Editorial

Orte der sogenannten Hochkultur wie Oper, Theater oder Konzertsaal sind seit jeher Kristallisationspunkte höfischen oder bürgerlichen Selbstverständnisses. Oft lässt sich ihrer Gestalt entnehmen, wie sich die Nutzer selbst sehen oder gerne gesehen werden möchten. Nimmt das Repräsentationsbedürfnis der Auftraggeber zusammen mit dem Wunsch, den Kulturgenuss als gesellschaftliches Ereignis zu inszenieren, doch direkten Einfluss auf die Struktur der Gebäude. Obwohl die Art der Darbietungen und die Beziehung zwischen Künstler und Publikum beim Entwurf von Kulturbauten nicht minder wichtig sind, spielte das Verhältnis von Gebäude und Stadt mitunter sogar eine größere Rolle als die innere Organisation. Heute gibt man sich mit Kompromissen zulasten der künstlerischen Qualität nicht mehr zufrieden. Mehr und mehr bestimmen die Inszenierungskonzepte und der Anspruch auf perfekte Sicht und Hörsamkeit Struktur und Aussehen der Kulturbauten. Technische Flexibilität ist gefragt, aber auch eine sinnliche Umgebung, die die Wahrnehmung schärft und den Besucher einstimmt. Die Palette atmosphärischer Räume reicht vom freien Werkstattcharakter, der Berührungsängste gar nicht erst aufkommen lässt, bis zur mondänen Einschüchterungsarchitektur (siehe Bild links: Seit letztem Jahr ist das von Santiago Fajardo sanierte und erweiterte Teatro Campos Elíseos in Bilbao wieder zu bestaunen). In dieser Ausgabe vertiefen wir uns in Konzepte vom kleinsten Dorftheater im Westentaschenformat bis hin zum kulturellen Leuchtturmprojekt in der Großstadt. Dabei zeigt sich, dass die Suche nach individuellen Lösungen die beste Art ist, auch unter starkem Budgetdruck authentische und sinnliche Orte zu schaffen, die vom Publikum als ein Stück Alltagskultur angenommen werden. | Achim Geissinger

Duft und Klang – Auratischer Ort

(SUBTITLE) Cinema Sil Plaz in Ilanz (CH)

In den abgelegenen Tälern am Vorderrhein ist Kultur nur zu haben, wenn man sie selber macht. So veranstaltet der örtliche Filmclub zusätzlich zum Kinoprogramm auch Konzerte, lädt zu Lesungen oder Theaterabenden ein und schuf dadurch ein kleines Kulturzentrum. Die Architekten sind selbst Mitglieder des Vereins und sorgten innerhalb der bestehenden Räumlichkeiten für Anpassungen der Haus-, Sicherheits- und Kinotechnik sowie den nötigen Lärmschutz. Durch minimale, aber hochpräzise Eingriffe und unter Verwendung archaisch anmutender Materialien wie z. B. Lehm sind stimmungsvolle Räume entstanden.

In einem Kino zählt das Immaterielle, Licht und Ton schaffen die Welt. Kinosäle, die darüber hinaus einem architektonischen Anspruch gerecht werden, sind rar. In Ilanz erwartet man einen solchen am allerwenigsten. Architekten ist das Städtchen mit rund 2 300 Einwohnern nur deshalb ein Begriff, weil der Weg nach Vals dort hindurchführt. Von der Rhätischen Bahn steigt man hier ins Postauto, das sich zu Zumthors Therme hinaufschlängelt. Ab jetzt ist Ilanz aber ebenfalls eine Übernachtung, weil einen Kinobesuch wert.

