Editorial
Die SBB in der Kritik
Mit Projektentwicklungen und Landverkäufen verdienen SBB Immobilien 300 Millionen Franken im Jahr. Eine grosse Geldquelle des SBB-Konzerns. Doch es wird Kritik laut: Viele Projekte sind auf hohe Renditen getrimmt und schenken der Stadtentwicklung wenig Sorgfalt. Ivo Bösch und Rahel Marti befragten die Chefs von SBB Immobilien und sprachen mit Kritikern. Fazit: Die Zukunft der SBB-Areale ist ein wichtiges Thema der Siedlungsentwicklung, weil sie gross, zentral und verfügbar sind. Lesen Sie unsere fünf Forderungen an die SBB und den Bund. «SBB: Areale vergolden oder Städte formen?», unter diesem Titel laden wir am 1. Februar 2010 auch zu einem Diskussionsabend.
Schon im Dezember badete Köbi Gantenbein im neuen «Mineralbad & Spa Samedan». Der Bau der Basler Architekten Miller Maranta verbindet Gestaltungsprinzipien von Engadiner Häusern und orientalischen Bädern: Die Kammerung und die Inszenierung mit Zenitallicht. Doch Stilbrüche verraten, dass Architekt und Bauherr sich gegen Ende aus den Augen verloren haben. Das Sackmesser und die Möbelfabrik Horgenglarus: Zwei Nationalheiligtümer des Designs. Beiden widmen wir eine Geschichte. Meret Ernst erläutert sechs gewagte, aber gelungene Varianten des Sackmessers und Caroline Schubiger liefert eine fundierte Spurensuche zum Ursprung des Horgenglarus-Klassikers «1-380». Vom 12. bis zum 16. Januar trifft sich die Bauwelt zur Swissbau in Basel. Auch für uns Anlass zu einer Premiere: Neu arbeiten wir mit der crb zusammen, der Schweizerischen Zentralstelle für Baurationalisierung. Sie stellt Daten zu Bauweise, Masse, Kosten sowie Energiekennzahlen zusammen von Bauten, die wir in den Fin de Chantiers vorstellen. Auch lädt Hochparterre Sie ein zur «Global Building», der Sonderschau des nachhaltigen Bauens. Der Katalog liegt der abonnierten Auflage bei. Bei der Schau richten wir unser Studio ein, das täglich Talks und Nachrichten auf www.hochparterre-schweiz.ch sendet. Wir wünschen Ihnen anregendes Lesen im neuen Jahr!
Rahel Marti
Inhalt
04 Meinungen
05 Lautsprecher
06 Funde
09 Sitten und Bräuche
15 Massarbeit
Titelgeschichte
16 SBB: Areale vergolden oder Städte formen? 100 Millionen Quadratmeter gehören den Bundesbahnen. Der Bund fordert viel Ertrag, doch wie sieht es mit der Städteplanung aus?
26 Architektur: Kopfloses Bauen. Bern und Thun bauen ohne Stadtbaumeister. Das soll sich ändern.
28 Raumplanung: Das Tor zu Graubünden. In Landquart steht das Alpenrhein Village. Eine Kritik.
30 Design: Die Biografie eines Stuhls. Die Geschichte des «Classic» von Horgenglarus.
34 Design: Update beim Stoffdruck. Die Inkjet-Technologie ist massentauglich geworden.
36 Architektur: Das Bad in der Farbkammer. In Samedan bauten Miller & Maranta ein Badhaus in den Dorfkern.
42 Design: Eingriffe am Nationalheiligtum. Redesign am Sackmesser. Eine heikle Sache.
44 Architektur: Diskret, Aber wirkungsvoll. Der St. Galler Hauptbahnhof gewinnt den Prix Lumière.
48 Leute
50 Siebensachen
52 Bücher
54 Fin de Chantier
60 Raumtraum
Das Bad in der Farbkammer
Miller & Maranta Architekten haben im Dorfkern von Samedan einen Badeweg durch farbige Räume gebaut.
