Editorial

Dass Gebäude für einen grossen Teil des Energiebedarfs und der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, wissen mittlerweile auch Nichtfachleute. Aber wo muss man ansetzen, um diese Auswirkungen zu reduzieren? Da wird es auch für Fachleute schnell komplex. Wo zieht man die Systemgrenzen? Betrachtet man nur die Betriebsenergie oder auch die graue Energie, also die für die Herstellung der Baustoffe, die Erstellung und den Rückbau des Gebäudes aufgewendete Energie? Bezieht man gar noch die durch das Gebäude induzierte Mobilität mit ein, wie es der SIA-Effizienzpfad Energie tut? Dazu kommt, dass sich mit der Optimierung eines Energiebereichs möglicherweise ein anderer verschlechtert. Und dann gibt es auch noch den Nutzer als nicht «berechenbaren» Einflussfaktor, der oft nicht berücksichtigt wird. Für Bauherrschaften schliesslich stellt sich die Frage der Mehrkosten für Optimierungsmassnahmen.

Hilfreich für die Klärung solcher Fragen sind Vergleiche konkreter, gebauter Beispiele. Zwei Studien – zu den wichtigsten Einflussgrössen auf die graue Energie und zu den Mehrkosten für Minergie-P – stellen wir in diesem Heft vor («Graue Energie: wo optimieren?», «Mehrkosten von Minergie-P»). Bei den Gebäuden, deren Kennwerte diese Studien vergleichen, wurde mit verschiedenen Ansätzen versucht, den Energieaufwand zu minimieren. Das im November 2010 vom Departement Architektur der ETH Zürich veröffentlichte Positionspapier «Towards Zero-Emissions Architecture»[1] stellt diesen Fokus allerdings grundsätzlich infrage und fordert einen Paradigmenwechsel vom Energiesparen hin zur Emissionsfreiheit von Gebäuden. Das Bild der «Isolationshaft», aus der die Entwerfer befreit werden müssten, wurde in diesem Zusammenhang geprägt. In ihrer Stellungnahme («Energiedebatte – Standpunkt des SIA») erläutert die SIA-Energiekommission, warum weder ein einseitiger Fokus auf das Energiesparen noch auf Emissionsfreiheit sinnvoll ist, sondern dass es beides braucht. Ähnlich plädiert auch Werner Waldhauser dafür, sich gesamtheitlich mit dem Energieproblem auseinanderzusetzen («Gesamtbetrachtung wünschenswert»). Dass trotz «Isolationshaft» attraktive Gebäude entstehen können, zeigt ein Plusenergiehaus in Münsingen, das wir in einem weiteren Artikel vorstellen («Einfamilien-Wohnkraftwerk»). Aber auch bei Plusenergiehäusern stellt sich wiederum die Frage: Welche Ener-giebereiche betrachte ich, und wo ziehe ich die Systemgrenzen? Energien zu bilanzieren bleibt vielschichtig.
Claudia Carle

Anmerkung:
[01] Download Positionspapier:
www.arch.ethz.ch/darch/zero-emissions.php?lang=de

Hinweis der Redaktion
: Die für diese TEC21-Ausgabe ursprünglich geplanten und in der Vorschau angegebenen Themenartikel erscheinen aus produktionstechnischen Gründen in TEC21 15/2011 vom 8. April.

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Verwaltungsbau Schwanengasse, Bern | 1. Foundation Award | Zug: Vom Zeughaus-
areal zum Stadtgarten

14 MAGAZIN
Wald-Klimaschutzprojekt in Schwyz | Erweiterung Kongresszentrum Davos | Gesamt
betrachtung wünschenswert

18 PERSÖNLICH
Kurt Winkler: «Lawinenprognostik ist Handarbeit»

32 GRAUE ENERGIE: WO OPTIMIEREN?
Heinrich Gugerli, Yvonne Züger-Fürer Ein Vergleich von sieben Gebäuden der Stadt Zürich zeigt, welches die wichtigsten Faktoren sind, um die für die Erstellung benötigte Energie zu reduzieren.

36 MEHRKOSTEN VON MINERGIE-P
Armin Binz Eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz quantifiziert die Mehrkos
ten von Minergie-P-Häusern auf Basis zweier beste-hender Gebäude.

