 3 300 m² Grundstücksfläche: Für einen Kindergarten sind das stolze Zahlen. Und für eine Kommune wie das oberschwäbische Tettnang mit seinen knapp 20 000 Einwohnern ist der Bau solch eines Kindergartens naturgemäß eine große Sache – erst recht, wenn das Projekt an einem städtebaulich sensiblen Ort realisiert werden soll.

Dialog mit der Umgebung

Das Grundstück an der Wilhelmstraße heißt noch immer Hopfenareal, obwohl dort schon längst kein Hopfen mehr verarbeitet wird. Auch der Bahnhof, der die Industriebrache im Osten abschloss, wurde schon vor Jahren abgerissen. Die Wunde im Stadtbild schmerzte umso mehr, als das Gelände am Ende eines Grünangers mit verschiedenen öffentlichen Nutzungen liegt, der sich in ostwestlicher Richtung durch Tettnang zieht. Die letzten intakten Glieder in der Kette waren die zur Stadtkirche Sankt Gallus gehörigen Pfarrgebäude. Dahinter erstreckte sich eine von mittelprächtigen Einfamilienhäusern gefasste Schneise bis zu einem klobigen Getreidesilo. Die Herausforderung für die Planer des Kinderhauses bestand also nicht zuletzt darin, für die grüne Suite ein neues, imposantes Finale zu komponieren.

Das ist Martin Bächle, Karin Meid-Bächle und ihrem Team nach Meinung aller Experten hervorragend gelungen. Zunächst einmal konnte das Konstanzer Büro Bächle Meid den Entwurfswettbewerb, zu dem die Stadt Tettnang im September 2011 zwölf Architekturbüros eingeladen hatte, klar für sich entscheiden. Mittlerweile hat ihr Werk auch andere Juroren überzeugt. Bislang wurde das Projekt mit dem Label »best architects 15« und dem Hugo-Häring-Preis 2014 geehrt. Und das Kinderhaus spricht nicht nur Fachleute an, es gefällt eigentlich jedem, den man fragt.

Für die allgemeine Akzeptanz gibt es viele Gründe. Der augenfälligste ist die fulminante Ziegelfassade. Bächle Meid verwendeten dafür »Tallinn«-Klinker auf ungewöhnliche Weise: Indem sie die Rückseite der Ziegel mit ihren produktionsbedingten Unregelmäßigkeiten nach außen kehren, ergibt sich ein wunderbar lebendiges Mauerbild, das an alte Backsteinfassaden erinnert. Neben der Hülle ist es die Kubatur des Gebäudes, die umso mehr begeistert, je genauer man sie studiert. Auf den ersten Blick macht der lang gestreckte Baukörper den Eindruck eines autonomen, den Kontext ignorierenden Gebildes. Erst allmählich bemerkt man, wie vielfältig und sensibel der Entwurf auf die Umgebung reagiert: Im Südosten folgt die Außenwand dem schnurgeraden Straßenverlauf; gegenüber im Nordwesten erfüllt ihre Zickzackbewegung teils öffnende teils schützende Funktionen; im Süden zur Sankt-Gallus-Kirche hin formt das Volumen mit dem vorkragenden OG und dem exponierten Eingang eine unkonventionelle, doch suggestive Willkommensgeste; im Norden, wo das zweigeschossige Haus in eine mannshohe Mauer übergeht, kommuniziert der Neubau schließlich auf gleicher Augenhöhe mit der angrenzenden Wohnsiedlung. Einen subtilen Dialog mit den traditionellen Häusern im weiteren Umkreis führt auch das gefaltete Dachrelief mit seinen flachen Giebeln.

