Editorial

Die Schweiz hat eines der besten Abwasserreinigungssysteme weltweit. Funktionierende Kanalisationen und Kläranlagen sind selbstverständlich geworden und werden höchstens noch am Rande wahrgenommen. Kläranlagen sind darauf ausgelegt, Feststoffe, organische Substanz und Nährstoffe aus dem Abwasser zu entfernen. Mit den sogenannten «Mikroverunreinigungen» wurden in den letzten Jahren jedoch neue Problemstoffe identifiziert, die mit den jetzigen Anlagen nicht ausreichend entfernt werden. Da sie sich nachteilig auf Wasserlebewesen auswirken können, werden Verfahren zur Entfernung dieser Stoffe im Moment intensiv getestet. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) plant auch schon den nächsten Schritt und möchte die hundert grössten Kläranlagen der Schweiz mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe aufrüsten. Das Uvek hat eine entsprechene Änderung der Gewässerschutzverordnung vorgeschlagen. Die Zeit scheint günstig, denn viele Kläranlagen müssen in den nächsten Jahren sowieso erneuert werden. Der Vorschlag stiess bei der Vernehmlassung allerdings auf Kritik (vgl. «Mikroverunreinigungen reduzieren », S. 20ff.).

Ein weiteres, bis vor einigen Jahren noch weitgehend unbeachtetes Problem im Gewässerschutz ist das Strassenabwasser. Obwohl das Gewässerschutzgesetz seit 1991 vorschreibt, dass das Abwasser stark befahrener Strassen gereinigt werden muss, wird es noch bei einem Grossteil der Schweizer Autobahnen lediglich durch einen Ölabscheider geleitet, bevor es ins nächste Gewässer fliesst. Immerhin wird bei grösseren Strassenbauprojekten die Abwasserbehandlung heute von vornherein mitgeplant. Welches das geeignetste Verfahren ist, ist jedoch umstritten (vgl. «Klärungsbedarf beim Strassenabwasser», S. 27ff.).

Im Abwasser finden sich aber nicht nur Schadstoffe: Täglich verschwinden auch grosse Mengen an Wärmeenergie im Abfluss. Auch bei der Nutzung dieses bisher weitgehend vernachlässigten Potenzials ist die Schweiz international führend. Einige dieser Pionierprojekte zur Wärmenutzung des Abwassers stellen wir in diesem Heft vor (vgl. «Mit Abwasser heizen», S. 24ff.).

Um der Bevölkerung vor Augen zu führen, was mit dem Wasser geschieht, nachdem es im Abfluss verschwunden ist, soll am 21. Mai 2011 erstmals ein Schweizer Tag des Abwassers durchgeführt werden. Initiiert wurde er von der Schweizer Kampagne für die sanitäre Grundversorgung. Die einzelnen Veranstaltungen sind ersichtlich unter www.siedlungshygiene2008.ch.
Claudia Carle, Daniela Dietsche

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Neubau Altersheim Sonnegg in Huttwil | Häuserkampf unter spanischer Sonne

10 PERSÖNLICH
Patrick Gartmann: «Es wird heute zu kompliziert gebaut»

12 MAGAZIN
Objets à réaction poétique | «Pile up» am Ziel | Hülle gut, alles gut? | Asbestuntersuchung
vereinheitlichen | Garten der zweihundert Unkräuter

20 MIKROVERUNREINIGUNGEN REDUZIEREN
Christian Abegglen, Marc Böhler, Hansruedi Siegrist
Für die Reduktion von Mikroverunreinigung im Abwasser eignen sich die Ozonung oder die Adsorption an Pulveraktivkohle – ein Vergleich von Wirksamkeit, Kosten und Engergiebedarf.

24 MIT ABWASSER HEIZEN
Aldo Rota
Abwasser steckt voller Energie, die zum Heizen von Gebäuden genutzt werden kann. Die Technik ist ausgereift, dennoch wird dieses Potenzial noch wenig genutzt.

27 KLÄRUNGSBEDARF BEIM STRASSENABWASSER
Daniela Dietsche
Die Standardlösung für die Strassenabwasserbehandlung wurde noch
nicht gefunden. Unterschiedliche Systeme werden gebaut, getestet und analysiert.

