Editorial
Ende 2006 starteten wir in der db mit der Rubrik Energie, in der in regelmäßigen Abständen energieeffiziente Gebäude vorgestellt werden. Ähnlich lange schon boomt das Thema Energieeffizienz in den Medien, neue Architekturzeitschriften und Gesetze entstanden, »grüne« Bücher wurden geboren. Dabei wird der Begriff Nachhaltigkeit in Bezug auf das Bauen immer häufiger verwendet, aber auch missbraucht. Wohl wissend, dass Gütesiegel allein keine Qualitätsmaßstäbe für Nachhaltigkeit und Beständigkeit eines Bauwerks sind und die Definitionen für nachhaltiges Bauen weit auseinanderklaffen, haben wir verschiedene Architekten und Ingenieure nach ihrem Verständnis von nachhaltigem Bauen befragt (S. 30/31).
Genannt wurden Kriterien wie Kompaktheit, Rezyklierbarkeit, geringer Verbrauch von Ressourcen und von Energie beim späteren Gebäudebetrieb, gute Haustechnik, … – Aspekte, die auch uns bei der Projektauswahl als Richtlinie dienten. Bei den nachfolgenden Kritiken werden diese thematisiert und diskutiert. Aber auch ein bislang noch zu selten berücksichtigter, wesentlicher Anspruch taucht bei den Statements vermehrt auf: die Ästhetik. Wenngleich den nachfolgenden Projekten keine oder unterschiedliche Zertifizierungssysteme zugrunde liegen oder sie mit verschiedenen »guten oder bösen« Materialien erbaut wurden, belegen sie doch, wie unterschiedlich Nachhaltigkeit verstanden und wie vielfältig und ansprechend diese gestaltet werden kann. | Christine Fritzenwallner
Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin
(SUBTITLE) Keine grüne Symbolik
Ein errechneter Primärenergiebedarf von 55, gemessen sogar von 44 kWh/m²a – das ist ein guter Wert für ein Gebäude mit Büro- und Konferenzräumen, die EnEV erlaubt das Doppelte. Dabei sieht die neue Heinrich-Böll-Stiftung im Herzen Berlins keineswegs wie ein bislang typischer Ökobau aus – im Gegenteil, sie wirkt klassisch-elegant und wohltuend zeitlos. In der selbsternannten »grünen Denkfabrik« liegen die Stärken im Verborgenen. Doch wird durch den Neubau auch ein Wandel im Verständnis von Nachhaltigkeit und Ökologie deutlich, der fragwürdig ist.
12 000 Euro an jährlichen Stromkosten allein, um die Computerserver zu kühlen – das war früher. Heute, im Neubau, zahlt die Heinrich-Böll-Stiftung denselben Betrag für die Heizung des ganzen Hauses: Der Fernwärme-Anschluss im Keller ist winzig, ein 1 ½“-Rohr. Die Abwärme der Computerserver, in wasserdurchströmten »Cool Racks« eingefangen, reicht in der Übergangszeit aus, um das Gebäude komplett zu heizen. Das funktioniert mit weitgehend natürlicher Lüftung: Fenster zum Hof sorgen für den Luftaustausch. Erst dort wird die Abwärme der Abluft zentral auf die Frischluft übertragen. Im Sommer zieht die Wärme auf demselben Weg durch das dann offene Glasdach ab, von außen strömt Frischluft nach. Zusätzlich kühlt ein von Schweizer Ingenieuren neu entwickeltes System, dessen Herzstück ein recht simples Aggregat im Keller ist, eine Art großer Grill aus Kupferrohren. Während der erwärmte Rücklauf aus der Fußbodenheizung/-kühlung durch das Gerät strömt, wird kaltes Leitungswasser über den Rohren des Grills versprüht. Die Verdunstungskälte kühlt das Wasser in den Rohren, ehe es zurück zirkuliert. Teil des Wasserkreislaufs sind auch dezentrale Brüstungsklimageräte unter den Fenstern, wo je nach Bedarf kleine Lüfter für die Verteilung der Kühle sorgen. 6 m³ Leitungswasser täglich (Kosten: 12 Euro) genügen dem adiabatischen Rückkühler, um die Büros angenehm zu temperieren. Heizung wie Kühlung arbeiten im »Niedrigsttemperaturbereich« zwischen 18 und 27 Grad C.
