Editorial

TEC21 widmet dieses Jahr vier Ausgaben der Raumplanung. Die erste vom 5. März hiess «Die Schweiz wird knapp» und lieferte einen Überblick über Geschichte und aktuelle Aufgaben der Raumplanung in der Schweiz. Das hier ist die zweite Nummer.Sie beschäftigt sich mit der Planungskultur. Denn dass wir schleunigst etwas an der Art und Weise ändern müssen, wie wir mit der Landschaft und den natürlichen Ressour-cen umgehen, ist nicht nur Fachleuten klar, sondern dämmert offensichtlich auch immer mehr Bürgerinnen und Bügern.

Die Schweizer Raumplanung hat Topqualität im internationalen Vergleich. Trotzdem ist sie gescheitert, wenn man sie an den Ansprüchen misst, mit denen sie angetreten ist: Zwar hat jede Gemeinde einen sauberen Zonenplan – das ist viel wert, aber es tröstet nicht darüber hinweg, dass immer noch jedes Jahr Kulturland von der Grösse des Zugersees unter Beton und Asphalt verschwindet. Als ob wir eine zweite Schweiz hätten, wenn die erste überbaut ist. Und nach wie vor nimmt die Biodiversität ab, als ob wir neue Pflanzen und Tiere importieren könnten, wenn unsere ausgestorben sind.

Nachhaltige Raumentwicklung ist gefragt, in ökologischer Hinsicht sowieso, aber auch in kultureller. Was wäre ein kulturell nachhaltiger Raum? Landschaften und Ortsbilder, Gebäude und öffentliche Räume, die so schön sein müssten, dass unsere Nachfahren sie bewahren möchten. Das wird nur geschehen, wenn sie sich mit den Orten, die wir schaffen, identifizieren werden. Damit man sich aber mit einem Ort identifizieren kann, muss dieser zuerst einmal identifizierbar sein. Machen Sie den Test: Betrachten Sie die Fotos von Hannes Henz in diesem Heft und bestimmen Sie die Gemeinde, wo sie aufgenommen wurden (oder die Agglomeration oder wenigstens den Landesteil). Schwierig zu identifizieren? Dabei sind die Bilder doch vertraut. Vertraut und doch nicht Heimat?

Nachhaltige Räume wären also einmalige Räume: ortstypisch (aus der lokalen Geschichte abgeleitet) und ortsspezifisch (auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnitten). Wie man diese Qualität erreichen kann, davon handeln die Beiträge in dieser Nummer: Der neue Zürcher Kantonsplaner Wilhelm Natrup möchte Planungsregionen und Gemeinden vermehrt bei konkreten Projekten unterstützen und hofft, über diese guten Beispiele flächendeckend eine hohe Baukultur zu erreichen – das Planungsamt würde zum Amt für Baukultur. Hugo Wandeler erzählt aus dem Knonauer Amt, wo es gelungen ist, die Gemeinden an einen Tisch zu bringen und die Region gemeinsam auf den Siedlungsdruck vorzubereiten, den die neu eröffnete A4 bringen wird. Thom Held blickt in die Zukunft und sieht eine Planungskultur, die bleibende Werte hervorbringt und kreativ ist, weil sie sich für öffentliche Diskurse und neue Disziplinen öffnet.
Ruedi Weidmann

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Unterwerk Neuwiesen | Bionic-Award: Tierische Dübeltechnik

10 PERSÖNLICH
Claude Martin: «Biodiversität betrifft uns alle»

12 MAGAZIN
www.wec2011.ch | Haus der Religionen Bern | Ticino-Delta wird aufgewertet

18 «EIN AMT FÜR RAUMENTWICKLUNG UND BAUKULTUR»
Lukas Denzler, Ruedi Weidmann
Mehr Qualität dank guten Beispiele: Der neue Zürcher Kantonsplaner Wilhelm Natrup will Planungsregionen und Gemeinden bei der Projektentwicklung unterstützen. Das Interview.

24 SÄULIAMT UNTER DRUCK
Hugo Wandeler
Die S-Bahn hatte im Knonauer Amt einen Bauboom ausgelöst. Auf die Eröffnung der A4 hat es sich nun planerisch besser vor-bereitet. Der Erfahrungsbericht.

28 RAUMWERTSCHÖPFER
Thom Held
Wenn die Raumplanung Nachhaltigkeit und mehr Werthaltiges schaffen soll, muss sie kreativer werden und sich anderen Diszipli-nen und dem öffentlichen Diskurs öffnen. Die Vision.

