Editorial

«Licht trifft Farbe» – eine nicht wirklich korrekte Formulierung, ermöglicht uns doch erst das Auftreffen eines Lichtstrahls auf ein Objekt, dieses nicht nur in seiner Form, sondern auch in seiner Farbigkeit wahrzunehmen. Licht bringt die verschiedenen Farbtöne zum Leuchten und macht Farbnuancen sichtbar – bei einem Kaleidoskop wird das besonders deutlich. Gleichzeitig interagiert auch jede Lichtfarbe für sich unterschiedlich mit Körperfarben von Objekten, überhöht die Sättigung oder verändert die Farbwahrnehmung (vgl. TEC21 10/2011). Der von uns gewählte Hefttitel bezieht sich daher vielmehr auf das diesjährige Midterm Meeting der Association Internationale de la Couleur (AIC), bei dem sich Licht- und Farbexperten aus der ganzen Welt versammeln werden. Es findet vom 7. bis 10. Juni an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) statt, und dieses Heft ging aus einer Zusammenarbeit mit der Konferenz hervor.[1]

Die AIC entstand 1967 aus dem Bedürfnis heraus, die nationalen Farbvereinigungen auch international zu verknüpfen. In ihren Statuten ist als Zweck die Forschung in allen farbrelevanten Feldern festgehalten, besonders wird der regelmässige Austausch über gewonnene Erkenntnisse betont und gefordert. Obwohl die AIC hierzulande eher unbekannt ist, besitzt sie eine grosse Ausstrahlung: Forscherinnen und Forscher aus über 40 Ländern werden ihre Arbeiten in Zürich vorstellen. Aus diesen ganz unterschiedlichen Beiträgen haben wir drei Texte ausgewählt, die einen Bogen spannen von der isolierten architektonischen Betrachtung einer einzigen Farbe («Blaue Farbe und blaues Licht in der Architektur») über ein polnisches Forschungsprojekt bis zu einer grossmassstäblichen Farbaufnahme eines ganzen Nationalparks in Taiwan («Landschaftsfarben in Yangmingshan»). Ergänzt werden diese beiden wissenschaftlichen Beiträge durch einen Bericht über die Farb-Licht-Konzerte einer deutschen Designerin («Farbige Klänge»), in denen die Wahrnehmung und Wirkung von Farbe und Licht in Verbindung mit Klang und Raum getestet wird. Ein Interview mit der Organisatorin des Kongresses, der Kunsthistorikerin Verena Schindler, rundet den Thementeil ab («Der Einsatz der Farbe verändert sich»). Im Gespräch betont sie die Vielfalt der nationalen Forschungsthemen – und bedauert die oft nur oberflächliche Farbausbildung von Architektinnen und Architekten.
Tina Cieslik

Anmerkung:
[01] Weitere Informationen: www.aic2011.org

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Zollanlage Basel , Weil am Rhein | Kindergarten Schönau, Bern

10 MAGAZIN
Primarschulerweiterung in Kloten | Ernst Gisels Vermächtnis | Lichtkulturen | Farbige Klänge | Licht und Farbe – in Kürze

20 «DER EINSATZ DER FARBE VERÄNDERT SICH»
Katinka Corts Im Juni findet in Zürich der internationale Kongress «Interaction of Colour & Light» statt. TEC21 sprach mit der Organisatorin über nationale Unterschiede im Umgang mit Licht und Farbe.

24 BLAUE FARBE UND BLAUES LICHT IN DER ARCHITEKTUR
Justyna Tarajko-Kowalska Obwohl Blau eine beliebte Farbe ist, tritt sie architektonisch nur selten in Erscheinung. Ihr Einsatz hat dabei meist symbolhaften oder funktionalen Charakter.

27 LANDSCHAFTSFARBEN IN YANGMINGSHAN
Monica Kuo, Yen-Ching Tseng Der Yangming-shan-Nationalpark in Taiwan verfügt über ein vielseitiges Klima, das Flora, Fauna und Geografie des Parks auch farblich beeinflusst. Ein Forschungsprojekt untersucht das Farbspektrum des Parks.

