Editorial
Farben prägen Räume und ganze Stadtlandschaften. Sie transportieren Stimmungen, bieten Orientierung, provozieren oder harmonisieren. Doch der Einsatz von Farbe an Gebäuden kann schnell zum Wagnis werden, da gestalterische und technische Aspekte eng miteinander verknüpft sind. Nicht jede Farbnuance ist machbar, nicht jeder Effekt wünschenswert und allzu oft geben materialbedingte Einschränkungen den Rahmen vor.
Doch so es gelingt und ein professionelles Farbkonzept überzeugend umgesetzt wurde, tut es gut, wenn ein Gebäude über seine Farbfassung signalisiert: Hier bin ich, hereinspaziert, ich biete Anregung, wecke Neugier, sorge für Geborgenheit. In der Juni-Ausgabe der db betrachten wir Projekte, die über ausgefeilte Architektur und darauf abgestimmte Farbkonzepte ein Stück Identität schaffen, bei denen Farbe also weit mehr als bloße Dekoration ist. | Ulrike Kunkel
Wie gemalt
(SUBTITLE) Realschule mit Sporthalle in Dachau
Aus den Wirren des grauen Alltags gelangen die Kinder dieser staatlichen Realschule schrittweise in eine klar strukturierte Welt angenehm warmer Farbtöne. Deren Präsenz macht unwillkürlich neugierig; und so haben nach anfänglicher Skepsis letztlich auch alle beteiligten Behörden den Mut gefasst, sich für dieses Farbkonzept und damit für eine Schule mit unverwechselbarer Identität zu entscheiden – Rektorin, Lehrer und Schüler waren ohnehin sofort begeistert.
Der rechtwinklige Baukörper an einer der Landstraßen zwischen Dachau und München gibt sich zunächst eher schweigsam und spröde. Dunkelgraue Faserzementplatten und pastellfarbene Blechpassepartouts um großformatige Fenster geben jedenfalls nicht ohne Weiteres preis, dass es sich hierbei um eine Realschule handelt. Letztlich kommen aber selbst bei nur sporadisch zum Elternabend erscheinenden Vätern keine Zweifel auf, sich an der richtigen Adresse, und nicht etwa vor einem Hotel oder einem Bürogebäude zu befinden. Dafür sorgt das benachbarte Nebeneinander aus Wohngebäuden, Kindergarten, Montessori-, Grund- und Berufsschule – vor allem aber die von außen nach innen zunehmende Farbigkeit und räumliche Vielschichtigkeit des Neubaus.
Pausenhalle als Architekturgewordene Schnittstelle
Den unübersehbaren Haupteingang definiert ein in den Baukörper eingeschnittener und im EG zu Wohngebiet und Schulcampus durchlässiger Eingangshof. Dessen Raumvolumen entspricht ziemlich genau jenem der hiervon nur durch eine leichte Glasfassade getrennten Pausenhalle. Für die gut 1 000 Schüler und Lehrer der Dr.-Josef-Schwalber-Realschule spielt dieser dreigeschossig hohe Raum allein aufgrund seiner Nutzung als Aula und Veranstaltungsfläche eine zentrale Rolle. Eine übergeordnete Bedeutung erhält er in seiner Eigenschaft als architekturgewordene Schnittstelle zwischen innen und außen, als Ort, an dem sich zwei farblich und gestalterisch unterschiedliche Welten verzahnen.
Die hellgrauen Faserzementplatten des Innenhofs und der Pausenhalle bilden dabei den gediegenen Hintergrund für die warme Farbigkeit der verputzten und gestrichenen Verkehrs- und Erschließungsflächen im Innern. Hinzu kommt, dass nirgendwo sonst im Gebäude das Konzept der räumlichen Verflechtungen und Blickbeziehungen deutlicher spürbar ist. Der nach außen etwas trutzig wirkende Baukörper ist nämlich keineswegs eine unwirtliche Bastion des Lernens, sondern bietet ein sinnliches und inspirierendes Wechselspiel aus Räumen und Leerräumen. Von der Pausenhalle sind tatsächlich fast alle Unterrichts-, Pausen- und Erschließungsbereiche der Schule einzusehen. Im Osten erweitert sie sich in Richtung der nach Schulschluss auch von Vereinen genutzten Dreifach-Sporthalle, unter der sich, halbgeschossig versetzt, das Parkdeck der Lehrkräfte befindet. Im Süden liegen der große Pausenhof, die Mensa und die Klassenzimmer.