39 EINFAMILIEN-WOHNKRAFTWERK
Tina Cieslik Ein Plusenergiehaus in Münsingen BE übersetzt die Themen Siedlungsplanung, Energie, Wohnkomfort, Ökologie und Ökonomie in einen auch architektonisch überzeugenden Bau.

44 SIA
Energiedebatte – Standpunkt des SIA | Neue Norm Baukostenplan Tiefbau | Aktivitäten im Energiebereich | «Leadership Erneuerung» nachgefragt | Vernehmlassung Teilrevision SIA 265 | Schülerworkshop «Saper vedere»

51 FIRMEN

Graue Energie: Wo optimieren?

Je niedriger der Betriebsenergiebedarf eines Gebäudes ist, umso mehr fällt die für die Erstellung eingesetzte Energie in einer Lebenszyklusbetrachtung ins Gewicht. Damit rückt die Optimierung dieser sogenannten grauen Energie ins Blickfeld. Welche Parameter eines Gebäudes dabei den stärksten Ausschlag geben, zeigt ein Vergleich von drei Neubauten und vier instandgestellten Gebäuden der Stadt Zürich.

53 % der gesamten durch ein neues Wohngebäude bestimmten Treibhausgasemissionen entfallen gemäss Merkblatt SIA 2040 SIA-Effizienzpfad Energie1 auf die Erstellung, lediglich 16 % auf die Betriebsenergie und 31 % auf die durch das Gebäude verursachte Mobilität (Abb. 11). Diese Richtwerte beziehen sich auf 2000-Watt-kompatible Gebäude. Betrachtet man anstelle der Treibhausgasemissionen die nicht erneuerbare Primärenergie, verschieben sich die Anteile, weil die Baustoffproduktion wesentlich mehr Treibhausgasemissionen je Energieeinheit verursacht als die Betriebsenergie. 25 % entfallen auf die Erstellung, 45 % auf die Betriebsenergie und 30 % auf die Mobilität. Ohne Optimierung der grauen Treibhausgasemissionen und der grauen Energie sind klimaverträgliche und ressourceneffiziente Häuser also kaum denkbar.

Herausforderung für das Planungsteam

Trotz der immensen Bedeutung mangelt es jedoch an Vorgaben für die Erstellungsenergie von Gebäuden, ganz im Gegensatz zur Betriebsenergie, die durch eine Vielzahl von Normen und Vorschriften geregelt ist. Im SIA-Effizienzpfad Energie werden erstmals entsprechende Richtwerte für graue Energie und graue Treibhausgasemissionen festgelegt.[1] Bei einer gesamtheitlichen Quantifizierung stellt sich die Frage, welcher Fachplaner damit beauftragt wird: die Architektin? Der Kostenplaner? Die Bauphysikerin? Davon unabhängig muss sichergestellt sein, dass der Gesamtleiter der Planung, also in der Regel die Architektin, die relevanten Parameter zur Optimierung der grauen Energie respektive der grauen Treibhausgasemissionen kennt. Diese Verantwortlichkeit ist insofern von Bedeutung, als der Erstellungsaufwand sehr stark vom Gebäudekonzept abhängig ist – also von der Form und der Kompaktheit eines Gebäudes, vom statischen Konzept und von der Materialisierung. Da mit einer zunehmenden Sensibilisierung von Bauherrschaften für dieses Thema zu rechnen ist, sind der Architekt und sein Fachplanungsteam gleichermassen gefordert.

Instandsetzung oder Neubau?

Aus energetischer Sicht kann die Frage, ob ein Ersatzneubau einer Sanierung vorzuziehen sei, nicht generell beantwortet werden. Zwar braucht die Instandsetzung nur rund die Hälfte an grauer Energie im Vergleich zum Neubau, weil der Aushub der Baugrube und die Primärstruktur des Gebäudes bereits als abgeschrieben gelten. Dies ist mit ein Grund, dass die 2000-Watt-Kompatibilität fallweise mit einer Instandsetzung günstiger erreicht werden kann als mit einem Neubau, obwohl die Betriebsenergie im sanierten Haus in der Regel grösser ist. Häufig halten sich aber bei einem Neubau der Mehraufwand an grauer Energie und der Minderaufwand im Betrieb gegenüber einer Instandsetzung die Waage. 2000-Watt-verträgliche Lösungen lassen sich demnach mit beiden Strategien verfolgen. Energieeffizienz alleine kann daher kein Grund sein, ein Gebäude abzureissen. Ausschlaggebend für die Abwägung zwischen Ersatzneubau und Instandsetzung sind vielmehr die Gebrauchstauglichkeit, Grundrisse mit hoher Flexibilität und das Erweiterungspotenzial eines Objektes, mitunter auch baurechtliche Fragen, beispielsweise Grenzabstände.