Loggien als Spielplätze

Selbst mit den großen Loggien, die das Erscheinungsbild des Gebäudes ebenso stark prägen wie die Ziegelwände und das Faltdach, nehmen die Architekten Bezug zur Umgebung. »Die Loggien bilden eine serielle Struktur, genau wie die Fenster der Lochfassaden ringsum«, sagt Martin Bächle. Freilich erschöpft sich die ästhetische Bedeutung der Öffnungen nicht in der Reminiszenz an traditionelle Symmetrien. Im Vordergrund steht sogar ein gegenteiliger Effekt, sind es doch v. a. die enorm breiten, teils verglasten teils offenen Freiräume, die dem Baukörper seine dezidiert zeitgemäße Anmutung verleihen. »Ohne sie würde der murale Charakter der Fassade viel zu stark dominieren«, sagt der Architekt. Ein weiterer reizvoller Aspekt ist die skulpturale Wirkung, die durch die tiefen Einschnitte in die Gebäudefront erzielt wird. In Bächles Worten: »Die Fassade wird zum Gehäuse.«

Die überzeugende Außenwirkung hat innere Ursachen: Im Grunde reicht die Kausalkette zurück bis zur Entscheidung über die Platzierung des Gebäudes auf dem Grundstück. Bächle Meid haben es nach Südosten an die Straße herangerückt, sodass der Spielgarten im schattigen Nordwesten liegt. »Das ist natürlich ein Nachteil, und einige Mitbewerber haben die Freifläche deshalb tatsächlich auf die Sonnenseite verlegt«, sagt Bächle. Doch sprachen entscheidende Argumente für den Vorschlag des Konstanzer Büros. Zum einen schirmt das an der Straße errichtete Haus den Spielgarten ab, sodass sich eine zusätzliche Abgrenzung erübrigt; zum anderen macht das Gebäude an der Straße stadträumlich eindeutig eine bessere Figur als ein Garten, der aufgrund notwendiger Einhegungen nicht einmal richtig einsehbar gewesen wäre. Die gewählte Verteilung der Funktionen stellte die Planer allerdings auch vor eine besondere Herausforderung. Wie sollten sie die Gruppenräume nach Süden zur Sonne hin öffnen? Mit großen, fassadenbündigen Fensterfronten? Licht hätte es dann zur Genüge gegeben, aber keinen Austritt an die frische Luft. Genau dies schaffen die Loggien: zusätzliche Spielplätze im Freien.

Einmal erdacht und für gut befunden, entwickelte sich die Lösung für ein Einzelproblem schnell zum seriell eingesetzten Gestaltungselement, das den Charakter des gesamten Gebäudes bestimmt. Austritte finden sich nicht nur auf der Sonnenseite, sondern auch zum Garten hin. Dabei wird jeder der fünf durchgesteckten Gruppenräume von je einer 6 m breiten Loggia flankiert. So bedeutsam diese Öffnungen in funktioneller und gestalterischer Hinsicht sind – als Elemente der Statik fallen sie nicht ins Gewicht: »Die Loggien haben mit dem Tragwerk überhaupt nichts zu tun, sondern sind eingestellt«, so der Architekt.

Räume mit Atmosphäre

Natürlich hat das Josefine-Kramer-Haus viel mehr zu bieten als seine Freiräume. Ein weitläufiges Foyer z. B., das die Erschließung des Gebäudes auf den ersten Blick erkennen lässt: Links führt eine Treppe zu den Räumlichkeiten des »Spatzennests« im OG, während sich im Parterre unmittelbar die Cafeteria anschließt; rechts geht es zum Kindergarten im EG und treppauf in den Krippenbereich. Den Kindern stehen nicht allein die hellen Gruppenräume zur Verfügung. Es gibt Materialräume, eine Kinderküche, einen großen Bewegungsraum. Zu jedem Gruppenraum gehört ein Ruhezimmer sowie eine Garderoben-Nische, jeweils versehen mit sehr praktischen und schönen Holzeinbauten. Ohnehin überzeugen Materialität und Mobiliar auf der ganzen Linie. Der Kunststoffboden im zarten Sandton, die weiß gestrichenen Metallgeländer, die Kindermöbel, die auch innen allgegenwärtigen Ziegelwände: Das alles muss man einfach mögen – zumindest als Erwachsener.

