Editorial
Der Codename des Wettbewerbsprojekts hat sich offenbar so sehr eingeprägt, dass er auch auf der offiziellen Einladung zur Eröffnung der Erweiterung des Historischen Museums Bern (BHM) prangte: «Kubus Titan». «Kubus» war der interne Arbeitstitel des Museums für den Erweiterungsbau – schon vor dem Wettbewerb, weil etliche Studien davor «mehr oder weniger grosse Blackboxes» (:mlzd) vorgeschlagen hatten. Der eigentliche Wettbewerbsname war «Titan» und entspross einer Suche «um 2 Uhr morgens [...] im Büro :mlzd». Die Architekten überlassen es uns zu interpretieren, «wie sinnbildlich und passend» dieser ist. Doch einen Hinweis geben sie: «Die Mythologie hat hier sicherlich eine Erklärung, die auf das Projekt, aber auch auf die Situation damals im Büro :mlzd eingeht.»
Die Titanen, die im Kampf gegen die Götter des Olymps unterlagen, waren die ersten grossen Verlierer der griechischen Mythologie.
Bezogen auf das Historische Museum schwingt in der Namensgebung im Nachhinein auch so etwas wie eine Hommage an die Ingenieure mit: Denn sie sind in gewisser Weise die Verlierer. Sie stemmen, wie Atlas den Himmel, mit einem Tragwerk den Bau, den die Architekten unter dem Einfluss der Musen ersonnen haben. Während die Architekten Abstriche künstlerischer Natur machen mussten, wurden den Ingenieuren die goldenen Äpfel verweigert[01] – der mittlere erarbeitete Stundenansatz betrug gerade einmal Franken 62.40 zuzüglich MwSt. –, nicht aber das Gewicht der Verantwortung gemäss SIA-Norm.
Dabei haben beide – Ingenieure und Architekten – mit der Erweiterung des Historischen Museums Bern die Ehre einer Stadt gerettet, die sich mit dem Aus für die Planung des Kunstmuseum-Anbaus nicht eben ein Ruhmesblatt erworben hat...
Rahel Hartmann Schweizer, Clementine van Rooden
Anmerkung:
[01] In der Geschichte von Herakles und den Äpfeln der Unsterblichkeit sollte Herakles diese für den König Eurystheus im Garten der Hesperiden pflücken. Er bat jedoch den Titan Atlas, für ihn die Äpfel zu holen – dafür wolle er ihm in der Zwischenzeit die Last des Himmels abnehmen. Atlas holte die Äpfel und hätte – des Gewichts entledigt – Herakles’ Auftrag nun gern selber zu Ende geführt. Doch Herakles gelang es, Atlas zu bewegen, den Himmel wieder zu schultern.
Inhalt
05 WETTBEWERBE
Erweiterung Haus Felsenau, Bern
11 MAGAZIN
Sondertram rollt für Ingenieurberufe | Gegen die Beliebigkeit | Solarturmkraftwerk | Renaturierung im Grossen Moos
18 TURM UND TABLEAU, PLATZ UND PANORAMA
Rahel Hartmann Schweizer
Eine unterirdisch eingegrabene Blackbox und ein «Monolith»: Die Erweiterung des Historischen Museums in Bern durch die Bieler Architekten :mlzd spannt sich auf zwischen dem Verborgenen und dem spektakulär in Erscheinung Tretenden, zwischen Sockel und Turm, zwischen Tableau und Panorama.
25 KRÄFTEFLUSS DURCH NADELÖHRE
Clementine van Rooden
In der Tragkonstruktion von Tschopp & Kohler Ingenieure erfolgt der Kräftefluss über Umwege, da für die Architekten ein direkter Kräftefluss keine Priorität hatte. Der Planungsprozess mit Neuentwicklungen bei der Betonfassade war darum aufwendig. Die Realisierung endete für die Bauingenieure mit einem Verlustgeschäft.
