Editorial
«Kommt es zum 50. Geburtstag, den er seit Jahren gefürchtet hat, so ist er erstaunt: Er hat immer gemeint, einer mit 50 sei ein älterer Mann», schreibt Max Frisch in einem seiner Tagebücher[2]. Alter – das hört sich zunächst für die meisten von uns weit weg an. Das gefühlte Alter hat wenig mit dem biologischen zu tun, und so tönt der Begriff «Alter» immer nur tauglich für andere – aber für einen selbst? Wohl in der Hoffnung, uns damit zu erreichen, haben die Werbestrategen der Immobilienwirtschaft deshalb ein « » hinter die Lebensjahrzehnte gesetzt. Doch die versuchte Vermessung der Zielgruppe «Rentengeneration» ist mit Vorsicht zu geniessen: Wann sind wir «50 » und wann alt? Wann haben wir jene «zweite Lebenshälfte» erreicht, in der wir angeblich über den Ausstieg aus dem Berufsleben und zukünftige Wohnwünsche nachzudenken beginnen?
Statistisch gesehen beginnt die zweite Lebenshälfte für Männer des Jahrgangs 1964 in der Schweiz mit 41.5 Jahren, für Frauen mit 44 Jahren.[3] Bei genauer Betrachtung befinden sich also viele von uns bereits mitten in der zweiten Lebenshälfte. Die Ansprüche an das Wohnen unterscheiden sich aber aufgrund ganz persönlicher Vorlieben und Einschränkungen und nicht nur infolge unseres Alters.
Dieses Heft von TEC21, die zweite Ausgabe unserer Reihe «Hindernisfrei»[4], ist Wohnkonzepten für das selbständige Wohnen und Leben im Alter gewidmet. Die heutigen und zukünftigen Generationen älterer Menschen – die Altersgrenze wollen wir hier bewusst offenlassen – haben aufgrund ihres hohen Lebensstandards, ihrer guten gesundheitlichen Verfassung und der zunehmenden Individualisierung unserer Gesellschaft andere, persönlich geprägte Ansprüche an die Wahl ihrer Wohnung als noch die Generationen unserer Eltern und Grosseltern («Für eine selbständige zweite Lebenshälfte», S. 22). Der Entschluss, in eine Alterssiedlungen zu ziehen, ist daher oft vor allem eine Entscheidung gegen das Alleinsein. Dafür bietet sich von genossenschaftlich verwalteten Siedlungen mit integriertem Dienstleistungsangebot bis hin zu selbst organisierten Wohngemeinschaftsmodellen ein Spektrum an Möglichkeiten. In diesem Heft stellen wir drei Alterssiedlungen vor, die stellvertretend für die heute angebotenen Konzepte stehen («Gegen die Einsamkeit», S. 27).
Tina Cieslik, Andrea Wiegelmann
Anmerkungen:
[01] Leben wie ich will. Autonomes Wohnen im Alter, Kontrast, Zürich 2010
[02] Max Frisch, Tagebuch 1966–1971, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972
[03] Jacques Menthonnex, Philippe Wanner, Kohortensterbetafeln für die Schweiz. Geburtsjahrgänge 1880–1980, Bundesamt für Statistik, Bern 1998, S. 60/61
[04] Ausgabe 1: «Special needs» (TEC21, 38/2011)
Inhalt
05 WETTBEWERBE
Mehrgenerationenhäuser Schenkon LU | Hindernisfreies Bauen in Basel
08 PERSÖNLICH
«Architektur bildet Grundwerte ab» | Leserbrief
12 MAGAZIN
Zufallsprodukt Landschaft | Ironisch ruinenhaft | Bücher
22 FÜR EINE SELBSTÄNDIGE ZWEITE LEBENSHÄLFTE
François Höpflinger
Auch im Alter selbstbestimmt zu leben, wünschen sich die meisten Menschen. Oft kommt dazu ein Bedürfnis nach Gemeinschaft – nicht als Alternative zur individuellen Selbständigkeit, sondern als Ergänzung. Dies führt zur Gründung individueller Wohnmodelle, wie Hausgemeinschaften oder Mehrgenerationenwohnen.
27 GEGEN DIE EINSAMKEIT
Tina Cieslik, Andrea Wiegelmann
Mit den Babyboomern kommt eine Generation in die Nachberufsphase, die sich durch hohen Lebensstandard und eine gute Gesundheit auszeichnet. Diesen Menschen stellt sich die Frage nach dem künftigen Wohnmodell – drei Projekte für selbständiges Wohnen im Alter im Vergleich.
37 SIA
Verlust des Honorars | Befangenheit und Ausstandsgründe
45 PRODUKTE
53 IMPRESSUM
54 VERANSTALTUNGEN
Für eine selbständige zweite Lebenshälfte
Selbständigkeit auch im Alter ist ein zentraler Wunsch der allermeisten Menschen. Neben einer langen behinderungsfreien Lebenserwartung, einer guten sozialen Unterstützung und ambulanten Dienstleistungen zählt dazu auch das Leben in einer hindernisfreien Wohnung. In den letzten Jahren zeigt sich gleichzeitig ein erhöhtes Bedürfnis nach gemeinschaftlichen Lebens- und Wohnformen – nicht als Alternative zur individuellen Selbständigkeit, sondern als deren Ergänzung. Dies führt vermehrt zur Gründung von Altershausgemeinschaften und Mehrgenerationenwohnen und ist verbunden mit dem Wunsch nach einer Wohnung in einer zentral gelegenen, belebten Gegend.