Die Geschichte beginnt vor rund 20 Jahren. Das Kino Darms schließt als letztes Kino der Region Surselva. Um die Lücke zu füllen, gründet sich der Filmclub Ilanz. Der befriedigt im Laufe der Zeit nicht nur cinephile Bedürfnisse, sondern organisiert auch Lesungen und Diskussionsrunden, Konzerte und Theatervorführungen. Als Openair-Wanderkino zieht er in verschiedene Gemeinden, auf Bio-Bauernhöfe und Kuhalpen, er berät Schulklassen bei Filmprojekten und hilft bei der Organisation von Dorffesten. Im Laufe der Jahre wird aus dem Film- ein Kulturclub, ein Zentrum für Kleinkunst der Surselva mit 150 Mitgliedern. Lange trifft man sich in ungemütlichen Provisorien, 1999 schlägt der Versuch fehl, die leerstehende Markthalle in Ilanz zum ständigen Quartier zu machen. Dann findet man das Haus Vieli im Zentrum des Dorfs. Eine mächtige Einzelsäule, die weiße Putzfassade und der fehlende Dachüberstand zeigen Kennern den früheren Umbau von Rudolf Olgiati (dem Vater Valerios) – ein stattliches Haus mit Wohnungen, Büros, einem Therapieraum und einem Café. Und mit Besitzern, die Kultur fördern. Seit Herbst 2004 vermieten sie dem Filmclub den rückseitigen Anbau, Räume und Keller im Haupthaus. In dieser ehemaligen Weinhandlung, die laut den Architekten einst auch als Schmiede genutzt wurde, findet in den folgenden Jahren ein vielseitiges Winterprogramm seinen Ort – mit Veranstaltungen auch für Kinder, Jugendliche und Senioren, für Einheimische und Weltoffene, auf Plastikstühlen und mit zünftigem Barbetrieb danach.

Sinn für Form und Handwerk

Ein Umbau ist notwendig, denn die Wohnungen im Haus und in der Nachbarschaft sind vom kulturellen Lärm geplagt. Auch muss Kino- und Brandschutztechnik installiert, diejenige der sanitären Anlagen, von Heizung und Lüftung erneuert werden. Die Planung übernehmen zwei noch relativ junge ETH-Architekten. Sie engagieren sich bereits länger im Filmclub, erforschen von Ilanz aus das bauliche Erbe ihrer Heimat und bauen auch immer wieder daran weiter: Gordian Blumenthal und Ramun Capaul. Ihren Anspruch an Architektur und ihr Können zeigt das neue Cinema Sil Plaz sehr schön: Zuerst, indem es sich eben nicht »neu« präsentiert. Nicht von außen – wo lediglich die neu aufgedoppelten Fensterrahmen eine Veränderung zeigen – und auch nicht im Innern, im langen Raum des Anbaus, der Eingang und Bar, Konzertraum und »Beiz« also Kneipe gleichzeitig ist. Nichts haben die Architekten hier verkleidet – die, übrigens, wie viele andere Vereinsmitglieder auch, selbst zum Werkzeug griffen. Den vorhandenen Kalkverputz beließen sie, die anderen Wände und die offene Holzdecke kalkten sie neu. Auf der alten Holzempore stehen nun einige Beizentische; freigeräumt dient sie den Künstlern als Bühne. Eine lange Bartheke teilt die andere Hälfte des Raums. Die einfache Gestalt und die praktischen Kniffe der Steh- und Einbaumöbel – ein Möbel dient z. B., geklappt und geschoben, an Club-Abenden als DJ-Pult – zeigen Sinn für Form und Handwerk.

Fragt sich der Besucher im ersten Raum noch, was dort neu sei, so wird er beim Gang in Richtung WC hellhörig. Im zentralen Foyerraum passiert er riesige, unbehandelte Stahltore, die an Rollen hängen und auch die Wände und Türen der WC-Kabinen sind nicht aus gängigen, kunstharzbeschichteten Platten, sondern aus brachialem Metall. Meint man vorn in der Beiz noch den einst hier abgefüllten Wein zu riechen, so klingt hier förmlich der Schmiedehammer im Ohr. Der fein gearbeitete Waschtisch aus bläulichem Gneis (Ilanzer Verrucano) versöhnt allzu zarte Seelen, er ist das Werk des ebenfalls im Club und auf der Baustelle engagierten Christian Aubry, Steinmetz und damaliger Vereinspräsident. Und der Stein, mit seinem gestalterischen Anspruch irgendwie fremd an diesem Ort, bereitet auf den großen Moment vor: den Eintritt in den Kinosaal, durch einen unscheinbaren Holzkasten am Kopf des Foyers.

