Editorial
Es scheint ein Naturgesetz zu sein: je kleiner das Projekt, umso höher der Anspruch und umso größer die Sorgfalt bei der Planung.
Intelligent organisierte Wochenendhäuser, Gebäude in schmalen Lücken oder multifunktionale Raummöbel lassen oft mehr Scharfsinn und Esprit erkennen als so mancher Repräsentationsbau. Bei der Beschäftigung mit kleinen Bauaufgaben begegnet man aber auch schnell grundsätzlichen Fragestellungen: Wie weit lassen sich bestimmte Abmessungen reduzieren, ohne die Nutzbarkeit einzuschränken? Mit wie wenig Raum kann ein Mensch wirklich noch zurechtkommen? Bedeutet ein »Weniger« an Luxus nicht vielleicht sogar ein »Mehr« an Lebensqualität? Aus den USA kennen wir das Small House Movement, das ein Gesundschrumpfen zugunsten eines selbstgenügsamen Wohnens propagiert. Der abgenutzte Begriff der Nachhaltigkeit wurde mittlerweile vom Prinzip der Suffizienz abgelöst.
Immer mehr Menschen entdecken die Vorteile des Verzichts. Darüber darf aber die Kehrseite nicht in Vergessenheit geraten: Entwarf Richard Horden zusammen mit Studenten der TU München 2001 das »micro compact home« noch vorwiegend unter Gesichtspunkten der leichten Transportabilität, zeigte das 2005 aus sieben dieser 2,66 x 2,66 m messenden Kuben zusammengefügte O2-Village doch bereits, dass fortdauerndes Wohnen in solch komprimierter Enge nur auszuhalten ist, wenn sie durch die Qualitäten des Außenraums kompensiert wird.
Einen anderen Weg sucht New York. Ausgehend von dem enormen Siedlungsdruck, der auf der amerikanischen Metropole lastet, ließ der Bürgermeister kürzlich den Wettbewerb »adAPT NYC« für ein Bausystem für Wohnungen mit weniger als den gesetzlich vorgeschriebenen 37 m² ausschreiben. Das Siegerprojekt »My Micro NY« des New Yorker Büros nARCHITECTS soll ab Januar gebaut werden (das Bild links zeigt es in einem täuschend echt wirkenden Rendering des norwegischen Visualisierungsbüros MIR). Schon jetzt wird geunkt, die für kreative Singles vorgesehenen Wohneinheiten würden schnell von sozial schwachen Großfamilien überbelegt sein.
So sehen wir uns vor die Frage gestellt, inwieweit wir bereit sind, uns durch wirtschaftliche Abhängigkeiten zur Raumreduktion zwingen zu lassen. Wollen wir uns von den Immobilienmärkten das Wohnen bis ins letzte Detail durchökonomisieren lassen? Die Projekte, die wir in diesem Heft vorstellen, untersuchen auf unterschiedliche Art, wo die Grenzen liegen, und wie auch unter erschwerten Bedingungen funktionale und menschenwürdige Räume entstehen können. | Achim Geissinger
Loos hätte seine Freude
(SUBTITLE) Sommerhaus in Wien
Ein Kleingartenhaus ist keine Kleinigkeit. Die »Villa Rabenschwarz«, in einer Kleingartensiedlung zwischen zwei Wiener Waldgebieten gelegen, ist große Architektur mit Synergieeffekten, dreidimensionalem Witz und viel Humor. Durch geschickte Kniffe und die Reduktion verschiedener Dimensionen auf das Notwendigste ließen sich alle gewünschten Funktionen innerhalb der vom Baurecht vorgegebenen Abmessungen unterbringen und es entstand dennoch eine gewisse Großzügigkeit.
Man muss nur weit genug in den Wienerwald hineinwandern, schon stehen sie alle da mit ihren weißen Bärten und roten Bäckchen und grüßen hinterm Jägerzaun hervor. Die Rede ist von den vielen Hunderten, ach was, Tausenden von Gartenzwergen an der Wiener Peripherie. Und wo ein Gartenzwerg – diese Lektion lernt man als Wiener bereits in den ersten Lebensjahren –, da ist auch der Kleingartenverein nicht weit. In einem ebensolchen namens »Kleingartenverein Michaelawiese«, nur wenige Meter vom Stadtrand entfernt, steht die sehr kleine, aber sehr feine »Villa Rabenschwarz« der Wiener Architektengeschwister Schuberth und Schuberth.