31 SIA
Die Brücke ins Ausland | Saskia Sassen: «Die Städte müssen elastisch werden» | Urteil der Standeskommission

34 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

«Der Einsatz der Farbe verändert sich»

Vom 7. bis 10. Juni findet an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) der internationale Kongress «Interaction of Colour & Light in the Arts and Sciences » der Association Internationale de la Couleur (AIC ) statt. TEC 21 sprach mit der Kunst- und Architekturhistorikerin Verena Schindler über die Verbindung von Licht und Farbe und über nationale Schwerpunkte in der Forschung.

TEC21: Frau Schindler, Sie sind für die Ausrichtung des diesjährigen Midterm Meetings der AIC in Zürich verantwortlich und haben auf Ihre Ausschreibung hin über 300 Beiträge aus mehr als 40 Ländern erhalten. Gibt es in der Ausrichtung der Forschung grosse nationale Unterschiede?

Verena M. Schindler: Die thematische Ausrichtung der Beiträge hängt sehr von den Interessen der nationalen Farbvereinigungen ab. Manche arbeiten verstärkt in der Optik wie in Italien und Spanien, andere in der Architektur und Gestaltung wie in Chile oder Portugal. Manche sind mehrheitlich universitär geprägt, procolore in der Schweiz hingegen hat ein sehr breites Mitgliederspektrum. Als ich das Vortragsprogramm zusammenstellte, sortierte ich die Beiträge zunächst nach Themen – unbeabsichtigt gerieten Forschungsbeiträge aus Japan in eine Session, die aus Deutschland und den USA in eine andere. Japaner forschen besonders intensiv im Bereich der Computertechnologie. In Korea und Taiwan sind hauptsächlich psychologische Faktoren ein Schwerpunkt, beispielsweise wie Menschen auf Bilder im Internet reagieren. Es gibt also definitiv nationale Schwerpunkte, doch ist es eine der Bedingungen, dass eine nationale Vereinigung interdisziplinär ausgerichtet sein muss. In Taiwan, wo 2012 der nächste Kongress stattfindet, liegt der Fokus auf Umweltthemen: wie wir auf unsere Umwelt reagieren und wie wir sie gestalten, damit wir zufrieden sind und in Harmonie leben können.

TEC21: Seit der Gründung 1967 sind viele Länder mit ihren Farbvereinigungen der AIC beigetreten. Sehen Sie heute alle Kontinente gut vertreten?

V. M. S.: Es gibt immer noch ein Übergewicht von Europa, Nordamerika und Asien in der AIC. Südafrika – als einziges afrikanisches Land – hat 2006 eine spannende Farbkonferenz organisiert, die Farbvereinigung existiert aber nicht mehr. Das heisst allerdings nicht, dass es dort keine Farbforschung gibt. Neu haben wir Chile und Mexiko gewinnen können. Gern würden wir das forschungsstarke Russland als Mitglied haben, und auch Indien wäre mit seiner Farb- und Textilindustrie ein interessanter Partner. Oft liegt es an der Politik und an den gesellschaftlichen Strukturen, wenn keine Vereinigung zustande kommt. Es ist aber auch nicht immer einfach, eine Vereinigung aufzubauen, weil die Mitglieder – entsprechend dem AIC-Prinzip der Interregionalität und der Interdisziplinarität – aus verschiedenen Städten kommen und zudem in unterschiedlichen Gebieten forschen müssen. Wenn es in grossen Ländern mehrere Gruppen gibt, die unterschiedliche Fachbereiche abdecken, schliessen sich diese meist zu einer Dachorganisation zusammen. In Deutschland gibt es beispielsweise eine technisch (Deutsche farbwissenschaftliche Gesellschaft e.V.) und eine gestalterisch (Deutsches Farbenzentrum) ausgerichtete Gruppe, die Dachorganisation Deutscher Verband Farbe ist Repräsentant bei der AIC. Mit dem Beitritt von Taiwan zur AIC hatten wir lange Zeit grosse Probleme, weil Taiwan von China als chinesische Region betrachtet wird. Seit 2001 gibt es dort eine sehr aktive Farb- vereinigung, die Mitglied der AIC werden wollte. China weigerte sich mit dem Hinweis auf die Statuten, nach denen es pro Land nur eine AIC-Vertreterin geben darf. Also änderten wir letztes Jahr die Statuten so, dass auch regionale Gruppierungen zulässig sind, wenn keine Einigung erzielt werden kann. Taiwan ist bislang unser jüngstes Mitglied.