Eine beeindruckende Bilanz ökotechnischer Neuerungen, sympathisch einfach, angemessen für eine Institution, die Ökologie, Bildung und Menschenrechte fördert und hier Partner aus aller Welt empfängt. Bert Bloß, technischer Leiter der Stiftung, kennt alle Zahlen und engagiert sich für kleinste Details. Er ließ z. B. noch nach Fertigstellung alle Umwälzpumpen austauschen, da sie überdimensioniert waren. Weil er so wesentlich mithalf, den Energiebedarf seines Arbeitgebers zu senken, erhielt er bereits einen »Green CIO Award«.
Doch die Innovationen funktionieren gewiss nur in einem Gehäuse, das kompakt, dreifachverglast, supergedämmt und solide konstruiert ist. Die knapp 7 000 m² der Stiftung wurden sinnvoll geteilt in zwei öffentliche und vier darüberliegende Büroetagen. Die 1 400 m² Konferenzbereich, bei größeren Anlässen herkömmlich klimatisiert, kragen als vollverglaste Beletage in den angrenzenden Stadtgarten aus. So wurde die Grundfläche des Gebäudes minimiert, was den nahegelegenen alten Bäumen das Überleben sicherte. Auf eine Tiefgarage wurde verzichtet. Dennoch irritieren einige wesentliche Eigenschaften des Neubaus den Betrachter.
Kalte Schulter
Da ist zuerst die Materialwahl. Aluminium ist dafür bekannt, dass es bei der Herstellung größte Energiemengen verschlingt (14 000 kWh/t allein für die Elektrolyse). Hier wird es nicht nur für die Fassade, sondern auch in den Innenräumen verwendet. Selbst wenn es unbeschichtet und damit voll reziklierbar bleibt, belastet die graue Energie die Ökobilanz – nach dem Schweizer Minergie-P-Eco-Standard hätte es da schon Schwierigkeiten gegeben. Die EnEV lässt die Materialbilanzen dagegen außer Acht.
Ein weiterer Punkt ist die völlige Gleichbehandlung der Fassaden, unabhängig von den Himmelsrichtungen. Die Komplettverglasung der Beletage mag gestalterisch zwingend für die Selbstdarstellung der Stiftung sein, sie beschert dem Gebäude indes auch mit Sonnenschutzverglasung größte Wärmelasten. Die »Transparenz der Demokratie«, sie wurde schon zu oft beschworen. Ökologisch sinnvoll sind bewohnte Glashäuser nicht.
Überdies zeigt das Gebäude dem angrenzenden Stadtteil die kalte Schulter. Kontextualiät, Einbindung in vorhandene Netz- und Regelwerke sozialer, historischer, ästhetischer Art – das ließe sich als die »weiche« Seite der Ökologie bezeichnen, neben den »harten« Fakten von Stoffströmen und Energieeffizienz. Zudem wirkt die Lage am Rande des Stadtgartens (es durfte nur ein ehemaliger Parkplatz bebaut werden) unglücklich.
Der Solitär kommt hier nicht zur Geltung. Das Gebäude wirkt wie gekappt – tatsächlich war erst eine Etage mehr geplant; später wurde diese zurückgestutzt.
Kein Ranken und kein Holz
Warum kleidet sich nun eine so fortschrittliche, unangepasste Institution wie die Heinrich-Böll-Stiftung in einen »Verschnitt zweier Mies-Gebäude«? Das Zitat stammt von Piet Eckert selbst, die Architekten e 2 a beziehen sich explizit auf das Farnsworth House und das Seagram Building. Seit den 70er Jahren galt die gerasterte Stahl-/Glas-Moderne und ihre vielen Nachahmer rings um den Globus als Inbegriff von Dominanz, Big Business, Energieverschwendung. Viele diplomatische Vertretungen der USA sahen so aus. Hatte sich die Alternativbewegung nicht anfangs vorgenommen, alles anders zu machen?
Das ist lange her, und offenbar wollte die Stiftung jene »grüne« Nischenarchitektur vermeiden, keine Rankfassade also und kein Holz, nirgends. Nach Jahren grüner Regierungsbeteiligung wollte sie endlich als seriöse, professionelle Institution ernst genommen werden. Dabei ist die Stiftung aber offenbar ins andere Extrem verfallen. »Wir wollten keine Windräder auf dem Dach, keine Freak-Architektur«, sagt auch Piet Eckert. »Wir haben genau das Gegenteil davon gemacht«. Dabei ist nur teilweise Ideologie im Spiel – beide Gebrüder Eckert waren früher Mitarbeiter von Rem Koolhaas (»fuck context«, wir erinnern uns). Dort lernten sie auch, mit geringen Mitteln zu arbeiten – z. B. eine Kunsthalle für 2 000 Euro/m² zu errichten. Das enge Budget mag an manchem schuld sein. So sei es einfach rationeller gewesen, die teure Dreischeibenverglasung ringsum einheitlich zu bestellen, bemerkt der Architekt. Ökonomie sticht Ökologie.
