Editorial
Fundiert und denkscharf
Hochparterre sei zu wenig kritisch, bekommen wir gelegentlich zu hören — eine Forderung, mit der sich viele gefallen, denn kritisch zu sein, heisst aufmerksam zu leben. so ist die Kritik die Kür des Journalismus, verbindet Information und Beurteilung, verlangt Faktenkenntnis und Argumente. Die Forderung ist uns ansporn, wir sind aber selbstkritisch genug um zu wissen,dass unsere Kritiken nicht immer so gelingen, wie wir es anstreben: fundiert und denkscharf. Solche kritiken lesen sie in diesem Heft von Axel Simon und Andres Herzog. Axel Simon war im Berner Neubauquartier Schönberg Ost und analysiert die architektonischen Wünsche und Wirklichkeiten der neuen Stadtvillen. Andres Herzog liess sich in Allschwil faszinieren vom Herzog-&-de-Meuron-Gebäude für die Biotechfirma Actelion, sitzt dem spektakel aber nicht auf. Eine eindrückliche Karriere liegt hinter dem Industriedesigner-duo Muchenberger / Eichenberger, das den schweizer Alltag mit seinen Geräten prägte. Meret Ernst hat Walter Eichenberger zu einem Gespräch über Lernen und Wirken getroffen. Lilia Glanzmann dagegen berichtet von der jüngsten Gesigngeneration: Von Fabian Müller, absolvent der Hochschule für Kunst und Gestaltung Basel, der ein mobiles Solarkleinkraftwerk für Openair-Veranstaltungen ausgetüftelt hat. Ivo Bösch versammelt die Fakten und Meinungen zum geplanten neuen Bad von Mario Botta in Baden und kommentiert — kritisch: das Programm war, einmal mehr, überladen. daraus folgt ein überdimensioniertes Projekt. In seiner Hauptrolle als Redaktor von hochparterre.wettbewerbe hat Ivo Bösch das Heft überarbeitet und die Grafikerin Juliane Wollensack hat ihm ein neues, frisches design Geschenkt — denn
wir feiern: hochparterre.wettbewerbe ist seit zehn Jahren unsere zweite Zeitschrift. Rahel Marti
Inhalt
06. Meinungen
07. Lautsprecher
08. Funde
11. Sitten und Bräuche
17. Massarbeit
18. TItelgeschichte
Berner Sprachverwirrung Statt lernen vom Vorbild
- Drei Büros bauen in Bern ein städtisches Wohnquartier. Doch der Umgang mit dem architektonischen Vokabular ist anspruchsvoll.
28.Design
Zurück in die Zukunft
- DAB-radio-Gestalter bedienen sich in der Designgeschichte.
32. Ingenieurbau
Es rumpelt unter dem HB
- Die Zürcher Bahnhof-Ingenieure arbeiten unterm Wasserspiegel.
36. Architektur
die Überväter aus dem Glarnerland
- Ein Vorabdruck aus dem neuen Architekturführer Glarus.
40. Design
Unbekannte Ulmer
- Muchenberger und Eichenberger prägten Schweizer Design.
44. Architektur
Stapel Zum Spektakel
- Herzog & de Meuron bauen für Actelion ein inszeniertes Chaos.
50 Raumplanung
Fünf Rezepte gegen die Zersiedelung
- Der Weg zu einem griffigeren Raumplanungsgesetz ist lang.
54. Bildung
Strom auf rädern
- Design heisst auch, aus Bestehendem etwas Neues machen.
56. Wettbewerb
Ein Köpfler auf die Tiefgarage
- In Baden wehrt sich eine Architektengruppe gegen Bottas Therme.
