Editorial
2010 ist das Jahr der Biodiversität – Grund genug, das uns umgebende Grün mit frischen Augen zu betrachten. Der Platz für die Natur wird immer knapper, zumal in unseren dichter werdenden Städten (vgl. auch «Natur in der Stadt», TEC21 11/2009). Dabei führt uns die Pflanzenwelt selbst vor Augen, wie die Abhilfe aussehen kann: Zahlreiche Pflanzengemeinschaften staffeln sich auch in der Höhe so, dass eine optimale Anzahl von ihnen auf der zur Verfügung stehenden Fläche ihr Auskommen findet. Und siehe da, seit einiger Zeit entdeckt auch die Architektur, dass «vertikal» und «grün» sehr gut zusammenpassen. Wirklich neu ist die Idee zwar nicht, werden doch bereits aus Babylon «Hängende Gärten» überliefert. Bei genauerer Betrachtung der antiken Beschreibungen zeigt sich jedoch, dass es sich damals wohl eher um eine frühe Form der Dachflächenbegrünung handelte: Die Terrassen bildeten ein Quadrat mit einer Seitenlänge von gut 100 m. Mit einem Unterbau aus gebrannten Ziegeln erreichten die Strukturen eine Höhe von etwa 30 m. Die Schriftsteller verraten sogar konstruktive Details über den dreilagigen Boden-aufbau: eine Schicht Rohr mit Asphalt, darüber eine doppelte Lage gebrannter Ziegel in Gipsmörtel und schliesslich dicke Platten aus Blei, um die Durchfeuchtung zu verhindern.
Heute vollzieht sich mit der gezielten Bepflanzung senkrechter Flächen ein Schritt in eine neue Dimension. Fassadenflächen werden – insbesondere im urbanen Umfeld – als eine der letzten Möglichkeiten genutzt, um naturnahe Nischen zu schaffen. Bislang finden sich begrünte Fassaden zumeist als durchgeplante Schmuckgärten («Vertikale Gärten», S.16ff.). Doch auch Spontanvegetation auf Fassaden sollte künftig möglich sein als nicht zu vernachlässigender Beitrag zur Stärkung der Artenvielfalt («Ruderalfassade als Prototyp», S.10).
Besonders ins Blickfeld gerückt ist in letzter Zeit noch ein anderes Grün: die Mikroalgen. Hier stehen die Forschenden vor weit grösseren technischen und politischen Herausforderungen, als nur eine optimale – vertikale – Bauform für ihre Algenreaktoren zu finden. Während die einen die Algennutzung als Universallösung fast aller Probleme – vom Treibhauseffekt bis zur Treibstoffversorgung – handeln, wird sie von anderen als Irrweg verdammt («Klein, grün, Hoffnungsträger», S.22f.). Ebenfalls noch Vision ist es, Nutzpflanzen künftig in Hochhäusern zu stapeln. Architekten entwickeln Entwürfe für verschiedene Formen aufeinandergeschichteter Gewächshäuser, die zur Versorgung der Stadtbevölkerung und zugleich als Biokläranlagen sowie grüne Lungen dienen sollen («Hochwachsende Träume», S.24f.).
Alexander Felix
Inhalt
05 WETTBEWERBE
Neubau Naturmuseum, St. Gallen | Neubau Berufsfachschule, Solothurn
10 MAGAZIN
Ruderalfassade als Prototyp | Strassenverkehr | Bücher | Grünes an der Wand
16 VERTIKALE GÄRTEN
Kerstin Gödeke
Konstruktion: Fassadenbegrünungen sind eine wichtige Möglichkeit, Natur in die Stadt zu integrieren. Verschiedene, konstruktiv erprobte Systeme stehen zur Verfügung.
22 KLEIN, GRÜN, HOFFNUNGSTRÄGER
Claudia Carle
Umwelt: Energieversorger und Ölkonzerne interessieren sich vermehrt für Algen, weil sie CO2 binden und aus ihnen Biodiesel gewonnen werden kann. Noch ist die Technologie aber nicht effizient genug.
