Editorial

Zehn Jahre lang bis zur Per­fektion die gleichen Falten, Knoten und Stiche üben – was für die meisten Menschen wie ein Alptraum klingt, ist für die japanischen Shibori-­Meister eine ­Stufe auf dem Weg zur Könnerschaft. Sich einer Tätigkeit bis zur vollkommenen Beherrschung zu widmen ist in unserer Arbeitswelt, die nach Effizienz ruft und sich in Projekten organisiert, entweder Wahnsinn oder Luxus.

Und doch: Die Einheit von Hand, Herz und Hirn, die sich in der virtuosen Ausübung eines Handwerks manifestiert, fasziniert. Meist entstehen auf diese Weise Objekte oder Oberflächen mit dem Charme des kalkulierten Zufalls und der Handschrift des Herstellers. Perfektion langweilt, handgemacht ist ein Gütesiegel.

Innovation schliesst das nicht aus. Im Gegenteil: Die meisterhafte Beherrschung eines Verfahrens und das ­profunde Wissen um einen Herstellungsprozess ermöglicht dessen Verfeinerung und Weiterentwicklung. Im besten Fall wird der Handwerker dabei zum Vermittler zwischen Prozess und Konzept.

Dieses Heft ist Einladung und Plädoyer zugleich: eine Einladung, sich an den präsentierten Handwerkskünsten zu erfreuen, sich vielleicht sogar für eigene Projekte inspirieren zu lassen. Und ein Plädoyer dafür, sich trotz dem für unser Empfinden hohen Zeitbedarf wieder auf das Handwerk einzulassen. Der Return on Investment – um im aktuellen Jargon zu bleiben – ist garantiert.

Tina Cieslik

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Ausschreibungen/Preise | Wohnen statt spinnen und weben

10 PANORAMA
«Eine Chance, unsere ­Standards zu heben» – Interview mit Dietmar Eberle

14 VITRINE
Lebendige Oberflächen

16 INAHLT DES ARBEITSVERTRAGS
Effizienzwissen vernetzt | Aktualisierte SIA-Register

19 VERANSTALTUNGEN

20 GEZUPFT, GERUPFT, GETUPFT

20 JAPANISCHE FALTEN
Tina Cieslik
Historisches Handwerk, neu interpretiert: die japanische Textilfärbetechnik Shibori.

24 KIRGISISCHER FILZ
Tina Cieslik
Historisches Handwerk, neu entdeckt: Shyrdaks, Filzteppiche aus Kirgisistan.

27 «EIGENTLICHE PASST DAS MATERIAL NICHT IN UNSERE ZEIT»
Tina Cieslik
Historisches Handwerk, weiterentwickelt: der marokkanische Kalkputz Tadelakt – Interview mit Claude Bickel

AUSKLANG

32 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Japanische Falten

Shibori, die jahrhundertealte japanische Textilfärbetechnik, ist in Europa angekommen. Junge Textildesigner entwickeln das Verfahren weiter: Statt Kimonos schmücken die Stoffe nun Haute Couture und Interieurs.

Landschaften aus Miniaturvulkanen, Spuren von Wind im Sand oder Stacheln einer Koralle – die Vielfalt an Formen und Mustern der japanischen Shibori-Stoffe scheint nahezu grenzenlos. Jahrhundertelang veredelten Shibori-Künstler in aufwendiger Handarbeit die Stoffe für Kimonos. In den letzten Jahren feierten die Textilien ihren Einzug in die zeitgenössische Mode, so in Kollektionen von Issey Miyake, Yohji Yamamoto oder Oscar de la Renta. Nun erobern sie auch die Innenräume: als Überzüge von Leuchten und als Wohntextilien.

Knautschen gegen Farbe

Shibori sind reservegefärbte Stoffe. Nähte oder sogenannte Abbindereservierungen (das enge Umwickeln einzelner Stoffpartien) verhindern, dass das Textil an diesen Stellen die Farbe annimmt. Je stärker der Stoff gepresst wird, desto weniger Farbe gelangt ins Innere der Faltung. Früher verwendete man dafür meist Indigo, Randen oder Färberkrapp, heute sind es synthetisch hergestellte Farben. Löst man die Reservierungen, zeigen sich in den Mustern die Spuren der Vorbehandlung – der Stoff behält die Erinnerung an die Form.