60. Leute
64. Siebensachen
66. Bücher
70. Fin de chantIer
76. Raumtraum
Stapel zum Spektakel
Für die Biotechfirma Actelion entwarfen Herzog & de Meuron in Allschwil ein Bürogebäude als inszeniertes Durcheinander. Zwischen einem Parkhaus aus Beton und einem tristen Bürobau türmen sie raumhaltige Balken kreuz und quer zu einem eindrücklichen Koloss auf: 80 mal 80 Meter gross und sechs Geschosse hoch ist der Bau. Damit setzen die Architekten in der Gewerbewüste ein Zeichen. Spektakel, schreit das Gebäude und ist im Niemandsland zwischen Basel und Allschwil nicht zu übersehen. Der Bürostapel schafft in der Agglo einen unverkennbaren Ort. Mit dem Thema des Stapelns beschäftigen sich die Architekten schon länger. Dem Actelion- Gebäude gingen zwei nicht realisierte Projekte in China und Sardinien voraus. Im VitraHaus in Weil am Rhein schichteten Herzog & de Meuron Giebelhäuser auf (siehe HP 4 / 2010). Damit ist der Actelion-Bau jedoch kaum zu vergleichen: Grösser, komplexer und chaotischer ist die Stapelung auf der anderen Seite des Rheins.
Actelion bekennt sich zu ihrem Hauptsitz in Allschwil und liess sich mit dem Balkenstapel ein Schaustück bauen. Für die 1997 gegründete Firma ist das Gebäude eine Investition in ihre Unternehmenskultur. Sie beauftragte Herzog & de Meuron, ein Gebäude zu entwickeln, das die Unternehmensidentität baulich widerspiegelt: Innovation, Offenheit und Kommunikation. Das durfte etwas kosten: «Natürlich verursacht ein so ungewöhnlich ausgelegtes Gebäude mehr Arbeitsstunden als ein herkömmliches», sagt Louis de Lassence, Leiter Corporate Services von Actelion und ihr Bauherrenvertreter, in einem Interview auf der Website stadtfragen.ch. «Was das Budget angeht, kann sich Actelion dieses Business Center leisten», erklärt er. Eine einfache Kiste reicht für Unternehmen, die im globalen Mitarbeiterwettbewerb um die besten Fachkräfte stehen, nicht aus. Also entwarfen die Architekten ein Bauwerk, das die Merkmale eines gewöhnlichen Bürobaus wortwörtlich über den Haufen wirft.
Das Erdgeschoss ist leicht abgesenkt. So schreitet man langsam unter den Balkenwirrwarr und tritt durch eine der beiden Drehtüren ins grosszügige Foyer. Die Fassade ist hier komplett verglast und der kreuzförmige Grundriss lässt den Blick nach draussen schweifen. Der Raum wirkt ruhig und übersichtlich. Nur ein paar schräge Stützen deuten an, was sich darüber auftürmt. Von der Mitte aus steigt der Boden in drei Richtungen leicht an. Holzbänke in der Schräge laden zum Schauen ein. An den Enden der vier Flügel liegen ein Auditorium, die Cafeteria, das Restaurant und zwei Schulungsräume. An einer Stelle klappt der Boden auf, eine breite Treppe holt die Autofahrer im Untergeschoss ab und bringt sie hoch zum zentralen Rezeptionsoval, wo alle Besucherströme zusammenlaufen. Pflanzenteppiche der Naturkünstlerin Tita Giese fliessen durch die Fassade im Erdgeschoss — innen und aussen verschmelzen.
Die übrigen Geschosse sind um einen mittigen Hof organisiert, den die Bürobalken durchschneiden. Weil sie auf jedem Stockwerk anders angeordnet sind, gleicht kein Grundriss dem nächsten. Die fünf bis sieben Balken pro Stockwerk scheinen wie zufällig in allen möglichen Richtungen aufgeschichtet. Obwohl die Struktur chaotisch wirkt, ist eine gewisse Logik zu erkennen. Die Balken überlagern sich nämlich an vier fixen Punkten, an denen das Gebäude vertikal erschlossen ist. Vier Treppenskulpturen, deren Ein- und Ausgänge in Balkenrichtung zeigen, verbinden hier die Geschosse. In den schmalen Bürobalken bewegt man sich entlang der Fassade. So werden die rund 350 Arbeitsplätze erschlossen und unterwegs blickt man zur einen Seite in den Hof und zur anderen auf die Einzel- oder Grossraumbüros. Die verglaste Fassade, transparente Trennwände und weisse Oberflächen prägen die Innenräume. Der graue Teppich, helle Vorhänge und hölzerne Türgriffe sorgen für etwas wohnliche Stimmung. Die von Herzog & de Meuron für die Büros entworfenen Holztische sind nur im Restaurant zu finden. Actelion entschied sich für nüchterne, höhenverstellbare Möbel.
