Editorial

Für die Außenwirkung eines Gebäudes ist in aller Regel das verwendete Fassadenmaterial und die Art, wie es eingesetzt wird, ausschlaggebend. Je größer und einheitlicher die Flächen, umso stärker treten dabei die optischen wie auch die stofflichen Eigenschaften in den Vordergrund. Die Materialwahl allein birgt bereits reichhaltige Möglichkeiten, völlig unterschiedliche Eindrücke zu erzeugen, mitunter sogar starke Gefühle hervorzurufen oder zumindest Assoziationen zu wecken. Wer zudem die Eigenschaften des Baustoffs virtuos zu nutzen versteht, wird die Bandbreite der architektonischen Ausdrucksmöglichkeiten von erdenschwer bis ätherisch, von anheimelnd bis abweisend, von leutselig bis versnobt nahezu ins Unendliche zu erweitern wissen. In diesem Heft untersuchen wir detailliert, welche Aussagen Fassaden über den Inhalt der jeweiligen Gebäude, ihre Nutzer und die Haltung gegenüber der Umgebung treffen. Wir hinterfragen die Materialwahl und beleuchten, wie sich die Absichten der Entwerfer im Vergleich zur tatsächlichen Wirkung verhalten. Wir spüren den Emotionen nach, die Materialien hervorrufen, und wägen den Mehrwert ab, der sich einem Gebäude durch eine gut gestaltete Hülle verschaffen lässt. Unsere Auswahl zeigt leider nur einen winzigen Ausschnitt aus dem überreichen Angebot, es ist darin aber Kulturübergreifendes, Klassisches, Irritierendes, Behagliches, Überraschendes und Altbekanntes versammelt – und, wo die Form aus den Materialeigenschaften erwächst, auch Zeitloses und Beständiges. | ge

Zwischen den Welten

(SUBTITLE) Multifunktionelles Zentrum »Fusion« in Amsterdam (NL)

Der breit gelagerte Bau beherbergt neben den Räumlichkeiten für zwei unterschiedliche islamische Gemeinden auch ein städtisches Fortbildungs-, Beratungs- und Sozialzentrum. Die handwerklich vermauerte Backsteinfassade bindet das öffentliche Gebäude unauffällig in die Umgebung ein und schafft durch die gelungene Verbindung aus klassischer Moderne und islamischer Ornamentik für die Nutzer die Möglichkeit der Identifikation.

Der im Südosten von Amsterdam gelegene Stadtteil Transvaal zählt architektonisch und städtebaulich zu den interessantesten Vierteln der niederländischen Hauptstadt. Das hoch verdichtete Quartier wurde seit den 20er Jahren nach städtebaulichen Plänen von Hendrik Pieter Berlage angelegt, dem Altmeister und Mitbegründer der niederländischen Moderne. Mit seinen plastisch-skulptural gestalteten Backsteinbauten bietet es ein Musterbeispiel der sogenannten Amsterdamse School, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts das Gesicht der Grachtenstadt entscheidend geprägt hat. Lange Zeit wurde das Viertel überwiegend von Angehörigen der niederländischen Mittelschicht bewohnt, doch die ursprünglichen Mieter drängte es seit den 70er Jahren immer stärker in moderne Wohnviertel an den Stadtrand. Heute haben von den rund 10 000 Bewohnern des Quartiers mehr als 50 % einen »nicht-westlichen Migrationshintergrund« – die meisten von ihnen stammen aus Marokko oder aus der Türkei.

