Editorial

Auto mobil

Giacomo Mattè-Truccos 1914–1926 errichtete Fiat-Fabrik Lingotto gilt noch heute als Ikone der Auto-Industrie in Europa, Le Corbusiers Villa Savoye als erstes Privathaus, das seine Gestalt auf das Automobil zurückführt, und Frank Lloyd Wrights Guggenheim-Museum in New York, diese auf den Kopf gestellte Zikkurat, dieser in Windungen sich in die Höhe schraubende pyramidale Tempel, wurde immer wieder mit einer Parkhausrampe assoziiert. Seither hat die Faszination Automobil Künstler und Architekten in ihren Bann geschlagen. Wie sehr es im 20. Jahrhundert ihre Fantasie beflügelt hat, zeigt allein ein kurzer Blick auf die Literatur zum Thema Auto-Architektur oder, wie sie neu-deutsch heisst, «Carchitecture».[1]

Für das Auto entworfene Architektur ist mit Bewegung, Beschleunigung, Dynamik assoziiert, ob auf der Rennstrecke auf dem Dach des Lingotto, an den Tankstellen-Entwürfen Lois Welzenbachers für die Reichsautobahn 1935 oder im Parkhaus von Bertrand Goldbergs Marina Towers (1959–1964). Einer neuen Welle der Inszenierung des Autos leistete VW im Jahr 2000 Vorschub, als das Unternehmen die Autostadt Wolfsburg – «Center of Excellence» – eröffnete, wo nicht nur mit Liften ausgestattete Autotürme die Wagen in Bewegung setzen, sondern auch ihr Innenleben in überdimensionierten Kurbelwellen und Motorblöcken erfahrbar gemacht wird.

So dynamisch sich «Autoarchitektur» gibt, so sehr das Auto für Bauten Inspiration war und ist, die nicht unmittelbar mit ihm zu tun haben, so statisch waren traditionelle Ausstellungsbauten für das Automobil. Die Präsentation in der Collection Schlumpf in Mulhouse etwa oder im Museo dell’automobile Carlo Biscaretti di Ruffia beraubt das Ausstellungsgut seiner Dynamik, stellt es sozusagen aufs Abstellgleis.

Nun hat sich Ben van Berkel gleichsam Wrights dynamisierte Architektur – die Antithese zum traditionellen Museum – für das Mercedes-Benz-Museum nutzbar gemacht (siehe Artikel S. 4). Die Doppelhelix, die sich endlos weiterdenken liesse, bringt zum Ausdruck, dass das Auto noch im Museum den Schrittmacher der Zukunft verkörpert.

In Dresden dagegen hat VW die Fabrik selber, die «Gläserne Manufaktur» von Henn Architekten, als musealen Akt inszeniert – und gleichzeitig das museale Potenzial der Stadt vereinnahmt: Besuchern werden Besichtigungen der kulturellen Sehenswürdigkeiten Dresdens gleich mit angeboten. Die Stadt wird zu einem ausgelagerten Exponat im als Museum inszenierten Montagewerk.

Den bisherigen Höhepunkt der Verzahnung zwischen Stadt und Werk bzw. Brand markiert das Wissenschaftszentrum «Phaeno» in Wolfsburg. Das Automobil prägt das Image der Stadt seit 1937. «Phaeno» ist gleichermassen ein Produkt dieser Liaison wie Ausdruck der Emanzipation des Partners Stadt.

Christian Holl, christian.holl@frei04-publizistik.de
Rahel Hartmann Schweizer, hartmann@tec21.ch


Anmerkung [1]
- Herbert Keck: Auto und Architektur – zur Geschichte einer Faszination. Wien, 1991
- Reimar Zeller (Hrsg.): Das Automobil in der Kunst 1886–1986. München, 1986
- Francine Houben: Mobility: a room with a view. NAI Publishers, Rotterdam, 2003
- Dirk Meyhöfer: Motortecture: design for automobility – Architektur für Automobilität. AVedition, Ludwigsburg, 2003
- Jonathan Bell: Carchitecture: when the car and the city collide. Birkhäuser, Basel, 2001.

Inhalt

Auto-Stadt
Christian Holl
Branding reichert Produkte mit immateriellen Werten an, wovon auch Städte profitieren können. Wie Marke und Stadt mittels Architektur in eine Wechselbeziehung treten, zeigen das Phaeno von Zaha Hadid in Wolfsburg und das Mercedes-Benz-Museum von UN Studio in Stuttgart.