Kein Schmiedehammer, kein Wein – aber was sonst? Die Schritte über den harten Boden sind fest, werden zwar leicht gedämpft aber nicht geschluckt. Es riecht eigenartig exotisch. Die Wände zeigen ein natürliches Ornament in bräunlichen Tönen. Doch sie sind weder aus Holz, noch aus Naturstein, sie fühlen sich rau und glatt zugleich an, weich und warm. Überhaupt möchte man hier alles anfassen, streicheln: den Stampflehm der Wände, die Bänke aus Eiche, die Polster aus ungefärbtem Leder darauf. Der Boden ist ebenfalls gestampfte Erde, gewachst, um robuster zu sein. Die Lehmbauplatten der Decke überzieht ein Lehmputz und selbst der kleine Treppenblock vor der Fluchttüre besteht aus diesem Material. Der vorarlberger Lehmbauexperte Martin Rauch hat die Architekten beraten und die Handwerker auf der Baustelle angeleitet. Die stampften einen Raum mit abgerundeten Kanten, mit runden Öffnungen zum Projektionsraum, mit einem halbrunden Gewölbe unter der Leinwand, aus dem die tiefen Töne kommen. Rund ist der Raum auch in der gesamten Wirkung für Auge, Nase und Ohr. Der exotische Geruch stammt von den Lederpolstern, die eine in Marokko lebende Freundin der Architekten dort fertigen ließ.

Ein Fremdling ist dieser Raum, keine Frage. Der Lehm kommt zwar aus einer Grube in Surrein, einem Dorf, nicht weit von Ilanz entfernt, doch vertraut ist er nicht. Zumal in einem Kino. Die Macher des Filmclubs, also auch die Architekten, fragten sich zu Beginn der Planung: Was muss heute ein Kleinkino bieten, um existieren zu können? Die Technik war und ist budgetbedingt nicht die neueste, weder digital, noch 3D, ein Großteil der Filme und Veranstaltungen erklärtermaßen anspruchsvoll. Der Raum sollte die technischen Mängel wettmachen, sollte gut genug sein, das Kinoerlebnis zu stützen, sollte auch über das Programm hinaus Menschen anlocken – und nicht nur Architekten. Das ist geglückt, denn für die Ausstrahlung von Stampflehmwänden sind nicht nur Experten empfänglich. Von Donnerstag bis Samstag läuft nun das Kulturprogramm, das von der regional-genossenschaftlichen Raiffeisenbank gesponsert wird. An den anderen Tagen werden in den Räumen auch schon mal Hochzeitstorten oder Geburtstagskuchen angeschnitten. Der Ort taugt nicht nur dafür, sich von Filmen aus aller Welt in eine Traumwelt entführen zu lassen. Er verzaubert auch den Alltag. Welche Leistung!

db, Mi., 2011.06.01

01. Juni 2011 Axel Simon

Raumerlebnis unter Sparzwang

(SUBTITLE) Theater Gütersloh

Ein tiefes Loch in der Haushaltskasse und engagierte Bürger verhinderten zunächst den ambitionierten Neubau des Stadttheaters. Durch Spenden und drastische Verringerung des Raumprogramms gelang schließlich die Umsetzung eines beispielhaften Konzepts, das sich durch die optimale Nutzung des verfügbaren Raums auszeichnet und aus der Beschränkung der gestalterischen Mittel heraus ein nobles Ambiente erzeugt.

Die Planungsgeschichte vom Architekturwettbewerb bis zur Fertigstellung zog sich mehr als 17 Jahre hin. Sparzwänge, Bürgerbegehren und der Abriss eines Nachkriegsprovisoriums begleiteten das Team um den Hamburger Architekten Prof. Jörg Friedrich (pfp Architekten) während dieser Zeit. Trotz der vielen finanziellen Einschränkungen zeigt sich der Neubau nun als markanter Kubus mit skulpturalem Innenleben.