Analysen über und Planungen für ältere Menschen müssen immer folgende gerontologische Grundprinzipien einbeziehen:[1] Erstens altern Menschen vielfältig und heterogen. Frauen und Männer erfahren psychische, sensorische und kognitive Einschränkungen in unterschiedlichen Phasen ihres Alterns. Begriffe wie «altersgerechte Wohnung» sind vor diesem Hintergrund mit Zurückhaltung zu benützen. Es bedarf vielmehr einer Vielfalt an zielgruppenspezifisch ausgerichteten neuen Wohnprojekten. Zweitens variieren Lebens- und Wohnbedürfnisse – wie auch die Chancen zur selbständigen Wohngestaltung – im höheren Lebensalter je nach sozialer Schichtzugehörigkeit oder Einkommenslage.[1,2] Lebensgestaltung und Wohnkontext der unterschiedlichen sozialen Milieus unterscheiden sich. Je nach Höhe der Altersrenten und des angesparten Vermögens stehen pensionierten Menschen andere Wohnmöglichkeiten offen: Wohlhabende können sich eine luxuriöse Seniorenresidenz oder eine teure Eigentumswohnung leisten, wirtschaftlich Schlechtergestellte sind auf eine günstige Mietwohnung oder auf eine genossenschaftliche Wohnung angewiesen. Daneben spielen regionale Faktoren eine Rolle. Das Altwerden in der Innenstadt hat ein anderes Gesicht als das Altwerden in einer ländlich geprägten Wohngemeinde. Drittens sind Lebens- und Wohnbedürfnisse – wie auch Wohnästhetik – lebensgeschichtlich geprägt. Je nach Biografie ergeben sich andere Vorstellungen von der idealen Wohnumgebung, werden andere Wohnräume und -einrichtungen bevorzugt. Eine langjährig bewohnte Wohnung ist für ältere Menschen zudem mehr als nur Wohnraum, es ist auch der Ort, wo sich Erinnerungen ansammeln. Bei einem Wohnungswechsel nehmen sie nicht primär das Nützliche mit, sondern das, was ihnen lebensgeschichtlich wertvoll erscheint.
Haushaltformen im Alter
Die Haushaltsgrösse älterer Menschen hat sich in den letzten Jahrzehnten weiter reduziert. Während zu Beginn der 1970er-Jahre noch mehr als ein Viertel der über 65-Jährigen in einem Haushalt mit drei und mehr Personen lebten, sind dies gegenwärtig kaum noch 5 %. Das Wohnen mit Dritten, etwa in Untermietsverhältnissen oder Nichtfamilienhaushalten, aber auch das Zusammenleben mit erwachsenen Kindern hat an Bedeutung eingebüsst. Der Anteil der zu Hause lebenden 80-Jährigen und der Menschen, die mit einem ihrer Kinder im gleichen Haushalt leben, hat sich seit 1970 von 15 % auf 2 % reduziert (Abb. 8). Selbst in ländlichen Regionen ist ein Zusammenleben mit Kindern selten geworden.[3] Nach dem Wegzug der Kinder leben Menschen zumeist in einem Eingenerationenhaushalt.
In den letzten Jahrzehnten haben sich vor allem zwei Haushaltsformen verbreitet: Zum einen leben – trotz erhöhter Scheidungshäufigkeit – Frauen und Männer im Alter häufiger in einem Paarhaushalt; auch weil im Alter gegenwärtig noch ehe- und familienfreundliche Jahrgänge dominieren. In jüngeren Generationen ergeben sich zudem mehr Zweit- und Drittbeziehungen. Da Frauen im Durchschnitt länger leben und Männer oftmals eine jüngere Frau heiraten, leben alte Männer deutlich häufiger in einer Paarbeziehung als gleichaltrige Frauen (Abb. 5–6). Zum anderen hat sich der Anteil von Männern und Frauen erhöht, die in einem Einpersonenhaushalt leben, wobei Frauen vor allem deshalb allein leben, weil ihr Partner verstorben ist. Die Entwicklung zum Alleinleben – auch als «Singularisierung des Alters» bezeichnet – hat auch mit einer verbesserten wirtschaftlichen und sozialen Selbständigkeit sowie einer verstärkten Individualisierung neuer Rentnergenerationen zu tun. Gemeinschaftliche Wohnformen sind vor diesem Hintergrund noch vergleichsweise selten anzutreffen, d. h., bei den selbständig wohnenden Menschen im Alter überwiegen gegenwärtig Kleinst- und Kleinhaushalte. Die Dominanz von Kleinhaushalten dürfte – trotz Ausbau gemeinschaftlicher Alterswohnformen – auch die nähere Zukunft bestimmen, da die Zahl der verfügbaren Wohnungen in Altershausgemeinschaften gegenwärtig weniger rasch anwächst als die Zahl an älteren Menschen.[4]
Was Selbständigkeit im Alter fördern kann
Der Anteil der älteren Menschen, die selbständig leben und wohnen, ist in den letzten Jahrzehnten deutlich angestiegen, unter anderem, weil sie durch den Ausbau der Altersvorsorge wirtschaftlich abgesichert leben können. Der Hauptfaktor ist jedoch, dass 50-Jährige heute speziell in der Schweiz von einer langen gesunden Lebenserwartung profitieren können. Für ein selbständiges Haushalten ist die Gesundheit entscheidend. In der Schweiz setzt Pflegebedürftigkeit heute oft erst im sehr hohen Alter ein. So sind fast 87 % der 80- bis 84-Jährigen und gut 77 % der 85- bis 89-Jährigen keineswegs pflegebedürftig. Erst im sehr hohen Alter von 90 und älter steigt das Risiko alltagsrelevanter Pflegebedürftigkeit auf über 40 %, und das frühere Modell eines Altersheims wird immer mehr durch Pflegeheim bzw. Pflegewohngruppen ersetzt (Abb. 7).
