Editorial

Seit jeher braucht und sucht der Mensch die Nähe des Wassers. Es dient als Nahrungsquelle und als Handelsweg, zum Schutz gegen Feinde aber auch als Symbol für Freiheit und Sehnsucht. Wegen seiner Eigenschaften lässt sich das nasse Element vielfältig nutzen und weckt beim Menschen vielerlei Emotionen – kein Wunder also, dass dem Wohnen am Wasser eine besonders hohe Attraktivität innewohnt und Wasserlagen entsprechend begehrt sind. Ebenso groß wie der Nutzen sind jedoch die Gefahren. Traditionell stehen Gebäude weit abgerückt von der sich ständig verändernden Uferkante, hinter Deichen verborgen oder weit oberhalb der Hochwassergrenze und haben somit wenig räumlichen Bezug zum Wasser. Es sei denn, eine wirtschaftliche Notwendigkeit erfordert es, wie z. B. bei den Trabucchi, den traditionellen Fischerhütten an der italienischen Adriaküste, wie sie auf dem Bild links zu sehen sind.

Neue Techniken und der Siedlungsdruck auf die Uferregionen von Meer, Flüssen und Seen bringen vermehrt Bebauungskonzepte, einzelne Häuser und auch ganze Siedlungen hervor, die sich näher ans Wasser wagen oder sogar darauf schwimmen. Die Beispiele reichen vom kleinen Bootshaus bis hin zur Siedlung im aufgelassenen Hafengebiet. | Achim Geissinger

Modul-Armada

(SUBTITLE) Wasserwohnungen in Amsterdam-IJburg (NL)

Der auf künstlich aufgespülten Sandinseln entstehende Stadtteil IJburg bietet Raum für Experimente. Im Teilbereich Steigereiland wurde der Versuch unternommen, Sozialwohnungen und Hausboote mit Einfamilienhaus-Charakter auf kleinstem Raum zusammenzubringen. Als verbindendes Element dient ein modulares Bausystem, das einerseits flexibel ausbaubar ist und andererseits auch den weniger betuchten Bewohnern der Anlage ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln kann. Offen bleibt jedoch die Frage, inwieweit der direkte Anschluss an die Wasserwege die romantischen Erwartungen einiger Bewohner erfüllen und so manchen Nachteil der Lage mitten im See ausgleichen kann.

Gäbe es eine Rangliste der Niederlande-Klischees, dann stünden Hausboote vermutlich ziemlich weit oben, kurz hinter Tulpen, Windmühlen und Coffeeshops. Vermutlich ist das der Grund, weshalb sich im Ausland die Legende verbreitet hat, die Niederländer lebten massenhaft in schwimmenden Häusern und seien Experten im Wasserwohnungsbau. Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Zwar gibt es in den Niederlanden durchaus eine Menge Hausboote, aber architektonisch wertvolle Exemplare sind selten. Bewusst geplante, großmaßstäbliche Wassersiedlungen gab es bislang nicht. Doch in letzter Zeit entstehen erste Pläne für schwimmende Stadtviertel, z. B. in der Blauwe Stad bei Groningen, an den Noorderplassen in Almere und im Poelpolder nahe Den Haag. Wie man sich denken kann, ist der Grund dafür u. a. der Klimawandel. Nun sind die Niederländer aber nicht so naiv, zu glauben, dass schwimmende Eigenheime im Falle eines Deichbruchs ihre Rettung wären. Abgesehen vom hohen Lifestyle-Wert solcher Projekte, geht es vielmehr um ganz praktische Fragen des Wassermanagements und der Raumplanung. Denn aufgrund der Erderwärmung müssen in den Niederlanden immer mehr Wasserreservoires und Überlaufbecken angelegt werden, während in dem dichtbesiedelten Land gleichzeitig ein Mangel an Baugrund herrscht. Die naheliegende Lösung ist somit, auf dem Wasser zu wohnen.

