Editorial

Eine der drängendsten Aufgaben unserer Tage ist es, neuen Wohnraum in den Ballungsgebieten zu schaffen. Statt der »Grünen Wiese« rücken dabei immer stärker innerstädtische Standorte, die bereits eine funktionierende Infrastruktur aufweisen, in den Vordergrund. Um jedoch auf Konversionsflächen oder Brachen ein lebendiges Stadtquartier zu schaffen, das sowohl eine Heimat bietet als auch das städtische Gefüge als Ganzes bereichert, ist eine Auseinandersetzung mit dem stadträumlichen Kontext, der Dichte und der Nutzungsmischung unerlässlich. Die vorgestellten sehr unterschiedlichen Projekte in dieser Ausgabe stehen exemplarisch für die Bandbreite der komplexen Planungsaufgabe »Stadtquartier«.

Allen gemeinsam ist allerdings, dass dank einer maßgeschneiderten Gestaltung, ein zukunftsfähiges Stück Stadt geschaffen wurde. | Martin Höchst

Die neue Achtsamkeit

(SUBTITLE) Umbau, Sanierung und Ergänzung der Hofstatt in München

Vielfalt erhalten und Einheit stiften: Dieses Kunststück gelang Meili, Peter Architekten mit dem Projekt »Hofstatt« in der Münchner Innenstadt. Trotz starker Verdichtung und neuer Durchwegung blieb die Bebauungsstruktur eines Altstadtquartiers unangetastet.

Es war einmal eine Sackgasse namens Hofstatt. Sie ging vom Färbergraben ab und stieß in südwestlicher Richtung mitten ins Viertel hinein. Der Straßenname geht auf einen im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnten Adelshof zurück; Denkmalpfleger Harald Gieß spricht von »einem der ganz frühen Kristallisationspunkte der Stadt München«. Nun ist von diesem Gehöft keine Spur erhalten geblieben. Und die Altstadtgasse degenerierte nach dem Zweiten Weltkrieg infolge von Zerstörung, Überbauung und Umnutzung des Areals zur schnöden Lieferantenzufahrt. Die Hofstatt, das war eigentlich nur noch etwas für Lokalhistoriker und Geschichtenerzähler. Dass es sie seit gut einem Jahr wieder gibt, als Einkaufspassage und Flaniermeile, als Wohn- und Geschäftsadresse, als Goldader für Investoren und Inspirationsort für Stadtentwickler, kurz: als einen der jüngsten Kristallisationspunkte urbanen Lebens in München, das ist eine Geschichte für sich.

Ihr Schauplatz ist ein Quartier, das sich im Südwesten an den innersten Kern der Münchner Altstadt anschließt. Bis zum Marienplatz, dem Viktualienmarkt oder der Frauenkirche sind es jeweils nur wenige Minuten zu Fuß. Umschlossen wird der Häuserblock von Färbergraben, Hotter- und Hackenstraße sowie der südwestlich verlaufenden Sendlinger Straße, die seit der Stadterweiterung im 13. Jahrhundert das Sendlinger Tor mit dem Zentrum verbindet. Als innerstädtische Einkaufszone steht die Sendlinger Straße bislang noch im Schatten der ausschließlich auf Konsum getrimmten Kaufinger Straße, hat dafür aber mehr Charme und verfügt mit der barocken Asamkirche über eine der bedeutendsten architektonischen Attraktionen der Stadt. Ein weiteres prominentes Baudenkmal ist das ehemalige Redaktionsgebäude der Süddeutschen Zeitung, 1905 nach Plänen von Max Littmann für die Münchner Neuesten Nachrichten errichtet und im Zuge des Hofstatt-Projekts aufwendig restauriert. ›

Durchwachsenes Filetstück

Der Süddeutsche Verlag besaß und betrieb ein ganzes Häuserkonglomerat in dem Quartier. Dazu gehörte das imposante Druckereigebäude im Innern des Gevierts, das in den 20er Jahren als betonummantelter Stahlskelettbau mit Sichtziegelfassade rund um einen überglasten Lichthof entstanden war. Ferner das Verlagshaus am Färbergraben, einer von Detlef Schreiber, Herbert Groethuysen und Gernot Sachsse in den 60er Jahren entworfenen »Mies-Kiste«, die als Schwarzes Haus bekannt wurde und unter Freunden klassisch modernen Bauens naturgemäß als »eines der herausragendsten Beispiele der Nachkriegsarchitektur in München« gilt. Hinzu kamen weitere verlagseigene Bürohäuser an der Hotterstraße sowie ein denkmalgeschütztes Wohnhaus an der Hackenstraße. 2004 veräußerte der Verlag seinen gesamten Immobilienbesitz im Quartier an die Entwicklungsgesellschaft LEG Baden-Württemberg, das Vorgängerunternehmen der heutigen LBBW Immobilien GmbH.

