Editorial

Als verbindendes und vermittelndes Element, als wesentlicher Baustein innerhalb des Stadtgefüges und als Begegnungsstätte kommen dem öffentlichen Raum wichtige Funktionen innerhalb der Stadt zu. Plätze, Straßen und Parks sind nicht einfach funktionale Flächen, sondern bestimmen durch ihre Gestaltung und im Zusammenspiel mit Baukanten und -höhen die Qualität und die Identität eines Ortes und können als Impulsgeber im positiven wie negativen Sinne wirken. Doch was macht öffentliche Freiräume zu Impulsgebern und was macht eine qualitätvolle Gestaltung aus? Die von uns für dieses Heft ausgewählten und kritisch betrachteten Projekte in Bilbao, Berlin, Innsbruck, Kopenhagen und Paris liefern vor dem Hintergrund ganz unterschiedlicher Rahmenbedingungen vielfältige Antworten auf diese Fragen. | Ulrike Kunkel

Grün statt Gleis

(SUBTITLE) Park am Gleisdreieck in Berlin

Ein »Park neuen Typs« sollte mit dem kürzlich eröffneten, ersten Teil des Berliner »Parks am Gleisdreieck« entstehen. Auch wenn seine Gestaltung als inszenierter Kontrast zwischen Weite und Dichte, historischen Spuren und zeitgenössischem Design nicht gänzlich neu ist, fügen sich diese Gegensätze hier doch außergewöhnlich gut zu einem abwechslungsreichen und dennoch harmonischen Landschaftsbild zusammen.

Wo früher Eisenbahnzüge zur Versorgung der Reichshauptstadt rollten, wird heute Fahrrad gefahren, spazieren gegangen und geskatet. Im September 2011 wurde in der Berliner Innenstadt der 18 ha große Ostteil des »Parks am Gleisdreieck« eröffnet. Der genauso große Westteil soll im kommenden Jahr fertiggestellt werden. Die einst unzugängliche Gleisinsel wird damit öffentlich, dennoch prägen bis heute der Hochbahnhof Gleisdreieck und die ICE-Trasse mit Tunneleinfahrt das Bild des Geländes. Hier sollte nach den städtebaulichen Planungen des 19. Jahrhunderts ein zentraler Schmuckplatz des »Generalzugs«, der markanten Ost-West-Straßenverbindung entstehen. Stattdessen wurde das Gelände zunächst Teil des Berliner Eisenbahnnetzes. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Einstellung des Bahnverkehrs an dieser Stelle breitete sich über Jahrzehnte urbane Wildnis aus. In den 60er Jahren wurde dort die Westtangente als Teil der Berliner Stadtautobahn geplant, später, nach Bürgerprotesten, eine Grüntangente als Nord-Süd-Verbindung von Tiergarten und Stadtrand. Nach der Wiedervereinigung nutzte zunächst die Baulogistik der Bauvorhaben am Potsdamer und Leipziger Platz das Gelände. Und schließlich standen 24 Mio. Euro aus Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen aus diesen Bauprojekten für Grunderwerb, Planung und Bau eines neuen Parks zur Verfügung.

Grundlage für den 2005 durchgeführten, zweistufigen, landschaftsplanerischen Wettbewerb waren umfangreiche Bürgerbefragungen. Die Anwohner der umliegenden, stark verdichteten Altbauquartiere wünschten sich attraktive Freiräume mit vielfältigen Nutzungsangeboten. Gleichzeitig sollten die wertvollen Spuren der Eisenbahngeschichte und die geschützten Biotopflächen erhalten bleiben sowie darüber hinaus der Park mit neuen Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen an das umgebende Stadtgebiet angebunden werden. Außerdem sollte ein Bürgerpark mit Flächen für eine selbstständige Nutzung durch die Anwohner entstehen. Die z. T. sehr divergierenden Wünsche – Ruhe und Erholung, Sport und Aktivität – hatten eines der wichtigsten Wettbewerbsziele zur Folge – den Entwurf eines Parks mit einem klaren Gestaltungsrahmen, der Orientierung bietet und dennoch vielfältige Nutzungsmöglichkeiten offen hält.

