Editorial

Fährt man im Zug von Brugg in Richtung Zürich, öffnet sich einem linker Hand, kurz nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof, der Blick auf die Mülimatt. Nachdem das Gebiet im Mittelalter in den Besitz des Klosters Königsfelden gelangt war, das bis 1716 die namengebende Mühle betrieb, wechselten sich industrielle Nutzungen ab. 1911 etwa wurde das Gaswerk gebaut und 1967 stillgelegt, ein Schlachthof wurde 2008 abgerissen. Heute liegt die Mülimatt inmitten der Industrie von Brugg und den Einfamilienhäusern von Windisch. Obwohl als Land-schaftsschutzzone ausgeschieden, war der Auencharakter des Gebiets nahezu gänzlich verschwunden.

Das nun fertig gestellte Sportausbildungszentrum Mülimatt und der dazugehörige Aaresteg stellen zwar einen erneuten Eingriff dar. Doch bot die Verpflichtung zum ökologischen Ausgleich die Chance, zum ersten Mal eine neue Zone der Nutzungsplanung zu realisieren – «Zone für ökologische Vernetzung, Naturerlebnis und nachhaltige Landwirtschaft» – und das Gebiet naturschützerisch aufzuwerten. Darin eingebunden, überbrückt der Aaresteg den Flusslauf in einer eleganten Wellenbewegung («Spannband über die Aare», S. 27ff.). Die Dachlandschaft der Sporthallen dagegen fügt sich nicht in das Naturkonzept ein und verweist doch auf Naturphänomene. Das aus 27 Rahmeneinheiten bestehende, vorfabrizierte Betonfaltwerk («Faltwerk aus Spannbeton», S. 23ff.) weckt vielfältige Assoziationen zur Na-turgeschichte: Das aussenliegende Skelett erinnert an fossile Krustentiere («Krustentier und Vogel», S.18ff.), die Verwerfungen gemahnen an einen vom Wasser erodierten Gesteinsblock.

Doch das Monolithische, die Einheit der Materie, bezieht sich auch auf das System – im Sinne von Auguste Perrets «abri souverain» –, mit dem sich Räume von immensen Dimensionen überspannen lassen, ob eine Fabrik, eine Kirche oder ein Hangar.[1] Das hat an Aktualität nichts eingebüsst, wie ein Blick auf den Wettbewerb der Bielersee Kraftwerke AG zeigt[2]: Das Maschinenhaus des zweitrangierten Projekts von Könz Molo Architekten und Tajana Fürst Laffranchi Ingegneria überspannte ein Betonfaltwerk, dessen genetischer Code mit jenem der Mülimatt verwandt war...
Rahel Hartmann Schweizer

Anmerkungen
[1] «Avec ce système, il est possible de couvrir des espaces, usines ou églises, [...].» Vgl. Jacques Lucan: Composition, non-composition: architecture et théories, XIXe–XXe siècles, S. 288. «[...] [l›église du Raincy]. Elle démontre l›efficacité de l›unité de matière. Édifier une église comme un hangar, [...].» Joseph Abram, «Auguste Perret, un intellectuel constructeur», Vortrag im Rahmen des Seminars «Auguste Perret: un artiste dans son temps», Hôtel de Ville, Le Havre, vom 28. November 2007
[2] «Wasserkraftwerk Hagneck», TEC21 16-17/2010, S. 14

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Sportzentrum in Winterthur

12 MAGAZIN
Temporärer Holzcontainer

18 KRUSTENTIER UND VOGEL
Ein imposantes Betonfaltwerk überspannt die Sportanlage Mülimatt in Brugg/Windisch von Vacchini
Architekten. Die Falten changieren zwischen V- und -förmig und erzeugen ein optisches Paradox, eine Kippfigur. Rahel Hartmann Schweizer

23 FALTWERK AUS SPANNBETON
Fürst Laffranchi Bauingenieure zeichnen für das Faltwerk des neuen Sportausbildungszentrums Mülimatt verantwort-lich. Sie investierten viel in die Detaillierung des markanten Tragwerks, um ihm eine homogene Erscheinung zu geben. Clementine van Rooden