Instandsetzungen: Gebäudetechnik schlägt zu Buche

Das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich hat von sieben städtischen Gebäuden – vier Instandsetzungen und drei Neubauten – den Erstellungs- respektive Instandsetzungsaufwand detailliert erhoben (Abb. 1 bis 7, 12).[2] Die Auswertung zeigt, dass die Baugrube und die Tragstruktur in einer Bilanz der Treibhausgase kräftig zu Buche schlagen. Bei den drei Neubauten entfallen gut ein Drittel bis knapp die Hälfte der Treibhausgasemissionen durch die Erstellung auf diese Positionen. Bei den Instandsetzungen sind diese Anteile naturgemäss sehr viel kleiner. Plausibel ist auch der Befund, dass der Aufwand für die Gebäudetechnik in ihrer absoluten Grösse weitgehend unabhängig davon ist, ob das Gebäude neu erstellt oder instandgesetzt wird. Durch diese Übereinstimmung in den absoluten Grössen ergeben sich bei Instandsetzungen grosse Anteile für die gebäudetechnischen Installationen, wie die Beispiele Dorflinde und Milchbuck illustrieren. Im Altersheim Dorflinde entfallen über 40 % der grauen Treibhausgasemissionen auf diese Position. Erheblich sind auch die durch die Herstellung der Fenster und den Innenausbau verursachten Treibhausgasemissionen.

Grosse Bedeutung von Ausmass und Materialisierung

Die Interpretation der Daten zeigt auch, dass die Materialisierung und das Ausmass der Bauteile, bezogen auf die Energiebezugsfläche, von grosser Bedeutung sind. Typisch dafür ist das Schulhaus Holderbach mit nur zwei Vollgeschossen, dessen Aussenbauteile, insbesondere das Dach, im Verhältnis zur Energiebezugsfläche ein grosses Ausmass haben. Das Objekt in der für die 1950er-Jahre typischen Pavillonbauweise ist wenig kompakt. Dass der Schulhaustrakt bei der Instandsetzung wiederum mit Aluminium eingedeckt wurde, akzentuiert diesen Effekt.

Der Stellenwert der Materialisierung – als Folge der gewählten Konstruktion – kommt auch in einem Vergleich der Aussenwände in der Wohnsiedlung Paradies und im Altersheim Dorflinde zum Ausdruck. Im «Paradies» fallen die Putzträgerplatten der hinterlüfteten Fassade und die Unterkonstruktion aus Aluminium ins Gewicht, während die 18 cm Steinwolle sich nur marginal auswirken. In der «Dorflinde» dagegen wird die Aussenwand raumseitig mit 14 cm Porenbeton nachgerüstet. Diese Lösung kommt ohne Verkleidung und Unterkonstruktion aus, was zu sehr tiefen Werten der grauen Energie führt (Abb. 8–10). Sofern die bauphysikalischen Bedingungen gegeben sind, erweist sich eine Innendämmung als vorteilhaft, umso mehr, als dadurch – wie im Fall «Dorflinde» – die Fassade keine grundlegenden Eingriffe erfährt und dadurch die architektonische Qualität erhalten bleibt.

Die Kompaktheit eines Gebäudes ist also einer der wichtigsten Faktoren bei der Optimierung des Erstellungsaufwandes. Die Daten zeigen aber auch, dass die im Effizienzpfad Energie dokumentierten Richtwerte bei Instandsetzungen – trotz grosser Eingriffstiefe – dank sorgfältiger Materialwahl erreicht werden können.[3]

Hilfsmittel zur Berechnung

Mit dem Merkblatt 2032 hat der SIA für die Planung eine praxisgerechte Methode zur Berechnung der grauen Energie nach einheitlichen Grundsätzen geschaffen.[4] Mit den «Ökobilanzdaten im Baubereich» ist eine aktuelle Datengrundlage mit repräsentativen Daten für den schweizerischen Baustoffmarkt vorhanden.[5]

Den interessierten Planenden und Auftraggebern stehen mittlerweile geeignete Hilfsmittel zur Berücksichtigung von grauen Daten bei der Erstellung oder der Instandsetzung zur Verfügung, beispielsweise die ECO-BKP-Merkblätter für Instandsetzungen und Neubauten[6] sowie die Zertifizierung nach Minergie-Eco. Geeignet für die Berechnung sind das webgestützte Tool www.bauteilkatalog.ch sowie – für eine grobe Orientierung in Vorstudien oder Vorprojekten – der Anhang D des SIA-Merkblattes 2032 Graue Energie von Gebäuden.