Verschärft durch fehlende Freiflächen und einen dringend sanierungsbedürftigen Gebäudebestand mit häufig zu kleinen Wohnungen hat sich Transvaal seitdem immer mehr zu einem Problemviertel entwickelt. Bereits seit den 80er Jahren wurden unterschiedliche Maßnahmen beschlossen, um die Lebensqualität und die Integration vor Ort zu verbessern. Einen wichtigen Beitrag dazu liefert inzwischen das Multikulturelle Zentrum in der Joubertstraat. Der flexibel nutzbare Neubau beherbergt auf einer Nutzfläche von rund 1 600 m² Büroflächen, Unterrichtsräume und drei unterschiedlich große Gebetsräume für die marokkanisch-islamische sowie für die türkisch-islamische Gemeinde des Viertels. Entsprechend der Auflagen des Fonds für Regionale Entwicklung (D2-Programm) der EU, durch den das Projekt zu rund 30 % finanziert wurde, integriert der Neubau außerdem ein städtisches Fortbildungs-, Beratungs- und Sozialzentrum.

Hybride Baukultur

Die Entstehungsgeschichte der Doppelmoschee geht zurück auf einen Beschluss des Stadtteilrates aus dem Jahr 2000. Damals war das Projekt noch als Umbau einer vormals auf dem Grundstück stehenden Schule geplant. Nach eingehender Analyse ihrer Bausubstanz entschied man sich jedoch schon frühzeitig für einen Neubau. Ende 2005 konnte dann ein Architekturwettbewerb durchgeführt werden, den Marlies Rohmer gewann: »Es ist schon ziemlich ungewöhnlich, Türken, Marokkaner und Niederländer an einem gemeinsamen Ort unter einem Dach zusammenzubringen«, beschreibt die Architektin den Ausgangspunkt ihrer Planung. »Wir haben das Projekt daher als ›Fusion‹ betrachtet, als Zeichen einer ›hybriden Baukultur‹, die nach Synergien und nach einer neuen Ikonografie sucht, die das Gemeinsame und Verbindende betont, ohne dabei die eigene Identität der unterschiedlichen Parteien außer Acht zu lassen.«

Ähnlich integrativ wie das Nutzungskonzept präsentiert sich nun auch die Architektur des Neubaus. Die Errichtung eines Gebetshauses mit Kuppel und Minarett, wie er gegenwärtig so heftig diskutiert wird, spielte dabei von Anfang an keine Rolle. Stattdessen entwickelte Marlies Rohmer einen viergeschossigen, als Stahlträgerkonstruktion ausgeführten Flachdachbau mit einer langgestreckten, sich an der Traufhöhe der angrenzenden Bauten orientierenden Schaufassade aus roten Klinkern. Die frei von tragenden Funktionen errichtete Backsteinhülle fügt den Neubau auf den ersten Blick nahtlos in die umgebende Bebauung ein. Aus der Nähe betrachtet zeigt sich jedoch, dass die Planerin neben Mauerwerkstechniken und stilistischen Details aus dem Repertoire der Amsterdamse School auch islamisch anmutende Elemente in die Fassade übernommen hat. Das materialbetonte Zusammenspiel der unterschiedlichen Einflüsse schafft eine reizvolle Synthese, die sinnfällig die multikulturelle Nutzung des Gebäudes thematisiert.

Ein wichtiges Resultat dieser angestrebten »Fusion« ist die Gestaltung der Erschließungssituation im Gebäude: Zwar haben die Gebetsräume der marokkanischen und türkischen Gemeinde jeweils einen eigenen Zugang erhalten, beide sind aber einem deutlich größeren, von beiden Gemeinden genutzten Haupteingang untergeordnet, der als doppelgeschossige Glasfuge mittig in die Klinkerfassade geschnitten wurde. Weiteren Raum zur wechselseitigen Begegnung der unterschiedlichen Nutzer bieten die Eingangshalle, das gemeinsam genutzte Treppenhaus, die große Freifläche im Innenhof sowie der im 2. OG gelegene Kursraum, der durch das breite Panoramafenster hindurch einen freien Ausblick auf den gegenüber liegenden Sportplatz bietet.