27 SPANNBAND ÜBER DIE AARE
Die Bauingenieure Conzett Bronzini Gartmann realisierten die mehrfeldrige Spannbandbrücke, die Windisch und Brugg über die Aare verbindet. Gianfranco Bronzini

33 SIA
Baukultur = öffentiches Interesse | Besser mit Architekturpolitik

36 PRODUKTE

37 WEITERBILDUNG

39 FIRMEN

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Krustentier und Vogel

Ein imposantes Betonfaltwerk überspannt die Sportanlage Mülimatt in Brugg/Windisch von Vacchini Architekten und Fürst Laffranchi Bauingenieure. Die Falten changieren zwischen V- und -förmig und erzeugen ein optisches Paradox, eine Kippfigur. Der Bau hat die Leichtigkeit eines Origami und die Beweglichkeit eines Akkordeons. Er ändert seine Gestalt je nach Blickwinkel und Tiefenschärfe, sodass er oszilliert zwischen Monolith und Welle, zwischen Massivität und Leichtigkeit, zwischen Geschlossenheit und Transparenz.

Livio Vacchini und seine Tochter Eloisa gewannen 2005 den Wettbewerb um die beiden Dreifachturnhallen zusammen mit Fürst Laffranchi Bauingenieure. Nach dem Tod ihres Vaters 2007 hat Eloisa Vacchini das Projekt nun als ersten realisierten Baustein der «Vision Mitte»1 zu Ende geführt. Die Ausschreibung umfasste neben der Sporthalle auch einen Velo- und Fussgängersteg über die Aare, um die Hallen mit den Sportanlagen im «Schachen» zu verbinden. Da die Jury das Brückenprojekt der zweitrangierten Zulauf & Schmidlin und Conzett, Bronzini, Gartmann bevorzugte (vgl. «Spannband über die Aare», S. 27), wurde nur der Auftrag für die Halle dem Studio Vacchini und den Ingenieuren Fürst Laffranchi erteilt .

Römisches Legionslager und Forum Vindonissa

Den Bau der Dreifachturnhalle des Berufs- und Weiterbildungszentrums der Stadt Brugg und die Dreifachturnhalle für den Fachhochschulsport zwischen Aare und Bahndamm unter einem Dach zu vereinen, hat zunächst historische Referenzen: das Forum in Vindonissa einerseits und ein römisches Legionslager andererseits. Die von den Architekten im Wettbewerb zur Illustration dieser Bezugnahme gewählte Abbildung zeigte den Grundriss des Lagers Novaesium (Neuss). In Mülimatt umfasst die «Mauer» die durch bespielbare Trennwände unterteilbare Halle der Fachhochschule und die mit einer Tribüne ausgestatteten Hallen für die Stadt Brugg, die mittels PVC-«Vorhängen» voneinander separiert werden können. Und die kleinmassstäblichen, vom Foyer «umarmten» Räume unterhalb der Turnhallen – Gymnastiksäle für Judo und Tanz, Fitnessräume, Garderoben sowie Lehrer- und Sitzungszimmer – verweisen auf die Grundrissdisposition der einzelnen Gebäulichkeiten im Innern des Lagers.

Perret als Impulsgeber

Mit dem Bau knüpfte Vacchini auch an eine Recherche an, die zuletzt in der an einen Tempel gemahnenden Sporthalle von Losone (1994–1997) kulminierte: die Suche nach der optimalen Konstruktion eines Daches. Zeit seines Lebens hat sich Livio Vacchini intensiv mit dem Thema «Dach» auseinandergesetzt – verstanden im Sinne des von Auguste Perret (1874–1954) bezeichneten «abri souverain». Der Architekt, so Perret, sei derjenige, der «un portique, un vaisseau, un abri souverain» konzipiere.2 Dessen konstruktives Konzept des aussen liegenden «starren» Skeletts, das im Inneren freies Spiel lässt für die Anordnung der Organe, hatte der französische Architekt und Ingenieur Léonce Reynaud (1803–1880), unter anderem Direktor der «École des ponts et chaussées», auf den Ingenieur gemünzt: «[…] il y (a) progrès toutes les fois que les supports et le parties supportées seront disposés de manière à ce que le rapport du plein et du vide soit diminué, ou à ce qu’on puisse employer de plus petits matériaux.»3 Das Aussschöpfen der konstruktiven Möglichkeiten ist in Mülimatt ein Hauptthema (vgl. «Faltwerk aus Spannbeton», S. 23).