Wiederum einen anderen, aber nicht weniger pragmatischen Hintergrund hat die neue Waterbuurt (Wassernachbarschaft) auf dem Steigereiland. Wie alle sieben Inseln des künstlichen Archipels IJburg, das derzeit östlich von Amsterdam entsteht, wurde auch die westlichste nach dem Pfannkuchenprinzip aus mehreren Schichten Sand aufgespült. Während sich das Neuland der anderen Inseln jedoch innerhalb eines Jahres setzt und bebaubar wird, befindet sich der nördliche Teil des Steigereilands über einer Urstromrinne und hat deshalb einen schwächeren Grund mit längerer Setzungszeit. An dieser Stelle befindet sich erst in 60 m Tiefe eine tragende Lehmschicht. Konventionelle Gebäude müssten auf Pfählen gegründet werden, die dreimal so lang wie üblich wären. Obendrein läuft quer über das Steigereiland eine Stromleitung, unter der nicht gebaut werden darf, so dass sich teure Landgewinnung dort nicht lohnt. Es lag also nahe, links und rechts der Stromschneise eine Wassersiedlung anzulegen. Dicht an dicht im Teich

Das Wasserviertel verbirgt sich hinter einem fünfgeschossigen Gebäuderiegel mit Wohnungen und Geschäftsräumen, der an der Haupterschließungsachse von IJburg steht. Durch vier große Tore sind die Stege erreichbar, an denen die schwimmenden Häuser liegen. Da die Wasserfläche im Westen und Osten von einem Deich begrenzt wird und sich am nördlichen Rand der Insel noch ein Viertel mit bis zu achtgeschossigen Wohnblöcken befindet, erscheint sie eher wie ein künstlicher Teich als wie ein umfriedeter Teil des IJsselmeers. Während an den Stegen nördlich des Strommasts individuell gestaltete Wasserwohnhäuser liegen, wurde der gesamte südliche Teil vom Architekturbüro Marlies Rohmer als Wohnanlage aus einem Guss entworfen, ähnlich den berühmten VINEX-Reihenhaussiedlungen auf dem platten Land. Insgesamt 75 Wohnungen gehören zum Projektgebiet, darunter 17 Deichhäuser am Haringbuisdijk und drei schmale, hohe Pfahlhäuser, die als Wahrzeichen neben der Schleuse und zwei beweglichen Brücken stehen. Der Großteil der Wohnungen liegt jedoch auf dem Wasser. Neben 13 Einfamilien- und zwölf Doppelhäusern gibt es 18 Häuser mit jeweils drei Wohnungen, die die ersten schwimmenden Mietwohnungen in den Niederlanden sind. Noch sind allerdings nicht alle Wassergrundstücke besetzt, denn die Häuser werden in einem kleinen Betrieb im IJsselmeerstädtchen Urk gefertigt, dessen Kapazität beschränkt ist. Bis Anfang 2011 sollen die Lücken gefüllt sein.

18 Wochen dauert der Bau eines Wasserhauses im Trockendock. Danach werden die Wohnungen – z. T. bereits aneinander gekoppelt, damit sie beim Transport nicht kippen – quer über das IJsselmeer geschleppt und an ihren Standort gebracht, leicht versetzt zueinander, um eine möglichst gute Aussicht zu gewährleisten. Das Viertel ist ziemlich dicht geraten, denn der Abstand von Wand zu Wand beträgt nur 12 m. Von den inneren Stegen aus sieht man vor lauter Häusern kaum Wasser. Das liegt auch daran, dass die Stege etwas niedriger als die Eingangstüren liegen und die Häuser insgesamt drei Geschosse zählen. Im Gegensatz zu den meisten niederländischen Wasserwohnungen, deren Proportionen aus Gründen der Stabilität jenen eines Bootes gleichen, sind die Häuser von Marlies Rohmer eher kubisch und ähneln damit gewöhnlichen Wohnhäusern. Unterhaltsfreie Holzoptik