Da die Zeitungsmacher den nunmehr angemieteten Firmensitz bis 2008 nutzen durften, blieb den Investoren genügend Zeit für umfangreiche Vorplanungen. Nachdem sie gemeinsam mit der Landeshauptstadt München neue Nutzungskonzepte für das Quartier entwickelt hatten, die neben dem Einzelhandel und dem Büroraum auch das Wohnen (30 %) berücksichtigte, initiierten sie in Abstimmung mit dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung einen Gestaltungswettbewerb, zu dem 13 Architekturbüros aus dem In- und Ausland eingeladen wurden. Die Geschichte nahm ihren ordungsgemäßen Verlauf, und nicht wenigen Kritikern erschien das Ende vorhersehbar: Eine liebenswerte Mélange unterschiedlicher Fassaden, Volumina, Funktionen und Atmosphären würde sich unweigerlich in eine pure Geldmaschine verwandeln, die sich von anderen puren Geldmaschinen allenfalls durch die Verkleidung unterschied. Glas, Stahl, Aluminium? Schwarz, weiß, grau? Egal. Das Ziel lautete Gewinnmaximierung, die Architektur lieferte nur das Branding.

Aber es kam anders. Der Masterplan des Züricher Büros Meili, Peter Architekten, für den die Jury am 28. September 2006 einstimmig votierte, überzeugte zum einen durch das klare Bekenntnis zu einem respektvollen Umgang mit dem Bestand, zum anderen durch eine bestechende Idee zur räumlichen Verklammerung der disparaten Bauten. »Wir wollten keinen radikalen Eingriff, weil darin die geschützten Teile nur als Störungen oder Fremdkörper erschienen wären«, erinnert sich Marcel Meili. Vielmehr habe man sich vorgenommen, die einzelnen Bauten behutsam zusammenzuführen, »ohne sie in einer mächtigen Geste versinken zu lassen«. Den Zusammenhalt sollte eine dreiarmige, in eleganten Schwüngen durch das Geviert mäandernde Einkaufspassage gewährleisten, die auch die Büronutzungen erschließt und neue Wegeverbindungen zu angrenzenden Stadtvierteln schafft. »Wir wollten eine weiche Bewegung durch das Areal führen, die den Charakter des Hinzugefügten möglichst offenlegt«, so Meili.

Glück gehört auch dazu

So weit, so brillant. Allerdings bereitete der konkrete Verlauf der Passage den Planern noch zwei Jahre lang Kopfzerbrechen. Klarheit brachte erst eine weitere Investition seitens der LBBW Immobilien: 2008 erwarb sie die drei an der Sendlinger Straße gelegenen Häuser, in denen zuvor die Redaktion der Münchner Abendzeitung untergebracht war. Die beiden südlichen, im Kern spätmittelalterlichen Bürgerhäuser wurden restauriert bzw. in historischer Kubatur neu errichtet; das nördliche, an das ehemalige SZ-Redaktionshaus grenzende Gebäude wich einem Neubau, in den nun der ursprünglich für den Littmann-Bau vorgesehene Passagenzugang verlegt werden konnte. Ein Glücksfall aus mehreren Gründen. Erstens wäre das symmetrische Fassadenbild des Littmann-Baus durch eine linksseitige Toröffnung empfindlich gestört worden, zweitens liegt der jetzige Zugang vis-à-vis der Dultstraße und somit auf einer Sichtachse zum attraktiven St.-Jakobs-Platz, drittens konnte nun ein Problem gelöst werden, das sowohl Architekten als auch Denkmalschützern und Projektentwicklern erhebliche Sorgen bereitet hatte: Der Knotenpunkt der drei Passagenwege, im Ursprungsentwurf innerhalb des Stützenfelds der ehemaligen Druckerei gelegen, ließ sich jetzt in den glasgedeckten Lichthof des Industriebaus verschieben und befindet sich damit schlicht ganz selbstverständlich am richtigen Ort.