Stütze und mauer, Tragen und Lasten?

Schon in Losone trieb Vacchini ein Vexierspiel. Dort führte ihn die Recherche zu einer rund 56 × 31 m überspannenden Halle, die über dem Rasen zu schweben scheint. Ihre Umfas- sung besteht aus Pfeilern – 27 an den Stirnseiten, 49 an den Längsseiten –, auf denen die Kassettendecke lagert. An ihr hängt der Glasschrein, der wie ein Vorhang von der Decke zu fallen scheint und an der inneren Flucht der Stützen angeschlagen ist. Die Pfeiler sind aber nicht als Punkt-, sondern als Linienlager ausgebildet und wirken so als Mauer, in die grösstmögliche Öffnungen geschnitten sind, was der «machbaren Materialersparnis» entspricht.4 In Losone verwischte Vacchini ausserdem die Trennung zwischen Tragen und Lasten. Obwohl – durch eine Fuge akzentuiert – auf ein Kapitell anspielend, wurden die Kopfenden der Stützen in die Dachplatte integriert. Konstruktiv wird das Dach zwar von den Pfeilern gestützt, konzeptionell aber wird es zwischen ihnen «eingespannt».[5]

Wieder erinnert das an Perret, der, um beim «Musée des Travaux publics» (1936–1948) in Paris zwischen dem runden Querschnitt der Säule und dem rechteckigen des Trägers zu vermitteln, einen Pyramidenstumpf einsetzte, diesen aber nicht als Kapitell bezeichnet wissen wollte, sondern als Bindeglied: «[…] ce n’est pas un chapiteau, c’est un lien […].»6 Verschleiert wird auch die Tempelanalogie: Der Bau verjüngt sich nach oben durch die Pfeiler, deren Querschnitt sich von 43 × 70 cm am Stützenfuss auf 43 × 43 cm am Stützenkopf reduziert. Im Streiflicht setzt sich der repetitive Rhythmus der Stützen in eine endlose, tanzende Bewegung um – ein optisches Paradox, das an Constantin Brâncus¸is «Colonna infinita» (1938) erinnert.

Fünfte Fassade und Origami

Das Sportausbildungszentrum Mülimatt evoziert prima vista das Bild einer gotischen Kathedrale. Wieder ist die innere Hülle, welche die beiden Hallen umfasst, ein Glasbehältnis. Doch das Betonfaltwerk – ein einheitliches, in sich stabiles Tragwerk – überspannt das Feld der beiden Hallen von 79.9 m × 55.4 m in einer ausladenden Geste als eine kontinuierliche Dachfläche, wie ein Tunnel. Als aussenliegendes Skelett überfängt es den Innenraum wie die Schale eines Krustentiers.

Die Komposition aus 27 V-förmigen Rahmenmodulen – gleich vielen wie Stützen auf den Stirnseiten von Losone – erinnert an die Falten der St. John’s Abteikirche (1953–68), Collegeville, Minnesota (USA) von Marcel Breuer und Pier Luigi Nervi, die sich wie Gewölberippen ausnehmen und daher auch mit der rationalen konstruktiven Ästhetik der Gotik verglichen wurden (Abb. 12, 14).7 Die Rahmeneinheiten lassen sich aber auch in Beziehung setzen mit den Jochen, die Perret als die konstitutiven Elemente eines jeden die inneren Organe schützenden «abri» definierte – ohne Unterscheidung nach Art der Bauten, «qui pourraient tous ressembler à des basiliques faites de travées répétitives […].»8 Aber auch der Eindruck des Origami, der sich einem beim Anblick des Baus einprägt, täuscht nicht: Das Dach als fünfte Fassade zu etablieren, drängte sich den Architekten deshalb auf, weil der Bau unterhalb des Bahndamms steht und vom Zug aus Blickfang ist. Im Gegensatz zu Losone, wo das Dach begrünt ist, schien den Architekten dies in Mülimatt ausserdem unnötig zu sein, da sich der Bau inmitten einer stupenden Landschaft befindet. Den Ausblick auf die Flusslandschaft hingegen galt es zu inszenieren und mithin ein schwebendes, ein «‹fliegendes› Dach» (Eloisa Vacchini) zu entwerfen. Bereits im Wettbewerb stand denn auch der gefaltete Bogen Papier Modell. Das Fliegende bietet auch ein Vokabular für die Stützen, die an Federkiele gemahnen. Sie «flattern» in einem Rhythmus, der im Spiel von Licht und Schatten und je nach Perspektive variiert – eine kondensierte Bewegung wie in Brâncus¸is «L’oiseau dans l’espace» (Abb. 15).