Karges Innenleben
Richtig gespart wurde an der Innenausstattung. Das Gebäude rangiert nach Kriterien des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung »knapp über einem Provisorium« (Piet Eckert). Da keine Lüftungskanäle oder Sprinklerleitungen – aufgrund des Brandschutzkonzepts ließen sich Letztere ver-meiden – zu verbergen waren, verzichtete man im ganzen Haus auf abgehängte Decken. Holzwolle- und Akustikplatten, in den Konferenzräumen Tieftonabsorber aus Blech sowie Vorhänge übernehmen die Funktion der Schalldämpfung. Ein Sisalteppich hellt die Büroflure auf. Ansonsten dominiert roher Stahlbeton, mit eigens herbei geschafftem Schweizer Schalungssystem errichtet. Bezahlbar war nur ruppige Rohbauqualität.
Graue, spindartige Stahlschränke und nackte Neon-Lichtbänder machen das Ambiente nicht gemütlicher. Im Übrigen ist die Arbeitswelt ganz konventionell organisiert, die Chefs residieren zuoberst in den lichten Ecken, dazwischen wechseln offene und geschlossene Zellen, als Treffpunkt dienen Küchen in dunklen Innenecken. Handbeschriftete Tafeln an den Türen sowie Topfpflanzen und bunte Seidentücher zeugen von dem Versuch, Leben in die Kargheit zu bringen. Der robuste Bau verträgt es gut, er verlangt geradezu danach, individualisiert und in Besitz genommen zu werden.
Gipfel freudloser Monotonie ist der Innenhof im Bürotrakt. Da er im Brandfall auch als Rauchabzug dient, durfte er weder möbliert noch begrünt werden. So ist es ein rings von grauen Raster-Oberflächen umgebener Schacht, der wohl manchmal für eine Art »Fensterkonferenz« genutzt, aber nicht zum Verweilen betreten wird. Wäre statt der grauen Betonplatten nicht wenigstens eine Art bekiester Zen-Garten möglich gewesen? Oder ein Wandgemälde? Eine Scheu vor Symbolik, vor Subjektivität, vor Emotion durchzieht das Gebäude. Intellektualität und Energieeffizienz allein war der grün-alternativen Bewegung jedoch nie genug. Wenn heute grüne Kernkompetenzen zu Kennzeichen des Mainstreams werden – alle Welt redet schließlich irgendwie von Nachhaltigkeit – , sollten sich die alternativen Vordenker da nicht gerade ihrer anarchischen, emotionalen, unwirtschaftlichen Seiten entsinnen, ehe sie – wie schon häufig bei der Kleidung – gar nicht mehr auffallen?
Grüne DenkWerkstatt
Die »Kunst am Bau« findet im zentralen Treppenraum statt: Ist das nüchterne Foyer passiert, überrascht der grasgrüne Teppich mit dem Motiv einer Schafherde, die hinauf in die Beletage rennt. Dankbar, in dem kühlen Bau ein so selbstironisches Element vorzufinden, trabt man hinterher. Der Bezug zu einer Böll-Erzählung ist nur vage, und es lässt sich im Gehen manch freie Assoziation dazu finden. Wie auch der Konferenzbereich viele Möglichkeiten bietet: Wird er mit bis zu 300 Gästen bespielt, hat das Haus die Qualität eines Platzes, was allerdings nur visuell in die Außenwelt wirkt. Warum gibt es keine offene Freitreppe zum Stadtgarten? Warum ist die Cafeteria noch immer verwaist? So etwas integriert ein Haus ins Stadtgefüge.
Immerhin, die Möglichkeiten der Beletage werden intensiv genutzt, die Stiftung leistet wichtige Arbeit, derzeit mit einem Schwerpunkt zum globalen Klimawandel (Programm unter www.boell.de). Unter den schwarzen Stahlträgern der Konstruktion und der sichtbaren Technik bekommt das Ganze Werkstattcharakter. So bleibt zu hoffen, dass das spröde Gebäude und seine klimafreundliche Technik auch den Rahmen dafür schaffen, neu über das Wesen – und die Klischees – ökologischen Bauens nachzudenken.db, Mi., 2010.03.31
31. März 2010 Christoph Gunßer
Mehrfamilienhaus in Zürich
(SUBTITLE) Leichtgewicht aus Beton
Das Mehrfamilienhaus der Architekten Hess und Maier an der Neptunstrasse ist das erste Mehrfamilienhaus aus einem speziell entwickelten Dämmbeton in Zürich. Ein Pilotobjekt, das zur Vision der 2 000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zürich bestens passt und nebenbei noch eine bravouröse Konstruktion und Entstehungsgeschichte aufweist: Zum einen zeigt es, dass man als Architekt und Projektentwickler durchaus auch Nachbarn im Sinne deren Verständnisses von Nachhaltigkeit aussuchen kann, zum anderen, dass monolithisches und zugleich energieeffizientes Bauen keinen Widerspruch darstellt.