Der richtige Ort ist auch ein schöner Platz. Der fließende Passagenraum bildet hier gleichsam einen Wirbel, der einem ein wenig Zeit zum Schauen lässt, bevor man weitergezogen wird. Die Wände mit ihren gegeneinander schwingenden Glasbändern, die Deckenleuchten, der Natursteinboden mit seinen unregelmäßig verlegten Platten: Das alles ergänzt sich zu einer höchst eindrucksvollen Raumfigur. Einzig der Blick nach oben wirft Fragen auf. Schaut man nämlich durch die ellipsenförmige, mit einem dichtmaschigen Metallgitter abgeriegelte Deckenöffnung, lässt sich das Mauerwerk des Druckereigebäudes dahinter allenfalls erahnen. Warum hat man die Sicht auf den zentralen Bestandsbau ausgerechnet im historischen Lichthof derart kaschiert? Andreas Müsseler, der zusammen mit Florian Hartmann und Oliver Noak das Münchner Büro von Meili, Peter Architekten leitet, zögert nicht mit der Antwort: »Ein extremer Tageslichteinfall an dieser Stelle hätte die atmosphärische Balance der ganzen Passage gestört. Die Gänge, die jetzt hell und einladend wirken, kämen einem wie Höhlen vor.«

Anderenorts immerhin präsentiert sich der fünfgeschossige »Ankerbau« des Areals unverstellt und in voller Größe. Hinter dem Littmann-Bau etwa bildet seine schmucke Klinkerfassade eine stimmungsvolle Kulisse für die Restaurant-Terrasse auf dem großen Innenhof. Gleiches gilt für das Café im zweiten, kleineren Hof.

Koinzidenz der Gegensätze

An das Druckereigebäude als dem Dreh- und Angelpunkt des Entwurfs gliedern sich alle weiteren Gebäude der Hofstatt an. Jedes von ihnen wurde seiner Lage im Stadtgefüge und seiner Funktion folgend individuell entwickelt und als eigenständiges Gebilde entworfen – getreu Meilis Maxime, jede gleichmacherische Geste zu vermeiden.

Am Färbergraben wurde das Schwarze Haus durch ein repräsentatives Büro- und Geschäftshaus mit Keramikfassade ersetzt, das sich aus zwei unterschiedlichen Gebäudeteilen zusammensetzt, die jedoch eine starke Familienähnlichkeit aufweisen. Dabei betont der Kontrast zwischen roten und grünen, konkav und konvex geschwungenen Keramikelementen (s. Detail S. 23) die Differenz, während Materialität, Rasterung und Proportionen beiden Geschwistern gemein sind. Alles andere als monolithisch wirkt auch der neu errichtete vier- bis sechsgeschossige Wohnhauskomplex an der Hotterstraße. Hier lässt sich die Unterteilung in vier Einzelgebäude, die jeweils über ein eigenes Treppenhaus erschlossen werden, beispielsweise an den unterschiedlichen Putzstrukturen der Fassaden ablesen. Das denkmalgeschützte, neubarocke Wohnhaus an der Hackenstraße schließlich erhielt im Hof einen großflächig verglasten Anbau, der die historische Kammerstruktur des Altbaus um modern geschnittene Wohnbereiche ergänzt.

Bleibt der Neubau mit dem Passagenzugang an der Sendlinger Straße. Mit seiner reliefartig gestaffelten Fassade kann er sich zwischen dem schlichten Bürgerhaus zur Linken und dem markanten Littmann-Bau zur Rechten mühelos behaupten. Aber er fällt auf, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Er steht für sich und geht trotzdem auf die Nachbarn ein. Er wirkt zeitgemäß und vermittelt zugleich zwischen den Zeiten. Eigenständigkeit und Achtsamkeit koinzidieren aber nicht nur in diesem Fassadenbild auf solch erstaunliche Weise. Historischer Sinn und Erneuerungswille gehen im ganzen Hofstatt-Quartier wunderbar zusammen und erzeugen genau die Spannung, die eine gute Geschichte braucht.

db, So., 2014.07.06

06. Juli 2014 Klaus Meyer

Stadt statt City

(SUBTITLE) Katharinenquartier in Hamburg

Zwischen dem Hamburger Rathausmarkt und der Speicherstadt dominieren verkehrsumtoste Bürogebäude die Innenstadt. Mit dem Katharinenquartier ist ein gestalterisch und städtebaulich richtiger Schritt getan, sowohl Wohnraum zu schaffen als auch innerstädtische Verbindungen zu stärken. Wenn jetzt auch noch die Mieten bezahlbar wären ...

