Editorial
Pumpwerke, Heizzentralen, Kläranlagen – zwar notwendige, meist aber ungeliebte Einrichtungen mit industrieller Anmutung und allenfalls technizistischem Charme. Das Gestaltungspotenzial dieser Infrastrukturbauten wird nicht nur viel zu selten ausgeschöpft, sondern oft sogar unter dem Vorwand des Kostendrucks von den Auftraggebern gezielt ausgeklammert. Mit dem nötigen Willen und durchdachten Konzepten lassen sich jedoch auch bei vordergründig anspruchslosen Bauaufgaben und an wenig attraktiven Standorten Mehrwert oder gar öffentlicher Raum gewinnen. Mitunter hängt die Akzeptanz seitens der Bevölkerung sogar direkt mit den Angeboten zusammen, die die Architektur macht: Mit Einblicken, Entdeckungen, Material- und Farbspielen lassen sich Interesse und sogar Verständnis für die eher spröden Aspekte des täglichen Lebens wecken. Die für dieses Heft ausgewählten Beispiele zeigen unterschiedliche Wege und Ansätze auf. | Achim Geissinger
Camouflage für ein Kraftwerk
(SUBTITLE) »Iller-Wasserkraftwerk« in Kempten / Allgäu
Dass technische Anlagen künstlerisch überformt werden, ist erstens selten – die Ingenieure haben hier zumeist das Sagen – und zweitens heikel: Metaphorisches, wie ein Heizwerk als Vulkan (im Goetheanum), oder Fantastisches, wie in Hundertwassers Wiener Müllverbrennungsanlage, wirkt oft unbeholfen oder dekorativ. Beim Bau eines Laufwasserkraftwerks in Kempten wählten die Architekten, spät hinzuberufen, einen anderen Ansatz. Das Echo ist enorm.
Staubalkenwehr, Zulauf, Maschinenhaus – das sind seit jeher die Teile eines Wasserkraftwerks, heutzutage allenfalls noch ergänzt um »Fischaufstiegshilfen«. In Kempten stand eine solche Standard-Planung als Ersatz für ein kleineres Kraftwerk der 50er Jahre kurz vor der Realisierung. Doch dann erhoben die Genehmigungsbehörden Einspruch: Im Naturraum der Iller, zwischen zwei denkmalgeschützten alten Textilfabriken, solle sich die Anlage besser einfügen. Da eine der mächtigen Fabriken derzeit zu Wohnungen umgebaut wird, sollte zudem für einen besseren Schallschutz gesorgt werden.
Um die Auflagen zu erfüllen, rief der Bauherr – der regionale Energieerzeuger – einige Architekten zu einem Wettbewerb zusammen. Den gewann das Kemptener Büro becker architekten mit einem tatsächlich außergewöhnlichen Ansatz: Über Stauwehr, Zulauf und Turbinenhaus stülpten die Planer eine stromlinienförmige Betonskulptur, die zu beschreiben schwerfällt. Eine dem Flussbett entwachsene, geschliffene Felsformation? Ein kalbender Gletscher? Ein gestrandeter Wal? Ein neuer Dinopark? Jedenfalls haben wir es hier weder mit einer platten Metapher noch mit reiner Dekoration zu tun. Die Form scheint von innen heraus gewachsen, nur für diesen Ort geschaffen.
Der Technik übergestülpte Skulptur
Fangen wir mit den Fakten an: Das Kraftwerk nutzt einen Höhenunterschied von 5,10 m zur Energieerzeugung. Über den Zulaufkanal und Saugschläuche werden zwei sogenannten Kaplan-Turbinen pro Sekunde 64 m³ Wasser zugeführt – dieses »Schluckvermögen« wurde gegenüber dem Vorgängerbau mehr als verdreifacht. Die senkrecht eingebauten Schaufelräder der 45 t schweren Turbinen drehen sich dagegen um ein Vierfaches langsamer und darum leiser als die alten: Mit nur 150 Umdrehungen pro Minute leisten sie jeweils 1 370 kW, zusammen 10,5 Mio. kWh im Jahr, was ausreicht, um rund 3 000 Haushalte mit Strom zu versorgen.