Jedes Haus ist an zwei Stahlpfählen festgemacht, wobei ein zwischen zwei Ringen angebrachter Kunststoffgleiter ermöglicht, dass es sich mit dem Wasserspiegel auf und ab bewegt. Gezeiten gibt es im IJsselmeer nicht, so dass nur mit maximal 60 cm Höhenunterschied gerechnet wurde. Dieser Wert errechnet sich aus einem Pegelunterschied von ca. 10 cm zwischen Sommer und Winter, dem Wasserstand bei extremem Dauerregen und der Differenz zwischen völlig leerem und sehr schwer beladenem Haus. Als Schwimmkörper dient eine Betonwanne, die 1,50 m tief im Wasser versinkt. Sie besteht aus doppelt bewehrtem Beton und gilt nicht nur als leckfrei und unsinkbar, sondern benötigt auch keine weitere Aussteifung, so dass ein frei einteilbares UG entsteht, das bei den Einfamilienhäusern 6,80 x 9,20 m und bei den gekoppelten Wohnungen 4,85 x 9,20 m misst. Um durch den Beton dringenden Wasserdampf abzuführen, befindet sich in der Wanne eine isolierte Vorsatzwand mit einem belüfteten Luftspalt. Der Aufbau besteht aus einer Holzskelettkonstruktion, die mit Kunststoffplatten ausgefacht und damit sehr leicht ist. Dadurch liegt der Schwerpunkt der Häuser niedrig. Zwar können sie zunächst in eine gehörige Schieflage geraten, wenn die Bewohner beim Einzug ihre Möbel aufstellen, aber das lässt sich mit nachträglich angebrachten Schwimmelementen beheben. Der Zugang zu den meisten Wohnungen liegt in der Seitenfassade, damit der Höhenunterschied zwischen Steg und Tür über eine möglichst lange, auf Rädern gelagerte Laufbrücke bequem überbrückt werden und die Hauptfassaden komplett verglast werden konnten. Nur bei den Mittelwohnungen in den Dreiergruppen befindet sich die Eingangstür in der Hauptfassade und ist über eine flexible Scherentreppe zu erreichen. Dahinter liegt bei allen Häusern das Hochparterre mit Küche und einem weiteren Zimmer. Das Wohnzimmer und die Terrasse befinden sich im auskragenden OG, Schlafzimmer und Bad liegen im UG. Um etwas Abwechslung in das Konzept zu bringen, konnten die Bewohner selbst aussuchen, in welche Richtung ihre Dachterrasse orientiert sein sollte, auch lassen sich die Häuser mit Elementen aus einem Baupaket wie Wintergarten, Ponton oder Markise erweitern. Daneben sorgen die unterschiedlichen Farben der Seitenfassaden aus Mineralfaser-Paneelen in Holzoptik für Variation. Dieses Material wählten die Architekten, ebenso wie die Kunststofffensterrahmen, weil die Fassaden komplett unterhaltsfrei sein müssen. Größere Fensterformate und schlichtere Paneele, die gar nicht erst versuchen, wie Holz auszusehen, hätten sich besser gemacht.

Zahnloser Tiger

Obwohl man es in einem Land, das Erfahrung mit Hausbooten hat, nicht erwarten würde, lagen die größten Probleme im Anschluss der Siedlung an Strom und Wasser sowie im Brandschutz. Letztlich wurden die Leitungen, inklusive einer trockenen Steigleitung, in einem Betontunnel unter die perforierten Metallstege gehängt und für jedes Haus ein Stromzähler auf dem Steg platziert. Da jeder Steg zwei Fluchtwege bieten muss, wurden die Stegenden verbreitert und in der Mitte mit einer hüfthohen Trennwand aus Glas unterteilt, hinter der die Bewohner im Brandfall kriechend flüchten sollen. Unter den Stegen befinden sich kleine Propeller, die das Wasser in Bewegung halten und verhindern sollen, dass der See umkippt. Damit die Häuser nicht irgendwann auf Schlick aufsetzen, wird außerdem alle 10 Jahre der Grund ausgebaggert, wofür die Bewohner ihre schwimmenden Terrassen zeitweise entfernen müssen. Es bedarf aber ohnehin einer gewissen Opferbereitschaft, wenn man auf dem Wasser wohnen will, denn alle Einkäufe müssen von der Garage zum Haus getragen werden, bei Umzügen kommt als Transportmittel nur ein Handwagen infrage, schwere Schränke sollten möglichst weit unten platziert, austariert und festgeschraubt sein, und von Hängelampen wird ganz abgeraten. Dafür bekommt man ein Eigenheim mit eigenem Bootsanleger und direktem Zugang zum IJsselmeer zum moderaten Preis von 2 300 Euro/m² (Durchschnitt Amsterdam: 3 600, IJburg: 3 200, Flevoland: 1 900 Euro). Marlies Rohmer findet ohnehin, dass das Wohnen auf dem Wasser nicht mit allen Mitteln den Gewohnheiten des Lebens an Land angeglichen werden muss: »Das ist, als wenn man sich einen Tiger ins Haus holt und ihm alle Zähne zieht.«