Architektonisch aber geht mit dem Betreten des Innenbereichs ein auffälliger stilistischer Bruch einher. Entsprechend der gestalterischen Wünsche der beiden Gemeinden trifft der Blick, überraschend, auf eine wuchtige Treppenverkleidung aus Holz sowie auf Bodenfliesen und gestalterisch von arabischen Schriftzeichen inspirierte Wanddekore in Blau und Weiß. Linkerhand vom Eingangsflur schließt sich der Gebetsraum für die männlichen Mitglieder der türkischen Gemeinde an, rechterhand liegt der Gebetsraum für die männlichen Mitglieder der marokkanischen Gemeinde. Beide Räume wurden jeweils doppelgeschossig, vielfach in Eigenleistung, mit reich verzierten Wänden und Böden in arabischer Ornamentik gestaltet. In den darüber liegenden Ebenen schließen sich ein kleinerer Gebetsraum für die Frauen sowie die verschiedenen Büros und Unterrichtsräume an.

Filigrane Detaillierung

Da die Gestaltung des Innenbereichs hauptsächlich in der Verantwortung der beiden Gemeinden lag, stand für die Architekten insbesondere die Detaillierung der Schaufassade im Mittelpunkt. Bei der »hybriden Verschmelzung«, wie Marlies Rohmer sie nennt, schienen die unterschiedlichen Stilelemente – arabische und jene der Amsterdamse School – zunächst weit voneinander entfernt zu sein, bei näherer Betrachtung ergaben sich jedoch einige Gemeinsamkeiten, vor allem, was die Plastizität und die Ornamentik betrifft. Es entstand eine rhythmisch abwechslungsreiche, durch verschieden große Fenster strukturierte Collage aus unterschiedlichen Mauerwerksverbänden, die ebenso gut als Synthese unterschiedlicher Kulturen wie als spielerische Erweiterung des strengen Formenkanons der niederländischen Moderne lesbar ist.

Aus der Distanz betrachtet wirkt die Fassade aufgrund ihrer homogenen, auf den Ort bezogenen Materialität zunächst eher unauffällig und zurückhaltend, wie eine zweidimensionale »Backsteintapete«. Beim Näherkommen wandelt sich der Eindruck. Die Front erscheint zunehmend vielschichtiger, filigraner und verspielter, ohne dabei aber ihre klare Struktur zu verlieren und überladen oder gar chaotisch zu wirken. Mehr und mehr werden unterschiedliche gestalterische Details sichtbar, so etwa der durchgehende Sockelbereich aus blutrot glasierten Steinen, die in vier Reihen vertikal übereinander im Parallelverband gemauert wurden. Die beiden außen liegenden Bereiche der Fassade wurden demgegenüber als geometrisches Backsteinrelief mit quadratischen Feldern aus teils vertikal, teils horizontal gemauerten Steinen gestaltet, die sich in bewegtem Rhythmus jeweils um ein kleines quadratisches Fenster im Zentrum des Feldes anordnen. Zusätzliche Dynamik erhalten die an sakrale Rosetten erinnernden und handwerklich hochwertig ausgeführten Felder durch die Ausstrahlung des durchgängig verwendeten, mit tief zurückliegenden dunklen Fugen gemauerten dänischen Handform-Verblenders in unterschiedlichen Formaten. Die vielfältigen Farbnuancen des Steins von Hellgelb über Orange und Dunkelrot bis hin zu Grau und Schwarz lassen dabei in ihrer vibrierenden Wirkung auf den ersten Blick an farbige arabische Mosaiken denken.

Eine ähnliche Anmutung zeigt die Fassade im Bereich des 3. OG, allerdings wurden hier etwas größere Fenster integriert. Im 2. OG schafft das rund 20 m breite, aus fünf Elementen zusammengesetzte Panoramafenster einen markanten Materialkontrast zur übrigen Fassade. Im Bereich des Haupteingangs wurde die Front dagegen als halbtransparente Hülle mit regelmäßigen Aussparungen gestaltet, um den Neubau so zur Stadt zu öffnen und den offenen Charakter des Hauses zu betonen. Besonders reizvolle Perspektiven ergeben sich dabei während der Dunkelheit, wenn der halbdurchlässige Vorhang Einblicke in die dahinter liegenden Büros und Gebetsräume ermöglicht, ohne dabei aber sofort preiszugeben, was sich dort abspielt. Als gelungene architektonische Metapher für eine selbstbewusste Religion und Kultur, die sich öffnet, ohne sich dabei zu verleugnen.

