Editorial

Pavillons sind sinnliche Objekte, die Schmetterlinge (vom lateinischen «papillio») der gebauten Umwelt. Weil sie keine anspruchsvolle Nutzung oder Dauerhaftigkeit aufweisen müssen, können bauliche Innovationen gewagt werden, die sonst nicht zustande kämen.

Doch was ist ein Ingenieurpavillon? Darunter verstehen wir Experimente, die nicht primär räumlicher, sondern vor allem materiell-kon­struk­tiver Natur sind. So wie die Architekten von der Nutzung befreit sind, weichen die Ingenieure von ihren Normen ab: Im Massstab 1 : 1 können neue Baumaterialien getestet, eine anspruchs­volle Fügung auf ihre Tauglichkeit geprüft oder optimale Planungs- und Bauabläufe festgelegt werden. Am Schluss muss es ja nur tragen.

Der Anlass dieses Hefts sind zwei Pavillons, die kürzlich in Mendrisio beziehungsweise Stuttgart aufgestellt wurden. Sie sind beide Vorreiter neuartiger Tragwerkstypologien, seien es Faltwerke aus gekrümmtem Holz oder Wickelstrukturen aus Harz-Faser-Kompositen.

Der einleitende historische Rückblick zeigt auf, dass Ingenieurpavillons immer wieder die Auslöser einer neuen Baukunst gewesen sind – denn sie vermitteln vor allem eine Vision: So könnten wir unsere gebaute Umwelt dauerhaft gestalten. Dank ihren sinnlichen Qualitäten werden wir diesen Traum überhaupt erst bejahen und ihm nachgehen wollen.

Thomas Ekwall

Inhalt

AKTUELL
08 WETTBEWERBE
Bauen für die Zukunft

10 PANORAMA
Geschichten über die Entdeckung der Geschichte | Gewinn für die Natur trotz Über­bauung | Bauphysik-Kalender | Auf die Person gespielt

16 VITRINE
Bauen & Modernisieren 2014 | Symposium «greenBIM»

18 STADT DENKEN HEISST KOLLEKTIV DENKEN
Meisterwerke des Betonbaus | Gipfeltreffen für Energie-Innovation

22 VERANSTALTUNGEN

24 DIE TRAGFÄHIGKEIT EINER IDEE
Thomas Ekwall
Die Pavillons der Ingenieure gelten seit jeher als Feuerprobe innovativer Bauweisen.

26 ORIGAMI AUS GEKRÜMMTEM HOLZ
Marielle Savoyat
Beim Faltwerk-pavillon in Mendrisio wurden Form und konstruktive Details digital parametrisiert und industriell gefertigt.

30 KÄFERSCHALE SCHÜTZT MENSCHEN
Simone Hübener
Der bionische Pavillon in Stuttgart führt die Wickelbauweise aus in Harz getränkten Fasern fort.

35 STELLENINSERATE

45 IMPRESSUM

46 UNVORHERGESEHENES

Die Tragsicherheit einer Idee

Ingenieurpavillons werden im Rahmen einer spezifischen materiell-
kon­struktiven Thematik entwickelt und sind stets Träger einer Vision. Vier historische Beispiele illustrieren ihre Rolle in der Baukunst.

Im Ursprung des 284 m langen Lang­wieserviadukts stand ein Betonbogen, der 6 m über die grüne Wiese der Schweizer Landesausstellung 1887 spannte. Mit der pavillonartigen Brücke (Abb. S. 25 Mitte links) wollte die Firma Vigier die Tragfähigkeit ihres Zementprodukts zur Schau stellen. Der Leistungsnachweis diente nicht nur wissenschaftlichen, sondern vor allem wirtschaftlichen Zielen. Das gebaute Experiment brachte nicht nur das breite Publikum zum Staunen, sondern interessierte auch den ersten Direktor der Materialprüfanstalt – der heutigen Empa –, Prof. Ludwig Tetmajer, der sich aktiv für die Normierung des neuartigen Betons einsetzte.

25 Jahre und einige Entwicklungsschritte später entstand 1912 aus diesem Material die damals längste Eisenbahnbetonbrücke der Welt zwischen Langwies und Arosa. Solche seltenen Beispiele zeigen, dass ­Ingenieurpavillons die Keime grösserer Bauwerke in sich tragen.