TEC21: Bei Lichtfachplanern gibt es unterschiedliche Meinungen, welcher Ausbildungsweg der richtige sei. Gibt es für Farbfachleute Ihrer Meinung nach eine ideale Ausbildung?

V. M. S.: Was Farbe betrifft, gibt es kaum Möglichkeiten für eine spezielle Ausbildung – vielleicht am ehesten noch am Haus der Farbe in Zürich, im Ausland ist mir nichts bekannt. Viele Leute, die ich kenne, die im Farbbereich arbeiten, haben Kunst studiert. Natürlich haben auch Architektinnen und Architekten ein Farbgefühl. Aber die Farbausbildung ist in den Architekturschulen kein Schwerpunkt, und mir scheint, dass Architekten mit Farbfragen oft überfordert sind. Spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts weiss man, dass man Farbigkeit und die Gesetze der Farbkombinationen bis zu einem gewissen Punkt auch erlernen kann. Ein ausgeprägtes visuelles Empfinden bleibt eine wichtige Voraussetzung.

TEC21: Farbe kommt heute in der Architektur nicht nur als Körperfarbe, sondern immer mehr als Lichtfarbe zum Einsatz. Ist diese Inszenierung der Gebäude und Anlagen eine Bereicherung?

V. M. S.: Weltweit sehen wir eine Zunahme an Lichtinstallationen und Fassadenbespielungen. Mir geht das häufig zu weit. Eine der ersten Installationen mit farbigem Licht habe ich 2001 in Schanghai erlebt, da wurde die Unterseite einer Brücke blau beleuchtet. Die Chinesen, mit denen ich unterwegs war, fanden das schön, ich empfand es als sehr grell. Doch nicht nur Farbe und Helligkeit werden unterschiedlich wahrgenommen, der Einsatz der Farbe verändert sich auch über die Jahre. Zur Weihnachtszeit erstrahlt Paris heute in Blau und Weiss, früher waren die Weihnachtsfarben Rot und Gelb. Das sind interessante Entwicklungen in der Symbolik – wir gestalten unsere Umwelt, was wiederum unsere Wahrnehmung verändert. Als in Japan infolge des Fukushima-Unglücks zeitweise die Stromversorgung ausgesetzt wurde, blieben von den sonst flimmernden, farbigen Bildschirmen nur noch die technischen «Skelette» übrig – ganze Strassenzüge wirkten damit tot. Grosse Fassaden mit Leuchtwerbung sind der Tod des städtischen Raumes – die Gebäude verschwinden, und für Soziales bleibt kein Platz mehr, weil die Technik so stark und überwältigend ist.

TEC21: Wobei das wiederum mit einer von Nation zu Nation unterschiedlichen Wahrnehmung von Licht und Farbe zu tun hat. In Europa gibt es weit weniger Exzesse im Umgang mit Beleuchtung als in Asien oder vielleicht in Amerika.

V. M. S.: Ja, immer mehr Städte werden sich bewusst, was eine gute Beleuchtung leisten kann. Wurde in Zürich früher scheinbar wahllos beleuchtet, sind es heute nur noch wenige, für das Stadtbild wichtige Bauten, die inszeniert werden. Auch in Frankreich findet dieser Wandel statt: Die Notre-Dame in Paris wurde lange Zeit einfach mit gelbem Licht angestrahlt, 2002 jedoch realisierte Roger Narboni ein neues Beleuchtungskonzept, sodass die Struktur der Fassaden im kühleren und punktuell eingesetzten Licht nun viel besser zur Geltung kommt. Auch bei zeitgenössischen Bauten wird der Beleuchtung heute mehr Beachtung geschenkt. Yann Kersalés[2] Lichtinstallation am Musée du Quai Branly (Jean Nouvel, 2006) während der «Nuit Blanche» 2006 veränderte die Wirkung des Gebäudes sehr stark ( Abb. 1 – 2). Tagsüber sah man das Gebäude, das ganz in warmen Rot-, Ocker- und Brauntönen gehalten ist. Nachts hingegen wurde blaues und violettes Licht über Plexiglasstäbe an die Unterseite des Gebäudes projiziert – es entstand der Eindruck einer unterirdischen Wassergrotte. Ein anderes Beispiel dafür, was Licht bewirken kann, sind die Docks en Seine in Paris ( Jakob Macfarlane, 2008), die die Cité de la Mode et du Design beherbergen. Die Betonstruktur der ehemaligen Lagerhäuser blieb erhalten, sie wurde mit einer grünen, schlangenförmigen Metallstruktur überzogen. Seit Kersalés Beleuchtung integriert ist, leuchtet dieses Gebäude wie ein grünes Glühwürmchen über der Seine (Abb. 3), mit magischer Anziehungskraft.