Welle und Monolith

Wie in Losone interessierte aber immer noch das Thema der Mauer, obwohl nun also ein Dach kreiert wurde – eines, das gleichsam wie eine Welle über die Hallen schwappt und sich in das Faltwerk ergiesst. Gleichzeitig soll der Bau den Eindruck vermitteln, dass das «Geröll», das die Welle mitführt, bzw. dass der «Stein in der Strömung des Flusses den Fels auskratzt» (Eloisa Vacchini), Schluchten in ihn einfrisst. Das Bild korrespondiert mit der Konstruktion: Das Regenwasser läuft über die Dach- und Stützenfalten – weshalb das Dach ein Gefälle aufweist – und wird über Rinnen am Sockelfuss abgeleitet. Das erzeugt ambivalente Bilder, oszillierend zwischen überschwappender Welle und ausgewaschenem Monolith, zwischen Fliessendem und Statischem.

Auch in dem einstigen Sitzungstrakt des Rathauses in Marl, 1967 von Johannes van den Broek und Jacob Berend Bakema errichtet, laufen die Falten des Betontragwerks, das ebenfalls das Skelett für eine eingestellte Glaskiste bildet, fliessend in die vertikalen Schäfte über (Abb. 11). Sie werden über eine Gehrung verbunden, die das Motiv von Lasten und Tragen verunklären, sodass Dach und Wand als eine Einheit wirken. Ebenso sollte es in Mülimatt keinerlei optischen Unterbruch zwischen Stütze und Dach geben. Wurde in Losone verhindert, die Stützenenden als Kapitelle zu lesen, haben die Architekten hier die Assoziation mit einem Architrav vermieden, indem die Zugkraft in Hallenlängsrichtung «über eine Ortbetondiagonalscheibe über Dach im Gleichgewicht» gehalten wird (vgl. «Faltwerk aus Spannbeton », S. 23).9

Von der optischen Täuschung zum Kippbild

Die beeindruckendste Wirkung entfaltet die Ambivalenz der Sportanlage, wenn sie sich von der optischen Täuschung zum Vexierbild steigert: Die Diagonalen der Schäfte interferieren mit dem Raster der Fensterprofile, sodass die Geraden gekrümmt werden (Abb. 3). Die Transparenz, die der Bau im Innern offenbart, weil bis zu einer Höhe von rund zwei Metern die offenen Partien der Verglasung im Verhältnis zu den geschlossenen des Tragwerks grösser sind, lässt sich von aussen kaum erahnen. Denn von Weitem erweckt der Bau den Eindruck eines geschlossenen Schreins: aus einem seitlichen Blickwinkel bedingt durch die perspektivische Verkürzung, frontal gesehen durch die Tiefe des Skeletts sowie durch die Distanz zwischen diesem und der verschatteten Glasfassade.

Hier wird die Wahrnehmung denn auch multistabil: Man kann die Struktur, der Tragwerkskonzeption entsprechend, als V-oder aber als V-förmig lesen. Je nachdem, worauf man fokussiert, tritt das «Gerippe» oder die Glasmembran in den Vordergrund, wie bei einem Kippbild. Das gibt dem Bau jene bewegliche Anmutung, welche die Assoziation mit einem Akkordeon – sowohl mit dessen Falten und Rippen als auch mit den Stimmzungen – hervorbringt. Verstärkt wird das Bewegungsmoment durch die Zuspitzung der Federkiele, die Vacchini ins Werk setzt. Sie verweist wiederum auf Perret: Dieser verlieh im «Musée des Travaux publics» (1936–1948) in Paris den Säulenschäften an ihrer Basis einen kleineren Querschnitt als an ihrem oberen Ende. Und erneut auf die St. John’s Abteikirche: Anders als in Marl verlaufen dort die Falten der Wände im Inneren ebenfalls nicht vertikal, sondern sind zum Fusspunkt hin abgeschrägt. In der Mülimatt aber werden die Stützen bis auf ein Minimum verjüngt, sodass sie gerade noch auf einer Spitze zu stehen und den Boden nur punktuell zu berühren scheinen – eine Toccata, «gespielt» auf einem Akkordeon.