Pavillon versus Prototyp

Auch bei der Ferrozementbauweise stand ein Pavillon Pate. Der Ingenieur-Unternehmer Pier Luigi Nervi (vgl. TEC21 37/2013) wollte sein frisch patentiertes Verfahren auf den Prüfstand setzen und baute 1945 eine Lagerhalle für seine eigene Firma (Abb. Mitte rechts). Fokus dieses Pavillons war nicht die reine Leistungsfähigkeit des Materials, sondern seine Verarbeitung auf der Baustelle und das Zusammenfügen der einzelnen Bauteile. Mit diesem gelungenen Experiment konnte Nervi sowohl künftige Bauherren überzeugen als auch die gleichen Prinzipien zuversichtlich im grösseren Massstab umsetzen: Die Ferrozementbauweise gipfelte 1948 im ­Palazzo delle Esposizioni in Turin, einer Halle mit über 70 m Spannweite.

Der Pavillon des Ingenieurs ist nicht mit dem Prototyp des Maschinenbauers gleichzusetzen, der als Grund­lage der Massenproduktion identischer Objekte dient. Er ist vielmehr der Träger einer Idee und der Vorstellung eines vielfältigen Einsatzgebiets. Er zeugt von der ­Tauglichkeit ihrer zugrunde liegenden materiellen und konstruktiven Prinzipien in der gebauten Umwelt.

Als Impulsgeber gelten Bauunternehmer, Tragwerksplaner und Forscher, die oft Synergien eingehen. Beispiel dafür war Julius Natterer, ehemaliger Professor am Holzbauinstitut der EPFL (Ibois) und Gründer von Bois Consult Natterer SA (BCN). Auf dem EPFL- Campus plante er den «Polydôme» (Abb. unten links), der als erste Holzrippenschale gilt. Hier wurde der ­Zusammenhang zwischen den weichen Verbindungen der Brettstapel und der Stabilität der Schale wissenschaftlich eruiert. Dieser Tragwerkstyp erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt mit dem 20 m weit auskragenden Messedach der Hannover Expo 2000. Beide Tragwerke wurden von BCN geplant.

Ingenieurpavillons sind nicht nur für ihre ­eigene Disziplin relevant, sondern greifen auch architektonische Themen auf und können dieses Gebiet demzufolge stark beeinflussen. Ein Beispiel hierfür ist der Glaspavillon am Broadfield House in Kingswindford (Abb. S. 25 unten rechts). Er wurde 1994 von den Ingenieuren Dewhurst MacFarlane and Partners geplant. Hier wurde erstmals eine tragende Konstruktion aus Glas ohne Metallprofile und Punkthalter ausgebildet. Diese technische Meisterleistung dient noch heute als Inspiration für die Ganzglasarchitektur.

Zeitgenössische Experimente

Blicken wir noch auf zwei unlängst realisierte Pavillons. Sie entstanden an technischen Forschungsinstituten und stehen in der Reihe vergangener Experimente: Der Holzpavillon der Ibois (vgl. unten) verfolgt das klassische Ziel des zugleich materialsparenden und leistungsfähigen Tragwerks. Ausgehend von der Idee der gekrümmten Faltung mit Brettsperrholzplatten werden die Zusammenfügung, die ästhetischen und raumbildenden Qualitäten sowie die Entwurfs- und Produktionsabläufe als gleichwertige Ziele behandelt. Das Pavillon nähert sich dem Prototyp, damit schöne Formen einfach geplant und seriell gefertigt werden können.

Das Verbundpavillon der ICD/ITKE (vgl. «Käferschale schützt Menschen», S. 30) plädiert seinerseits für den Einsatz der Bionik im Bauwesen. Mit der Biologie als Inspirationsquelle wird die Wickelbauweise mit harzgetränkten Fasern weiterentwickelt. Weil die Elemente vorgefertigt und auf der Baustelle zusammengefügt werden, entsteht erstmals ein Tragwerk, das grös­ser wurde als die Maschine, die sie hergestellt hat. Träumen ist erlaubt, sogar förderlich!


Anmerkungen:
[01] Claudio Greco: Pier Luigi Nervi. Von den ersten Patenten bis zur Ausstellungshalle in Turin. Luzern 2008.
[02] Christian Schittich: «Auf den zweiten Blick: Glaspavillon am Broadfield House in Kingswindford» in: Detail 1/2 2011, S. 6–9.

TEC21, Fr., 2014.08.22

22. August 2014 Thomas Ekwall

Origami aus gekrümmtem Holz

Das Forschungslabor für Holzkonstruktionen Ibois der EPFL hat 2013 in Mendrisio einen Pavillon aus gekrümmten Holzschalen aufgestellt. Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts berichtet über dessen interdisziplinären Entstehungsprozess.

Seit 2006 forscht das Ibois im Bereich der komplexen Geometrien im Holzbau. Der Institutsleiter Prof. Yves Weinand untersucht den architektonischen Gestaltungsprozess anhand neuer Technologien und Formen. Dem Ingenieur und Architekten Weinand ist es ein Anliegen, den Graben zwischen den beiden Disziplinen zu überbrücken. Mit einem interdisziplinären Team, dem neben Architekten und Bauingenieuren auch Mathematiker und Informatiker angehören, lotet er die Möglichkeiten des Baustoffs Holz sowohl in numerischen als auch in physischen Modellversuchen aus (vgl. TEC21 17–18/2008).