31 SIA
Arbeitssicherheit auf dem Bau | Beitritte zum SIA im 2. Quartal 2010

36 WEITERBILDUNG

37 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Mikroverunreinigungen reduzieren

Mikroverunreinigungen im Abwasser sind eines der drängendsten Probleme im Gewässerschutz. Sie können in den Kläranlagen nicht ausreichend entfernt werden und gelangen dadurch in die Gewässer. Die Kläranlagen sollen daher mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe aufgerüstet werden. Zur Diskussion stehen die Ozonung oder die Adsorption an Pulveraktivkohle. Beide Verfahren werden derzeit in Labor- und grosstechnischen Versuchen hinsichtlich Wirksamkeit, Kosten und Energiebedarf evaluiert.

Heutige Abwasserreinigungsanlagen (ARA) sind darauf ausgerichtet, Feststoffe, organische Substanz und Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor zu entfernen. Sogenannte Mikroverunreinigungen werden aber nur ungenügend reduziert. Mikroverunreinigungen sind organische Stoffe, die in sehr tiefen Konzentrationen (Milliardstel- bis Millionstel Gramm pro Liter) in den Gewässern vorkommen. Sie stammen aus Pflanzenschutzmitteln, Körperpflegeprodukten, Reinigungsmitteln oder Medikamenten und gelangen zu einem grossen Teil über die Siedlungsentwässerung in die Gewässer, vor allem über die Ausläufe der kommunalen ARA.

In stark mit Abwasser belasteten Gewässerabschnitten können einzelne dieser Stoffe Konzentrationen erreichen, die sich nachteilig auf Gewässerlebewesen auswirken können.[1,2] So wurde beispielsweise festgestellt, dass hormonaktive Stoffe zur Verweiblichung männlicher Fische führen. Ausserdem können Mikroverunreinigungen Trinkwasserressourcen beeinträchtigen, zumal sich die schwer abbaubaren Stoffe auch im Grundwasser nachweisen lassen. Um eine ausreichende Qualität des Rohwassers für die Trinkwasserproduktion zu gewährleisten und negative ökologische Auswirkungen zu minimieren, gibt es Bestrebungen, den Eintrag von Mikroverunreinigungen aus kommunalen ARA in die Gewässer zu verringern.[3]

Teil der «Strategie Micro Poll»

Mit welchen Massnahmen das erreicht werden kann, wird im Rahmen des Projekts «Strategie MicroPoll» untersucht, das 2006 vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) gestartet wurde. Dazu gehören unter anderem technische Versuche, mit denen getestet wird, ob durch die Einführung einer zusätzlichen Reinigungsstufe in Kläranlagen Mikroverunreinigungen entfernt werden können. Die meisten ARA haben heute drei Reinigungsstufen – eine mechanische, eine biologische und eine chemische (Abb. 1). Als mögliche zusätzliche Reinigungsstufe werden die Ozonung sowie die Adsorption an Pulveraktivkohle (PAK) im Labor- und im Grossmassstab untersucht.

Die Ozonung wurde in der ARA Wüeri in Regensdorf während etwa 18 Monaten bis Oktober 2008 betrieben (vgl. TEC21 38/2007 und 37-38/2009).[4] Bis Spätsommer 2010 läuft ein zweiter grosstechnischer Versuch in der ARA Lausanne. Dort wird zudem eine grössere Pilotanlage mit einer PAK-Adsorption betrieben.[5] Zusätzlich werden am Wasserforschungsinstitut Eawag in Dübendorf verschiedene Varianten der PAK-Adsorption im Labormassstab untersucht und teilweise in grösseren ARA verifiziert.[5,6,7] In diesem Artikel werden vorwiegend Resultate der Versuche in Regensdorf (Ozonung) und an der Eawag (PAK-Adsorption) vorgestellt. Die bisherigen Resultate in Lausanne zeigen aber vergleichbare Tendenzen.

Ozonung

Ozon, das aus drei Sauerstoffatomen besteht, hat eine stark oxidierende Wirkung. Es greift viele Substanzen an und wandelt sie chemisch um. Da Ozon sehr instabil ist, muss es am Einsatzort aus getrockneter Luft oder flüssigem Sauerstoff produziert werden. Dann wird es gasförmig in den Abwasserstrom eingeblasen. Eine Ozonanlage in einer ARA besteht im Wesentlichen aus Ozonerzeugung, Kontaktreaktor, Abluftreinigung und Prozesssteuerung (Abb. 2).