34 SIA
Teambildung bei Wettbewerben | Mehr Technik in die Bildung | NPK: Vernehmlassungen | Eröffnung «Trottoir» | Swissbau 2010
39 PRODUKTE
45 IMPRESSUM
46 VERANSTALTUNGEN
Turm und Tableau, Platz und Panorama
Eine unterirdisch eingegrabene Blackbox und ein «Monolith»: Die Erweiterung des Historischen Museums in Bern, «Kubus Titan», der Bieler Architekten :mlzd spannt sich auf zwischen dem Verborgenen und dem spektakulär in Erscheinung Tretenden, zwischen Sockel und Turm. Das Historische Museum Bern (BHM) markiert den Auftakt des Museumsquartiers im Berner Kirchenfeld. Die Museumsmeile umfasst neben dem BHM die Kunsthalle, gleich neben dem Brückenkopf der Kirchenfeldbrücke, gegenüber das Schweizerische Alpine Museum, das Schützenmuseum, das Naturhistorische Museum der Burgergemeinde Bern, die Albert Heim Stiftung und das Museum für Kommunikation (1990 –1997 als PTT-Museum). Abgeschlossen wird die Meile durch den «Rücken» der Schweizerischen Nationalbibliothek. Die städtebauliche Entwicklung des Quartiers nahm mit dem Bau der gleichnamigen Brücke 1883 ihren Anfang. Der Einfluss der barocken Stadtbaukunst lässt sich noch heute ablesen, obwohl vom 1881 verabschiedeten Idealplan abgewichen wurde (vgl. Kasten «Museums schloss» S. 20). Nicht zuletzt der Bau des Historischen Museums – ursprünglich als Landesmuseum geplant – verursachte das teilweise Abrücken von der Planung, weil es das Orthogonal muster von Bernastrasse, Helvetiastrasse, Museumsstrasse und Hallwylstrasse erzwang.
Das Historische Museum Bern ist nicht nur das Einfallstor ins Kirchenfeldquartier, sondern gewissermassen auch der Brückenkopf der Kirchenfeldbrücke, liegt es doch nicht nur exakt auf deren Achse, sondern auch durch eine künstliche Aufschüttung um 4.5 m gegenüber dem Terrain erhöht. (Trotzdem verstellt das 1992 aufgestellte Welttelegraphendenkmal den Blick auf den schlossartigen Gebäudekomplex.)
Obwohl von André Lambert asymmetrisch projektiert, wirkt die Anlage ausbalanciert: Die Betonung der Mittelpartie des Hauptbaus und die gegengleich abgewinkelten Flügelbauten – der westliche verläuft Richtung Süden, der östliche stösst nach Norden vor – erzeugen diesen Eindruck eines Gleichgewichts, akzentuiert noch durch einander jeweils als Pendant entsprechende Turm- und Erkerbauten. Diese beleben den Bau, lassen ihn allerdings auch etwas zerklüftet wirken.
Abgesehen vom Platzmangel, an dem das Museum schon seit der Entstehungszeit litt, gab es ein weiteres Manko, das über die Jahrzehnte nie behoben wurde: das Brachliegen der Rückseite der Anlage. Diese hätte aus einem «Städtchen» mit einem Dutzend verschiedener schweizerischer Haustypen bestanden – einem kleinen «Ballenberg avant la lettre».[1] Da Lambert eine gegenüber der ursprünglichen Planung abgespeckte Variante realisieren musste – im Juni 1890 hatte das Bundesparlament entschieden, das Landesmuseum in Zürich statt in Bern zu domizilieren –, fiel die rückwärtige Bebauung dahin.
Mit dem sogenannten Moser-Anbau für die Sammlung von Henri Moser-Charlottenfels, den René von Wurstemberger 1918–1922 errichtete, bekam die Anlage nun nach Süden hin zwar ein Gegengewicht. Die spärliche Befensterung verschloss ihn aber fast hermetisch nach aussen.