TEC21, Fr., 2010.10.01

01. Oktober 2010 Rahel Hartmann Schweizer

Faltwerk aus Spannbeton

Das Sportausbildungszentrum Mülimatt in Brugg neben der Bahnlinie in Richtung Zürich fällt durch seine Form auf: Das markante Faltwerk gibt dem Gebäude seinen Charakter. Fürst Laffranchi Bauingenieure entwickelten das Tragwerk für den Neubau an der Aare aufgrund der architektonischen Ideen von Livio und Eloisa Vacchini. Sie investierten dafür viel in die Detaillierung und schöpften die technologischen Möglichkeiten des Betonbaus aus.

Das neue Sportausbildungszentrum mit den beiden Dreifachturnhallen (Abb. 1) wird durch ein sichtbares vorfabriziertes Faltwerk aus Spannbeton überdacht. Das Tragwerk umhüllt das über dem Gelände herausragende Gebäudevolumen von 80 m Länge und 55 m Breite und wirkt zugleich als wetterfeste Haut. Die Glasfassaden und die Turnhallendecke liegen innerhalb der Faltwerkhülle. Der Raumabschluss erfolgt unter den Dachträgern respektive an der Innenleibung der Faltwerkstiele mit der Glasfassade.

Die charakteristische Tragstruktur spannt in Querrichtung, das heisst in kurzer Richtung des Ausbildungszentrums, und erstreckt sich im leicht zur Aare hin abfallenden Gelände über die gesamte Fassadenhöhe und Dachfläche – von dem um ein Geschoss tiefer liegenden nördlichen Bankett zum südlichen Bankett auf der Seite der SBB-Linie. Daraus resultiert ein asymmetrischer Rahmen mit zwei unterschiedlich langen Stielen (Abb. 6). Formgebende Rahmen und stabilisierendes Zugb and Das statische System des Faltwerks setzt sich aus 27 Rahmeneinheiten zusammen. Sie sind in zwei Bankette eingespannt, die auf 7 bis 11 m langen Bohrpfählen liegen. Die Pfähle tragen die Lasten in die kompakte, mittel bis dicht gelagerte Aareschotterschicht ab. Die innerhalb des Fachwerks errichteten Hallenbauten aus Sichtbeton sind unabhängig davon in der oberen Schotterschicht flach fundiert. Diese in der Faltwerkhülle eingeschlossenen, statisch unabhängigen Betonbauten werden allerdings genutzt, um den Schub der Faltwerkrahmen aufzunehmen: Der Boden der Dreifachturnhallen ist als vorgespannte Zugscheibe ausgebildet, die bei jedem Rahmen einen Horizontalschub von maximal Nd = 900 kN aufnimmt. Der Anschluss von zwei Edelstahl-Zugstangen erfolgt auf der Südseite der Sporthallendecke über eine Kupplung ins Ortbetonbankett und auf der Nordseite infolge der Höhendifferenz direkt und sichtbar an die Rahmenstiele (Abb. 4). Um relative Vertikalverschiebungen zwischen Faltwerk und Halle bis 5 mm zu ermöglichen, wurden die gerippten Zugstangen über eine Länge von 1 m mit einem weichen Zylinder umhüllt.

Die als Zugscheibe wirkende Hallendecke ist 26 bis 30 cm stark und im Bereich der Spannweiten von 14 m – über den Gymnastiksälen – durch Unterzüge verstärkt. Mit der aufgrund der Biegebeanspruchung erforderlichen Vorspannung wurde der Querschnitt derart überdrückt, dass die Spannkräfte den Zugkräften aus Rahmenschub entgegenwirken. Diese Vorspannung dient zudem der Risssicherung für die Zugbeanspruchung und damit indirekt der Kontrolle des Spannungszustandes im Faltwerk.