Die darüber gestülpte Hülle, ein mehrfach unbestimmtes Flächentragwerk, ist das Ergebnis intuitiver Formfindung. Als Ausgangspunkt der Entwurfsüberlegungen beschreibt Michael Becker die »Versinnbildlichung der Wasserdynamik vom beruhigten Einlauf über das Aufwerfen und Hinabstürzen des Wassers im Bereich der Turbinen und das nach der Stromerzeugung wieder der Iller zugeführte Durchlaufwasser«. Die »vom Flusslauf ausgewaschenen Gesteinsformationen in unmittelbarer Nachbarschaft des Kraftwerksstandorts mit ihren teils bizarren Anmutungen« nennt Becker als wesentliche weitere Inspirationsquelle. Doch die Vieldeutigkeit war gewollt: »Fast jeder Betrachter findet seine eigene Metapher«, hat der Architekt bemerkt.
Die beiden Endpunkte Krafthaus (mit Generatoren und Transformator) und Staubalkenwehr (mit Rechenreinigungsanlage) verbindet der Entwurf mit einer durchgängigen Gebäudehülle, die ungefähr in der Mitte unter dem historischen Stahlfachwerkbogen des Kabelstegs hindurchtaucht, der damit vor dem Abriss bewahrt werden konnte.
Der gesamte, knapp 4 000 m³ Rauminhalt fassende Aufbau wurde in Ortbetonbauweise errichtet. Punktuelle Gleitlager verbinden die Haube mit dem technischen Unterbau. Eine umlaufende, 2 cm weite Horizontalfuge betont effektvoll diese Trennung. Längenverformungen lassen sich so unabhängig ausgleichen. In Querrichtung stabilisieren Rippenbögen wie Spanten eines umgedrehten Schiffsrumpfs die Konstruktion – tatsächlich wurden sie zuerst errichtet und erst dann eine sägeraue hölzerne Schalung als »Beplankung« aufgebracht. Das Motiv der »ruppigen Rippen« – Schalungsspuren sind überall sichtbar – gliedert und rhythmisiert den Bau-Körper: Mal schlüpft der Besucher durch schmale, spärlich beleuchtete Katakomben, in denen man sich wie in der Speiseröhre eines Dinosauriers vorkommt, dann wieder findet er sich in weiten, zum Wasser offenen Gewölben wieder. Das Ganze wirkt wie ein piranesihaftes Labyrinth, in das ein nicht unbeträchtlicher Teil der im Kraftwerk verbauten 3 000 t Beton geflossen ist. 230 t Baustahl kamen hinzu. Die Statiker des ersten, »normalen« Kraftwerksentwurfs sollen von der Überarbeitung durch die Architekten zunächst wenig begeistert gewesen sein, griff diese doch auf eigenwillige Weise in die Routine des großen Münchener Ingenieurbüros ein.
Die 25 cm dicke Hülle des Aufbaus erhielt als oberen Abschluss eine im Vergleich zu Blecheindeckungen kostengünstigere und zudem fugenlose PU-Beschichtung; der Iller-Splitt darin sorgt für eine kleinteilig-changierende Oberfläche. Selbst Türen und Luken überzieht dieses dauerhafte Finish, so dass eigentlich nichts darauf hinweist, dass es sich bei der Skulptur nicht um ein Kunstwerk handelt. Selbstverständlich wurden sämtliche Maschinen erst nach der Errichtung der Hülle vom Kran durch maßgeschneiderte Luken eingebaut und lassen sich auch auf diesem Wege wieder austauschen.
Um Tauwasser gar nicht erst entstehen zu lassen, sind die lauten Räume im Maschinenhaus innen mit einer Lage Schaumglas beschichtet; auch das Summen der Mechanik wird dadurch einkapselt. Das Rauschen des Wassers an den Auslässen halten die scharfkantig ausgeformten Hauben zumindest teilweise zurück: Am Staubalkenwehr wurde neben der Fischtreppe eigens ein auf diese Weise überwölbter Notablauf geschaffen, denn das Wasser darf nach den (ziemlich aberwitzigen) Lärmschutzbestimmungen nur an den durchschnittlich acht Tagen im Jahr rauschen, an denen das Wehr vom Hochwasser überspült wird.