Dichter Rahmen und »grüne Pause«

Die Wettbewerbsgewinner vom Berliner Atelier LOIDL erreichen dieses Ziel, indem sie das Gelände klar in Dichte und Weite, intensiv genutzte und ruhige Bereiche gliedern. Baumbestandene Promenaden als Rahmen laden zum Flanieren und Verweilen ein und nehmen außerdem die verschiedenen »Aktionsflächen« auf – anwohnernah im Osten Kinderspielplätze, Naturerfahrungsraum und interkulturelle Gemeinschaftsgärten; abgeschieden im Westen das Sportgleis mit Skatepark, Ballfeldern und Radfahrfernweg. Das Parkinnere bilden ein Wäldchen, geheimnisvolle Wildnis aus Spontanvegetation, und die »Kreuzberger Wiese« als großzügige Lichtung, die »grüne Pause«. Kontrastreich wechseln sich auch die verschiedenen Vegetationsflächen ab – intensiv genutzter Rasen in den Randbereichen der Lichtung, extensive Salbeiwiese im Innern, Schotterflächen mit Trockenvegetation entlang der Bahntrasse.

Nach eigener Aussage räumt das Atelier LOIDL »dem Neuen mehr Wichtigkeit« ein »als der Eisenbahngeschichte oder dem Naturmythos«. Trotzdem sind es die erhaltenen Zeugnisse der Vergangenheit, Prellböcke, Gleiswaagen, Laderampen, Kopfsteinpflasterbeläge, Stellwerke, Spontanvegetation, die dem Park seinen eigenen, individuellen Charakter geben. Zur Bahngeschichte gehören auch die denkmalgeschützten Brücken am Südende des Parks, die Yorkbrücken, die zukünftig zum sich anschließenden Erweiterungsteil, dem »Flaschenhals«, führen sollen.

Dort kann man gut erkennen, dass der Park auf einem ca. 5 m hohen, einst aufgeschütteten Plateau liegt. Die hier verlaufende, das Plateau durchschneidende Yorkstraße ist am Parkeingang zu einem kleinen Platz aufgeweitet worden. Auch für den Eingang zum Flaschenhals ist diese wohltuende Weitung des engen Straßenraums geplant. Die Zukunft der Brücken und damit der niveaugleichen Verbindung der beiden Parkteile ist dagegen leider noch ungeklärt.

Sie gehören der Deutschen Bahn, die bisher kein Geld für eine Sanierung zur Verfügung stellen will.

Park der zwei Geschwindigkeiten

Erschlossen wird der Park mit einem System von geradlinig verlaufenden Wegen unterschiedlicher Materialien und Nutzungscharakteristik. Blass-rot gefärbte, großformatige Betonplatten umlaufen die weite »Rasenfreiheit«, höhengleich mit dem Rasen oder als Sitzkante ausgebildet. An besonderen Stellen weiten sie sich zu Terrassen aus geschliffenem, roten Gussasphalt.

Einen zweiten großen Rahmen, der die unterschiedlichen Parkteile zusammenbindet, bilden die bis zu 6 m breiten Ortbetonwege mit ihrer von der Schalung gezeichneten, hellen Oberfläche als Hauptwegeverbindungen in Ost-West- bzw. Nord-Süd-Richtung.

Ergänzt wird dieses Hauptwegesystem durch 3 m breite Asphaltwege für die direkte, schnelle Querung und sportliche Nutzung des Parkraums. Ein »Park der zwei Geschwindigkeiten« sollte so entstehen. Durch die verschiedenen Materialien und Oberflächen ist tatsächlich ein an sinnlichen Erfahrungsmöglichkeiten reiches Wegesystem entstanden, auf dem man sich als Besucher sinnvoll und klar geleitet fühlt. Die verschiedenen Fortbewegungsarten und -geschwindigkeiten finden in der Regel genug Platz. Nur an einigen wenigen Stellen brechen die Wege ab und zwingen zu Umwegen. Gelegenheit zum Ausruhen bieten die Sitzkanten entlang der Wiesen, einzeln stehende Betonbänke und die bis zu 80 m langen Bankskulpturen aus Accoya-Schichtholz. Robust und einfach, aber dennoch einladend wirken diese. Für nächtliche Beleuchtung sorgen die linear entlang der Hauptwege angeordneten, abknickenden Lichtmasten, die ebenfalls vom Atelier LOIDL gestaltet wurden. Die robuste und dennoch abwechslungsreiche Gestaltung ist die Stärke dieses Parks, die auch den hohen Besucherzahlen seit Eröffnung standhielt. Intensiv diskutiert wurde seither über Probleme mit Müll und Graffiti. Zurückzuführen sind diese jedoch mehr auf die hohen Nutzerzahlen und damit die Beliebtheit, denn auf Verwahrlosung.

