Editorial

Vor etwa einer Million Jahren domestizierte der Mensch das Feuer.
Das Element hat die Entwicklung unserer Zivilisation massgeblich vorangetrieben. Es macht Land ­urbar, es dient dem Kochen und dem Schmieden von Werkzeug. Doch die Gefährlichkeit des Feuers blieb – und ­damit zugleich der Wunsch, seine zerstörerische Kraft zu kon­trol­lieren.

Feuer kann aber auch Teil der Architektur sein:
In Japan werden seit Jahrhunderten mit grossem handwerklichem Geschick seidenmatt ­angekohlte Holzfassaden gefertigt. Diese Technik bekämpft Feuer sozusagen mit Feuer, denn sie dient neben dem Insekten- auch dem Brandschutz.

Ganz andere Möglichkeiten bietet das stöchio­metrische Verfahren moderner Brandsimula­tions­anlagen. Durch spurenfreie und gefahrlose Realbrandversuche lässt sich der Ernstfall ­erproben – quasi bei kompletter Inneneinrichtung. Dabei kommen mobile Geräte zum Einsatz, die einen Brand simulieren. Ebenfalls zu Übungszwecken wird in Brandhäusern an fest einge­bauten Inte­rieurs gasbetriebenes Feuer nahezu endlos entfacht und wieder gelöscht.

Obwohl das Feuer in unserem Alltag weitgehend gebändigt ist, bleibt es faszinierend. Als Teil der Architektur inspiriert es die Entwerfenden – und darüber hinaus regt es an, über die ­Beziehung unserer modernen Welt zu dem ­archaischen Element nachzudenken.

Danielle Fischer

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Einklang von Material und Gestaltung

14 PANORAMA
Der Alleskünstler | Ciné Rex mal fünf

18 VITRINE
Leuchtende Innovationen

22 DREI WEGE ZUM ENTWERFER
Kennzahlen­umfrage unter Planungsbüros | Leichte Eintrübung

27 VERANSTALTUNGEN

28 SPIEL MIT DEM FEUER
28 HERR FUJIMORI UND DAS FEUER
Hannes Rössler
Die Häuser des japanischen Architekten Terunobu Fujimori weisen besonders vielfältige ­Beziehungen zu Feuer auf.

33 HEISS, ABER HARMLOS
Nina Egger
In schwierigen Fällen können Realbrand­anlagen bei Gebäuden Computersimulationen ersetzen.

39 STELLENINSERATE

45 IMPRESSUM

46 UNVORHERGESEHENES

Herr Fujimori und das Feuer

Die verkohlten Zedernholzfassaden der Bauten des japanischen Architekten Terunobu Fujimori vereinen moderne und traditionelle Ästhetik. Die thematische Auseinandersetzung des Architektur-Alchemisten mit Feuer ist damit jedoch bei Weitem nicht ausgeschöpft.

Gottfried Semper rückt den Herd als «moralisches» Element ins Zentrum des Hauses. In seiner frühen Schrift «Die vier Elemente der Baukunst» aus dem Jahr 1851 nennt er den Herd als erstes. Danach folgen das Dach, die Umfriedung und der Erdaufwurf. Auch die faszinierenden Häuser des Architekten Terunobu Fujimori sind auf vielfache Weise mit dem Element des Feuers verbunden. Bereits auf Fotos, und viel mehr noch in der unmittelbaren Erfahrung und Benutzung, ist dies erlebbar.

Die Feuerstellen in seinen Häusern sind offensichtlich bestimmend für den Entwurf: Bei den kleinen Teehäusern, ausgehend vom schwankenden Takasugi-an auf dem väterlichen Grundstück in Chino, spielt das Feuer für die Nutzung eine zwingende Rolle. Das Teehaus ist die Quintessenz japanischer Kultur, vielfach interpretiert und stilisiert. Auch bei den meisten Wohnhäusern Fujimoris sind Teehäuser als eigenständige Bauteile angebaut – als Türme, Erker oder Aufsätze. Der Weg dorthin ist immer verborgen oder erschwert. Das ist bei Teehäusern seit jeher üblich, um ein Gefühl von Distanz und Abgeschiedenheit zu bewirken.