Wer in Samedan über den Hauptplatz spaziert, kann denken: «Da haben die Gläubigen aber tief in die Tasche gegriffen und ihre barocke Kirche zeitgenössisch erweitert. Wie zurückhaltend der Baukörper ist. Wie farbenfroh die Fensterrahmen. Streng und farbig - ein Fest für den protestantischen Liebgott!» Denn nichts deutet darauf hin, dass der Anbau an die Kirche ein Badhaus ist. Wer den Ort früher kannte, sieht jetzt: Dieser Ort will eine neue Bedeutung. Dafür schrieb der Gemeindevorstand vor acht Jahren einen Ideenwettbewerb unter Architekten aus, der aber nichts Tragfähiges zustande brachte. Immerhin öffnete er die Augen und gab der Idee Flügel, ein Bad mitten im Dorf zu bauen. Ihre Erfinder heissen Roger Bernet und Peter Arnold von der Firma Acqua-Spa-Resorts, die auch in Bern, auf dem Hürlimannareal in Zürich oder auf der Rigi Badhäuser realisiert. Nachdem der Boden planerisch und politisch bereitet war, übergab der Gemeindepräsident Thomas Nievergelt der Firma die Führung des Vorhabens, mit dem sanften Hinweis, dass das Bad mit einem Architekturwettbewerb gefunden werden soll. Miller & Maranta Architekten gewannen den Studienauftrag unter fünf Büros. Ihr Projekt bestand politische Prüfungen, einen Auftritt vor Bundesgericht und ist nun als «Mineralbad & Spa Samedan» für die Baderinnen und Bader geöffnet.
Weiterbauen
Das Dorf - den Ort - weiterbauen gehört zum Wortschatz der Architekten Quintus Miller und Paola Maranta. Was heisst das für ein Badhaus, das in Samedan in ein Dorfbild nationaler Bedeutung zu stehen kommt? Es heisst an- und einfügen in das Bild, das die Nachbarhäuser, der neuneckige «Plaz» und die engen Strassenräume schon hergeben. Demütig haben die Architekten die Traufhöhe des Bades nicht nur jener der Kirche, sondern auch jener der benachbarten Wohnhäuser untergeordnet. Leicht zurückversetzt von der Gassenlinie steht das Badhaus an der einen Seite des «Plaz», eine Zurückhaltung, die natürlich auch den Fussgängern nützt. Diese Platzierung betont die vom Platz wegführende Gasse und bindet einen ehrwürdigen Nachbarn in den Platz- und Gassenraum ein. Die Bausünde gegenüber, die im letzten Jahrhundert dem «Plaz» arg zugesetzt hat, verschwindet deshalb nicht. Das Bad tut, wie wenn sie nicht da wäre, und selbstverständlich verbieten sich die Architekten auch alle dekorativen Bauteile, die Schellenursli verwendet, um engadinerisch zu bauen: Sgraffito, Sulertor und balcun tort, wie der Erker malerisch hierzulande heisst. Auch auf das Vordach, wie es in den Bergen Sitte und Brauch ist, haben die Architekten verzichtet. Sie lassen ihr flaches Dach nur drei Finger breit überkragen. Das unterstützt die Zurückhaltung und den Eigensinn des Hauses. Doch Regen, Schnee und Pflotsch kennen kein Pardon vor subtilem Design. Erste Spuren tränen über den Putz.
Und noch eine Eigenart des Ortes bauen die Architekten analog zur Kirche weiter: Wer vor ihr steht, weiss nicht, wie es drinnen weitergeht. Die Fassade ist prächtig, der Campanile hoch, die Kirchenwand aber kurz. Welcher Innenraum erwartet uns? Auch das Badhaus stellt Rätsel. Der Bader ahnt nicht, dass innen für ihn ein Badeweg durch Kammern, Höfe und über Treppen bis aufs Dach eingerichtet ist. Er weiss nicht, dass das Haus fast so tief im Boden steckt wie es in die Luft ragt. Und er rätselt: «Wozu sind wohl die unterschiedlich grossen und farbig eingefassten Fenster?»