24 HOCHWACHSENDE TRÄUME
Alexander Felix
Architektur: Grüne Zukunftsentwürfe wachsen in den Himmel – Anregungen dafür beziehen Architekten aus der Raumfahrt ebenso wie aus der Graswurzelbewegung.
28 SIA
Geschäftslage im 4. Quartal 2009 | Kurse SIA-Form
33 PRODUKTE
37 IMPRESSUM
38 VERANSTALTUNGEN
Vertikale Gärten
Das Grün erklimmt zurzeit eine neue Dimension: Besonders im dichten, urbanen Umfeld ist die Bepflanzung von Fassadenflächen eine wichtige und willkommene Möglichkeit, Natur zu integrieren. Noch ist die Zahl vertikaler Gärten nicht sehr gross, jedoch stehen verschiedene, konstruktiv erprobte Systeme zum Einsatz bereit.
In der letzten Zeit macht eine neue Form von Grün im Aussenraum zunehmend auf sich aufmerksam: der vertikale Garten, pflanzliche Vorhänge, die sich über die ganze Fassade erstrecken und die Atmosphäre des Ortes wesentlich mitbestimmen. Sie gehen konstruktiv weit über die allgemein bekannten Berankungen von Häusern hinaus. Der Wunsch, einen Garten in der Höhe zu entwickeln, ist allerdings nicht neu – als Beispiel seien hier nur die Hängenden Gärten von Babylon genannt, die bereits 600 Jahre v. Chr. angelegt wurden. Grundsätzlich existieren drei Prinzipien, Pflanzen in der Höhe anzusiedeln: 1. Bepflanzung mit Selbstklimmern, Rank- oder Schlingpflanzen, die eine Höhe zwischen 10–20 m erreichen können. Hier sind kaum bauliche Massnahmen bzw. nur einfache Kletterhilfen notwendig. Die Pflanzen sind meist direkt im Erdreich am Fuss der Fassade gesetzt. Ranken die Pflanzen direkt an der Fassade hoch, können Probleme mit den Haftwurzeln auftreten, da sie auch in kleinste Risse eindringen.
2. Punktuell oder in der Fläche aufgestellte Pflanztröge, in denen Pflanzen in Substrat gesetzt sind. Das Substrat besteht in der Regel aus Erde oder, bei neuen Systemen, aus adäquaten Ersatzstoffen, die leichter sind und über eine hohe Wasserspeicherkapazität verfügen, wie zum Beispiel Blähton. Diese können sowohl am Fuss der Fassade als auch in der Höhe als modulares System integriert werden.
3. Kultivierung von Pflanzen, die ohne Substrat lebensfähig sind. Sie gehören grösstenteils der sogenannten Gruppe der Epiphyten an. Epiphyten (grch. epi = auf über; phyton = Pflanze) oder «Aufsitzerpflanzen» finden sich in völlig unterschiedlichen Pflanzengruppen. Allen gemeinsam ist, dass sie nicht auf dem Boden, sondern auf anderen lebenden oder abgestorbenen Pflanzen wachsen, ohne von diesen zu schmarotzen, und die lebenswichtigen Nährstoffe über ihre Wasserversorgung aufzunehmen. In den gemässigten Breiten sind dies vor allem Algen, Moose und Flechten. Der dünne und sehr leichte Aufbau erlaubt vollflächige Bepflanzungen.
Allgemein berücksichtigen die neuen Techniken die mögliche Gefahr von Gebäudeschäden durch die Pflanze und vermindern deren Angriffspunkte, wie das Eindringen selbst feinster Wurzeln in kleine Spalten und Fugen, deren fortschreitendes Dickenwachstum zu Sprengungen führen kann.