»Zumeist zeichnet sich der Bühnenturm als Baukörper ab«, erklärt Ulf Grosse vom Büro pfp Architekten. »In Gütersloh ist das nicht so. Wir haben alle Funktionen um die Bühne herum gelegt und gestapelt, so dass der Turm fast im Gebäude verschwindet.« Möglich ist diese vertikale Konzeption, weil es sich bei der Gütersloher Spielstätte um ein Theater ohne eigenes Ensemble und Werkstätten handelt. Die künstlerische Leitung stellt ein anspruchsvolles Programm aus nationalen und internationalen Produktionen zusammen, die mit Bühnenbild, Kostümen und Schauspielensembles für ein paar Tage in der Stadt gastieren. Der Neubau bietet mit seiner Hauptbühne und einer kleineren Studiobühne Raum für Sprech- und Musiktheater, große Sinfoniekonzerte finden in der benachbarten Stadthalle aus den 70er Jahren statt.

Lange mussten die Gütersloher auf das neue Theater warten. Zunächst diente ein Nachkriegsprovisorium als Spielstätte. Im Jahr 1993 lobte die Stadt einen Architekturwettbewerb mit einem viel größeren Raumprogramm und Budget aus, den pfp Architekten mit einem längsgerichteten, elegant gegliederten Konzept gewannen. Schon bald wurde aber klar, dass die Stadt den ersten Preis aus Geldmangel nicht realisieren konnte. Das Vorhaben lag sieben Jahre auf Eis, bis man die Wettbewerbsgewinner im Jahr 2000 mit einer Machbarkeitsstudie für ein wesentlich kleineres Haus beauftragte. Aus der Not machte Jörg Friedrich eine Tugend und entwickelte daraufhin die Idee eines vertikalen Theaters. Doch auch diese Version erregte angesichts der leeren Stadtkasse zahlreiche Gemüter. Es formierte sich ein »Verein Bürger für Gütersloh«, der die Planung mit einem Bürgerbegehren stoppte und so für weitere Jahre auf Eis legte. Schließlich änderte sich die Stimmung doch noch zugunsten eines Neubaus. 2006 stimmte der Rat – nach Ablauf der Bindungsfrist des Bürgerentscheids – für den Theaterkubus als Sparvariante für 21,75 Mio. Euro. Der inzwischen marode Zustand des Nachkriegsprovisoriums war sicher einer der Hauptgründe für den politischen Stimmungsumschwung. Denn jenes entsprach längst nicht mehr den geltenden Sicherheitsbestimmungen. So riss man die Halle ab und begann 2008 endlich mit dem Bau eines neuen Theaters.

Konzept und Gestalt im Stadtraum

Nach Süden öffnet sich der Würfel mit seiner Schauseite, einer 1 000 m² großen Glasfassade aus hochwertigem, Dreischeiben-Sonnenschutzglas – man wollte auf eine zusätzliche Sonnenschutzkonstruktion verzichten. Bei Tage lässt sich das skulpturale Innenleben hinter der reflektierenden Glasfläche leider nur erahnen. Die drei Putzfassaden wirken trotz der wenigen, wohlproportionierten Fensterschlitze und zweier auskragender Baukörper – Hinterbühne nach Norden und Studiobühne nach Osten – abweisend. Ulf Grosse: »Eigentlich wollten wir die Außenwände mit Metallpaneelen verkleiden. Aber die Thermoputzvariante war günstiger.« Der Theaterkubus erscheint städtebaulich wie ein zu moderner Fremdkörper, der im beschaulichen Gütersloh gelandet ist, auf einer weiten, für den Ort viel zu großen, unwirtlich wirkenden und mit Asphaltsteinen gepflasterten Fläche.

Auf dem weitläufigen Platz, der die Stadthalle von 1978 und den benachbarten historischen Wasserturm mit dem Theater verbinden soll, sind nach den Plänen der Landschaftsplaner WES weiße Betonkissen sporadisch als Sitzgelegenheiten verteilt und einige, wenige Bäume gepflanzt. Ursprünglich waren auch Wasserspiele geplant, die – wie weitere Bäume – dem Spardiktat zum Opfer fielen. Überhaupt ist die Parkplatzsituation und die Erschließung des Geländes bis zur Stadthalle unzureichend geklärt. Mehr Investitionen in die Gestaltung der Außenanlagen wären eine Lösung. Weil das städtebauliche Gesamtkonzept vorsieht, aus Stadthalle, Wasserturm und Neubau ein Ensemble zu bilden, befindet sich der Theatereingang nicht – wie es sich anbieten würde – in der großen Schauseite nach Süden. Er liegt etwas versteckt im Osten, orientiert zur Stadthallenrückseite und zur Stadtmitte, die man von hier allerdings nur zu Fuß erreicht.

