Editorial

Die Energiestrategie des Bundesrats sieht vor, den Anteil der Photovoltaik an der Deckung des Schweizer Strombedarfs von heute 0.5 % auf 19 % im Jahr 2050 zu erhöhen. Dies entspricht einem Wachstum auf das 38-fache in weniger als 40 Jahren.

Wie das gehen soll, ist alles andere als klar. Über die politischen und ökonomischen Mittel scheiden sich die Geister: Ist die Förderung der Photovoltaik nützlich? Wird Innovation durch Subventionen beflügelt oder gehemmt? Gefordert sind auch Raumplanung, Gesetzgebung und Architektur: Ist es vertretbar, Kulturland und Naturschutz­gebiete für den Bau von Solaranlagen zu opfern? Sollen Baubewilligungen für grosse Industrie- und Gewerbebauten an die Auflage geknüpft sein, die Dachfläche für Solaranlagen zur Verfügung zu stellen? Ist es im Sinne der kulturellen Nachhaltigkeit, wenn jedes Gebäude mit Kleinstanlagen bestückt wird? Selbst wenn all diese Fragen geklärt wären, bleibt immer noch die Herausforderung, die über dezentral gelegene Solaranlagen gewonnene Energie ins bestehende Elektrizitätsnetz zu integrieren und – da sie nicht kontinuierlich anfällt – zu speichern.

Im Rahmen unserer Heftreihe «Energiewende» nähern wir uns aus unterschiedlichen Richtungen diesem hochkomplexen Thema (TEC21 7/2012, 12/2012, 15-16/2012, 25/2012, 29-30/2012 und 38/2012). Die vorliegende Ausgabe fokussiert auf die technischen ­Aspekte der Photovoltaik. Die gute Nachricht kommt zuerst: Im Interview «Wir wollen den Pioniergeist stimulieren» betont André Borschberg, Partner von Bertrand Piccard bei «Solar Impulse», dass visionäre Projekte auch mit heutigen Technologien möglich sind; die hohe Ingenieurskunst besteht darin, sie geschickt einzusetzen. Und was die Verwirklichung der Energiestrategie 2050 angeht: «Solarstrom: fördern und fordern» gibt zwar keine endgültigen Antworten, trägt aber die wichtigsten Fakten und Diskussionspunkte zu den oben gestellten Fragen zusammen. «Photovoltaik-Technologien im Überblick» beschreibt und vergleicht die unterschiedlichen Ansätze, die es in der Photovoltaik gibt, hinsichtlich Eigenschaften, Ausgangsmaterialien und grauer Energie. Ergänzende Informationen zu Technologien, die erst an der Grenze zur Marktreife stehen, finden sich in der Rubrik «Magazin» auf S. 14 und 16. «Von der Sonne zur Erde und wieder zurück» präsentiert ein System für die Gewinnung, Speicherung und Transformation solarer Energie im Gebäudebereich. Und nicht zuletzt stellen wir in der Rubrik «Wettbewerbe» die Gewinner des Schweizer Solarpreises 2012 vor.

Die nächste Ausgabe von TEC21 wird direkt an diese anknüpfen und sich Pump­speicherwerken widmen, denen bei der Speicherung des Solarstroms grosse Bedeutung zukommt. Im kommenden Jahr folgt dann eine Ausgabe, in der wir uns auf die architektonische Integration von Solarthermie und Photovoltaik konzentrieren.

Claudia Carle, Judit Solt

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Schweizer Solarpreis 2012

12 PERSÖNLICH
Eine Frage – zwei Meinungen

14 MAGAZIN
Bücher und Film | Deutscher Umweltpreis | swisselectric research award 2012

24 «WIR WOLLEN DEN PIONIERGEIST STIMULIEREN»
Claudia Carle
André Borschberg, CEO von Solar Impulse, spricht über die Heraus­forderungen und Ziele beim Bau eines Solar­flugzeugs, das auch nachts fliegen kann.

28 SOLARSTROM: FÖRDERN UND FORDERN
Lukas Denzler
In die Photovoltaik werden ­grosse Hoffnungen gesetzt. Wie rasch
sie ausgebaut und wie sie gefördert werden soll, scheidet jedoch die Geister.

33 PHOTOVOLTAIK-TECHNOLOGIEN IM ÜBERBLICK
Stephan Buecheler
Wir vergleichen die heute relevanten Photovoltaik-Technologien,
stellen ­ihre jeweiligen Charakteristika vor und zeigen ­ihre Vor- und Nachteile auf.