db, Mi., 2010.10.06

06. Oktober 2010 Anneke Bokern

Insellösung

(SUBTITLE) Wohnanlage Teglværkshavnen in Kopenhagen

Das ehemalige Hafengelände südlich der Innenstadt verliert seinen industriellen Charakter und wandelt sich zum Wohnquartier. Das Wasser hat Badequalität und wird von den Anwohnern entsprechend genutzt. Die knapp 120 Sozial- und auch Eigentumswohnungen am sogenannten Ziegelwerkshafen stehen teils auf einer Aufschüttung, teils auf Stützen im Wasser. Die Architekten konnten dadurch nicht nur die reflektierenden Eigenschaften der Wasseroberfläche nutzen, sondern auch attraktive Räume nah am Wasser und mit hohem Freizeitwert schaffen.

Wohnen am Wasser – wer denkt bei diesem Begriff nicht gleich an grandiose Villen (vielleicht entworfen von Richard Meier) mit riesigen Glasfronten, davor ein penibel gepflegter Rasen, der sanft zum Strand hin abfällt … Man kann allerdings auch anders am Wasser wohnen: bescheiden, dicht – und angemessen in einer Zeit, die uns die Begrenztheit der Ressourcen ins Bewusstsein ruft.

In Google Maps sucht man sie (noch) vergeblich: Wo seit 2008 die hier vorgestellte Wohnanlage steht, ist auf dem Luftbild nichts als Wasser zu sehen. Am südlich gegenüberliegenden Ufer sind die Bauarbeiten an den künstlich angelegten Kanälen für das (inzwischen längst fertiggestellte) Quartier Sluseholmen erkennbar, am westlichen Rand des Hafenbeckens gibt es bereits mehrere große Bürogebäude. Der großen zentralen Halbinsel des Südhafens hingegen ist ihre alte, industriell geprägte Struktur in weiten Teilen noch anzumerken – einzelne kleine Wohnanlagen sind erste Zeichen des auch dort beginnenden Strukturwandels. An ihrem westlichen Rand fehlt es aber nicht nur an Wohngebäuden, sondern auch an Land dafür.

Bauland auf dem Wasser

Die Diskrepanz zwischen Luftbild und Lageplan beschreibt die zentrale Besonderheit des Projekts, die bereits im Frühjahr 2003 – und somit lange vor dem Beginn der baulichen Entwicklung des Südhafens – in der Auslobung zum Wettbewerb auftauchte: Zwei Drittel der zu überplanenden Fläche waren nicht Gelände, sondern Wasserfläche – kostenlos zur Verfügung gestellt von der Hafenbehörde, die sich hier ein Modellprojekt als Initialzündung für die Entwicklung dieses Teils des Hafens erhoffte. Grundgedanke der Schenkung war, dass durch die gesparten Grundstückskosten eine Auffüllung finanzierbar würde, auf der dann die gewünschten Wohngebäude samt zugeordneten Parkplätzen Platz finden könnten.

Das Büro Tegnestuen Vandkunsten hatte eine andere, bessere Idee, die ihm den Wettbewerbsgewinn sicherte. Es schlug vor, anstelle einer Auffüllung vor der Wasserkante ein Parkdeck auf einer künstlichen Insel in das Hafenbecken hineinzubauen und als Basis für vier zeilenförmige, viergeschossige Wohngebäude zu nutzen. Zwei weitere identische Zeilen stehen nördlich davon auf dem kleinen Stück Festland, das ebenfalls zum Wettbewerbsgelände gehörte. Ein durchlaufender Fußweg, der zwei Geschosse hoch durch die Gebäude geschnitten wurde, führt von dort aus auf die Park-Insel und erschließt die gesamte Wohnanlage in Längsrichtung. Die südlichen Zeilen sitzen jeweils mit einer Hälfte auf der Garage, die andere Hälfte ragt über das Hafenbecken hinaus und ist auf einzelnen Stützen und kurzen aussteifenden Wandscheiben direkt im Hafenbecken gegründet. Dort ergibt sich unter den Häusern (auf der Ebene der angrenzenden Parkgarage) ein Luftgeschoss, das man als Wasser-Loggia bezeichnen könnte. Es ist von den Stellplätzen aus fast ebenengleich erreichbar und über Treppen an die Laubengänge der Wohngeschosse angebunden.