Die Auswirkung der Ozonung auf die Qualität des Abwassers wurde in der ARA Regensdorf anhand von chemischen, ökotoxikologischen und biologischen Parametern untersucht. Es zeigte sich, dass durch die Ozonung sowohl die Anzahl der messbaren Mikroverunreinigungen als auch deren Konzentrationen substanziell abnahmen. So konnten vor Inbetriebnahme der Ozonungsstufe von den 50 untersuchten Stoffen 31 im Ablauf der Kläranlage nachgewiesen werden, während es nach der Inbetriebnahme nur noch 16 Substanzen waren. Die Gesamtkonzentration der gemessenen Mikroverunreinigungen sank von rund 15 g/l auf etwa 3.5 g/l. Betrachtet man einzelne Stoffgruppen, so wurden z. B. die untersuchten Östrogene komplett eliminiert. Es gibt aber auch Substanzgruppen, beispielsweise die iodierten Röntgenkontrastmittel, die kaum angegriffen werden. Insgesamt wird das gereinigte Abwasser durch die Ozonung aber wesentlich von Mikroverunreinigungen befreit.

Unerwünschte Reaktionsprodukte?

Ein Problem der Ozonung ist, dass sie die angegriffenen Substanzen nicht komplett eliminiert, sondern sie lediglich in grösstenteils unbekannte Reaktionsprodukte umwandelt. Man wollte daher wissen, ob diese Produkte weniger schädlich sind als die Ausgangsstoffe. Dafür wurden die wenigen bekannten, unerwünschten Umwandlungsprodukte mittels chemischer Analytik untersucht. Man stellte fest, dass ihre Konzentrationen im Auslauf der Ozonung deutlich unterhalb von Richtwerten für Trinkwasser lagen.

Ergänzend wurden ökotoxikologische Tests durchgeführt, um zu untersuchen, ob durch die Ozonung die toxischen Effekte auf Organismen reduziert werden oder ob das Abwasser nach der Behandlung «schädlicher» ist.4 Viele ökotoxikologisch relevante Effekte (zum Beispiel Hormonaktivität) wurden deutlich reduziert. Bei zwei dieser Tests wurde aber direkt nach der Ozonung eine Verschlechterung gegenuüber dem biologisch gereinigten Abwasser beobachtet. Dies ist vermutlich auf die Bildung von labilen Reaktionsprodukten zurückzuführen. Nach dem Durchlaufen des nachgeschalteten Sandfilters waren diese negativen Effekte jedoch verschwunden. Um den Eintrag solcher Reaktionsprodukte in die Gewässer zu vermeiden, wird empfohlen, der Ozonung eine weitere Stufe (etwa Sandfilter) nachzuschalten, wo sie biologisch abgebaut werden können (Abb. 2).

Mit dem grosstechnischen Versuch in Regensdorf konnte gezeigt werden, dass eine Ozonung mit relativ geringem Aufwand in eine bestehende Anlage integriert werden kann. Eine Herausforderung war die Steuerung der Ozondosierung. Wird zu wenig Ozon dosiert, ist die Elimination der Mikroverunreinigungen ungenügend. Wird zu viel dosiert, steigen einerseits die Kosten für den Betrieb, andererseits wird Ozon aus dem Reaktor ausgetragen, was sich negativ auf den vor allem aus Bakterien bestehenden Biofilm im Sandfilter auswirkt. Mit zunehmender Erfahrung werden hier aber noch wesentliche Optimierungen möglich sein. Da Ozon ein stark reizendes Gas ist, sind beim Einsatz einer Ozonungsanlage entsprechende Sicherheitsvorkehrungen (Abdichtungen, Gasdetektoren, Alarmsysteme) zu treffen, um das Personal zu schützen.

Adsorption an Pulveraktivkohle

Die zweite untersuchte Option für die Entfernung von Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser ist die Adsorption an Pulveraktivkohle. Adsorption bezeichnet die Bindung von Stoffen an der Oberfläche von Feststoffen. Die Stoffe werden dabei chemisch nicht verändert, sodass im Gegensatz zur Ozonung keine Abbauprodukte entstehen. Wie effizient Aktivkohle die Mikroverunreinigungen entfernt, hängt wesentlich davon ab, an welcher Stelle in der Kläranlage sie zugegeben wird. Eine Schwierigkeit bei allen Methoden ist, die zugegebene Aktivkohle wieder vom Wasser zu trennen, bevor dieses in ein Gewässer eingeleitet wird.