37 VON DER SONNE ZUR ERDE UND WIEDER ZURÜCK
Hansjürg Leibundgut
Die Professur für Gebäudetechnik der ETH Zürich präsentiert ein System von Technologien für den emissionsfreien Betrieb von Gebäuden.

43 SIA
Baukultur als Bildungsgut | Beitritte zum SIA im 3. Quartal 2012

48 PRODUKTE
Geze | Domotec | Asatec | Stiebel Eltron | HBT-ISOL | Schilliger Holz | Similor

61 IMPRESSUM

62 VERANSTALTUNGEN

«Wir wollen den Pioniergeist stimulieren»

Vor 13 Jahren umrundete Bertrand Piccard zusammen mit dem Briten Brian Jones die Welt im Ballon – und verbrauchte dafür 3.7 Tonnen Propangas. Nach der Landung beschloss er, dieses Wagnis zu wiederholen, diesmal allerdings ohne den Verbrauch fossiler Brennstoffe. Für die Realisierung seines Vorhabens rief er 2004 gemeinsam mit dem Ingenieur und Piloten André Borschberg das Projekt «Solar Impulse» ins Leben. Mit einem Team verschiedenster Spezialisten konstruierten sie in Dübendorf ein rein mit Solarenergie betriebenes Flugzeug, das auch nachts fliegen kann und in dem sie 2015 die Welt umrunden wollen.

TEC21: Worin lag die grösste Herausforderung beim Bau des Solar-Impulse-Flugzeugs?
André Borschberg (A. B.): Die Herausforderung war, ein Flugzeug von der Grösse eines Airbus zu bauen, das nicht mehr wiegt als ein mittelgrosses Auto – insgesamt nur 1600 kg. Es musste also im Verhältnis zur Grösse fünfmal leichter sein als ein Segelflugzeug. Unsere Aufgabe bestand folglich darin, ein anderes Design und andere Materialien zu finden, als sie bei Segelflugzeugen oder anderen sehr leichten Flugzeugen verwendet werden. Ausserdem benötigte das Flugzeug eine sehr grosse Flügelspannweite, um die aerodynamische Effizienz zu optimieren, also das Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand. Wichtig ist, eine möglichst kleine Sinkgeschwindigkeit zu erreichen.[1] Bei einem Flugzeug mit grosser Flügelspannweite müssen die Flügel natürlich eine hohe Steifigkeit aufweisen.

TEC21: Welche technischen Neuentwicklungen stecken in Ihrem Solar-Impulse-Flugzeug?
A. B.: Die Entwicklung eines neuen Batterietyps oder einer neuen Solarzelle dauert mindestens 10 bis 15 Jahre und kostet enorm viel. Unser Ziel war daher eher, bestehende Technologien zu nutzen, sie anzupassen und zu verbessern, statt neue zu entwickeln.

TEC21: Können Sie ein Beispiel nennen?
A. B.: Wir haben z. B. das Gewebe – einen speziellen Polyurethanschaum – verbessert, aus dem das Cockpit und die Motorgondel bestehen. Es gibt der Gondel die Form und sorgt für die Wärmeisolation, um die Temperatur der Batterien in der Gondel auf dem optimalen Niveau zwischen 20 bis 50 °C zu halten und dafür keine Energie einsetzen zu müssen. Teilweise haben wir auch andere Materialien als üblich eingesetzt, z. B. Kunststoff statt Metall für Schrauben, Scharniere oder Elektronikgehäuse.

TEC21: Lassen sich diese Weiterentwicklungen auch in anderen Bereichen als dem Flugzeugbau nutzen?
A. B.: Es ist uns zum Beispiel zusammen mit zwei unserer Partnerfirmen gelungen, die Batterien durch Verbesserung des Elektrolyten und den Einsatz von Carbon-Nanotubes in den Elektroden leichter zu machen. Diese Batterien können nun auch für Autos oder andere Anwendungen genutzt werden. Wir haben ungefähr 80 Partner und Zulieferer, von denen gerade einmal zwei aus der Luftfahrt kommen. Die anderen sind daran interessiert, Technologien für ihre Märkte und ihre Kunden ausserhalb der Luftfahrt zu entwickeln, beispielsweise hocheffiziente Motoren oder leichtere Solarzellen. Selbst Entwicklungen, die Solar Impulse letztlich nicht anwenden konnte, nutzen die Firmen teilweise als Produkte für andere Märkte.