Der Name ist Programm. Die kohlrabenschwarze Erscheinung des Hauses geht nicht auf einen Farbanstrich der Holzfassade zurück, sondern auf die physikalische Veränderung des Materials, und zwar per Feuer. Lange hatte man mit unterschiedlichen Temperaturen und Flämmzeiten experimentiert, bis der gewünschte Verkohlungsgrad erreicht war. Eine abschließende Harzschicht sorgt für Schutz gegen Wind und Wetter.
Beim näheren Hinsehen fällt auf, dass die Fassade trotz hochgradiger Verbrennung viele hübsche technische Details wie etwa vorstehende Laibungsvorsprünge und abgeschrägte Tropfnasen über den Fenstern und Türen aufweist. »Der Fluch und Segen so kleiner Bauaufgaben ist, dass man das Projekt immer bis zum letzten Millimeter durchplanen muss«, sagt Gregor Schuberth. »Einerseits bereitet uns das Spaß, andererseits jedoch ist nie ein Ende in Sicht.«
Die Planung hört nicht beim üblichen Detaillierungsgrad auf, sondern reicht bis zum letzten Möbelstück. Sogar die keramischen Lampenfassungen mit türkis-schwarz gestreiftem Stoffkabel wurden Strich für Strich im CAD gezeichnet, bevor sie den Weg auf die Baustelle fanden. Prinzip Zufall? »Niemals. Nicht bei dieser Projektgröße.«
Raumerlebnis nach Plan
Sehr wohl ein Ende in Sicht ist, sobald man das Haus betreten hat. Denn das gesamte Gebäude wurde auf einer Bruttogrundfläche von nur 35 m² errichtet. So sieht es das Wiener Kleingartengesetz vor, das auch eine Höhenbeschränkung beinhaltet. Allein, trotz überschaubarer Maße wirkt das Haus mit seinen 50 m² Nutzfläche niemals eng. »Wenn man klein baut, dann kann man nicht ein großes Einfamilienhaus auf Miniaturformat schrumpfen, dann muss man neu denken und räumliche, bzw. funktionale Synergieeffekte schaffen«, meint Johanna Schuberth. »Dann ist ein Bad eben niemals nur Bad, sondern vielleicht auch mal Wohnzimmer, dann wird die Treppe zum Stauraum, dann zelebriert man Großzügigkeit und Offenheit dort, wo man es am wenigsten erwartet.«
Zentrum des Hauses ist eine kompakte Box mit Nasszelle, Küchenzeile und Aufgang in den ersten Stock. Während die Außenwände auf ihrer Innenseite hell lasiert wurden und die Struktur des Holzes (Dreischichtplatten aus Fichte) deutlich erkennen lassen, wurde die Einheit in der Mitte des Hauses rundherum mit dunklen Siebdruckplatten bekleidet. Das räumliche Konzept ist auf Anhieb verständlich. »Dieses Haus im Haus, wie wir den Kern in der Mitte gerne bezeichnen, hat einen ganz bestimmten Grund«, erklärt Johanna Schuberth. »Durch die Möglichkeit, im Kreis zu gehen, nimmt man die Nutzfläche des Hauses psychologisch viel größer wahr. Normalerweise sind solche Umrundungen nur in großen Gründerzeitwohnungen üblich. Hier haben wir uns getraut, diesen Luxus auch auf kleinstem Raum zu zelebrieren.«
Dank der redundanten Wegeführung von der Haustür ins Wohnzimmer – links und rechts am Kern vorbei – besteht die Möglichkeit, einen der beiden Wege bei Bedarf umzufunktionieren. Mit zwei Handgriffen verwandelt sich die kleine Nasszelle mit WC, Waschbecken und Dusche in ein lichtdurchflutetes, mehr als 4 m² großes Badezimmer, Grünblick inklusive. Die Schiebetür, die eben noch WC-Zugang war, entfaltet ihre Doppelfunktion und mutiert zur Vorzimmertür. Die Duschtrennwand wiederum entpuppt sich als aufklappbarer Türflügel, der das Bad vom Wohnzimmer abtrennt. Ein kleiner Metallriegel sorgt für ungestörte Ruhe. »Ich finde diese Badezimmerlösung großartig«, sagt Mathias Fellner, Bauherr des ungewöhnlichen Miniaturprojekts. Gemeinsam mit seiner achtjährigen Tochter nutzt er das Haus als Wochenendrefugium und abgelegenes, abgeschottetes Homeoffice. »Ein bisschen Querdenken, und schon hat man die gefühlte Größe des Hauses verdoppelt.« Quergedacht wurde auch in der Küche: Indem man den Esstisch auf 90 cm Höhe, mit entsprechend hohen Hockern, anhob, wurde aus der einzeiligen Kochnische eine zweizeilige Küche mit ausreichend Arbeitsplatz zum kollektiven Gemüseschnippeln. Die Küche selbst ist eine einfache Regalkonstruktion, die vom Holzbauunternehmen gleich mitgebaut wurde.