TEC21: Worin sehen Sie die Hauptforschungsaufgaben der nächsten Jahre bezüglich Farbe und Licht?

V. M. S.: Auf der technischen und optischen Seite wird das Sehen im Alter ein grosses Thema sein. Es gibt immer mehr ältere Menschen, und es ist wichtig, auf das veränderte Farbsehen im Alter zu reagieren. Welche Farben muss man benutzen, damit Schilder auch für die Älteren erkennbar sind? Welche Farben sollten Architektinnen und Architekten nutzen, damit sich Menschen in Wohnungen, Altersheimen und Spitälern zurechtfinden und nicht die Orientierung verlieren? Diese Forschung ist auch im Computerbereich sehr intensiv: Welche Farben müssen Schriften und deren Hintergrund haben, damit auch ältere Leute am Computer lesen können? Oder im Allgemeinen: Wie kann man die Bildqualität verbessern? Ein weiteres wichtiges Thema wird die Ökologie sein. Man weiss, dass viele früher häufig verwendete Anstrichfarben giftig waren, und entwickelt heute solche, die besser für unsere Wohn- und Arbeitsräume geeignet sind. Dieses ökologische Denken betrifft selbstverständlich auch die Farbexperten in der Industrie. Schöne leuchtende Farben, wie das Cadmiumgelb, sind bei uns für industrielle Anwendungen verboten, und Chromgelb, ein Bleichromat, ist giftig und soll krebserregend sein. Nicht zuletzt werden Licht und Farbe einen immer grösseren Stellenwert im Städtebau erhalten. Die Bevölkerung wächst ständig, und wir leben immer enger beisammen. In allen Städten gibt es Quartiere, die ohne Beachtung von Vegetation und Farben errichtet wurden. Heute ist es ein Bedürfnis, eine Umwelt zu gestalten, in der man sich wohlfühlt. Farbe ist dabei ein wichtiges Element, aber auch Tag- und Nachtbeleuchtung gehören dazu. Projekte für neue oder zu sanierende Quartiere müssen zukünftig wohl verstärkt von interdisziplinären Teams aus Architektinnen, Landschaftsarchitekten, Farbgestalterinnen und Lichtexperten etc. bearbeitet werden, damit alle für die späteren Bewohnerinnen und Bewohner wichtigen Aspekte bei der Planung und Realisierung einbezogen werden.


Anmerkungen:
[01] Armelle Lavalou, Jean-Paul Robert: Le Musée du Quai Branly. Groupe Moniteur, département Architecture / Musée du Quai Branly, Paris, 2006. ISBN 2-281-19317-9
[02] Yann Kersalé (*1955) schloss sein Studium 1978 an der School of Fine Arts in Quimper mit dem Diplôme National Supérieur d’Expression Plastique ab. Als Lichtkünstler hat Kersalé seitdem hunderte Projekte – ob nun temporär, bei Lichtfestivals oder dauerhaft – realisiert. Bekannte Lichtkunstarbeiten entwickelte er unter anderem für Helmut Jahn (Sony-Center, Berlin; Flughäfen Bangkok und Chicago), Jean Nouvel (Opernhaus, Lyon; Quai-Branly-Museum, Paris; Torre Agbar, Barcelona) und Coop Himmelblau (Arte Plage, Biel)
[03] Jean-Paul Curnier, Henri-Pierre Jeudy, Monique Sicard: Yann Kersalé. Editions Norma, Paris, 2003. ISBN 2-909283-82-8

Literatur:
Werner Spillmann, Verena M. Schindler, Stefanie Wettstein, Isabel Haupt: Farb-Systeme 1611–2007. Schwabe-Verlag, 2. Auflage, Mai 2010. ISBN-10 9783796525179