Vieldeutiger Publikumsmagnet
Das Licht wird hingegen nicht reglementiert: Aus den »Mäulern« und Fugen der Konstruktion dringt bei Dunkelheit rätselhaftes, z. T. farbiges Licht, und in den »Felsspalten« versteckte Strahler inszenieren die plastische Erscheinung im dunklen Fluss. Ein neuer Radwanderweg führt hinter hoher Betonbrüstung am Kraftwerk vorbei. So rückt diese »vergessene Ecke« der Stadt wieder ins Bewusstsein der Menschen. Zur Eröffnung des Kraftwerks im vorigen Jahr kamen 10 000 Schaulustige, und die wöchentlichen Führungen sind noch immer überbucht – der Betreiber hat eigens vier Arbeitsplätze zu diesem Zweck geschaffen, zielt dabei aber freilich mehr auf die Promotion seines Ökostrom-Angebots. Die Leute kommen jedenfalls wegen des eigenartigen Bauwerks.
Auch der Architekt kann sich vor Anfragen aus dem In- und Ausland kaum retten. Auf den »Bilbao-Effekt« angesprochen, mag Michael Becker jedoch mit dem Jetset der Hadids und Gehrys nicht in einen Topf geworfen werden. Auch wenn einem bei oberflächlicher Betrachtung tatsächlich Verwandtschaften mit modischen »Blobs« und »Faltungen« in den Sinn kommen – Becker versteht seinen Beitrag als dienendes (»devotes«), auf den Ort bezogenes Bauwerk, dessen hoher Identifikationswert gerade aus dieser Unterordnung erwachse. Da hat kein Star seine Duftmarke hinterlassen, kein CAD-Programm eine nie dagewesene Pirouette gedrechselt. Und das ist für nicht medial vorbelastete Betrachter (falls es die noch gibt) wohl auch glaubhaft erlebbar.
Mögen die Ingenieure es auch als höchst ineffiziente Materialschlacht betrachten – die Kraftwerkshülle entstand komplett in bildhauerischer Handarbeit. Es existiert ein drei Meter langes Modell davon, das am Ende eingescannt und auf der Baustelle anhand von 4 000 Messpunkten umgesetzt wurde: eine banale Bauaufgabe, in einer rätselhaften Skulptur zum Verschwinden gebracht.db, Di., 2011.02.08
08. Februar 2011 Christoph Gunßer
Vergelt's Gott
(SUBTITLE) Energiezentrale der Erzabtei St. Ottilien
Noch vor kurzem wurde in der Erzabtei St. Ottilien jedes Jahr eine dreiviertel Million Liter Heizöl verbrannt. Heute setzen die Mönche bei der Energie- und Wärmeerzeugung auf nachwachsende Rohstoffe. Die neue Energiezentrale ist zeichenhafter Ausdruck dieses ökologischen und technologischen Modernisierungsprozesses, steht zugleich aber auch für eine architektonische Erneuerung.
Abseits der Hauptverkehrsstraßen liegt die Erzabtei St. Ottilien in der sanft hügeligen Wald- und Wiesenlandschaft zwischen Fürstenfeldbruck und Landsberg. Doch es geht dort weitaus weniger beschaulich zu als diese Ortsbeschreibung zunächst vermuten lässt. Dafür sorgen rund 100 Mönche, 750 Schüler eines kirchlichen Gymnasiums, ein Gästehaus mit 120 Betten, ein Restaurant, ein Biergarten, zahlreiche Werkstätten, ein Verlag, zwei Museen und nicht zuletzt die großen Anlagen der Land- und Viehwirtschaft. Anders als das nur 30 km entfernte Kloster Andechs steht das Stammhaus der weltweit tätigen Missionsbenediktiner von St. Ottilien jedoch weniger für eine oberbayerische Bilderbuchidylle als vielmehr für einen ganz im Zeichen des Leitspruchs »ora et labora« stehenden Kloster- und Wirtschaftsbetrieb. So verfügt das 1887 gegründete Kloster zwar über einen kompakten baulichen Kern aus Kirche und nichtöffentlichen Klostergebäuden, der Rest allerdings besteht aus eher unprätentiösen und ungleichmäßig auf dem Gelände verteilten Zweckbauten.