Wenn Alltagseinschränkungen bedeutsam werden, können zum einen gute soziale Rahmenbedingungen, wie ein Partner oder Angehörige, die Hilfeleistungen im Alltag oder sogar Pflegeleistungen übernehmen, selbständiges Wohnen in privaten Haushalten weiterhin ermöglichen.[5] Auch nachbarschaftliche Hilfe oder gemeinschaftliche Wohnprojekte können unterstützen. Für unsere moderne Gesellschaft mit einer geringen Zahl an Nachkommen entscheidend ist auch der Ausbau ambulanter professioneller Dienstleistungen (Spitex u. a.). Intereuropäische Studien belegen, dass selbständiges Leben und Wohnen bei funktionalen Einschränkungen nur durch eine Verknüpfung von informeller (Angehörige, Nachbarn und/oder Freunde) sowie formeller, professioneller Unterstützung möglich ist.[6] Bedeutsam sind zweitens Wohnformen, die hindernisfreies Wohnen mit gut zugänglicher nachbarschaftlicher Infrastruktur verbinden. Der Nutzen technischer Hilfsmittel zur Erhaltung der Selbständigkeit im Alter ist nur mit sozialer Unterstützung möglich.[7] Bei kognitiven oder psychischen Einschränkungen müssen hindernisfreie Wohnformen mit ausgebauten Dienstleistungen verbunden sein, wie beim Konzept des betreuten Wohnens. Die Grenzen des hindernisfreien Alterswohnens zeigen sich vor allem bei psychischen Problemen (Depression) und hirnorganischen Einschränkungen (Demenz).
Zusammenleben auch im Alter
Nach Jahrzehnten verstärkter Individualisierung setzte zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine allgemeine Trendwende ein: Genossenschaftlich-gemeinschaftliche Formen von Leben und Wohnen erlebten einen Aufschwung, und das mediale Leitbild des «Singles» wurde vermehrt zum Leidbild uminterpretiert.[8] Wirtschaftliche Unsicherheiten, Grenzen staatlichen Handelns und die Auswirkungen eines ungebremsten Egoismus dürften gemeinschaftlichen Lebensentwürfen in postmodern orientierten Teilen der Bevölkerung weiteren Auftrieb geben. Bei der Generation der Babyboomer werden die neuen Trends in zwei Wohnformen für die zweite Lebenshälfte sichtbar:[9] Zum einen verstärkt sich der Wunsch, das private Leben allein oder zu zweit durch gemeinschaftliche Lebens- und Wohnaspekte zu ergänzen. Entsprechend entstehen mehr Projekte in Richtung von Altershausgemeinschaften oder gemeinschaftlichem Wohnen. Im Unterschied zur klassischen WG handelt es sich bei den meisten Alterswohnprojekten um Wohnformen, die privates Wohnen (eigene Wohneinheiten mit Bad und Küche) mit gemeinschaftlichen Begegnungsräumen kombinieren. Es geht nicht um die Aufgabe von Selbständigkeit und Individualität, sondern um ihre Ergänzung durch gemeinschaftliche Beziehungen und gegenseitige Unterstützung, die über den Rahmen unverbindlicher Nachbarschaftskontakte hinausgehen. Entsprechend geht es bei der Planung und Vorbereitung solcher Wohnprojekte immer auch darum, soziale Beziehungen schon vorgängig zu pflegen, etwa durch gemeinsame Freizeitaktivitäten. Die Erfahrungen der Genossenschaft «Zukunftswohnen»[10] zeigen, dass auch die Definition der gegenseitigen Erwartungen noch vor Einzug in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg ist (vgl. Seite 32 ff., Gemeinschaftswohnen Kanzleistrasse Winterthur-Seen).
Zum anderen äussern mehr Menschen im Alter den Wunsch nach generationengemischten Kontakten, auch in der Nachbarschaft. Dies kann durch eine zentrale Wohnlage in einer intergenerationell belebten Stadt anstelle einer Seniorenresidenz in Randlage gepflegt werden. Gleichzeitig werden vermehrt generationengemischte Wohnprojekte wie Mehrgenerationenhäuser oder -siedlungen gebaut bzw. geplant. Man nimmt an, dass jüngere und ältere Menschen durch gegenseitige Kontakte profitieren. Eine altersmässige Durchmischung einer Hausgemeinschaft oder einer Wohnsiedlung garantiert allerdings noch keine intergenerationelle Gemeinschaft. Je näher zusammengewohnt wird, desto wichtiger sind Toleranz und Offenheit. Bei generationenübergreifenden Hausgemeinschaften und Wohnsiedlungen sind sowohl eine gezielte Organisation gemeinschaftlicher Aktivitäten als auch eine bewusste Betreuung der Kontakte – etwa durch eine intergenerationell zusammengesetzte Leitungsgruppe – notwendig.[11,12] Auch wenn gegenwärtig erst ein geringer Teil älterer Menschen – auf 250 000 entfällt gerade einmal ein Wohnprojekt[13] – in hausgemeinschaftlichen oder gezielt intergenerationell ausgerichteten Wohnformen lebt, haben die bisher realisierten Bauten die Vielfalt des Wohnens im Alter stark erweitert. Mit der Entstehung neuer gemeinschaftlich orientierter Wohnprojekte ergeben sich neue Optionen jenseits von Partnerschaft oder Alleinleben.