34 SIA
Zur Planung in funktionalen Räumen | Gut bauen am richtigen Ort

39 FIRMEN

45 IMPRESSUM

«Ein Amt für Raumentwicklung und Baukultur»

Wilhelm Natrup, der neue Zürcher Kantonsplaner, äussert sich im Gespräch zu den Herausforderungen der Raumentwicklung. Er ist überzeugt, dass ein Diskurs über die räumliche Entwicklung notwendig ist, und möchte Planungsregionen und Gemeinden vermehrt bei der Gebietsentwicklung unterstützen.

TEC21: Die Probleme und Herausforderungen der Raumplanung sind bekannt. Wie gross ist der Spielraum der Raumplanung? Kann sie Akzente setzen?

Wilhelm Natrup: Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass man mit Raumplanung Akzente setzen kann und auch setzen muss. Raumplanung ist zwar auch eine administrative und verwaltungstechnische Angelegenheit, insbesondere beim Vollzug von Gesetzen und der Genehmigung von Plänen. Viel wichtiger aber ist, dass wir mit der Raumplanung Themen anpacken, die für die räumliche Entwicklung wichtig sind, und darüber diskutieren.

TEC21: Gibt es angesichts der übergeordneten Trends wie Globalisierung, Mobilität und Freizeit überhaupt gestalterische Freiräume?

WN: Ja, ich sehe Freiräume für Gestaltung. Wir müssen aber Raumplanung wieder offensiv denken. Und wir müssen aktiv auf andere Ämter und Direktionen zugehen, die mit ihrem Handeln grosse Auswirkungen auf die Raumentwicklung haben. Unsere Aufgabe als das für die Raumordnung zuständige Amt ist es, die Vorstellung der Gesamtentwicklung einzubringen, das themenübergreifende Denken zu fördern, Kooperationen innerhalb der kantonalen Verwaltung herbeizuführen und integrierte Konzepte zu entwickeln.

TEC21: Die Bevölkerung in der Region Zürich ist in den letzten 20 Jahren stark gewachsen, und dieser Trend dürfte sich fortsetzen. Wie soll und kann man damit umgehen?

WN: Die demografische Entwicklung ist tatsächlich einer der wichtigsten Treiber. Wir werden gemäss Prognosen in den nächsten 20 Jahren im Kanton Zürich noch einmal bis zu 200 000 Einwohner mit dazugehörenden Arbeitsplätzen und Infrastruktur unterbringen müssen – das entspricht zwei Mal der Stadt Winterthur. Und das alles unter der Prämisse, dass wir das Siedlungsgebiet nicht mehr ausdehnen wollen. Wir müssen deshalb mit den Gemeinden über die Akzeptanz von Dichte diskutieren. Wir müssen aufzeigen, wie und wo eine Siedlungsentwicklung nach innen erfolgen kann.

TEC21: Weshalb ist es bisher nicht gelungen, eine griffige Raumplanung umzusetzen?

WN: Wenn man sagt, die Raumplanung habe versagt, so ist es meistens den Fachleuten nicht gelungen, die Politik von bestimmten Leitbildern und Entwicklungen zu überzeugen. Einzelentscheidungen auf den einzelnen Planungsebenen sollten nicht nur aus einer kurzfristigen lokalen Optik erfolgen, sondern immer auch aus einer Gesamtbetrachtung. In diesem Spannungsfeld wird die Raumplanung immer stecken. Es wird immer Einzelentscheidungen geben, die die gesamten Linien nicht im Fokus haben. Aber die Richtung der wesentlichen Entscheidungen, die muss einfach stimmen.

TEC21: Was muss sich ändern, damit wir in der Raumplanung vorwärtskommen?

WN: Wir müssen davon wegkommen, dass Raumplanung der Zusammenzug von 171 Ortsentwicklungen ist – so viele Gemeinden haben wir im Kanton Zürich. Die Gemeinden müssen aufhören, nur in ihrem Gemeindegebiet zu denken. Es braucht eine regionale Abstimmung. Ich befürworte die Gemeindeautonomie grundsätzlich, auch dass der Souverän auf Gemeindeebene über bestimmte Fragen mitentscheidet. Aber es dürfen keine kommunalen Entscheide gefällt werden, die den übergeordneten Interessen widersprechen. Im Kanton Zürich haben wir 11 Planungsregionen. Ich halte das für eine sehr gute Ebene zwischen dem Kanton und den Gemeinden. Alle Gemeinden sind in den Planungsgruppen vertreten, und deren Aufgabe ist es, eine überkommunale Sichtweise einzunehmen. Wenn dies gelingt, wenn die dort formulierten Entwicklungsvorstellungen nicht von Kirchturmdenken geprägt sind, dann haben wir einen grossen Sprung gemacht. Es muss ein Wechselspiel sein, das dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung trägt: Der Kanton legt bestimmte Vorgaben fest, und die Regionen und Gemeinden können und sollen die vorhandenen Spielräume nutzen.