Auch Nutzungskonflikte sind bisher weitgehend ausgeblieben. Ob das auch in der kommenden Saison, der ersten kompletten, so bleibt, ist abzuwarten – Hundeauslauf- oder Grillplätze z. B. sind nicht vorgesehen. Und spätestens 2013 wird es eng am schmalen Übergang zum Westteil, wenn sich alle Besucher – Spaziergänger, Skater und die Benutzer des Fernradwegs – diesen teilen müssen.

Ausgerechnet die Brücke in Verlängerung des »Generalzugs«, die die verschiedenen Stadtgebiete zusammenführen und beide Parkteile direkt verbinden sollte, ist den Sparzwängen zum Opfer gefallen. Dennoch ist schon heute aus der vormals einsamen, eine belebte und beliebte grüne Insel geworden, die urbane Wildnis und gebaute Natur, zeitgenössische Gestaltung und historische Spuren, Dichte und Weite gelungen und anregend miteinander verbindet.

db, Mi., 2012.02.29

29. Februar 2012 Carsten Sauerbrei

Zerklüftete Passagen zum Fluss

(SUBTITLE) Plaza Pormetxeta in Barakaldo, Grossraum Bilbao (E)

Es hätte auch einfach eine Bahnüberführung werden können. Doch was drei junge spanische Architekten 2001 im Europan-Wettbewerb entwarfen und schließlich realisierten, ist eine spannende Abfolge multifunktionaler Räume am Übergang von der Stadt zum Fluss. Hat das scharfkantig, coole Design auch seine Tücken, zum maroden Ort passt die Plaza durchaus; sie ist ein markanter Aufbruch zu neuen Ufern.

Die 100 000 Einwohner-Stadt Barakaldo, auf halbem Weg zwischen Bilbao und der Atlantikküste gelegen, stand nach dem Niedergang ihrer Stahlindustrie in den 90er Jahren vor großen Veränderungen: Ein seit dem 19. Jahrhundert versperrter, 40 ha großer Uferstreifen entlang des Nervion wird seither als neuer Stadtteil entwickelt. Mit Unterstützung des EU-Programms URBAN und der staatlich-regionalen Organisation Ria 2000 versucht die Stadt vom »Bilbao- Effekt« zu profitieren. In der Nachbarstadt haben weitsichtige öffentliche Investitionen in neue Infrastruktur (Öffnung zum Flussufer, Bau einer Metro) und markante Architektur (besonders, aber längst nicht nur, das Guggenheim Museum von Frank O. Gehry von 1997) aus der rostenden Hafenstadt ein Touristenziel erster Güte werden lassen. Nun schließt Barakaldos Uferquartier eine der letzten Lücken in der neuen Bandstadt entlang des Flusses.

20 m Höhenunterschied für Klippen und Höhlen

Eine Barriere zwischen der alten, am Hang gelegenen Stadt und der Uferzone bildet aber weiterhin die Trasse der Vorortbahn. Im Bereich der neuen Plaza schafft der Entwurf der drei Architekten den mit 20 m Höhenunterschied verbundenen Sprung über die Bahn allerdings mit spielerischer Leichtigkeit: Eine artifizielle Landschaft aus Rampen, Terrassen, Toren und Balkonen führt mäandernd hinüber, öffnet und verstellt im Wechsel den Blick auf Stadt und Fluss, bildet metallene Klippen und Höhlen, um schließlich in einem Platz zu Füßen der umgenutzten alten Stahlwerksverwaltung zu münden, wo rostige Pergolen Spielinseln überwölben.