db, Di., 2010.02.09

09. Februar 2010 Robert Uhde

Schmuckhaut vom Baumarkt

(SUBTITLE) Sporthalle Reiferbahn in Schwerin

Der enge Kostenrahmen machte es den Architekten nicht leicht, dem disparaten Umfeld etwas Wertigkeit zukommen zu lassen. Mit der dreidimensionalen Struktur von Aluminium-Streckmetalltafeln belebten sie die großen Fassadenflächen des Baukörpers. Sie erscheinen je nach Blickwinkel durchscheinend oder metallisch reflektierend. Zu Kreissegmenten gebogene Platten bringen zusätzlich Bewegung in die Fläche der Längsseite. Der Versuch, mit wenig viel zu erreichen, ist nicht in aller Konsequenz erfolgreich verlaufen.

Eine Dreifeldhalle gemäß DIN 18032 gehört wahrlich nicht zu den attraktivsten und prestigeträchtigsten Aufgaben des Architektenberufs. Um so weniger, wenn eine solche Funktionskiste mit minimalem Budget und an einer verkehrsreichen innerstädtischen Einfallstraße zu realisieren ist. Im Normalfall wird dafür, ohne besondere gestalterische Energie aufzuwenden, eine pragmatisch-praktische Lösung gesucht.

Eine Ausnahme von dieser Regel bildet die Dreifeldhalle »Reiferbahn«, die das dort ansässige Architekturbüro jäger jäger in der Mecklenburg-Vorpommerschen Landeshauptstadt Schwerin errichtete. Denn hier ist, trotz Vorgabenkorsett und karger Finanzen eine Sporthalle entstanden, die, zumindest in ihrer äußeren Erscheinung, nicht nach der Norm geraten ist.

Damit ist freilich schon angedeutet, dass sich das Interesse an diesem Bau auf die Fassade konzentriert und über das Innere der Halle nicht viele Worte zu verlieren sind. Programmflächen, Materialeigenschaften und Belichtung – hier ist vieles durch die DIN geregelt und entsprechend ausgeführt. Erwähnenswert ist neben der kleinen, karg gestalteten Besuchertribüne für exakt 199 Zuschauer, die sich oberhalb der Geräteräume befindet, das Eingangsfoyer. Seitlich aus dem Gebäudevolumen herausragend, ist es als kleine, doppelstöckige Halle ausgeführt. Ebenerdig sind von hier aus die Umkleiden erreichbar, eine einläufige Treppe erschließt die Besuchertribüne. Der Raum, der durch seine ungewöhnlichen, aber ansprechenden Proportionen gefällt, ist so dimensioniert, dass er auch für kleinere Empfänge und Feiern genutzt werden kann.