Anmerkungen:
[01] Perrig-Chiello, Pasqualina; Höpflinger, François: Die Babyboomer. Eine Generation revolutioniert das Alter, Zürich 2009
[02] Schneider-Sliwa, Rita: Städtische Umwelt im Alter. Präferenzen älterer Menschen zum altersgerechten Wohnen, zur Wohnumfeld- und Quartiersgestaltung, Basel 2008
[03] Perrig-Chiello, Pasqualina; Höpflinger, François; Suter, Christian: Generationen – Strukturen und Beziehungen. Generationenbericht Schweiz, Zürich 2008
[04] Allein um mit dem Zuwachs an 65- bis 79-Jährigen mitzuhalten, müssten zwischen 2010 und 2020 zwischen 11 910 Altershausgemeinschaften mit je 20 Personen und 23 820 Altershausgemeinschaften mit je 10 Personen gegründet werden. Für die Periode 2010–2030 müssten zwischen 23 405 Altershausgemeinschaften mit je 20 Personen oder 46 810 Altershausgemeinschaften mit je 10 Personen geschaffen werden. Momentan liegt die Neugründungszahl von Altershausgemeinschaften klar unter dem zahlenmässigen Anstieg der älteren Bevölkerung
[05] Perrig-Chiello, Pasqualina; Höpflinger, François (Hg.): Pflegende Angehörige älterer Menschen, Bern 2012
[06] Haberkern, Klaus: Pflege in Europa. Familie und Wohlfahrtsstaat, Wiesbaden, 2009
[07] Das iHomeLab der Hochschule Luzern hat mit «Wohnen in den eigenen vier Wänden bis ins hohe Alter» einen Forschungsschwerpunkt zu dieser Frage: www.ihomelab.ch
[08] Hradil, Stefan: Vom Leitbild zum «Leidbild». Singles, ihre veränderte Wahrnehmung und der «Wandel des Wertewandels», in: Zeitschrift für Familienforschung 15, 2003, S. 38–54
[09] Höpflinger, François: Einblicke und Ausblicke zum Wohnen im Alter. Age Report 2009, Zürich 2009
[10] www.zukunftswohnen.ch
[11] Walthert-Galli, Regina: Intergenerative Wohnprojekte: Eine alternative Wohnform für die zweite Lebenshälfte?, Diplomarbeit im Nachdiplomstudium Altern: Lebensgestaltung 50 . Hochschule für
Soziale Arbeit, Bern 2009
[12] Bei der Alterssiedlung Dufourstrasse (vgl. «Gegen die Einsamkeit», S. 23/24) hatte die in der Phase der Umsiedlung der Bewohnerinnen vor der Sanierung bedingte Zwischenvermietung der Wohnungen an Studenten sogar zur Folge, dass die Mieterinnen und Mieter dem Umzug auch wegen der unterschiedlichen Wohnvorstellungen zugestimmt haben
[13] Bertogg, Christine: Elder Cohousing – Gemeinschaftliches Wohnen im Alter – ein Ländervergleich. Lizenziatsarbeit am Soziologischen Institut der Universität Zürich, Zürich 2011TEC21, Fr., 2012.03.23
23. März 2012 François Höpflinger
Gegen die Einsamkeit
Die Zahl älterer Menschen und deren Anteil an der Gesamtbevölkerung steigen – mit den Babyboomern, den geburtenstarken Jahrgängen nach dem Zweiten Weltkrieg, kommt eine Generation in die Nachberufsphase, die sich nicht nur durch ein hohes Einkommen und einen entsprechenden Lebensstandard auszeichnet, sondern in der Regel auch über eine bessere Gesundheit verfügt als noch die Generation ihrer Eltern. Diesen Menschen stellt sich die Frage nach dem künftigen Wohnmodell: Viele wünschen die Einbettung in eine Gemeinschaft, verbunden mit einem gewissen Komfort, der weiterhin ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. TEC21 hat drei aktuelle und unterschiedliche Modelle für selbständiges Wohnen im Alter verglichen.
«Wohnen im Alter» boomt. Unzählige Stiftungen und Genossenschaften bieten heute in der Schweiz ein umfangreiches Angebot für Lebensalter, die oft durch ein « » gekennzeichnet werden. Von «44 » bis «80 » bewerben Slogans unterschiedlichste Wohnkonzepte für ebenso verschiedenartige Menschen und Einkommensverhältnisse. Das Spektrum reicht von Siedlungen mit integriertem Dienstleistungsangebot über Wohnanlagen, die mittels kleinerer Grundrisse, schwellenloser Räume und variabel wählbarer Serviceleistungen an die Bedürfnisse der Menschen nach der Familienphase angepasst sind, bis hin zu individuellen Wohnkonzepten, die von den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern auch selbst umgesetzt werden. An den folgenden Beispielen lassen sich drei Kernthemen ablesen: Wie viel Komfort wird geboten? Wie ausgeprägt ist die Gemeinschaft? Und: Was kosten die jeweiligen Wohnformen?