Mehr als eine geheimnisvolle Lichtskulptur
Unmittelbar am nördlichen Rand des Klostergeländes lässt ein Neubau innehalten. Die Energiezentrale verwandelt sich allabendlich von einem zurückhaltenden grauen Quader in eine geheimnisvolle Lichtskulptur. In langsam ineinander übergehenden oder rhythmisch pulsierenden Farbsequenzen tauchen die technischen Innereien des transluzenten Körpers dann immer wieder aufs Neue schemenhaft aus der Dunkelheit des Innenraums auf, um anschließend wieder in derselben unterzugehen. Spätestens beim Blick auf die in einem Besucherstand an der Westfassade untergebrachten Schautafeln mit Energiekennwerten und Wärmebildern der Altbauten wird klar, dass es hierbei nicht nur um ästhetische Farbspielereien mit Heizkesseln und Rohrleitungen geht, sondern um die Inszenierung eines für die Erzabtei in vielerlei Hinsicht zukunftsweisenden »Leuchtturmprojekts«.
Landwirte werden zu Energiewirten
Am Anfang stand die Erkenntnis, dass das Klosterdorf mit seinen 45 Gebäuden über mehrere dezentrale, ebenso überdimensionierte wie ineffiziente Heizkessel verfügte. Nicht zuletzt auf Initiative eines als Cellerar sowie Physik- und Mathematiklehrer tätigen Mitbruders machten sich die Mönche gemeinsam mit der Münchener Forschungsstelle für Energiewirtschaft zunächst daran, den tatsächlichen Energiebedarf zu ermitteln. Daraus ging u. a. hervor, dass die Wärmeleistung bei 4 MW lag, der Bedarf aber selbst bei winterlichen -16 °C lediglich die Hälfte betrug. Die anschließend entwickelte Strategie für eine ökologischere, effizientere und kostengünstigere Energie- und Wärmeversorgung beinhaltete die kombinierte Nutzung von Biogas und Hackschnitzeln mit Wärmerückgewinnung und großem Pufferspeicher sowie die Einrichtung eines neuen Heizungsnetzes mit vielfältigen Überwachungs- und Steuerungsmöglichkeiten. Mit Fertigstellung der Biogasanlage Ende 2010 werden heute 25 % des Gesamtwärmebedarfs durch Biogas aus Gülle, Gras bzw. Mais und 60 % durch Hackschnitzel überwiegend aus eigenen Wäldern gedeckt – Heizöl wird in zwei Heizkesseln aus dem Bestand nur noch zur Deckung winterlicher Spitzenlasten eingesetzt. 85 % erneuerbare Energien aus lokal verfügbaren Ressourcen ermöglichen – auch ohne die noch bevorstehende energetische Sanierung der Gebäude – ökologisch nachhaltiges Wirtschaften und deutlich reduzierte CO2-Emissionen. Gleichzeitig stehen sie aber auch für Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und langfristige Kosteneinsparungen.
Unsichtbares sichtbar machen
Über diesen technologischen Innovationsschub hinaus sollte die Energiezentrale für das Kloster auch gestalterisch neue Maßstäbe setzen. Aus diesem Grund wollten die Mönche von Anfang an keinen gesichtslosen Industriebau, sondern zeitgemäße Architektur, die mit einfachen Mitteln transparent macht, welche Aufgaben es hier zu bewältigen gilt. In diesem Sinne entwickelte das Atelier Lüps zwei freistehende, unterirdisch verknüpfte Bauten: das niedrige Hackschnitzel-Lager mit 400 m³ Fassungsvermögen und die Energiezentrale. Letztere präsentiert sich als zurückhaltender Baukörper mit niedrigem Sichtbetonsockel und filigraner Gebäudehülle aus transluzenten Polycarbonat-Doppelstegplatten, hinter der sich schemenhaft sowohl ein dreigeschossiger, roter Betonquader mit Technikräumen wie auch die große Halle mit Heizkesseln und Pufferspeicher (55 m³) erahnen lassen. Konstruktiv besteht die Halle aus einer einfachen Stahlrahmenkonstruktion, die über einen Verbund aus horizontalen und schräg gestellten Holzelementen ausgesteift wird. Diese »Aststruktur« dient zur Aufnahme der Windlasten und steht zugleich symbolisch für das Wachstum des hier in Strom und Wärme umgewandelten Rohstoffs Holz. Für dessen eher untypische Verwendung innerhalb eines Stahlrahmenbaus sprach aber auch, dass es sich hierbei um einen Baustoff aus eigener Erzeugung handelt, der sich problemlos in den Werkstätten des Klosters bearbeiten ließ.