Farbe als tragendes Gestaltungselement
Im Schulbetrieb erinnert die Aula an ein Theaterfoyer, in dem die Schüler und Lehrer während der Pausen flanieren, um zu sehen und gesehen zu werden. Besonders beliebt sind die Plätze an den großen Wandöffnungen der beiden oberen »Galerieebenen«, die gleichsam als Logenplätze fungieren. Hinter den grauen Rahmen mit leuchtend gelben Laibungen erscheinen die satt orange und roten Flurwände zunächst wie Tafelbilder. Gelangt man, unter den südlichen Galerieebenen hindurch, aber erst einmal zur großen Haupttreppe, wird deutlich, dass Farbe hier weit mehr als nur Dekoration ist. Der dreigeschossige Treppenraum mit orangefarbenen Wandflächen, Geländern und Deckenverkleidungen sowie einer frei stehenden Himmelsleitertreppe und Brücken zu den Schulfluren kennzeichnet die Farbigkeit des Gebäudes vielmehr als wesentliches und tragendes Element des Entwurfskonzepts. Davon zeugt nicht zuletzt auch das mit breiten vertikalen Farbstreifen gestaltete überdimensionale »Wandbild« des Münchener Farbkünstlers Herbert Kopp, der das Farbkonzept aller inneren und äußeren Oberflächen der Schule in enger Abstimmung mit den Architekten entwickelte. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass für die Farbgestaltung keine zusätzlichen Geldmittel zur Verfügung standen – etwa aus dem Kunst-am-Bau-Budget, das in einem am Rand der Pausenhalle aufgehängten Kunstwerk aufging.
NCS-Farbblätter statt Renderings
Ein Blick in das Portfolio der Architekten verrät eine glühende Leidenschaft insbesondere für den großflächigen und dennoch wohldosierten Einsatz warmer Farbtöne. Mit diesem verhältnismäßig günstigen Mittel zur Raumgestaltung – irgendeine Farbe ist ohnehin immer zu wählen – erzeugen sie emotionalisierende Räume, stellen aber auch Orientierung, Raumbezüge oder Abgrenzungen her. Im siegreichen Wettbewerbsprojekt, noch ohne konkrete Überlegungen zum Farbkonzept, standen räumlich-funktionale Aspekte klar im Vordergrund. Mit seinen klar abgegrenzten Raumvolumina trug der Entwurf jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt all jene Möglichkeiten in sich, die schließlich nach der Beauftragung und im Zusammenspiel mit dem Farbkünstler und den Gremien der Schule bzw. den Genehmigungsbehörden zur Entfaltung kamen.
Grundsätzlich stehen den zurückhaltenden Außenfarben vier Farbzuordnungen der inneren Verkehrsflächen gegenüber: Während Bodenbeläge stets in dunklem Naturstein oder Linoleum ausgeführt wurden, sind die äußeren Flurwände und -decken orange, entsprechende Flächen rund um den großen Pausenhof rot, zur Aula und zum Eingangshof gelb und zur Sporthalle – wie auch die Halle selbst – hellgrün. Treppenhäuser als eigenständige vertikale Verbindungselemente erscheinen dagegen in unterschiedlichen Blautönen. Die Farbauswahl basiert vor allem auf der Intuition des Künstlers und der Architekten, die stets das Ziel eines ebenso inspirierenden wie angenehmen Ortes vor Augen hatten. Einzelne Farbtöne testete Kopp an Arbeitsmodellen unterschiedlicher Maßstäbe. Computervisualisierungen spielten dabei eine untergeordnete Rolle, da sie sich zur Wiedergabe realer Farben als ungeeignet erwiesen. Stattdessen verwendete der Farbkünstler v. a. direkt aufgeklebte NCS- Farbblätter.