Die einfachste Möglichkeit, die an der Eawag untersucht wird, ist die Zugabe der Aktivkohle in die biologische Reinigungsstufe (Abb. 3a) und die anschliessende Entfernung zusammen mit dem Belebtschlamm im Nachklärbecken. Da aber in der biologischen Reinigungsstufe die Konzentration an organischem Kohlenstoff (DOC), der die Adsorption der ebenfalls organischen Mikroverunreinigungen konkurrenziert, hoch ist, ist dieses Verfahren wenig effizient und braucht grosse PAK-Mengen. Dafür sind die Investitionskosten tief, da die bestehenden ARA nur geringfügig umgebaut werden müssen.

Favorisiert wird derzeit die Zugabe von Aktivkohle in den Ablauf der Nachklärung, da hier die Konzentration des DOC geringer ist. Das Abwasser wird dabei nach Verlassen der biologischen Reinigungsstufe und des Nachklärbeckens in einen separaten Adsorptionsreaktor geleitet, wo die PAK zugegeben wird. Anschliessend wird die PAK mittels Sedimentation oder Membranfiltration (Abb. 3b) abgetrennt. Diese Verfahren werden an der Eawag (Sedimentation) und in Lausanne (Membran) getestet. Im Fall der Sedimentation ist zusätzlich eine nachgeschaltete Filtration notwendig, da der Feinanteil der PAK schlecht sedimentiert.

Eine Möglichkeit, die Effizienz dieses Adsorptionsprozesses zu verbessern, ist, die Kohle im Kreis zu führen. Bei zweistufigen Verfahren wird daher die vom Abwasser abgetrennte Aktivkohle, die dann schon teilweise mit Mikroverunreinigungen «beladen» ist, nochmals in die biologische Stufe zurückgeführt. Weil dort der Gehalt an Mikroverunreinigungen noch höher ist, kann die Aktivkohle noch mehr adsorbieren. Ein Nachteil des Verfahrens mit separatem Adsorptionsreaktor ist der höhere Platzbedarf.

Die Ergebnisse einer Pilotanlage der Eawag zur Elimination von Mikroverunreinigungen durch PAK zeigen, dass diese viele Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser eliminieren. Eine Rückführung der PAK in die biologische Stufe erscheint vorteilhaft, da für einige Stoffe, deren Elimination bei einer einstufigen Behandlung vergleichsweise gering ist (z. B. Röntgenkontrastmittel), eine deutlich verbesserte Reduktion erzielt wird.

Vergleich der Verfahren

Die Qualität des gereinigten Abwassers verbessert sich mit beiden Verfahren deutlich, die Reinigungsleistung kann sich für einzelne Substanzen aber deutlich unterscheiden. Der Einsatz von PAK bewirkt eine zusätzliche Elimination des organischen Kohlenstoffs, während Ozon dank seiner desinfizierenden Wirkung die Keimzahl reduziert. Bezüglich der Kosten schneiden beide Verfahren ähnlich ab. Für grössere Anlagen belaufen sich die Mehrkosten (ohne Filtration) auf ca. 10 Rp./m3 Abwasser (das entspricht rund 10 Fr. pro Einwohner und Jahr), bei kleineren Anlagen sind es 15 – 25 Rp./m3 Abwasser. Ist noch kein Sandfilter vorhanden, ist mit weiteren 5 –15 Rp./m3 zu rechnen.

Anders sieht es beim Energieverbrauch aus: Ozon wird vor Ort in einem energieintensiven Prozess hergestellt, d.h. der grösste Teil des Energieverbrauchs fällt in der ARA selbst an. Damit wird sich der Stromverbrauch im Durchschnitt schätzungsweise um ca. 20 % (ca. 0.06 kWh/m3 Abwasser; mit Filtration: ca. 30% oder 0.1 kWh/m3) erhöhen. Gemäss einer Hochrechnung wird sich dadurch der Stromverbrauch der Abwasserreinigung in der Schweiz bei einer Ausrüstung von rund 100 grösseren ARA mit einer Ozonungsstufe (inkl. Filtration und Sauerstoffproduktion) von derzeit rund 400 GWh/a um 25 % auf etwa 500 GWh/a erhöhen. 100 GWh entsprechen etwa 0.15 % des Schweizer Stromverbrauchs.

Eine PAK-Stufe erhöht den Energieverbrauch der ARA nur unwesentlich. Die Herstellung der PAK ist jedoch sehr energieintensiv. Der Primärenergiebedarf für die PAK-Produktion liegt daher um einen Faktor 1.5 bis 3 höher als derjenige für die Ozonung.