Wer sich von Jungfernstieg oder Rathausmarkt aus in Richtung Landungsbrücken, Speicherstadt oder HafenCity aufmacht, der trifft unweigerlich auf sie: Die Ost-West-Straße (heute: Ludwig-Erhard- und Willy-Brandt-Straße). Einen unwirtlicheren Ort als diese Verkehrsschneise lässt sich kaum denken. Die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts angedachte Durchgangsstraße wurde in den Nachkriegsjahren mit sechs Spuren durch die kriegsversehrte historische Innenstadt geschlagen und teilt sie seitdem in einen nördlichen und südlichen Bereich. Es ist nicht allein der stetig lärmende Verkehr, der Passanten flüchten lässt, sondern auch die Bebauung mit Büro- und Geschäftshausriesen ringsum: Radikal wie nirgendwo sonst in Hamburg wurde hier die Transformation von einer gemischten, kleinteiligen Innenstadt hin zur monofunktionalen, autogerechten Geschäfts- und Verwaltungs-City durchgesetzt. Die Austreibung des Wohnens aus dem Zentrum begann zwar bereits in den Zwischenkriegsjahren mit dem Abriss der »Gängeviertel« genannten Arme-Leute-Quartiere und dem Bau des Kontorhaus-Geschäftsviertels, wurde jedoch nach 1945 – mit der Charta von Athen als ideologischem Rüstzeug – radikal ausgeweitet. In der Hamburger Altstadt, einst Wohnort von 80 000 Menschen, leben heute gerade noch anderthalb tausend.

Kurswechsel

Noch bis in die 90er Jahre wurde hier Baulücke um Baulücke, Brachfläche um Brachfläche mit Büro- und Geschäftshäusern gefüllt. Erst 2002 entstand mit dem Michaelis-Quartier von Steidle + Partner neben Büroflächen erstmals auch wieder Wohnraum. Seitdem haben eine veritable Wohnungsnot, der Zwang des Stadtstaats zum Binnenwachstum und der Wunsch vieler Menschen, wieder in zentralen Bereichen der Stadt zu leben, einen Kurswechsel hin zu vermehrtem Wohnungsbau in der City eingeleitet. Katalysator für diese Entwicklung ist der Wettbewerb der Metropolen sowohl um Unternehmen als auch solvente Neubürger und kaufkräftige Touristen. Die Ödnis einer nach Geschäftsschluss verwaisten Hamburger Innenstadt ist unattraktiv und nicht mehr konkurrenzfähig. Sie erweist sich zudem als Handicap für die südlich anschließende HafenCity, die als Innenstadt-Erweiterung geplant wurde und doch durch die die Willy-Brandt-Straße umgebenden Büroviertel abgetrennt bleibt. Die von HafenCity GmbH und Oberbaudirektor Jörn Walter erträumten attraktiven Nord-Süd-Verbindungen blieben bislang nicht mehr als eine vage Idee.

Ein erster wichtiger Meilenstein auf dem Weg zurück von der City zur Stadt wurde nun jedoch erreicht: Zwischen der Willy-Brandt-Straße und der Hauptkirche St. Katharinen entstand das Katharinenquartier, ein Ensemble aus einem Büro- und Geschäftshaus und zwei großen Wohngebäuden mit 131 Wohnungen. Der Impuls für den Bau des Quartiers ging von Bezirk und Stadt aus: Sie verlagerten die örtliche Grundschule in die HafenCity, was als Kollateralschaden den Abriss der ersten, quasi als Prototyp dienenden Typenschule des Architekten und Baudirektors Paul Seitz von 1957 nach sich zog. Auf dem so frei gemachten Grundstück sollte ein gemischtes Quartier mit einem hohen Wohnungsanteil von 60 % entstehen. Die Hochtief Projektentwicklung griff zu und lobte 2007 einen städtebaulichen und hochbaulichen Wettbewerb aus, den Darlington Meier Architekten aus Zürich gewannen. Das Preisgericht hob positiv die Vermeidung eines starren, geschlossenen Blocks und die Idee von zwei an der Kirche liegenden Plätzen hervor, empfahl jedoch, die Fassaden weiterzuentwickeln und v. a. zu überprüfen, »ob die Blickbeziehung zum Turm der St. Katharinenkirche (…) ausreichend gewährleistet ist«. In der Tat wäre die Sicht von Norden auf eine der bedeutendsten Kirchen der Stadt durch den als Lärmschutz für die Wohnbereiche gedachten Büroriegel an der Willy-Brandt-Straße verstellt gewesen, auch, weil Oberbaudirektor Jörn Walter und die Stadtplaner des Bezirks Mitte hier eine an der Gründerzeit orientierte »städtische« Gebäudehöhe von sieben bis acht Geschossen wollten. Während und nach der öffentlichen Plandiskussion erhob sich, ausgehend von der Kirchengemeinde, ein Sturm der Entrüstung. Zu wenig hatten Bauherr, Politik und Verwaltung offensichtlich die stadträumlichen Auswirkungen und die Sensibilität der Bevölkerung bedacht. Man hätte es besser wissen müssen, denn bereits einige Jahre zuvor führte, nur wenige hundert Meter weiter westlich, der Bau des Michaelis-Quartiers zu einem ähnlichen Eklat, weil eine turmartige Erhöhung die Sicht auf den Michel eingeschränkte.