Die Finanzierung des Theaterneubaus verdankt die Stadt Gütersloh u. a. den beiden hier ansässigen Weltunternehmen Miele und Bertelsmann, die zusammen 5 Mio. Euro gestiftet haben. Außerdem gelang es dem Theaterförderverein, weitere 1,1 Mio. Euro zu sammeln.

Skulptur im Innern – Licht und weiss

Drinnen eröffnet sich eine eigene Welt. Von der Seite kommend, gelangt der Besucher zunächst zur Garderobe direkt unter der großen Schräge des Zuschauerraums. Aus dieser niedrigen, aber dennoch angenehmen Foyerzone führt eine große einläufige Treppe auf die eigentliche Saalebene. Hier öffnet sich ein viergeschossiger Luftraum als Foyer mit einer großartigen Treppenskulptur, die jeden Gast magisch nach oben zieht. Als weiteres Volumen ragt der Zuschauerraum in den Raum. Alles ist Weiß in Weiß: Boden, Wände, Decken, Umgänge, Brüstungen. Geschickt spielen die Architekten mit dem Licht, indem sie die weißen Flächen über Lichtvouten an den Brüstungen und Wänden indirekt beleuchten. Am Abend präsentiert sich das Theater von seiner schönsten Seite: Die große Glasfläche im Süden verwandelt sich in ein Schaufenster, das das Innenleben nach außen kehrt und die Besucher zu Darstellern werden lässt. »Das Thema sehen und gesehen werden ist im Theater ein wichtiger Faktor«, betont Ulf Grosse. »Jeder Besucher hat auf der Wendeltreppe seinen persönlichen Auftritt.« Große Spiegel auf verschiedenen Foyerebenen vervollkommnen diese Wirkung und bieten neue Raumerlebnisse. Auf der obersten Ebene angekommen, erreichen die Besucher die Skylobby. Der 400 m² große Empfangsraum befindet sich auf dem Zuschauerraum. Von hier sieht man weit über die Stadt in die Landschaft. Runde Skylights erweitern den Blick nach oben in den Himmel und lassen die lichte Raumhöhe von 3,50 m großzügiger erscheinen. Eine kleine Außenterrasse auf dem Dach der Studiobühne lädt zum Verweilen ein. Da die Skylobby vom Gastronomen der benachbarten Stadthalle betrieben wird, mussten die Architekten keine Küche planen. Eine Anrichte für die angelieferten Speisen hinter der 16 m langen, verspiegelten Bar reicht aus. Weil die Skylobby auch separat genutzt und gemietet werden kann, gibt es einen eigenen Eingang über das zweite Treppenhaus im Westen. Ein Gang durch dieses dreieckige Treppenhaus beweist erneut die gekonnte Lichtführung. Horizontale und vertikale Glasschlitze sowie kleine Glaserker bieten überraschende Ein- und Ausblicke. Ein besonderes Detail sind die ohne Rahmen ausgeführten Brandschutzverglasungen. Schließlich dient das Treppenhaus gleichzeitig als Fluchtweg.