Mit der PAK-Adsorption und der Ozonung stehen zwei Verfahren zur Verfügung, die organische Spurenstoffe in ARA weitgehend eliminieren können. Welches Verfahren für welche ARA geeignet ist, muss im Einzelfall geklärt werden (Platz, Abwasserzusammensetzung etc.). Aufgrund der Erfahrungen im In- und Ausland sind grundsätzlich beide Verfahren reif für die grosstechnische Anwendung, obwohl noch nicht restlos alle Fragen geklärt sind.

Forschungsbedarf gibt es vor allem im Bereich Materialwahl und Steuerung / Regelung, bei der PAK zusätzlich bei der Abtrennung und Schlammbehandlung. Andere Verfahren, die eine ähnliche Breitbandwirkung bezüglich der Elimination von Spurenstoffen zeigen und deren Kosten und Energieverbrauch in einem vertretbaren Rahmen sind, sind derzeit nicht in Sicht.


An den Projekten in Regensdorf sowie an der Eawag war eine Vielzahl von Forschenden, Behördenvertretern und Ingenieuren beteiligt. Die Autoren danken allen herzlich für ihren grossen Einsatz. Die Studien wurden vorwiegend vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) sowie vom Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) des Kantons Zürich finanziert.

Der Text ist eine gekürzte und überarbeitete Version eines Artikels, der in der Zeitschrift «gwa» Nr. 7/2010 erschienen ist.


Anmerkungen:
[01) R. Gälli, C. Ort und M. Schärer: «Mikroverunreinigungen in den Gewässern – Bewertung und Reduktion der Schadstoffbelastung aus der Siedlungsentwässerung », in: Umwelt-Wissen Nr. 17/09. Bundesamt für Umwelt, Bern, 2008, S. 103
[02] C. Götz, R. Kase, C. Kienle, J. Hollender: «Beurteilung von Mikroverunreinigungen aus kommunalem Abwasser», in: Gas Wasser Abwasser 7/2010, Zürich, 2010
[03] Bafu (Hrsg.): Eintrag von organischen Spurenstoffen – Erläuternder Bericht zur Änderung der Gewässerschutzverordnung. Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation – Bundesamt für Umwelt. 18.11.2009
[04] C. Abegglen et al.: «Ozonung von gereinigtem Abwasser», in: Schlussbericht Pilotversuch Regensdorf, Publikation zum Projekt «Strategie MicroPoll». Eawag, Dübendorf, 2009
[05] Die Pilotversuche in Lausanne und an der Eawag werden im Sommer/Herbst 2010 abgeschlossen. Ende 2010 liegt der Schlussbericht mit den detaillierten Resultaten aus den Versuchen in Lausanne vor. Der aktuelle Kenntnisstand zu den Verfahren zur Entfernung von Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser wie auch die Resultate und Schlussfolgerungen aller Micropoll-Versuche werden voraussichtlich Anfang 2011 in einer Bafu-Publikation veröffentlicht
[06] M. Böhler et al.: «Aktivkohledosierung in den Zulauf zur Sandfiltration Kläranlage Kloten/Opfikon», in: Eawag Zwischenbericht, Dübendorf, 2009
[07] B. Zwickenpflug und M. Böhler: «Einsatz von Pulveraktivkohle zur Elimination von Mikroverunreinigungen aus dem kommunalem Abwasser», in: 3. Zwischenbericht, Studie Eawag im Auftrag des Bafu. Dübendorf, 2009, www.eawag.ch/organisa tion/abteilungen/eng/schwerpunkte/abwasser/ strategie_micropoll/pak_eawag/index (10.5.2010) 03 a 03 b

TEC21, Fr., 2010.09.03

03. September 2010 Christian Abegglen, Marc Böhler

Mit Abwasser heizen

Im Abwasser ist eine beträchtliche Wärmeenergie gespeichert. Es erstaunt deshalb, dass dieses praktisch kostenlose Potenzial bis vor kurzem nur wenig genutzt wurde. Erst in den letzten Jahren hat die Stadt Zürich mit Pionierprojekten eine energietechnische Wende herbeigeführt. Als Folge davon ist die Schweiz heute weltweit führend in der Nutzung der Abwasserwärme. Durch optimierte Wärmedämmung und Klimaregelung werden heute die Wärmeverluste aus der Raumheizung minimiert. Trotzdem entweichen weiterhin beträchtliche Wärmemengen über das Abwasser in die Oberflächengewässer.

Hier steht ein noch weitgehend ungenutztes Potenzial an günstiger Wärmeenergie zur Verfügung, das allerdings meistens niedrigere Temperaturen als die Abwärme aus industriellen Prozessen aufweist.