Der Pionier
Eine zentrale Rolle bei dem dritten System spielt Patrick Blanc, 1953 in Paris geboren, Professor der Botanik und Mitglied des hochangesehenen Centre National de la Recherche Scientifique. Inspiriert durch die üppige Pflanzenwelt Südostasiens, die auch ohne Substrat wächst, solange genügend Licht, Wasser und Mineralstoffe vorhanden sind, begann Blanc ab 1982 in seinen eigenen Innenräumen mit tropischen Pflanzen zu experimentieren und ein System zu entwickeln, das auf Mauern kleine Pflanzenparadiese spriessen lässt. Daraus entstand ein eigenes Patent, das sogenannte «Verfahren zur Kultivierung von Pflanzen ohne Substrat auf vertikalen Flächen», bei dem sich die Wurzeln auf einer dünnen Schicht Vlies entwickeln und nicht in einem Substratkörper. Erst 1994 tauchen seine Grünen Wände mit entsprechender Artenauswahl auch im Aussenraum auf (vgl. «Retour à la nature», TEC21 11/2004). Der Grundaufbau besteht in der Regel aus einem Metallgerüst, das direkt an der Stützmauer befestigt wird und eine stetige Luftzirkulation ermöglicht. In diesem Metallraster liegen 10 mm dicke Hartschaumplatten. Sie dienen als Träger für die in zwei Schichten darübergespannten 3 mm starken Filzlagen. Die Pflanzen werden durch Schnitte in der ersten Lage hineingeschoben und wachsen zwischen den beiden Filzschichten. Die Bewässerung erfolgt mit einem perforierten Kunststoffrohr, das waagerecht am oberen Ende der grünen Wand angebracht ist. Die Pflanzen stützen durch die Ausbildung von Wurzeln die Tragkonstruktion mit, sodass der Aufbau ca. 30 kg/m2 wiegt.
Blancs «Grüne Hüllen» beeindrucken nicht nur durch ihre Grösse und Pflanzendichte, sondern vor allem auch durch ihre Artenvielfalt und Blatttexturen. Patrick Blanc sieht 30 Pflanzen pro Quadratmeter vor. Beim Projekt Caixa Forum in Madrid (vgl. «Kunst elektrisiert», TEC21 36/2008), das in Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron entstanden ist, bestücken insgesamt 20 000 Pflanzen aus 300 Arten eine Fassadenseite.
Begrünung mit System
Es existieren verschiedene Systeme zur Fassadenbegrünung im Aussenraum. Europaweit betrachtet sind die meisten Methoden in Deutschland, den Niederlanden und England entwickelt worden. Die Anwendung ist aufgrund der kälteren und längeren Winter wesentlich diffiziler, und die Auswahl der Pflanzen ist relativ klein. Üppige Pflanzwände à la Blanc sind im Freien schwieriger realisierbar.
Ein bekannter Schweizer Anbieter ist die Firma Forster in Golaten – aufbauend auf einem System zur Dachbegrünung entstanden die «HF-Vegetationswände»: Nach Montage der vorgefertigten, feuerverzinkten Stahlelemente mit vollflächiger Rückseite auf ein Stahlgerüst werden diese nach und nach mit Pflanzen und Substrat gefüllt. Gleichzeitig eingesetzte Querlamellen geben Halt. Die Standardmasse sind 90 oder 180 cm in der Höhe, 120 cm in der Breite, und 12.5 cm in der Tiefe. Die Wand kann als fertig bepflanztes Element gesetzt oder vor Ort bepflanzt werden. Be- und Entwässerung kann integriert werden, ihre Bedienung ist automatisiert oder auch per Hand möglich. Das Gewicht liegt in bepflanztem, wassergesättigtem Zustand bei 150 kg/m2.
Beim Um- und Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses in der Berner Altstadt spannt sich zwischen Vorder- und Hinterhaus ein schmaler Innenhof auf. Diesen versteckten Ort nutzten BSR Bürgi Schärer Raaflaub Architekten aus Bern in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsarchitekten David Bosshard, Bern, für eine grüne Inszenierung der Brandmauer (Abb. 3–5).[1] Die Vegetationswand besteht weitgehend aus den standardisierten Pflanzgefässen der Firma Forster und wird automatisch bewässert. Die seitlichen Einfassungen, die Unterkonstruktion sowie die begehbaren Sprossen wurden speziell für das Projekt entwickelt. Die Vegetationswand ist mit immer- und wintergrünen sowie saisonalen Pflanzenarten bestückt, die zusammen eine flächendeckende Grundbepflanzung mit üppigen Akzenten bildet. Hierzu gehören verschiedene Farne und Gräser durchmischt mit Stauden, die in einem Blau-Lila-Rosa-Farbspektrum blühen, wie Bergenien, Prachtspieren und Kaukasus- Vergissmeinnicht. So zeigt sich während des ganzen Jahres ein lebendiges Gesamtbild, das dem kleinen Hof eine eigene Identität verleiht, die dank grossen Fensteröffnungen bis in die Innenräume ausstrahlt.