Moduleinheiten und homogene Faltwerkhülle

Das Tragwerk mit seinen Rahmeneinheiten wurde in einzelne Fertigteile mit einem Gewicht bis 50 t eingeteilt. Jeder Binder besteht aus drei Modulen, sodass sich allein die Dachfläche aus 81 Teilstücken zusammensetzt. Die Stiele sind in einem Stück vorfabriziert. Die 54 Module setzen sich aus einer vertikalen, 36 cm starken Scheibe und zwei angewinkelten, 20 cm dicken Scheiben zusammen (Abb. 2). Entlang einer Kante, die aus der Untersicht als Knick wahrgenommen wird, öffnet sich der Rahmenstiel mit seinen zwei Schenkeln. Er schliesst an die Dachscheibe an und geht fliessend über in das «V» der Dachbinder (Abb. 3).

Formgebung und Optimierung

Alle Fertigteile – es sind grundsätzlich fünf mal 25 identische Module und fünf mal zwei Stirnseitenmodule zu unterscheiden – haben eine Breite von 2.93 m und eine Querschnittshöhe von 2.59 m. Sie sind aus selbstverdichtendem hochfestem Feinbeton 0/8 mm der Klasse C50/60 hergestellt, und für jeden Elementtyp ist eine Schalung erforderlich. Die detaillierte Formgebung erfolgte in Abstimmung mit architektonischen, statischen, herstellungs- und montagespezifischen Aspekten. Funktionale Bedingungen gaben den Tragelementen Formund Detailausbildungen vor. Der Dachuntergurt musste beispielsweise eine variable Stärke bzw. ein Gefälle aufweisen, um den Wasserabfluss zu gewährleisten. Denn entwässert wird offen über die Dach- und Stielflächen (vgl. «Krustentier und Vogel», S. 18). Produktions-, transport-, montagespezifische und wirtschaftliche Gründe beeinflussten die Neigung der Scheiben, die statische Höhe und die Faltenbreite. Krantraglasten limitierten die Gewichtseinheiten, Bahnunterfahrten auf dem Transportweg hatten maximale Durchfahrtshöhen und -breiten, und mit der Neigung der Scheiben im Querschnitt um 60 ° konnte im Werk mit selbstverdichtendem Beton «über Kopf» (Abb. 8) betoniert werden, sodass sich nahezu keine Lunkern bildeten.

Die Definition und Optimierung der Querschnittsformen erfolgte aber vor allem iterativ mit der Bestimmung des Vorspannkonzeptes, weil die Verlegung der Spannkabel eine statisch sinnvolle Form der Rahmenquerschnitte bedingte. Grössere Durchbiegungen sind nicht erwünscht, weder an den Stirnseiten, wo die Glasfassade von unten anschliesst, noch im Feldbereich, wo Sportgeräte unter der abgehängten, dämmenden Decke installiert sind. In jeder Rahmeneinheit sind im Dach sechs Kabel mit einer initialen Spannkraft von 1.1 MN eingebaut (Abb. 4 und 6). In den Stielen ist der Vorspanngrad kleiner: Sechs Kabel mit einer initialen Spannkraft von je 0.78 MN sind einbetoniert.

Dünnwandige Scheiben und Vorspannung

Die 16 cm starken Dachscheiben sind mit Litzenspanngliedern im Verbund vorgespannt. Während die Stielvorspannung komplett im Werk ausgeführt wurde, betonierte man in den Trägermodulen nur die Hüllrohre ein. Die Litzen wurden erst nach der Montage der Trägermodule eingezogen, gespannt und injiziert. Dabei erfolgte das Spannen über Zwischenverankerungen an der Dachaufsicht, wobei die Nischen nachträglich bündig mit der Dachoberfläche geschlossen wurden (Abb. 3 und 6). Die Querfugen zwischen den Trägermodulen sind 26 cm breit und wurden nach der Montage der Fertigteile mit selbstverdichtendem Beton 0/16 mm vergossen. Die Längsfugen im Dachfirst zwischen den Rahmeneinheiten sind 3 cm breit und wurden mit Vergussmörtel geschlossen. Stahleinlagen dienen als Montagesicherung und gewährleisten zudem die Kraftübertragung im Endzustand.