Anregen und Beruhigen
Die Abstimmung zwischen Kopp und den Architekten verlief deshalb relativ unkompliziert und ohne Kompetenzgerangel, weil beide bereits über lange Zeit und bei vielen Projekten als eingespieltes Team zusammenarbeiten. Und so bedurfte es auch keiner langen Diskussionen darüber, dass sämtliche Wände und Decken von Klassen- oder Lehrerzimmern, Sekretariat oder Mensa eher in zurückhaltenden gebrochenen Weißtönen erscheinen. Daraus ergibt sich in den Lernräumen eine im Vergleich zur anregenden Farbigkeit der Flure eher beruhigende Atmosphäre. Zur Konzentrationsfähigkeit der Schüler trägt dies ebenso bei wie eine kontrollierte Lüftung, die mit permanenter Messung der CO2-Werte und einem dreifachen Luftwechsel pro Stunde für ausreichend Sauerstoff sowie minimale Wärmeverluste sorgt. Insgesamt haben die Architekten mit großen Dämmpaketen, Wärmerückgewinnungsanlagen und Erdröhrenkollektoren einen Jahresprimärenergiebedarf von 112 kWh/m²a und damit Passivhausstandard erreicht. Eine offizielle Zertifizierung erfolgte nicht, da die konsequente Verfolgung dieses Ziels bis ins kleinste Detail das schmale Budget aus Steuermitteln überstiegen hätte.
Latexfarben versus Wanderklassen
Obwohl der Schulbetrieb der Dr.-Josef-Schwalber-Realschule erst im Herbst 2011 begann, weisen die farbigen Flurwände bereits heute unübersehbare Abnutzungsspuren aus dem Schulalltag auf, wie man sie eigentlich erst nach mehreren Jahren erwarten würde. Dies als Unmutsäußerung der Schüler zu interpretieren, wäre allerdings falsch. So zitierte die Rektorin Angelika Rogg in ihrer Eröffnungsrede Schüler, die sich über die präsenzmeldergesteuerte Beleuchtung oder das Fehlen der vor allem im Winter konfliktträchtigen Fensterlüftung ebenso positiv äußern wie über die Farben, die »so erfrischend und aufmunternd, so hell und kräftig sind und eine gute Stimmung machen«. Die Ursache für das Verschmutzungsproblem liegt vielmehr in der Tatsache, dass das ursprünglich im Raumprogramm definierte Stammklassenprinzip nach behördlichen Vorgaben kurz vor Bezug der Schule durch ein Fachraumprinzip ersetzt werden musste. Anstatt also über fest zugewiesene Klassenzimmer zu verfügen, machen sich die Schüler nun nach jeder Schulstunde als Wanderklasse auf den Weg in andere Räume. Wie sich heute zeigt, ist der zu diesem Zeitpunkt bereits aufgetragene matte Anstrich aus an sich strapazierfähigen und abwaschbaren Latexfarben für ein derartiges Bewegungsprofil allerdings ungeeignet.
In einem wesentlich besseren Zustand präsentieren sich dagegen die Treppenhäuser und das Wandbild an der Haupttreppe, die ebenfalls mit Latexfarben, jedoch mit einem zusätzlichen 2-Komponenten PU Klarlack beschichtet wurden. Diese Variante kam in den Fluren deshalb nicht zur Ausführung, weil man hier von relativ langen Intervallen für zeit- und kostenintensive Reinigungsmaßnahmen oder Neuanstriche ausging. Und dabei bieten die verwendeten Latexfarben den Vorteil, dass sie sich problemlos überstreichen lassen, während die beschichteten Flächen vor dem Neuanstrich erst mühsam abgeschliffen oder anderweitig mechanisch entfernt werden müssen.
Nach den Erfahrungen mit der hohen Frequentierung der Flure mit 10- bis 16-jährigen Schülern haben die Architekten bereits zahlreiche alternative Oberflächen untersucht. Wandbeläge und Verkleidungen schieden letztlich aus, weil auch sie sich – bei wesentlich höheren Investitionskosten – nicht dauerhaft vor den zu erwartenden Verschmutzungen und Oberflächenbeschädigungen schützen lassen. Aktuell werden Musterflächen verschiedenster Farbbeschichtungsqualitäten gestestet, die ebenso robust wie zu verträglichen Kosten erneuerbar sein müssen. Bis eine geeignete Lösung gefunden ist, wird die Schule wohl mit dem unerfreulichen Zustand der Wände leben müssen. Glücklicherweise bleibt der Gesamteindruck des bemerkenswerten Zusammenspiels zwischen Raum und Farbe davon unbeeinträchtigt.db, Mo., 2012.06.11
11. Juni 2012 Roland Pawlitschko
Leicht und leuchtend
(SUBTITLE) Konferenz- und Veranstaltungszentrum in Cartagena (E)
Farbe wirkt direkt, emotional, das ist bekannt. In medial überreizten Zeiten wie diesen ist der heftige Griff in den Farbtopf deshalb besonders populär. Wenn farbige Architektur dann noch so spielerisch leicht und klug inszeniert wird wie bei diesem multifunktionalen Gebäude in Südspanien, ist ihr Erfolg garantiert – eigentlich. Doch bei einem Besuch vor Ort bleiben Fragen offen.