Beiläufig ist denn auch der Eingang in die Fassade gesetzt. Der Bader tritt durch eine Schwingtüre in einen geduckten, kleinen Raum, die graue, warme Farbe gibt ihm Höhlengefühl. Er kauft an der Holztheke sein Billett, trinkt am Brunnen Mineralwasser und sitzt auf eine Arvenholzbank. Hei, wird es hier lustig zu und hergehen, wenn die Mutter kein Wechselgeld hat, der Vater das Garderobebändchen nicht anschnallen kann, der verlorene Sohn immer noch nicht aufgetaucht ist und der Männerchorausflug frohgemut ansteht. Dieser Empfangsraum ist auch ein Programmzettel: «Unser Bad ist kein Massenapparat. Hier gibt es keine Rutschbahnen und keine Lautsprecher mit Anweisungen für die Gymnastik.» Grau in Grau steigt der Bader ins Untergeschoss, wo in rotbraun glänzendem Redwoodfurnier Garderoben, ein Frisierlokal und Gästekästchen eingerichtet sind. Auch hier: kein Platzluxus und kein Massenbad. Eine noble Stimmung. Sind die 130 Garderoben-Kästchen vergeben, ist ausverkauft.
Das erste Prinzip: Der Auf- und Abstieg
Aus der Not haben Bauherr und Architekt eine Erfindung gemacht. Ein Bad ist normalerweise in die Fläche gebaut. Hier geht es in die Höhe, weil das Grundstück in der Fläche nur Platz für drei Dutzend Badewannen böte. Der Bader steigt treppauf, treppab. Im Keller die Garderoben, im Parterre das «Alpenbad», im ersten Stock das «Sprudel-», daneben das «Heissbad» und um den Luftraum des «Alpenbades», eine Folge von Dampfbädern unterschiedlicher Hitze, mit und ohne Kräuterduft. Im zweiten Geschoss sind Ruheräume. Für den letzten Badegang ist ein kleines Becken unter freiem Himmel ins Dach eingelassen. Der Bader schwadert auf dem Rücken und betrachtet den neben dem Badhaus aufstrebenden Campanile und einen Rest seiner goldenen Zwiebel, in der Perspektive so gelegt, dass er auf ihn herunterzufallen droht — kein Bergblick ist schauerlicher!
Das zweite Prinzip: Die Kammerung
Schon im «Alpenbad» im Parterre wird die Kammerung vorgeführt. In einem acht Meter hohen Raum sind um ein zentrales, bis an den Rand geflutetes Becken vier weitere gefügt. Im einen kann man liegen, im anderen in der Dünkle schweigen, im dritten über spitze Steine staksen und im vierten im Wasser und im Dampf sitzen. Gross, klein; weit, eng; hoch, tief; offen, zu; viereckig, mehreckig; Raum-Durchgang-Raum werden auf vier Etagen auf einem engen Grundriss zu einem Drama gefügt. Die Garderoben im Keller sind verschachtelte Holzkammern, das «Sprudelbad» ist ein Festsaal mit Lüster an der Decke. Das angrenzende «Heissbad» ist ein hoher, schmaler Schlauch mit einem Knick. Das Dampfbad geht durch vier unterschiedliche Kammern, die Ruheräume sind Zimmer mit und ohne Nischen. Das Innenraumgeschachtel des Engadiner Bauernhaues, seine überraschenden Raumfolgen vom Suler in die Stuben und über enge Treppen in die Kammern kommen dem Bader ebenso in den Sinn wie Bilder der Bäder im schon lange untergegangenen Al-Andalus, wo die Araber den Europäern in Spaniens Süden baden gelehrt haben. Der Badeweg über die Vertikale und die Kammern, gross und klein, sind zwei Trümpfe des Bades.