TEC21: Die Gemeinden sehen in neuen Ansiedlungen auf ihrem Gebiet Entwicklungschancen und tendieren deshalb dazu, im eigenen Interesse zu handeln. Auch dadurch erhoffte Steuereinnahmen spielen eine wichtige Rolle. Könnte ein sogenanntes regionales Siedlungsflächenmanagement, bei dem die regionale Sichtweise im Zentrum steht, weiterhelfen?

WN: Dieses Thema betrifft nicht nur die Raumplanung, sondern auch den Finanzausgleich. Unter Berücksichtigung des Finanzausgleichs lohnten sich für bestimmte Gemeinden, wenn sie ehrlich wären, Ansiedlungen eigentlich gar nicht. Wachstum galt bisher als Erfolgsausweis für Politiker, doch das stimmt gar nicht immer. Oft ergeben sich Sprungkosten – ganz offensichtlich ist das etwa, wenn ein neues Schulhaus gebaut werden muss. Für andere Gemeinden wiederum lohnt es sich zu wachsen. An zwei konkreten Beispielen versuchen wir zurzeit auszuloten, welche Chancen regionale Arbeitsplatzgebiete mit Gewerbe und Industrie bieten würden. Diese wären verkehrstechnisch ideal gelegen und würden die Dörfer kaum belasten. Dieser Prozess läuft zusammen mit dem Amt für Gemeinden. Für uns ist das ein Musterfall. Innerhalb der Region muss eine Aufgabenteilung stattfinden, wobei Vorteile und Lasten gleichmässig verteilt werden müssen.

TEC21: Die Standortgemeinden müssten von den Steuererträgen aus den Arbeitsplatzgebieten einen Teil an die anderen Gemeinden abgeben. Wäre so etwas denkbar?

WN: Ja, das könnte mit einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Gemeinden geregelt werden.

TEC21: Welche Weichen werden in der Raumplanung derzeit auf Bundesebene gestellt?

WN: Auf Bundesebene läuft vor dem Hintergrund der Landschaftsinitiative die Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG), und schon seit einiger Zeit ist man daran, das Raumkonzept Schweiz zu erarbeiten. Beim Raumkonzept wird entscheidend sein, dass dieses für sämtliche Akteure einen verbindlichen Charakter hat. Das müsste vor allem bedeuten, dass sich alle raumrelevanten Bundesämter hinter das Raumkonzept stellen, sonst bleibt es Makulatur.

TEC21: Weshalb ist der Vorschlag für ein neues Raumentwicklungsgesetz (REG) 2008/09 derart klar gescheitert? Offenbar wollen die Kantone keine Kompetenzen abgeben.

WN: Das ist schon so. Gemäss Bundesverfassung ist Raumplanung primär Aufgabe der Kantone. Das wurde beim Entwurf zum REG wohl zu wenig berücksichtigt. Man kann diese Aufgabenteilung natürlich infrage stellen, aber dann müsste man das auf Verfassungsebene ändern.

TEC21: Sind die Kompetenzen in der Raumplanung heute noch richtig verteilt? Ist die Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden angesichts der aktuellen Herausforderungen noch zukunftsfähig?

WN: Die Frage ist, wie man das lebt. Ich finde schon, dass in der heutigen Zeit die Kantonsgrenzen etwas eng gezogen sind. Eigentlich wären die funktionalen Räume die richtige Ebene, also etwa der Metropolitanraum Zürich. Da hat nun auch bereits eine Zusammenarbeit angefangen. Es wäre eine neue Qualität, wenn wir in diesen Räumen gemeinsame Konzepte und Strategien entwickeln könnten. Das muss nicht der Bund übernehmen, das würde nicht zum Staatsverständnis der Schweiz passen. Zweifellos aber brauchen wir eine Stärkung der interkantonalen Zusammenarbeit in Raumentwicklungsfragen. Das ist übrigens ein Planungsverständnis, das ich sehr schätze: Dass wir hier starke Kantone mit einer hohen Identität haben, die aber immer in der Lage waren, sich zusammenzuraufen und gemeinsame Interessen zu formulieren. An diese Tradition müssen wir wieder stärker anknüpfen. Das gilt sinngemäss auch für die Ebene der Regionen und Gemeinden.

TEC21: Wenn aber die Zusammenarbeit unter den Kantonen doch nicht wie erwünscht erfolgt, wäre das dann der Zeitpunkt, wo der Bund mehr Kompetenzen bekommen sollte?