Eine bedeutende Energiequelle

Das Schweizer Siedlungsabwasser bietet dank seiner Temperatur von mindestens 10 °C bis über 20 °C und seines im Jahresverlauf konstanten Angebots günstige Voraussetzungen für die Nutzung mittels Wärmepumpen. Das theoretische Potenzial dieses Energielieferanten lässt sich etwa anhand des mittleren Pro-Kopf-Wasserverbrauchs der Schweiz (Haushalte und Industrie) von täglich 400 l abschätzen. Ein grosser Anteil des verbrauchten Frischwassers fällt schliesslich als Abwasser an. Schätzungsweise könnten damit etwa 5 % des schweizerischen Gebäudebestands geheizt werden.[1]

Zum Vergleich: Grundwasser hat meist eine konstante Temperatur von lediglich 8 bis 12 °C, und das Erdreich, das mittels Wärmesonden bis in eine Tiefe von etwa 400 m wirtschaftlich genutzt werden kann, stellt Temperaturen zwischen 10 °C und 20 °C zur Verfügung. Oberflächengewässer können, je nach Jahreszeit, Temperaturen zwischen 0 °C und über 25 °C aufweisen.

Die für die Wärmerückgewinnung aus Abwasser erforderliche Wärmepumpen- und Wärmetauschertechnologie ist seit Jahrzehnten bekannt und hat sich vielfach in der Nutzung von Erdwärme und Oberflächengewässern bewährt. Ganz umsonst steht die Abwasserenergie aber nicht zur Verfügung. Auch hier gilt die Faustregel, dass rund 25 % der gewonnenen thermischen Energie in Form von elektrischer Energie für den Betrieb der Wärmepumpen aufgewendet werden muss. Dieser nicht vernachlässigbare Energiebedarf kann, je nach Herkunft der Elektrizität, die positive Umweltbilanz von Wärmepumpenanlagen wieder relativieren. Wie kann Abwasser genutzt werden?

Für den wirtschaftlichen Betrieb einer Wärmepumpenanlage ist ein ausreichender regelmässiger Wasseranfall und / oder ein Mindestspeichervolumen erforderlich. Auf dem Weg des Abwassers, von der Entstehung bis zur Rückgabe des geklärten Abwassers in ein Gewässer, ist die Nutzung der darin enthaltenen Wärmeenergie grundsätzlich an drei Orten möglich:

– Direkt im oder beim Gebäude, in dem das Abwasser anfällt, durch dezentrale Anlagen, die meist unmittelbar der Heizung des betreffenden Bauwerks dienen.

– In der Kanalisation, auf dem Weg von den einzelnen Gebäuden zum Klärwerk. Da in den Kanalisationen meist kein Speichervolumen zur Verfügung steht und das Abwasser zeitlich unregelmässig anfällt, ist eine wirtschaftliche Wärmerückgewinnung nur in grossen Sammelkanälen mit ausreichender Minimalwasserführung möglich.

– Nach dem Klärwerk bei der Rückgabe des geklärten Abwassers. An dieser Stelle ist die grösste, zeitlich konstante Abwassermenge und damit das grösste Energieangebot nutzbar. Nach der Nutzung des Abwassers ist meist eine minimale Abgabetemperatur in die Kanalisation einzuhalten.

Lokale Wärme aus Hausanlagen

Für häusliches Abwasser kann mit einer Mischtemperatur von 20 bis 28 °C gerechnet werden. In Mehrfamilienhäusern liegt der mittlere für die Wärmerückgewinnung nutzbare Schmutzwasseranteil bei etwa 125 l pro Person und Tag. Ein Abwasserschacht mit konstant gehaltenem Niveau dient als Wärmespeicher. In diesem Schacht ist ein Wärmetauscher-Filtermodul untergebracht (Abb. 3). Dieses filtriert das zufliessende häusliche Abwasser zu Grauwasser, in das der ringförmige Wärmetauscher aus nichtrostendem Stahl eingetaucht ist (vgl. Titelbild S. 19). Das überschüssige Grauwasser wird nach der Nutzung in die Kanalisation abgegeben. Die mit dem Wärmetauscher gewonnene Abwasserwärme wird mit einer Wärmepumpe genutzt. Wird die minimale Temperatur der Medien unterschritten, schaltet sich die Anlage aus, bis wieder warmes Abwasser zufliesst, wodurch ein täglicher Wärmeentzug aus dem Abwasser während 10–18 Stunden möglich ist. Mit passenden Wärmepumpen lassen sich problemlos Warmwassertemperaturen von 60 °C erreichen. Durch die Ausnutzung sämlicher Abwässer eines Gebäudes kann die ganzjährige Warmwasseraufbereitung (ohne Heizung) sichergestellt werden. Zur Deckung des gesamten Wärmebedarfs können mit derselben Wärmepumpe auch andere Wärmequellen genutzt werden. Die erste derartige Anlage wurde nach dem Ölschock Anfang der 1970er-Jahre 1975 in Mels SG installiert.[2] Seither sind in der Schweiz über 200 dezentrale Energiesysteme dieser Bauart in Betrieb genommen worden.