Nachhaltiges Bauen beschäftigt das Züricher Architektenpaar Annick Hess und Alexander Maier schon lange. Dabei setzen sie nicht einfach, wie heute meist üblich, auf eine möglichst dick isolierte Gebäudehülle, sondern suchen nach maßgeschneiderten Lösungen. Dazu gehört für sie eine möglichst optimale Ausrichtung der Grundrisse mit großen Öffnungen nach Süden und einer eher geschlossenen Fassade gegen Norden, die Verwendung einer kontrollierten Lüftung, um Energieverluste durch ein mögliches Fehlverhalten der Bewohner in der kalten Jahreszeit zu verhindern, oder der Einbau dreifachisolierter Fenster. Ein besonderes Augenmerk legen Hess und Maier aber auf den Fassadenaufbau. »Hochisolierende Dämmungen führen schon bei kleinen Kältebrücken gern zu Problemen«, sagt Alexander Maier. Das Architektenpaar suchte deshalb nach einer anderen Lösung.
Einem Material, das keine spezielle Isolationsschicht erfordert und dadurch auch keine Kältebrücken aufweist, den Feuchtigkeitshaushalt reguliert und dank viel Speichermasse träge auf klimatische Veränderungen reagiert – ähnlich alter Häuser aus Stein oder Lehm.
Schon bald zeichnete sich isolierender Beton als mögliche Option ab. Doch würde er über Jahrzehnte den gestellten Anforderungen genügen? Antwort erhielten sie im Rahmen der Renovierung und Erweiterung des Straßenbahndepots im Züricher Stadtteil Örlikon, 1935 erbaut vom damaligen Stadtbaumeister Hermann Herter. Dieser hatte für das Dach Leichtbeton verwendet. »Dass dieses Material nach 80 Jahren noch so gut in Schuss war, hat uns davon überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein«, sagt Annick Hess.
Mit dem nun verwendeten, isolierenden Leichtbeton war der moderne Ableger des damaligen Betons bald gefunden, denn er enthält als Zuschlagstoff Glasschaum. Dadurch weist er gute Dämmeigenschaften auf. Nun fehlte dem Paar nur noch ein Bauherr. Durch Zufall stießen sie auf das Inserat für ein Grundstück mit einem kleinen Mehrfamilienhaus in der Neptunstraße in Zürich – eine ruhige Quartierstraße im gefragten Englischviertel. Da das vorhandene Haus das Potenzial des Grundstücks nur zu einem Teil nutzte, kam eine Sanierung nicht in Frage – die Mieten für die drei Wohnungen im Haus wären aufgrund des geforderten Kaufpreises von mehr als 3 Mio. CHF schlicht nicht bezahlbar gewesen.
Aus Architekten werden Bauherren
Annick Hess und Alexander Maier, fasziniert von dem Grundstück, beschlossen trotz knapper Eigenmittel in die Rolle der Bauherrn zu schlüpfen. Ein vorheriges Projekt für ein Mehrfamilienhaus mit Wohnungen und Gewerberäumen überzeugte die Bank. Damit war der Weg frei, die eigenen Vorstellungen eines nachhaltigen Gebäudes realisieren zu können. Neben dem Energiehaushalt und der Materialisierung hatten die Architekten besonders die Kosten im Auge: »Nachhaltigkeit ist nur sinnvoll, wenn sie sich auch bezahlen lässt«, so Maier. Aufgrund des teuren Grundstücks eine Herausforderung: Sollten die Wohnungen bezahlbar sein, mussten die Baukosten niedrig gehalten werden. Maximale Ausnutzung des Grundstücks und Reduktion auf s Wesentliche hieß deshalb die Devise. Die vier Vollgeschosse und das Tiefparterre wurden um ein Attikageschoss in Holzleichtbauweise mit Aluminiumbekleidung ergänzt und ein für das Quartier typisches Hofgebäude erstellt, in dem eine Kindertagesstätte untergebracht ist. Beim Innenausbau setzten die Architekten auf einfache Standardmaterialien: Der geschliffene und lackierte Estrich bildet den fertigen Boden. Die beiden Badezimmer der Wohnungen stehen Rücken an Rücken, so dass ein Installationsschacht reicht, die Sanitärarmaturen sind einfache Standardmodelle und ein Duschvorhang genügte statt einer teuren Duschkabine.