Die Stapelung ist ein wahrer Kraftakt: 1500 Detailzeichnungen waren nötig, 2500 Tonnen Stahl wurden verarbeitet, 3,8 Kilometer Fachwerkträger verschweisst. Die statische Struktur ist eine Stahlkonstruktion mit raumhaltigen Kastenträgern, die als offene Gitterstrukturen ausgebildet sind. Ein Dickicht an massiven Streben unterschiedlichen Querschnitts wuchert hinter der Glasfassade. Sie machen deutlich, welche Kräfte der Stahl aufnimmt. Die schrägen Streben überkreuzen sich zum X, wo ein Durchgang nötig ist, sind sie Y-förmig. In den unteren Geschossen ist der Strebenwald lichter, oben wird er immer dichter, er gleicht damit einem Baum, der die Lasten nach unten in den Stamm ableitet. Die schrägen Streben werden durch senkrechte Pfosten ergänzt. Sie sind Teil der Virendeelträger, welche die grossen Spannweiten und Auskragungen ermöglichen. Die Spannweiten waren aber zu gross, die Statik zu sehr ausgereizt, um die Lasten ohne zusätzliche Unterstützung abzufangen. Deshalb kommen Stützen im Aussenraum hinzu, die teilweise über fünf Geschosse frei im Raum stehen und die Balken wie Krücken stützen. Sie waren ursprünglich nicht Teil des Konzepts. Jetzt verbin- den sie den Balkenwirrwarr über die Stockwerke und führen mit ihrer wuchtigen Grösse eine neue räumliche Dimension ein. Das Prinzip des Stapelns schwächen sie aber ab.
Anders als beim VitraHaus, wo das Verschneiden der Module neue Räume schafft, sind beim Actelion-Neubau die Balken übereinander geschichtet und durchdringen sich im Schnitt nicht. Abgesehen von den überschneidungen im Grundriss bleiben sie räumlich getrennt. Der Reiz liegt in den Durchblicken zwischen den Balken, die überraschende räumliche Querbezüge herstellen: So schaut plötzlich eine Gebäudeecke hervor oder man sieht durch einen Zwischenraum quer durch den Hof. Im Vordergrund steht aber der Blick auf das räumliche Spektakel und nicht die visuelle Verbindung der Büros.
Neben Stapeln und Stützen schlägt das Projekt weitere Themen an: Die Balkenenden an den Grundstückskanten wirken wie abgeschnitten und sind als weisse Schnittflächen ausgebildet. Zu welchem Balken sie gehören, ist nicht immer ersichtlich. Krumm und schief ist nicht nur die Balkenlage. Auch die Wände sind teilweise nicht senkrecht, sondern überhängend oder nach innen geneigt. Was wie eine weitere Spielerei mit dem Chaotischen wirkt, kommt direkt aus dem Baurecht: Zu den benach- barten Bauten muss das Gebäude ab sechs Metern Höhe um zehn Grad zurückspringen. Diesen Winkel übernehmen die Architekten und kehren ihn für einige Wände um, um auf die Sonneneinstrahlung zu reagieren. Alle diese Strategien mögen gut begründet sein. Doch als Ganzes betrachtet passiert zu viel im Gebäude, als dass ein Konzept erkennbar wäre. Die raffinierte Stapelung führt zu vielfältigen Räumen, doch der Balkenwirrwarr ist komplex und sich darin zurechtzufinden, ist schwierig. Die verglaste Fassade gibt zwar Blicke in die Umgebung und in die Innenhöfe frei, doch die subtilen Variationen überfordern die Wahrnehmung. Man bewegt sich stets in denselben Raum- und Fassadenformen und so sieht das Gebäude scheinbar überall gleich aus. Bei geschlossenen Storen ist der Besucher erst recht verloren, er irrt durch die Gänge und fragt sich, auf welchem Geschoss er sich gerade befindet. Ein Modell bei jedem Aufzug — es stammt nicht von den Architekten — soll den Mitarbeitenden die Orientierung erleichtern. Angelika Rose-Hüll, Pressesprecherin von Actelion, weiss, dass es nicht einfach ist, sich zu orientieren. «Das Verwirrspiel ist aber auch spannend», meint sie: «Plötzlich begegne ich neuen Personen.» Angelika Rose-Hüll betont, dass Kommunikation unter den Mitarbeitern für die