Einen Stimmungsaufheller wie »El Batel« hat die Region Murcia dringend nötig. Nach einem Jahrzehnt des Booms mit den landesweit höchsten Wachstumsraten herrscht Katerstimmung, am sichtbarsten im Immobiliensektor: Leerstände, verwaiste Baustellen, Spekulationsruinen, wohin man blickt. Von den jungen Leuten ist derzeit die Hälfte arbeitslos, und gerade die Qualifizierteren wandern ab.
Mit dem Konferenz- und Veranstaltungszentrum am Hafen von Cartagena setzen Stadt und Region auf eine Gegenbewegung, auf »Qualitätstourismus«. Doch um die zahlungskräftige Kongress-Klientel buhlen gegenwärtig viele Standorte in Spanien. Um hier mithalten zu können, hat man gerade einen neuen internationalen Flughafen zwischen Murcia und Cartagena aus dem Boden gestampft, der den Nachbarn in Alicante und Almeria Gäste abjagen soll.
Der Erfolg dieser Bemühungen ist bisher zweifelhaft. Im März eröffnete Königin Sofia El Batel mit großem Gefolge, doch das Programm des Zentrums liest sich bislang bescheiden. Genug Platz also, die ungewöhnliche Architektur an der heißen Hafenpromenade genauer zu betrachten.
Container und Lampion: die Gebäudehülle
Was andernorts gern als »Palast« repräsentiert, kommt hier zunächst als schlichter Container daher: lang und schmal und v. a. niedrig. Eingeschossig nimmt das Entree den Maßstab des benachbarten Museumsbaus auf, ehe es gen Osten zum Auditorium in die Höhe und, wie man erst drinnen merkt, in die Tiefe wächst. Überhaupt: Die äußere Klarheit und Reduziertheit einer Fabrikhalle lässt den inneren Reichtum an räumlichen Situationen und farbiger Sinnlichkeit zunächst nicht ahnen. Als Determinanten ihres Entwurfs nennen die Architekten die strikte Geradlinigkeit der Hafenmole und die ruhige Horizontalität des Meeres. Offensichtlich ist zudem der Bezug zum nahegelegenen Containerumschlagplatz im Hafen.
Die beiden 210 m langen Hauptfronten sind als ein Meter tiefe Doppelfassaden ausgeführt, deren einheitliche Haut aus einer Art semitransparenten Stülpschalung besteht. Gedrungen V-förmige Profile aus Methacrylat (Acrylglas) außen und Polycarbonat innen werden von simplen Metallprofilen, wie sie aus dem Gewächshausbau bekannt sind, gehalten. Das UV-stabile Acrylglas und das brandhemmende Polycarbonat sind dabei äußerlich nicht zu unterscheiden. Beiden sind 1 mm breite Pigmentstreifen in phosphoreszierendem Orange, Gelb, Blau und Grün eingelegt, welche gemeinsam mit Längsrillen eine je nach Standpunkt des Betrachters variable Brechung des Lichts bewirken. Die filigrane Stahlkonstruktion im Scheibenzwischenraum ist so nur verschwommen erkennbar.
Die Hoffnung war, auf diese Weise auch die Verschmutzung zu überspielen, denn: »Cartagena ist eine sehr schmutzige Stadt«, wie Architekt José Selgas sagt. »Wenn es regnet, regnet es Saharastaub.« Dies gelingt zumindest besser als bei einer Glasfassade, die auch aus Kostengründen ausschied – sie wäre doppelt so teuer gewesen. Mit 150 Euro/m² ist diese Wandkonstruktion unschlagbar günstig, auch weil in Cartagena Europas größte Fabrik für Polycarbonat steht (die Gegend ist voll von riesigen Kunststoff-Gewächshäusern). Das Material ist nach Auskunft des Architekten ebenso dauerhaft und noch bruchfester als Glas und bestand alle Härtetests. U. a. ließ man Skater in voller Fahrt auf die Fassade prallen.