Gestaltungsspielräume durch Eigenleistung
Die Realisierung zahlreicher Bauarbeiten in Eigenleistung – hiervon vollständig ausgenommen waren lediglich Beton- und Stahl-Rohbauarbeiten – führte nicht nur zu enormen Kosteneinsparungen, sie machte auch viele gestalterische Lösungen möglich, deren Planung in der parallelen Abstimmung mit externen Firmen und der Erzabtei zu aufwendig oder zu langwierig geworden wäre. Dazu zählt die »Aststruktur« der Gebäudehülle oder die Farbkompositionen an Innenwänden und -decken ebenso wie das kugelförmige »Lichtobjekt«, das allabendlich die in den Kesseln verborgene Energie sichtbar machen soll. Auf Grundlage fraktaler Lindenmayer-Systeme entwickelten die Architekten hierzu ein baumartig verästeltes Gebilde aus nahezu identischen Stahlrohren und 300 RGB-LEDs. Durch die jeweils in kleinen Gruppen ansteuerbaren LEDs entstehen jene frei programmierbaren »Lichtschwärme«, die von den Doppelstegen der Polycarbonatplatten in alle Richtungen reflektiert werden und damit den sphärischen Eindruck einer großflächig illuminierten Gebäudehülle erzeugen. Anfängliche Bedenken einiger Mitbrüder, dass hier eine Art bunte Oktoberfeststimmung entstehen könnte, haben sich rasch zerstreut. Das liegt sicherlich daran, dass Kloster und Architekten in Planung bzw. Bauausführung von Anfang eng zusammenarbeiteten – fast selbstverständlich ist es daher, dass die von Mauritz Lüps angenehm ruhig programmierten Standard-Lichtszenarien mittels Fernbedienung von den Mönchen mühelos umkonfiguriert werden können. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Lichtinszenierung keine aufgesetzte Spielerei, sondern längst Teil des Klosteralltags ist – etwa indem die Mönche die Farbigkeit oder die Geschwindigkeit der Farbwechsel an aktuelle liturgische Gegebenheiten anpassen.
Als Leuchtturmprojekt werden mit der Energiezentrale nicht nur praktische, sondern auch pädagogische Ziele verfolgt. So zeigt sie einerseits, dass die Versorgung mit erneuerbaren Energien keine Utopie ist. Andrerseits steht das Projekt aber auch im Einklang mit der von Demut, Offenheit und einer großen Affinität zu ästhetischen Fragen geprägten Lebensphilosophie der Missionsbenediktinermönche. Für Erzabt Jeremias, vor acht Jahren zu einem der jüngsten Erzäbte St. Ottiliens gewählt und als Abtpräses auch für rund 1 000 Mönche in weltweit 19 selbstständigen Klöstern und 50 Niederlassungen verantwortlich, ist Spiritualität gleichbedeutend mit der »Ordnung von Raum und Zeit«. Dazu zählt für ihn ganz selbstverständlich, dass Bauaufgaben nicht irgendwie, sondern mit Anspruch und durchaus auch mit Vorbildfunktion erledigt werden – nicht nur in der Erzabtei selbst, sondern auch in den Klöstern, die noch immer von St. Ottilien aus auf fast allen Kontinenten neu gegründet werden.
Die Wirkung der neuen Heizzentrale lässt sich auch als ein sanftes »Missionieren« sehen. Sie ist so zurückhaltend einfach gestaltet, dass viele sie gar nicht wahrnehmen werden. Die feinen Farb- und Lichtinszenierungen werten den heterogenen nördlichen Rand des Geländes dennoch enorm auf – untertags ebenso wie in der Dunkelheit. Der Baukörper steht selbstbewusst und zugleich selbstverständlich da und erzählt bereitwillig, aber unaufdringlich von seinen Aufgaben. Für jeden Passanten, der sich kurz auf ihn einlässt, hält er bei näherer Betrachtung eine tolle Geschichte parat. Danach können die Besucher das Kloster mit anderen Augen sehen …db, Di., 2011.02.08
08. Februar 2011 Roland Pawlitschko
Abgang mit Glanz
(SUBTITLE) Zentrale Müllsammelstelle in Pamplona
Idyllisches, vom Mittelalter geprägtes Pamplona. Immer mehr Menschen möchten hier wohnen, wo die Lebensqualität hoch und der Weinberg vor der Haustür ist. Doch mit den Einwohnern vermehrt sich der Müll. Die Architekten fanden, ein Bauwerk, das Wertstoffe sammelt und weiterverarbeitet, müsse sich nicht verstecken. Durch verwinkelte Geometrie und kräftige Farben macht der Bau auf sich aufmerksam. Ironisch verweisen die verbeulten Fassadenpaneele auf unsere Wegwerfgesellschaft und die Vorgänge im Innern.