WN: Ja, und zwar einfach deshalb, weil wir derart starke funktionale Verflechtungen und Abhängigkeiten in der Entwicklung haben, dass wir an Standortqualität verlieren würden, wenn wir unkoordiniert aneinander vorbeiarbeiten würden. Wir können gar nicht mehr nur innerhalb unserer Grenzen operieren, ohne uns abzustimmen. Das haben eigentlich alle erkannt. Manchmal lernt man in der Raumplanung auch durch Fehler. Es muss immer wieder mal ein ‹Galmiz› geben.

TEC21: Der Fall ‹Galmiz› hat aufgerüttelt?

WN: Ja, das hat bei vielen etwas ausgelöst. Es stellte sich die Frage, ob es richtig ist, dass eine so wichtige Frage durch eine Gemeinde in Zusammenspiel mit einem Kanton entschieden wird. Das hätte Auswirkungen auf ein viel grösseres Gebiet gehabt. So etwas wie ‹Galmiz› betrifft zweifellos auch die Nachbarkantone.

TEC21: Die Richtpläne spielen auf kantonaler Ebene und ganz allgemein in der Schweizer Raumplanung eine zentrale Rolle. Bisweilen hört man den Vorwurf, der Bund sei bei der Genehmigung der kantonalen Richtpläne zu wenig streng.

WN: Ich würde an einem anderen Punkt ansetzen. Wenn der Bund nicht klar sagt, was er will, ist es auch schwierig zu entscheiden, was genehmigt wird und was nicht. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn der Bund im Diskurs mit den Kantonen bezüglich der Mindestinhalte der Richtpläne und der Nachweise – etwa über ausgeschiedene Bauzonen oder die Verkehrsplanung in den Agglomerationen – Ziele formulieren und klare Vorgaben machen würde. Damit wäre auch sichergestellt, dass alle Kantone gleich beurteilt werden. Im Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative, also in der jetzt vorgeschlagenen RPGRevision, steht einiges drin, das in die richtige Richtung geht. Klare Zielvorgaben wären insbesondere hilfreich in Kantonen, wo Raumplanung politisch einen schweren Stand hat.

TEC21: Ein heisses Eisen sind die Reserven der Bauzonen, die in einigen Kantonen völlig überdimensioniert sind und oft auch am falschen Ort liegen. Wie steht es diesbezüglich im Kanton Zürich?

WN: Vor 30 Jahren hatten wir im Kanton wesentlich mehr Siedlungsgebiet ausgewiesen als heute. Mit jeder Richtplanrevision wurde es sukzessive zurückgefahren. Dafür braucht es aber klare Zielvorgaben und einen politischen Willen. In einem Kanton, wo die Landschaft unter Druck steht, ist das natürlich einfacher als in sehr ländlich geprägten Kantonen. Grundsätzlich wollen wir, dass die inneren Potenziale genutzt werden. Das gilt für urbane Gebiete wie für den ländlichen Raum. Gerade in den Dörfern gibt es grosse innere Potenziale; ich denke da an leer stehende Bauten, Ökonomiegebäude und Dachstöcke. Das soll genutzt werden, bevor die Dörfer über Quartierpläne erweitert werden. Hierzu bieten wir den Gemeinden auch Hilfestellung. Bei geschützten Ortsbildern gibt es auch materielle Unterstützung. Wir müssen an der Wertschätzung der Dörfer arbeiten.

TEC21: Müssen wir bei dieser Umnutzung grosszügiger sein? Und ergeben sich da nicht eine ganze Reihe von Konfliktfeldern, beispielsweise mit der Denkmalpflege?

WN: Ja, wir müssen grosszügiger sein, um die Interessen unter einen Hut zu bringen. Die Denkmalpflege ist übrigens Teil des Amtes für Raumordnung und Vermessung. Ich sage deshalb immer: Unser Amt macht Raumentwicklung und Baukultur. Wenn wir im bestehenden Siedlungsgebiet arbeiten wollen, dann müssen wir für den jeweiligen Standort im Diskurs mit den Gemeinden, den Betroffenen, der Bevölkerung konkrete Lösungen finden. Wir werden künftig viel stärker projektorientiert arbeiten. Ganz wichtig ist mir dabei die Qualität. Die Qualität der Planung muss unbedingt gesteigert werden. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Wir vom Kanton wollen ein verlässlicher Partner sein, indem wir klar sagen, was für uns gute Baukultur heisst. Deshalb sind wir daran, Leitlinien zu erarbeiten, damit die Gemeinden auch wissen, was unsere Erwartungen an Quartier- und Gestaltungspläne sind.

TEC21: Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo die Zusammenarbeit heute schon spielt?