TEC21: Was für Solarzellen verwenden Sie?
A. B.: Wir haben das Optimum zwischen Effizienz und Gewicht gesucht und verwenden monokristalline Siliziumzellen. Sie weisen einen Wirkungsgrad von 22 bis 23 % auf, sind sehr dünn (rund 150 μm), sehr leicht und ziemlich biegsam.

TEC21: Müssen Sie die Flugrichtung nach dem Sonnenstand ausrichten, damit die Solarzellen optimal von der Sonne beschienen werden?
A. B.: Nur im Notfall, wenn die Energieversorgung ungenügend sein sollte, zum Beispiel wenn wir während der Nacht wegen Gegenwind mehr Energie als üblich verbraucht haben und die Batterien am frühen Morgen fast leer sind. Dann würden wir von der Sonne wegfliegen, damit der Winkel der Solarzellen zur Sonnenstrahlung besser ist.

TEC21: Können Sie auch bei wolkigem Wetter oder an Wintertagen fliegen? Reicht dann die Leistung der Solarzellen sowohl für den Flug als auch für die Speisung der Batterien aus?
A. B.: Wenn man nur während des Tages fliegen möchte, ist das kein Problem. Bei bedecktem Himmel gelangen immer noch mindestens 40 % der Sonnenstrahlung durch die Wolken. Damit können wir problemlos fliegen. Wenn wir aber Tag und Nacht fliegen möchten, brauchen wir optimale Wetterbedingungen oder müssen über den Wolken fliegen können, denn da benötigen wir die maximale Leistungsfähigkeit der Solarzellen. Wenn das einfacher wäre, hätten es andere schon gemacht.

TEC21: Als Pilot sind Sie im Cockpit extremen Bedingungen ausgesetzt, weil es aus Gewichtsgründen nicht wärmegedämmt ist und über keinen Druckausgleich verfügt. Sie haben einzig einen Schutzanzug und eine Sauerstoffmaske. Wie fühlen Sie sich als Pilot bei einem Flug bei – 20 °C und dem niedrigen Luftdruck in knapp 9000 Metern Höhe?
A. B.: Das ist eine Sache der Gewöhnung und des Trainings. Aber trotzdem merkt man, dass man als Mensch da oben nicht in seiner natürlichen Umgebung ist, daher sehr empfindlich ist und sehr vorsichtig sein muss. Schon kleine Probleme oder Fehler könnten fatal sein. Einmal habe ich zum Beispiel weniger Kleidung angezogen, weil geplant war, dass ich die meiste Zeit in niedriger Höhe über die Sahara fliege. Schliesslich musste ich dann doch länger in grösserer Höhe bleiben bei Temperaturen von –40° und –20 °C im Cockpit. Ich habe sehr gefroren und konnte nichts dagegen tun als möglichst schnell hinunterzufliegen. In 8700 m Höhe kann man ohne Sauerstoffzufuhr auch nach ein bis zwei Minuten schon bewusstlos werden, daher wird die Sauerstoffkonzentration im Blut laufend überwacht

TEC21: Bei der Weltumrundung wollen Sie bis zu fünf Tage und Nächte am Stück fliegen. Sie haben aber keinen Kopiloten, mit dem Sie sich abwechseln können, und im jetzigen ersten Solar-Impulse-Flugzeug auch keinen Autopiloten. Wie funktioniert das mit dem Schlafen?
A. B.: Im zweiten Solar-Impulse-Flugzeug wird es einen Autopiloten geben. Ich habe das gerade für einen 72-Stunden-Flug im Flugsimulator getestet. Dabei habe ich mich etwa zehnmal pro 24 Stunden je 20 Minuten ausgeruht, also insgesamt drei Stunden. Aus Sicherheitsgründen geht das aber nur, wenn man über Meer fliegt.

TEC21: Und in der Zeit würde der Autopilot übernehmen?
A. B.: Ja, und auch ein spezielles elektronisches Gerät, das wie ein virtueller Kopilot überwacht, was das Flugzeug macht, und den Piloten weckt, wenn es ein Problem gibt. Ausserdem bin ich die ganze Zeit über via Satellitentelefon mit dem Kontrollzentrum in Payerne in Verbindung, das auch Flugzeugdaten wie Position, Geschwindigkeit, Energierproduktion, Ladezustand der Batterien etc. erhält. Dort können sie mich ausserdem über eine Kamera sehen.