Dynamisches Erscheinungsbild

Die vom nahe gelegenen Gymnasium Fridericianum für den Schulsport und auch vom Sportverein Grün-Weiß Schwerin genutzte Halle liegt an der Reiferbahn, einer, an der Bahntrasse entlang führenden, innerstädtischen Erschließungsstraße, die vorwiegend dem Autoverkehr dient und nicht nur deshalb jeglichen Charme vermissen lässt. Die städtebauliche Situation zwischen der Straße, der Rückseite einer zur Wohnanlage umgebauten alten Kaserne und den Hinterhäusern der Wallstraße schien den Architekten dabei so hoffnungslos, dass sie die Halle demonstrativ als kubischen Solitär auf das dafür vorgesehene Areal platzierten. Um sie in diesem disparaten Umfeld dennoch hervorzuheben, entschlossen sie sich, den kantigen, auf die Reiferbahn ausgerichteten Baukörper in eine auffällige, weil außergewöhnliche Hülle zu stecken – in ein Kleid aus schimmernden Aluminium-Streckmetall-Tafeln. Während sich diese horizontal geschichtete Metallhaut an den geschlossenen Seiten sowie an der Rückfassade der Halle als plane Fläche präsentiert, wölbt sie sich auf der Schauseite zur Straße hin in einer gleichmäßig rhythmisierten Wellenbewegung auf. Vorgegeben wird der Rhythmus durch schmale, hochrechteckige Fensteröffnungen, die, in mehreren Reihen übereinander und jeweils zueinander versetzt, die Fassade rasterförmig gliedern. Fast macht es den Eindruck, als hätten die opaken Fensterschlitze, um sich Platz zu schaffen, die Metallplatten zusammengeschoben und dadurch deren nach außen gerichtete Wölbung verursacht. Die optische Wirkung der asymmetrisch ausgebildeten konvexen Ausbuchtungen der Streckmetall-Tafeln, die der Fassade zugleich Plastizität und Dynamik verleihen, ist beachtlich. Geschickt verstanden es die Architekten die strukturelle Besonderheit des Streckmetalls zu nutzen: Wer das Gebäude betrachtet, sieht, je nach Perspektive, mal eine weitgehend geschlossene, das Licht reflektierende, mal eine semi-transparente Metallhaut, die den Blick auf die darunter liegenden tragenden Außenwände freigibt. Und wer an der Halle vorbeigeht, dem mag es vorkommen, als ob quasi die gesamte Gebäudehülle dynamisiert sei und jede Bewegung nachvollziehe. Das ist ein schöner Effekt, ebenso schön wie die Reflexion des Sonnenlichts auf der silbrig glänzenden Aluminiumhaut, die das Gebäude bisweilen überaus kostbar erscheinen lässt.

Freilich, auch in Schwerin scheint nicht alle Tage die Sonne. Und so ist es gerade die industrielle Anmutung des Streckmetalls, die einerseits den Architekten faszinierte und zur Wahl dieses Materials anregte, die andererseits aber auch dazu führt, dass die Sporthallenhaut (vor allem an den drei Gebäudeseiten, an denen die Metalltafeln eine ebene Oberfläche bilden) abhängig vom Blickwinkel und den Lichtverhältnissen ungefähr die gleiche ästhetische Wertigkeit vermittelt wie eine billige Baumarktfassade. Der Sporthalle mit Hilfe der Metallhülle etwas vom Charakter eines Gewerbebaus zu verleihen, um auf diese Weise die solitäre Sonderstellung des Gebäudes zu betonen, erweist sich also als zweischneidige Maßnahme. Das wiegt umso schwerer, als die Streckmetall-Haut der Halle rein als »Schmuckkleid« ohne weitere Funktion konzipiert ist. Akustisch oder bauphysikalisch bleibt sie ebenso wirkungslos wie als »Schutzschild«. Zwar haben Sprayer wenig Freude am Streckmetall, gegen einen Vandalismus der gröberen Sorte ist das Material aber nicht gefeit, wie vor Ort die zahlreichen unschönen Trittdellen im unteren Bereich der Fassaden bezeugen.

Wenn es richtig ist, dass sich die Qualität eines gestalterischen Produkts an den Detaillösungen erweist, vermag die Fassade der Sporthalle auch in dieser Hinsicht nicht immer zu überzeugen: Da ist etwa die bei genauer Betrachtung recht auffällige, von unten nach oben mit jeder Reihe zunehmende Größe der Öffnungen in den Metalltafeln, die eigentlich dem Zweck dienen sollte, die Fassadenhaut optisch möglichst homogen erscheinen zu lassen. Die feinen Übergänge in der Öffnungsweite, die dafür notwendig gewesen wären, ließen sich aber mit den Standard-Tafeln, die aus Budgetgründen verbaut werden mussten, nicht erreichen. Jetzt entfalten die unterschiedlichen Maschenweiten der Streckmetallpaneele leider eine eher gegenteilige Wirkung.