Viele Farben und Materialien treffen hier aufeinander: das Holz, die dunklen Siebdruckplatten, der grün marmorierte Linoleumboden, die türkisfarbene Linoleum-Arbeitsplatte, die roten Filztüren in der Küche – ein Eigenentwurf der Architekten – und nicht zuletzt die vom Bauherrn applizierten bunten Klebeband-Collagen an der Wand. »Die heterogene Farbgestaltung war ein großer Wunsch von mir«, sagt Fellner, von Beruf Grafiker. »Ich mag diese überdesignten, monochromen High-End-Wohnungen nicht. Ich bin ein Freund des Bauhauses und seiner bunten Farben und Materialien. Diese kleinteilige Verspieltheit sollte sich hier widerspiegeln.«
Bunt geht es weiter. Die nur 70 cm breite Treppenschlucht, die nebenbei als Schuhregal dient, ist beidseitig petrolfarben gebeizt. »Im Nachhinein betrachtet ist der Aufgang immer noch zu breit«, meint Architekt Gregor Schuberth. »50 cm wären für dieses Haus völlig ausreichend gewesen. Beim nächsten Haus wissen wir es besser.« Im OG angekommen, entfaltet sich die wohl größte Überraschung der Villa Rabenschwarz. Dort öffnet sich ein Loch, ein relativ gesehen riesengroßer Luftraum über dem Wohnzimmer. Als Brüstung dienen Bücherregale sowie ein in die Konstruktion integrierter Schreibtisch. Man muss schmunzeln: Beim Aktenschrank hat der Bauherr selbst Hand angelegt, hat die Front mit weichen Filztüren geschlossen, hat statt Schloss und Griff ein paar Dufflecoat-Knöpfe aus Horn und Leder angenäht. Unverkennbar hat die freche Kreativität der Architekten Spuren hinterlassen.
»Dieser Luftraum rund um den Arbeitsbereich ist ein zentrales Element dieses Hauses«, sagt Schuberth. »Ich weiß, das würde man in einem Kleingartenhaus nicht erwarten, aber genau deshalb wirkt hier alles so großzügig und offen.« Der einzige Bereich, bei dem man schließlich anerkennen muss, dass auch die beste Kompaktheit an ihre Grenzen stößt, sind die beiden Schlafkojen von Vater und Tochter. Eben meint man noch, sich an die Maßstäblichkeit der Minivilla gewöhnt zu haben, da entpuppen sich die beiden an die Dimensionen der Matratzen angepassten, 1,40 m und 1,60 m breiten Schlafzimmer nochmals als echte Hausforderung. »Mir reicht das«, sagt Mathias Fellner. »Wenn man in so ein kleines Haus zieht, dann beginnt man auszumisten und sich zu überlegen, was man wirklich braucht und was nicht. Ein Schlafzimmer, das so groß ist wie ein Bett, zählt zu den Dingen, die genügen.« Die Erkundungsreise durch die Welt der Kleinigkeiten ist noch lange nicht zu Ende.
Unzählige Details zwischen Boden und Decke gibt es zu entdecken: diverse Abstellfächer, Schlüsselnischen, selbstgebastelte Türmechanismen. Alle sind sie dreidimensionale Dokumente einer harmonischen Partnerschaft zwischen Bauherr und Architekten. Doch am meisten erfreut, dass dieses Kleingartenhaus trotz seiner verspielten Farben und Baumaterialien nicht im Geringsten gartenzwergig ausfiel. Vielmehr ist die Villa Rabenschwarz, und da schließt sich wieder der inhaltliche Kreis zu Wien und großer Architektur, das Produkt eines schelmisch interpretierten Loos'schen Raumplans.db, Mo., 2013.10.07
07. Oktober 2013 Wojciech Czaja
Tanzende Quader
(SUBTITLE) Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung in Berlin
Es zählt die Lage: Das 8 x 12,5 m messende Grundstück könnte – am Eingang des Pfefferberg-Areals, von Künstlerateliers umgeben – für ein privates Museum kaum besser gelegen sein. Aber 100 m² Grundfläche sind für ein Ausstellungs- und Depotgebäude nicht gerade üppig. Mit verschiedenen Auskragungen nimmt die Bauskulptur das unausweichliche Übereinanderstapeln der Funktionen wörtlich und schafft differenzierte Räume für das kostbare Ausstellungsgut. Auch die kunsthandwerkliche Innengestaltung nimmt Bezug auf die Preziosen und schafft erlebnisreiche Räume, die – gerade der beengten Verhältnisse wegen – Freude bereiten und die Wahrnehmung schärfen.