TEC21: Das klingt nicht sehr erholsam.
A. B.: Wir haben zusammen mit Forschern und Medizinern überprüft, ob ich bei diesem Schlafverhalten die erforderlichen Fähigkeiten behalte. Die Ergebnisse waren sehr positiv. Für mich ist das eine gute Strategie, die ich mehrfach geübt habe. Für eine andere Person müsste man das aber vielleicht anders lösen.

TEC21: Ist die Steuerung eines so leichten Flugzeugs anspruchsvoller als die anderer Flugzeuge?
A. B.: Wenn die Luft ruhig ist, ist das Flugzeug sehr einfach zu fliegen. Dann können Sie es mit zwei Fingern kontrollieren. Aber wenn es böig ist, braucht es viel Kraft und Aufmerksamkeit. Die Arbeit, die man dann als Pilot leisten muss, ist viel anspruchsvoller als bei einem normalen Motorflugzeug oder auch einem Segelflugzeug. Problematisch sind vor allem Turbulenzen über den Bergen oder eine starke Thermik. Deshalb starten und landen wir normalerweise früh am Morgen oder nach Mitternacht und meiden Gebiete mit starken Turbulenzen.

TEC21: Sie sind dabei, das zweite Solar-Impulse-Flugzeug zu bauen. Wie wird es sich vom ersten unterscheiden?
A. B.: Äusserlich nicht stark. Lediglich die Flügelspannweite wird mit 70 m noch etwas grösser sein. Aber alle Komponenten und Materialien wurden nochmals verbessert, beispielsweise die Motoren, die Batterien, die Solarzellen. Die Leistung des Flugzeugs wird daher noch besser sein. Auch das Cockpit wurde für lange Flüge angepasst: Für Flüge von bis zu fünf Tagen und Nächten braucht man ein grösseres Cockpit, damit man sich etwas bewegen kann.

TEC21: Welche weiteren Schritte planen Sie bis zur Weltumrundung?
A. B.: Nächstes Jahr möchten wir mit dem ersten Solar-Impulse-Flugzeug in den USA von Los Angeles nach New York fliegen. Ende 2013 soll dann das zweite Flugzeug fertig sein, mit dem wir 2014 Testflüge machen werden. 2015 wäre dann die Weltumrundung.

TEC21: Solar Impulse übermittelt eine Botschaft. Welche Wirkung erhoffen Sie sich davon?
A. B.: Zum einen möchten wir den Pioniergeist stimulieren, denn das ist es, was wir in der Gesellschaft jetzt brauchen, um aus der Rezession zu kommen. Die Leute haben Angst vor Veränderungen. Wir von Solar Impulse wollen zeigen, dass man Dinge anders tun kann als die ganzen Jahre zuvor. Zum zweiten möchten wir das Potenzial bestehender Technologien zeigen. Durch die intelligente Nutzung dieser Technologien können wir unter Beibehaltung unserer Lebensqualität viel Energie einsparen. Die einfachste Variante ist die Wärmedämmung von Gebäuden. Ein weiteres Ziel ist natürlich, das Potenzial erneuerbarer Energien zu demonstrieren.

TEC21: Es geht Ihnen also mehr um eine generelle Botschaft und gar nicht so sehr darum, das Fliegen mit Solarenergie zu propagieren?
A. B.: Das ist absolut richtig. Wir glauben, dass es bei Flugzeugen viel schwieriger ist und entsprechend länger dauern wird, das Erdöl zu ersetzen, weil dort das Gewicht eine wesentliche Rolle spielt. Man sollte lieber zuerst aufhören, Gebäude mit Öl zu heizen, und sich das Erdöl für die Zwecke aufsparen, wo es schwierig zu ersetzen ist.


Anmerkung:
[01] Die Sinkgeschwindigkeit ist die vertikale Geschwindigkeit, wenn keine Maschine läuft.

Literatur:
Solar Impulse HB-SIA, Editions Favre SA, Lausanne 2010. Mit der Sonne um die Welt. Ein Film von Henri de Gerlache, Gedeon Programme 2011.