Fujimori wählt eine andere, neuartige Weise, meist mit einem überraschenden Richtungswechsel nach oben. Wie mit vielen anderen Traditionen Japans setzt er sich in seinem Werk mit der Teekultur kritisch auseinander. Dies hängt damit zusammen, dass er erst im Alter von 50 Jahren als Architekt zu bauen begonnen hat. Bis dahin war er als Architekturhistoriker mit vielen Auszeichnungen für seine Forschungen zur japanischen «Vormoderne» geehrt worden. Fujimori mag – nach eigener Aussage – die mittlerweile allzu formalistisch und kostspielig gewordene Teezeremonie nicht besonders. Eine stundenlange Abfolge von genau vorgeschriebenen Handlungen widerspricht vielleicht auch nur seinem umtriebigen Wesen. Trotzdem trinkt er, wenn er mit seinen Freunden interessante Gespräche führt, gern mit ihnen den starken, schaumigen Matcha-Tee. Es ist ein besonderes Erlebnis, von ihm den Tee zubereitet zu bekommen: Zügig wird Holzkohle aufgeschüttet, die Feuerstelle geschürt, in einer schweren Eisenkanne Wasser gekocht, das starke grüne Teepulver mit dem Pinsel in der groben Schale geschäumt, die gemeinsame Tasse angeboten, getrunken und genossen. Seine Einstellung ähnelt vielleicht der von Sen no Rikyu, der im 16. Jahrhundert die Teezeremonie in Japan erneuerte und bereinigte: «Die Kunst besteht einfach darin, Wasser zu kochen, Tee zu bereiten und ihn zu schlürfen – das ist alles.»

Das zu hohe Teehaus

Bei Fujimoris Takasugi-an, dem «zu hohen Teehaus», ist die Feuerstelle nur ein einfacher, sandgefüllter Ausschnitt der Rattanmatten in einer Raumecke. Dieser uralte Herdtyp wird traditionell in Teehäusern verwendet, auch wenn ihn hier seine Schmucklosigkeit auszeichnet. Darüber dient ein einfaches Loch in der Decke, von einem dürren Schornsteinrohr verlängert, als Rauchabzug, dessen Funktionsfähigkeit der Architekt mehrfach verbessert hat. Der innenseitig vergoldete Dachaufsatz fängt die Strahlen des Morgenlichts ein. In dem winzigen, kuppelartigen Innenraum gibt es nichts, was die Aufmerksamkeit ablenken könnte. Nach dem abenteuerlichen Einstieg über zwei hohe Leitern und die enge Schlupftür erscheint der Raum dennoch wohlproportioniert, grosszügig und befreiend. Ausser dem Feuer lenken nur die Fenster die Aufmerksamkeit auf ausgewählte Punkte: die Berge in der Ferne, einen knospenden Strauch in der Nähe. Seit jeher gehört diese synästhetische Choreografie zur Gestaltung der Teehäuser.

Fujimoris umfangreiche Kenntnisse der Baugeschichte und seine Suche nach Verlorenem und Vergessenem führten dazu, dass er offenes Feuer im Haus so herausstellt. Dabei muss man nicht einmal bis zu seinem expliziten Bezug auf die steinzeitliche Jomon-Periode zurückgehen. Noch bis in die Neuzeit ist der offene Feuerplatz ein Merkmal aller japanischen Bauernhäuser. Hier kocht das Teewasser, und die Bewohner sitzen wie um ein Lagerfeuer in dem ansonsten unbeheizten Haus. Nicht immer gestaltete Fujimori die Feuerstellen in seinen Häusern so wirkungsstark. Er selbst nennt als auslösendes Moment dafür seine Reise ins Vallée de la Vezère. Dabei besuchte er die Grotte von Lascaux und lernte die alte Architektur der Dordogne mit ihren aussen wie innen dominierenden Kaminen und Schornsteinen kennen.