Projektidee von grösster Bedeutung war. Um diese aus ihren Büros zu holen, liegen die Besprechungszimmer an den Enden der Balken. Und ist die Zusam- menarbeit tatsächlich besser? Ein zufällig vor- beigehender Mitarbeiter schätzt die imposante Architektur, empfindet die Distanzen im Neubau aber als eher gross. Denn jetzt separieren die schmalen Balken mit aufgereihten Einzelbüros die Arbeitsplätze räumlich — das steht im Wider- spruch zur ursprünglichen Zielsetzung. Die spannendsten Räume entstehen nicht im Gebäudeinnern, sondern im Hof. Der Zauber des Chaos kommt zwischen den Balken am bes- ten zur Geltung. Doch Mitten ins Gewirr kommt man kaum. Nur zwei der Dachflächen sind als Terrassen begehbar. Man habe die ausgereizte Statik nicht zusätzlich belasten wollen, so die Begründung. Immerhin denkt man darüber nach, einen Teil des Dachs über dem Erdgeschoss noch zugänglich zu machen. Doch wo nicht bereits Durchgänge vorgesehen sind, wird es schwierig, im dichten Strebenwald des Fachwerks neue öffnungen anzubringen. Vielleicht gelingt es aber trotzdem noch, im Innenhof einen Ort zu schaffen, wo sich alle Mitarbeitenden begegnen und gemeinsam über die Stapelung staunen können.
Das Actelion-Gebäude steht in einer Reihe mit anderen gestapelten Projekten von Herzog & de Meuron. Dazu zählen ein Entwurf für eine Filmakademie in der chinesischen Stadt Qingdao, ein Projekt für ein Industrieareal in Sardinien und das VitraHaus in Weil am Rhein. Jacques Herzog erklärt, warum Herzog & de Meuron das Prinzip des Stapelns immer wieder einsetzen.
Was verbindet die vier Projekte? Abgesehen vom Prinzip des Stapelns sehe ich keine Verbindung zwischen den Projekten. Für uns ist viel wichtiger zu hören, wie von aussen Verwandtschaften, Ähnlichkeiten oder Unterschiede festgemacht werden.
Widersprechen die Stützen bei Actelion nicht dem Prinzip der Stapelung? Die Balken konnten alleine nicht tragen, also haben wir sie unterstützt mit einer Art Krücken. Wir empfinden das nicht als störend. Hätten wir sie als störend empfunden, hätten wir die Balken massiver ausbilden können. Das hätte aber zu einer heroischeren Geste geführt. Mit den Stützen haben wir den Bau entmonumentalisiert. Wir sind froh, diese nachträglich eingefügt zu haben. Sie zeigen den Unterschied zwischen einem Kinderspiel mit Bauklötzen und der Realität des Bauens. Es ist wichtig, solche Sachen anzusprechen, da die Architekturkritik die Umsetzung in die Realität oft vernachlässigt.
Entwickeln Sie das Thema des Stapelns auch projektunabhängig? Ohne konkretes Projekt überlegen wir uns keine architektonischen Fragen. Das Stapeln ist eine plastische Strategie. Das eine auf das andere zu legen, ist etwas Alltägliches und Banales. Gleichzeitig aber auch die primäre Handlung, wenn man etwas baut. Solch einfache Gesten, die alltägliches Handeln und professionelles Bauen verbinden, haben uns schon immer interessiert.
Ihr Projektleiter hat das Actelion Business Center als Teil der Projektfamilie des Stapelns vorgestellt. Herzog & de Meuron hat den Anspruch, jedes Projekt von Grund auf zu entwerfen. Widerspricht die Arbeit in Projektfamilien nicht diesem Prinzip? Ich selbst würde nicht von Projektfamilien sprechen. Wir denken nicht so, sondern arbeiten konzeptionell. Um spezifische Qualitäten zu entwickeln, gehen wir Projekte mit verschiedenen Strategien an. Das Stapeln ist ein Prinzip, das wir immer wieder aufnehmen. Es wäre unsinnig, dieses Prinzip nur einmal anzuwenden. Bauen ist nicht unendlich offen für neue Konzepte. Es geht also darum, Strategien zu überlagern. Dieses Vorgehen ist verwandt mit der Natur: Aufgrund ähnlicher Grundgegebenheiten entsteht am Schluss ein völlig anderer Organismus.