WN: In Wädenswil wurde ein Projekt für ein 50 m hohes Hochhaus am Gerbeplatz beim Bahnhof ausgearbeitet. Weil der Standort im Perimeter des geschützten Ortsbildes lag, musste die Kantonale Natur- und Heimatschutzkommission dazu Stellung nehmen – und diese beurteilte das Projekt als nicht ortsbildverträglich. Vom See her gesehen, hätte das Hochhaus die Kirche als markantes Gebäude verdeckt. Ich bin aber durchaus der Meinung, dass das Zentrum von Wädenswil verdichtet werden soll. Zusammen mit der Gemeinde führen wir deshalb jetzt ein gemeinsames Studienverfahren durch, das am Beispiel des Wädenswiler Stadtzentrums aufzeigen soll, wie sich die gewünschte städtebauliche Dichte ortsbildverträglich erreichen lässt.

TEC21: Im Kanton Zürich läuft zurzeit die Gesamtüberprüfung des kantonalen Richtplans. Nach welchen Grundsätzen wird dabei vorgegangen?

WN: Massgebend ist das kantonale Raumkonzept mit den Leitlinien für die Raumentwicklung in den entsprechenden Handlungsräumen, festgehalten im Raumplanungsbericht vom August 2009. Ich habe das von meinem Vorgänger übernommen, aber nach meinem Verständnis geht es in die richtige Richtung. Wir haben ein kommunizierbares Bild, das im Grundsatz auf hohe Akzeptanz in allen Regionen gestossen ist. Auch im Parlament ist es positiv aufgenommen worden. Wir haben fünf Handlungsräume definiert und für diese nachvollziehbare und stimmige Ziele deklariert. Das ist weitgehend unbestritten. Es wird aber immer schwieriger, je tiefer wir auf den Stufen hinunter in die einzelnen Gemeinden und zu konkreten Projekten kommen. Da müssen wir noch viel Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit leisten.

TEC21: Voraussichtlich 2011 kommt der Richtplan in den Kantonsrat. Über welche Themen wird gestritten werden?

WN: Im Einzelfall über Erweiterungen des Siedlungsgebiets. Die Politiker werden sich für ihre Gemeinden und Regionen einsetzen. Unsere Aufgabe wird es sein, den Konsens – insbesondere über die Konzentration der Siedlungsentwicklung – nicht auseinanderbrechen zu lassen. Ein weiteres Thema wird die Landschaft sein. Ich habe den Eindruck, dass das Bewusstsein für die Gefährdung der Landschaft in der Bevölkerung zugenommen hat. Und da haben wir ja wirklich auch etwas zu verlieren. Die Qualität im Kanton Zürich besteht in meinen Augen im Zusammenspiel zwischen verschiedenen Siedlungsstrukturen und hoch attraktiven Landschaftsräumen. Die Nähe von Wohnen, Arbeit, Naherholung und Kultur ist ein entscheidender Vorteil im Standortwettbewerb.

TEC21: Welche Rolle spielt der Dialog mit der Bevölkerung?

WN: Ich bin überzeugt, dass wir einen Diskurs über die räumliche Entwicklung im Kanton brauchen und nicht nur eine Debatte im Kantonsrat. Ich spüre ein grosses Bedürfnis in Politik und Gesellschaft, wieder einmal über die Zukunft des Raums und die Zukunft von Zürich zu diskutieren, gerade auch vor dem Hintergrund der Überprüfung des Richtplans. Diese Chance möchte ich nutzen. Letztlich ist es aber der Kantonsrat, der über den Richtplan entscheidet. Dadurch erhält dieser auch eine hohe politische Legitimation.

TEC21: Gibt es Disziplinen und Stimmen, die gegenwärtig in diesem Dialog fehlen?

WN: Im meinen Augen fehlen insbesondere gesellschaftliche und soziale Themen. Das wird immer wieder mal angetippt, aber eine eigentliche Auseinandersetzung – etwa mit dem demografischen Wandel – findet nicht statt. Wie gehen wir zum Beispiel mit dem Thema Alter um? Wir sind in der Planung sehr technisch orientiert. Das Ästhetische spielt auch eine wichtige Rolle, das zeigen die Debatten über städtebauliche Fragen. Die Sozialwissenschaften hingegen sind in der Planung unterbelichtet.

TEC21, Fr., 2010.05.21

21. Mai 2010 Lukas Denzler, Ruedi Weidmann

Säuliamt unter Druck

In den letzten 40 Jahren hat sich die Bevölkerung im Säuliamt – offiziell als Knonauer Amt bezeichnet – nahezu verdoppelt. Die gute Anbindung an die S-Bahn und die Eröffnung der A4 werden die Einwohnerzahl in den nächsten Jahren weiter steigen lassen. Dennoch will die Regionalplanung im Knonauer Amt die Siedlungsausdehnung strikt begrenzen und den Charakter der ländlich geprägten Region wahren. Ein wegweisendes räumliches Entwicklungskonzept gibt die Richtung vor.