Flammen-Experimente

Bei seinem Schlüsselwerk Haus Yakisugi, dem Haus der verkohlten Zedern, gibt es offenes Feuer nicht nur im auskragenden Teehaus, sondern auch im holzüberwölbten Wohnzimmer: Dort wurde in einem Guss mit dem gebogenen, weiss verputzten Wandschirm ein Kaminofen zur Küche gebaut. Er bildet das skulpturale Gegenstück zum Ausblick in den lichtdurchfluteten Garten auf ein Meer aus Zwergbambus. Das Ofenrohr ragt bis ins Dach hinein. Um seinen Zweck zu betonen, ist alles mit schwarzen Kohlestückchen verziert, die organisch auf der Wandscheibe verteilt sind. Zugleich stellen sie einen Bezug her zur Aussenhaut des Hauses aus verkohlten Zedernbrettern, einem zweiten herausragenden Merkmal von Fujimoris Bauten.

Die Verwendung verkohlter Fassadenverkleidung entsprang ursprünglich wohl seiner Abneigung gegen die in Japan typischerweise verwendeten unbehandelten Zedernbretter. Als Verfremdung und mit Bezug auf eine traditionelle Technik des Holzschutzes bei Fischerhäusern in Mitteljapan experimentierte Fujimori lange mit dem Abflammen der Oberfläche bei grossen Brettlängen. Schliesslich gelang es ihm. Diese Verkleidung gilt in der japanischen Wahrnehmung als bäurisch und ungehobelt und wurde von Architekten nie geschätzt. Gerade deshalb setzt Fujimori sie ausserhalb ihres Kontextes wieder ein und gestaltet durch die weissen Fugen einen neuartigen, grafischen Kontrast. Er erweiterte so seine Ausdrucksmöglichkeiten: Nach seinen frühen Entwürfen konfrontiert er die Betrachter bei der Aussenhaut vieler Häuser mit dem Element des Feuers. Die spröden, porösen, taktil angenehmen Flächen sind übrigens keineswegs stossunempfindlich. Einen weiteren Bezugspunkt zum Feuer stellen schliesslich die vielen, oft von ihm handgeschmiedeten Bauteile wie Geländer, Verstrebungen, Griffe und Beschläge dar. Seine Fertigkeit hat der Autor selber beobachtet.

Hat Terunobu Fujimori vielleicht in der Nachfolge von Gottfried Semper in eigenen «Fünf Punkten» das Feuer wieder aufgegriffen? Er setzt seine Schwerpunkte denen von Le Corbusiers Manifest «Vers une architecture» entgegen. «Moralisch» ist Feuer für ihn auch, weil es die soziale, Frieden stiftende Qualität der Gemeinschaft herausstellt. Seine anderen umfassenden Punkte sind Pfosten, Höhle, Erde und geneigtes Dach. Er stellt sich mit seinen Thesen nicht naiv als anerkannter Forscher in die ernsthafte Tradition der grossen Theorien. Vielmehr überwindet er seine bedrückenden Perspektiven auf den Raubbau unserer Zivilisation, die er in seinem Modell für Tokio dargestellt hat. Schliesslich ist er ein eigenwilliger Architektur-Alchemist unserer Tage geworden. Mit seinen fünf Elementen liefert er einen kritischen Katalysator für sein Zukunftskonzept einer «roten» Architektur – individualistisch, primitiv, im Einklang mit der Natur und im weitesten Sinn human. Das Feuer bleibt in der Mitte.

TEC21, Fr., 2014.05.16

16. Mai 2014 Hannes Rössler

Heiss, aber harmlos

Russ und Asche sind unerwünschte Nebenprodukte, wenn es darum geht, die Wärme- und Rauchausbreitung eines Brands nachzustellen.
Ein neues Verfahren simuliert Brände verunreinigungs- und zerstörungsfrei.

Um die Gefahr durch einen Brand zu minimieren, wird der Entstehung und Ausbreitung eines Brands baulich vorgebeugt. Sollte es dennoch dazu kommen, dass es brennt, gibt es Massnahmen, die gewährleisten, dass sich alle Anwesenden ausreichend schnell in Sicherheit bringen können. Für die Zeit der Evakuierung muss eine raucharme Schicht vorhanden sein, in der sich die Personen fortbewegen können. Daher muss in einem Konzept die Rauch- und Wärmeausbreitung geplant werden.

Wenn ein Brandschutzkonzept objektspezifisch zu erstellen ist, wird es rechnerisch nachgewiesen und mit einer Computersimulation überprüft. Zur Verifizierung der numerischen Simulation bietet sich zusätzlich ein Versuch am gebauten Objekt an.