TEC21, Fr., 2011.06.03

03. Juni 2011 Katinka Corts-Münzner

Blaue Farbe und blaues Licht in der Architektur

Blau nimmt in der Architektur einen besonderen Platz ein: Die Farbe des Himmels ist nahezu immer präsent und gibt Gebäuden einen Hintergrund. Obwohl Blau die am häufigsten genannte Farbe in Untersuchungen zu Farbvorlieben in Europa und den Vereinigten Staaten ist,[1] tritt sie hier architektonisch eher selten in Erscheinung – und wenn, dann meist in symbolhafter Funktion. Wie ist die Diskrepanz zwischen allgemeinen Vorlieben und architektonischen Präferenzen zu erklären?

Die Farbe Blau verfügt über eine spezifische Symbolik. In der Zeit der alten Ägypter verkörperten die blauen Wassertiefen das Weibliche, während der blaue Himmel mit dem Männlichen assoziiert wurde. In vielen Kulturen wird die Farbe mit der Ewigkeit in Verbindung gebracht. So ist es nicht verwunderlich, dass diese Farbe ein Attribut vieler Gottheiten wurde, wie des ägyptischen Amun, des griechischen Zeus, des römischen Jupiter, des hinduistischen Vishnu oder von Krishna als blauhäutiger Inkarnation. In der katholischen Religion gehört Blau zur heiligen Mutter, die oft in blauer Kleidung dargestellt wird.[2] Die Tatsache, dass diese Farbe so eng verbunden ist mit Göttlichkeit und dem Himmel als dem Ort, wo die Götter wohnen, blieb nicht ohne Einfluss auf die Architektur. Auf der griechischen Insel Santorin symbolisieren blaue Kuppeln die Huldigung der Jungfrau Maria. Im alten Ägypten verwiesen Türkis und Blau auf den Himmel, daher waren diese Farben zur Dekoration von Decken und Gewölben reserviert. Auch in China ist der symbolische Wert der Farbe in Tempelfarben sichtbar, wie beim Himmelstempel in Peking, dessen Dach von blauen Ziegeln gekrönt wird. In Korea findet sich die blaue Bedachung beim «Pavillon der blauen Ziegel», dem Präsidentenpalast in Seoul. In der islamischen Kultur sind Türkis und Blau als Symbole, die uns vor dem Bösen beschützen, noch immer auf den Wänden und Kuppeln vieler Moscheen zu finden. «Blaue Moscheen» gibt es im Iran, in Afghanistan, Malaysia, Ägypten, Armenien und in der Türkei.

Farbe des Himmels und des Wassers

Früher stand die Farbe Blau mit Wasser als unbeständigem Untergrund in Verbindung und wurde daher nur selten für Böden oder an Säulen oder Pfeilern verwendet. In vielen Regionen war die Farbe Blau aber an Hauswänden als Streifen um Fenster und Türen weit verbreitet: Ein «blaues Auge» oder eine «blaue Perle» dienten als Schutz vor Misserfolg und Unglück. Es ist nicht auszuschliessen, dass diese Farbe ebenso wie vergleichbare Symbole ein Haus vor Übel und Krankheit schützen sollte.[3] Das möglicherweise einzige historische Beispiel für die Verwendung der Farbe zu einem anderen als dem symbolischen Zweck findet sich im antiken Griechenland, wo sie auch zur Hervorhebung der Form eingesetzt wurde. Ein charakteristisches Merkmal war die Betonung des Schattens auf den Kapitellen ionischer Säulen mit blauer Farbe und die Verwendung von zwei verschiedenen Blautönen auf Triglyphen: einem helleren auf konvexen Oberflächen und einem dunkleren auf konkaven.[4] Der symbolische Wert der Farbe Blau im Zusammenhang mit Himmel, Göttlichkeit und ewigem Leben spiegelt sich in der Architektur, hauptsächlich in der sakralen, unmittelbar wider.