Auto-Landschaft
Rahel Hartmann Schweizer
Isa Stürm und Urs Wolf haben das Rennen im Wettbewerb für ein Automuseum im appenzellischen Teufen mit einem Objekt auf der «Ideallinie» zwischen Architektur und Landschaft gemacht. Obwohl noch Investoren gesucht sind, läuft die Arbeit am Projekt auf Hochtouren.

Blickpunkt Wettbewerb
Neue Ausschreibungen und Preise / SBB-Wirtschaftlichkeit in Luzern: Auf dem ehemaligen Güterareal soll gewohnt, gearbeitet und konsumiert werden

Magazin
Leserbriefe / Raumkonzept Schweiz / Korrigenda / Bilder einer Ausstellung - Hagia Sophia / Maserati-Museum / Verkehrshaus - Themenpark

Aus dem SIA
Planungsbüros im 1. Quartal: erfreuliche Entwicklung /
Z-Wert-Erhebung bis 31.Mai / Einladung zum Contractworld Award 2007

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Impressum

Veranstaltungen

Auto-Stadt

Branding reichert Produkte mit immateriellen Werten an. Aber auch Städte profitieren von solchen symbolischen Zuweisungen und dem durch sie geprägten Image. Wie Marke und Stadt mittels Architektur in eine Wechselbeziehung treten, zeigen das Phaeno von Zaha Hadid
in Wolfsburg und das Mercedes-Benz-Museum von UN Studio in Stuttgart.

Unter der Erosion ihrer wirtschaftlichen Basis, der Einheit von Bürgerschaft, Wohn- und Arbeitsort, beginnen Städte, wie Unternehmen zu agieren. Ortsansässige Firmen werden zu Kunden, wirtschaftliche Interessen werden mit grösserem Gewicht gegen das öffentliche Gemeinwohl abgewogen, mittels Klientelpolitik wird versucht, Unternehmen und zahlungskräftige Bewohner anzulocken. Das Image der Stadt wird zu einem Thema der Politik, Marketing ein wichtiges Handlungsfeld.

Es mag derartige Strategien und politische Programmierungen schon immer gegeben haben, doch bekommen die Strategien des Branding der Stadt innerhalb globaler Konkurrenz eine andere Dimension. Zudem verwischen sich die Grenzen zwischen den Sphären des Kommerzes und der Kultur. Factory Outlets, Vergnügungsparks, Shopping Malls einerseits – Fussgängerzonen, historische Rekonstruktionen, von kommerziellen Angeboten durchdrungene Museen andererseits: Bild und Kulisse, kommerzielle Stimulanz und kulturelle Bedeutungsebenen vermischen sich.

Es ist kein Wunder, dass davon die Wechselbeziehung zwischen Stadt und dem sie vielleicht am meisten prägenden Konsumgut, dem Automobil, nicht unberührt bleibt. Exemplarisch illustrieren dies die beiden jüngsten «automobilen» Architekturen: das Phaeno von Zaha Hadid in Wolfsburg und das Mercedes-Benz-Museum von UN Studio in Stuttgart.

Wolfsburg: Rampen, schräge Wände, Krater

Dabei ist das erste Projekt im direkten Sinne nicht einmal ein Gebäude für oder im Dienste des Automobils. Das Phaeno in Wolfsburg von Zaha Hadid, die sich im Wettbewerb unter 23 geladenen Architekten durchgesetzt hat, ist ein «Science Center», ein Wissenschaftsmuseum, das physikalische Phänomene in interaktiven Versuchsanordnungen erfahrbar macht. Es ist denn auch architektonisch eine Experimentierlandschaft, eine offene und dynamische Raumkonzeption aus Rampen, schrägen Wänden, Kratern, weichen Formen, fliessenden Linien, im Innern wie im Äusseren: Das aufgeständerte Bauwerk (aufgeständert auf jenen Kegelstümpfen, die im Innern als Krater die Raumfigur dramatisieren) ist auch in seinem Aussenraum zwischen Stadt und Gebäude als Kontinuum gedacht und aus der Überlagerung von Bewegungsrichtungen, Blickachsen und der Topografie entwickelt worden. Unter dem Haus entsteht zwischen den rauen Betonoberflächen ein besonders gestalteter, öffentlicher Raum. Hier, direkt am Bahnhof, ist das Phaeno als eine urbane Drehscheibe gedacht, in der zwei Stränge zusammenlaufen. Der eine ist die von Süden über den Mittellandkanal geführte Brücke. Sie verbindet das Phaeno mit der «Autostadt», einem Veranstaltungspark mit Ausstellungspavillons für die Marken des VW-Konzerns und einem speziellen Serviceangebot für die Kunden, die sich hier, in direkter Nachbarschaft zum Werk, ihren Neuwagen selbst abholen. Zur andern Seite hin führt eine zentrale Achse in die Stadt Wolfsburg hinein. Der Raum unter dem Phaeno ist dezidiert unhierarchisch konzipiert, der Haupteingang ist nur wenig gegenüber anderen, fast gleichwertigen Eingängen hervorgehoben. In den Kegelstümpfen finden sich die öffentlichen Funktionen, die diesen Raum beleben sollen: Restaurant, Bistro, Laden, Kiosk.