Wichtig ist dabei, dass die Datenerhebung und die Optimierung frühzeitig erfolgen. Bauten nach dem SIA-Effizienzpfad Energie, nach Minergie-Eco 2011 und nach dem neuen Standard Minergie-A, der Anfang März 2011 lanciert werden soll, bedingen ohnehin einen Nachweis der grauen Energie.


Anmerkungen:
[01] Merkblatt SIA 2040 SIA-Effizienzpfad Energie, in Vernehmlassung, Zürich 2010
[02] Fürer, Yvonne; Heinrich Gugerli: Graue Energie und Graue Treibhausgasemissionen von Instandsetzungen. 16. Status-Seminar, 2. und 3. September 2010, ETH Zürich
[03] Instandsetzung. Das Potenzial liegt im Bestand. Stadt Zürich, Hochbaudepartement, 2011. www.stadt-zuerich.ch/nachhaltiges-bauen
[04] Merkblatt 2032 Graue Energie von Gebäuden, SIA, Zürich 2009
[05] Empfehlung 2009/1 Ökobilanzdaten im Baubereich, KBOB, eco-bau, IPB, Bern 2009, www.kbob.ch
[06] Eco-BKP 2009. Merkblätter zum ökologischen Bauen nach Baukostenplan BKP, Verein eco-bau, Bern 2009, www.eco-bau.ch

Weitere Informationen:
www.stadt-zuerich.ch/nachhaltiges-bauen

TEC21, Fr., 2011.01.28

28. Januar 2011 Yvonne Züger-Fürer, Heinrich Gugerli

Mehrkosten von Minergie-P

Zu den Mehrkosten von Minergie-P-Häusern gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz quantifiziert nun diese zusätzlichen – stark schwankenden – Kosten: Zwischen 11 % und 14 % kostet ein Minergie-P-Haus demnach mehr als ein nach den geltenden Vorschriften realisiertes Haus.

Mehr als 500 Gebäude tragen mittlerweile das Label Minergie-P. Mit der wachsenden Erfahrung mit dieser Bauweise werden die Angaben zu den Mehrkosten verlässlicher und klarer. Bisher reichten sie von doppelten Kosten bis zu Minderkosten, weil auf eine konventionelle Heizung verzichtet werden kann. Eine neue Studie1 quantifiziert die Mehrkosten. Als Basis dient ein klassisches Verfahren: Die Baukostenabrechnungen von zwei bestehenden Minergie-P-Gebäuden wurden analysiert. Daraufhin wurden sie fiktiv zu knapp energiegesetzkonformen Gebäuden «zurückentwickelt» und dann die Kosten erneut kalkuliert. Dieser Ansatz liefert eindeutige Zahlen.

Kostenunterschiede: EFH und MFH im Vergleich

Es wurden ein Mehrfamilienhaus und ein Einfamilienhaus untersucht. Der Heizwärmebedarf liegt beim MFH bei rund 10 kWh/m2a und beim EFH bei rund 14 kWh/m2a. Es wurden bewusst zwei bezüglich Kostenvoraussetzungen weit auseinanderliegende Gebäude gewählt: einerseits ein kompaktes, einfaches Mehrfamilienhaus und andererseits ein Einfamilienhaus an schwieriger Hanglage. Die Untersuchungen zeigen, dass die Kostenunterschiede infolge Minergie-P-Standard viel kleiner sind als die Kostenunterschiede, die durch andere Faktoren bestimmt sind.