Mit dem Planungs- und Baugesetz (PBG) von 1975 wurde im Kanton Zürich die Richtplanung gesetzlich vorgeschrieben. Mit der Aufgabe wurden auch die Regionen betraut, weil zwischen Kanton und Gemeinden eine weitere Ebene nötig war, um die komplexen raumplanerischen Fragen sachgerecht zu bearbeiten. Der Kanton wollte jedoch keine Kompetenzen abgeben, und die Gemeinden wollten keiner weiteren Instanz unterstellt sein, sodass den Regionen schliesslich nur bescheidene Kompetenzen zugeteilt wurden. Sie dürfen im Auftrag und gemäss den Richtlinien des Kantons in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Regionalpläne erarbeiten und in diesen beispielsweise Erholungsgebiete und Fuss- und Radwege festlegen oder Standorte für öffentliche Bauten und Anlagen sichern.
Im Rahmen der Festsetzung kann der Kanton diese Pläne jedoch nach eigenem Ermessen korrigieren.

Hinzu kommt, dass die räumlich massgebenden Entscheide – die Abgrenzung des Siedlungsgebiets, die Festlegung des übergeordneten Verkehrsnetzes und wesentliche Teile der Infrastruktur – im kantonalen Richtplan abschliessend festgelegt werden und dass die Gemeinden mit ihren Zonenplänen das Siedlungsgebiet bereits weitgehend strukturiert haben. Aus diesen Gründen bleibt den Regionen nur wenig planerischer Spielraum. Wie das Beispiel des Knonauer Amtes zeigt, kann mit einer geschickten Regionalplanung dennoch einiges erreicht werden.

Das Knonauer Amt als Raum

Im Gegensatz zu anderen Zürcher Regionen umfasst das Gebiet der Zürcher Planungsgruppe Knonauer Amt (ZPK) einen überschaubaren Raum mit klaren Grenzen und einem eindeutigen Zentrum. In der politischen Abgrenzung ist er mit dem Bezirk Affoltern identisch. 14 Gemeinden gehören zum Knonauer Amt. Flächenmässig ist es mit der Stadt Zürich vergleichbar. Mit heute rund 45 000 Personen entspricht die Wohnbevölkerung zwar lediglich derjenigen eines grösseren Stadtquartiers. Es leben dort aber mehr Menschen als z. B. in Uri (35 000), Obwalden (34 000) oder Nidwalden (40 000), die als Kantone über deutlich mehr Planungshoheit verfügen als eine Zürcher Region.

Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung

Von 1970 bis 2007 hat die Wohnbevölkerung im Knonauer Amt von rund 24 000 auf 45 000 Personen zugenommen. Hauptauslöser dieses Wachstums waren die ab 1970 zunehmende Stadtflucht sowie der Traum vom Eigenheim im Grünen. Dafür bot das ländlich geprägte Knonauer Amt mit den damals noch günstigen Bodenpreisen nahezu ideale Voraussetzungen. Die Stadt lag zudem in erreichbarer Nähe. Zwar bildete die Strasse über die Waldegg ein zunehmend enger werdendes Nadelöhr auf dem täglichen Arbeitsweg mit dem Auto nach Zürich – die geplante Autobahn A4 versprach jedoch, diesen Engpass mit einem Tunnel durch den Üetliberg zu eliminieren. Dass 30 Jahre verstreichen würden, bis dieses Versprechen eingelöst wurde, ahnte niemand, als 1987 die ZPK ihre Arbeit aufnahm.

Die Regionalplanung konnte dieses grosse Bevölkerungswachstum weder im Ausmass noch in seiner Verteilung in der Region massgeblich beeinflussen. Die Bauzonen waren durch die Gemeinden mit grossen Reserven bereits ausgeschieden. Offensichtliche Überkapazitäten wurden mit Reservezonen zwar etwas eingefroren, die Regionalplanung hatte aber kein Instrument, substanziell etwas daran zu ändern. Heute besteht immer noch potenzielles Reservebauland für weitere rund 10 000 Personen.

Die Zeichen stehen heute allerdings recht gut, dass die Ausdehnung des Siedlungsgebiets nicht mehr unkontrolliert weitergeht. Dazu beigetragen hat auch die im Rahmen der ZPK geführten Diskussionen über regionale Themen, Probleme und Aufgaben. Obwohl die Mitglieder des Vorstandes und der Delegiertenversammlung der ZPK als Abgeordnete der Gemeinden primär diese vertreten, war es immer wieder möglich, Verständnis für übergeordnete Gesichtspunkte und regionale Aspekte zu finden. Voraussetzung dafür war, dass offen informiert und die Sachverhalte einleuchtend und verständlich dargestellt wurden. Nützlich war in diesem Zusammenhang auch die in der ganzen Region gelesene Lokalzeitung, die Fragen der regionalen Raumentwicklung immer wieder thematisierte.