Das dritte Prinzip: Das Tageslicht
Im warmen Wasser liegend, kann der Bader das Fensterrätsel der Fassade auflösen. In die Kammern strahlt direkt oder indirekt das Sonnenlicht — und für die Nachtbader das im Engadin besonders helle Mondlicht. Für das Zusammenspiel mit dem Licht aus den Wandfenstern kommt Licht durch Luken in der Decke. Leuchten in den Becken sorgen dafür, dass sich die kleinen Wellen an den Wänden spiegeln. Der Kammervielfalt entsprechen unterschiedlich intensive Lichter: Die Sonne tröpfelt über ein kleines Dachfenster durch einen Schacht in den Nebel des Dampfbades. Die Lichtführung stimmt den Bader ruhig und froh, bringt aber seine Sinne nicht in Wallung, wie das die einer Kirche vermag. In der Erinnerung bleiben die durch ein Fensterchen in die Dunkelkammer des «Alpenbades» schimmernde Sonne und der Panoramablick aus dem Ruheraum auf einen Engadiner Palast.
Das vierte Prinzip: Die Farbenkacheln
Die Badkammern sind an Wänden, Decken und Böden mit farbigen Keramikkacheln im Format einer Handspanne verkleidet. Jedes Bad hat seinen Farbverlauf: Gelbtönungen des herbstlichen Lärchenwaldes im «Alpenbad», Tanz der roten Farbtöne im «Sprudelbad» und rotes Feuer in den Dampfbädern. Dunkelgrünblau ist der Ruheraum und im «Heissbad» wird das Abc des hellen Grüngelb buchstabiert, bis dem Bader, halb gekocht in vierziggrädigem Wasser, die Kachelfarben giftig in die Augen stechen. Er muss sich langsam an die ungewöhnliche Keramik-Stimmung heranbaden und ist froh, sind nicht viele Leute mit ihm, kichernd und schwatzend. Abgesetzt ist das Farbenspiel im Eingang und den Treppenhäusern: Sie sind mit Steinzeug-Keramik belegt. Das immer gleiche Grau ist ein Stilbruch, kein Kontrast.
Arven und Lärchen
Einen Kontrast dagegen erlebt der Bader, wenn er ermattet vom Dach ein paar Stufen hinuntertappt und in der «Lärchenkammer » auf den «Plaz» schaut oder in der «Arvenschatulle» Kräutertee trinkt. Er schaut dem Tanz der Äste über die Wände zu, den ein in die Arvenbretter gefräster «laufender Hund» unterstützt, ein Ornament, das einst als Sgrafitto in den Putz der Engadiner Fassaden geritzt wurde. Seiner Nase wird heimelig vom Geruch des einheimischen Waldes. Holz an den Wänden, an der Decke, auf dem Boden und für die Möbel. Viel Holz statt viel Keramik. Roger Bernet, der das Badprojekt entwickelt hat, erklärt: «Diese Räume sind mein Respekt vor dem einheimischen Handwerk. Ich wollte einen Holzraum von Ramon Zangger haben, dessen Werkstatt einen Steinwurf vom Bad entfernt ist. Er ist ein Kunsthandwerker, der sucht, wie einheimische Hölzer zeitgemäss gebraucht werden können. Und ich wollte der Lehrwerkstatt der Schreiner hier in Samedan eine Bühne geben. Und so haben die Lehrlinge für die «Lärchenkammer» 14 Barhocker aus Holz entworfen und gebaut.»