Die Wasser-Loggia wirkt auf den ersten Blick sehr nüchtern und exponiert, und tatsächlich findet der Wind dort wenig Widerstand. Der zweite Blick offenbart dagegen eine erstaunliche Liebe zum Detail, die dem vorherrschenden Sichtbeton einen sehr menschlichen Maßstab verleiht. So sind die vier Loggien an jeweils beiden Schmalseiten durch hölzerne Stege miteinander verbunden, von denen aus gelegentlich breite Stufen den Höhenversatz zur Wasseroberfläche verkleinern. Jede Loggia verfügt über ein aus Ortbeton gegossenes Ausgussbecken mit Arbeitsfläche, das sich bestens zur Reinigung von Wassersportgeräten eignet.

Die Nutzbarkeit und Nutzung dieser Loggien konnte ich bei meinem Besuch an einem sonnigen, aber kühlen Sonntag im Frühjahr direkt beobachten, als eine vierköpfige Familie in Neopren-Anzügen ihre Kajaks aus der Tiefgarage holte, sie von den Stegen aus zu Wasser ließ und zu einem Ausflug in den Hafen aufbrach. Dass dies kein Einzelfall war, dokumentieren die Bilder, auf denen nach Angaben von Tegnestuen Vandkunsten keine Fotomodelle, sondern ausschließlich Bewohner der Anlage zu sehen sind. Auch berichten die Architekten von zahlreichen Festen am Wasser und von einzelnen Fischern, die ihrem Hobby vom Balkon aus nachgehen.

Dass zwischen Wettbewerb und Fertigstellung mehr als fünf Jahre ins Land gingen, lag vor allem an den Herausforderungen der technisch und logistisch schwierigen Baustelle. Zur Herstellung der rechteckigen Insel, auf der die östlichen Hälften der Wohnzeilen stehen, wurden zunächst Spundwände als Begrenzung der Ränder in den Hafenboden gerammt, anschließend der Zwischenraum leergepumpt und mit Kies aufgefüllt. Das UG, in dem das Parkdeck und die Kellerräume untergebracht sind, besteht aus wasserundurchlässigem Ortbeton und lagert auf Pfählen, die bis zu 10 m tief durch den aufgefüllten Kies hindurch im Boden verankert sind. Ähnliches gilt für die Einzelstützen und Wandscheiben, auf denen die westlichen Gebäudeteile stehen.

Grundvoraussetzung der Finanzierung des Projekts war die Annahme, dass die künstliche Park-Insel zu ähnlichen Kosten realisierbar ist wie die ursprünglich geplante großflächige Auffüllung. Ob diese Rechnung letztlich aufgegangen ist, lässt sich angesichts der langen Planungs- und Bauzeit nur schwer beurteilen. Unabhängig davon erwies sich die Wohnanlage aufgrund ihrer klaren Geometrie und des einfachen oberirdischen Tragwerks insgesamt als erfreulich kostengünstig. Dazu dürfte auch der aufgrund der schwierigen Zugänglichkeit der Baustelle erforderliche hohe Vorfertigungsgrad seinen Teil beigetragen haben: sogar die Sanitärzellen wurden komplett am Stück geliefert und mit dem Kran versetzt.

Soziale Mischung

Das Bauen (nahezu) ohne Grundstück war nicht die einzige Besonderheit dieses Wettbewerbsverfahrens. Ähnlich ungewöhnlich war die Vorgabe, dass die Wohnanlage jeweils zur Hälfte (d. h. je drei Zeilen) als Eigentumswohnungen und als sozialer Mietwohnungsbau errichtet und vermarktet werden sollte. Dies ist in Dänemark ähnlich ungewöhnlich wie hierzulande und machte – trotz allem sozialpolitischen Vorbildcharakter – die Vermarktung der frei finanzierten Wohnungen nicht einfacher.

Vor diesem Hintergrund ist es vermutlich kein Zufall, dass die Bauherrschaft der Eigentumswohnungen im Lauf der Planung dreimal wechselte. Letztlich fiel die Vermarktung der Wohnungen noch unglücklich zusammen mit dem Einbruch des Kopenhagener Immobilienmarkts. Daher wohnen heute auch in den frei finanzierten Einheiten nur wenige Eigentümer, die meisten sind ebenso vermietet wie die Sozialwohnungen. Da letztere am oberen Ende des geförderten Wohnungsangebots rangieren, hat sich vorerst eine relativ homogene soziale Mischung ergeben. Es bleibt allerdings abzuwarten, welche Auswirkungen die künftige Marktentwicklung haben wird.