TEC21, Fr., 2012.11.02

02. November 2012 Claudia Carle

Solarstrom: Fördern und fordern

In die Photovoltaik werden grosse Hoffnungen gesetzt. Die Kosten für Solarstrom sind in den letzten vier Jahren massiv gesunken. Derzeit stammen etwas mehr als 0.3 TW h Strom aus Photovoltaikanlagen (0.5 % des Stromendverbrauchs). In seiner Energiestrategie 2050 hält der Bundesrat bis 2050 eine jährliche Produktion von mehr als 11 TW h Solarstrom für möglich. Das entspräche 19 % des heutigen Stromendverbrauchs. Wie rasch die Photovoltaik ausgebaut und wie sie gefördert werden soll, dazu gibt es jedoch unterschiedliche Ansichten.

«It always seems impossible until it’s done.» An der Klimakonferenz im südafrikanischen Durban im Dezember 2011 war das Zitat von Nelson Mandela oft zu hören. Es könnte aber auch als Sinnbild für die angestrebte Energiewende dienen. Die Schweiz will mittelfristig aus der Atomenergie aussteigen; die dadurch entstehende Lücke soll mit mehr Energieeffizienz und viel Strom aus erneuerbaren Energien ausgeglichen werden. Ende September präsentierte der Bundesrat mit der Energiestrategie 2050 nun eine Vorlage und zeigte damit auf, wie er die Energiewende angehen will.[1] Der Ausbau der Photovoltaik spielt dabei eine zentrale Rolle. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob Parlament und Bevölkerung diesen Weg einschlagen wollen.

Was heute schon ist

Gemäss der schweizerischen Statistik der erneuerbaren Energien betrug 2011 der Anteil der Photovoltaik an der Elektrizitätsproduktion 0.25 %. Aufgrund einer Umfrage bei den wichtigsten Anbietern von Photovoltaikanlagen rechnet Swissolar, der Fachverband für Sonnenenergie, 2012 mit einem Marktwachstum von mindestens 50 % gegenüber dem Vorjahr. Bis Ende Jahr steigt die Jahresproduktion somit auf mindestens 330 GWh an, was etwas mehr als 0.5 % des Stromendverbrauch entspricht. Trotz dieser Steigerung liegt die Schweiz immer noch weit hinter Deutschland zurück, das schon heute einen Solarstromanteil von etwa 5 % hat.

Deutschland führte im Jahr 2000 das Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) ein. Es garantiert für die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen feste Einspeisevergütungen. In der Schweiz wurde erst 2009 mit der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) ein analoges Fördersystem eingeführt. Die KEV garantiert je nach Technologie während 20 bis 25 Jahren einen festen Preis, der den Produktionskosten entspricht. Dem Beispiel Deutschlands folgend haben inzwischen weltweit über 60 Länder solche Fördersysteme eingeführt.

Zögerliche Schweizer Förderpolitik

Finanziert wird die KEV über einen Zuschlag auf den Strompreis. Damit trägt jeder Endverbraucher zur Förderung der erneuerbaren Energien bei. Derzeit beträgt in der Schweiz der Zuschlag 0.35 Rp./kWh.[2] In Deutschland ist die entsprechende Förderabgabe viel höher.

2011 betrug die sogenannte EEG-Umlage 3.53 ct/kWh (etwa 4.24 Rp./kWh).[3] Dieses Jahr ist sie leicht gestiegen, und für 2013 wird mit einem massiven Anstieg auf 5.3 ct/kWh (etwa 6.4 Rp./kWh) gerechnet.[4] Daher wurde die Kritik am EEG in den letzten Monaten immer lauter, und die Mittel für den weiteren Photovoltaikausbau wurden begrenzt. Mit seiner ehrgeizigen Förderpolitik hat Deutschland jedoch wesentlich dazu beigetragen, dass die Stromgestehungskosten bei den erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren deutlich gesunken sind.

In der Schweiz herrscht derzeit eine paradoxe Situation. Für die KEV könnte anstelle von 0.35 Rp./kWh bei Bedarf nämlich schon heute ein Zuschlag von 0.6 Rp./kWh erhoben werden (ergäbe eine Fördersumme von 320 Mio. Franken pro Jahr). Dieser Zuschlag kann gemäss Parlamentsbeschluss vom Juni 2010 ab 2013 bedarfsgerecht sogar auf maximal 0.9 Rp./kWh erhöht werden (das ergäbe etwa 500 Mio. Franken pro Jahr). Doch diese Mittel können momentan gar nicht ausgeschöpft werden, weil viele Wasser- und Windkraftwerke, die KEV-Beiträge zugesprochen erhalten haben, wegen Einsprachen noch in Bewilligungsverfahren blockiert sind. Bei der Photovoltaik werden die Fördergelder hingegen voll ausgeschöpft. Ihr Ausbau ist gemäss Energiegesetz jedoch begrenzt; die Kontingente werden vom Bundesrat jedes Jahr festgelegt. Dieser sogenannte Deckel soll verhindern, dass zu viele Mittel in eine schnell realisierbare, aber noch teure Technologie fliessen.[5] Ohne diese Bestimmung wäre die Einführung der KEV im Parlament nicht mehrheitsfähig gewesen.