Da sind die Ecken der Straßenfront, wo die Aufwölbungen der Metallpaneele genau an der Stelle abbrechen, an der der Fassadenraster nicht mehr aufgeht und man den Eindruck gewinnt, als hätten sich die Architekten hier vorschnell mit der einfachsten Lösung zufrieden gegeben. Da ist die unterste Reihe der gewölbten Bleche, die aufgrund des leicht abschüssigen Geländes zum Teil stark angeschnitten werden mussten. Da sind schließlich die fünf versetzt übereinander gestaffelten Fensterreihen der Hauptfassade, die von außen betrachtet zwar ein grafisch ansprechendes Bild abgeben, aber fast zur Hälfte nur der Fassadengrafik dienen, weil ein großer Teil hinter der Dachkonstruktion bzw. hinter der die Spielfläche begrenzenden Prellwand verborgen liegt. Ein zwiespältiger Eindruck also, den dieses an sich ambitionierte Projekt am Ende hinterlässt.

db, Di., 2010.02.09

09. Februar 2010 Mathias Remmele

Kühle Verführung

(SUBTITLE) Umbau und Aufstockung eines Bürohauses in London

Um die an einer engen Straße gelegenen Räume eines Bürogebäudes mit Tageslicht versorgen zu können, kippten die Architekten Oberlichter aus der Fassadenebene heraus, mit denen sie das Zenitallicht einfangen. Eine doppelt gekrümmte Gebäudehaut aus Aluminium zeichnet die komplizierte Wellengeometrie der Fassade nach. Sie ist anziehend und irritierend zugleich, sie nimmt einerseits durch Spiegelung die Farben der Umgebung in sich auf, erscheint andererseits aber glatt und abweisend – ein attraktives aber auch zweischneidiges Spiel mit Formen und Oberflächen.

Die Zukunft von Future Systems liegt seit dem Tode von Jan Kaplický wohl allein in der Arbeit Amanda Levetes, obwohl diese sich bereits 2008 aus dem gemeinsamen Büro herausgelöst hatte, um ihr eigenes zu eröffnen und die gemeinsam entwickelten Entwurfsmethoden aus ihrer eher geradlinigen Haltung heraus fortzuführen. Eines ihrer ersten Soloprojekte ist wenig mehr als eine schlichte, fast spröde, aber auch verführerische und höchst reizvolle Hülle: Ein kleines, unauffälliges Gebäude aus den 70er Jahren in Hills Place, einer Seitenstraße der Oxford Street, das Amanda Levete Architects zu Großraumbüros für Medienschaffende umbauten und das im Zuge der Aufstockung mehr Fläche und eine neue Fassade bekam. Im Mittelpunkt stand dabei die Belebung der neuen Aluminiumbekleidung, aus deren horizontaler Gliederung sich vier verglaste Wölbungen herausentwickeln, um die Ansicht in eine sanfte Bewegung zu versetzen. Die tränenförmigen Fenster, die sich wie Augen himmelwärts öffnen, sind angeblich von Lucio Fontanas geschlitzten Leinwänden inspiriert.

Haute Couture

In der Oxford Street dreht sich alles ums Einkleiden mit der neusten Mode, und die architektonische Runderneuerung von 10 Hills Place spielt dasselbe Spiel; alte und neue Bauteile werden in eine glänzende kosmetische Membran gehüllt, deren überraschende Zartheit und knittrige Oberfläche manch interne Falten des Projekts überdecken.