Kostbare Farbpigmente

Die Verfügbarkeit und der Preis von Farbpigmenten sind weitere Faktoren, die auf die Verwendung der Farbe in der Architektur einen Einfluss hatten. Blau gehört nicht zu den Farben der Erde und kommt in der Natur nicht oft vor, daher war es nur schwer und zu einem hohen Preis zu beschaffen. Beispiele sind Mayablau und Ägyptischblau, die sich beide durch Widerstandsfähigkeit und einen schönen Farbton auszeichneten. Mayablau, ein Pigment mit hellblauem, bläulichem und grünlichem Farbton auf Grundlage von Indigo und dem Mineral Palygorskit, wurde von den mittelamerikanischen Maya hergestellt. Die beiden Stoffe wurden mit Copal, einem halbfossilen, natürlichen Harz, das in Zeremonien ähnlich wie Weihrauch verwendet wurde, durch Erhitzen gebunden. Dieses Pigment war – in Kombination mit Rot – auf Tempelwänden, in Wandmalereien, auf Keramiken und in der Körperbemalung für religiöse Zeremonien und Menschenopfer weit verbreitet. Ägyptischblau (Calcium-Kupfer- Silikat) ist eines der ältesten künstlich hergestellten Pigmente und wurde im alten Ägypten und im Römischen Reich unter dem Namen Caeruleum verwendet. Im Mittelalter ging die Formel für diesen Farbstoff verloren. So wurden Azurit und das teure Ultramarin die einzigen Quellen für die Farbe. Natürliches Ultramarin, das aus Lapislazuli gewonnen wird, gilt als der teuerste Farbstoff der Geschichte. In der Renaissance war dieser sogar noch teurer als Gold – synthetisches Ultramarin wurde erst 1828 gewonnen. Preussischblau (Ferriferrocyanid), auch Berliner Blau genannt, der erste synthetisch hergestellte blaue Farbstoff, entstand erstmals 1704 als Nebenprodukt bei der Herstellung eines Unsterblichkeitstranks des deutschen Alchemisten Johann Konrad Dippel. Die Kosten und die schwierige Herstellung blauer Pigmente machten Blau zur königlichen Farbe, die für Auserwählte reserviert war.

Blaue Architekturtraditionen

Trotz der seltenen Verwendung in der Architektur gibt es einige Orte auf der Welt, wo Blau populärer war und sich einzigartige Verwendungszwecke entwickelten. Einer dieser Orte ist Jodhpur in Indien, die «Blaue Stadt». Traditionell kennzeichnete die Farbe Blau die Zugehörigkeit der Bewohner zur Kaste der Brahmanen, die als die reinste Kaste Indiens galt und ihre Häuser blau strich, um sich von der Gesellschaft abzuheben. Der Brauch stammt aus dem 16. Jahrhundert und sollte dem Maharadscha erlauben, die Häuser der Brahmanen von seinem über der Stadt liegenden Fort aus zu erkennen. Ungeachtet der erheblichen Aufweichung des Kastensystems hat dieser Brauch bis heute überdauert, ist jedoch nicht mehr auf die Brahmanen beschränkt. Ein Netz aus blauen Gebäuden durchzieht die ganze Stadt, was für eine einzigartige Atmosphäre sorgt. Eine weitere Tradition hinsichtlich der Verwendung von Blau findet sich bei den Puebloindianern aus New Mexico, welche die Enden von Stützbalken, Fenster- und Türrahmen mit einem Farbton streichen, der Taos-Blau genannt wird. Der Name bezieht sich auf die Bezeichnung für das Volk und seinen Haupt wohnort, Taos Pueblo, die vermutlich älteste konstant bewohnte Siedlung der USA. Auch in Polen wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Blau in allen Schattierungen von Cyan bis zu Marineblau häufig für den Anstrich von Wänden, lehmgefüllten Lücken zwischen Balken sowie Streifen um Fenster und Türen herum verwendet. Diese Farbe wurde aus dem weitverbreiteten natürlichen Mineral Vivianit, auch Blaueisenerde oder Ockerblau genannt, gewonnen, aus Kupferverbindungen oder seltener auch aus Ultramarin, das mit Kalk gemischt als Grundierung benutzt wurde.[5] Neben den dekorativen und symbolischen hatte die Farbe Blau auch nützliche Funktionen, zum Beispiel als Insektenschutz.[6] Mit der Umstellung beim Baumaterial von Holz auf Mauerwerk wurde diese Tradition aufgegeben.