Das Mehrfamilienhaus (Abb. 4) steht in Münchwilen AG und umfasst 16 Wohnungen mit einer gesamten Energiebezugsfläche von 2062 m². Es wurde in Massivbauweise (Backstein respektive Beton) errichtet und mit einer verputzten Aussendämmung versehen. Die Wärmeerzeugung für Heizung und Warmwasser erfolgt durch eine zentrale Holzpelletfeuerung. Sonnenkollektoren ergänzen die Warmwassererwärmung. Das Einfamilienhaus (Abb. 3) hingegen steht an relativ steiler Hanglage in Gelterkinden BL. Das Gebäude wurde in gemischter Bauweise erstellt: Tragkonstruktion und aussteifende Treppen aus Ortbeton (innen zumeist als Sichtbeton), Gebäudehülle aus vorfabrizierten, hochwärmegedämmten Holzelementen. Die Wärmeerzeugung für Heizung und Warmwasser erfolgt über eine Luft-Luft- Wärmepumpe, unterstützt durch eine Holzfeuerung, thermische Solarenergie für das Warmwasser und in geringem Ausmass elektrische Direktwärme. Die Erhöhung der Baukosten bzw. die Mehrkosten in Prozent der Basiskosten und in Franken pro Quadratmeter Energiebezugsfläche (EBF) sind gemäss Elementkostengliederung (EKG/CRB) ermittelt. Bei beiden Gebäuden wurde dabei für die Wärmeerzeugung eine Ölheizung inklusive Öltank und Kamin eingerechnet.

Methodische Knacknüsse

Die beiden Gebäudevarianten sind eigentlich nur noch bedingt miteinander vergleichbar, weil durch die fiktive Rückentwicklung aus einem Qualitätsprodukt ein Billighaus gemacht wird: So fehlen die Komfortlüftung mit Feinstaub- und Pollenfilter, die Motorisierung der Storen – die beim Minergie-P-Gebäude die Wärmebrücken der Kurbeldurchstiche verhindert – und auch die Hochleistungsverglasungen, die bei den heute üblichen grossen Fensterformaten im Wohnbereich von Minergie-P-Gebäuden ein behagliches Sitzen in Fensternähe ermöglichen. So betrachtet ist die Frage der Rentabilität der Minergie-P-Bauweise ein Kuriosum. Bei anderen Qualitätsunterschieden, wie bei Einbauten oder den gewählten Materialien, entsteht dieser Anspruch gar nie. Erst die Tatsache, dass die Minergie-P-Bauweise nicht nur eine höhere Wohn- und Bauqualität liefert, sondern auch noch Energie spart (und der Entscheid oft deswegen gefällt wird), lässt die Berechnung von betriebswirtschaftlichen Grössen überhaupt zu, und entsprechende Ansprüche an die «Rentabilität» entstehen.

Im Rahmen einer umfassenden Wirtschaftlichkeitsbetrachtung müssen neben den reinen Investitionsmehrkosten noch zwei weitere Effekte berücksichtigt werden: die Heizenergiekosten und die Ausnützungsziffer und Nutzfläche. Für die Berechnungen wurden bezüglich der Heizenergiekosten konservative Annahmen getroffen (Heizöl 10 Rp/kWh, Holzpellets 7.2 Rp/kWh, Elektrizität 20 Rp/kWh, ohne weitere Teuerung) und der Barwert der Energiekosteneinsparung über 25 Jahre berechnet.

Bei der Betrachtung des Einflusses der dickeren Aussenwände von Minergie-P-Gebäuden auf die Nutzfläche bzw. den Mietertrag sind zwei Fälle zu unterscheiden: Es gibt Bauordnungen, bei denen die Ausnützungs- oder Bauziffer unabhängig von der Wandstärke aufgrund der Gebäudeaussenmasse berechnet wird. In diesen Fällen geht die zusätzliche Wandstärke der Minergie-P-Gebäude voll zulasten der Nutzfläche (nachfolgend AZ1 genannt). Um diesen Verlust an Mietertrag aufgrund der besseren Wärmedämmung zu kompensieren, rechnen viele Gemeinden die zusätzliche Wärmedämmung nicht mehr zur Ausnützungsziffer (nachfolgend AZ2 genannt). In diesen Fällen bleiben die Nutzfläche bzw. der Mietertrag auch bei der Minergie-P-Bauweise unverändert, während die Aussenmasse etwas grösser werden.

Definition der Ausnützungsziffer bestimmt Resultate mit

Bei der Mehrkostenanalyse zum MFH fällt auf, dass für den Fall AZ1 (äusserer Gebäudegrundriss bleibt erhalten, Nutzflächenverlust) die Konstruktion des Minergie-P-Gebäudes geringfügig billiger ist (Elemente D, siehe Tabelle 1). Da die zusätzliche Wärmedämmung voll zulasten der Nutzfläche geht, muss effektiv weniger umbauter Raum erstellt werden als beim Gebäude nach SIA 380/1:2009. Die Einsparungen durch weniger umbauten Raum sind für D um 0.1 % grösser als die Mehrkosten durch Minergie-P-Tauglichkeit.