Der Pavillon auf S. 27 oben ist das jüngste realisierte Exemplar von mehreren in diesem Gebiet. Schon 2006 baute das Ibois eine Holzrippenschale, bei der geodätische Linien[1] auf Freiformflächen appliziert wurden. Der damals entstandene Prototyp dient heute als Kinderspielgerät im Park der Vallée de la Jeunesse in Lausanne. 2008 kamen die Faltkonstruktionen des Ibois bei der Kapelle Saint-Loup in Pompaples VD erstmals konkret zur Anwendung (vgl. TEC21 8/2009). Die von der japanischen Faltkunst Origami inspirierten Strukturen erinnern weniger an traditionelle Holzkonstruktionen als an Skulpturen, Falt- oder Flechtwerke (Abb. unten links). Seit 2010 arbeiten die Forscher nun daran, die geometrischen und statischen Eigenschaften dieser Konstruktionen auf gekrümmte Oberflächen auszuweiten. Sie gehen von der Feststellung aus, dass gekrümmte Holzplatten über eine höhere Biegefestigkeit verfügen als ebene Elemente.

Der inzwischen wieder abgebaute Pavillon in Mendrisio (Abb. unten rechts) diente dazu, die planerischen und konstruktiven Ansätze des gekrümmten Holzbaus in die Praxis umzusetzen. Für den temporären Bau war keine Bewilligung nötig. Die Accademia di Architettura in Mendrisio stellte lediglich ein Gesuch bei der Gemeinde, auf deren Gelände der Prototyp installiert wurde.[2]

Der Pavillon war 13.5 m lang, 4.5 m breit und bis zu 3.2 m hoch. Er bestand aus fünf gekrümmten Brettsperrholzplatten, wovon zwei als Wand- und drei als Dachelemente dienten. So konnte die Struktur mit nur 77 mm Holzstärke Spannweiten von bis 13.5 m überbrücken. Die Platten wurden an ihren Rändern mit Holz-Holz-Verbindungen zusammengefügt.

Fügung und Festigkeit der Kurve

Das bereits für die Holzfaltwerke programmierte Entwurfswerkzeug wurde für die gekrümmten Oberflächen weiterentwickelt.

Aufgrund verschiedener Parameter wie Krümmungsradius, Winkel oder Verbindungsgeometrie wurde die Form des Pavillons generiert (Abb. unten links). Durch die Rückkopplung mit den statischen Analysen lässt sich die Form iterativ optimieren. Die praktische Umsetzung und die Eigenschaften des Materials setzen weitere Rahmenbedingungen.[3] Anhand der numerischen Simulation massgebender Lastkombinationen wurde die notwendige Stärke der Brettsperrholzplatten ermittelt. Am Pavillon zeigte sich, dass die Kombination von konkaven und konvexen Platten die Gesamtkonstruktion steifer macht. Die entgegengesetzt gekrümmten Platten halten Kräften senkrecht zur Ebene stand, die normalerweise dazu neigen, die Krümmungen einzuebnen.

Die Forscher haben bei der Projektierung ein Modell des Pavillons im Massstab 1: 5 erstellt, um die fertigungstechnischen Herausforderungen besser abschätzen zu können. Die Holzverbindungen wurden dann zusammen mit dem Bauunternehmer am Modell im Massstab 1 : 1 in ihrer Endform entwickelt.

Das Herstellungsverfahren war eine Entwicklung des Unternehmers Merk: Um die Herstellungskosten der gekrümmten Formen zu optimieren, wurde für die fünf Bauteile des Pavillons jeweils dieselbe Krümmung mit einem Radius von 5.9 m verwendet. Eine Lage 15.4 mm dicker Fichtenholzbretter wurde in dieser Form genagelt. Anschliessend wurden vier weitere Schichten kreuzweise darauf angeordnet und miteinander verklebt, bis eine 77 mm dicke Brettschichtholzplatte entstand. Damit sich die Schichten infolge der Zwangsbiegung nicht wieder voneinander lösten, wurden sie zusätzlich mit Aluminiumnägeln verbunden. Nachdem der Einkomponenten-Polyurethankleber trocken war, wurden die Nägel der Einfachheit halber gleich im Holz gelassen, denn sie sind weich genug, um direkt mit dem Holz zugeschnitten zu werden.