Das baukünstlerische Meisterwerk ist kein Geschenk der Stadt an ihre Bürger, sondern Ausdruck und Zuspitzung ihres Bemühens, sich von der Abhängigkeit des Autokonzerns, dem sie ihre Gründung von 1937 verdankt, zu lösen und als «Wissenschaftsstadt» ein neues Profil aufzubauen. Da passt es, dass das Phaeno das bislang grösste in selbstverdichtendem Beton errichtete Gebäude ist und ein spektakuläres, etwas aufdringliches Dachtragwerk aufweist, fächerförmig aus Rauten verschiedener Grösse dreidimensional aufgebaut, das die 6000 m² Ausstellungsfläche frei überspannt. Diese bautechnische Innovation ist die Entsprechung der demonstrativen Zukunftsorientierung der Gebäudefunktion. Tourismus, Event, Standortmarketing – dahin zielt letztlich das Kalkül der Stadt, die dafür 79 Mio. Euro investiert hat. Allerdings ist diese Emanzipation eine im gegenseitigen Einvernehmen, denn der Autokonzern arbeitet daran selbst mit: nach der «Autostadt» unter anderem mit einer eigenen Hochschule, dem MobilLifeCampus», die 2006 öffnet.

Nicht zum ersten Mal sucht der Konzern aus einem Wechselspiel von Stadt und Fabrik Profit zu ziehen. In Dresden hat man mit der «Gläsernen Manufaktur» von Henn Architekten die Produktion als musealen Akt inszeniert – und gleichzeitig das museale Potenzial der Stadt vereinnahmt: Besuchern werden Besichtigungen der kulturellen Sehenswürdigkeiten Dresdens gleich mit angeboten. Die Stadt wird zu einem ausgelagerten Exponat im als Museum inszenierten Montagewerk.

Stuttgart: Doppelhelix, Mythos und Geschichte

Etwas anders stellt sich die Sache in Stuttgart dar. Hier entstand «echte» Autoarchitektur. Das neue Firmenmuseum von Mercedes-Benz vor den Werkstoren liegt nicht im Stadtzentrum, nicht an einem Ort, an dem man die Architektur in den Dienst einer stadträumlichen Aufwertung normalerweise stellen wollte. Und doch formuliert das Museum gerade von hier aus diesen Anspruch: Zwischen aufgeständerter Bundesstrasse, Stadion, Veranstaltungshallen, Festplatz und Industrie gelegen, ist der Neubau schon jetzt Wahrzeichen und wird bereits in einem Atemzug mit der Stuttgarter Neuen Staatsgalerie genannt, das heisst als ein Gebäude, das Architekturgeschichte schreiben wird. Im städtebaulichen Zusammenhang sprechen Ben van Berkel und Caroline Bos von einem Leitton, der die zukünftige Entwicklung dirigieren könnte – noch im Museum verkörpert sich das Auto als Schrittmacher der Zukunft.