Wärme aus der Kanalisation

Kanalisationen mit ausreichender permanenter Wasserführung für die wirtschaftliche Nutzung der Abwasserwärme finden sich naturgemäss meist in grösseren Städten. In der Schweiz haben Zürich und Luzern Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet. In Zürich wurde der vor 10 Jahren instandgesetzte Hauptsammelkanal Rotbuchstrasse im Stadtteil Wipkingen auf 200 m Länge mit einem Rinnenwärmetauscher ausgerüstet.[2] Er ist in die aufbetonierte Sohle dieses Kanals mit kreisförmigem Querschnitt eingelegt und besteht aus 4 mm starkem Edelstahlblech mit einer Einsatzdauer von mindestens 50 Jahren. Die Schalen des Rinnenwärmetauschers werden zwischen den einbetonierten Eintritts- und Austrittsleitungen quer zur Fliessrichtung des Abwassers von kaltem Wasser durchströmt (Abb. 4). Dieses von den Wärmepumpen kommende Wasser wird auf 10 °C bis 15 °C erwärmt und fliesst durch die Rücklaufleitung in der Sohle zurück.

Auf diesem tiefen Temperaturniveau wird die gewonnene Energie mit sogenannten kalten Fernleitungen zu 7 Heizzentralen transportiert, wodurch die Wärmeverluste minimiert werden. In den lokalen Heizzentralen wird das Temperaturniveau mittels bivalenter Wärmepumpen auf die für Raumheizung und Warmwassererzeugung erforderlichen Werte erhöht. Die Anlage gewinnt pro Stunde bis zu 1000 kWh Energie, was eine Jahresenergieproduktion um 4000 MWh ergibt (Abb. 5), wobei das Abwasser um maximal 2.5 °C abgekühlt wird. Auch in Luzern wurde anlässlich der Sanierung eines Abwasserkanals ein Wärmetauscher eingebaut.[2] Unter dem Hirschengraben in der Altstadt verläuft auf 236 m Länge eine Rinne aus Polymerbeton-Elementen, in die insgesamt 118 Rohrwärmetauscher einbetoniert sind. Bei einer langjährigen mittleren Abwassertemperatur zwischen 10 °C und 20 °C entziehen diese Elemente dem Abwasser ausreichend Energie, um 200 Wohnungen zu beheizen und mit Warmwasser zu versorgen. Auch bei dieser Anlage muss das Temperaturniveau mit einer Wärmepumpe auf 65 °C erhöht werden, um für die Heizung nutzbar zu sein. Die Anlage liefert 70 % des jährlichen Energiebedarfs; der Rest muss durch Erdgas ergänzt werden. Das Sparpotenzial durch die Abwasserwärme wird auf jährlich rund 130 000 l Heizöl geschätzt. Eine kleinere Anlage ist in Luzern seit zwei Jahren in Betrieb: In der Sohle der sanierten Kanalisation Hirschmattstrasse ist auf einer Länge von 60 m ein 0.7 m breiter Plattenwärmetauscher eingebaut worden. Mit der gewonnenen Wärmeenergie wird ein Bürohaus geheizt bzw. gekühlt, wodurch jährlich rund 40 000 l Heizöl eingespart werden.

Abwärmenutzung der ARA Werdhölzli

Das Limmattal nördlich der Stadt Zürich bietet gu?nstige Voraussetzungen für die Nutzung von Abwärme. Gemäss dem Versorgungsplan des Kantons Zürich ist es ein «Gebiet, welches sich aufgrund der Siedlungsstruktur speziell für rohrleitungsgebundene Energieträger eignet». Das im Limmattal gelegene Zürcher Klärwerk Werdhölzli, eine der grössten ARA der Schweiz, weist ein grosses Potenzial auf: Aus dem gereinigten Abwasser liesse sich durch Abkühlung um 3 °C eine Niedertemperaturabwärme von 266 Mio. kWh pro Jahr, etwa soviel wie aus einer grossen Kehrichtverbrennungsanlage, gewinnen. Damit könnten rund 7.5 Mio. m2 Geschossfläche mit Wärme versorgt werden. Gemäss dem kantonalen Versorgungsplan von 1995 ist diese ARA eine «Abwärmequelle von kantonaler Bedeutung».