Nun sind solch spitzwinklig-polyedrische Gebilde nichts Neues mehr, seit CAD-Programme nach Belieben »Faltungen« generieren, berechnen und baubar machen. Ein gewisser anti-modischer Reflex ließ beim Autor erst nach, als er selbst über diese komplexen Klippen schritt. Die künstliche Landschaft verlockt tatsächlich dazu, dem bunten hexagonalen Pflaster zu folgen und aus der engen Stadt oder dem tristen Bahnhof hinüberzugehen ins Offene. Unterwegs auf den Rampen bieten sich immer wieder Räume zum Verweilen, um aus der Deckung der metallenen Rahmen voraus- oder hinabzuschauen auf das Treiben der Stadt und das träge Gleiten des Flusses, wo ein kleiner neu gestalteter Bootsanleger auf Passagiere wartet.

Schräge Flanken, scharfe Kanten

Regnet es, und das ist im Norden Spaniens gar nicht so selten, erweisen sich die von Weitem so trutzigen Überhänge indes als durchlässig für Nässe, denn die vieleckigen Volumen bestehen – auf einer tragenden Basis aus Beton – aus geschlitzten und schräg aufgebogenen Aluminiumplatten, die von einem leichten Stahlfachwerk gehalten werden. Edelstahlschienen bilden die scharfen Grate, an denen die Aluplatten sichtbar verschraubt sind.

Bei den changierenden kristallinen Oberflächen, die je nach Blickwinkel geschlossen wie Stein oder durchsichtig wie Schleier wirken und zudem nachts von (plump) aufgesetzten LED-Strahlern in ein kaltes Licht getaucht werden, hatten die Architekten offenbar die amorphen Gesteinsformationen der Umgebung mit ihren Eisenerzminen im Sinn, und auch nautische Assoziationen gab es im Team.

An dieser »Küchenreiben ähnlichen« Oberflächengestaltung stoßen sich viele Leute vor Ort, im übertragenen und im Wortsinn: Spielende Kinder verletzten sich schon an den scharfen Kanten. Zudem erschienen die schrägen Brüstungen der Bauaufsicht zu einladend für kleine Kletterer – sie ließ davor reguläre Metallgeländer errichten. Das sieht nicht nur unschön aus, es konterkariert auch die Idee von der belebten, fließend modellierten Brücke, wo die Leute auf runden Sitzhölzern verweilen sollen. Dieses erwünschte »Herumlungern« wird nun gerade an den interessanten Stellen unterbunden. Skater nutzen die Rampen aber offenbar gern, auch für Ballspiele bieten sich die geschützten Terrassen an. Erste Dellen im weichen Blech und Graffiti zeugen von weniger willkommenen Besuchern.

Prekärer Platz unter künstlichen Bäumen

Auf der eigentlichen Plaza zu Füßen des Übergangs, wo um das ehemalige Verwaltungsgebäude des Stahlwerks herum Platz zum Verweilen und Spielen geschaffen wurde und künftig auch Ladenfläche sowie die Abfahrt in eine Tiefgarage vorgesehen sind, dort also finden sich dann doch noch echte Felsen: Als reizvoller, auch vom differenzierten Beleuchtungskonzept unterstrichener Kontrast zum glatten, kalten, Patina-freien Metall sind die hölzernen Bänke auf Brocken aus roh gebrochenem Stein befestigt.

Und, weitaus kontroverser: Die in rostigem Cortenstahl ausgeführten »Bäume« – wie die kranartigen Leuchten eine Reverenz an das aufgelassene Stahlwerk an dieser Stelle – sind mit grobem Schotter belegt, der allein von einem Maschendrahtgeflecht gehalten wird.

Der so erzielte Schattenwurf mag dem von Bäumen tatsächlich ähneln; das bereits nach kurzer Zeit starke Durchhängen der schweren Netze weckt aber nicht eben Vertrauen in diese reizvolle Konstruktion. Architekt Javier Peña Galiano betont, es handle sich bei dem Geflecht um ein Schweizer Spezialprodukt, und fürchtet keinen fatalen Schaden an dieser Stelle. Doch wer wird seine Kinder hier guten Gewissens spielen lassen?

So verwundert nicht, dass die Meinungen über die Plaza vor Ort überwiegend ablehnend sind. »Tonto«, albern und dumm, sei die Gestaltung, und mit fast 10 Mio. Euro viel zu teuer, ist zu hören.