Dennoch: VitraHaus, Actelion und die beiden Projekte in China und Sardinien werden als ähnlich wahrgenommen. Natürlich bestehen typologisch enge Verwandtschaften. Beim Vitra-Haus wie bei Actelion ist das Konzept das plastische Stapeln. Aber es kommen andere Themen dazu, die diese Projekte jeweils bestimmen und zu unterschiedlichen Architekturen führen. Das Vitra-Haus basiert auf einem archaischen Modul, dessen offene Enden den Blick auf die Landschaft fokussieren. Bei Actelion hingegen sind es abstrakte Kuben, die wie Balken übereinandergelegt werden. Diese öffnen sich nach allen Seiten. So ergeben sich räumliche Querbezüge, während beim Vitra-Haus gerade diese Sichtbeziehungen ausgeschlossen werden. Die Absichten der beiden Projekte sind also anders, obwohl wir dasselbe Prinzip verwenden. Die entwerferische Strategie führt zu verschiedenen Architekturen.
Die Projekte sind also zu unterschiedlich, um von Familien zu sprechen? Es gibt Strategien, die sich wiederholen. Stapeln, Extrudieren, das Verwenden der archaischen Form des Hauses oder Überlegungen zu Oberflächen sind Themen, die wir über die Jahre entwickelt haben. So entstand eine ganze Palette von Konzepten, die wir in unserer Architektur anwenden. Diese Stapelentwürfe sind also untereinander nicht mehr verwandt als andere Projekte, da das Stapeln nur eines von vielen Themen ist.
Und doch ist das Stapeln ein sehr starkes architektonisches Prinzip. Klar, weil das Stapeln expressiv ist, liegt es nahe, die Bauten als Teil derselben Familie zu lesen. Doch uns interessiert das Stapeln im Grunde nicht mehr als andere plastische Konzepte. In einem konkreten Projekt kann es allerdings plötzlich relevant werden.
Geht bei der Arbeit mit prägenden Entwurfsstrategien der Bezug zum Ort nicht verloren? Nein. Wir wiederholen die Strategien nur, wenn sie für den Ort geeignet sind. So könnte man sich Actelion nicht bei Vitra vorstellen und umgekehrt. Die Beispiele zeigen, dass die gleichen bildnerischen Strategien an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Resultaten führen.hochparterre, Mo., 2011.04.11
11. April 2011 Andres Herzog
verknüpfte Bauwerke
Actelion Business Center
Baustein der Geschäftscity
Ein Neubau anstelle des «Grünenhofs» aus den Vierzigerjahren, Umbau und Sanierung des «Delphins» von 1912 - so stellt man sich Denkmalpflege landläufig vor. Der TU-Wettbewerb, den die UBS für die Umstrukturierung ihrer Liegenschaften am Talacker und Pelikanplatz in Zürich ausschrieb, brachte das gegenteilige Ergebnis. Das Team aus Halter GU und Stücheli Architekten überzeugte Jury und Denkmalpflege, den neueren Bau, den «Grünenhof», stehen zu lassen und den älteren, den «Delphin», abzubrechen. Die sem, einst ein stolzes Haus mit hohem Giebel an der Ecke, hatten Umbauten, insbesondere Justus Dahindens Attikageschoss aus massivem Beton, stark zugesetzt. Der «Grünenhof» hingegen, von Werner Frey in der Nachkriegszeit in Etappen erstellt, war in weiten Teilen erhalten.