Am Ende wird es meist trostlos. Dabei fängt es so schön an: In sorgsam gestalteter Innenarchitektur kaufen wir Produkte in sorgsam gestalteten Verpackungen, deren Investoren, Entwickler und Werber in sorgsam gestalteter Architektur sitzen. Das Produkt wird rundum mit Design umschmeichelt: Es soll sich verkaufen. Doch am Ende landet es im Müll, und von da an ist es vorbei mit der Schmeichelei. Müll und Architektur, die Bilder im Kopf verbinden sich nur schwer. Das Ende sollte nicht trostlos sein, und so planten die Architekten des Büros Vaillo + Irigaray eine Müllsammelstation, die mit einer Portion Selbstironie den Abgang mit Glanz ermöglicht.
Wachsende Stadt, wachsender Müllberg
Die Architekten leben und arbeiten in Pamplona in der nordspanischen Region Navarra und prägen bereits das Bild dieser Stadt mit einigen Neubauten. Seit den 60er Jahren verdoppelte sich die Einwohnerzahl auf fast 200 000. Besonders der letzte Bauboom seit 2000 brachte der Stadt zahlreiche Neubaugebiete, die ringförmig um den historischen Stadtkern wachsen.
Für Architekten gibt es daher viel zu tun: Im Osten der Stadt wartet ein fertiges Straßenraster in der Größe mehrerer Fußballfelder auf seine Bebauung mit Wohnkomplexen und Infrastruktur. Das Büro Vaillo + Irigaray erarbeitete dazu die Masterpläne. Trotz Krise und noch leerer Baufelder sind die Architekten optimistisch, wie Antonio Vaillo erklärt: »Vor der Krise wäre das in fünf Jahren komplett bebaut gewesen, jetzt verzögert sich das ein wenig, aber auch danach wird es schnell weitergehen.« Die Krise, in Pamplona scheinbar ein vorübergehendes Problem. Ein dauerndes dagegen ist der Müll, der zusammen mit den Wohnvierteln der Stadt rasant wächst. Besonders die Sammlung und der Abtransport von Müll sind teuer und verbrauchen Energie und Fläche. Hier, in diesem Neubaugebiet, setzt die Stadt Pamplona daher auf eine neue Müllsortierung mit Vakuumtechnik, für die eine schwedische Firma die Technik und Vaillo + Irigaray Architekten das Gebäude planen sollten, »den Magen des Stadtviertels«, wie Vaillo erklärt. »Der Müll kommt hier an, wird umgewandelt und weitertransportiert.«
Form follows process
So funktioniert das System: Die Bewohner trennen ihren Müll nach Plastik, Glas, Papier und Restmüll und entsorgen ihn in öffentlichen Sammelcontainern. Diese schließen über Klappen auf ihrer Unterseite an ein unterirdisches Kanalsystem an, das mit einer zentralen Sammelstelle verbunden ist. Luft saugt den Müll durch die Kanäle bis an die Sammelstelle. Dort wird dem Müll Luft entzogen und Pressen formen ihn zu einem kompakten Paket. An vier LKW-Ladestationen »wartet« der Müll auf seinen Abtransport in die Recyclinganlage. Der Prozess ist vollautomatisiert, nur ein einzelner Mitarbeiter muss die Vorgänge kontrollieren, von einem gläsernen Kontrollraum aus. Rohre, Filter, Pressen und Turbinen bilden die Maschinerie. Vaillo erklärt: »Unsere einzige Bauvorgabe waren die Ausmaße der Vakuum-Anlage.« Die Prozesse im Innern bestimmen die Form des Gebäudes: Die Knicke in der Kubatur und die abgewinkelten Grundrisse folgen dem Rohrverlauf der Maschine. Schalldichte Raumabtrennungen schirmen den Lärm der Turbinen nach außen ab. Die Fensterflächen belichten den oberen Maschinen- und Kontrollraum, Lamellen verdecken die Abluftöffnung des Filters und leiten die Luft nach oben, große Tore im EG ermöglichen die LKW-Beladung. Durch ein kleines Bullauge lässt sich aus dem Kontrollraum die Zufahrt zur LKW-Beladung beobachten. Es ist ein funktionales, ökonomisches Gebäude aus Beton, mit einfachen, stählernen Einbauten und einem grauen Industrieboden, insgesamt lag das Baubudget unter 1 000 Euro/m². Funktional und finanziell war wenig Luft für Gestaltung, selbst die Farbe der Innenwände war vom Betreiber vorgegeben. Die Gestaltung konzentriert sich daher auf die Fassade, die als Imageträger für die Stadt, die Betreiber der Anlage und auch die Architekten selbst wichtig ist.