Lohnende Diskussion

Nun wurde eilig zur öffentlichen Auslegung des Bebauungsplan-Entwurfs nachgebessert, die Höhe des Gewerberiegels auf sechs Geschosse reduziert, eine Glasfuge eingeplant, die Fassaden überarbeitet. Doch dies reichte den Bürgern nicht; ihre Kritik weitete sich aus auf grundsätzlichere Aspekte: Statt das Areal nur einem einzigen Unternehmen zu überlassen, hätte man es in mehrere aufteilen sollen, um Kleinteiligkeit und Vielfalt zu fördern. Die blockartige Struktur zementiere die trennende Wirkung der Durchgangstraße statt sie abzumildern. Und nicht zuletzt entspann sich eine intensive Diskussion darüber, ob die Bürger bei der Entwicklung von Leitlinien für die Stadtentwicklung und der Planung von wichtigen Projekten nicht frühzeitig und intensiv beteiligt werden müssen, was 2012 zur Gründung der Stadtwerkstatt führte. Um ein drohendes Bürgerbegehren abzuwehren, führten Bezirk, Oberbaudirektor und Architekten zahlreiche Gespräche mit dem Kirchenvorstand und der Bürgerinitiative, in denen um die konkrete Umsetzung des Projekts gerungen wurde. Das Konzept des Preisträgers wurde schließlich durch die seinerzeit im Wettbewerb viertplatzierten Architekten KPW Papay Warncke und Partner überarbeitet, weiterentwickelt und zur Baureife gebracht.

Dem nun fertiggestellten Ensemble sieht man seine komplizierte Planungsgeschichte nicht an: Es erscheint trotz unterschiedlicher Fassadengestaltungen und Höhenstaffelung aus einem Guss, prägnant und identitätsstiftend. Bemerkenswert ist, wie KPW Architekten die unterschiedlichen und sich teils widersprechenden Anforderungen dieses ambivalenten Orts erfüllten: Der Büroriegel wurde durch eine schmale Fuge in zwei Körper geteilt, wobei der westliche auf fünf Etagen reduziert wurde, um von Zollenbrücke und Domstraße den Blick auf die Kirche zu erhalten. Die hochformatigen Fenster mit ihren schmalen Aluminiumeinfassungen verdeutlichen das innere Stützraster und die Büronutzung; im EG sind sogar – ein Quantensprung an dieser Straße – Geschäfte vorgesehen. Hinter dem Bürohaus liegen die beiden, ebenfalls C-förmigen Wohnhäuser mit ihren farblich nuancierten Klinkerfassaden. Durch die farbigen Klinkerfelder aber auch durch Einschnitte und eine zart gefaltete Dachlandschaft werden die großen Gebäude differenziert und greifen in abstrakter Form die Parzellenstruktur der einstigen Altstadtbebauung auf. Verbindendes Element sind die markanten Faschen aus Wasserstrich-Klinkern oder Beton-Fertigteilen, die den Fassaden Lebendigkeit und Tiefe verleihen.