Material- und Farbwahl – Kontrast bei den Bühnen

Spielt das Theater in Gütersloh vor allem im weißen Foyer? Beim Betreten der Bühnen kehrt sich das Bild um. Dunkle Farben und eine sparsame, sehr zweckmäßige Gestaltung haben hier den Vorrang. Man ist wieder geerdet, um sich von der Welt des Schauspiels fesseln zu lassen. Die zweckmäßig gestaltete, kleine Studiobühne (200 m²) öffnet sich als schwarzer Kubus mit einem großen Fenster zur Stadt, das bei Bedarf verdunkelt werden kann. Sie wird flexibel genutzt und dient auch als Probebühne oder als Konzertbühne für kleinere Musikaufführungen. Zur Studiobühne gehört ein sehr kleines, innenliegendes Foyer, das eher wie ein etwas zu groß geratener Lichtschacht wirkt und v. a. durch seinen grasgrünen Boden auffällt. Die große Bühne und ihr Zuschauerraum mit maximal 532 Plätzen (530 + 2 Rollis) sind geprägt vom Signalrot der Stuhlpolster, das sich nicht ganz mit den rostroten Akustikpaneelen verträgt. Die Stühle steigen in steilem Winkel vom Bühnenniveau bis in die Ränge. Nicht umsonst wirbt das Theater mit der Nähe zum Geschehen: Die Entfernung vom Rang zur Bühne beträgt nur 22,4 m. Der Bühnenraum erinnert auf den ersten Blick an eine Guckkastenbühne. Er besteht aus der Hauptbühne (250 m²), zwei Seitenbühnen (je 170 m²), der Hinterbühne (200 m²) und einem vorgelagerten Orchestergraben (80 m²) sowie der Oberbühne mit Schnürboden und der dazugehörigen Bühnentechnik. Auf zwei Etagen oberhalb der Seiten- und Hinterbühne liegen die Künstlergarderoben und ganz oben die Büros der künstlerischen Leitung sowie die Technikzentrale. Im EG ist die Anlieferzone in den Baukörper integriert. Lastwagen können dort durch ein großes Tor direkt bis zur Rampe am Lastenaufzug vorfahren. Sichtbeton und Gussglas verleihen der Anlieferung einen attraktiven, industriellen Charme. »Bei der Eröffnung schlug Prof. Friedrich vor, man könne diesen Raum auch für Inszenierungen nutzen«, erzählt Ulf Grosse. Die beste (Raum-) Inszenierung jedoch ist und bleibt das Foyer.

db, Mi., 2011.06.01

01. Juni 2011 Susanne Kreykenbohm

Stradivari in der Vorstadt

(SUBTITLE) Konzerthalle in Pécs

Vom Kulturhauptstadtjahr ist in der südungarischen Stadt nicht viel geblieben. Man hatte sich finanziell schwer verhoben und musste sich auf ein einzelnes »Leuchtturmprojekt« beschränken, mit dem Pécs nun versucht, seine Position als Musik- und Kongressstandort zu stärken. Die Gestaltungsprinzipien der Kodály-Konzerthalle sind an typische Strukturen der westlichen Musik angelehnt. Das ganz in Holz gefasste Innere wirkt selbst wie ein warm klingendes Musikinstrument, während das steinerne Äußere Dauerhaftigkeit und Würde ausstrahlt.

Das Konferenz- und Konzertzentrum, benannt nach dem Komponisten Zoltán Kodály, war eines der großen Versprechen der Europäischen Kulturhauptstadt 2010. Mit dem Bau wurden jahrzehntelange Wünsche und Träume verwirklicht, aber auch neue Erwartungen geweckt.
Nur 15 Minuten Fußweg vom Stadtzentrum entfernt, erinnert die Landschaft doch eher an die Peripherie – mit einer Eisenbahnstrecke hinter dem tief liegenden Gelände und einer Hauptverkehrsstraße davor, auf der täglich 30 000 Fahrzeuge unterwegs sind. Mit einer Tankstelle, einem Fastfood-Restaurant und einem Supermarkt in der Nähe. Die Wohnhausanlagen gegenüber sind heruntergekommen, ebenso wie der angrenzende Park. Außerdem liegt gleich neben dem neuen Konferenz- und Konzertzentrum ein Studentenwohnheim aus den 60er Jahren.

Als sich Pécs 2005 für den Titel Europäische Kulturhauptstadt bewarb, nahm man sich vor, dieses östlich der historischen Innenstadt liegende Viertel langfristig umzugestalten. Ein neues Stadtentwicklungskonzept sieht vor, traditionell in der Innenstadt verankerte Institutionen in die bis dahin vernachlässigte Gegend zu übersiedeln. So wurde bisher neben einer Bibliothek und dem Zsolnay-Kulturquartier auch das neue Kodály-Zentrum realisiert. Denn die Stadt hoffte darauf, dass die neuen Prestigebauten als Katalysatoren für die Gegend wirken, zu ihrer zukünftigen Entwicklung beitragen und das Image der Stadt verbessern. Überdies will sich Pécs langfristig als Kulturzentrum für die ganze Region einschließlich der angrenzenden Teile Kroatiens und Serbiens etablieren.