Doch haben das die Leute von Gehrys Guggenheim Museum, Calatravas Brücke oder Norman Fosters Metrostationen anfangs nicht auch gesagt? Inzwischen nennen sie die muschelförmigen Abgänge zur Metro liebevoll »Fosteritos« (Fosterchen) und promenieren sonntags stolz ihren Fluss entlang.

Vernetzung mit Nebenwirkungen

Die Plaza, das sei etwas für die Touristen, murrt man in Barakaldo. Und sicher haben die unerfahrenen Architekten aus dem sonnigen Murcia und Madrid die baskischen Eigenarten teilweise falsch eingeschätzt und beim Umsetzen ihres urbanistisch wie plastisch überzeugenden Konzepts zu unbefangen experimentiert.

Anscheinend mangelte es den zahlreichen beteiligten Akteuren der Operation auch am Willen zur Verständigung. Doch funktional ist sie, die neue Plaza Pormetxeta, bequem zu begehen – und unverwechselbar: Fremd und verlockend liegt sie vor der Stadt, eine schimmernde Landmarke im gesichtslosen Siedlungsbrei, die, wenn der Immobilienmarkt wieder anzieht, noch durch einen 80 m hohen gläsernen Turm ergänzt werden soll. Er war von Anfang an Teil des Entwurfs und erinnert ebenfalls entfernt an einen Kran. Im Kern ist die Plaza Pormetxeta jedoch kein weiteres Objekt, sondern ein verbindender Raum, der einen andersartigen Blick auf die einzigartige Topografie der Nervion-Mündung eröffnet. Wie der viel zitierte Bilbao-Effekt lehrt, sind es heutzutage eben auch solche »geliehenen«, oft skurrilen Identitäten, die Orte prägen, Aufsehen erregen, und »Platz machen« in den Köpfen und in den Städten für neue, übergreifende Ideen. Was ist dagegen schon eine Bahnüberführung?

db, Mi., 2012.02.29

29. Februar 2012 Christoph Gunßer

Platz machen

(SUBTITLE) Eduard-Wallnöfer-Platz in Innsbruck (A)

Die neue Gestaltung des Eduard-Wallnöfer-Platzes scheint sich dem Nutzer schnell zu erschließen – als Skatepark, Puzzlespiel aus Betonfertigteilen oder Reminiszenz an die Innsbrucker Bauwerke Zaha Hadids. Allein, keine dieser Beschreibungen trifft zu. Vielmehr ist der Platz eine im Wortsinn aus dem Gesamtkontext erwachsene urbane Bodenskulptur, die den Menschen große Spielräume zur persönlichen Aneignung gibt.

Dass dringend etwas geschehen musste, darüber waren sich alle einig. Fast vollständig von einer Tiefgarage unterhöhlt, mit tristen Plattenbelägen im Norden und einer lieblosen Grünanlage im Süden, war der Eduard-Wallnöfer-Platz kaum mehr als eine 9 000 m² große Fläche, auf der einfach nur keine Häuser standen. Hinzu kam das unwürdige Nebeneinander von Hundehaufen, vier zusammenhangslos in einer Reihe abgestellten Denkmälern zur NS-Zeit bzw. zur Regionalgeschichte, in Büschen lebenden Ratten und dem allabendlichen Gefühl von Unsicherheit. 2008 initiierte die Tiroler Landesregierung schließlich einen Architektenwettbewerb zur umfassenden Neugestaltung der wegen ihrer Lage am Tiroler Landtag meist als »Landhausplatz« bezeichneten Fläche.

Mondlandschaft oder Bühne für städtisches Leben?