Und die Kinder? Ihr Gefühl zu diesem Haus wird wohl weniger von architektonischen als von sozialen Gegebenheiten bestimmt werden. Trotzdem wird auch die Architektur einen prägenden Einfluss ausüben, und es macht sicher einen Unterschied, ob man in einer übersichtlich-sauberen oder einer geheimnisvoll-wilden Umgebung aufwächst. Das eine hat etwas für sich, das andere aber auch. Und deshalb war es eine glückliche Entscheidung, den alten Transformatorenturm nicht abzureißen und nicht zu modernisieren, sondern innen in glühendes Rot zu tauchen. Kinder brauchen Freiräume – und magische Orte.

db, Mo., 2014.09.01

01. September 2014 Klaus Meyer

Lückenhafte Baulandschaft

(SUBTITLE) Eigentumswohnungen »Urban Spaces« in Bukarest (RO)

Die von ADN BA entworfenen Wohnungsbauten in Bukarest stellen eine behutsame Nachverdichtung dar und experimentieren mit Wohntypologien und den Grenzen zwischen innen und außen sowie zwischen öffentlich und privat.

Das Wohnprojekt steht in einem typischen Viertel der erweiterten Bukarester Innenstadt, inmitten eines bunten Nebeneinanders von Kirchen, eingeschossigen Einfamilienhäusern des späten 19. Jahrhunderts samt Gärten und Lauben sowie Villen und Wohnblocks der klassischen Moderne. Da in der unmittelbaren Nachbarschaft weder Einzeldenkmale noch Denkmalschutzzonen ausgewiesen sind, schreitet der architektonische Wildwuchs munter voran – immer höhere, autistisch wirkende Bauten ohne jegliche gestalterische oder städtebauliche Qualität entstehen. Hauptanliegen des Entwurfs von ADN BA waren daher eine geordnete Nachverdichtung und das Angebot zeitgemäßer Eigentumswohnungen mit flexiblen Grundrissen in Gebäuden, die einige der typischen Merkmale der Umgebung aufnehmen. Da das Bukarester Stadtgefüge relativ heterogen und lückenhaft ist und geschlossene, einheitliche Straßenzüge selbst in der Innenstadt selten sind, konzipierten die Architekten ihre Wohnanlage ebenfalls als uneinheitliche, vielschichtige und komplexe Baulandschaft. Zunächst verteilten sie die laut Bauordnung für das Grundstück zulässige Baumasse auf zwei Baukörper. Einer der Baukörper liegt direkt an der Straße, der andere zum Innenhof hin; zusammen mit Höfen und Gärten bilden sie ein Ensemble, durch das eine breite Passage führt. Für eine weitere Auflockerung sorgen verschiedene Gebäudeeinschnitte und Abstufungen, über die sich die Bauten an die Traufhöhen der Nachbargebäude anpassen. Das wichtigste Instrument für die Auflösung der Anlage und Eingliederung in die umgebende Bebauung sind aber die vielfältigen, meist privaten Terrassen, Balkone und Loggien. Selbst die kleinste Wohneinheit besitzt einen Freisitz. Die Wohnungen im EG öffnen sich zu Privatgärten und Souterrainhöfen hin, diejenigen in den obersten Stockwerken genießen den Vorzug großzügiger Terrassen. Alle übrigen Apartments sind von einer filigranen Struktur, einem System aus Loggien und Balkonen, die zu wirklichen Wohnräumen im Freien werden, umgeben. Das ist insofern ungewöhnlich, da die meisten Investoren, um eine maximale Rendite zu erzielen, auf die Umsetzung großzügiger Balkone verzichten.

Die Wohnungen an der Dogarilor Straße sind zwar verhältnismäßig klein und sicher keine Luxusapartments, sie sprechen aber eine gebildete und eher junge Mittelschicht an; Leute, die mit wenig Raum auskommen, dafür aber auf einen guten Wohnungszuschnitt und eine zentrale Lage Wert legen.

Doch die Vielfalt beschränkt sich nicht auf die Gebäudehülle und das Angebot unterschiedlicher, privater Außenräume. Keine Wohnung gleicht der anderen. Die Bandbreite reicht von Ein- bis Vierzimmerwohnungen und von ein- bis dreigeschossigen Apartments. Viele der kleineren Einheiten wurden so geplant, dass sie bei Bedarf zu größeren Wohnungen zusammengelegt werden können.