Der Begriff «shibori» umfasst sowohl die Technik als auch das fertige Produkt. Der Ursprung des Worts – der Infinitiv «shiboru» bedeutet «wringen, pressen, drücken» – betont allerdings weniger den Aspekt des Färbens als das, was vorher mit dem Stoff geschieht: Durch Falten, Knautschen, Heften, Flechten, Verdrehen und Zupfen kreieren die Shibori-Künstler eine dreidimensionale Form aus dem flächigen Textil. Ähnliche Verfahren werden in vielen Kulturen verwendet, so in Westafrika (adire), Indien (bandhani) oder in Malaysia (plangi). Im englischen Sprachraum ist die Praktik unter der Bezeichnung «tie-dying» bekannt. Nirgendwo ist die Technik jedoch so vielfältig und differenziert wie in Japan: Hier gibt es über hundert verschiedene Arten von Shibori. Für ein Werkstück benötigen die Handwerker 10 bis 20 Tage.

Abbinden statt applizieren

In Europa werden die auf diese Weise gefärbten Stoffe oft unter dem Begriff «Batik» zusammengefasst. Tatsächlich handelt es sich jedoch um zwei verschiedene Techniken: Beim Shibori wird das gewünschte Dessin über die Flexibilität des Stoffs, über das Eindrehen, Zusammenfalten oder Abbinden einzelner Stoffpartien erreicht. Bei der aus Indonesien stammenden Batik (mbatik = mit Wachs schreiben) trägt man Muster mit flüssigem Wachs auf den Stoff auf, die bedeckten Stellen bleiben anschliessend vom Färben ausgenommen. Im Gegensatz zu diesen Mustern, die sich durch Präzision und scharfe Kanten auszeichnen, wirken die Bilder des Shibori weich und leicht verschwommen.

Nach Japan gelangte das Verfahren etwa im 8. Jahrhundert aus China. Baumwoll-, Hanf- und Seidenstoffe für Kimonos wurden auf diese Weise veredelt. Im 19. Jahrhundert nahmen Produktion und Bedeutung der Stoffe ab, bis sie nach dem Zweiten Weltkrieg, auch durch die Adaption westlicher Mode, weitgehend in Vergessenheit gerieten. Erst in den 1980er-Jahren erlebte Shibori ein Comeback. Vor allem in Kyoto und in Arimatsu-Narumi, heute ein Teil der Millionenstadt Nagoya auf der Insel Honshu an der japanischen Ostküste, lebte die Tradition hingegen fort und wurde weiterentwickelt. Das Aufkommen synthetischer Stoffe wie Polyester erlaubt es heute beispielsweise, die dreidimensionalen Strukturen, die durch das Abbinden entstehen, über eine Hitzebehandlung zu fixieren. Die Transformation von flächigem Textil zu räumlichem Stoff eröffnet eine Vielzahl an neuen Gestaltungsmöglichkeiten.

Holz und Streifen, Sturm und Spinnen

Shibori umfasst drei Arbeitsschritte – Schablonieren, Binden, Färben –, die jeweils von einem Spezialisten ausgeführt werden. In einer ersten Phase wird das gewünschte Design auf einen Bogen Papier gezeichnet. Anschliessend hämmert der Shibori-Künstler entlang der Konturen kleine Löcher in das Papier. Diese Schablone wird nun auf den Stoff gelegt und mit Farbe bestrichen, sodass das Muster auf den Stoff gelangt. Die Konturen zeigen an, wo der Stoff in einem zweiten Schritt zusammengeheftet wird. Die unzähligen Varianten des Shibori lassen sich grob in vier Gruppen einteilen: Zusammenbinden, Heften, Falten und Wickeln (nachfolgend wird je ein Beispiel pro Gruppe erläutert). Häufig dient ein Holzständer (tesuji dai) als Hilfsmittel, vor dem man sitzend arbeitet. Je nach Technik ist dessen Spitze unterschiedlich ausgebildet (Abb. Seite 23).

Zusammenbinden: An Spinnweben erinnern die Muster des Kumo Shibori. Diese Technik ist eine der ältesten: Bilder aus dem 12. Jahrhundert zeigen diese Muster, oft sind sie auch auf Holzschnitten der Edo-Zeit (1603–1868) zu sehen. Dabei werden Partien des Stoffs mit einem Winkelhaken aus Metall zu kleinen Hörnern zusammengezogen und mit einem nassen Faden umwickelt (Abb. Seite 23 und Titelbild).