Trumpf mit viel flexiblem Raum
Viel Wert legten die Architekten auf die Größe und die Gestaltung der Wohnungsgrundrisse: Auf 150 m² Fläche pro Geschoss finden sechs Zimmer Platz. Kern der Wohnung ist ein Ensemble aus großem Vorplatz mit Einbauschränken, Küche und den daran angrenzenden Wohn- und Essbereichen. Hier wird gespielt, gekocht, diskutiert und gegessen. Überzeugend sind die vielseitigen Nutzungsmöglichkeiten der Räume. Sie haben nicht die für Familienwohnungen übliche fixe Zuteilung, sondern lassen sich dank ihrer Form und den geschickt angeordneten Türen ganz unterschiedlich möblieren. Gelungen sind auch die diagonalen Sichtbezüge. Je nach Standort blickt man vom einen Ende quer durch alle Räume bis ans andere Ende der Wohnung. Unterstützt wird die räumliche Wirkung durch die nah am Boden sitzenden, meist raumbreiten Fenster und Festverglasungen sowie die nicht alltägliche Farbgebung: Alle Wände und Decken sind in einem hellen Grau gestrichen. Eine »Farbe«, die je nach Art des Lichts zwischen weiß und violett changiert und so im Tagesverlauf variiert. Trotz Kostendruck wurde aber auf Billigmaterialien bewusst verzichtet. »Wo immer möglich, haben wir auf schadstoffarme und diffusionsoffene Materialien gesetzt«, erklärt Annick Hess.
Keine Spritsäufer
Durch die volle Ausnutzung des Grundstücks und den einfachen Ausbau bewegen sich die Mieten zwischen 4 500 und 5 500 CHF. Auf den ersten Blick ein stattlicher Betrag, doch vergleichbar große Neubauwohnungen im Quartier erreichen Mieten von bis zu 8 000 CHF. Auch die Zusammensetzung der Bewohnerschaft war den Architekten ein Anliegen: Sie wollten die Wohnungen nicht einfach an kinderlose Doppelverdienerpaare vermieten. Heute leben in den fünf Wohnungen mehr Kinder als Erwachsene. Auch stehen in der Tiefgarage keine protzigen Geländewagen: »Nachhaltiges Wohnen und ein spritschluckendes Auto vertragen sich nicht«, ist Maier überzeugt. Deshalb schieden bei der Besichtigung diejenigen Bewerber aus, die mit einem großen Geländewagen vorfuhren. Eine Auswahl, die sich Hess und Maier leisten konnten, denn die Wohnungen waren innerhalb einer Woche vermietet.
Schwieriger hingegen gestaltete sich die Suche nach Partnern für die Bauausführung. Mit dem Planungsbüro Ghisleni fanden sie den passenden Partner für die Bauleitung und mit Gartenmann Engineering aus Zürich schließlich einen Bauphysiker für die schwierige energetische Berechnung der Dämmbetonwände. Denn v. a. bei der energetischen Berechnung betraten die Beteiligten Neuland: Die bauphysikalischen Eigenschaften des Spezialbetons unterscheiden sich stark von denen anderer Isolationsmaterialien. So liegt der U-Wert bei gleicher Fassadendicke beispielsweise höher, dafür ist der Wärmedurchgangskoeffizient tief und die Speicherfähigkeit hoch – Eckwerte, die in Einklang mit den gängigen Dämmvorschriften gebracht werden mussten.
Obwohl 45 cm Wanddicke, Standardfenster und eine Gasheizung zum Einhalten der vorgeschriebenen Verbrauchswerte von rund 90 KWh/m²a bereits genügt hätten, entschlossen sich die Architekten, weiter zu gehen. Durch Fenster mit besserer Dämmung und die Wahl einer Luftwärmepumpe, die die etwas wärmere Luft in der Tiefgarage ansaugt und so auch bei kalten Außentemperaturen effizient arbeitet, konnte die Energiebilanz nochmals verbessert werden.
Die Erfahrungen nach zwei Betriebsjahren bestätigen die theoretischen Berechnungen: Das Klima ist im Winter wie im heißen Sommer angenehm. Jede der Wohnungen braucht jährlich für Heizung und Warmwasser nur rund 40 KWh/m² – ein Wert, der sich im Rahmen des Minergie-Standards bewegt. Doch obwohl die Architekten die für das Erreichen dieses Standards vorgeschriebene kontrollierte Wohnungslüftung eingebaut haben, beantragten sie kein entsprechendes Zertifikat. Der Grund dafür: Die Berechnungsmodelle für das Minergielabel tragen den speziellen bauphysikalischen Eigenschaften von Dämmbeton nicht Rechnung.
