Editorial

Hochparterre Tageszeitung

«Schön gestaltet», «gut geschrieben», «ich schaue jeden Tag hinein» — wir danken für den Zuspruch, den unsere renovierte Website www.hochparterre.ch erfährt. Wir sind stolz, denn wir können einen alten Traum realisieren: Hochparterre baut mit seinem «Nachrichtenportal für Architektur und Design» eine Tageszeitung auf. Wir fassen auf www.hochparterre.ch das Geschehen in der «Presseschau» zusammen, kommentieren wichtige Ereignisse, stellen Wettbewerbsresultate vor und richten Bildergalerien ein. Tag für Tag am Puls der Zeit. Und wie es der Sitte und den Bräuchen der Netzwelt entspricht, ist der Zugang kostenlos. Noch besser als die Gratisbesucher hat es, wer Hochparterre oder hochparterre.wettbewerbe abonniert hat. Er kann Kommentare hören und Kolumnen lesen, hat Zugriff auf Reportagen und Dokumentationen. Als Abonnentin und Abonnent erhalten Sie damit mehr Internet — nebst 15 Sonderheften jährlich, vergünstigten Büchern, Einladungen aller Art und Monat für Monat dem aktuellen Heft im Briefkasten. Auch hochparterre.wettbewerbe ist renoviert: Gestalterin Juliane Wollensack hat es aufgefrischt mit verbesserter Struktur und neuer Typografie. Weiterhin sorgt Redaktor Ivo Bösch für den analytischen und kritischen Inhalt.

In Chur ist ein doppelt exemplarischer Umbau zu besuchen: die Renovation der Kantonsschule von Max Kasper an der Halde. Erstens: Die Kantonsschule, ein Markstein der Architektur der Sechzigerjahre, stünde nicht mehr, wenn sich nicht der Bündner Heimatschutz und Anverwandte nach allen Regeln der Politik gewehrt hätten. Widerstand verbunden mit einem Projekt lohnt sich. Zweitens: Die Architekten Jüngling und Hagmann haben zusammen mit Implenia den verloren gegebenen, verlotterten Bau mustergültig saniert, ja verbessert. Werner Huber war in Chur und berichtet auf Seite 28.
Reisen Sie nach Graubünden und schauen Sie, ob er recht hat.
Köbi Gantenbein

Inhalt

06 Meinungen
07 Lautsprecher
08 Funde
11 Sitten und Bräuche
17 Massarbeit

Titelgeschichte
18 Ingenieure reden mit Gestaltern
Verstehen sie einander? Sprechen sie dieselbe Sprache? Eine neue Ausbildung schafft Verständigung.

Architektur
28 Kanti im Jungbrunnen
Vom Abbruch bedroht, erstrahlt das Haus in neuem Glanz.

Architektur
32 Klick ohne Kick
Die Websites von Architekturbüros im Test.

Design
38 Mit Alt mach neu
Ein junges Team fördert die Kreativität der Generation 75 plus.

Architektur
40 Das Kunstkraftwerk
Einst eine Färberei, heute eine Kunstgiesserei.

Wettbewerb
46 Ankauf Adieu
Ein neues Gerichtsurteil stellt die bewährte Praxis auf den Kopf.

48 Design
Ein Stuhl zum Schaffen
Greutmanns haben ein bekanntes Bürostuhl-Problem neu gelöst.

Architektur
50 Für Kinderaugen
Kinderbücher vermitteln die Welt des Bauens.