Also entliess die Denkmalpflege den «Delphin» aus dem Inventar und vereinbarte mit der UBS einen Schutzvertrag für den «Grünenhof». Stücheli Architekten sanierten das Gebäude, machten es erdbebensicher, entrümpelten das Dach, rekonstruierten die Schaufenster und restaurierten die schönen Treppenhäuser. Die Büroflächen wurden modernisiert und neu eingerichtet. Anstelle des alten «Delphin» von Bollert & Herter Architekten entstand an der Ecke Talacker / St.Peter Strasse ein Neubau. Er schliesst nahtlos an die Nachbarn rechts und links an und strickt das Muster der seriellen Bürofenster weiter. An der Ecke ragt der Neubau siebengeschossig empor und setzt einen markanten Akzent - so wie es einst der Giebel des alten «Delphin» tat und es die Kuppeln des «Astoria» und des Eckhauses gegenüber noch immer tun.
Die Fassade aus Betonelementen vermittelt zwischen den Naturstein und den Putzfassaden der Nachbarn. An der Strassenfront ist der Beton sandgestrahlt veredelt, gegen den Hof - in dem übrigens Theo Hotz’ gläsernes Konferenzzentrum von 1991 steht - hingegen glatt. Die kastenartigen Fenster mit schmalen, fassadenbündigen Lüftungsflügeln verleihen der Fassade aussen wie innen Tiefe. Die Betonelemente der Fassade prägen auch die rationell möblierten Büroräume - gegen tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben im «Delphin» und im «Grünenhof» ihren Arbeitsplatz. «Ein schönes Beispiel einer ansprechenden und eigenwertigen Lösung des modernen Geschäftsbaus», schrieb das «Werk» 1914 über den alten «Delphin». Dies gilt heute auch für den Neubau.hochparterre, Mo., 2011.04.11
11. April 2011 Werner Huber
Beton auf Bruchstein
Dicht gedrängt stehen die Häuser in Charrat. Der alte Dorfkern liegt am südlichen Hangfuss des Rhonetals bei Martigny, abseits der Haupt verkehrsachsen mit Autobahn, Hauptstrasse und Eisenbahn, die den Boden des Walliser Haupttals zerschneiden. Dorthin, in die Ebene hinein, sind die neueren Quartiere gewachsen.
Es gebe Walliser Gemeinden, die nur Scheussliches bewilligten, meint Architekt Valéry Clavien angesichts des architektonischen Wildwuchses. Aber manche genehmigten auch Gutes, sagt er augenzwinkernd - und er meint damit Charrat, wo er mit seinem Büropartner Nicolas Rossier ein Haus realisiert hat. Es steht beim alten Dorf, hart an der Strasse. Die Beschränkung auf wenige Elemente und ein grosses Fenster pro Fassade machen das Haus massstablos, das Sockelgeschoss aus Naturstein verankert es in der vom Rebbau geprägten Landschaft.
Vorhanden war ein schon mehrfach umgebauter und erweiterter Altbau - und ein beschränktes Budget. Deshalb haben die Architekten von der alten Substanz erhalten, was brauchbar war: die Mauern des Sockel und des halben Obergeschosses. Sie entfernten den Putz und holten das Natursteinmauerwerk hervor, auf das sie den ein bis zweigeschossigen Neubauteil aus eingefärbtem Beton setzten. Die alten Mauern blieben bis auf die Brüstungshöhe des oberen Geschosses stehen und gaben die Wandstärke vor: sechzig Zentimeter plus Dämmung - achtzig insgesamt. Um dicke, lichtfressende und wenig elegante Leibungen zu vermeiden, schnitten die Architekten ihre neuen Betonwände konisch zu und reduzierten die Zahl der Fenster auf eines pro neuem Fassadenteil.
Der Eingang liegt neu im Sockel direkt an der Strasse. Aus der Halle führt eine Treppe entlang der Bruchsteinmauer nach oben in den Wohn- und Essraum. Hinter der alten Mauer liegen die Küche und daneben ein Zimmer mit Bad. Zwei weitere Zimmer und ein Bad liegen im obersten Stock. Die Räume sind so organisiert, dass zahlreiche Wege durch das Haus entstehen, entlang der Fassaden wird es so in seiner ganzen Länge erlebbar. Auf der einen Seite schweift der Blick über die Ebene des Rhonetals, auf der anderen Seite öffnet sich das Haus gegen den sanft ansteigenden Rebhang. Das Gegenstück zu den «Lichttrichtern» der Fassade sind die «Vorhanggaragen» im Innern.hochparterre, Mo., 2011.04.11
11. April 2011 Werner Huber