Zum Sieger des Konkurrenzverfahrens kürte die Jury einstimmig einen von LAAC Architekten gemeinsam mit Stiefel Kramer Architecture und dem Künstler Christopher Grüner entwickelten Entwurf, dessen Motto »Platz machen« ernster gemeint war, als es manche Innsbrucker erwarteten. Besonders polarisierend wirkte paradoxerweise der Umstand, dass hier mitten im Stadtzentrum, zwischen Hauptbahnhof und Altstadt, kein lieblicher Garten, sondern ein dezidiert urbaner Platz entstehen sollte. Mitte 2011 fertiggestellt, schien die »begehbare Bodenplastik« mit ihren sanft gewölbten »Geometrien« und hellen Betonoberflächen den gängigen Sehgewohnheiten der Bevölkerung so sehr zu widersprechen, dass an den Stammtischen schnell von einer »Mondlandschaft« die Rede war, die sich noch dazu ausgerechnet bei jugendlichen Skatern und BMX-Radfahrern größter Beliebtheit erfreute. Inzwischen sind die Wogen geglättet. Erstens hat sich der Landhausplatz tatsächlich als der von Anfang an geplante »Platz für alle« etabliert. Anstelle von Verboten regelt ein gemeinsam von Jugendgruppen und der Landesregierung erarbeiteter »Verhaltenskodex« heute das gut funktionierende Miteinander der Nutzer- und Altersgruppen. Und zweitens ist der Platz schon allein wegen dem im Vergleich zur Ausgangslage vergrößerten Baumbestand keine tumbe Betonwüste.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich zudem, dass der Beton neben Weißzement auch schwarze, weiße und gelbe Granitsplitter enthält, die zusammen mit den glatten, gefrästen bzw. polierten Oberflächentexturen von Platzfläche, gewölbten Übergängen bzw. Geometrie-Ober- seiten ein überaus lebendiges Erscheinungsbild ergeben.

Planungsvorgaben als Inspirationsquelle

Aus der Vogelperspektive mag die schwungvolle Kunstlandschaft im recht- winklig geprägten Stadtgefüge noch fremdartig anmuten. Nach Betreten des Platzes wird allerdings klar, dass die fließend aus der Platzfläche heraustretenden Geometrien wesentlich raumbildender sind als anfänglich angenommen und zudem mehrere Aufgaben überzeugend erfüllen: Sie definieren exponierte, aber auch eher geborgene Bereiche; schaffen klar zugeordnete Freischankflächen für zwei Lokale, integrieren Tiefgaragenzufahrt und -aufgänge, erzeugen eine Art Leitsystem für innerstädtische Wegeverbindungen und bieten nicht zuletzt anregende Bewegungsflächen für drei-, lauf- oder fahrradfahrende Kinder und skatende Jugendliche.

Die scheinbar so locker auf dem Landhausplatz ausgebreitete Plastik ist also keineswegs nur Ausdruck persönlichen Gestaltungswillens. Sie ist v. a. das Ergebnis eines komplexen Entwurfsprozesses, bei dem Planungsvorgaben als Inspirationsquellen dienten. Beispielsweise sorgt ein schwellenloses Wasserspiel auf der für feierliche Veranstaltungen frei zu haltenden Fläche vor dem Landhaus für sommerliche Abkühlung, während das unverrückbare zentrale Befreiungsdenkmal in der durchgängigen Homogenität des Platzes ebenso angenehm gliedernd wirkt wie der große »Hügel« an der Wilhelm-Greil-Straße, der die Tiefgaragenzufahrt ausblendet und zugleich Schattenplätze unter Ahornbäumen, flache Wassertreppen wie auch einen guten Rundumblick bietet.

Ein Platz, der sich nicht auf seine Umgebung verlassen kann

Dass der Landhausplatz kein historisch gewachsener Platz ist – er entstand nach dem Zweiten Weltkrieg durch Abbruch einer kleinteiligen Bebauung – ist von jedem Standpunkt aus spürbar. Die nördlich und westlich situierten Gebäude sind als Platzkanten architektonisch überfordert und auch deren Nutzungen im EG tragen nur wenig zur Belebung der Platzfläche bei. Zur Bühne seiner Nutzer wird der Platz nur deshalb, weil er gleichsam aus sich selbst heraus lebt. Diesem Gedanken entsprechen sowohl die bewegte Topografie als auch das Beleuchtungskonzept. Kennzeichnend hierfür ist, dass auf eine Inszenierung der Platzkanten und der Denkmäler gänzlich verzichtet wurde. Während die eigens gestalteten Laternen den Platz in ein gleichmäßiges Licht tauchen, verlieren sich die Denkmäler im Dunkel des Nachthimmels.