Blackbox und Landmark
Die Architekten der jetzigen Erweiterung sollten daher nicht nur die Platznöte beheben, sondern auch eine städtebauliche Lösung bringen, die der Marginalisierung des rückwärtigen Parks entgegenwirkt. Das Raumprogramm umfasste einen Saal für Wechselausstellungen, ausgedehnte Depoträumlichkeiten, Arbeits- und Archivräume sowie Platz für das Stadtarchiv, das am Standort im Erlacherhof seinerseits an Kapazitätsgrenzen stiess. Inhaltlich lauteten die Vorgaben: Der neue Wechselausstellungsaal sollte als Blackbox ausgebildet sein; natürliche Belichtung war ebenso unerwünscht wie eine Architektur, die das Ausstellungsgut hätte konkurrieren können. Das Gebäude aber, das dereinst das Stadtarchiv, das vom Erlacherhof hierher disloziert würde, und die Büros der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beherbergen sollte, durfte eine Landmark sein. Der Haken dabei: Die geforderten Büroflächen und die Dimensionen des Wechselausstellungssaals (1200 m²) und der Depots (3200 m²) hätten den Massstab des «Museumsquartiers» gesprengt.
Neuinterpretation alter Typologien
Das Bieler Architekturbüro :mlzd fand die Lösung, indem es den Wechselausstellungssaal und die Depots in den Untergrund «verbannte» und das Bürogebäude als Turm ans Ende des Grundstücks setzte. Indem die Architekten den Wechselausstellungssaal unterirdisch anlegten, waren sie das Problem mit dem Tageslicht los und spielten sich ausserdem den rückwärtigen bzw. ostseitigen Raum frei. So gewannen sie ein Plateau, das den Raum zwischen dem Alt- und dem Neubau aufspannt. Und dieser Neubau fungiert als ein weiteres burgartiges Volumen, das sie dem aus Flügeln und Türmen komponierten Ensemble beigesellen. Sie bauen in gewisser Weise weiter mit Sockel und Turm. Nur interpretieren sie die Typologien neu, indem sie sie voneinander trennen – und aus ihnen je eine neue Qualität gewinnen.
Vielschichtiger Dialog
Der Turm, der die Südostecke der Anlage definiert, beherbergt Büroräume für das Museum sowie Büros und eine Bibliothek mit Lesesaal für das Stadtarchiv. Von Süden her wirkt der auf drei Seiten geschlossene Bau monolithisch, wie ein Fels – zumal das Dach nicht nur dieselbe Materialisierung wie die Fassaden aufweist, sondern auch als Volumen in Erscheinung tritt.
Der Bau tritt auf mehreren Ebenen in Dialog mit dem Bestehenden. Das beginnt bei der Farbe. Die Architekten haben die Farbigkeit der Fassade mit einem dem Beton beigemischten gelbgrünen Farbzusatz optisch aufgeweicht und auf die Sandsteinfassaden des Altbaus abgestimmt. Dass die drei Seiten nicht nur in sechs Fassadenflächen aufgelöst sind, sondern deren drei um jeweils einige Grad geneigt sind – 96.66°, 82.69° und 80.11° –, verhindert, dass der Bau als Klotz wirkt. Die Architekten anverwandeln ihm damit auch das Vor- und Zurückspringen der Fassadenabwicklung des Altbaus mit seinen Flügeln, Türmen und Erkern (Abb. 6).
Sportlicher ausgedrückt, erinnern die Fassaden an eine Assemblage von Kletterwänden. Dazu trägt durchaus auch bei, dass sie mit Prägungen in der Form überdimensionierter Pixel übersät sind – nur, dass diese eben nicht erhaben, sondern eingetieft sind. Auch sie stehen im Dienst der optischen «Aufweichung» der Fassade. Adaptiert haben die Architekten die Pixel vom teilweise bossierten Mauerwerk des Altbaus – in einer Art Transformationsprozess. Sie haben die Steine fotografiert und die Aufnahmen bis zur Pixelauflösung vergrössert. Das gab ihnen die Matrize, aus der sie dann die zu 14 verschiedenen Formen gruppierten Pixel extrahiert haben. Nun wirken sie mit Eintiefungen von zwischen 4 und 12 cm wie ein eingemeisseltes Basrelief. Tatsächlich aber wurden sie beim Betonieren durch auf die Schalung genagelte Kunststoffformen ausgespart – ebenso wie die weiteren sechs Formen für die auf der Rückseite zur Belichtung des Treppenaufgangs eingeschnittenen Fenster.