Die Begrenzung des Solarstroms führte zu einer langen Warteliste bei der KEV für Photovoltaikanlagen.

Eine parlamentarische Initiative will nun Abhilfe schaffen. Ein erster Entwurf der dafür zuständigen Kommission des Nationalrats (UREK-N) möchte den KEV-Zuschlag auf 1.4 Rp./kWh erhöhen, wobei energieintensive Betriebe entlastet werden sollen. Damit stünden insgesamt mehr Mittel für die erneuerbaren Energien zur Verfügung. Ziel ist es, die Warteliste von insgesamt rund 21 000 Projekten abzubauen. Im Bericht der UREK-N heisst es, mit der Aufstockung der für die KEV zur Verfügung stehenden Mittel könnten im besten Fall die Hälfte der bis April 2012 angemeldeten Photovoltaikprojekte freigegeben werden. Ob das Parlament diesem Vorschlag folgt, wird sich zeigen.

Halbierung der Kosten für Solarstrom

Zurzeit ist Photovoltaik immer noch die teuerste Produktionsart der erneuerbaren Energien. In den letzten Monaten sanken die Kosten jedoch in einem Ausmass, wie es kaum jemand vorausgesehen hatte. Die Kostenreduktion wurde möglich dank der technischen Entwicklungen bei der Herstellung der Module sowie der Massenproduktion. Zudem ist der Konkurrenzdruck gestiegen, weil in Asien immer mehr Solarzellen kostengünstig produziert werden. Inzwischen ist China weltweit der grösste Produzent von Solarzellen. Unter Druck gekommen ist wegen der Überkapazitäten vor allem die europäische Solarindustrie, aber auch diejenige der USA. Der Preisverfall spiegelt sich auch in den fallenden Vergütungsansätzen für Solarstrom (Abb. 03, S. 31) wider. In der Energieverordnung (EnV) ist bei der Photovoltaik eine jährliche, automatische Absenkung der KEV-Vergütung um 8 % vorgesehen. Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) reduzierte die Vergütungsansätze zusätzlich per 1. März 2012 um durchschnittlich 10 % und per 1. Oktober 2012 um weitere 15 %. Damit sank der durchschnittliche KEV-Vergütungssatz für Neuanlagen auf 31 Rp./kWh. 2009 hatte er noch 63 Rp./kWh betragen. Somit haben sich die Kosten für Solarstrom in den letzten vier Jahren ungefähr halbiert.

Für die Zukunft rechnet David Stickelberger von Swissolar zwar mit weiteren Kostenreduktionen bei den Solarmodulen, aber nicht mehr im Ausmass der vergangenen Jahre. Damit rückt die sogenannte Netzparität immer näher. Diese ist erreicht, wenn Solarstrom den gleichen Preis hat, wie ihn die privaten Haushalte für den Strom aus dem Netz zu bezahlen haben. Die Solarbranche glaubt, dass dies ab 2015 der Fall sein wird. Die Gestehungskosten bei Grossanlagen der neuesten Generation liegen bereits heute bei 20 Rp./kWh. Nicht berücksichtigt in dieser Rechnung sind allerdings die Netzkosten, die vom durchschnittlichen Strompreis von 20 bis 25 Rp./kWh ungefähr die Hälfte ausmachen. Und momentan sind die Haushalte noch auf einen Netzanschluss angewiesen, damit sie den überschüssigen Solarstrom ins Netz einspeisen und während der Nacht Strom aus diesem beziehen können. Je genauer die eigene Stromproduktion mit dem eigenen Bedarf übereinstimmt, desto weniger wird das Netz beansprucht.