Ein labyrinthisches Privathaus, das Anwesen des Architekten Sir John Soane, gilt als Ort der weltweit größten Dichte an architektonischer Kultur. Das großartige Museum in London ist gleichzeitig das älteste Architekturmuseum der Welt. Wenn das Soane's nun die Eröffnungsausstellung der Tchoban Foundation in Berlin bestreitet, so ist der Bogen geschlagen zum jüngsten Architekturmuseum der Welt, denn im Quartier der ehemaligen Brauerei Pfefferberg, in direkter Nachbarschaft des Internationalen Architekturforums Aedes, öffnete im Juni das neue Haus der Tchoban Foundation Museum für Architekturzeichnung seine Pforten.
Der in St. Petersburg geborene Architekt Sergei Tchoban, Partner im Berliner Büro nps tchoban voss und im Moskauer Büro Speech Tchoban & Kuznetsov, ist selbst einer der bedeutendsten Architekturzeichner und mit eigenen Ausstellungen im In- und Ausland präsent. Er ist aber auch Sammler, Förderer, Impresario und Kurator dieser Kunstsparte, die mit dem Aufkommen des CAD, des architektonischen Entwerfens am Computer, ihre Bedeutung als Gebrauchsgrafik in der Baupraxis verloren hat und heute nur noch zum Bereich der Schönen Künste zählt. Seine Sammlung umfasst eine Zeitspanne vom 17. bis in unser Jahrhundert und hat einen Schwerpunkt auf den russischen Konstruktivisten der 20er Jahre. Die bedeutenden Blätter hat Tchoban zum Großteil in eine Stiftung eingebracht, deren neues Museum freilich nicht nur die eigene Sammlung präsentieren soll. Vielmehr hat Sergei Tchoban ein internationales Netzwerk aufgebaut und beispielsweise mit Ausstellungen in der Eremitage St. Petersburg, in der Académie des Beaux Arts in Paris oder im Londoner Soane's den Grundstein für gegenseitigen Austausch gelegt.
Das Soane's Museum bestritt denn auch die Eröffnung mit einem Paukenschlag: »Piranesis Paestum – Neuentdeckung der Meisterzeichnungen«. Zu sehen waren – leider nur bis Ende August – die raren Handzeichnungen des Künstlers, der für seine berühmten Kupferstiche der »Imaginären Gefängnisse« und der römischen Veduten sonst nur Vorskizzen angelegt hatte. Den Zyklus der Tempel von Paestum hatte Giovanni Battista Piranesi 1788 im letzten Lebensjahr mit schwindenden Kräften als detaillierte Ansichten gefertigt, damit sie sein Sohn in Kupfer stechen und postum veröffentlichen konnte. Bis Mitte Februar ist nun die Ausstellung »Architektur im Kulturkampf« zu sehen (Di-Sa 10-17 Uhr, Eintritt frei), die ausschließlich Werke aus der eigenen Sammlung zeigt. Das neue Berliner Museum ist der ideale Ort für derlei intime Kabinettausstellungen.
Von außen scheint das Gebäude wie aus vier nahezu geschlossenen Volumina locker aufgetürmt. Die Wände der tanzenden Quader bestehen aus einem beigefarbenen Beton, der fast wie steinmetzmäßig bearbeiteter Sandstein aussieht und mit Fassadenreliefs dekoriert ist. Die Motive entstammen u. a. der ersten Zeichnung, mit der Tchoban seine Sammeltätigkeit begann, einem Blatt von Pietro di Gonzaga aus dem beginnenden 19. Jahrhundert. Die Zeichnung wurde gescannt, einzelne Partien stark vergrößert und in Form von Kunststoffmatrizen in die Betonschalung eingebracht. Die Farbe des Betons lässt an vergilbtes Papier denken, und die Zeichnungen scheinen sich aufzufächern wie ein Stapel Blätter. So wird die Zweckbestimmung des Baus im Sinn einer narrativen Architektur schon von außen deutlich gemacht.