Beim Neubau der Firma Edipresse in Lausanne wurde das gleiche System in Form von vegetativen Schmuckbändern eingesetzt (Abb. 6–9). In der Natursteinfassade ersetzen zwei vertikale Reihen von ca. 7 m Länge die bepflanzten Stahlelemente. Sie sind hauptsächlich mit der Japansegge «Ice Dance» bepflanzt, durchsetzt von einer kleinen Ahornart, Funkien und Farnen.
Weitere Beispiele in der Schweiz
Auch bei Lausanne Jardins 2009 war vertikales Grün ein Thema. Das zum vierten Mal organisierte Gartenfestival war während der Sommermonate vergangenen Jahres Schauplatz origineller, temporärer Installationen. Exemplarisch seien hier nur zwei Projekte genannt: Der «Green Tower» von Ex Studio aus Barcelona bildete für kurze Zeit als hohes, auffallend bepflanztes Metallgerüst den Abschluss einer Gebäudereihe. In seiner Farbigkeit nahm es die angrenzenden bunten Fassaden auf, ein Spiel der Kontraste begann, und der Ort wurde neu wahrgenommen (Abb. 10 –11). Bei der Intervention «Hosepipe Garden» installierten die Planerinnen Julie Courcelle, Mathilde Merigot und Clotilde Berrou aus Marseille in der Metrostation CHUV an den Betonwänden ein Gitter mit grünen Wasserschläuchen, bewachsen mit Medizinalpflanzen. Das Geflecht sollte einen Hinweis auf das nahe gelegene Bezirkskrankenhaus geben (Abb. 12–13).
Die Firma Creaplant bietet das System «Wonderwall» an, das in den Niederlanden entwickelt wurde. Der technische Grundaufbau besteht aus einer Basiskonstruktion aus rostfreiem Metall, einer mehrschichtigen Vegetationsmatte und integrierten Bewässerungsleitungen. Vorkultivierte Pflanzen werden mit Wurzelballen in Taschen der Vegetationsmatten gesetzt. Das Gewicht liegt in unbewässertem Zustand bei 30 kg/m2. Bisher wurde dieses System vornehmlich im Innenraum angewendet – in der Schweiz beispielsweise in den Innenräumen von HydroLab in Zürich (Abb. 14–15). Der Einsatz ist aber auch im Aussenraum ohne weiteres möglich, wie das Projekt Mercato Sportplaza in Amsterdam zeigt (Abb. 16–17).
Mehrwert
Neben der Ästhetik decken die begrünten Wände auch wichtige Aspekte der Nachhaltigkeit ab. In den heutigen zunehmend dichten Städten wird es immer schwerer, einen Standort für Pflanzen oder Grünflächen zu finden. Das vertikale Grün beansprucht im Vergleich zur bepflanzten Oberfläche nur eine minimale Fläche im Grundriss. Zudem trägt es unter anderem deutlich zur Verbesserung des Kleinklimas, der Rückhaltung von Regenwasser und der Wärmedämmung bei. Unerlässlich ist allerdings konstante Pflege, Aufmerksamkeit und Kontrolle, die je nach Klima, Pflanzenwahl und System mehr oder weniger intensiv ist – in diesem Sinne bleibt das vertikale Grün ein Garten.
Anmerkung:
[01] Dieses Projekt wird imTEC21-Dossier «Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft» ausführlich vorgestellt. Es erscheint demnächst als Beilage zu TEC21.TEC21, Fr., 2010.02.26
26. Februar 2010 Kerstin Gödeke
Klein, grün, Hoffnungsträger
Energieversorger und Ölkonzerne interessieren sich seit einigen Jahren vermehrt für Algen. Der Grund: Algen sind hocheffiziente und gleichzeitig sehr genügsame Produzenten von Biomasse, aus der Biotreibstoffe gewonnen werden können. Gleichzeitig binden sie bei ihrem Wachstum das Treibhausgas CO2. Noch ist die Technologie aber im Forschungsstadium, und es ist schwer abschätzbar, welchen Beitrag sie dereinst zur Senkung der CO2-Emissionen und zum Ersatz fossiler Treibstoffe leisten könnte.