Im Gegensatz zur Mischung der Eigentumsformen ist die Wohnungstypologie überraschend homogen: Es gibt ausschließlich 3-Zimmer-Wohnungen (davon 81 Stück) und 4-Zimmer-Wohnungen (37 Stück), letztere als Maisonette-Typen gleichmäßig über die ganze Anlage verteilt. Die Erschließung der Wohnungen vom Zugangsweg aus erfolgt über jeweils zwei innenliegende Treppenhäuser, von denen aus die östlichen Einheiten als Zweispänner direkt, die westlichen Einheiten über nordseitige Laubengänge zugänglich sind. Durch die geringen Gebäudetiefen können alle Innenräume großzügig natürlich belichtet werden. Die großen, raumhohen Fenster liegen meist bündig an den Querwänden, um die (im skandinavischen Winter spärliche) Helligkeit möglichst weit in die Räume hinein zu bringen und die Reflexionen des Wassers optimal einzufangen.

An der südlichen Stirnseite der Wohnanlage befinden sich mehrere Bootsanleger, eine nach Süden ausgerichtete Freitreppe mit Blick über das Hafenbecken zum Quartier Sluseholmen sowie ein kleines gemeinschaftliches Haus mit einem zweigeschossigen Veranstaltungsraum. Letzteres gehört formal zu den Sozialwohnungen, kann aber jederzeit von den Bewohnern der Eigentumswohnungen gemietet werden. Zudem entstehen derzeit im Rahmen des Strukturwandels des Hafen-Areals neben weiteren Wohnanlagen auch eine neue Schule, ein Kindergarten und mehrere Brücken, die den Wohnstandort aufwerten und in seine Umgebung einbinden.

Alltägliche Qualitäten

Insgesamt liegen die besonderen Eigenschaften dieses Projekts nicht nur in der (zweifellos guten und der Aufgabe angemessenen) Typologie oder in der gelungenen Gestaltung der Gebäude. Vielmehr ist die Art und Weise, wie der Entwurf vom städtebaulichen Ansatz bis ins Detail das Beste aus dem ungewöhnlichen Standort am Hafenrand herausholt, auf eine ganz selbstverständliche Art rundum überzeugend. Erst auf den zweiten Blick sieht man der Anlage ihre erstaunliche Wohn- und Freiraumqualität an, deren Angebote von den Menschen im Alltag intensiv genutzt werden. Leben am Wasser, ganz ohne den Hauch des Exklusiven – auch hier nicht für alle, aber zumindest für einige.

db, Mi., 2010.10.06

06. Oktober 2010 Rüdiger Krisch

Ein Schiff auf Stelzen

(SUBTITLE) Sommerhaus in Klosterneuburg

Die historische Strandbadsiedlung liegt mitten im Überschwemmungsgebiet der Donau. Die Bauaufgabe, dort einfache und erschwingliche Wochenendhäuser auf Stelzen zu bauen, wird von jeder Generation neu interpretiert. Das jüngst dort entstandene Sommerhaus auf einer Grundfläche von gerade einmal 35 m² wirkt trotz dem äußerst ökonomischen Umgang mit Raum und Material nicht billig und holt den Charme des Ortes bis tief hinein in die wohlproportionierten Wohnbereiche.

Die Strandbadsiedlung in Klosterneuburg, wenige Kilometer nördlich von Wien, blickt auf eine stolze Geschichte zurück. Mitten im Überschwemmungsgebiet der Donau siedelten sich in den 20er Jahren ruhebedürftige Wochenendemigranten aus der Großstadt an, die die Nähe des Wassers mit all ihren Nachteilen zu lieben und zu schätzen wussten. Die nassen Eskapaden der Natur ließen einen Bautypus gedeihen, der bis zum heutigen Tag nur hier vorzufinden ist und nirgendwo sonst in Österreich: das Kleingartenhaus auf Stelzen. Durch die mehrmalige Wiederkehr von Jahrhundert-Hochwassern fällt die clevere Vorausplanung der alten Tage allerdings ins Wasser: Die meisten der angehobenen Häuschen befinden sich schlichtweg zu nah am Boden. Wenn mehrmals im Jahr ungebetene Gäste ins Haus schwimmen, drängt sich die Frage auf, ob die gewählte Bauform wirklich die richtige ist. Marion Weiss-Döring weiß, wovon sie spricht. »Bei Hochwasser hatten wir regelmäßig die Donau im Wohnzimmer«, erinnert sich die 38-jährige Bauherrin. »Obwohl wir das Grundstück mit der primitiven Wochenendhütte darauf nur gekauft haben, um darin ein paar ruhige Stunden zu verbringen, haben wir uns hier nicht wahnsinnig wohl gefühlt.« Eines Tages war eine Entscheidung fällig. Umbauen und erweitern? Oder doch lieber abreißen? Es siegte der Drang nach Neubeginn.