Mit den Hüllrohren, der schlaffen Bewehrung und den erforderlichen Überdeckungen waren die Platzverhältnisse in den Scheibenquerschnitten eng. Dennoch beträgt der Bewehrungsgehalt nur etwa 135 kg/m3 in den Trägern und etwa 180 kg/m3 in den Stielen. Im Bereich der Rahmenecken, wo sich Stiel- und Dachträgervorspannung kreuzen, war es durch die räumliche Führung der Kabel notwendig, die Wandstärke auf 24.5 cm zu erhöhen und feste Anker mit Spreizung der Litzen in einer Ebene einzusetzen. Bedingt durch den Transport- und den Montagezustand musste ausserdem für die Stiele eine zusätzliche Montagevorspannung aus acht Monolitzen ohne Verbund angeordnet werden.

Statische Modelle und dargestelltes Kräftespiel

Die Faltwerkkonstruktion wurde an einem Rahmenmodell mit Zugband bemessen. Für die Untersuchung der Wirkung von Wind und Erdbeben sowie zur Kontrolle stark beanspruchter Bereiche wurde auch eine Bemessung an Schalenmodellen durchgeführt. Das Kräftespiel im Rahmeneck liess sich mit Vektorgeometrie an einem räumlichen Stabmodell untersuchen, in dem unter anderem die Geometrien der Spannglieder von Träger und Stiel nachgebildet waren. Daraus wurde die Beanspruchung der formerhaltenden Diagonalscheibe unter Dach auf der Innenseite des Rahmenecks erkennbar (Abb. 9 und 10). Gemäss diesem Modell müssen Druckkräfte über die Elementfuge auf der Aussenseite des Rahmenecks übertragen werden. Auf der Innenseite ergibt sich aus der räumlichen Kraftumlenkung auf der Höhe des Trägerdruckgurtes eine Zugkraft in Längsrichtung. Die Rahmeneinheiten stützen sich jeweils gegenseitig, sodass in diesem Zugglied lediglich die Zugkraft aus den stirnseitigen Rahmen verbleibt. Um die Ablenkkraft an den Stirnseiten der Halle aufzunehmen, musste an den Hallenenden die Diagonalscheibe über Dach geführt werden. Ein stirnseitiges Bauteil unter Dach im Rahmeneck als Fortsetzung der Diagonalscheibe in Hallenlängsrichtung erübrigte sich und wäre auch ästhetisch nicht erwünscht gewesen (vgl. «Krustentier und Vogel », S. 18).

Fachkompetenz und Synergien

Die Vorfabrikation der Betonelemente spielte für die Umsetzung des Faltwerks und für den «Zusammenklang» der tragenden Elemente eine wesentliche Rolle. Sie war gemäss Bauingenieur dem Erfolg des Projektes zuträglich, denn die Qualität des wetterfesten Faltwerks profitierte davon. Für die Elementherstellung im Werk wurden Stahlschalungen – ihre Herstellung beanspruchte drei Monate – verwendet, weshalb keine Schalungsverformungen entstanden und keine Strukturbilder auf den Elementoberflächen sichtbar sind. Die Kanten der vorfabrizierten Elemente sind scharf, unverletzt und in stets gleicher Präzision hergestellt. Wegen der optimierten Rezeptur des selbstverdichtenden Feinbetons sind die Oberflächen ausserdem sehr kompakt und weisen die Betoneigenschaften konstante Werte auf. Anspruchsvoll in der Bearbeitung waren die Verbindungen und die Detailgestaltung der Bewehrung in den engen Platzverhältnissen. Da die Elementformen aber bereits in den ersten Planungsschritten festgelegt und beibehalten wurden, konnte die aufwendige und zeitintensive Vorfabrikation früh beginnen.

Dieses Bauvorhaben konnte nur gelingen, weil fachspezifische Kompetenzen bei der Ausführung in allen Fachbereichen vorhanden waren und Synergien genutzt wurden. Das Verhältnis zwischen Bauingenieuren, Architekten und Vorfabrikanten widerspiegelt sich im Endergebnis: Tragwerk und Architektur bedingen sich gegenseitig.

TEC21, Fr., 2010.10.01

01. Oktober 2010 Clementine Hegner-van Rooden

4 | 3 | 2 | 1