Geschichte und Gegenwart in einem lebendigen Zusammenspiel

Nicht weniger wichtig als der Freizeitwert, den der Landhausplatz bis zur offiziellen Nachtruhe um 23 Uhr bietet, war die Schaffung eines würdigen Rahmens für die vier, hier aufgestellten Denkmäler – eine Vorgabe, die die Planer so selbstverständlich umsetzten, dass selbst Schulklassen plötzlich Spaß an der Auseinandersetzung mit der regionalen Geschichte entwickeln. Die Menora, ein Mahnmal, das an die Ermordung jüdischer Bürger in der Reichskristallnacht 1938 erinnert, und der Gedenkstein zur 600-Jahr-Feier der Zugehörigkeit Tirols zu Österreich wurden versetzt und befinden sich nun frei stehend am Rand zweier Geometrien im Süden des Platzes. Den ebenfalls verschobenen Vereinigungsbrunnen, gewidmet der Eingemeindung einiger Dörfer zu Innsbruck, erweiterten die Planer um die bereits erwähnten Wassertreppen – momentan wird er als »Bereich zum Chillen« ausgewiesen.

Eine besondere Bedeutung kommt dem von französischen Alliierten 1948 auf einem hohen Stufensockel errichteten Befreiungsdenkmal zum Gedenken der für die Freiheit Österreichs Gestorbenen zu. Bislang als unnahbare Barriere zwischen den beiden Platzhälften wahrgenommen, wird es heute von einer sanft nach Süden ansteigenden Inselgeometrie umspült, die die Anzahl der alten Stufen verringert und das Monument so zum willkommenen »Hindernis« der Skater macht. Gemäß Verhaltenskodex sind die südlichen Stufen und sogar einige der Sitzbänke (!) und alle Kanten der geschwungenen Geometrien für Grinds und Slides freigegeben, während deren Nordseite, die Stufen des Landhauses und die anderen Denkmäler tabu sind.

Handwerklich vor Ort verarbeiteter Beton

Der Landhausplatz ist ausdrücklich kein Skatepark, dennoch wurden die Oberflächen etwa durch konsequent abgerundete Kanten oder durch einen besonders robusten B7-Beton so geplant, dass derlei Aktivitäten problemlos möglich sind. Störungen der homogenen Fläche haben die Architekten allein schon im Sinne der möglichst durchgängigen Flächenwirkung vermieden. Und statt sichtbarer Entwässerungsrinnen für Oberflächenwasser konzipierten sie unmittelbar unter den offenen Fugen liegende Rinnen bzw. gleichmäßig dazwischen verlegte Dränagerohre (s. Detailbogen S. 90).

Auch wenn die erstklassige Betonoberflächenqualität und das rasterförmige Fugenbild es nicht auf Anhieb vermuten lassen, ist die gesamte Topografie doch vor Ort hergestellt worden. Um die Lasten über der bestehenden Tiefgaragendecke möglichst gering zu halten, wurden ebene wie auch gewölbte Betonplatten über einer verlorenen Schalung aus Glasschaumschotter gegossen – im Bereich der Bäume kam stattdessen Substrat zum Einsatz. Die konkaven bzw. konvexen Geometrien formten die Betonbauer aus der jeweiligen Schüttung vor, um sie anschließend mit einer 15-20 cm dicken Schicht des zähflüssigen und schnell abbindenden Betons zu überziehen – jeweils bis zur Unterkante von in kurzen Abständen aufgestellten Holzschablonen. Fertigteile kamen deshalb nicht infrage, weil die endgültige Form der dreidimensionalen Boden- plastik erst dann fixiert werden konnte, nachdem der alte Platz vollständig abgebrochen war und auch alle infrastrukturellen Rahmenbedingungen feststanden – Zeit zur Vorbereitung des Vorfertigungsprozesses wäre da kaum geblieben. Letztlich spiegelt sich bei den nicht gerade unkomplizierten Betonarbeiten im Detail wider, was die Platzgestaltung auch als Ganzes prägt – eine bemerkenswert sorgfältige Planung, bei der persönliche Gestaltungsvor- stellungen, der gesunde Menschenverstand und der Gesamtkontext perfekt harmonieren.

db, Mi., 2012.02.29

29. Februar 2012 Roland Pawlitschko

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