Baustein für die 2 000-Watt-Gesellschaft
Heikel und ebenfalls ein Stück Neuland war die Ausführung der Außenwände in dem speziellen Sichtbeton. »Um auf Nummer sicher zu gehen, haben wir die Baufirma nach den Fähigkeiten des Poliers ausgesucht«, sagt Annick Hess. Und um sich mit den speziellen Eigenschaften des leichten Betons vertraut zu machen, goss man zuerst die Wände des kleinen Hofgebäudes. Das Ergebnis entsprach ganz den Vorstellungen der Architekten: Keine geschleckte, feine Betonoberfläche, sondern eine relativ grobe, poröse Struktur, die an Tuffstein erinnert. »Sichtbeton muss lebendig sein«, erklärt Maier. Eine Lebendigkeit, die auch die Fassade des Hauptgebäudes prägt und für einen Hingucker im Quartier sorgt, das sonst von Bauten aus der vorletzten Jahrhundertwende geprägt ist.
Auffallend sind neben den großen Fenstern die angeschrägten Leibungen, die an Sichtbetonbauten aus den frühen 70er Jahren erinnern, sowie die klare optische Trennung von Tief- und Hochparterre durch eine Kerbe im Beton. Kleine Eingriffe, die zusammen mit dem hofseitigen Hauseingang und der Weiterführung der quartierüblichen Traufhöhe dafür sorgen, dass der Neubau in der Neptunstraße zu einem modernen Bruder der Altbauten geworden ist – und zugleich ein Beispiel für das Erreichen der Ziele der 2 000-Watt-Gesellschaft darstellt. Ein Ziel, das alle stimmberechtigten Bürger der Stadt Zürich im Herbst 2008 festgelegt haben. Es sieht vor, den Energieverbrauch jedes Einwohners der Stadt bis 2050 auf eine Dauerleistung von 2 000 Watt zu senken – ein Drittel des aktuellen Wertes. Ein wichtiges Mittel dazu sind zentral gelegene, sparsame Bauten, wie das Haus in der Neptunstraße. Seine Bewohner brauchen nicht nur wenig Heizenergie, sondern können in den meisten Fällen auch auf ein Auto verzichten. Die nächsten Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs sind gleich um die Ecke und die Wege zum Einkaufen kurz.db, Mi., 2010.03.31
31. März 2010 Reto Westermann
Axpo-Verwaltungsgebäude in Baden (CH)
(SUBTITLE) Ruhm und Glamour
Der jüngste energieeffiziente Vorzeigebau der Schweiz ist nicht nur vom äußeren Erscheinungsbild her glamourös und rühmlich. Hinter der kompakten, überaus ansprechenden Hülle und den ornamentartigen Oberflächen demonstrieren auch seine energetischen Werte, dass ökologisches Bauen, Energieeffizienz und hohe architektonische Ansprüche zusammenpassen.
Moderne Geschäftswelten glänzen häufig mit dem Baustoff Glas. Nicht wesentlich anders weiß sich das neue Verwaltungsgebäude des Schweizer Energiekonzerns Axpo in Szene zu setzen. Wo bisher klassizistische Großbauten aus Stein und profane Metallkästen die Potenz der Firma markieren, darf nun ein gläsernes, mattschimmerndes Bauwerk den traditionellen Firmensitz in Baden ergänzen. Das in der Höhe einmal abgestufte, vier- bzw. fünfstöckige Bürogebäude wirkt dabei hell und leicht. Glasplatten aus ESG, auf denen sich glänzende und sandgestrahlte Partien abwechseln und so ein zusammen mit einem Künstler entwickeltes Muster ergeben, überdecken einheitlich den konventionellen, massiven Betonbau; versetzte, dreifachverglaste Fenster in nur zwei unterschiedlichen Formaten beleben das Erscheinungsbild. Auf diese Weise vermag die Erweiterung die heterogene Umgebung nicht nur zu verdichten, sondern v.a. auch zu beruhigen. Das Werk von Meier Leder ist somit städtebaulich wie gestalterisch gelungen. Dem Bau ging vor sechs Jahren ein Architekturwettbewerb voraus, den das noch recht junge, ortsansässige Architekturbüro für sich entschied.