Algen sind die ältesten Pflanzen unseres Planeten. Für ihr Wachstum benötigen sie Sonnenlicht, CO2, Wasser und Nährstoffe und produzieren daraus mittels Fotosynthese Sauerstoff und Biomasse. Von der auf über 400 000 Arten geschätzten Vielfalt an Algen, die von einoder mehrzelligen Mikroalgen bis hin zu baumgrossen Makroalgen reicht, wird bisher nur ein Bruchteil industriell genutzt. Eingesetzt werden Algen zum Beispiel zur Gewinnung von pharmazeutischen Wirkstoffen, von Nahrungsergänzungsmitteln, für Kosmetika, aber auch als Futter- und Düngemittel. Ins Rampenlicht gerückt sind Algen in letzter Zeit vor allem, weil sie das Treibhausgas CO2 binden und sich aus ölbildenden Algenarten Biodiesel gewinnen lässt. Während die bisher gebräuchlichen Biotreibstoffe unter anderem wegen der Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion kritisiert werden, sind Algen sehr genügsam: Sie können auf landwirtschaftlich nicht nutzbaren Flächen kultiviert werden, gedeihen auch in Salz- oder Abwasser und produzieren zudem mehr Biomasse und binden mehr CO2 als landwirtschaftliche Kulturen oder Wälder.
Die Idee zur Herstellung von Biotreibstoff aus Algen ist nicht neu. Schon 1978 wurden in den USA im Rahmen eines Förderprogramms des Energieministeriums Mikroalgen als erneuerbare Energiequelle für die Biodiesel-Produktion untersucht. Nach Abschluss des Programms 1996 kam man zum Schluss, dass die Nutzung von Algen aufgrund niedriger Rohölpreise und aufwendiger Verfahren zur Kultivierung und Ölextraktion aus der Algenbiomasse nicht rentabel sei. Steigende Ölpreise haben nun aber das Interesse an dieser Technologie wieder geweckt und lassen Gelder in zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte fliessen. So gab Mitte letzten Jahres beispielsweise der Ölkonzern Exxon Mobil bekannt, dass er 600 Mio. Dollar in die Erforschung und Entwicklung von Biotreibstoffen aus Algen investieren wird. Der zunehmende politische Druck zur Reduktion von Treibhausgasen macht Algenkulturen auch für Kraftwerkbetreiber interessant. So gibt es in Deutschland eine ganze Reihe von Pilotprojekten, bei denen Energieversorger mit Forschungsgruppen zusammenarbeiten.
Algendiesel: Energieaufwendig und teuer
Während man in den USA und in Asien Algen vor allem in offenen Becken züchtet, begann man in Deutschland mit der Entwicklung geschlossener Systeme. Diese Fotobioreaktoren in Form von Röhren (Abb. 1), Schläuchen oder flachen Platten (Abb. 2) aus Glas oder transparentem Kunststoff haben den Vorteil, dass sie aufgrund der grösseren Oberfläche eine deutlich höhere Produktivität aufweisen als offene Becken. Zudem sind die Wachstumsbedingungen besser kontrollierbar. Dafür sind neben den Investitions- auch die Betriebskosten wesentlich höher: Die Algensuppe in den Reaktoren muss mit Dünger und CO2 versorgt und durchmischt und der Sauerstoff muss abgeführt werden. Auch die Ernte der Algen ist aufwendig, da die verwendeten Mikroalgen so klein sind, dass sie nicht sedimentieren und daher herausgefiltert oder zentrifugiert und anschliessend getrocknet werden müssen. Zudem ist die Ausbeute sehr gering – zwischen 0.5 und 3 g Algentrockensubstanz pro Liter.