Alterswohnen Dufourstrasse, Zürich
Der Standort im Seefeld-Quartier nahe am Zürichsee, inmitten von vier- bis fünfgeschossigen Wohnbauten aus der Gründerzeit, ist eine der schöneren Wohnlagen der Stadt Zürich. Man kann sich vorstellen, wie der achtgeschossige, T-förmige, monolithische Betonbau, den Karl Flatz 1967 entworfen hat, mit seinen nüchternen Fassaden im Quartier auffiel. Der Bau umfasste seinerzeit 83 Kleinwohnungen, vorwiegend Einzimmerwohnungen ohne Bad und Balkon, und spiegelt die damaligen Vorstellungen und Ansprüche von Alterswohnen. Auch gut 40 Jahre später fällt die Alterssiedlung auf: Die einst strenge Sichtbetonfassade ist hinter dem lebhaften Spiel ihrer neuen Hülle verschwunden. Vor die Fassade gehängte Balkone mit metallenen Brüstungen prägen mit ihren weissen Sonnenschutzsegeln und gelben Vorhängen das Bild (Abb. 4). Das neue Kleid ist Ergebnis einer grundlegenden Instandsetzung, die mit einem vollständigen Umbau der Wohnungen einherging.
Die Bauherrin, die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW), ist Vermieterin von momentan 32 Alterssiedlungen im Stadtgebiet.[1] Ihre Gründung 1950 war eine Antwort auf die sozialen und politischen Entwicklungen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Das rasche Wachstum der Städte führte zu Wohnungsnot vor allem in den unteren sozialen Schichten und bei den älteren Menschen. Die Stiftung bietet in Zürich lebenden Menschen über 60 Jahre vergleichsweise günstigen Wohnraum (vgl. Kasten S. 28), d.h. preiswerte Wohnungen innerhalb der Wohnbauförderung, sofern deren Jahreseinkommen gewisse Grenzen nicht übersteigt – 50600 Fr. für Einzelpersonen, 59700 Fr. für Zweipersonenhaushalte. Ihre Mieterinnen und Mieter sollen so lange wie möglich selbstbestimmt in der eigenen Wohnung leben können und werden dabei durch ein umfangreiches Dienstleistungsangebot unterstützt.
Um die Alterssiedlung Dufourstrasse an zeitgemässe Bedürfnisse der Bewohner und Bewohnerinnen anzupassen und gleichzeitig dem Auftrag der Stiftung, für Menschen mit niedrigem Einkommen zu bauen, gerecht zu werden, entschied man sich für eine Instandsetzung. Dafür wurde 2007 ein Planerwahlverfahren durchgeführt, in dem die Zürcher Architekten Schneider Studer Primas mit ihrem Konzept für die Neuorganisation der Wohnungen sowie einer sorgfältigen, aber reduzierten Materialisierung innen wie aussen überzeugen konnten. Dabei kam dem Projekt zugute, dass die Bauträgerin Wert auf einen eigenständigen Charakter ihrer Bauten legte. So war es trotz dem begrenzten Budget möglich, die grosszügigen, versetzt angeordneten Balkone zu realisieren. Sie erlauben den Bewohnerinnen und Bewohnern den Kontakt zu den Nachbarn über die Stockwerke hinweg. Während die bewegte Fassade die Instandsetzung nach aussen sichtbar macht, entstanden im Inneren durch die Zusammenlegung der alten Wohneinheiten 51 Eineinhalb- bis Dreizimmerwohnungen mit unterschiedlichen Grundrissen, eigenem Bad und Balkon. Die Wohnflächen reichen von 46 m² (eineinhalb Zimmer) bis 70 m² (drei Zimmer). Alle Wohnungen sind über das zentrale Treppenhaus und zum Teil über die dort anschliessenden Laubengänge erschlossen.
Die Besonderheit des Gebäudes, die durch den T-förmigen Grundriss gegebene gute Belichtung aller Wohnungen, haben die Architekten für die Neuorganisation der Grundrisse genutzt. Bäder und Küchen sind neu eingebaut, grosszügige Verglasungen öffnen die Wohnungen nach aussen. Auf Flurzonen wurde weitestgehend verzichtet. Das Entrée bildet die Küchen mit einem Essbereich, ein Einbauschrank bietet zusätzliche Stauflächen. Die Bäder sind geräumig und mit schwellenfreien Duschen ausgestattet, die Armaturen sind altersgerecht angebracht, auf «Behindertenarmaturen» hat man bewusst verzichtet. Neben dem grosszügigen Foyer im Erdgeschoss liegt ein Gemeinschaftsraum mit Küche, der den Bewohnerinnen und Bewohnern zur Verfügung steht – etwa für Geburtstagsfeiern – und auch für öffentliche Veranstaltungen genutzt wird. Auf der Eingangsebene liegen zudem das Spitex-Büro und die Sammelstelle des Wäscheservice. Die Dachterrasse im 7. Obergeschoss steht dagegen ausschliesslich den Mieterinnen und Mietern zur Verfügung. Hier befindet sich auch das Wohlfühlbad, ein grosszügiges Badezimmer mit Seeblick-Badewanne. Die bereits vor der Instandsetzung im Erdgeschoss untergebrachte Kinderkrippe ist um die Fläche der ehemaligen Hauswartswohnung vergrössert worden. Sie verfügt über einen eigenen Eingang und Garten – organisierte Interaktion zwischen den Generationen ist nicht vorgesehen. Das Wohnen mit Serviceleistungen bietet Unterstützung und Komfort, geht jedoch über ein nachbarschaftliches Verhältnis der Bewohner untereinander nicht hinaus. Es erlaubt den Mieterinnen und Mietern ganz im Sinn der Stiftung so lange wie möglich das selbständige Wohnen.