Zeitgenössische Architektur

Derzeit weicht die symbolische Funktion der Farbe Blau der Funktionalität und dem dekorativen Wert. Blau ist in der Architektur nun dank Glasfassaden, die oft die Farbe des Himmels und des Wassers widerspiegeln, häufiger vertreten. Im Falle hoher Gebäude, die vor dem Hintergrund des Himmels sichtbar sind, kann Hellblau zur Tarnung verwendet werden. Blaues Licht von LED wird für die Nachtbeleuchtung von Gebäuden und für Medienfassaden verwendet, als eine der Grund-Lichtfarben in RGB-LED. Als Kennfarbe dient es der Corporate Identity der Gebäude von Unternehmen. Obwohl vollständig blau gestrichene Gebäude nicht sehr populär sind, gehören blauer Verputz und blaue Farben in allen Verkaufsranglisten zu den meistverkauften Tönen. Ihre Verwendung in der Architektur, vor allem in Form monochromer Bauwerke im Stadtgefüge, erzeugt normalerweise einen starken visuellen Kontrast zur Umgebung (Abb. 3–5). Dennoch finden sich Beispiele auch in der zeitgenössischen Architektur, wie beim 2006 abgerissenen Beukelsblue-Gebäude.[7] Dieses Bauwerk befand sich in einem heruntergekommenen Stadtteil von Rotterdam, der für eine Wie-derbelebung und Neugestaltung vorgesehen ist. Vor seinem Abbruch liess der Rotterdamer Künstler Florentijn Hofman das Gebäude blau streichen. Der Bau bildete so ein riesiges, in das Raumgefüge integriertes plastisches Symbol. Das blaue Gebäude wurde zur Touristenattraktion und erregte auch das Interesse der Einwohner. So hatten die Planer des Stadtteils die Möglichkeit, breiter für die Idee der zukünftigen Entwicklung zu werben.

Flüchtige Erscheinung

Als Farbe des Himmels und des Wassers gilt Blau in der Architektur als der am wenigsten greifbare und materielle Farbton. Auch heute noch ist Blau trotz der schwächeren symbolischen Bedeutung und grösseren Verfügbarkeit von Farbpigmenten in der Architektur keine sehr verbreitete Farbe. Seine visuelle Wirkung sowohl bei Glas- als auch bei Medienfassaden scheint seine Immaterialität und Beziehung zur spirituellen Symbolik noch zu unterstreichen.


Anmerkungen:
[01] Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Blau die am seltensten gewählte Farbe für Höhen ist und auch für Bedachungen nicht sehr beliebt ist (Sven Hesselgrens Studie zu schwedischen Vorlieben für Höhenfarben, oder: Jan Janssens, Rikard Küller: Color, arousal, and performance – A Comparison of Three Experiments, 2009)
[02] Faber Birren: New Horizons in Color. Reinhold Publishing Corporation, New York, 1956 / Larissa Shakinko: Colour on Antique Architecture. AIC Midterm Meeting, Warschau 1999 Diese Verwendung zeigt sich z.B. im elsässischen Weyersheim (F), wo die Häuser katholischer Familien blau gestrichen waren, um sich vom mehrheitlich protestantischen Umfeld abzugrenzen
[03] N. Cetintürk, Z. Onur, S. Habib: Color Composition in Turkish Civil Architecture. AIC Midterm Meeting, Warschau 1999
[04] Faber Birren: New Horizons in Color. Reinhold Publishing Corporation, New York 1956
[05] Justyna Tarajko-Kowalska: Kolor w wiejskich zespołach architektoniczno-krajobrazowych – ze szczególnym uwzglednieniem wsi Polski Południowej. Dissertation, Politechnikum Krakau, Krakau 2006
[06] Diese Funktion zeigte sich auch bei den Oberflächen der 1926 präsentierten «Frankfurter Küche » von Margarete Schütte-Lihotzky, die blaugrün gestrichen waren. Wissenschafter der Universität Frankfurt am Main hatten herausgefunden, dass Fliegen diese Farbe meiden
[07] www.florentijnhofman.nl/dev/project.php?id=97

TEC21, Fr., 2011.06.03

03. Juni 2011 Justyna Tarajko-Kowalska

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