Die Schwalbenschwanzverbindungen zwischen den Wänden und dem Dach (Abb. oben links) ermöglichten ein passgenaues Zusammenfügen der gekrümmten Elemente. Für die Verbindung der konkav und konvex gekrümmten Platten im Dach war jeweils ein Zwischenstück aus Furniersperrholz notwendig (Abb. oben rechts). Diese blieben in der Endkonstruktion sichtbar, was nicht nur einfacher umzusetzen war, sondern auch eine ästhetische Wirkung hatte. Mit dieser zusätzlichen Verbindungstechnik konnte der Zuschnitt vereinfacht und die Herstellungszeit verkürzt werden. Die Holzkonstruktion wurde an acht Punkten im Boden fixiert. Dafür wurde ausnahmsweise ein Stahlprofil in die Holzplatten eingeschlitzt und geschraubt.

Der vorgestellte Pavillon zeigt nur eine der vielen Anwendungsmöglichkeiten von gekrümmten Holzplattenkonstruktionen auf. Das Entwurfswerkzeug dürfte sich auch für nachfolgende Forschungsprojekte anpassen lassen. Die Statiksimulationen werden nach wie vor eine Rolle bei der Formgebung haben. Die so berechneten Formen müssen nicht nur statische, sondern auch Transport- und Montageanforderungen erfüllen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Rahmen- oder Gewölbekonstruktionen hat der Pavillon vier anstatt zwei Knicke in der Ansicht (Abb. S. 27). Diese könnte man aus ästhetischer Sicht als Abweichung von der Klarheit der Form infrage stellen. Aus konstruktiven Gründen waren sie dennoch notwendig, denn drei Flächen lassen sich schwer in einem Punkt zusammenfügen.

Die Entwicklung der verschiedenen Verbindungstypen ist zurzeit Gegenstand der Dissertationen von Christopher Robeller und Stéphane Roche vom Ibois. Die Ergebnisse ihrer technischen Studien am Pavillon eröffnen neue Möglichkeiten für gekrümmte Holzkonstruktionen. So hat sich gezeigt, dass das manuelle Zusammenfügen mit Verbindungselementen zeitaufwendiger ist als mit der Schwalbenschwanztechnik. Die konkrete Umsetzung und die Widerstandsfähigkeit gegen Witterungseinflüsse bedürfen aber noch weiterer Untersuchungen.

Ein Plädoyer für den modernen Holzbau

Der Pavillon entwickelte sich schnell zum beliebten Treffpunkt für Apéros, Picknicks und Anlässe der Studierenden und Dozierenden der Akademie. Darüber hinaus beweist er, dass Holzkonstruktionen von dieser Spannweite ohne Rippen und mit dünneren Holzstärken als bisher gebaut werden können. Die Krümmung steift das Tragwerk aus und erweitert dadurch die bisherigen statischen Grenzen – und ebnet so den Weg zu neuen architektonischen Formen.

Die aktuelle Forschung verspricht vielfältige Anwendungsmöglichkeiten des Werkstoffs Holz, deren Potenzial dieser Pavillon erahnen lässt. Der Holzbau hat sich von einer handwerklichen zu einer industriellen Bauweise entwickelt und findet heute seine Fortsetzung in digitalisierten Entwurfs- und Herstellungsprozessen. Numerische Berechnungen und digitalisierte Produktion ermöglichen die Fertigung individueller Formen zu einem relativ geringen Preis. Somit sollte der Pavillon als Prototyp fungieren und die technische Machbarkeit dieses Ansatzes beweisen. Nicht nur für Bushaltestellen und Überdachungen, sondern auch für grössere Projekte könnten diese Versuche neue Impulse geben. Nach Ansicht von Yves Weinand gibt es hinsichtlich der Grösse keine Grenzen.

Anmerkungen:
[01] Die geodätische Linie ist die lokal kürzeste Verbindungskurve zweier Punkte. Ein gerades Holzbrett, das nach diesem Prinzip auf eine frei geformte Fläche gezwängt wird, wird nicht auf Biegung um die starke Achse beansprucht – das erhöht seine Formbarkeit.
[02] Weitere Informationen zum Pavillon: C. Robeller; S. Nabaei; Y. Weinand: «Design and Fabrication of Robot-Manufactured Joints for a Curved-Folded Thin-Shell Structure Made from CLT», in Robotic Fabrication in Architecture, Art and Design, Wien/New York 2014, S. 67–81.
[03] So Antoine Picon: «In ihren klarsichtigsten Momenten, in denen sie nicht auf spektakuläre Überraschungseffekte aus ist, ist sich die digitale Architektur bewusst, dass eine ihrer zentralen Aufgaben darin besteht, die sich ständig verändernde Grenze zwischen der physischen und der digitalen Welt auszuloten.» (Antoine Picon: Digital Cultur in Architecture: An Introduction for the Design Professions. Basel 2010).

TEC21, Fr., 2014.08.22

22. August 2014 Marielle Savoyat

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