Bühne und Balkon - Plateau und Tableau
Das Bürogebäude ist auf drei Seiten geschlossen. Der separate Zugang zum Stadtarchiv auf der Südseite tritt nur als Schlund in Erscheinung. Die vierte aber, die Nordseite, ist vollflächig verglast, sodass der Bau wirkt, wie wenn man durch ein edelsteinhaltiges Gestein gefrässt hätte (Abb. 5). Auf den ursprünglich geplanten Siebdruck mit einer Art Strichcode-Muster mussten die Architekten verzichten, weil der Betreiber befürchtete, dass es bei der Arbeit irritieren könnte. Der Strichcode hätte den Eindruck einer aufgeschnittenen Fassade stärken und wie ein zarter Vorhang das Glas ebenfalls optisch etwas weicher machen sollen. Um dies doch zu erreichen, wählten die Architekten stärker verspiegelte Gläser. Diese reflektieren den Altbau – eine weitere Variation des Dialogs mit diesem.
Ausserdem fungiert die Fassade so als attraktive Kulisse, als Tableau für die Stadtbühne, die sich vor ihr ausbreitet. Diese Bühne ist das Dach des mit 21 × 43 × 6 m als Sockel figurierenden Wechselausstellungssaals. Es ist mit demselben eingefärben Beton bedeckt, aus dem die Fassaden des Turms bestehen. Mithin ist dieses Dach also sowohl funktional als auch formal eine fünfte Fassade. Von hier aus schweift der Blick hinüber zur Altstadt. Das Kirchenfeld wird optisch mit dem Münster verbunden. Und das Plateau wird als Balkon des Kirchenfelds gleichsam zum Pendant en miniatur zur Münsterplattform.
Zur Strasse hin tritt der Sockel als Mauer in Erscheinung, welche die bestehende Einfriedung des Museumskomplexes weiterführt. Um den Übergang nicht abrupt zu gestalten, haben :mlzd das Plateau «abgeklappt». Innerhalb des Komplexes bildet das Plateau ein Scharnier sowohl zwischen Alt- und Neubau als auch zwischen dem Museumspark und dem rückwärtigen Grünraum. Die grandiose «Tempeltreppe» führt nämlich von der Rückseite auf den Platz. Die eingelassene Pferdetreppe verweist schon heute auf weitere Mittelalter- Spektakel wie das von 2008.
Da der Platz im Norden direkt an die Altbauten andockt, verdeckt er deren Sockelzone. Die Bauten verlieren ihre trutzige Distanziertheit. Man kommt den Baukörpern näher, wird ihrer Stofflichkeit, welche die Architekten ja auch im Neubau heraufbeschwören wollten, stärker gewahr. Nicht «angedockt» haben sie hingegen am Moser-Anbau. Hier haben sie eine Schneise gelassen und den Einschnitt für die Fluchtwege genutzt. Und sie haben ein zusätzliches dialogisches Element eingefügt: Eine Stelenfassade aus vertikalen Rundstäben aus Stahl, die gleichzeitig das Geländer der Tempeltreppe bildet, reagiert auf die Schmiedeisenarbeiten am Altbau (äusseres Titelbild).
Das Innere ist sowohl im Turm als auch im Sockel zurückhaltend materialisiert: Die Wände sind sandfarben verputzt, um sie der Materialisierung der Aussenwände anzunähern. Der Kern, der Lift und Steigzone sowie Nebenräume birgt, ist mit einer Vliestapete bedeckt, der mit einem Glanzanstrich eine «ölige» Anmutung verliehen wurde. Sie ersetzt das ursprünglich vorgesehene Kunst-am-Bau-Projekt – eine den Kern fassende Tapetenwand –, von der die Architekten bei der Ausführung absahen, um den Bau nicht mit «Schmuckmotiven zu überfrachten». Während der Hartbetonüberzug der Böden im Turm lediglich imprägniert wurde, wird er im Wechselausstellungssaal, der ansonsten dunkelgrau gestrichen ist, je nach Ausstellung mit einem Farbauftrag versehen.