Zurzeit entsteht gegenüber ein von Justus Pysall entworfenes Atelierhaus in ähnlicher Größenordnung, gewissermaßen der Gegenentwurf mit transparenter, gläserner Fassade. Wie Scylla und Charybdis werden die beiden den Zugang zum neuen Berliner Kulturbrennpunkt Pfefferberg bewachen – und vielleicht auch die Passanten unwiderstehlich anziehen.
Die Wahl fiel auf das nur rund 100 m² messende Grundstück, weil es, etwa im Unterschied zu alternativen Industrieetagen, Gelegenheit bot, in einem angemessenen, kulturell aufgeladenen Umfeld eine eigene Adresse, ein eigenes Haus für das Museum zu schaffen.
Das Grundstück wurde vollständig überbaut, doch weil das Haus mit einer Seite am Teutoburger Platz und mit zwei Seiten am gepflasterten Hof des Pfefferbergs liegt und nur mit einer Seite an die Brandwand eines Nachbarhauses grenzt, kann es seine Außenwirkung voll entfalten. Rücksicht zu nehmen galt es nur in Bezug auf die Stabilität der alten Brandwand und auf die Gefahr eines Brandüberschlags übereck, die eine Brandschutzverglasung erforderlich machte. Ansonsten galt § 34 BauGB – inwieweit sich der Neubau »nach Art und Maß« in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, wurde in detaillierter Abstimmung mit Stadtplanungsamt und Denkmalschutzbehörde ausgehandelt. Wirft sich linker Hand das 125 Jahre alte Brauereigebäude, in dem Olafur Eliasson mit 70 Mitarbeitern seine Kunstwerke produziert, als Backsteinversion eines florentinischen Palazzos in die Brust, so vermag Tchobans Museum den Aufmerksamkeitsgrad durchaus noch zu steigern. Es ist schon staunenswert, wie oben auf der irgendwie ägyptisch anmutenden Bauskulptur eine gläserne, an der auskragenden Unterseite verspiegelte Kanzel thront. Die inszenierte Dramaturgie der Annäherung führt vom großen Ganzen zum Detail, von der zyklopischen Stapelung über das Fassadenrelief zur Oberfläche und zur Materialtextur und beim Eintritt ins Innere vom Vorplatz über die Eingangsnische, das intime Foyer, die Treppe mit wechselseitiger Aussicht, die bergenden Ausstellungsräume bis hinauf zum gläsernen Penthaus mit Rundblick auf die Industriekultur, die Dächer des Quartiers und den grünen Stadtpark.
Im Innern wirkt es, sorgsam detailliert und in edlen Materialien ausgeführt, wie ein Schatzkästchen. Das EG wird vom Empfang und einer kleinen Präsenzbibliothek eingenommen. Die Wandvertäfelung aus Nussbaumholz wiederholt die Fassadenmotive. Auch die Betonwände des Aufzugsschachts sind mit dem Dekor reliefiert. Man fährt mit dem gläsernen Lift gewissermaßen durch die Baugeschichte, hat aber auch den Außenbezug.
Der Gestaltung der beiden Ausstellungsgeschosse waren umfangreiche Untersuchungen vorausgegangen. Wie groß müssen (dürfen) die Kabinette sein, in denen die meist nicht besonders großformatigen Blätter gezeigt werden? 3,75 m Wandabstand wurde für das Betrachten der Formate als optimal empfunden. Mit bis zu 70 Zeichnungen sollte eine Ausstellung bestückt werden können, dies die Maßgaben. Es zeigte sich, dass sich diese Verhältnisse auf dem Grundstück gut einrichten lassen. Die geknickten Raumgrundrisse tragen zur Differenzierung bei und wirken der Beengtheit entgegen, wie auch einzelne Fenster und die Loggia im zweiten OG.