Heften: Mokume Shibori (Holzmaserung) besticht durch seine Gleichmässigkeit und den wellenförmigen Kontrast zwischen Hell und Dunkel. Um diesen zu erzielen, ordnet der Shibori-Künstler parallel zum Schussfaden verlaufende Heftnähte übereinander an. Jeder Faden wird am Ende verknotet, sodass sich der Stoff zusammenziehen lässt. Die dabei entstehende Faltung erinnert an ein Akkordeon. Beim Färben bleiben die Innenseiten der Falten von der Farbe unberührt, es bildet sich ein enges lineares Muster, das der Maserung von Holz gleicht (Abb. links).

Falten: Für das Tesuji Shibori (Streifen von Hand) benötigt man den Holzständer, in dessen Basis ein Bambusstab mit einer V-förmigen Öffnung an der Spitze fixiert ist. Der feuchte Stoff wird in Plisséefalten gelegt und mit einem Faden umwickelt. Der Handwerker legt die Spitze der Rolle in den Bambusstab, das andere Ende hält er straff, indem er darauf sitzt. Nun umwickelt er die Falten im Abstand von etwa 4 cm eng mit einem Faden.

Wickeln: Ein bekannter Vertreter dieser Technik ist der Arashi Shibori (Sturm). Dafür wird der Stoff – traditionell ist es ein 3.60 × 12.8 m grosses Kimonotuch – um einen 3.65 m langen, leicht konischen polierten Holzstab geschlungen. Der Stoff wird nun im Abstand von etwa 4 cm eng mit einem Faden umwickelt. Anschliessend wird er zusammengeschoben, sodass sich kleine Falten bilden, wo der Stoff zusammengedrückt wird. Nach dem Färben zeigt sich ein Muster, das an windgepeitschten Regen erinnert.

Nach diesen Vorbereitungsarbeiten kann der Stoff in einer dritten Phase gefärbt werden. Zum Schluss löst man die Reservierungen, und das Muster kommt zum Vorschein. Liegt der Schwerpunkt auf den dreidimensionalen Formen statt auf der Färbung, wird auf Letztere verzichtet, stattdessen erfolgt eine Hitzebehandlung.

Die Qualität des Zufälligen

Wie traditionelles Handwerk ganz allgemein hat auch Shibori stark an Bedeutung verloren. Zwei Jahre an einem einzigen Kimono zu arbeiten – früher durchaus üblich – passt nicht mehr in eine Zeit, die von Effizienz geprägt ist. Gleichzeitig findet vor allem in den Shibori-Zentren Kyoto und Arimatsu-Narumi eine Rückbesinnung auf die ästhetischen und haptischen Qualitäten der Stoffe statt. Neben aller Könnerschaft ist das Endergebnis auch dem unkontrollierbaren Moment zu verdanken, in dem die Farbe auf den Stoff trifft. Die Kombination aus profundem Wissen und Zufall lässt sich für die Weiterentwicklung der Technik ebenso nutzen wie für die hiesige Gestaltung von Räumen.

TEC21, Fr., 2014.03.21

21. März 2014 Tina Cieslik

Kirgisischer Filz

Ihre Herstellung ist arbeitsintensiv, ihre Muster sind ausdruckstark: Shyrdaks – doppelt genähte Filzteppiche – werden in Zentralasien seit Jahrhunderten hergestellt. Mit ihren kraftvollen Motiven lassen sie sich auch mit europäischen Interieurs erstaunlich gut kombinieren.

Sie sind weich, flauschig, warm – und sie riechen nicht nach Schaf: In Kirgisistan werden Shyrdaks als textile Allzweckwaffe zum Isolieren der Jurten ebenso eingesetzt wie als Satteldecke. In den abgesteppten grafischen, meist symmetrischen Mustern manifestiert sich die Kultur der Region. Jedes Motiv hat eine Bedeutung – vorwiegend aus der Pflanzen- und Tierwelt oder aus dem Familienleben. Beliebte Formen sind beispielsweise das stilisierte Horn des Schafbocks (kochkor muyuz) oder abstrahierte aneinander gereihte Vogelschwingen als umlaufende Bordüre (kush kanat); oft sind es Bilder aus dem kirgisischen Nationalepos Manas.