Diese Bedingungen forderten von den Architekten, die 2007 den internationalen Wettbewerb gewannen, eine architektonische Lösung, die sowohl zum heutigen als auch zum zukünftigen Bild der Umgebung passen würde.

Das Kodály-Zentrum bildet eine in sich geschlossene Einheit. Das Gebäude wurde so weit wie möglich von der Straße weg gebaut und mit eher geschlossen wirkenden Fassaden von der Eisenbahnstrecke und dem Studentenwohnheim isoliert. Der tief liegende Eingangsbereich hingegen wirkt offen und soll zukünftig zu einem städtischen Treffpunkt werden. Das treppenförmige Areal rundherum erinnert an ein Amphitheater und soll mit dem später noch herzurichtenden Park eine Einheit bilden. Kalksteinblöcke bieten sich als Bänke zum Verweilen an, noch wirkt aber alles verlassen und öde. Über eine Rampe entlang der Seitenfassade des Gebäudekerns gelangt man auf die Dachterrasse, die sich gegen Ende hin wie ein Fächer öffnet. Mit einem Café wird versucht, auch an dieser Stelle städtisches Leben herzustellen.

Die Bekleidung des Betonbaus mit hellgelbem Kalkstein aus Süttö (aus dem Nordwesten Ungarns) betont die massive und zurückhaltende Erscheinung, verleiht dem Gebäude aber auch eine gewisse Eleganz. Das formelle und noble Antlitz verändert sich abends durch die Innenbeleuchtung, deren warmes Gelb durch die Glasfassade des Eingangsbereichs und die »monitorartige« Front strömt.

Das Kodály-Zentrum bekam schon sehr früh den Spitznamen »Steinschnecke«, da sich seine Grundfigur wie eine Spirale in Richtung des Kerns – des Konzertsaals – dreht. Dieser erhebt sich mit kraftvoller Geste vom Boden und präsentiert sich dem Betrachter mit einer monumentalen vertikalen Glasfläche, die Einblick ins Innere gewährt. Die eindrucksvolle skulpturale Form, die von den gegenüberliegenden Hügeln aus eindeutig erkennbar ist, folgt dem Konzept, das der Architekt Ferenc Keller und seine Mitarbeiter (Építész Stúdió) als Antwort auf die vielfältige und problematische Umgebung formuliert haben. Der Bau steht im deutlichen Kontrast zur Umgebung, wirkt fremdartig, aber einladend.

Zusammenklang von Musik und Ästhetik

Die Funktionen des 11 700 m² großen Gebäudes sind um den Konzertsaal im Kern organisiert. Der Saal fasst 999 Gäste und kann in einen Konferenzplenarraum umfunktioniert werden. Er kann von drei Seiten und auf drei Etagen vom Publikum frei begangen werden: Das geräumige Foyer, wo u. a. auch Bar und Garderobe untergebracht sind, bildet einen kontinuierlichen Raumzusammenhang mit der Galerie auf der ersten Etage. Die Räume hinter der Eingangshalle bzw. hinter dem Konzertsaal beherbergen neben technischer Infrastruktur und Proberäumen zwei große Konferenzsäle (für je 350 Personen) und fünf Sektionsräume (für je 40 Personen) im EG und auf der ersten Etage.

Der Konzertsaal hat sich schlicht als Erfolgsprodukt des Kulturhauptstadtjahrs erwiesen: Der berühmte Violinist Maxim Vengerov sprach von einer »architektonischen Stradivari«, als er den, mit beträchtlicher Verspätung fertiggestellten, Saal im Dezember 2010 einweihte. Der perfekte Klang ist u. a. dem dänischen Fachmann Anders Christian Gade zu verdanken, und auch die Arbeit der Innenarchitekten László (f) Rádóczy und Zsolt Tolnai ist lobenswert. Der Saal ist asymmetrisch ausgestaltet, folgt aber dem Schuhschachtel-Prinzip. Er ist mit furnierten Platten aus braunrotem Erlenholz verkleidet, die in stumpfen Winkeln aneinandergereiht sind. Jede Platte ist unterschiedlich geformt, geriefelt und positioniert, um so für eine hervorragende Akustik zu sorgen. Optisch verleihen die Platten dem Raum Eleganz und eine hohe Ästhetik. Ein Eindruck von Dynamik, Beweglichkeit und Spannung entsteht, der im Kontrast zum Äußeren des Gebäudes steht und durch die Beleuchtung noch zusätzlich unterstrichen wird. Statt Leuchten sind nur weiche Lichtstreifen zu sehen. In der Gesamtschau wirkt der Saal wie die Fotografie eines bewegten Objekts. Das Publikum fühlt sich wie im Innern eines bespielten Musikinstruments – und das genau war die Absicht der Architekten.