Wiederbelebt aber teuer

Städtebaulich hat sich der Masterplan von Darlington Meier bewährt: Die drei Gebäude umfassen Höfe, die genau das richtige Maß zwischen Offenheit und Geschlossenheit finden. Es ist unerwartet ruhig hier, man fühlt sich geborgen und dennoch nicht abgeschlossen von der Außenwelt – auch, weil die von den Landschaftsarchitekten Breimann & Bruun ersonnenen Rasen- und Steinstreifenmuster den gesamten Innenbereich durchziehen und so zusammenfassen. Das Spektrum der Wohnungsgrößen und -zuschnitte ist breit und reicht von 41 m² großen Einzimmerwohnungen bis zu 4,5-Zimmer-Maisonettewohnungen auf großzügigen 160 m². Bewohner der wenigen zu den Straßen orientierten EG-Wohnungen (man hat wohlweislich auch Läden und einen Fahrradraum in diese Zone gelegt) sollten jedoch eine gewisse exhibitionistische Neigung besitzen, denn man kann ihnen (wenn man nicht für Sichtschutz sorgt) durch die tief hinabreichenden Fenster weit in die Privatgemächer schauen. Zwar erscheint die Lage der Bauten direkt an öffentlichen Fußwegen sehr urban, doch hätte vielleicht eine schmale Vorgartenzone das Aufeinandertreffen von Privatem und Öffentlichem ein wenig mehr moderiert. Die ebenfalls mutige Entscheidung, die Wohnhäuser nah an die Kirche heranzurücken, war hingegen goldrichtig. Sie steht nun nicht mehr verloren für sich, sondern ist eingebettet in ein städtisches Umfeld, und der Bereich zwischen ihr und dem Quartier wird sich, wenn denn einmal der kirchliche Parkplatz aufgegeben wird, zu einem lauschigen Platz entwickeln. Als Wermutstropfen bleiben die nicht unerheblichen Wohnungspreise von 16 bis 17 Euro pro m², die der Entwicklung eines auch sozial gemischten Quartiers entgegenstehen. Die Zeiten, als dieser Teil Hamburgs die Heimat der Ärmeren war, sind eben lange vorbei. Doch funktional, städtebaulich und architektonisch markiert das Katharinenquartier, nach vielen vertanen Chancen, endlich den Anfang vom Ende der City und einer Wiedererweckung der Stadt. Das dies erreicht wurde, ist nicht zuletzt auch ein Verdienst der Bürger, deren Engagement ein gutes Projekt noch besser gemacht hat.

db, So., 2014.07.06

06. Juli 2014 Claas Gefroi

Insel in Weiss

(SUBTITLE) Quartier Killesberghöhe in Stuttgart

Neuanfang am Rand des Stuttgarter Talkessels: Seit anderthalb Jahren füllen sich Geschäfte, Büros, Arztpraxen, Wohnungen, eine Kita u. a. im Quartier Killesberghöhe mit Leben. Die anspruchsvolle Architektur und die hochwertig gestalteten Außenräume sind auf den ersten Blick bestechend. Doch bei Liebe auf den ersten Blick ist manchmal auch ein zweiter nötig.

Es war eine Jahrhundertchance und entsprechend hoch waren die Erwartungen. Als Stuttgart 2007 seine Messe vom Killesberg vor die Tore der Stadt verlagerte, wurden auf einen Schlag 18 ha Gelände in bester Lage frei. Direkt an einem Park, der bereits Gegenstand mehrerer Gartenschauen war, und in Nachbarschaft zur Weißenhofsiedlung – die 1927 als Bauausstellung weltweit für Aufsehen sorgte – wollte man einen anspruchsvollen Neuanfang wagen.

Das größte Teilgebiet ist mittlerweile fertiggestellt und seit 18 Monaten in Benutzung – Zeit für eine Zwischenbilanz. Neben rund 100 Wohnungen des oberen Marktsegments beherbergt es ein Stadtteilzentrum, das lang ersehnt auch den bestehenden umliegenden Quartieren Einkaufsmöglichkeiten bietet. Das Gelände, auf dem das neue Quartier entstand, hat jedoch seine Tücken: Zwar grenzt es an zwei Seiten an den Höhenpark Killesberg, an den anderen beiden Seiten jedoch an stark befahrene Straßen mit bis zu sechs Spuren. Dies führt zu einer etwas isolierten, inselartigen Lage. Dennoch ist das Gebiet gut an den ÖPNV angeschlossen, so fährt die U-Bahn vor der Haustür in sieben Minuten direkt ins Zentrum von Stuttgart.