Gemeinschaftswohnen «Am Hof Köniz»
2006 lobte die Gemeinde Köniz einen Projekt- und Investorenwettbewerb für ein Grundstück im Dorfzentrum der Gemeinde Köniz aus. In Gehweite zu Bahnhof und Einkaufszentrum und mit Aussicht auf das Könizer Schloss gelegen, sollten auf dem Areal «Alte Migros» Wohnungen, insbesondere für Menschen in der zweiten Lebenshälfte, entstehen. Den Zuschlag erhielt die Arbeitsgemeinschaft aus Durrer Linggi Architekten, Zürich, und BEM Architekten, Baden, in Zusammenarbeit mit der Walliseller Genossenschaft Zukunftswohnen (vgl. Kasten S. 30). Die 2008 gegründete Genossenschaft entwickelt mit Interessengruppen, Gemeinden und Investoren Wohnangebote für Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Der Fokus liegt dabei auf selbständigem, gemeinschaftlich organisiertem Wohnen – im Gegensatz zum Alleinwohnen oder zum betreuten Wohnen. Gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern werden die Regeln des Zusammenlebens entwickelt, die Genossenschaft übernimmt zudem administrative Aufgaben wie die Vermietung der Flächen oder die Koordination mit dem Hauswart. Die Mieter und Mieterinnen sollen sich – auf freiwilliger Basis – in Arbeitsgruppen für die Gemeinschaft engagieren, geschätzt wird ein Beitrag von zwei bis vier Wochenstunden. Betreiberin der Anlage in Köniz ist die eigens gegründete Genossenschaft «Am Hof Köniz», die Genossenschaft «Zukunftswohnen» ist darin ebenfalls vertreten.[3]
Von April 2010 bis Oktober 2011 realisierten die Architekten gemeinsam mit der Bauunternehmung Losinger Marazzi, die inzwischen auf Druck der Investorin, der Gebäudeversicherung Bern, als ausführende Totalunternehmung zum Projekt gestossen war, einen viergeschossigen Zeilen- und einen fünfgeschossigen Punktbau, die zwischen den Gleisen der viermal stündlich verkehrenden Regionalbahn und der Durchgangsstrasse Richtung Niederwangen platziert sind. Ein Knick im Zeilenbau markiert die zentrale Erschliessung, im Erdgeschoss befindet sich an dieser Stelle der Gemeinschaftsraum der Siedlung. Südostseitig liegt der durch die Gleise und die Neubauten gebildete namensgebende Hof der Anlage, der rautenförmige Punktbau schirmt den Garten vom Strassenlärm ab. Die Erdgeschosse beider Bauten werden öffentlich genutzt, hier befinden sich u.a. ein Coiffeur, ein Kiosk, ein Optiker, ein Claro-Weltladen und eine Dépendance der Spitex.
Beide Bauten gleichen sich in der Fassade, im Wohnungsangebot hingegen unterscheiden sich die Volumen: Während im Zeilenbau in den drei Obergeschossen 33 Ein- bis Dreizimmerwohnungen (42.5–78.5 m²) mit einer Laubengangerschliessung untergebracht sind, befinden sich im fünfgeschossigen Punktbau 16 windmühlenartig um einen Erschliessungskern gruppierte Dreizimmerwohnungen mit einer Fläche von 80–86 m².
Die Wohnungen des Zeilenbaus sind jeweils von zwei Seiten belichtet, über die versetzte Anordnung der eingeschobenen Kerne aus Reduits und Nasszellen ergibt sich in den Haupträumen eine Zonierung, die eine Staffelung von den öffentlichen Bereichen am Laubengang (Küchen / Essbereiche) zu den privateren auf der Südostseite erlaubt. Diese Anordnung soll Begegnungen ermöglichen und so die Erschliessungszone aufwerten. Grosszügige, zum Hof orientierte Loggien bieten einen geschützten Aussenraum. Im Inneren weisen lediglich die schwellenlosen Nassräume auf die spezielle Nutzung hin: Statt eines Spiegelschranks über dem Lavabo wurden Schränke eingebaut, die auch für Rollstuhlfahrer benutzbar sind. Ein Badezimmer mit Badewanne (mit Einstieg) kann zusätzlich von allen Mieterinnen und Mietern genutzt werden. Daneben sind gewisse Leistungen wie die Gebäudereinigung und der Unterhalt der gebäudetechnischen Anlagen extern vergeben. Auf der sozialen Ebene begleitet die Verwaltung mit der Genossenschaft «Zukunftswohnen» die Bewohner und Bewohnerinnen mit einem Coaching. Arbeitsgruppen, etwa zur Betreuung einer Bibliothek oder des Gartens, sollen die Bindungen der Mieterinnen und Mieter untereinander stärken. Noch sucht die Genossenschaft «Am Hof» ihre Identität – was neben dem Neubezug vor allem durch das Wegfallen der im Wettbewerb noch vorgesehenen Gemeinschaftsflächen behindert wird. Der geplante Fitness- und Wellnessbereich musste auf Wunsch der Totalunternehmung weichen – stattdessen sind nun Aussenfitnessgeräte für den Garten in Planung. Der finanziellen Optimierung konnte lediglich ein für Bewohner und Bewohnerinnen mietbares Gästezimmer im 1. Obergeschoss und ein redimensionierter Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss entgehen. Inwieweit die Mieterinnen und Mieter tatsächlich am genossenschaftlichen Miteinander interessiert sind, bleibt zu diesem Zeitpunkt – sechs Monate nach Bezug – offen.