Der Zuschnitt der Räume, v. a. aber die Auswahl der Baustoffe bringt einen weiteren Vorteile mit sich: Die konservatorischen Verhältnisse Belichtung, Temperatur und Feuchtigkeit lassen sich so präzise wie bei kaum einem anderen Museum auf die Anforderungen historischer Grafiken einstellen. Mit ihrer Fähigkeit, Feuchte und Wärme aufzunehmen bzw. abzugeben, wirken bereits die thermisch trägen Kalksandsteinwände und ihr Kalkzementputz auf natürliche Weise ausgleichend auf das Raumklima, welches in erster Linie auf die empfindlichen Exponate abgestimmt wird. Durch einen Fallluftstrom sind diese gegen die Emissionen der Besucher abgeschirmt. Dies alles überzeugt die Leihgeber, die ihre Schätze in die Tchoban Foundation gewissermaßen zur Erholung schicken können. Die diffusionsdichte Konstruktion aus weitgehend wiederverwertbaren Baustoffen sowie die energiesparende LED-Beleuchtung erlaubten es, mit denkbar geringen Luftwechselraten zu operieren und somit auch den Raumbedarf für die Gebäudetechnik zu minimieren.
Da die Raumtemperatur über die Heiz-/Kühldecke geregelt wird, kann die Klimaanlage – im Idealfall – außerhalb der Öffnungszeiten sogar abgeschaltet werden. Der rechnerisch spezifische Gesamt-Energiebedarf liegt bei überdurchschnittlich guten 250 kWh/a·m².
Auf die beiden Ausstellungsebenen folgt ein Lagergeschoss mit fest eingebauten Depotschränken als Schauarchiv. Bekrönt wird der hermetische Bau von einem gläsernen Quader mit Rundumsicht und zwei Dachterrassen, wo Kuratoren und Verwaltung einen wunderbaren Arbeitsplatz vorfinden.
Natürlich hat das Haus kein besonders günstiges Verhältnis zwischen Erschließungsflächen und Nutzflächen. Dazu trägt auch die aufwendige Klimatisierung mit auf- und absteigenden Schächten bei. Aber es ist maßgeschneidert, hat für die Ausstellungszwecke die optimale Größe und ist mit wenig Personal zu betreiben.
Expandieren wird das buchstäblich auf »kleinem Fuß« existierende Museum nicht können, aber wer würde sich das wünschen? In Zeiten der kaum zu bewältigenden Mega-Ausstellungen tut es gut, sich auf die stillen Qualitäten der wunderbaren, ausgesuchten Blätter einer überschaubaren Ausstellung zu konzentrieren. »Klein aber fein«, der klischeehafte Spruch war selten so angebracht wie beim neuen Museum für Architekturzeichnung in Berlin.db, Mo., 2013.10.07
07. Oktober 2013 Falk Jaeger
Durchdringung von Fragestellung und Raum
(SUBTITLE) Fünf »Stair Case Study Houses« in Hamburg
An der ungleichen Verteilung von Wohnraum werden wir, ganz generell, nichts ändern können. Wie sich jedoch die Probleme entschärfen lassen, wenn Familien Zuwachs bekommen, untersucht der Architekt Gerd Streng, indem er platzsparende Lösungen austüftelt, Wohneinheiten zusammenschließt, Resträume nutzbar macht. Seine Konzepte sind erschwinglich und erfolgreich, die Gestaltung ästhetisch und nie ohne feine Ironie.
Früher war alles einfach und klar: Wenn Paare Kinder bekamen, zogen sie an den Stadtrand oder die Peripherie, der größeren Wohnfläche, des Grüns und der günstigen Preise wegen. Heute hingegen sind nur noch wenige gewillt, die Urbanität eines innerstädtischen Viertels für die Langeweile des Speckgürtels aufzugeben. Der Umzug in eine größere Wohnung im Viertel ist jedoch durch die steigenden Preise für viele unerschwinglich geworden. Will man nicht dauerhaft beengt leben, bleibt nur eines: Das eigene Heim umbauen, neu aufteilen, vergrößern.