Um eine qualitätvolle Bebauung sicherzustellen, hatte die Stadt gleich zwei Wettbewerbe durchgeführt. Im ersten Verfahren – es wurde von Ackermann + Raff gewonnen – ging es um die städtebauliche Grundkonzeption. Da die Stadt das Gebiet anschließend nicht selbst entwickeln wollte, lobte sie in einem zweiten Schritt einen europaweiten Realisierungswettbewerb aus, der sich an Teams aus Bauträgern und Architekten richtete. Hier punktete der österreichische Investor Fürst Developments, indem er gleich vier international renommierte Architekturbüros hinter sich versammelte: O&O Baukunst war für die Gesamtplanung verantwortlich, entwarf das Einkaufszentrum und errichtete drei Wohnhäuser entlang der Stresemannstraße; David Chipperfield steuerte ein Wohngebäude mit angegliederter Kindertagesstätte bei und KCAP sowie Baumschlager Eberle je drei Stadtvillen.

Einheit und Vielfalt

Was zunächst auffällt, ist die wohltuende Wirkung als Gesamtensemble. Alle Gebäude sprechen die gleiche Sprache und schlagen als schlichte hellbeigefarbene Baukörper mit Flachdach eine gestalterische Brücke zum Weißenhof. Trotz dieser Einheitlichkeit kommt keine Langeweile auf, weil die Bauten sich im Detail unterscheiden. So wechseln sich die unterschiedlichen Putzarten der Fassadenflächen, ob Kratzputz oder glatt, mit hellem geschlämmtem Sichtmauerwerk ab. Mal gliedern hellgraue Betongesimse die Fassaden, mal Fenstergewände aus hellem Naturstein. Immer jedoch sind die Gebäude hochpräzise und qualitätvoll ausgeführt. Den harmonischen Gesamteindruck wird umso mehr schätzen, wer den baulichen Wildwuchs auf der gegenüberliegenden Seite des Parks erblickt. Dort entsteht auf einem anderen Teilstück des alten Messegeländes gerade ein Einfamilienhausgebiet, bei dem sich die Stadt – aus Furcht, sonst die hochpreisigen Grundstücke nicht verkaufen zu können – nicht zu stringenteren Gestaltungsregeln im Bebauungsplan durchringen konnte. Im Vergleich zu diesem Viertel zeigt sich am Quartier Killesberghöhe, dass die Vergabe an nur einen Bauträger durchaus große Vorteile haben kann und dass der Begriff »Investorenarchitektur« kein Schimpfwort sein muss.

So ist auch das Einkaufszentrum sehr diszipliniert gestaltet. Selbst die sonst üblichen schreienden Leuchtreklamen sind verbannt, stattdessen wurden alle Mieter auf einheitliche schwarzweiße Schilder eingeschworen. Die Geschäfte decken ein breites Spektrum vom Aldimarkt bis zum Feinkostladen ab, sodass dort nicht nur die Bewohner der »Premium Wohnungen«, sondern auch Studenten der nahegelegenen Kunstakademie das passende Angebot finden. Ein Restaurant und zwei Cafés sorgen zudem auch außerhalb der Einkaufszeiten für Leben auf dem Quartiersplatz. Noch allerdings stehen ein paar Geschäfte leer.

Weil sämtliche Stellplätze in einer Tiefgarage untergekommen sind, bleiben alle Wege und Plätze frei von Autos, was die Aufenthaltsqualität der Außenräume deutlich erhöht. Hinzu kommt deren sorgfältige Gestaltung, die sich selbst auf Details wie etwa die Fahrradständer erstreckt. Besonders erfreulich ist, dass eine breite Öffentlichkeit in den Genuss dieses Stadtraums kommt, obwohl es sich um privaten Grund handelt. Da in den Stadtvillen ausschließlich eine sehr gut betuchte Klientel wohnt, hätte hier schnell eine Art Gated Community entstehen können, die sich nach außen abschirmt – die Stadt hat sich jedoch das Gehrecht sichern lassen, sodass alle Wege durchs Quartier öffentlich zugänglich bleiben.