Laut der Architekten ist die Form der Fassade nach einer Analyse des Sonnenverlaufs zustande gekommen, doch die Anforderungen ihrer Geometrie, die spitzen Winkel im Schnitt und die sich gegenseitig verschattenden Auswölbungen, ebenso deren nonchalant nach Osten (statt nach Süden) gerichtete Symmetrieachse, legen nahe, dass das nicht so ganz stimmt. Die gestalterische Entwicklung des Projekts basiert wohl eher auf dem Erbgut jener Formenfamilie, die einst Future Systems entwickelt hat (und die nun die ganze Welt benutzt). Die sanfte Kurve der »Schlitzaugen« von 10 Hills Place erinnert an Vorgängerprojekte des Büros, aber genauso an die mittlerweile so vertrauten »wet grids« und eingedrückten Eiformen, die so manches aufstrebende Büro am Computer generiert.

Doch die zentrale formale Idee hat mit dem schließlich verwendeten Material nichts zu tun, war doch die Hülle als nahtlose einschalige Oberfläche aus Gummi oder Polyurethan geplant. Das Büro entschied sich für spritzlackiertes Aluminium, als klar wurde, dass billigere Materialien wie Putz unschön altern würden und dass die Hersteller anderer Oberflächen keine Garantie auf ausreichende Lebensdauer geben konnten. Und so wurde das Material, das in Birmingham in Hunderten einzelner Scheiben die runde Selfridges-Fassade bildet (s. db 11/2003), zu Streifen einer funktionalen, wasserdichten Fassade gestreckt, deren polierte Facetten schimmernde psychedelische Effekte aus verstreuten Reflexionen des Himmels und der Stadt produzieren. Die ursprünglichen Pläne für ein tiefes Schwarz oder ein kühnes Dunkelrot wurden zugunsten einer alltäglicheren Metalloberfläche eingemottet; beim Aufspritzen der Silberfarbe ergaben sich unterschiedliche, matte Grautöne, die leider nicht gut zueinander passen und dadurch die Gesamtwirkung noch mehr dämpfen. Auffälliger Schmuck, wie man ihn von vielen verspielten Future Systems-Projekten her kennt, fehlt. In öffentlichen Äußerungen weist Levete diplomatisch den örtlichen Planungsbehörden das Verdienst für diese angemessene Zurückhaltung zu; im privaten Gespräch beklagt der Projektarchitekt die bürokratischen Fußfesseln.

Viele der früheren Arbeiten von Future Systems bezogen sich auf fantastische Autos, Schiffe und Weltraumraketen – Science-Fiction-Seitenhiebe auf Fetische der Moderne. Ihr preisgekröntes Media Centre für Lord's Cricket Ground (s. db 10/1999) wurde von einem Schiffsbauer errichtet, und auch der Hersteller der Fassade von 10 Hills Place ist u. a. auf Bootshüllen spezialisiert. 140 mm breite Nut-und-Feder-Profile wurden so zusammengefügt, dass eine wasserdichte, geschmeidige, »hydrodynamische« Form entstand. Die am Gebäude entlang streichenden Bänder erinnern an die Luftströmung in einem Windkanal und überstrahlen dabei subtil die interessantesten Kraftlinien, nämlich die senkrechten Pfade des Regenwassers, das die »Augen« und »Wangen« des Gebäudes umspült. Um die Unterhaltskosten gering zu halten (die Reinigung von außen würde selbst Fachleute überfordern), sind die Fenster in dickem, gehärtetem selbstreinigenden Glas ausgeführt, dennoch waren sie bei meinem Besuch nicht wirklich sauber. Um jedoch zu vermeiden, dass die bei Regen überlaufenden Augen auf den Aluminium-Wangen Schlieren hinterlassen, verbirgt sich in der unteren geschlitzten Fensterleiste aus verchromtem Edelstahl ein schmaler Ablauf. Dieser Umstand verweist eindringlich auf die eigentliche Botschaft des Gebäudes: fließende Formen, schlichte Sinnlichkeit und ein unerwartetes (vor allem ästhetisch motiviertes) Bedürfnis nach Sauberkeit; denn wo die Fassade seines Nachbargebäudes aufgerissen ist, um durch euklidische Öffnungen Licht einzusaugen, öffnet sich die Außenhaut von 10 Hills Place vor allem dem Wasser; Fenster sind spärlich gesät, wohingegen die Entwässerung in voller Breite durchläuft. In der Tat ist der einzige skulpturale Akzent auf der ganzen Länge der höchst eintönigen Erdgeschossfassade ein flaches, glattes Gesims über dem opaken Mattglas-Sockel – eine feinsinnig platzierte »Unterlippe«, die als letztes Regenrohr für alles Wasser von oben dient.