Bezüglich der künftigen Siedlungsentwicklung hat die ZPK mit dem Räumlichen Entwicklungskonzept Knonauer Amt (REK) 2007 konkrete Vorschläge ausgearbeitet. In enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden wurden die Grenzen des Siedlungsgebietes bezeichnet, die auch in Zukunft nicht mehr überschritten werden sollen. Wo solche noch nicht definiert werden konnten, wurden die Gemeinden angewiesen, diese im Rahmen der nächsten Zonenplanrevision festzulegen (vgl. Kasten S. 25 und Abb. 2).

Eine weitere Siedlungsentwicklung wird damit jedoch nicht kategorisch ausgeschlossen. Um die wesentlichen Eigenheiten und Qualitäten der Region zu erhalten, darf sie aber nicht mehr dispers verteilt über die ganze Region stattfinden, sondern nur noch an ausgewählten Orten, wo es im Gesamtinteresse sinnvoll und richtig ist. Lage und Grösse zusätzlicher Siedlungsgebiete sollen deshalb künftig nicht mehr auf kommunaler Ebene, sondern im regionalen Rahmen festgelegt werden. Um das zu erreichen, muss die Regionalplanung gestärkt und mit griffigen Instrumenten ausgestattet werden. Es wird eine der vordringlichen Aufgaben der ZPK der nächsten Jahre sein, das Bewusstsein und die Einsicht dafür bei der Bevölkerung und den Kommunalpolitikern zu fördern.

Die A4 als Politikum

Die von Befürwortern und Gegnern 30 Jahre lang mit grossem Einsatz geführte Auseinandersetzung um die geplante Autobahn A4 hat massgeblich dazu beigetragen, im Knonauer Amt das Interesse an Planungsfragen zu wecken und das Bewusstsein für die Region als Lebensraum zu stärken. Mit einem umfassenden Bericht hat eine eidgenössische Kommission unter dem Vorsitz von Nationalrat Biel in dreijähriger Arbeit von 1979 bis 1981 versucht, wissenschaftlich zu klären, ob die A4 nötig sei, und wenn ja, welche Linienführung zu bevorzugen sei. Das erarbeitete Material – im Prinzip ein Vorläufer der heutigen Umweltverträglichkeitsprüfung – war allerdings dermassen umfangreich, dass kaum jemand in der Lage war, die vielen Teilberichte zu studieren, fachlich zu würdigen und vergleichend zu beurteilen. Die Fakten sprachen eher gegen die A4; die «Kommission Biel» hat aber schliesslich politisch zu Gunsten der A4 entschieden. Der Vorstand der ZPK hatte mehrfach Gelegenheit, sich zur A4 zu äussern und hat sich – je nach personeller Zusammensetzung – mit stets knapper Mehrheit einmal für und einmal gegen die A4 ausgesprochen und damit die Stimmung der Bevölkerung gut wiedergegeben. Entscheidend für die schliesslich mehrheitliche Zustimmung zur A4 war der «Islisbergtunnel» – ein Novum in der Schweizer Autobahnplanung: Der Islisberg musste nicht als topografisches Hindernis durchquert werden, sondern wurde zum Schutz des Landschaftsbildes der Länge nach unterfahren.

Die Frage, ob die A4 gebaut werden soll oder nicht, konnte nicht auf regionaler Ebene entschieden werden. Dafür waren übergeordnete Interessen massgebend. Die Frage der Zufahrten zur A4 und wie diese gestaltet werden sollen ist hingegen ein Thema, das nur die Region betrifft und das deshalb auch in der Region bearbeitet und entschieden werden sollte. Es ist ein planerisches Trauerspiel, dass nach 30 Jahren Planung und selbst nach der Eröffnung der Autobahn immer noch über die Zufahrten zum zentralen Anschluss in Affoltern a. A. diskutiert wird und dass nicht die betroffene Region, sondern der Kantonsrat und nach einem allfälligen Referendum schliesslich das gesamte Zürcher Volk darüber entscheiden wird. Eine planerische Sachfrage wurde zum Politikum, obschon auf der Ebene der Region die sachlich richtige und regionalpolitisch realisierbare Antwort – nämlich eine Umfahrung von Ottenbach und Obfelden – längst gefunden ist.