Der Architekt, seufzt kurz und knapp: «Der Bauherr hat das so entschieden. » Die zwei haben sich zeitweilig auseinanderbewegt. Ein Grund waren Unklarheiten der Bauherrenrolle. Entwickler, Investor, Generalunternehmer und Betreiber sind miteinander verknüpft und haben, so der Architekt, ihn bei Entscheiden ab und zu draussen gelassen. Roger Bernet entgegnet, dass der Architekt sich selbst aus dem Prozess genommen habe. Dass die zwei gegen Schluss unstimmig waren, hat Folgen für den Bau. So die immergleich grauen Fliesen in den Treppenhäusern, die nicht recht zum gestalterischen Raffinement des Bades passen wollen. Roger Bernet wählte sie aus: «Wir haben lange nach einem Belag gesucht, der die Badenden vor dem Ausrutschen schützt, sich den farbigen Kacheln unterordnet und die Anforderungen meiner Leute erfüllt, die das Bad putzen.» Drei weitere Entscheide brauchen des Baders kritischen Rat. Im Treppenhaus treten allerhand Dekorationen von alten Truhen über Holzblöcke mit Kerzen bis zu Kunst aus Steinen und Ästen gegen die reine Architektur an. Des Baders Rat: «Wegräumen - sie versperren Platz!» Die Anweisungen an den Bader hat jemand gar sorglos aus dem Computer geholt, in Plastikmäppchen gesteckt und auf Holztafeln oder auf Plexiglasständer geklebt. Des Baders Rat: «Typografie und Grafik gehören zum Bau und verdienen dieselbe Sorgfalt und Handschrift.» Schliesslich ist nicht jedes Möbel im Haus gestalterisch auf der Höhe. Das Möblierungskonzept ist irgendwo verloren gegangen. Die 14 Hockerentwürfe der Lehrlinge sind gut gemeint und gut für eine Semesterausstellung, weniger fürs Ruhen im Bad. Des Baders Rat: «Die Möblierung nachbessern!» Solche Knicke in der Schönheit können einfach geflickt werden. Sie irritieren - sie stören aber die packende Aufführung von Raum, Weg, Farbe, Licht und Wasser und das Badedrama in den Kammern und Höhlen nur in der Pause.
Badetechnik
Das Badhaus reicht 12 Meter tief in den felsigen Boden. Im zweiten Untergeschoss stehen auf engem Raum die Werkstatt des Badetechnikers, seine Steuer- und Überwachungsmaschinen, die Wasseraufbereitungsanlagen, Heizkessel, Pumpen und Filter, die die Bäder, die Dampfsaunen, die Massage- und die Ruheräume versorgen. Die Heizenergie kommt aus der Erde unter
dem Bad und dem Dorfplatz; Maschinen holen die Wärme aus der Abluft zurück. Beim Bohren nach Erdwärme machte Roger Bernet einen Sechser im Lotto: Die Bauarbeiter stiessen auf eine Ader mit schwefel und calciumhaltigem Wasser, genügend gut, dass das Bad das geschützte Siegel «Mineralwasser» tragen darf.
Der Besitzer
Wer in Samedan badet, badet vielleicht in seinem Pensionskassengeld. Denn das Mineralbad & Spa gehört der Credit Suisse Anlagestiftung Real Estate Switzerland. Die Bank hat diese Finanzfirma 2002 lanciert; sie verfügt heute über 4,2 Mrd. Franken und investiert zehn Prozent ihrer Anlagen in «Wasserwelten». Das Hammam Oktogon in Bern, das Solbad in Schönbühl oder das Thermalbad, das Mario Botta auf der Rigi plant, gehören dazu. Die Projekte entwickelt Roger Bernet mit seiner von der Bank unabhängigen Firma Aqua-Spa-Resorts. Als GU ist meist MLG aus Bern mit von der Partie, geführt von Rolf Marti, einem ehemaligen Marazzi-Mann. Aqua-Spa-Resorts mietet die Bäder mit langfristigen Verträgen. Landläufig heisst es, ein Bad sei ein Fass ohne Boden. Werden der Standort, das Einzugsgebiet, die Höhe der Investition, die Betriebskosten und die Eintritte kalkuliert, so gehe die Rechnung auf, so Roger Bernet. Für Samedan rechnet er mit 50 000 Gästen im Jahr. Eine erwachsene Baderin, zum Beispiel, muss 36 Franken Eintritt bezahlen.hochparterre, Mo., 2010.01.18
18. Januar 2010 Köbi Gantenbein
Diskret, aber wirkungsvoll
Die Jury des Prix Lumière setzt die neue Beleuchtung des St. Galler Hauptbahnhofs auf Rang eins. Kunstvoll rückt sie die Halle ins beste Licht.