54 Leute
56 Siebensachen
58 Bücher
62 Fin de Chantier
68 Raumtraum

Die Musik gibt den Ton an

Um die Ecke liegt der Voltaplatz, bekannt durch seine Neubauten im Norden Basels siehe HP 5 / 10. Eine Strasse weiter führen Buol & Zünd Architekten vor, welchen Reiz alte Bausubstanz ausstrahlt, wenn man sie weiterentwickelt. Zwei Wohnbauten und eine Fabrik von 1926 wurden an die Wohn- und Arbeitsbedürfnisse von Musikern angepasst. Die Umnutzung der Lichtschalterfabrik Levy Fils in ein Musikerwohnhaus öffnete das geschlossene Areal für das Quartier. Im Vorderhaus reihen sich nun im Erdgeschoss an Stelle der Büros die Proberäume, im Obergeschoss die Gästewohnungen und Lofts für externe Musiker. Der Eingang ist zu einer grosszügigen, übersichtlichen Halle ausgebaut. Weiss gekachelte Wände erinnern an englische U-Bahn-Stationen und vermitteln den Eindruck eines Durchgangsraums. Neben dem bestehenden schiebt sich ein neuer Innenhof in die alte Fabrikhalle; er belichtet durch die verglasten Fassaden drei aneinandergereihte Maisonettewohnungen sowie die gegenüberliegenden 7 1/2-Zimmer-Wohnungen für Wohngemeinschaften. Die Raumaufteilung folgt dem bestehenden Raster der hölzernen Tragstruktur in den Hallen. Ein weisses Skelett aus Beton und Stahl ragt vor der neu gedämmten Fassade in die Hofräume hinein und erweitert die innere Struktur optisch nach aussen. Damit die Musiker jederzeit üben können, schirmt eine Schallisolierung von bis zu 65 Dezibel die Übungsräume von den angrenzenden Wohnungen ab. Dank der klaren Trennung der konstruktiven und bauphysikalischen Schichten bis in die Dachfläche bleibt der neue und alte Aufbau des Gebäudes ablesbar. Die Eingriffe in den Bestand bereinigen die komplexe Situation und die schlichte Materialisierung erhält den industriellen Charakter des Baus.

Neben dem vielfältigem Wohnungsangebot — von 3 1/2 Zimmern bis zur Maisonettewohnung mit 190 Quadratmetern — gehören eine Kantine mit Mittagstisch und eine gedeckte Kinderspielhalle zur neuen Anlage. Den Musikern vorbehalten bleibt der «Weisse Saal» als Mehrzweckraum. Wo sich die Fabrik- und Werkstatthallen einst um einen schmalen Innenhof schlossen, öffnet sich heute das Tor zur mächtigen Wohnüberbauung VoltaWest. Denn das Musikerwohnhaus ist kein Elfenbeinturm, sondern auch für die Bewohner des umgebenden Quartiers nutzbar. Zusammen mit zwei anderen Musikerhäusern an der Lothringerstrasse, die noch im Bau sind, entsteht ein Zentrum für gut sechzig Musikerinnen und deren Familien.

hochparterre, Mi., 2011.02.23

23. Februar 2011 Katharina Marchal

Leben im Manifest

Der solothurnische Gärtnermeister Ueli Flury hat eine fixe Idee. Er möchte möglichst autark leben, ökologisch und gesund. Die Kinder sind weg, nun kann er ein Stöckli bauen, im hintersten Eck des Gartens neben dem Glashaus seines Blumenladens und dem alten Bauernhaus. Es war bisher der Familie Heim, doch bald wird es jenes einer anderen sein. Den Weg zur Erfüllung seiner Idee nimmt er ernst: Planer evaluierten ihm Bedürfnisse und Möglichkeiten, schliesslich unterbreiteten vier Architekturbüros ihre Studien. Die siegreichen und jungen Bieler spaceshop planten das Haus, das Flury zu einem guten Teil selbst baute. Heute lebt er auf 100 Quadratmetern in drei grossen Räumen, gebildet von zwei dicken Lehmwänden und raumhohen Fensterfronten mit Blick in den schönen Garten.

Nachhaltig und gesund ist das Haus: Der Grossteil des natürlichen Baumaterials hat keine zehn Kilometer Weg hinter sich. Abbruchsteine und alte Grabsteine bilden mit Trasskalkfugen die Kellermauern. Das Traggerüst ist aus Fichtenholz, kurz vor dem winterlichen Neumond im nahen Wald gefällt. Im nahen Dorf vermischte man den Lehm einer Baugrube mit Stroh. Aufgeschichtet und seitlich abgestochen bildet er die achtzig Zentimeter dicken Wände. Strohballen vom Feld des Nachbarn dämmen Boden und Decke. Fichtenbretter drauf, fertig. Kein Silikon, kein Kitt, kein Beton. Nur die Dachabdichtung aus Kautschuk, Fenster und Spenglerbleche entstammen der gemiedenen Welt der Industrie.