Die Qualitäten des im vergangenen Herbst bezogenen Neubaus, der durch einen zweistöckigen Verbindungstrakt mit dem Bestand verbunden ist, zeigen sich aber auch hinter seiner Fassade: Großzügige Fensteröffnungen, Innenhöfe und Rundläufe schaffen eine Licht durchflutete, offene und kommunikative Atmosphäre. Die Sitzungs- und Konferenzräume bilden die einzigen abtrennbaren Inseln auf den überwiegend als Großraumbüro konzipierten Flächen. Und ohne allzu großen Energieverbrauch bleibt die thermische Behaglichkeit an den Arbeitsplätzen über das ganze Jahr gewahrt: Der Heizwärmebedarf konnte auf ein Drittel des gesetzlichen Grenzwerts von 38 kWh/m2a gesenkt werden; auch der Primärenergieaufwand ist optimiert. Dagegen sorgt die innerstädtische Lage praktisch von selbst dafür, dass sich der Mobilitätsaufwand für die Benutzer minimieren lässt. Nur wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt, sei »die Zahl der Parkplätze in der neuen Tiefgarage bewusst klein gehalten worden«, bestätigt Manfred Thumann, CEO der Axpo AG. Noch besser wäre es für eine positive Nachhaltigkeitsbilanz gewesen, komplett auf sie zu verzichten.
Global verträglich
Das Energiesparkonzept der Erweiterung orientiert sich trotzdem an den Anforderungen der 2 000-Watt-Gesellschaft (siehe dazu auch S. 46). Der Ressourcenverschleiß und der CO2-Ausstoß, die bei der Nutzung von Gebäuden verursacht werden, sind danach auf ein global verträgliches Nachhaltigkeitsmaß zu reduzieren. Für die Umsetzung dieser Ziele hat der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) mit dem Effizienzpfad Energie ein eigenes Planungsinstrument geschaffen. Nutzflächenbezogene Zielwerte bestimmen nicht nur den Energiebedarf für Raumklima, Warmwasser und Beleuchtung, sondern neuerdings auch den Rohstoffaufwand beim Bauen sowie die »induzierte Mobilität«. Die ersten, umfassend bilanzierten Leuchtturm-Projekte dieser 2 000-Watt-Gesellschaft stehen bereits im Großraum Zürich: Wohnbauten im innerstädtischen Bereich, ein Schulhaus und nun das Verwaltungsgebäude des Axpo-Energiekonzerns.
Uneingeschränkt
Obwohl mit zunehmenden Auflagen das Leben eines Architekten schwieriger wird, fühlte sich Martin Leder beim Entwurf des Projekts kaum eingeschränkt: »Die Architektur erhält sogar Freiräume zurück, wenn anstelle eines fixen Gebäudestandards die umfassende Energiebilanzierung angestrebt wird.« Zwei wesentliche, gestalterische Ansätze scheinen sich bei energieeffizienten Büro- und Zweckbauten dennoch durchzusetzen: Zum einen besitzt die Außenhülle eine kompakte Form, was der internen Wärmeverteilung zu Gute kommt. Zum andern wird das Innenleben offen und flexibel – und somit fast ohne Stützen in den Räumen – organisiert. Als Reaktion auf die tiefen Grundrisse brauchen diese jedoch einen zusätzlichen Tageslichteintrag über das Dach. Im Axpo-Gebäude sorgen daher zwei nach oben verglaste Innenhöfe für die natürliche Beleuchtung. Gegenüber den Büroetagen sind sie teilweise mit großen, fensterartigen Öffnungen abgeschlossen und beherbergen kleinere Erholungs- und Kaffeezonen. Die Arbeitsplätze, um die Lichthöfe herum angeordnet, sind somit quer durch das Gebäude hindurch einsehbar. Das Offenhalten von Durchgängen und Einsichten hat System, der Bauherr will seinen Angestellten so den unkomplizierten Austausch ermöglichen. Am Arbeitsplatz selbst erfolgt die Beleuchtung über Stehleuchten, die über einen Präsenzmelder und Lichtsensor gesteuert werden.
Mit Blitz und Donner
Auch das Personalrestaurant ist mit Blickbezügen organisiert, es befindet sich im Verbindungstrakt der Erweiterung. Dort haben die Architekten zusammen mit der Grafikerin Fabia Zindel die Gestaltung und insbesondere den Schallschutz originell gelöst. Inspiriert von der Haupttätigkeit des Bauherrn und dem Erfindungsgeist des kroatischen Elektrophysikers Nikola Tesla, wurden Stromblitze zur vielseitig verwendbaren Ornamentvorlage erkoren: Sie überziehen sowohl die gelochten Akustikplatten aus Holz, dienen aber auch als grafisches Grundmuster zur Dekoration der Wand- und Deckenbekleidung.