Ehrgeizige Ziele 2050

Laut dem «Erläuternden Bericht zur Energiestrategie 2050»[6], der vom UVEK Ende September mit der Gesetzesvorlage in die Vernehmlassung geschickt wurde, liegt das nachhaltig nutzbare Potenzial der erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) bis 2050 bei geschätzten 24.22 TWh. Auf die Photovoltaik entfällt dabei der Löwenanteil von 11.12 TWh (das entspricht knapp einem Fünftel des aktuellen Stromendverbrauchs von 59 TWh). Die Basis für diese Schätzung bildeten die technischen Potenziale, die zwischen 2004 und 2006 im Rahmen der breit abgestützten Energieperspektiven 2035 erarbeitet worden waren. Die Energieperspektiven 2035 wurden für die Energiestrategie 2050 vom Bundesamt für Energie (BFE) aktualisiert.

In der im Herbst 2011 veröffentlichten Studie «Energiezukunft Schweiz» der ETH Zürich sind ähnliche oder sogar leicht höhere Photovoltaikpotenziale aufgeführt.[7] Die Autoren gehen bis 2050 von 10 bis 20 TWh Solarstrom aus; der realistische Wert wird mit 14 TWh angegeben. Bis 2020 wird mit 1.4 TWh Solarstrom gerechnet. Bei den Zwischenzielen ergeben sich somit Unterschiede, denn laut der nun vorgeschlagenen Gesetzesvorlage strebt das UVEK für 2020 einen Richtwert von lediglich 0.6 TWh an. Das entspräche nur etwa 1 % des heutigen Stromendverbrauchs. Nach den Vorstellungen des UVEK soll der Zubau der Photovoltaik im Unterschied zu den anderen erneuerbaren Energien weiterhin mit Kontingenten beschränkt werden. Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung der Branche, eines kontinuierlichen Zubaus der Kapazität und einer Begrenzung der Gesamtkosten sei es nicht angezeigt, unbeschränkt finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, so die Begründung des UVEK. Bei Anlagen mit einer Leistung von weniger als 10 kWh sollen zudem keine KEV-Beiträge mehr gezahlt werden; an ihre Stelle sollen einmalige Investitionshilfen treten (vgl. Kasten). Gar nicht zufrieden mit dem vom Bund angeschlagenen Tempo bei der Photovoltaik ist Swisssolar. «Damit riskiert man, die dynamische Entwicklung der Branche abzuwürgen», sagt David Stickelberger. Swisssolar möchte bis 2025 einen Anteil vom 20 % Solarstrom erreichen. Das wären 12 TWh, also etwas mehr, als das BFE erst für 2050 erwartet.

Gibt es genügend geeignete Flächen?

Swissolar schätzte auch die Kosten und den Flächenbedarf.[10] Basierend auf dem heutigen Fördermodell würde der KEV-Zuschlag auf 1.4 bis maximal 2.4 Rp./kWh steigen. Für die Produktion von 12 TWh Solarstrom wäre eine Fläche von 90 km2 nötig. Das entspricht 12 m² pro Einwohner. Um das 20 %-Ziel zu erreichen, müsste bis 2025 jährlich eine Fläche von durchschnittlich 7 km2 mit Solarmodulen bestückt werden. Das ist nicht unmöglich. Die Akademien der Wissenschaften Schweiz gehen von über 400 km2 Dachflächen in der Schweiz aus. Von diesen dürften sich 100 bis 150 km2 für Photovoltaikanlagen eignen.[11]

Doch wie lassen sich geeignete Flächen mobilisieren? Peter Franken, Leiter des Geschäftsbereichs Energieverteilung bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (EKZ), sagte an einer kürzlich von seiner Firma organisierten Tagung, es sei gar nicht so einfach, geeignete Flächen zu finden. Industriebetriebe seien nämlich sehr zurückhaltend, ihre Dächer für 20 bis 30 Jahre zur Verfügung zu stellen. Hier müssen praktikable Lösungen gefunden werden. Mancherorts werden auch Photovoltaikanlagen im Freiland ins Auge gefasst. Die EKZ prüfen etwa den Bau einer grossen Anlage in einem Steinbruch am Walensee. Das Planungsgebiet liegt jedoch im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN). Auf Grundlage der heutigen Gesetzgebung ist das Projekt kaum realisierbar. Das Gleiche gilt auch für das Vorhaben der Centralschweizerischen Kraftwerke AG, im luzernischen Inwil auf einem einst für ein AKW vorgesehenen Gelände eine Photovoltaikanlage auf 15 ha Kulturland zu bauen. Allerdings will der Bundesrat im neuen Energiegesetz festlegen lassen, dass die Nutzung erneuerbarer Energien und ihr Ausbau in der Regel von nationalem Interesse sind, das gleich- oder höherwertig als Umwelt- und Landschaftsschutz zu gewichten ist.