Das Postzentrum Mülligen im Osten der Stadt Schlieren ist nur etwa 1 km in Luftlinie vom Klärwerk Werdhölzli entfernt. Auf Grund seiner Grösse ist es für die Nutzung der Abwasserwärme prädestiniert. Der 1985 eröffnete, heute unter Denkmalschutz stehende Bau des Architekten Theo Hotz weist ein Gebäudevolumen von 1 Mio. m3 und energieintensive technische Installationen auf. Der hohe Energiebedarf kann durch die Wärmeproduktion der ARA Werdhölzli gedeckt werden. Anlässlich des 2007 erfolgten Umbaus von einem Paketzentrum zu einem Briefsortierzentrum wurde die Energieversorgung deshalb mit der grössten Abwasserenergienutzungsanlage der Schweiz auf Wärme aus Abwasser umgestellt.[2]

Technologie und Betriebsbedingungen

Die Abwassertemperaturen der ARA Werdhölzli liegen zwischen 10 °C und über 22 °C. Damit bestehen gute Voraussetzungen für den Betrieb einer Wärmepumpe im Winter und einer Kältemaschine im Sommer. Das Betriebswasser wird aus dem Spülwasserkanal der Filtration, vor dem Auslauf der ARA, entnommen. Eine Pumpe mit einer Förderleistung von 650 m³/h (ca. 25 % des mittleren Abflusses der ARA) fördert das Betriebswasser durch eine 1.5 km lange Fernleitung (DA 500 HPDE) zum Verteilbauwerk vor dem Postgebäude Mülligen.

In der Energiezentrale des Postzentrums wird das Abwasser durch einen Wärmetauscher geleitet, der mittels eines vom Gewässerschutz vorgeschriebenen Zwischenkreises mit der Wärmepumpe verbunden ist, und zur Limmat zurückgeführt.

Im Oktober 2009 wurde mit der Energiezentrale Rietbach die zweite Anlage des Energieverbunds Schlieren in Betrieb genommen. Sie versorgt verschiedene Liegenschaften und nutzt neben der Abwärme der ARA Werdhölzli auch jene eines Rechenzentrums. Dafür wurde eine zweite Pumpe mit einer Förderleistung von 650 m³/h im Filtrierwerk installiert. Der Energieverbund Schlieren senkt den lokalen Verbrauch an fossilen Energieträgern auf ein Fünftel (Abb. 1, 2 und 6). Der jährliche Bedarf an elektrischer Energie für den Betrieb der Wärmepumpen und der Wärme-Kälte-Maschinen hat sich auf 11 200 MWh nahezu verdoppelt.

Im Winter dient die Abwasserenergie der Raumheizung des Postzentrums, was zu einer unproblematischen Abkühlung des Abwassers führt. Im Sommer erfordern die Anlagen des Postzentrums eine Kühlleistung von 4.9 MW. Die entsprechende Menge Abwärme muss durch eine mit Ammoniak als Kältemittel betriebene Wärme-Kälte-Maschine rückgekühlt werden, die das Abwasser als Kältereservoir nutzt. Dabei erwärmt sich das Abwasser, sodass an Sommertagen die Temperatur der Limmat kritisch werden kann. Die Temperatur des Abwassers darf deshalb 30 °C nicht überschreiten; die Temperatur des Limmatwassers muss unter 25 °C, der oberen Grenze für die Einleitung von Kühlwasser in ein Gewässer, liegen.


Anmerkungen:
[01] Aktion «EnergieSchweiz für Infrastrukturanlagen» www.infrastrukturanlagen.ch
[02] Kontakte: – Hausanlagen: FEKA - Energiesysteme AG, Bad Ragaz – Wärmeverbund Wipkingen, Zürich: ewz, Energiedienstleistungen, Zürich – Abwasserkanal Hirschengraben, Luzern: ewl, Wärmetechnik AG, Zürich – Energieverbund Schlieren: ewz, Energiedienstleistungen, Zürich

TEC21, Fr., 2010.09.03

03. September 2010 Aldo Rota

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