Auch eine mit dem Hamburger Architekten Gerd Streng befreundete Familie wohnte bislang mit einem Kind im 1. OG eines Hinterhofhauses im gründerzeitlichen Stadtteil Eimsbüttel. Nach der Geburt von Zwillingen wurde es auf den 80 m² zu eng, doch es ergab sich die Möglichkeit des Kaufs der darunterliegenden, 40 m² kleinen EG-Wohnung. Aber wie daraus eine Einheit formen? Streng wusste Rat und verband die beiden Wohnungen miteinander durch eine einläufige Treppe, deren viertelgewendelter Antritt mitten im Wohnraum liegt und deren Stufen er zu einer Skulptur mit Nutzwert aufwertete: Die zweite Stufe läuft in eine L-förmige Sitznische mit Schubladen aus, und der Raum unter dem Treppenlauf wird für ein ebenso hohes Sideboard genutzt. So konnte für die nicht unterkellerte Wohnung wertvoller Stauraum hinzugewonnen werden. Es sind die Details, die bestechen: Die Wange wurde bis zur Decke hochgeführt, wodurch die schmale Treppe einen eigenen, durch die Höhenbetonung opulent wirkenden Raum bildet. Die weiß lackierten Trittstufen führen das Weiß der Wohnzimmermöbel fort, die gelben Setzstufen verbinden sich hingegen mit dem Gelb der Treppenwände. »In utero« nennt der Architekt schelmisch diese Folgen von miteinander verbundenen weiten, engen und wieder weiten Räumen – es sind Rauminszenierungen, die auch kleinen Gebäuden ungeahnte Großzügigkeit verleihen. Das Gelb der Treppe wird als Signalfarbe auch für alle weiteren neuen Ein- und Umbauten verwendet, von denen es zahlreiche gibt: Das EG wurde komplett umgebaut, um Raum zu schaffen für Wohnzimmer, Essbereich, Küche, Duschbad – sogar eine kleine Abstellkammer fand noch Platz. Oben liegen vier Zimmer, die wahlweise als Schlaf-, Kinder- oder Gästezimmer genutzt werden können. All das mit vielen kleinen und großen Sichtachsen und Durchblicken versehen, die die Wohnung größer erscheinen lassen als sie ist.
Raumsparwunder
Auch Gerd Streng selbst suchte mit seiner Familie nach einer größeren, aber zentral gelegenen und bezahlbaren Bleibe. Man fand sie in einem günstigen, bescheidenen Klinkerwohnhaus aus den 30er Jahren im Nordwesten – quasi im toten Winkel einer der großen Hamburger Ausfallstraßen. 98 m² betrug die Wohnfläche, nicht allzu üppig für eine heutige vierköpfige Familie. Umbau und energetische Sanierung (mittels Kerndämmung) standen an. Dabei sollte dem Haus keine Gewalt angetan und das Portemonnaie geschont werden. So beschränkte sich der Architekt auf wenige, gezielte, in markantem Orange vom Alten abgesetzte Eingriffe: An erster Stelle wurde der bislang ungenutzte, nur über eine Leiter betretbare Spitzboden zugänglich gemacht – dort befindet sich heute das Elternschlafzimmer. Um hierhin zu gelangen, bedurfte es einer Treppe, die wenig Raum einnimmt und zudem zwischen die bestehenden Zugbalken der Dach- und Deckenkonstruktion passt. Bei ihrem Anblick fragt man sich, wie diese steile, enge Stiege ohne Blessuren erklommen werden soll. Doch wider Erwarten kommt man, durchschnittliche Körpermaße vorausgesetzt, problemlos hinauf und auch wieder hinab. Streng hat die Wendeltreppe neu gedacht, indem er die Spindelachse in die Diagonale kippte und die Stufen in einem geschlossenen Treppenraum um sie herum führt. Diese Umschließung gibt die notwendige seitliche Sicherheit für den steilen Auf- und Abstieg über die schmalen, sich gegenseitig überlagernden Stufen. Bei gleicher Ein- und Austrittsbreite benötigt diese Treppenskulptur, deren tiefe Antrittsstufe auch Stauraum bietet, gerade einmal ein Viertel der Grundfläche herkömmlicher Spindeltreppen. Oben, auf dem Boden, wurde noch einmal Raum gespart, indem eine der Giebelwände mit einem maßgefertigten dreieckigen Kleiderschrank (inklusive einer Aussparung für ein Fensterchen) bekleidet wurde. Mit diesen kleinen, aber wirkungsvollen Maßnahmen wurden 17 m² Wohnfläche gewonnen – in einem Haus dieser Größe eine ganze Menge.