Bald hundert Jahre steht die Perronhalle des Bahnhofs St. Gallen nun schon an ihrem Platz, doch so brillant wie heute war sie noch nie. Helles Licht strahlt an die Hallendecke, holt die Details der Stahlkonstruktion heraus und erzeugt ein abwechslungsreiches Schattenspiel am hölzernen Unterdach. Insbesondere abends und nachts ist der prächtige Raum in seiner Grossartigkeit erlebbar. Denn ein Bahnhof ist nicht nur eine Verkehrsmaschine, sondern die Visitenkarte der Stadt. Der erste Eindruck zählt! Doch nicht allein die Decke ist ins beste Licht gerückt, auch auf den Perrons ist das Licht brilliant und einladend. Rund 250 Leuchten sind in der Halle und auf den Perrons unter freiem Himmel montiert. Sie alle sind vom gleichen Typ, doch die Charakteristiken der Ausstrahlung unterscheiden sich - je nach Aufgabe und gewünschter Lichtwirkung.
Studie stellt Weichen
Die Perronhalle wurde 1915 als Teil des zwei Jahre zuvor erbauten neuen Bahnhofs fertiggestellt. In den Neunzigerjahren erhielt sie einen neuen Anstrich, der den Kontrast zwischen der Stahlkonstruktion und der Holzschalung betonte. Die alte Hallenbeleuchtung - Bänder aus Fluoreszenzröhren - blieb damals erhalten. Doch die inzwischen vierzigjährige Anlage erreichte gerade mal ein Viertel der heute in Bahnhöfen geforderten Luxzahl. Zudem waren die Unterhaltskosten hoch und die Ersatzteile schwierig zu beschaffen. Die Durchsagen der Lautsprecheranlage waren ausserdem schlecht verständlich. Die SBB erteilten dem Architekten-Kollektiv Winterthur den Auftrag, eine Studie für eine neue Beleuchtung und Beschallung der Perrons des St. Galler Hauptbahnhofs auszuarbeiten. In dieser ersten Phase unterstützten der Innenarchitekt und Lichtplaner Kaspar Diener und der Lichtarchitekt Walter Moggio die Architekten. Das Team erkannte schnell, dass die SBB-Normbeleuchtung diesen Raum nicht in ein richtiges Licht rücken kann; die Aufgabe war anspruchsvoller. Die anfängliche Idee der Architekten, die Halle ausschliesslich indirekt zu beleuchten, musste man frühzeitig ausschliessen. Indirektes Licht konnte zwar die Hallenkonstruktion zur Geltung bringen, doch reichte es nicht, um auch auf den Perrons die geforderten Werte zu erreichen. Eher skeptisch gegenüber einer indirekten Beleuchtung waren auch die SBB, die auf den Perrons grundsätzlich direktes Licht bevorzugen.
Mit Skizzen und lichttechnischen CAD-Raummodellen entwarfen die Planer die Integration der Lichtkörper und die «Klaviatur» der Lichtführung und -wirkung. Aus den Ergebnissen dieser ersten Studie formulierten sie die Ziele der künftigen Beleuchtung: Als raumbildende Komponente und zur Verminderung des Kontrastes verfolgte man die indirekte minimale Ausleuchtung der Hallenstruktur weiter. Für eine gleichermassen angenehme wie brillante Perronausleuchtung sollte hingegen direktes, entblendetes Licht sorgen. Eine vergleichbare hohe Lichtqualität strebte man auch in den ungedeckten Bereichen der Perrons an. Ein einheitliches Standardleuchtenmodell, das mit verschiedenen Leuchtenoptiken ausgerüstet werden kann, sollte einen unterhaltsarmen Betrieb und Lichtquellenwechsel garantieren. Als Lichtquelle sollten Produkte der Energieeffizienzklasse A mit höchstmöglicher Farbwiedergabe eingesetzt werden.