Zukünftige Herausforderungen

Neben den raumplanerischen Konflikten, die sorgfältige Güterabwägungen erfordern[12], gilt es weitere Herausforderungen zu meistern. Bei steigenden Solarstromanteilen wird die Netzintegration immer wichtiger (vgl. TEC21 38 / 2012). Die Schweiz befindet sich dank der stark ausgebauten Wasserkraft mit flexiblen Speicherseen und Pumpspeicherwerken in einer recht komfortablen Lage. Nach Einschätzung von Experten sollte die Integration von 10 % Solarstrom keine grösseren Probleme verursachen. Bei höheren Anteilen sind Anpassungen und Ausbauten der Netzinfrastruktur sowie zusätzliche Speichermöglichkeiten nötig. Fachleuten zufolge werden wahrscheinlich nicht die Kosten für die Erzeugung von Solarstrom dessen Anteil begrenzen, sondern die Netzintegration. Es ist eine anspruchsvolle Aufabe, das bisherige Elektrizitätsversorgungssystem auf eine zunehmend dezentrale Stromeinspeisung umzustellen (vgl. TEC21 12 / 2011). Das künftige Stromnetz wird nicht mehr nur im Einbahnverkehr betrieben, sondern muss sinnbildlich für Gegenverkehr gewappnet sein. Dieses komplexe System mit unterschiedlichsten Stromerzeugungsarten zuverlässig zu steuern und zu koordinieren, wird die neue grosse Aufgabe der Elektrizitätsunternehmen sein.

Ein Problem, das ebenfalls noch zu lösen sein wird, stellt die Versorgung im Winter dar, wenn der Strombedarf hoch ist, der Ertrag aus der Photovoltaik aber geringer ausfällt als im Sommer. Eine Möglichkeit, diese Differenz zu verringern, wäre, mehr Anlagen in den Alpen zu bauen. Im Unterschied zum Mittelland, wo im Sommer 70 % und im Winter 30 % des Solarstroms anfallen, ist das Verhältnis im alpinen Raum deutlich ausgeglichener.

Eine weitere Herausforderung betrifft die Integration der Photovoltaikmodule in die Bausubstanz. Es wird Fälle geben, in denen aus Gründen des Denkmal- oder Ortsbildschutzes darauf zu verzichten ist. Entscheidend für den Umbau des Energieversorgungssystems wird jedoch der Wille der Gesellschaft sein. Die Energiewende ist kein Selbstläufer. Soll es vorwärts gehen, muss die Politik die Weichen stellen und verlässliche Rahmenbedingungen schaffen.


Anmerkungen:
[01] www.energiestrategie2050.ch
[02] Nicht eingerechnet ist hier der Zuschlag für den Gewässerschutz, der maximal 0.1 Rp. / kWh beträgt.
[03] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Erneuerbare Energien in Zahlen, Juli 2012
[04] Pressemitteilung der deutschen Übertragungsnetzbetreiber vom 15. Oktober 2012
[05] Bei Einführung der KEV 2009 durften nur 5 % der Fördermittel in die Photovoltaik fliessen; heute könnte der Anteil infolge der gesunkenen Gestehungskosten für Solarstrom auch höher sein (max. 30 %).
[06] Erläuternder Bericht zur Energiestrategie 2050 (Vernehmlassungsvorlage), UVEK
[07] G. Anderson, K. Boulouchos, L. Bretschger: Energiezukunft Schweiz. ETH Zürich, 2011
[08] Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW): Wie soll Strom aus erneuerbaren Energien gefördert werden?, 2012
[09] Trends in Photovoltaic Applications, IEA-PVPS, 2012
[10] Swissolar: Hintergrundpapier, 10. Nationale Photovoltaik-Tagung vom 22. u. 23. März 2012 in Baden
[11] Akademien der Wissenschaften Schweiz: Zukunft Stromversorgung Schweiz, 2012
[12] Akademien der Wissenschaften Schweiz: Lösungsansätze für die Schweiz im Konfliktfeld erneuerbaren Energien und Raumnutzung, 2012
[13] Vgl. Fussnote 11; Akademien der Technischen Wissenschaften (SATW): Erneuerbare Energien – Herausforderungen auf dem Weg zur Vollversorgung, 2011

TEC21, Fr., 2012.11.02

02. November 2012 Lukas Denzler

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