Gemeinschaftssinn stärken

»Gemeinsam wohnen anstatt nur Wohnungen zusammenzubringen«, das ist das erklärte Motto der Gesamtplanung. Auch in punkto gemeinschaftliches Denken und Handeln will die Anlage ein Zeichen setzen. Im Souterrain gibt es einen Gemeinschaftsraum mit Küche und Bar – einen Ort für Treffen zwischen den Bewohnern, aber auch ein eventueller halböffentlicher Raum für das gesamte Quartier. Außerdem teilen sich die Bewohner die Höfe (die Privatgärten ausgenommen). Es gibt eine kleine Spielzone und eine »Baumbank« als Raummittelpunkt. Ein Experiment stellt die große Gemeinschaftsterrasse dar. Die Architekten haben dabei v.a. an die Besitzer der kleinsten Wohnungen gedacht, damit auch sie einen großen, immerhin halbprivaten Außenraum zur Verfügung haben. Trotzdem, so enthusiastisch alle den eigenen Freisitz preisen, die Terrasse wird bisher noch recht wenig genutzt.

Das Konstruktionsraster bestimmt die Raumgliederung. Ein leichter Metallgitterrahmen zieht sich um Loggien, Erker und Balkone herum. Die Metallgitter dienen dabei sowohl als Brüstungen als auch als Raumteiler, Sonnen- und Blickschutz. Zwischen den einzelnen Apartments kaschieren sie Abstellräume und individuelle Klimageräte. Der obere Teil des Metallrahmens soll noch einen Sonnenschutz in Form einer Textilbespannung bekommen.

Das Raster wird als Instrument der »geordneten Fragmentierung«, die den ganzen Entwurf bestimmt, konsequent weitergezogen. Die Außenhaut ist nicht verputzt, sondern wird durch sichtbare Faserzementplatten gegliedert. Pixelflächen aus knallgelben und weißen Wandmosaiken bedecken das Äußere der Eintrittsbereiche. An den Wänden der Flure und Treppenhäuser werden über verschiedene Materialien und Oberflächen – gestrichene Klinker, Keramik- oder Blechpaneele, kleine Tafeln, auf denen Familienmitglieder, Nachbarn oder Besucher ihre Botschaften hinterlassen können – unterschiedlich große Felder definiert.

Große Glasflächen in der Fassade, die von den Eigentümern sehr positiv bewertet werden, führen das Licht bis ins Innere der ziemlich tiefen Wohnungen. Da aber nur ein kleiner Teil der Wohnungen bereits vor dem letzten Winter bezogen wurde, gibt es zu Wärmeverlusten und Wohnkomfort in der kalten Jahreszeit noch keine Erfahrungswerte. Der barrierearme Übergang zwischen innen und außen, die raumhohen Fenster und die Abfolge von Erkern und Loggien erzeugen einen fließenden Raum, der die Grenzen zwischen innen und außen verschwimmen und auch die kleinsten Wohneinheiten großzügig wirken lässt. Generell funktioniert das Balkonraster als Sonnenschutz gut; etwas problematisch sind aber die südlich ausgerichteten Erker und Wohnzimmerfenster. Schon erscheinen die ersten Gardinen, es werden sicher weitere folgen. Auch beginnen die Bewohner ihre Terrassen und Balkone zu begrünen, mit der Zeit wird sich das Bild der rundum freundlichen Wohnanlage also verändern: es wird reicher, individueller, an manchen Ecken wilder, aber höchstwahrscheinlich immer noch kohärent sein.

Es zeugt durchaus von Mut, einen derart unkonventionellen Bau zu finanzieren. Die Rechnung ist für die Bauherren aber aufgegangen, trotz wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind alle Wohnungen verkauft. Einen Preis müssen die Bewohner allerdings zahlen: Immer mehr Leute (und bei Weitem nicht nur Architekten) kommen vorbei, um sich das Gebäude anzusehen. Was angesichts der Glasfronten und zahlreichen Einschnitte sicher ein klein wenig störend sein kann.

db, Mo., 2014.09.01

01. September 2014 Stefan Ghenciulescu

31. 1969

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