Chancen verpasst

Genau hier beginnt sich allerdings zu rächen, dass man vom ursprünglichen städtebaulichen Konzept abgewichen ist. Ackermann + Raff hatten zwei u-förmige Gebäude vorgesehen, die jeweils einen sich zum Park öffnenden Hof umschlossen, der das Freiraumangebot sinnvoll ergänzt hätte: Zusätzlich zu den öffentlichen Räumen hätte er den Bewohnern einen geschützten Außenraum bieten können. Die stattdessen realisierten Stadtvillen sind nun rundum den Blicken aus dem öffentlichen Raum ausgesetzt. Dass dies für die Wohnungen im Parterre von Nachteil ist, lässt sich dort an den fast durchgängig heruntergelassenen Rollläden ablesen. Besonders deutlich wird das an denjenigen Stellen, an denen die Wege ohne jeden halböffentlichen Puffer direkt an der Fassade entlang führen. Probleme mit mangelnder Privatsphäre scheint es auch bei den Gärten vor den EG-Wohnungen zu geben – selbst an einem frühsommerlichen Samstagnachmittag hielt sich dort kaum jemand auf. Hier wurde bei der Planung die Chance verschenkt, das sanft ansteigende Gelände so auszunutzen, dass die privaten Freiräume gegenüber den öffentlichen leicht erhöht liegen. Weil manche Gärten sogar tiefer angeordnet sind, wird man sich dort stets beobachtet fühlen.

Auch bei den beiden Straßenräumen, die das Quartier begrenzen, wirft der Umgang mit der Topografie Fragen auf. Weil die Gebäude auf einem gemeinsamen einheitlichen Plateau stehen, die Stresemannstraße im Osten jedoch stetig abfällt, müssen Passanten dort an einer bis zu 5 m hohen fensterlosen Tiefgaragenwand entlanggehen. An dieser wenig einladenden Situation kann auch die sehr sorgfältige Gestaltung mit einem plastischen Mauerwerksrelief nicht viel ändern. Nach Südwesten liegt das Plateau dann bereits unter Straßenniveau, sodass die Geschäfte dort wiederum ins Tiefparterre rutschen. Um solche »Knackpunkte« zu vermeiden, wäre sicherlich eine stärker gestaffelte Bebauung, die dem Gelände hätte folgen können, hilfreich gewesen.

Was die Nutzungsmischung im Quartier angeht, hatten Ackermann + Raff mehr vorgesehen, als nun verwirklicht wurde. Sowohl die Galerie- und Arbeitsräume für die Kunstakademie als auch die Studentenwohnungen hätten für eine größere Vielfalt gesorgt. Doch für solch wenig rentablen Nutzungen blieb dem Investor Fürst Develompents vermutlich kein finanzieller Spielraum mehr. Dieser hatte die Stadt nicht nur mit seiner architektonischen Konzeption überzeugt – sondern eben auch mit einem der höchsten Angebote für den Baugrund. Außergewöhnliche Grundrisslösungen, etwa für Cluster-Wohnungen oder Mehrgenerationen-Einheiten, die zu einer stärkeren sozialen Durchmischung hätten führen können, hatten so keine Chance. Wohngebäude, die ihrer Zeit voraus sind wie seinerzeit am Weißenhof, sucht man vergeblich. Insofern ist das selbstgesteckte Ziel, der hochkarätigen Nachbarschaft gerecht zu werden, verfehlt.

Letzte Gelegenheit

Abschließend bewerten kann man das Quartier jedoch erst, wenn auch der letzte Baustein am Killesberg fertiggestellt sein wird. Südlich der Straße »Am Kochenhof« sind in den kommenden Jahren rund 100 weitere Wohnungen geplant, die sicherlich für mehr Leben im Quartierszentrum und eine höhere Auslastung der Geschäfte sorgen werden. Der städtebauliche Wettbewerb wird dieser Tage entschieden. Erklärte Absicht ist es, auf dem neuen Baugebiet v. a. Baugruppen zum Zuge kommen zu lassen. Statt die Grundstücke jeweils an den Meistbietenden zu verkaufen, will die Stadt dazu jeweils einen Fixpreis festsetzen. Baugruppen können sich mit ihren Konzepten um die Parzellen bewerben, die dann nach ökologischen, architektonischen, sozialen – und eben nicht nach finanziellen – Gesichtspunkten vergeben werden. Damit besteht die Möglichkeit, dass wenigstens dort an das angeknüpft wird, was einst die Weißenhofsiedlung auszeichnete und Architekturgeschichte schrieb: Wohnungsbau mit Mut zum Experiment.

db, So., 2014.07.06

06. Juli 2014 Christian Schönwetter

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