Wie bei so vielen digitalen Projekten sollte jedes einzelne Paneel der Fassade sorgfältig und in höchster Präzision gefertigt werden. Doch Probleme in der Bauaufnahme (und allen folgenden Revisionen) machten sehr große Toleranzen erforderlich; wie Fontanas Leinwände ist die Fassade nun an allen Kanten gerahmt: Ein breiter Streifen Edelstahl trennt sie von ihrer Umgebung und betont die Losgelöstheit dieses skulpturalen Experiments. Um eine perfekte Passform zu erreichen, mussten die Koordinaten für das Material statt direkt aus einer Computerdatei von einem 1:1-Modell abgenommen werden.

Die Decken des Anbaus bestehen aus einem leichten Stahltragwerk, das auf den vorhandenen Fundamenten steht; die Treppenhäuser wurden schlicht und wirtschaftlich renoviert. Die Fassadenpaneele mussten zwar von unten nach oben montiert werden – jeder Streifen überdeckt die Verschraubung seines Vorgängers –, dies geschah jedoch geschossweise von der Traufe abwärts. Da sich die Ausführungsqualität während der Arbeiten verbesserte, zeigt sich beim Blick von der Dachterrasse aus auf das oberste, als erstes eingesetzte Oberlicht noch kein überzeugendes Ergebnis, während die untersten Paneele von deutlich mehr Kunstfertigkeit zeugen.

Die geneigte Verglasung (verstärkt von wunderschön im Bogen geschnittenen dreilagigen Glasschwertern) und die Fassadenverkleidung sind an einer Reihe verzinkter Stahlrippen befestigt, die schräg aus dem Haupttragwerk herausragen. An den Wölbungen liegen darauf zementgebundene Spanplatten, auf denen wiederum eine rasterförmige Unterkonstruktion aus weicher geformten, gedämmten CNC-gefertigten Holzteilen liegt. Die innere Oberfläche wurde, im extremen Kontrast zu ihrem maschinengefertigten äußeren Gegenpart, aufwendig von Hand hergestellt: Wo immer die Flächen in nur eine Richtung gewölbt sind, wurden Lagen aus biegsamem Sperrholz mit 6 mm Dicke verwendet, die sinnlichen mehrdimensionalen Kurven der engen Ecken mussten von spezialisierten Arbeitern von Hand aus Polystyrol zugeschnitten werden. Der gesamte Aufbau ist sorgfältig verputzt. Während man den Innenausbau als wohl durchdacht, aber nicht besonders überwältigend bezeichnen kann – jedes Geschoss konzentriert sich in aller Ruhe auf jeweils die eine neue Fensteröffnung –, zeugt die äußere Erscheinung von ebenso beeindruckender Entschlossenheit, fällt aber überschwänglicher und ekstatischer aus. Dennoch erweist sich die glitzernde, facettierte Oberfläche als ungewöhnliche, ja eigenartig unstimmige Wahl. Auch wenn sie wohl schwierig umzusetzen war und das Ergebnis intensiver Beschäftigung mit metallischen Spritzbeschichtungen ist, lenkt sie doch von der schlichten Geschmeidigkeit der vier schönen Fassadenformen ab und fesselt dabei das Auge weit weniger als man hoffen und erwarten könnte; man zwinkert – und hätte beinahe die schönen Augen übersehen.

db, Di., 2010.02.09

09. Februar 2010 Alex Haw



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Kaplický Jan

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