Die allgemeine Begeisterung wird im Zentrum des Hauses verständlich. Dort erwartet den Besucher ein fast bis unter das Dach reichender Raum von überwältigender Perspektive. Die beeindruckende Konstruktion aus Sichtbeton mit gekrümmten und geneigten Ebenen verdichtet sich zu einem intensiven Raumerlebnis. Auch hier wurde ein konstruktives Experiment gewagt und der Anspruch der technologischen Avantgarde mit dem der kulturellen verknüpft. Um die dem Entwurf zugrunde liegende Raumfigur der gegeneinander versetzten schraubenförmigen Raumfolgen in dieser Grösse zu realisieren, wurden grosse, gedrehte Hohlkastenträger ausgebildet, so genannte Twists, die in einer aus dem Brückenbau übernommenen Konstruktion an die Treppenkerne angeschlossen sind. Den grossen Aufwand für diese aussergewöhnliche Raumkonzeption illustriert am besten die Tatsache, dass ein Twist als Prototyp im Massstab 1:1 angefertigt werden musste.
Das räumliche Prinzip der Doppelhelix transformiert raffiniert die bereits vor dem Architekturwettbewerb formulierte Ausstellungskonzeption. Zwei Routen bieten dem Besucher zwei Optionen: Er kann den Weg durch die fünf Räume der «Collectionen» wählen, oder er hat die Möglichkeit, durch die chronologisch geordneten sieben Räume der Spirale zu gehen, die unter dem Begriff des «Mythos» stehen. Die Wahl ist aber nie endgültig. Immer wieder hat der Besucher die Möglichkeit, von der einen Route in die andere zu wechseln.

Im Gegensatz zu den Mythen sind die «Collectionen» nicht chronologisch geordnet, sondern fassen die Exponate thematisch (etwa unter «Helfer», «Lasten» oder «Reisen») zusammen. Diese Räume erfüllen eher die Aufgabe des Archivs, der Präsentation von gefüllten Schatzkammern.

Aufwändiger sind die Mythen inszeniert. Auf Podesten im Zentrum der Räume stehen die ausgewählten Exponate, die man, auf einer Rampe abwärts schreitend, umkreist, bevor man an sie herantreten kann. Sie sind durch die Ausstellungsgestaltung als Ausdruck ihrer Zeit interpretiert, werden aber auch als Objekte verstanden, die die Zeit geprägt haben – erst aus dieser Wechselbeziehung erwächst ja der Mythos. Eine «illustrierte Chronik» entlang der Wände greift die wichtigsten Ereignisse der Zeitgeschichte auf. Eine besondere Variante der Inszenierung der Marke: Indem die Geschichte des Automobils in der allgemeinen Historiografie verortet wird, erfüllt das Museum den pädagogischen Anspruch, Geschichte zu vermitteln – und Mercedes-Benz ist dabei deren selbstverständlicher Teil.
In den Mythosräumen wird der Blick nach aussen verwehrt, doch stellt sich über das offene Atrium die Verbindung der Räume untereinander her. Die Welt der exponierten und inszenierten Mythen ist die der Imagination, die durch den Alltag draussen nur gestört würde. Umgekehrt ist es in den Räumen der «Collectionen», hier ist der Blick nach aussen möglich, unter anderem auf die sechsspurige Bundesstrasse. Die Verortung in der Gegenwart macht die Geschichte, das Archiv zur Voraussetzung für die neue Entwicklung: Die alten «Helfer» stehen im Museum, die neuen sind im Einsatz. Die Strasse, die Stadt, zuvor der eigentliche und natürliche Ausstellungsort des Automobils, wird nun als Exponat ins Museum geholt.

Die Figur der Doppelhelix ist bei alldem mehr als ein besonderer Kniff, Kontinuität erfahrbar zu illustrieren, ist mehr als Raumfigur, die die Bewegung um die zur Ruhe gekommenen Exponate erzeugt. Sie ist Bild für die Fortsetzung dessen, was sich hier präsentiert. Die Helix ist eine prinzipiell weiterzudenkende Figur, ihr Anfang und ihr Ende sind willkürlich. Die erfolgreiche Geschichte der Marke, so die Botschaft, wird sich fortsetzen.

Fortsetzen wird sich auch die Verzahnung zwischen Kultur und Kommerz – gerade mit dem Automobil als seinem Hauptakteur. In München steht die «BMW Welt» von Coop Himmelb(l)au kurz vor der Fertigstellung, und auch in Stuttgart ist das nächste Automuseum bereits in Planung: 2007 soll das Porsche-Museum nach Plänen von Delugan Meissl eröffnet werden.