Dazu gibt es drei Arten von Rauchtests, die alle wertvolle Resultate, aber auch Probleme mit sich bringen. Mit dem Kaltrauchtest kann lediglich die Funktionalität der Rauchabzüge überprüft werden, es gibt keine Rauchschichtung. Warmrauchtests stellen zwar die Rauchschichtung dar, aber wegen der zu geringen Temperatur keine realistische. Die Wärmeverteilung entspricht nicht der eines realen Brands.

Beim Realbrandversuch werden bislang flüssige Kohlenwasserstoffe in Form von sogenannten «poolfires» verbrannt. Damit lassen sich zwar die Wärmeentwicklung nachbilden und Temperaturen im Versuchsraum untersuchen, aber es bleiben Rückstände der Verbrennung an den Wänden und der Decke zurück. Die Beseitigung der Verunreinigungen stellt einen zusätzlichen finanziellen Aufwand dar.

In einer Forschungsarbeit hat ein Team der Basler&Hofmann AG Zürich in Zusammenarbeit mit der University of Edinburgh einen neuen Realbrandversuch entwickelt, mit dem ein breites thermisches Spektrum und die Rauchausbreitung nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ untersucht werden können. Ziel war es, die Verschmutzung des Untersuchungsraums und eine mögliche Gefährdung der Anwesenden sowie die potenzielle Beschädigung von Bauteilen zu vermeiden.

Die mobile Anlage in der Grösse eines Tischs besteht aus einem Gasbrenner und der Nebelmaschine sowie im Raum verteilten Sensoren zur Temperaturaufzeichnung. Dem Propangas im Brenner wird gezielt und unter Druck so viel Sauerstoff zugeführt, dass die Verbrennung im stöchiometrischen Gleichgewicht passiert. Stöchiometrisch bedeutet, dass in der chemischen Reaktionsgleichung kein Rest bleibt. Alle Atome, aus denen sich die Moleküle des Ausgangszustands zusammensetzen, werden im Endzustand gebraucht.

Die Kardinalgleichung für die Verbrennung von Propangas lautet: C3H8+5O2->3CO2+4H2O. Für jedes Mol Propan müssen also 5 Mol O2 zugeführt werden, um eine vollständige Verbrennung zu gewährleisten. Bei Methan wäre das Verhältnis für die stöchiometrische Verbrennung 1 : 2. Abgesehen davon, dass die stöchiometrische Verbrennung sauber ist, wird dabei fast ausschliesslich (98 %) konvektive Wärme freigesetzt. Diese ist die für Rauch- und Wärmeabzugsanlagen relevante Wärmeform. Bei einem Naturbrand von 1.9 MW ist ca. ein Drittel der Wärme Strahlungswärme. Das heisst, im Realbrandversuch müssen 1.25 MW konvektive Wärme erzeugt werden, um den Naturbrand nachzustellen. Durch die geringe Strahlungswärme müssen die den Test durchführenden Personen seitlich der Flamme kaum Abstand halten.

Um den Rauch eines natürlichen Brands nachzustellen, wird oberhalb des Brandherds ein hitzebeständiges, niederschlagsfreies Nebelfluid zugeführt. Unter der Hitzeeinwirkung des Brenners verhält es sich genauso, wie Rauchgas es tun würde. Damit wird die Rauchschichtung, die es bei einem Naturbrand gäbe, sicht- und messbar.

Die Wärmefreisetzung wird stufenweise geregelt, wodurch die ganze Bandbreite eines Brands abgedeckt wird. Beliebige Brandverläufe werden auf diese Weise nachgebildet. Die Messung der Temperaturen und die Darstellung des Rauchs sind dadurch realitätsnäher, als dies bei konstanter Hitze der Fall wäre.

Der neu entwickelte Realbrandversuch weist die raucharme Schicht während der Evakuationsphase realistisch nach. Der Versuch kann in Gebäuden, Tiefgaragen und Tunnels durchgeführt werden. Er überprüft die Realitätsnähe von Simulationen, wenn diese aufgrund einer komplexen Gebäudegeometrie die Realität nicht exakt genug abbilden können.

TEC21, Fr., 2014.05.16

16. Mai 2014 Nina Egger

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