Müll ummantelt Müll
Für die Fassade hatten die Architekten die Idee, Altmaterial mit Altmaterial zu umhüllen. Sie wählten recycelte Aluminiumpaneele, die Dach und Fassade im Patchwork bekleiden. Ideengeber für Farbe und Form war aber ein anderes Material: Ursprünglich wollten sie bunte Paneele aus gepresstem Altkunststoff einsetzen, die ein Zwischenprodukt auf dem Weg zur Weiterverarbeitung sind. »Die bunte und unebene Beschaffenheit der Platten gefiel uns, dazu waren sie sehr ökonomisch. Weil sie aber aus unterschiedlichen Kunststoffen zusammengemischt waren, erfüllten sie die Brandschutzauflagen nicht.« So versuchten die Architekten mit Aluminium in grünen und gelben Lackierungen und mit einer Wölbung der Platten, eine ähnliche Wirkung zu erzielen: Aus der Ferne wirkt die Fassade homogen, ikonenhaft, das Gebäude erscheint größer als es ist. Aus der Nähe erkennt man die großen Maße der Fassadenpaneele von jeweils 1,5 x 2,5 m, ihre Tiefe und unterschiedliche Farbigkeit, das Gebäude verliert seine Zeichenhaftigkeit und Größe und gewinnt an Profil. Und erst der nahe Blick auf das Gebäude verrät dessen Funktion.
Die Umsetzung der Konstruktion mit Aluminium war einfach, wie Vaillo erklärt: »Die Paneele lassen sich wie Papier formen, die Wölbungen entstehen dabei durch die Einspannung des Paneels.« Mit Schrauben werden Spannung und Abstand der Paneele zur Unterkonstruktion justiert und somit das Paneel in die Wölbung gebracht. Der Glanz der gebogenen Paneele überzieht den Bau wie eine Lackschicht und verändert die Ansichten je nach Wetterlage. Bei bedecktem Himmel wirkt das Gebäude naturnah, zwischen gelb-braunen Feldern und grünen Wäldern, bei Sonnenlicht blitzen die Paneele der Fassade so grell, dass die Augen blinzeln müssen – ein blitzblankes Meister-Proper-Strahlen. »Die Idee ist, das negative Image von Müllanlagen zu verbessern« erklärt Vaillo und schwärmt dann, »das Vakuumsystem ist ein solch sauberer Prozess. Nichts stinkt, nichts ist verdreckt.«
Immer wieder Recycling
Die Strukturfassade aus Recyclingmaterial ist ein wiederkehrendes Element in der Architektur von Vaillo + Irigaray. Ironie ist oft dabei. Für eine Straßenwachtstation füllten sie Drahtkörbe mit geplatzten Autoreifen und bildeten daraus die Fassade. Für ein Restaurant sammelten sie leere Weinflaschen und verkleideten damit die Rückwand des Gastraums. Bei einer Lounge führten sie eine Hecke optisch mit grünen Röhren aus Recyclingplastik fort, »Aufforstung« nannten die Architekten das. Diesmal also sauber automatisierter Recyclingglanz, dem man fast glauben könnte, dass Müll nicht trostlos sei und dass Recycling die Endlichkeit beende. Kein Ende, keine Trostlosigkeit? Schöne, saubere Welt.db, Di., 2011.02.08
08. Februar 2011 Rosa Grewe