TEC21, Fr., 2006.05.19

19. Mai 2006 Christian Holl



verknüpfte Bauwerke
Science Center Phæno

Auto-Landschaft

Isa Stürm und Urs Wolf haben das Rennen im Wettbewerb für ein Automuseum im appenzellischen Teufen mit einem Objekt auf der «Ideallinie» zwischen Architektur und Landschaft gemacht. Ausgeschrieben vom Unternehmer (Lista AG) und Rennfahrer Fredy Lienhard und seinem Partner Hans Müller, wird es vorläufig nur noch von Letzterem getragen, der sich nach Investoren umsieht. Die Arbeit am Projekt läuft derweil auf Hochtouren.

Isa Stürm und Urs Wolf zielen mit ihrem Automuseum wie Ben van Berkel (siehe Artikel S. 4) auf Bewegung, aber mit anderen Vorzeichen. Die Objekte der Begierde, denen sie eine Hülle geben wollen, sind keine Alltagsvehikel, sondern Rennwagen. Daher nehmen die Architekten Anleihe bei der Medientheorie Marshall Mc Luhans und der Analogie zwischen dem Pferde- und dem Autorennsport.

So, wie das Auto – als Erweiterung des menschlichen Körpers – Pferd und Wagen ersetzte, die ihrerseits auf sein sportliches Potenzial «reduziert» werden, überholen die elektronischen Medien das Automobil. Das zunehmende Verkehrsaufkommen führt durch Staus zum Kollaps. Die Beschleunigung kommt zum Stillstand. Das Automobil überlebt nur noch auf dem Circuit und avanciert gleichsam zum Pendant des mittelalterlichen Ritters und seiner Rüstung.
Die Kunst hat das Auto längst schon als Artefakt entdeckt, seinen erstarrten Zustand thematisiert, als Objekt im Stillstand inszeniert. 1974 setzte die Gruppe «Ant Farm» in einem Getreidefeld in Texas zehn Cadillacs bei («Cadillac Ranch»), vier Jahre später zog «SITE» auf der Plaza eines Shopping-Centers in Hamden, Connecticut, mit «Ghost Parking Lot» nach, wo sie 20 mit Beton gefüllte und mit Asphalt übergossene Autos deponierten. Das passt zur Auffassung der Architekten Stürm und Wolf, wonach sich das Auto als privates Transportmittel überlebt hat. Isa Stürm vermutet, dass das Auto, wie das Pferd, nur noch auf dem Circuit zum Siegeszug antreten wird.

«Ideallinie» zwischen Architektur und Landschaft

Zwar haben sich Isa Stürm und Urs Wolf wie Ben van Berkel mit dem Bautyp «Museum» befasst, sind aber bald davon abgekommen, sich daran zu orientieren. Ihre Inspirationsquelle erschlossen sie sich in situ. Sie haben die Rennstrecke und ihr Umfeld ins Visier genommen, den Circuit, die Boxen, das Teamwork, die Beziehung zwischen Tribüne und Circuit, die Kurvenwölbungen, das Siegerpodest, die Werbung (Bild 16). Sie haben sich die Ikonen – etwa den «Bluebird» oder den «Silberpfeil» (Bild 17, S. 10) – und die Helden – von Manfred von Brauchitsch bis Michael Schumacher, von Battista Pininfarina bis Enzo Ferrari – des Automobilsports vorgenommen (Bild 15).

Das Automuseum soll auf rund 500 m² ein Schaudepot für 40 Wagen beherbergen und auf 1500 m² Wechselausstellungsfläche bieten. Insgesamt ist es für 120 bis 130 Wagen ausgelegt. Isa Stürm und Urs Wolf verstehen das Museum als Station einer Rennstrecke, die an der Umfahrungsstrasse in Teufen liegt, und haben versucht, die Ideallinie zwischen Architektur und Landschaft zu finden. «Patisserie» haben sie die Versuche genannt, Boxen, Circuit, Kurven in eine topografische Form zu giessen. Und schliesslich haben sie sie, um mit der komplexen Raumgeometrie fertig zu werden, mit Hilfe des Computerprogramms für Automobile «Solid Edge» entworfen.
Dabei ist ein Rumpf entstanden, der ins Erdreich eingegraben ist (Bild 4, Schnitte 10, 11). Drei Flügel durchstossen die Oberfläche und öffnen sich mit linsenförmigen Scheiben in die Landschaft (Bilder 4, 7). Man kann sie mit einer Autoscheibe assoziieren, durch die der Blick auf einen Ausschnitt der Umgebung fokussiert wird. Stürm und Wolf verstehen die Fenster als «Interface» zwischen Rennstrecke und Landschaft.