Gemeinschaftswohnen Winterthur-Seen
Der Neubau mit seiner Fassade aus blau gestrichenen, horizontalen Holzlamellen liegt etwas zurückversetzt an der Kanzleistrasse in einem Wohnquartier nahe der S-Bahn-Station von Winterthur-Seen. Die über die Gebäudeecken gebogenen Lamellen markieren in den Brüstungsbereichen als umlaufende Bänder die Geschosse, dazwischen sitzen die weissen Fensterrahmen der grosszügigen Öffnungen. Auf der Gartenseite ergibt sich ein ganz anderes Bild des Wohnbaus: Die Lamellen öffnen sich im Brüstungsbereich der über die Geschosse durchlaufenden Balkonzone – die raumhohe Befensterung ermöglicht auch bettlägerigen Personen den Blick ins Freie. Im Erdgeschoss liegt eine ausladende Holzterrasse, die in den Garten führt. Die offenen Balkone und Terrassen wecken in Verbindung mit der blau gestrichenen Fassade Assoziationen an skandinavische Wohnbauten. Die Balkonzonen werden durch Rücksprünge des sich in die Tiefe staffelnden Grundrisses zoniert, ohne dass eine Trennung zwischen den einzelnen Wohnungen erforderlich wird. Diese Idee spiegelt das Wohnkonzept: Wer möchte, kann an der Gemeinschaft teilhaben – wer für sich sein möchte, kann sich zurückziehen.
Als private Initiative wurde 2007 der Hausverein Kanzlei-Seen gegründet, der sich auf der Suche nach einem geeignetem Objekt für ein Wohnkonzept, das den Gemeinschaftsgedanken betont, an die Winterthurer Genossenschaft GESEWO wandte. Die 1984 gegründete gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft bietet ihren Mitgliedern die Möglichkeit des selbstbestimmten Wohnens in der Gemeinschaft.[4] Sie stellt für unterschiedliche Nutzergruppen Wohn- und Gewerberaum zur Verfügung. Die Bewohner und Bewohnerinnen organisieren sich in Hausvereinen selbst, und die Genossenschaft unterstützt diese bei der Verwaltung der Liegenschaften. Der Hausverein ist für die Auswahl neuer Mieterinnen und Mieter und den Gebäudeunterhalt verantwortlich und definiert auch die Notwendigkeit von Erneuerungs- und Renovationsarbeiten für die jeweilige Liegenschaft. In vom Hausverein organisierten Sitzungen werden die Hausregeln, das Budget, anstehende Unterhaltsarbeiten, die Nutzung der gemeinschaftlichen Anlagen besprochen. Je nach Bedarf kommen Vertreter der Genossenschaft hinzu.
Bei seinem Vorhaben kam dem damaligen Hausverein der Zufall zu Hilfe. Auch die Genossenschaft überlegte zu diesem Zeitpunkt, ein Projekt zu realisieren, das in Bezug auf das gemeinschaftliche Wohnen über die gängigen Konzepte hinausgeht. In Folge wurde für das aus zwei Parzellen zusammengelegte Grundstück an der Kanzleistrasse ein Studienauftrag ausgeschrieben. Die Zürcher Architekten Haerle Hubacher überzeugten mit ihrem Konzept eines Gemeinschaftswohnhauses (vgl. TEC21, 14/2008). Zentrale Idee, die sich in der Grundrissorganisation ablesen lässt, ist die Anordnung von kleineren privaten Wohneinheiten um grosszügige gemeinsam genutzte Räume (Abb. 18–19; vgl. auch TEC21, 7/2011).
Das im Dezember 2010 fertiggestellte Wohnhaus beherbergt 16 Wohneinheiten von 38 bis 67 m² auf vier Geschossen, dazu kommen gut 400 m² für gemeinsame Nutzungen, die im ganzen Haus durch den Bodenbelag aus rotem Linoleum gekennzeichnet sind. Den grössten Anteil davon nehmen die Flächen im Erdgeschoss ein. Über den Haupteingang gelangt man in einen offenen Flurbereich und blickt direkt auf den grossen, zur Terrasse ausgerichteten Gemeinschaftsraum. Der Raum wird genutzt – täglich, nicht nur bei Veranstaltungen, wie es bei grösseren Anlagen oft der Fall ist. Die Küche bietet genug Platz zum gemeinschaftlichen Kochen, zu dem sich die Bewohner regelmässig verabreden. Im Erdgeschoss liegt auch ein Zimmer mit eigenem Bad, das Freunde und Verwandte auf Besuch nutzen können. Im ersten und zweiten Obergeschoss ist die Gemeinschaftsfläche eine grosszügige Erschliessungszone mit geräumigen Nischen zur Strassen- und Gartenseite. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben sie unterschiedlich belegt und als Bibliothek, Bügelecke, Platz zum Musizieren oder PC-Arbeitsplatz eingerichtet. Im dritten Obergeschoss geht die Zone in einen grossen Gemeinschaftsraum mit Küchenzeile über, hier sollen künftig Veranstaltungen für das Quartier, wie zum Beispiel Lesungen, durchgeführt werden. Auf jeder Etage befinden sich Stauflächen für die einzelnen Wohnungen in einem Einbaumöbel.