Für die Gewinnung des Algenöls ist ein weiterer Verfahrensschritt notwendig, der aber noch im Forschungsstadium ist. Das Öl kann z.B. durch Abpressen oder durch chemische Extraktion gewonnen werden. Erschwerend kommt bei der Ölproduktion mit Algen hinzu, dass optimale Wachstumsbedingungen zwar zu grossen Mengen an Algenbiomasse führen, allerdings mit geringen Ölgehalten. Denn Öl bilden die Algen als Speichermedium, wenn Stressbedingungen wie Nährstoff- oder Lichtmangel das Zellenwachstum begrenzen. Theoretisch mögliche Ölgehalte von bis zu 70 % sind daher bei schnellem Algenwachstum nicht erreichbar.
Eine aktuelle Ökobilanz-Studie[1] kommt zum Schluss, dass der Energieaufwand zur Herstellung in der Regel grösser ist als der Energieinhalt des produzierten Treibstoffs. Nur unter Annahme optimaler Bedingungen liegen sie etwa in der gleichen Grössenordnung. Das Hauptproblem liege aber bei den derzeit viel zu hohen Kosten für die Herstellung der Algentreibstoffe, meint Rainer Zah von der Empa, der im Rahmen einer Studie zu Biotreibstoffen[2] auch die zukünftige Bedeutung von Algen analysiert. Er schätze daher das Potenzial von Algentreibstoffen in den nächsten 20 Jahren als klein ein.
Ute Ackermann vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hält den Anspruch, zum jetzigen Zeitpunkt die Effizienz von Algen zur Treibstoffherstellung zu beurteilen, für verfrüht. Auch die Entwicklung von herkömmlichen Kraftstoffen auf Rohölbasis habe Jahrzehnte in Anspruch genommen. In der Forschung gehe es im Moment vor allem darum, die Algenreaktoren so weiterzuentwickeln, dass möglichst effizient grosse Mengen an Algenbiomasse produziert werden können. Am KIT untersucht man zum Beispiel die Lichtintensitäten im Reaktor, um die Lichtversorgung der Algen optimieren zu können. Die Optimierung der Produktion auf das gewünschte Endprodukt hin – beispielsweise das Algenöl – sei erst der zweite Schritt, den es anzugehen gelte. Im Moment gelinge der Markteintritt mit der Algenkultivierung nur bei einer Kaskadennutzung, betont Ackermann. Das heisst, man produziert primär hochpreisige Wirkstoffe beispielsweise für die Pharma-, Kosmetik- oder Nahrungsmittelindustrie und kann die übrigbleibende Algenbiomasse energetisch nutzen. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: Mittelfristig könnte dies laut Ackermann über die Produktion von Biodiesel geschehen. Einfacher sei momentan die Vergärung der Algen in einer Biogasanlage. Der Kohlenhydratanteil der Biomasse kann aber auch zu Ethanol umgesetzt werden.
Bei der Nutzung von Algen zur Bindung von CO2 ist man noch weiter von einem signifikanten Beitrag entfernt als bei den Algentreibstoffen. Da Algen mit hohen CO2-Konzentrationen besser wachsen, lassen sich CO2-Emissionen aus Verbrennungsprozessen, beispielsweise von Kohlekraftwerken, nutzen. Die CO2-Mengen, die von den derzeitigen Algenreaktoren gebunden werden können, sind allerdings relativ gering. Eine der wenigen kommerziellen Anlagen zur Algenkultivierung in Reaktoren, die es bisher gibt, liegt im deutschen Ort Klötze (Sachsen- Anhalt). Sie ist 1.2 ha gross und kann laut eigenen Angaben unter optimalen Bedingungen 130 t CO2 pro Jahr binden. Deutsche Kohlekraftwerke emittieren demgegenüber je nach Grösse zwischen 2 und 27 Mio. t CO2 pro Jahr. Um die gesamten Emissionen eines solchen Kraftwerks zu binden, müsste man also riesige Flächen mit Algenreaktoren bestücken.
Anmerkungen:
[01] L. Lardon et al.: Life-Cycle Assessment of Biodiesel Production from Microalgae. Environmental Science & Technology Vol. 43, No. 17, 2009
[02] R. Zah, C.R. Binder, S. Bringezu et al.: TA-SWISS report «Future Perspectives of 2nd Generation Biofuels», erscheint ca. Juni 2010TEC21, Fr., 2010.02.26
26. Februar 2010 Claudia Carle