Das autarke Leben sichern zwei Kreisläufe: Im Energiekreislauf sorgt Photovoltaik auf dem Dach des Bauernhauses für mehr Strom als nötig und Stückholz aus dem nahen Wald für Wärme. Dem Bewohner wird warm beim Holzhacken, das Haus heizt ein zentraler Herd, der über einen Speicher im Keller die Heizkörper mit warmem Wasser versorgt und auch zum Kochen nützt. Im Wasserkreislauf kommt frisches Nass aus der eigenen Quelle, um nach Gebrauch in einer Sandpflanzen-Filteranlage gereinigt und zum Giessen in der Gärtnerei genutzt zu werden. Die Komposttoilette liefert zweimal jährlich Dünger. Nicht allgemeingültig sei sein Haus, sagt der Gärtnermeister, er sei kein Vorreiter. Sein Alltag ist nun ritueller, qualitätsvoller, umgeben von bergenden und borstigen Erdmauern.

hochparterre, Mi., 2011.02.23

23. Februar 2011 Axel Simon

Klinik-Campus in Pfäfers

Sind das Schindeln? Nein, es scheint nur so. Wohl war im siegreichen Wettbewerbsbeitrag für das Zentrum für Alterspsychiatrie in Pfäfers diese Verkleidung vorgesehen. Doch die Feuerpolizei erhob Einsprache. Was aus der Ferne wie Schindeln wirkt, sind deshalb helle Klinkersteine, die speziell für dieses Gebäude entwickelt und so geschichtet wurden, dass sie eine geflochtene Struktur ergeben.

Entstanden ist kein Solitär, sondern ein optisch stimmiges Bindeglied zwischen den alten gemauerten Fassaden des Klosters und den mit Holzschindeln verkleideten Häusern des Dorfes.

Die barocke Anlage der ehemaligen Benediktinerabtei St. Pirminsberg dominiert den Ort. Hier ist seit 1845 die Kantonale Psychiatrische Klinik untergebracht. Mit dem Zentrum für Alterspsychiatrie — es ersetzt mehrere Provisorien — wurde nun ein neuer und markanter Akzent gesetzt: Kloster, Klinikneubau und der nahe Torkel bilden jetzt ein geschlossenes Ensemble. Aus der Klosteranlage wurde so etwas wie ein Klinik-Campus. Das Gebäude hat drei Flügel, die sich um einen Innenhof organisieren. Die Patienten wohnen im Süd- und Westflügel, im Nordflügel befinden sich Therapieräume und Ärztebüros, die aus der jeweiligen Station direkt erreichbar sind. Cafeteria und kleiner Saal und die somit öffentlich zugänglichen Bereiche schliesslich sind im Südflügel untergebracht. Alle drei von einer auffallend präzisen Schreinerarbeit geprägten Geschosse sind entweder über einen Haupt- und drei Nebentreppen erreichbar. Steht man bei der Haupttreppe, wird das Ordnungsprinzip sichtbar: ein «Zwiebelschalenprinzip». Höfe und Innenräume werden von einem Wandelgang umgeben, an den dann — gleichsam als äussere Schale — die Nassräume und Patientenzimmer anschliessen. Der Innenhof bringt Licht in jeden Winkel. Um diesen Innenhof herum wiederum gruppieren sich die Begegnungs- und Bewegungsräume. Das ermöglicht einen Rundlauf mit vielen Querbezügen und eine Offenheit in einem Haus, in dem hier wie dort Geschlossenheit notwendig ist. Und wie lebt, wer hier wohnt? Doppelzimmer hat es, alle sind konsequent längs der Fassade platziert. Ein grosses Fenster gibt den Blick frei in die Landschaft. Ein bisschen Aussenwelt dringt überall ein in diese letztlich hermetische Welt.

hochparterre, Mi., 2011.02.23

23. Februar 2011 Marco Guetg

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