Die offenen Gemeinschaftszonen geben den Bewohnern Raum für die Gestaltung privater Eingangssituationen. Diese Bereiche erinnern an die Gassen eines Altstadtquartiers, wo die individuellen Hauszugänge ganz ähnlich mit Blumen oder Bänken markiert sind. Alle Wohneinheiten sind mit eigener Küchenzeile und einem Bad mit schwellenloser Dusche ausgestattet und haben Zugang zu den zum Garten orientierten Balkonzeilen.
Die Bewohnerinnen und Bewohner an der Kanzleistrasse sind seit etwas mehr als einem Jahr in ihrem neuen Heim. Noch wird an den Definitionen der Flächen und den Nutzungen gearbeitet, doch schon jetzt zeigt sich, dass die Mieter Bereitschaft zeigen müssen, sich auf das Konzept einzulassen. Die Pflichten im Haus wie die gemeinschaftlichen Aktivitäten machen aus den 18 Mietern eine grosse Wohngemeinschaft – neben all den Vorteilen birgt das auch Konflikte.
Selbständigkeit hält fit
Die vorgestellten Beispiele verdeutlichen, dass es sich für zukünftige Mieter wie auch für Bauherrschaften und Planerinnen und Planer lohnt, über die Zielgruppen der einzelnen Projekte, deren Bedürfnisse und Möglichkeiten nachzudenken. Dass dieses Wissen die Architektur beeinflusst, zeigen die Beispiele in Winterthur und Köniz; umgekehrt wirkt sich diese auch auf das spätere Zusammenleben aus. Die Alterswohnungen in Zürich werden von den Bewohnerinnen angenommen. Trotz der Grösse gibt es im Haus eine gewachsene Nachbarschaft, die Nähe zulässt. In Köniz dagegen ist die gegenüber dem ursprünglichen Konzept veränderte Anlage deutlich unpersönlicher. Durch die reduzierten Gemeinschaftsflächen und die nur in der Minimalvariante umgesetzte Gestaltung des Gartens gibt es für die Bewohnerinnen und Bewohner weniger räumliche Berührungspunkte für einen zwanglosen Austausch. Zudem manifestiert sich in den Grundrissen des Punktbaus ein Grundproblem des Projekts: Für Alleinstehende oder Paare sind die Wohnungen zu gross und mit durchschnittlich über 2000 Fr. Miete auch zu teuer. Die kleineren und auf den ersten Blick etwas unkonventionelleren Wohnungen mit dem Z-förmigen Grundriss im Zeilenbau sind hingegen (fast) alle vermietet. Allerdings liegt der Altersdurchschnitt der Mieter und Mieterinnen mit 70 Jahren höher als ursprünglich anvisiert – ein Indiz, dass der Wechsel vom Familienwohnen zu kleineren Einheiten häufig erst nach der Pensionierung erfolgt und damit deutlich später als von den Investoren proklamiert.
Fast ein Mehrgenerationenhaus ist dagegen die Wohngemeinschaft in Winterthur: Mit einem Altersspektrum von 50 bis 90 Jahren und sowohl Berufstätigen als auch Paaren ist die Diversität innerhalb der 16 Parteien vergleichsweise hoch. Entscheidend ist hier der Gemeinschaftsaspekt: Die Selbstverwaltung und demokratische Entscheidungsfindung benötigt viel Zeit und Engagement. Doch der Aufwand scheint sich zu lohnen, die Bewohner und Bewohnerinnen haben das Haus in Besitz genommen.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Wahl des individuellen Wohnmodells ist der finanzielle Aspekt: Einen Einkauf in eine Genossenschaft kann sich nur leisten, wer über das entsprechende Vermögen verfügt. Vor allem Frauen, die aufgrund der höheren Lebenserwartung (vgl. «Für eine selbständige zweite Lebenshälfte», S. 22) die Mehrheit der über 65-Jährigen stellen, haben aufgrund niedriger Renten oder nach einer Scheidung oft nicht die finanziellen Mittel, um ihre Wohnform tatsächlich selbstbestimmt wählen zu können.
Eine Bauherrschaft, die – wie bei der Alterssiedlung Dufourstrasse – auf diese begrenzten Möglichkeiten mit einem auch architektonisch überzeugenden Angebot reagiert, erweist sich in einer solchen Situation als Glücksfall.
Anmerkungen:
[01] Informationen: www.wohnenab60.ch
[02] Schweizerische Bauzeitung, 23/1926, S. 31
[03] Informationen: www.zukunftswohnen.ch
[04] Informationen: www.gesewo.chTEC21, Fr., 2012.03.23
23. März 2012 Tina Cieslik, Andrea Wiegelmann