Neben Sockel und Turm haben die Architekten auch das Thema der Treppe akzentuiert. Die Stufen in den Wechselausstellungssaal erscheinen als Pendant zur Tempeltreppe – hier statt diagonal von den Stiegen der Pferdetreppe durch ein Zwischenpodest unterbrochen. Die Erschliessung des Turms erfolgt über eine Kaskadentreppe, deren Stufen dramatisch in die Tiefe stürzen und nach oben optisch einen Sog erzeugen. Das Licht, das durch die Pixelfenster fällt, «zerfliesst» an der Innenwand, es aquarelliert die scharf ausgestanzte Kontur des digitalen Motivs.
Anmerkungen:
[01] Anne-Marie Biland: Bernisches Historisches Museum. Architekturführer, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte Bern, 1994, S. 10TEC21, Fr., 2009.10.02
02. Oktober 2009 Rahel Hartmann Schweizer
verknüpfte Bauwerke
Erweiterung Historisches Museum
Kräftefluss durch Nadelöhre
Ein direkter Kräftefluss in der Tragkonstruktion von «Kubus Titan» hatte für :mlzd-Architekten keine Priorität. Tschopp & Kohler Ingenieure fanden im Entwurf dennoch einen Weg, die Kräft e abzutragen und ein sinnvolles Tragwerk zu entwickeln, das das architektonische Konzept kaum beeinflusste. Dafür war ein aufwendiger und intensiver Planungsprozess mit Neuentwicklungsleistungen im Bereich der Betonfassade notwendig. Ein zu kostspieliger Beitrag, stellt sich nun heraus, denn die Realisierung endete für die Bauingenieure in einem Verlustgeschäft.
Das Historische Museum Bern erweiterte ihre Liegenschaft im südöstlichen Teil an der Helvetiastrasse mit einem Bau, der kompakt und schlicht erscheint. Dessen Tragkonstruktion ist jedoch komplex und anspruchsvoll: Das markante Turmgebäude, die Aussenstufen mit der Pferdetreppe und der Anschluss an die bestehende Gebäudesubstanz stellen bemerkenswerte ingenieurtechnische Herausforderungen dar.
Alt schmiegt sich an neu
Der gesamte Erweiterungsbau schmiegt sich unterirdisch an das alte Museumsgebäude. Die dafür notwendige, 6.40 m tiefe Baugrube schloss deshalb unmittelbar an die bestehende Substanz an. Sie wurde nach ausführlichen geologischen Untersuchungen auf drei Seiten mit einer rückverankerten Rühlwand erstellt, wobei sie teilweise durch eine rückverankerte überschnittene Pfahlwand unterbrochen wurde (Abb. 6). Die durch diverse «wilde» Umbauaktionen beeinträchtigte Altbaufundation entlang der bestehenden Fassade konnte so in jedem Bereich sicherheitsspezifisch und kostenmässig optimal gesichert werden. Die vierte, südliche Seite der Baugrube wurde als Nagelwand ausgebildet.
Gemäss geologischem Gutachten musste im nicht setzungsempfindlichen Baugrund mit einem Grundwasserspiegel gerechnet werden, der bis 2.5 oder gar 5 m über der Bodenplatte liegt. Solange der Wasserstand nicht abschliessend mit seiner Kote geklärt werden konnte, berücksichtigten die Bauingenieure Lastfälle mit Auftriebskräften und sahen konstruktive Massnahmen für Bodenplatte und Betonaussenwände vor (Abdichtungen, entsprechende Dimensionierung, thermische Isolation usw.). Tatsächlich traf man kein Wasser in der Baugrube an – die vorgesehenen konstruktiven Massnahmen entfielen. Einzig zwei unabhängige Leitungssysteme wurden verlegt, die einen Wasserstau verhindern würden; anfallendes Wasser würde in die nördlich liegende Sickeranlage abgeleitet. Deren Lage konnte aus einer Isohypsen-Analyse und mit Sondierschlitzen festgelegt werden. In der südwestlichen Ecke des Neubaus befindet sich der Zugang vom Altbau in den Erweiterungsbau. Über diesen erreichen die Benutzer die Räumlichkeiten in den unteren Geschossen: Haustechnik und Kulturgüterschutzräume im 1. und 2. Untergeschoss sowie die zweigeschossige Wechselausstellungshalle. Da das neue Gebäude nach den Vorstellungen der Architekten an und unter das bestehende Gebäude gebaut werden sollte, musste für den Anschluss während der Ausführung eine spezielle und aufwendige Abfangkonstruktion erstellt werden (Abb. 2). In Absprache mit den beteiligten Unternehmungen wurde eine Variante ausgeführt, die den etappenweisen notwendigen Teilabbruch, den Einbau von Presspfählen unter dem Altbau (Altbau als Gegenlast), den definitiven Einbau eines Betonriegels und den temporären Einsatz eines Stahlbocks (Anpressen der Abfangkonstruktion mit Flachpressen) vorsah. Die neuen Rohbauteile konnten dann in kleinen Etappen ausgeführt werden.