Auf einer Grundfläche von nur 35 m² komponierte das kleine Wiener Architekturbüro Schuberth und Schuberth ein kleines Konglomerat aus hölzernen Kisten zu einem nahezu vollwertigen Haus mit gerade einmal 56 m² Nutzfläche. »Die Bauvorschriften im Hochwasserschutzgebiet sind streng und kompliziert«, sagt Johanna Schuberth. Während für die baurechtliche Bewilligung der beiden Wohngeschosse die Baubehörde zuständig war, unterliegt das UG dem Wasserrecht. Für die Architekten bedeutete das doppelte Arbeit. Trotz seiner überschaubaren Größe musste das Projekt zwei vollständige, voneinander getrennte, Verfahren durchlaufen.

Auch optisch hat das Oben mit dem Unten nur wenig zu tun. »Vieles an diesem Entwurf war vorgegeben«, sagt Schuberth. »Die architektonischen Gestaltungsmöglichkeiten im Sockel sind gering. Hier unten regiert das Wasser.« Der wasserdichte Betonsockel, in den die Architekten das Bad integrierten, darf maximal 3 m breit sein und muss parallel zur Fließrichtung der Donau liegen – eine Vorsichtsmaßnahme für den Hochwasserfall. Auch bei der außenliegenden Treppe war gestalterisches Geschick gefragt. Um den Strom nicht zu behindern, musste auf Geländerfüllungen und Setzstufen verzichtet werden. Allein diesen Sommer gab es bereits vier Überschwemmungen. Bei einer Jahrhundertflut wie 2002 reicht das Wasser bis knapp unter die Bodenplatte der Wohnebenen. Man ist gewappnet: Unter dem Haus steht das gelbe Schlauchboot bereit.

Einfach – Durchdacht – Punktgenau

Ab dem 1. OG ist das schlichte Gebäude – es würde glatt als Vorarlberger Projekt durchgehen – an der Außenseite mit vertikalen Lärchenlatten bekleidet. Innen hingegen, wo eine zusätzliche Bekleidung nicht nötig war, zeigt es sein wahres Gesicht. Dreischichtplatten aus Sperrholz prägen Wand und Decke, verleihen dem Haus einen angenehm harzigen Geruch – sie werden demnächst noch ein letztes Mal geölt. »Wir wollten die Konstruktion so belassen, wie sie ist«, sagt Johanna Schuberth. »Das hat in dem Fall aber nicht nur etwas mit der vielzitierten Materialauthentizität zu tun, sondern ist vor allem ein Kostenfaktor. Das Material hat den Vorteil, dass der gesamte Innenraum bis zur letzten Schicht zimmermannsmäßig fertiggestellt werden kann – ohne zusätzliche Bekleidung und dementsprechend günstig.«

Aufgrund der freundlichen und natürlichen Gestalt wirkt das Wohngeschoss trotz seiner beschränkten Grundfläche von nur 35 m² luftig und hell. Nicht einmal die niedrige Raumhöhe von 2,10 m unter der gedämmten Terrasse beziehungsweise von 2,28 m unter der unverkleideten Geschossdecke fällt unangenehm ins Auge. Von Klaustrophobie keine Spur. Ganz im Gegenteil: Die Proportionen passen, die Atmosphäre ist angenehm, der räumliche Gesamteindruck ist eine ausgewogene Gratwanderung zwischen gläserner Offenheit und nischenhafter Intimität. Meistens aber halten sich Marion Weiss-Döring, ihr Mann und die beiden Söhne Luis (3) und Kilian (6) draußen auf der Terrasse auf. »Aber wenn es kühler wird, dann setzen wir uns oft zu viert ins Wohnzimmer und schauen raus in die Natur. Die Stimmung ist einfach perfekt.«