«Gekrümmter Raum»

Die mit einem silbrig schimmernden, metallischen Blech verkleideten Flügel (Bilder 4, 5) bedienen gleichermassen die Auto- wie die Flugzeugmetapher, wecken die Assoziation mit einem Silberpfeil und vielleicht auch mit einer Ritterrüstung. Sie spannen einen Landschaftsraum auf, der als Parkdeck gestaltet ist. Dessen grüner Bodenbelag soll sich in die Wiese einfügen, der schwarze Asphalt der Parkfelder sich wie Autoschatten ausnehmen. Die Reling, die das Feld begrenzt, kokettiert schliesslich mit der Schiffsmetapher. Die Parkierung ist Teil der Ausstellung. Denn die Durchfahrt aufs Parkdeck, die wohl nicht von ungefähr an eine mittelalterliche Zugbrücke erinnert, führt durch den zur Battenhusstrasse hinweisenden Flügel. Er ist das Tor zur Ausstellung, welche die Besucher als Loop erleben sollen. Vom Trottoir führt der Weg unter dem Portal durch eine Flügeltür auf die Rampe, von der aus sich ein erster Blick auf den Circuit öffnet. Von der Galerie, die Empfang, Mediathek, Lounge, Werkstatt und Büros beherbergt, lassen sich die Ausstellungshalle, das Schaudepot und die Werkstatt in Augenschein nehmen. Der Abstieg führt in den Bauch des Baukörpers. Das Erlebnis des «gekrümmten Raums» soll sich hier einstellen (Bild 6). Die Krümmung dynamisiert die auf dem Circuit positionierten Wagen ebenso wie diejenigen in den Boxen des Schaudepots im Hintergrund, die startklar in Position zu stehen scheinen.
Beobachtet werden kann das «Geschehen» aber auch von der Tribüne im Ostflügel, die mittels eines Vorhangs auch zum Auditorium umfunktioniert werden kann. Der westliche Flügel fängt als «Schaufenster» das Panorama der appenzellischen Hügellandschaft ein.

Raumfachwerk

Komplex ist das statische Konzept, das Schlaich und Bergermann erarbeitet haben. Der Baukörper, der sich auf eine Länge von ca. 100 m und einer maximalen Breite von ca. 50 m erstreckt und mit einer Einbindetiefe von 4–7 m im Gelände eingegraben ist, ragt mit seinen schalenförmigen Dächern maximal ca. 7 m über die Geländeoberfläche hinaus. Die Bauteile unter Geländeniveau sind im Wesentlichen als Stahlbetonbauteile geplant, nicht befahrbare Dachflächen und transparente Fassaden werden als Stahl-Glas-Konstruktionen konzipiert.

Als Basiskonstruktion für die Dachfläche (Achsen 6
bis 14) schlagen Schlaich und Bergermann ein Raumfachwerk vor (Bilder 1–3, 9). Dieses ist im Bereich der befahrbaren Fläche als zweiachsig gespannte Decke mit einer Spannweite von bis zu 29 m und einem Rasterabstand von ca. 2.50 m (Stablängen der Gurte zwischen ca. 1.60 m und 4.00 m) bei einer Bauhöhe von ca. 1.66 m (Aussenkanten < 2.00 m) konzipiert.