Da es von jedem Ornament eine Positiv- und eine Negativform gibt, braucht es fundiertes Wissen, um die Kombinationen, die je nach Farbe variieren, korrekt lesen zu können. Tatsächlich lässt sich aber keinem Motiv eine universell gültige Bedeutung zuordnen, da jeder Shyrdak einen intuitive Komponente beinhaltet: Träume und Ziele der jeweiligen Herstellerin fliessen in die Produktion mit ein. Darauf weist auch das kirgisische Wort für «Idee, Ziel, Gedanke» hin, das auch «ein Design zum Ausschneiden entwerfen» bedeutet.

Während die Shyrdaks – «shyrdama» bedeutet «heften, nähen» – im Westen zunehmend bekannter werden, verliert die Tradition in Kirgisistan an Bedeutung. Die jungen Menschen übersiedeln in die Städte, für die Möblierung ihrer Wohnungen ziehen sie industriell hergestellte Ware aus synthetischen Stoffen vor. Seit Ende 2012 ist die Kunst der Shyrdak-Herstellung daher in der UNESCO-Liste des gefährdeten immateriellen Kulturerbes klassifiziert.[1] Filzen ist Frauenarbeit, die Mutter gibt ihr Wissen an die Tochter weiter. Der Shyrdak ist ein traditionelles Hochzeitsgeschenk der Älteren an die Jüngere. Verkauft wurden Shyrdaks früher nicht. Die seit 1991, seit der Unabhängigkeit des Landes, langsam, aber stetig steigende Nachfrage aus Europa sorgt nun aber dafür, dass mehr und mehr Frauen mit der Herstellung der Shyrdaks ihren Lebensunterhalt verdienen können. Denn trotz dem engen Bezug zur halbnomadischen Lebensweise der Kirgisen lassen sich die expressiven Teppiche gut mit europäischen Interieurs kombinieren. Die positiven Eigenschaften des Filzes – kälteisolierend bei geringem Gewicht, schalldämmend und feuchtigkeitsregulierend – tun ein Übriges. Bei guter Pflege besitzt ein Shyrdak eine Lebensdauer von etwa 30 Jahren.

Mit Muskelkraft und Seife

Neben den Shyrdaks nutzen die Kirgisen Filz für eine ganze Palette an Produkten, wie Taschen, Schuhe, Hüte oder Zeltplanen. Die Herstellung hat sich dabei kaum verändert. Nassfilzen ist eine der ältesten Techniken, um Textilien zu produzieren; Überreste von gefilzten Gegenständen können bis ins Jahr 6000 v. Chr. nachgewiesen werden. Auch heute noch wird in Kirgisistan zur Herstellung eines Shyrdaks zunächst die Wolle, hauptsächlich von Schafen, aber auch von Ziegen oder Yaks, gekämmt und durch Ausklopfen mit zwei Holzstäben gereinigt. Für einen grossen Filz benötigt man die Wolle von vier bis fünf Tieren. Die Wolle wird nun in drei Schichten auf einer Bastmatte (chij) ausgelegt. Dann übergiessen die Frauen die Wolle mit kochendem Wasser und Seife. Diese wirkt als alkalische Filzhilfe: Die Haare der Schafe besitzen eine dachziegelartig geschuppte Oberfläche, deren Plättchen aus Keratin sich durch Einwirkung der Seife aufstellen – eine optimale Vorbereitung für das spätere Verzahnen durch Walken.

Nun rollen die Frauen die Bastmatte zusammen, verschnüren sie zu einem Paket und versehen sie mit einem Überzug. Dann lassen sie das Paket etwa eineinhalb Stunden lang von einem Esel durch die Strassen ziehen oder stossen es mehrfach eine Anhöhe hinauf und hinunter – so soll der Filz die richtige Dichte erhalten. In einer zweiten Stufe rollen mehrere Frauen das Filzpaket über den Boden (Abb. oben). Auch in der Schlussphase kommen die Ellbogen zum Einsatz: Nachdem die Bastrolle entschnürt ist, walken die Frauen mit ihnen den Filz noch einmal nach. Durch die mechanische Bearbeitung entsteht ein fester Verbund, wobei das Ge- webe um etwa ein Drittel schrumpft.