Obwohl auch beim EFH in Gelterkinden im Fall AZ1 das Gleiche zutrifft wie beim MFH in Münchwilen, gibt es keine Einsparungen. Die Konstruktion der Bodenplatte muss aufgrund der Topografie und der Minergie-P-Vorgaben angepasst werden und generiert netto Mehrkosten von 1.3 % (Verbesserung einer SIA 380/1:2009-konformen Wärmebrücke). Allerdings wird beim Objekt in Gelterkinden die Konstruktion des Minergie-P-Gebäudes etwas billiger (Element M). Hier liegen die Einsparungen bei 0.2 % aufgrund der für den Fall AZ1 angenommenen kleineren Nutzfläche.

Die Auswirkungen der unterschiedlichen Berechnung der Ausnützungsziffer sind in den Abbildungen 5 und 6 dargestellt. Abbildung 5 zeigt die prozentualen Mehrkosten der Minergie- P-Bauweise, Abbildung 6 die absoluten Kostenbeträge pro Quadratmeter EBF. Die prozentualen Unterschiede sind natürlich abhängig von den Gesamtkosten. Das bedeutet, dass die prozentualen Mehrkosten umso geringer ausfallen, je höher der Standard des konventionellen Gebäudes nach SIA 380/1 ist. Die Mehrkostenaussage pro m2 EBF ist deshalb realer.

Die Analyse zeigt, dass die zwei untersuchten Gebäude in Minergie-P-Bauweise zwischen 10.7 % und 13.8 % teurer sind (blaue Balken). Beim MFH in Münchwilen amortisieren die tieferen Energiekosten der Minergie-P-Bauweise (rot) über 25 Jahre betrachtet die höheren Baukosten (blau) um ca. einen Drittel (Fall AZ1) bzw. um ca. einen Viertel (Fall AZ2). Falls das Minergie-P-Gebäude ohne Wärmedämm-Bonus bei der Berechnung der Ausnützungsziffer (AZ1) erstellt werden muss, sinken die Mieterträge (als Barwert über 25 Jahre betrachtet) aufgrund der geringeren Nutzfläche. Konkret fielen die Mieterträge beim MFH Münchwilen um 4.7 % der Baukosten tiefer aus. Allerdings ist die Beurteilung des Ertragsausfalls nur aufgrund der Nutzflächendifferenz erst die halbe Wahrheit, denn im Fall AZ2 (konstante Nutzfläche) durch den Wärmedämm-Bonus wird das besser gedämmte Gebäude äusserlich grösser und damit auch teurer. So ist das äusserlich grössere Minergie-P-Gebäude mit konstanter Nutzfläche (AZ2) in Münchwilen 2.9 % teurer als das Minergie-P-Gebäude mit unverändertem Aussenvolumen (AZ1). Das heisst mit anderen Worten, dass das MFH Münchwilen nach AZ1 bei Berücksichtigung der Mietausfälle effektiv nur 1.8 % teurer ist als im Fall AZ2, da rund zwei Drittel des Mietzinsverlusts im Fall AZ1 durch die geringeren Baukosten kompensiert werden.

Hohe Planungskompetenz reduziert Mehrkosten

Ein Minergie-P-Gebäude braucht nicht unbedingt einen höheren Planungsaufwand, jedoch eine höhere Planungskompetenz. Fest steht, dass Mehrkosten und Planungskompetenz indirekt proportional sind: je höher die Planungskompetenz, desto niedriger die (Minergie-Pbedingten) Mehrkosten. In der Umkehrung führt das dazu, dass Minergie-P-Anforderungen gerne als Sündenbock für mangelnde Kompetenz herbeigezogen werden. Die Studie unterzieht die Minergie-P-Bauweise einem Härtetest. Die Zahlen zeigen, dass der Anspruch, längerfristig Minergie-P-Qualität mit den Energiekosteneinsparungen zu finanzieren, keine Utopie ist – zumindest dann, wenn die (bei dichten Gebäuden ohnehin notwendige) Komfortlüftung als selbstverständlich betrachtet wird.

TEC21, Fr., 2011.01.28

28. Januar 2011 Armin Binz

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