Als Unterkonstruktion der mit einem Belagsaufbau
versehenen Fahrbahndecke liegt eine Betondecke über dem Raumfachwerk. Sie wird zur Reduzierung der Eigenlasten als Verbunddecke mit Profilblech als verlorene Schalung mit einer Dicke von ca. 15cm ausgeführt und spannt als Durchlaufträger zwischen Pfetten ca. HEB 140, die an die Knoten der Obergurte des Raumfachwerkes angeschlossen sind (Stützweite ca. 3.00 m).
Im Bereich der nicht befahrbaren Flügel wird das Raumfachwerk mit veränderlicher Bauhöhe stetig zu den Fassadenstützen der Flügel geführt und beschreibt zusätzlich die Krümmung der Flügel. Das Raumfachwerk wird umlaufend auf den Aussenwänden, den Unterschalen der Flügel sowie den schräg gestellten Fassadenstützen der Flügel aufgelagert. Am Übergang zur Stahlkonstruktion des Nordflügels (Achse 6) werden Stützen angeordnet, um eine kontinuierliche Lagerung des Raumfachwerkes zu gewährleisten. Ausserdem bedarf es hier bei der Einfahrt einer Abfangkonstruktion durch ein Fachwerk mit ca. 18 m Spannweite. Der ebenfalls gekrümmte Boden der Flügel wird von einer Betonplatte gebildet, die auf Streifenfundamenten oder direkt auf dem Baugrund aufliegt.
Die Flügel werden mit einer Holzunterkonstruktion für die Dacheindeckung versehen. Die gewünschte Endform der Flügeloberfläche kann durch präzises Herstellen der Holzträger mittels CNC-Fräsung erfolgen. Von unten können die Stahlkragarme durch eine nachträglich angebrachte Verblendung, z.B. aus Holzplatten, verkleidet werden, um auch hier die ästhetisch wichtige Form der Untersicht umsetzen zu können.

Innen und Aussen und vice versa

Die Materialisierung haben Stürm und Wolf so gewählt, dass sie einerseits Innen und Aussen thematisiert und andererseits die Bewegung akzentuiert haben. Der Kontrast zwischen den voraussichtlich mit geflammten, hoch glänzenden Stahlblechen verkleideten, grosszügig verglasten Flügeln sowie ihrer Innenverkleidung mit hellen Sperrholzplatten und dem lichtabsorbierenden Ton des Rumpfs, der anthrazitfarben vorgesehen ist, definiert die Schnittstelle zwischen der luftigen, transparenten Atmosphäre und dem dunklen Erdraum.

Eine Umkehrung der Verhältnisse streben die Architekten bei den Belägen an. Der Strassencharakter soll sich im Innern manifestieren, auf dem Asphalt des Circuit, das Parkdeck hingegen mit Kunststoff oder mit Gummigranulat überzogen werden, um es als Teil des Innenraums zu qualifizieren.

Speicher, Druck und Thermik

Für die Klimatisierung wollen die Architekten die «natürlichen» Gegebenheiten des Baus nutzen. Danach kühlt die unterirdische Gebäudemasse – dank den Speichermassen von Erdreich und Beton – die Aussenluft im Sommer ausreichend ab, sodass eine Klimatisierung entbehrlich erscheint. Ausserdem machen Sonnenschutzgläser aussen liegende Storen obsolet. Für die Belüftung wollen Stürm und Wolf Thermik und Druckdifferenzen nutzen, die dazu führen, dass die gekühlte Luft durch die Ausstellungshalle strömt und – über die Verglasungen erwärmt – am höchsten Punkt wieder austritt.

Umgekehrt schätzen sie die Abkühlung im Winter als so gering ein, dass allein die Sonneneinstrahlung und die Abwärme für Temperaturen kaum unter 15°C sorgen. Allerdings müssen die Wärmeverluste durch die Verglasung kompensiert werden, was mittels Konvektoren geplant ist. Gedeckt werden soll der Wärme- bzw. Kühlbedarf durch eine Erdsonden-Wärmepumpe.

Szenografie

Als integralen Bestandteil der Architektur behandeln Stürm und Wolf die Szenografie, die sich ebenfalls am Rennsport orientiert. So sollen mit Flaggen Signale gesetzt werden, wie sie der Fahnenkultur der Rennwelt entsprechen. Im Innern würden auf unterhalb der Rampe im Raumfachwerk angebrachten Monitoren – analog zur Presselounge einer Rennstrecke – Live-Übertragungen oder Aufzeichnungen ausgestrahlt werden. Analog zur «Ideallinie» stellen sich Stürm und Wolf auf der Innenseite der Flügel eine Schriftschlaufe mit Begriffen aus dem Rennsport vor. Und schliesslich wäre eine «ideale Beschleunigungsspur» von Fredy Lienhard zu applizieren oder eine Bremsspur, eingefangen von Silvie Fleury (Bild 17). Letztere hat Lienhard bereits gezogen, die Beschleunigung ist jetzt Sache von Hans Müller.

TEC21, Fr., 2006.05.19

19. Mai 2006 Rahel Hartmann Schweizer



verknüpfte Bauwerke
Automuseum Teufen

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