Das gestalterische Prinzip der Dynamik zieht sich durch das gesamte Gebäudeinnere. Es gibt kaum Rechtecke oder Symmetrien. Sowohl das Foyer als auch die Galerien operieren mit Steigungen und Rampen. Manche der zahlreichen Stützen sind schräg aneinandergereiht. Sogar die auffälligen, rot bezogenen Sitzgelegenheiten der öffentlichen Zonen schöpfen aus dem anregenden geometrischen Spiel mit stumpfen Winkeln. Hinzu kommt, dass die in Facetten gebrochenen Wände des Konzertsaals eindrucksvoll in die Vorräume ausschwingen. Die Bekleidung des Konzertsaalkörpers jedoch präsentiert sich im völligen Kontrast zur anspruchsvollen Geometrie und der edlen Anmutung der übrigen Oberflächen: Die riesigen, mit venezianischem Stuck überzogenen und an vielen Materialstößen schlecht abgeglichenen Sperrholzplatten wirken billig und das goldfarbene »Finish« gewollt. Ursprünglich hatten sich die Architekten dafür eine mit der berühmten Pécser Zsolnay-Keramik bekleidete Stahlkonstruktion vorgestellt. Geld- und Zeitmangel, den es rund um den Bau gab und der als eine der Begleiterscheinungen von Kulturhauptstädten gilt, wird hier deutlich sichtbar. Zahlreiche Änderungen des Programms (ein Studio, Küche und Orgel wurden eingespart), Planungsänderungen (z. B. aufgrund der Fehleinschätzung des Baugrunds im Vorfeld) und der Einfluss der Tagespolitik haben das Konzept des Kodály-Zentrums immer wieder verändert. Im Sommer 2009 stieg schließlich das Architekturbüro Építész Stúdió aus und überließ die Ausführungspläne dem Architekturstudio Mérték.

Trotz der konfliktreichen Vorgeschichte verfügt die Stadt Pécs nun über ihren ersten zeitgenössischen Kulturbau. Die Stadt mit 160 000 Einwohnern hat seit den 80er Jahren ein eigenes philharmonisches Orchester, die Pannon Philharmoniker, die schon seit Langem ein angemessenes Zuhause verdient haben. Nach dem Budapester Kulturzentrum, dem Palast der Künste, ist das Kodály der zweite zeitgenössische Konzertsaal Ungarns. Viele Gründe, um stolz zu sein.

Mit dem Ende des Kulturhauptstadtjahrs tauchten rund um das Kodály-Zentrum aber auch viele Fragen auf; Programmgestaltung und Finanzierung von Gebäude und laufendem Betrieb sind teilweise noch ungeklärt. Von einer institutionellen Verschmelzung mit dem Palast der Künste ist die Rede, ebenso von einer staatlichen Unterstützung. Auch ist immer noch nicht ganz klar, ob und wie es die Stadt schaffen kann, das von der historischen Innenstadt östlich liegende Viertel zu beleben. Denn städtebauliche Visionen benötigen mehr als neue Zäune, mit denen die verfallenen Häuser der Umgebung vom Publikum abgeschirmt wurden. Ein knappes halbes Jahr nach der Eröffnung des Kodály-Zentrums kann man von einem großen Schritt sprechen. Wohin dieser genau gehen wird, lässt sich heute noch nicht beantworten.

db, Mi., 2011.06.01

01. Juni 2011 Norá Somlyódy

4 | 3 | 2 | 1