Ein Werk mehrerer Disziplinen
Nach einer Ausschreibung beauftragten die SBB das Ingenieur- und Planungsbüro Ernst Basler Partner mit der Planung der Fachbereiche Licht, Ton und Elektro. Walter Moggio, Leiter der Lichtarchitektur bei Ernst Basler Partner, entwickelte die szenische Lichtführung weiter, das Architekten-Kollektiv begleitete das Projekt auf der architektonischen und gestalterischen Seite. Die neue Beleuchtung sollte nicht zu einem prägenden Element des Raumes werden, sondern sie sollte sich möglichst unauffällig darin einfügen. Die Wahl fiel auf eine robuste Leuchte aus Aluminiumguss mit einer resistenten Oberfläche, deren Farbe an die historische Halle angelehnt ist. Ein Klappmechanismus gewährleistet das einfache Auswechseln der Leuchtmittel.
Für die Befestigung der Leuchten auf einer unterhaltsfreundlichen Höhe entwarfen die Architekten ein Montageschwert. Die lichttechnischen Vorgaben und der Rhythmus der Hallenkonstruktion ergaben den maximalen Leuchtenabstand und die optimale Leuchtenanzahl. Frühzeitig band man die Denkmalpflege von SBB, Kanton und Stadt in den Prozess ein. Man bestimmte, dass siebzig Prozent des Lichtes für die Beleuchtung der Perrons sorgen und dreissig Prozent indirekt als «subjektive Raumerweiterung» an die Deckestrahlen. Mit der präzisen asymmetrischen Lichtführung wirkt sich der indirekte Anteil auf die psychologische Wahrnehmung positiv aus und unterstützt das Kontrastverhältnis.
Sehkomfort ohne Blendung
In der weiteren Planung war die Blendung eines der zentralen Themen. Insbesondere die Lokomotivführer dürfen keinesfalls von den Leuchten geblendet oder abgelenkt werden, wenn sie in den Bahnhof einfahren; die Perronkante mit den wartenden Passagieren muss in sicherem Licht erstrahlen. Die Perronbeleuchtung darf aber auch die Bahnpassagiere nicht blenden — weder jene, die auf dem Perron warten, noch jene, die bereits im Zug sitzen. Diese hohen Ansprüche an den Sehkomfort sind insbesondere mit gerichtetem Licht eine grosse Herausforderung für den Lichtarchitekten. Doch nicht nur die quantitativ messbare psychologische Blendung (gemäss der Norm SN12464-1) wurde mit einberechnet, sondern auch die Blendung, die die Sehfähigkeit beeinträchtigt — die «Nachbilder», wenn man direkt in eine helle Lichtquelle blickt. Speziell für den St. Galler Hauptbahnhof entwickelte Reflektoren und in die Leuchte eingebaute Abblendvorrichtungen garantieren die an der Perronkante geforderte mittlere kontinuierliche Beleuchtungsstärke von 180 Lux, und sie erreichen auch die verlangte hohe Entblendung.
Auf Empfehlung des Lichtarchitekten überprüfte man die Skizzen und Computerentwürfe der Beleuchtung mit einem Muster vor Ort an einem Fragment der eins zu eins aufgebauten Beleuchtung. Die Planer, Verantwortliche der SBB, Denkmalpfleger und weitere Beteiligte konnten so das Konzept «in natura» kontrollieren, wobei die Vertreter der Lokführer das Augenmerk auf die Blendung warfen.