Da die Temperaturen in Cartagena im Mittel bei 20 °C liegen und kaum einmal unter 10 °C fallen, hat die Wand bauphysikalisch jedoch weit weniger Funktionen als in Mitteleuropa. So ist die aus 5,2 m langen und 22 cm breiten Profilen bestehende Stülpschalung »durchlüftet« und entlässt die eingefangene Wärme gleich wieder nach draußen, zumeist ohne künstliche Klimatisierung, wie Architekt Selgas betont. Bei dieser Low Tech-Planung waren wiederum der Staub und die Vögel zu beachten, die bei breiteren Fugen in den Zwischenraum eingedrungen wären. Die Reinigung der Fassade wird indes ein Dauerthema bleiben. Eine Heizung hat das Gebäude übrigens nicht, allein die in den Böden unsichtbar verlegte Klimaanlage vermag Temperaturspitzen auszugleichen.
Mit Einbruch der Dämmerung lassen weiße LED-Strahler am Fuße der Fassade den kantigen Container zum weithin leuchtenden Lampion werden. Schemenhaft ist dann auch das Innere des Gebäudes zu erkennen. An dessen rückwärtigem, höheren Teil und auf den Dachterrassen glimmen gelbe und weiße Röhren aus Acrylglas auf, die dort die Verkleidung und den Sonnenschutz bilden.
Drittes Fassadenelement sind großformatige knallorangefarbene ETFE-Luftkissenelemente (mit 15 x 60 m die größten bislang gefertigten), die in der östlichen Einkerbung des Baukörpers hängen und v. a. das Foyer des Auditoriums prägen.
Tagheller Plastik-Pop: das Innere
Die Uferpromenade, deren Ende El Batel bildet, setzt sich im Inneren des Gebäudes fort. Zwei bis 100 m lange Rampen führen hinauf zu einem Ausstellungsbereich und hinab zu den vier Sälen. Unmittelbar am Eingang geht es über eine Rolltreppe hinauf zum Restaurant und zur Verwaltung. Dank der durchlässigen Hülle und gläserner Brüstungen ist es im gesamten Inneren taghell, auch die Konferenzsäle lassen sich durch indirekten Lichteinfall über die Decken ohne Kunstlicht nutzen.
Nicht nur in der Horizontalen, auch vertikal gerät hier vieles in Bewegung: Die Wände, aus denselben V-Profilen wie die Fassade opak gefertigt, hier aber vertikal gereiht, schwingen leicht ein- und auswärts, bis sie für die breiten Eingänge der großen Säle zurückweichen. Wild und scharfkantig wie Wunden sind immer wieder Öffnungen ausgesägt, an denen hinter der milchigen »Haut« das orangene »Fleisch« des Gebäudes hervortritt – Ticketverkauf, Empfang sind die Funktionen dieser im ruhigen Fluss der Räume plötzlich beunruhigenden Störungen. Doch es kommt noch extremer: Der zuvor eher niedrige, von weißen geschlitzten Metallblechen gedeckte Verkehrsraum weitet sich im Foyer des Auditoriums spektakulär nach oben, wo eine Kaskade leichter Stahltreppen zu den oberen Rängen führt.
Warm und kalt, fast psychedelisch: das Farbkonzept
Strahlend orange sind die ETFE-Wände und auch die Stufen dieses Foyers gehalten, »um die Besucher hierher zu locken«, wie José Selgas sagt. »Mit Orange verbinden die Menschen Wärme und Geborgenheit, so dass sie sich hier gern aufhalten.« Die hier einfallende Abendsonne verstärkt diesen Effekt noch. Eigentlich herrscht aber permanenter Sonnenuntergang. Ein positiver Nebenaspekt von Orange sei, dass der Schmutz darauf nicht so sichtbar sei wie auf den weißen (!) Gummiböden im übrigen Foyer, merkt der Architekt an.