Innere Werte hinter Glanz und Glamour
Weniger dekorativ als die Glasfassade oder das Restaurant, aber mindestens so vorzeigbar sind die inneren Werte des neuen Gebäudes: Der Heizwärmebedarf beträgt 13 kWh/m2a und übertrifft somit die Vorgaben des Schweizer Niedrigenergiestandards Minergie deutlich. Zum Erreichen des Minergie-P-Werts reichte es hingegen nicht ganz: Die Gebäudehülle hätte dafür noch stärker gedämmt oder aber Solarenergie anstelle fossil erzeugter Fernwärme für die Warmwassererzeugung berücksichtigt werden müssen. Demgegenüber hat das mit der Optimierung der Gesamtenergie beauftragte Architekturbüro H.R. Preisig berechnet, dass der Primärenergiebedarf für die Herstellung nur bei rund 30 kWh/m2a liegt.
Zur maßgeblichen Reduktion des Material- und Primärenergieaufwands beigetragen haben – trotz viel Beton und Glas – die kompakte Gebäudeform sowie die einfache Tragstruktur. Für die massiven Bauteile an Fassade und im Kern wurde ausschließlich Recyclingbeton verwendet.
Primär- und Sekundärstruktur sind fein säuberlich getrennt, um den künftigen Betriebsunterhalt respektive den Ersatz oder die spätere Entsorgung technischer Installationen zu vereinfachen. Dadurch und aufgrund weiterer, ressourcenschonender, gesundheitsfördernder oder nutzerrelevanter Kriterien – darunter die optimierte Tageslichtnutzung, geringe Lärmimmission und die geringe Schadstoffbelastung der Raumluft – hat der Bürobau zusätzlich das Minergie-Eco-Zertifikat bekommen.
Das Raumklima regelt ein träge reagierendes, kombiniertes Heiz- und Kühlsystem. Die Energie wird dafür aus rund 40 m Tiefe bezogen, aus einem permanent 14 8 C warmen Grundwassersee. An kalten Tagen erzeugt die Wärmepumpe daraus Heizwärme und Innentemperaturen von mindestens 22 8 ; im Sommer wird damit gekühlt, sobald die Raumtemperatur 28 8 überschreitet. In beiden Fällen wird die Wärme bzw. die Kälte in den offenen Büroräumen über eine abgehängte Heiz- und Kühldecke verteilt. Der Beitrag der kontrollierten Lüftung zur Nachtauskühlung ist folglich nur bedingt notwendig.
Die Lüftungsanlage ist ihrerseits mit einer Wärmerückgewinnung ausgestattet und auf geringe Strömungsgeschwindigkeiten ausgelegt, um die hygienisch notwendigen Luftwechselraten zu erreichen. Einzig in den Sitzungszimmern lässt sie sich individuell regulieren, um sich der temporären Belegungsdichte anzupassen.
Eine wichtige Aufgabe besteht nun aber darin, Erfahrungswerte zu sammeln. Gemäß Reto Bühler, dem Leiter der Bauökonomie bei den Axpo-Immobilien, wird es in den Übergangszeiten und auch im Sommer anspruchsvoll, jederzeit die optimale Einstellung der Haustechnik zu finden. Denn den schnell schwankenden Außentemperaturen steht etwa die Trägheit solcher Bauteilaktivierungssysteme gegenüber und im Sommer treibt v. a. die hohe Belegungsdichte sowie die Abwärme der Computer den Kühlbedarf der Büros nach oben. Die internen Energielasten ebenfalls in das Versorgungskonzept einzubeziehen, war allerdings kein Thema. In einem umfassenderen Sinne ist die Einbindung und die Akzeptanz der Benutzer für den Betrieb derart energieeffizient betriebener Gebäude dennoch äußerst wichtig: Gemäß Bühler wird in Kürze eine Umfrage über die Arbeitsplatzqualität stattfinden. Und ein automatisches Mess- und Überwachungsprogramm soll demnächst allen Angestellten den Energieverbrauch im Gebäude – für die Beleuchtung, den Lift und alle anderen technischen Hilfsmittel – sichtbar machen. Für das Gebäude ist dies eine »wichtige Maßnahme, um die Kosten für den Betriebs- und Energieaufwand gering zu halten«, erklärt Manfred Thumann. Für den Energiekonzern Axpo als Produzent von Atomstrom ist dies aber auch gut fürs Image. Insofern steckt hinter den Investitionen in einem solch nachhaltigen Vorzeigebau womöglich auch ein bewusstes Kalkül.db, Mi., 2010.03.31
31. März 2010 Paul Knüsel