Doppelnutzung
Strengs kleine Raumwunderwerke, von ihm selbst augenzwinkernd »Stair Case Study Houses« betitelt, haben sich herumgesprochen, und so kommt mittlerweile ein Projekt zum nächsten. Auch beim dritten in dieser Reihe, in einem gründerzeitlichen Stadthaus im Bezirk Harburg, war die Geburt eines Kindes der Auslöser für einen Umbau: Die Küche wurde verlegt, um am bisherigen Standort ein weiteres Kinderzimmer einrichten zu können. Von der neuen Küche aus erschließt eine Treppe das Arbeits- und Schlafzimmer – auch dieses Erschließungselement sollte nicht Raum wegnehmen, sondern möglichst viel Abstellfläche schaffen. Streng entwarf hierfür eine Winkeltreppe mit Viertelpodest. Der Clou ist der nahtlose Übergang des Zwischenpodests in die Anrichte der Küche. Dies war möglich, weil zwischen beiden Treppenteilen eine Lücke klafft, der obere Teil quasi in der Luft hängt.
Der oberste Treppenteil ragt weit in das OG hinein und ist wieder zugleich Möbel – hier ein Bücherregal, das die Comicbuch-Schätze des Bauherrn birgt. Die untersten fünf Stufen bieten einen Mehrwert, der zunächst verborgen bleibt: In diesem Teil ist eine zweite rollbare Treppe eingeschoben, die als Tritt die hohen Oberschränke zugänglich macht.
Raumsonde
Das Fallstudienprojekt Nummer 4 befindet sich in einem Mehrfamilienhaus der Jahrhundertwende in Hamburg-Hoheluft. In zwei identischen, übereinanderliegenden Drei-Zimmer-Wohnungen leben drei Generationen einer Familie. Oben wurde es den Eltern zu klein, unten empfand die Großmutter ihre Wohnung als zu groß. Gerd Streng löste das Problem, indem er ein Zimmer der unteren Wohnung als Elternschlafzimmer nebst Bad der oberen zuschlug und mit einer Treppe anschloss. Was so simpel klingt, bedeutete auch hier eine aufwendige Arbeit an Details. So sollte die Funktionsfähigkeit und Autarkie der großmütterlichen Wohneinheit gewahrt bleiben, gleichzeitig aber ein Fluchtweg aus dem Elternschlafzimmer gewährleistet werden. Eine Doppeltür mündet nun in den unteren Wohnungsflur, von wo aus man das Haupttreppenhaus erreichen kann. Die neue Treppe ist aus dem Kinderzimmer ausgespart, aber direkt an den Wohnungsflur angebunden, sodass das Zimmer der Tochter nicht betreten werden muss. Um den Raumverlust im Kinderzimmer möglichst gering zu halten, wurde die Treppe mit nur 80 cm Breite geplant und als Ausgleich eine kleine Sitznische mit Verglasung zur Treppe hin eingelassen – ein schöner Beobachtungsposten, der zudem Tageslicht in das Treppenhaus bringt. Das Innere des Treppenraums ist größtenteils weiß lackiert; einzelne Flächen jedoch sind mit Kupfer bekleidet, welches das Licht wunderbar warm und weich reflektiert. Im unteren Zimmer wird die Treppe zu einem Schrankmöbel mit zahlreichen Fächern und Schubladen, doch bleibt die Grundfunktion sichtbar, denn unterhalb der Stufen springt die Wange ein kleines Stück zurück.
Es sind solche feinen Details, die die Umbauten von Gerd Streng auszeichnen und populär machen (drei weitere Projekte sind in Planung oder Bau). Er erspürt den vorhandenen Raum, findet seine Qualitäten und fügt ihm neue hinzu. Dabei nutzt er noch die kleinste Nische, doch diese Raumausnutzung macht die Wohnungen und Häuser nicht kleiner, sondern größer, weil er Sichtbeziehungen schafft und weil die Einbauten viel Hausrat aufnehmen und somit dem Blick entziehen. Man merkt es Streng an, dass er lange in den Niederlanden gearbeitet und den holländischen Pragmatismus verinnerlicht hat.
Eine solche Versessenheit und die Bereitschaft, intensiv noch an kleinsten Dingen zu knobeln, sind selten unter heutigen Architekten. Hinzu kommt der Wille, günstige, aber nie billig wirkende Materialien wie Polyester oder Multiplexplatten zu nutzen, um die Umbauten auch für Mittelschichtsfamilien bezahlbar zu halten. Ein solcher Einsatz ist in der Honorarordnung mit ihren Leistungsbildern freilich nicht vorgesehen, und so lässt sich erahnen, dass man auf diese Weise nicht reich wird. Aber wer diesen Mann erlebt, weiß: Seine Berufung zu finden, etwas zu tun, das man liebt, ist mehr wert als alles Geld.db, Mo., 2013.10.07
07. Oktober 2013 Claas Gefroi