Umso krasser der Kontrast, sobald man das anschließende Auditorium betritt, das felsartig verschalte Betonwände abschirmen: Hier sind die Polycarbonat-Wände wie die 1500 Sitze tiefblau gefärbt, eine Spiegelfolie hinter den Kunststoffplatten führt zu unsteten Lichtreflexen. Der Betrachter wähnt sich auf einem Tauchgang (oder in einem Eisblock?). Tatsächlich liegt das Auditorium unter der Wasserlinie in einem Betontrog. Das Blau strahlt Ruhe aus, Konzentration, doch unwillkürlich fröstelt es einen auch. Neutrale Helle verströmt allein die Tageslichtdecke – aus Polycarbonatplatten. Offenbar leidet die Akustik nicht unter den »billigen« Oberflächen. Sie könne es mit Räumen aus feinsten Hölzern aufnehmen, heißt es.
Diese, so stark von Farben dominierten Räume sind sicher überaus einprägsam. Wie die vielen teils legendären Designer-Sitzmöbel aus der Pop-Ära, die locker über das Gebäude verteilt sind, wird El Batel mit diesen fast psychedelischen Raum-Erfahrungen verbunden bleiben – als eine populäre »Marke«. Ob ihre Intensität den Menschen auf Dauer guttut, sei dahingestellt. Menschen halten sich ja nie länger als einige Stunden darin auf.
Auch im Außenraum tauchte der Kontrast Warm-Kalt schon auf: Die Uferpromenade ist um das Gebäude mit warmen Holzdielen belegt, aus denen Palmen und Felsbrocken herausragen, die beim Aushub der Baugrube auftauchten. Vor 100 Jahren, ehe die Hafenmole errichtet wurde, lag hier ein beliebter Strand, von dem der Name »El Batel« (der Kahn) herrührt. Und auf assoziative Weise lässt sich das fein modellierte Innenleben des Zentrums lesen als eine Reminiszenz an diesen Strand, der von einer harten Hülle überformt wurde.
Dass hier 18 500 m² flexible Nutzfläche geboten werden, sieht man dem äußerlich so bescheiden auftretenden Gebäude nicht an. Mit 34,5 Mio. Euro (1865 Euro/m²) wurde es in zehn Jahren Planungs- und Bauzeit zwar teurer als prognostiziert, doch immer noch sehr kostengünstig, zumal im Vergleich zu ähnlich großen Werken bekannter Stars wie Calatrava oder Foster. Das Büro von José Selgas und Lucia Cano ist klein, 8–10 Leute sitzen in ihrem originellen halboffenen Büro-Rohr am Rande von Madrid. Eben haben sie ein weiteres Konferenzzentrum in Placencia vollendet und sich um den Bau eines anderen in Bochum beworben. Keines sieht auch nur annähernd so aus wie El Batel, und so darf man gespannt sein, was selgascano mit ihrer experimentellen Denkart noch entwerfen werden.db, Mo., 2012.06.11
11. Juni 2012 Christoph Gunßer
Distinktion in Silber
(SUBTITLE) Fassade eines Büro- und Geschäftshauses in München
Nein, diese Fassade ist nicht weiß, sondern tatsächlich silbern; auch wenn sich das leider nur schwer auf Papier bannen lässt. Mit diesem changierenden, schuppenartigen Fassadenrelief stellen Hild und K einmal mehr ihren versierten Umgang mit dem viel geschmähten Wärme-Dämm-Verbund-System unter Beweis.
Es ist Spätnachmittag. Der Himmel strahlt blau. Die Sonne sticht. München leuchtet und das neue Eckhaus an der Welfenstraße glitzert, perlt und blendet. Trotz des hohen Reflexionsgrads des Perlmutter-Kleids, das je nach Umgebungsfarbe mal ins Champagnerfarbene mal ins Kupfrig-grüne changiert, fällt das extravagante Relief der Fassade auf. Ein Flachrelief mit feinen Lichtkanten einerseits und entsprechenden Schattenlinien anderseits, das dem Eckhaus mit seinem Turmaufbau eine art déco-Anmutung verleiht. Dabei greifen die Lisenen- und Faschenkaskaden des Büro- und Geschäftshauses Gestaltungsmotive auf, die auch das historistische, mit weiß auf grau stukkierte Wohnhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufweist. Eine städtebauliche Familiarität herzustellen ohne sich historisierend anzubiedern gehört zu den Grundanliegen des Architekturbüros Hild und K.