Der öffentliche Verkehr und die Siedlungsentwicklung

Als die ZPK 1978 gegründet wurde, gab es noch keinen Taktfahrplan und weder den Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) noch die S-Bahn. Der Entwurf zum ersten kantonalen Richtplan enthielt parallel zum Üetlibergtunnel der A4 auch einen Eisenbahntunnel von Wettswil nach Zürich. Diese Verbindung wurde jedoch ohne weitere Untersuchungen wieder aus dem Plan entfernt, weil sich damals niemand vorstellen konnte, dass in absehbarer Zeit ein Bedürfnis danach entstehen könnte. Der seither erfolgte massive Ausbau des öffentlichen Verkehrs hat die Siedlungsentwicklung im Knonauer Amt massiv beschleunigt. Zusätzlich zum Viertelstundentakt auf der Bahnstrecke Zürich – Affoltern a. A. wurde kürzlich auch eine Buslinie vom Bezirkshauptort durch den Üetlibergtunnel zum Bahnhof Enge eingerichtet. Dieses Angebot wird rege genutzt.

Landschaft und Landwirtschaft

Trotz starker Siedlungsentwicklung ist das Knonauer Amt immer noch ländlich. Das Markenzeichen der Region ist eine reich gegliederte Kulturlandschaft, die im Wesentlichen durch die landwirtschaftliche Bewirtschaftung entstanden ist. Wie die kleinräumig strukturierten Flächen künftig bewirtschaftet werden, hat Auswirkungen für das Landschaftsbild. Gegenwärtig hat die Landwirtschaft im Knonauer Amt immer noch einen grossen Stellenwert.

Und es gibt immer noch genügend Bauern, die das Land bewirtschaften wollen und in der Landwirtschaft eine Zukunft sehen. Es ist nachvollziehbar, wenn diese sich in ihrer ohnehin schon schwierigen Ertragslage gegen weitere Schutzanordnungen zur Wehr setzen und beispielsweise Golfplätze, die ertragreiches Land der Bewirtschaftung entziehen, bekämpfen. Von den im Knonauer Amt lancierten Golfplatzprojekten konnte bisher keines verwirklicht werden. In einem Fall hat das Bundesgericht den Fruchtfolgeflächen, d. h. dem Erhalt des ackerfähigen Landes, einen höheren Stellenwert eingeräumt als dieser flächenintensiven Freizeitaktivität.

Ein Verdienst der Regionalplanung ist es, dass es im Knonauer Amt flächendeckend gelungen ist, mit Landschaftsentwicklungskonzepten und Vernetzungsprojekten zwischen den Anliegen des Natur- und Landschaftsschutzes und denjenigen der Landbewirtschafter zu vermitteln. Somit konnten Massnahmen nicht nur zum Schutz, sondern auch zur Aufwertung von Natur und Landschaft umgesetzt werden. Dazu zählen etwa Bachöffnungen, die Schaffung ökologisch wichtiger Flächen zur Vernetzung von Lebensräumen oder die Sicherung von Hochstamm-Obstgärten. Der Weg zum Erfolg führte über Anschauungsunterricht und Gespräche vor Ort sowie den Verzicht von Zwang.

Erkenntnisse aus der Regionalplanung

Raumplanung und insbesondere Regionalplanung ist keine Wissenschaft, sondern eine Kunst. Mit dem Computer können Pläne mit einer hohen Präzision erstellt werden. Die vielschichtige Wirklichkeit einer lebendigen, sich dauernd verändernden Region lässt sich damit aber nicht abbilden. Die Realität ist der Planung immer einen Schritt voraus. Die planerische Kunst besteht darin, Bilder zu vermitteln, die eine Ahnung von den komplexen Verhältnissen, in denen wir leben, wiedergeben und darüber hinaus Vorstellungen einer wünschbaren Zukunft skizzieren.

Die Erfahrungen aus dem Knonauer Amt zeigen, dass die Regionen die richtige Ebene sind, um die komplexen Fragen der Siedlungsentwicklung mit der nötigen Detailkenntnis und unter Einbezug der betroffenen Bevölkerung sachgerecht zu bearbeiten. Der Regionale Richtplan ist das dafür geeignete Instrument. Damit er diese Aufgabe aber auch richtig erfüllen kann, muss er aufgewertet werden. Die für die Raumentwicklung wesentlichen Inhalte wie die Abgrenzung des Siedlungsgebietes, die Gestaltung des darauf abgestimmten Verkehrsnetzes und die Ausstattung mit der dafür nötigen Infrastruktur sollten nicht nur auf regionaler Ebene erarbeitet, sondern auch dort festgelegt werden.

TEC21, Fr., 2010.05.21

21. Mai 2010 Hugo Wandeler

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