Das Muster bestätigte, was die Simulationen versprachen; nur feine Justierungen waren notwendig. Für gut befunden wurde an der Bemusterung auch das Konzept der differenzierten Lichtfarben: neutralweiss mit bester Farbwiedergabe für das direkte Licht, ein wärmerer Farbton für das indirekte Licht, das die Decke anstrahlt. Dieses ist gegen das Glasoblicht präzise abgeschirmt, damit kein Licht direkt in den Himmel strahlt.
Die Umsetzung in Etappen
Was sich im Test am Hallenfragment bewährt hatte, musste nun noch auf die gesamte Halle und auf die Perronteile ausserhalb umgesetzt werden. Denn so regelmässig wie die Perronanlage und die Stahlkonstruktion auf den ersten Blick sind, so zahlreich sind bei genauerer Betrachtung die Ausnahmen: Das Konstruktionsraster macht Sprünge, die Perronbreiten sind unterschiedlich, und die Wartehallen - die asymmetrisch auf den Perrons stehen - dürfen Lichtniveau und Lichtkontinuität nicht beeinträchtigen.
Auf den Seitenperrons konnten die Montageschwerter an der Hallenkonstruktion befestigt werden, über dem Mittelperron sind sie an einem Kabelkanal montiert, der an einer Seilkonstruktion in die Halle gespannt ist. Für die Befestigung der ganzen Beleuchtung am historischen Bauwerk entwickelten die Architekten eine Klemmkonstruktion, die den Stahl nicht verletzt oder in seiner Tragfähigkeit einschränkt. Zudem musste gewährleistet sein, dass ein durchfahrender Zug nicht die Beleuchtung und damit die ganze Halle in gefährliche Schwingungen versetzt. Der Bahnbetrieb war zu jeder Zeit gewährleistet und sicher, die Beleuchtung während der Betriebszeiten stets garantiert. Die seitlichen Montageschwerter konnte man tagsüber befestigen, beim Hauptträger in der Hallenmitte ging man wie beim Gleisbau vor: In drei Etappen während drei Nächten demontierte man jeweils die alte Beleuchtung und Beschallung, montierte einen Abschnitt der neuen Anlage und nahm sie gleich in Betrieb. Als die ganze Halle erstmals in der neuen Beleuchtung erstrahlte, war die Freude bei den Beteiligten gross: Die Realität entspricht der Idee. Die Mühe und den planerischen Aufwand, der dafür nötig war, sieht man der Beleuchtung nicht an. Genau darum ist sie so gelungen.hochparterre, Mo., 2010.01.18
18. Januar 2010 Werner Huber
Dudlers Holzhaus
Nach der Legende stand das Chalet auf der Landi. Man stellte es danach ins Prättigau, werkelte daran und verkaufte es wieder. Eine Familie verbrachte hier lange die Ferien, bis sie 2003 Max Dudler beauftragte, eine grössere Küche zu planen. Lange suchte er nach dem Passenden. Nun steht neben dem Chalet ein Holzhaus, das erste Dudlers, nur mit einem gläsernen Gang verbunden. Die drei 33 Quadratmeter grossen Geschosse des Elementbaus sind einzig mit einem Lift verbunden, doch sie sind alle von aussen betretbar. Die Treppe ins Obergeschoss ist zwar unter Dach und hinter Fassade, aber nicht hinter Glas. Sie zählt nicht zur Ausnutzung. Mit diesem Trick kann ein Gast das Obergeschoss separat benutzen. Der Architekt entschied sich für das Bild des Strickbaus, für dessen «Abstraktion», sagt Projektleiterin Nicole Gamisch. Die schwarz geölte Fassade ist präzis entworfen und gebaut. Unerwartet dagegen sind die weissen Zimmer mit den hohen Fenstern. Ein seltsames Raumgefühl ergreift den Besucher.hochparterre, Mo., 2010.01.18
18. Januar 2010 Ivo Bösch