Textile Intarsien

Je nach Verwendung erfolgt nun das Färben: Die nicht sichtbare Unterseite der Shyrdaks behält in der Regel die ursprüngliche Farbe der Wolle. Für die dekorativen Ornamente auf der Oberseite kommen traditionell natürliche Färbemittel wie Zwiebel- oder Baumnussschalen zum Einsatz. Diese Naturtöne sind vor allem im Westen beliebt. Die Kirgisen begeistern sich inzwischen für kräftige, bunte Muster aus synthetischen Farben.

Um ein Ornament herzustellen, legt die Handwerkerin zwei gleich grosse, verschiedenfarbige Filzstücke aufeinander. Anschliessend zeichnet sie mit Kreide freihändig die Hälfte oder ein Viertel eines Ornaments und klappt den Filz dann zusammen, sodass die gespiegelte Teilform zu einem Ganzen wird. Diese Arbeit verlangt ein ausgeprägtes räumliches Verständnis – es gilt, nicht nur das geometrische Verhältnis von Form und Randfläche zu beachten, sondern das Gesamtdesign des Teppichs im Auge zu behalten. Frauen, die die Ornamente zeichnen können, werden daher als Meisterinnen (usta) bezeichnet, das Talent dafür gilt als angeboren.

Das Muster wird mit einer Schere, früher oft auch mit einem scharfen Messer, durch die beiden zusammengehefteten Filzlagen hindurch ausgeschnitten. Sowohl das ausgeschnittene Ornament als auch die Negativform werden weiterverwendet, entweder für andere Elemente im selben Shyrdak oder in einem anderen Teppich. Es existiert also von jedem Exemplar ein farblich gespiegeltes Gegenstück, Reste gibt es keine. Im nächsten Schritt werden die Ornamente wie ein textiles Mosaikstück in die farblich kontrastierende Negativform eingelegt und mit einem Doppelzopfstich entlang der Konturen mit einem gesponnenen Faden (shona) vernäht. Farblich assortierte Kordeln (dje’ek) kaschieren die Naht und betonen gleichzeitig die Form des Ornaments. Zum Schluss versteppen die Näherinnen die dekorative Ober- mit der unifarbigen Unterseite. Pro Quadratmeter Teppich benötigen die Frauen zwischen 43 und 67 Arbeitsstunden, je nach Jahreszeit (im Winter mehr, im Sommer weniger) und Farbe der Filze (naturfarbige Filze brauchen weniger Zeit, bunt eingefärbte mehr).

Tradition und Objekt

In der Kultur der Kirgisen spielte die Herstellung der Teppiche einst eine wichtige Rolle, Shyrdaks gehören zu den bedeutendsten Kunstobjekten des Volks. Das Wissen über die Herstellung der Teppiche, ihre künstlerische Vielfalt, die Ornamentik und die damit verbundenen Zeremonien bilden eine Einheit und gaben dem kirgisischen Volk ein Gefühl von Identität und Kontinuität.

Heute hilft das westliche Interesse an den Textilien, dieses Erbe bewusst zu machen. Inzwischen gibt es mehrere Textilkooperativen, die Shyrdaks herstellen. Das Nationalmuseum in der Hauptstadt Bishkek führt zweimal jährlich Shyrdak-Ausstellungen durch. Neben diesen wichtigen kulturellen Funktionen überzeugen Shyrdaks aber vor allem als gute Produkte. Herstellung, Form und Funktion gehen hier eine schlüssige und attraktive Verbindung ein.


Anmerkungen:
[01] Dem Shyrdak verwandt sind die ebenfalls in Zentralasien verbreiteten Ayakiliz-Teppiche, bei denen die Ornamente bereits im ersten Filzdurchgang in den Teppich gelegt werden. Auch sie stehen auf der Liste des bedrohten Kulturerbes.
[02] Label-STEP gehörte bis Ende 2013 zur Max-Havelaar-Stiftung, die ein Gütesiegel für fair gehandelte Produkte vergibt. Seit Anfang 2014 ist die Organisation Teil der Entwicklungsorganisation «Brot für alle». Label-STEP engagiert sich für gute Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in den Produktionsgebieten von handgefertigten Teppichen.

TEC21, Fr., 2014.03.21

21. März 2014 Tina Cieslik

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