Der sogenannte Regerhof gehört zu dem neuen, von der Bayerischen Hausbau realisierten Quartier der »Welfenhöfe« im fusionierten Stadtteil Au-Haidhausen. Ein wenig vom östlichen Isarhochufer abgerückt, wird das Umfeld von einer der letzten in München verbliebenen Brauereien, Wohnungsbauten der Gründerzeit, farbigen Genossenschaftsanlage der späten 20er Jahre sowie Nachkriegsbebauungen der 60er und 70er Jahre geprägt. Eine Bahntrasse schließt das bis dato von Werkstätten und kleinen Lagerhallen bestimmte Gelände nach Süden ab. Jenseits der Bahntrasse herrscht erst einmal das dichte Baumwipfelgrün des Ostfriedhofs. Das städtebauliche Konzept der Welfenhöfe haben nach Wettbewerb die Münchner 03 Architekten entwickelt. Die gleichfalls qualifizierten Büros von Stefan Forster, Peter Ebner&Friends und Hild und K wurden mit je einem Bauabschnitt der um drei von WGF Landschaft und studio 5 gestalteten Innenhöfe gruppierten Häuser betraut, so dass sich die lebhafte Mischstruktur des Münchner-Viertels fortsetzt.
In diesem Beitrag soll es ausnahmsweise mal nur um die Fassade des mit dem deutschen Gütesiegel für nachhaltiges Bauen in Silber vorzertifzierten Energie-Effizienz-Hauses von Hild und K gehen. Eine Putzfassade, die speziell für das geschmähte Wärme-Dämm-Verbund-System entwickelt wurde. Mit großem Ernst doziert Andreas Hild darüber, dass sich Architekten mit WDV auseinandersetzen müssen, ansonsten würden die Energiesparverordnungen zu dem größten europäischen Städtebauvernichtungsprogramm. Die Welfenhöfe insgesamt lassen sich als architektonisch-künstlerische Fassaden-Entwicklungsstudie unter den Bedingungen von WDVS interpretieren, das den knapp kalkulierten Wohnungsneubau in hochpreisigen innerstädtischen Nachverdichtungsgebieten beherrscht. Jeder der beteiligten Architekten sollte ein eigenes, haustypisches Relief entwickeln und jeder sollte mit einem anderen Silberton arbeiten. So ergeben sich bei der neuen Blockrandbebauung an der Welfenstraße Abstufungen von weiß-gleißenden Silbertönen für die Eckbauten bis hin zu zinnfarbigen Akzentuierungen in der Mitte des Ensembles, von Flachreliefs bis hin zu expressionistischen Front-Faltungen.
Das von Hild und K entwickelte Relief ist so schuppenförmig aufgebaut, dass waagrechte Simse, auf denen Wasser stehen bleiben würde und mit der Zeit das wärmedämmende Material verfaulen ließe, systematisch vermieden werden. Das raffiniert ineinandergreifende System aus positiven und negativen Flächen und Lisenen bedingt, dass das Haus von Geschoss zu Geschoss nach oben immer weiter auskragt. Oder andersherum beschrieben: Die obere Reliefschicht legt sich über die nächst untere Etagen-Schicht. Durch diesen unmerklichen Lagenlook, bekommt der sorgfältig beblechte Dachrand eine schöne, bewegte Linie, die gut mit der Eckstaffelung des Baus harmoniert. Elegant ist auch der Anschluss an den Nachbarblock gelöst: Von oben herab wird die Fassade Geschoss um Geschoss in fünf jeweils pilasterbreite Stufen, jeweils um 3 cm weiter abgetreppt, bis die Wand in gesamter Höhe plan an die Hausflucht anschließen kann. Je mehr man sich in die Logik dieses »hängenden« Fassadenreliefs vertieft, das auch ein Hin und Her der Fensterachsen im Rhythmus der Lisenen führt, desto lieber wird einem dieses ästhetische Spiel mit den Bedingungen von WDVS. Fragt sich nur, wie diese edle Oberfläche altern wird.db, Mo., 2012.06.11
11. Juni 2012 Ira Mazzoni