Im Küchenerker, der wie eine Kommandobrücke über dem Garten schwebt, lässt sich das Fenster vor dem Herd per Gasdruckfeder vollflächig nach oben klappen und erzeugt dadurch ein gewisses Open-Air-Feeling. Draußen auf der Terrasse entsteht gleichzeitig ein partieller Witterungsschutz. Detail am Rande: Sobald es regnet, wird das Fenster zugeklappt. Dann packen Mann und Frau an und tragen den Esstisch durch die 1,20 m breite Eingangstür ins Wohnzimmer. »Das haben wir uns von Anfang an so gewünscht«, sagen sie. »Wer braucht in so einem kleinen Haus schon zwei Tische? Es reicht einer für drinnen und draußen.«

Charmant gelöst sind auch die üblicherweise störenden Revisionsöffnungen und Zählerkästen. Sie sind ebenfalls aus Holz und millimetergenau in den Rohbau des Hauses hineingefräst. Der taubenblaue Kautschukboden mit seiner charakteristischen, haptisch angenehmen Hammerschlagoberfläche soll den Architekten zufolge an die Nähe des Wassers erinnern. Und der graue Naturfilz vor den Garderobennischen ist Marke Eigenbau. Statt das Geld für kostspielige Beschläge auszugeben, wurde eine Studentin von der Universität für Angewandte Kunst in Wien mit den Näharbeiten beauftragt. »Viele Detaillösungen an diesem Haus sind einzigartig«, sagt der Architekt Gregor Schuberth. »Mit einem herkömmlichen Handwerkerbetrieb kann man so etwas kaum durchführen. Hier braucht es Witz, Engagement und Risikobereitschaft.«

Wie z. B. auch beim Möbelbau. Aufgrund des einfachen additiven Systems des Gebäudes konnten sämtliche Betten und Schranknischen direkt vom Zimmermannsbetrieb mitgemacht werden. Dadurch konnte man auf wesentlich teurere Möbeltischlerarbeiten verzichten. Schuberth: »Auch für den Zimmermann war das eine Premiere. Noch nie mussten seine Leute so genau arbeiten wie hier auf dieser Baustelle. Es hat geklappt.« Umso unverständlicher angesichts der sonst vorherrschenden Schlichtheit sind die blau gebeizten Holzflächen im Treppenbereich. Das ist eine oberflächliche Behübschungsmaßnahme, die das Haus wahrlich nicht nötig hat. Auch die Skepsis der Bauherrin der Farbe gegenüber hat sich noch nicht ganz gelegt.

Durch ein Treppenhaus mit diffusem Tageslicht-Adagio geht es hinauf ins 2. OG. Die Seitenwände entlang des Stiegenlaufs sind mit 4 cm dicken Stegplatten verkleidet. In bauphysikalischer Hinsicht entspricht der sechs Kammern starke Bauteil einer herkömmlichen Zweischeiben-Verglasung. Baubehörde und Nachbarschaft sind zufrieden. Die einen erhalten einen Plan mit allen baurechtlichen Konformitäten, die anderen eine abendliche Laterne mit weiss-döringschem Schattenspiel.

Oben wird es noch kompakter. Die beiden Schlafkojen für die Eltern sowie die beiden Kinder messen je 6 m² und wurden um die Betten herumgeplant. Nirgends geht 1 cm² verloren, alles ist bis zur letzten Fuge mit Nachtkästchen, fahrbaren Laden und wenigen, aber geschickt platzierten Steckdosen ausgestattet. Die Bauherrin erinnert sich: »Bei Betrachten der Pläne haben wir uns ständig gefragt, wie man auf so kleinen Flächen zurechtkommen kann.« Man kann. Dank der Raumhöhe von 2 m und den schmalen Oberlichtern wähnt man sich in einer gemütlichen Schiffskajüte. Stimmiger kann eine Metapher nicht sein.

Noch ist das Haus der Familie Weiss-Döring ein Kleingartenhaus für sommerliche Nutzung. Doch der Bau ist so konzipiert, dass eine winterfeste Nachrüstung mit frostsicheren Zuleitungen und einer zusätzlichen Wärmedämmung jederzeit möglich ist. Sobald das Haushaltsloch gestopft ist, bekommt das Haus Mütze und Schal umgebunden.

db, Mi., 2010.10.06

06. Oktober 2010 Wojciech Czaja

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