Unterirdisch geschlossen - oberirdisch offen
Über den konstruktiv anspruchsvollen Zugang von Alt- zu Neubau (Galerie) erreichen die Besucherinnen und Besucher die fensterlose Wechselausstellungshalle. Sie ist ein stützenloser, frei installierbarer Raum, der mit einer vorgespannten Rippendecke überdeckt ist (Abb. 3 und 4), und sie bildet gleichzeitig den Boden der darüberliegenden Terrasse, der den Museumsbesuchern offen steht. Nachträglich wurde die gesamte Betonhaut der Rippendecke zurückhaltend schwarz gestrichen.
Die Terrasse ist über eine Treppe von Süden her erreichbar. Diese «Tempeltreppe» mit integrierter Pferdetreppe ist eine zweischalige Deckenkonstruktion mit Betonnocken als Distanzhalter. Sie schliesst als schräge Platte den unterirdischen Eingangsbereich ab (Abb. 5 und 11). Der Zwischenraum der Konstruktion ist mit Misaporbeton wärmedämmend gefüllt. Die Sichtbetontreppe musste unmittelbar nach dem Betonieren geschützt werden. Dies erfolgte mit OSB-Restplatten der Turmfassaden-Schalung.
Schatten für die Wissenschaft
Der markante oberirdische Teil des Neubaus umfasst den Büroturm für die wissenschaftlich tätigen Angestellten. Eine massive Betonfassade schliesst ihn auf drei Seiten annähernd komplett ab. Nur die vierte Seite – die Nordseite – ist als reine Glasfassade ausgebildet. Mit diesem Konzept konnten die Architekten der Anforderung, möglichst schattenreiche Büroräume zu erstellen, gerecht werden (Abb. 7).
Die Lastabtragung erfolgt auf der Nordseite über geschosshohe Ortsbetonstützen (Breite × Tiefe: 20 × 30 cm). Bei den drei anderen Seiten wandern die Lasten über die tragende, 35 cm starke Fassadenhaut aus Beton in den Baugrund. Die einschalige Konstruktion ist innen gedämmt, was den Anschluss der Betondecken erheblich erschwert. Die Bauingenieure haben ihn mit betonierten Nocken gelöst, die bis zu 150 t Last übertragen (Abb. 9). Damit diese Nadelöhre trotzdem möglichst klein blieben und bauphysikalische Ansprüche eingehalten werden konnten, mussten die Auflagernischen dicht ausarmiert und mit speziellen Lagern ausgestattet werden.
Die indirekte Lastabtragung von den Wänden über die Decken via Nocken auf die Fassade und schliesslich in den Baugrund führt zu einem unübersichtlichen Kräftefluss. So täuschen massive Stützen im Geschoss 0 (ab OK Hofplatte) beispielsweise eine tragende Funktion nur vor. Sie tragen praktisch keine Last, weil die Decken zusammen mit den Wandscheiben in den Obergeschossen steifer sind als die Decke, auf der die massiven Ortsbetonstützen stehen (Abb. 10). Entsprechend sind die Stützenfüsse mit Dornen nicht kraftschlüssig und vertikal verschieblich angeschlossen.
Mit bestehenden Bausteinen Neues schaffen
Die drei massiven Fassadenseiten erscheinen kompakt und einfach. Deren Tragkonstruktion mit den bereits angesprochenen Nocken ist jedoch aufwendig: Die Betonwände stehen nicht lotrecht, sondern ragen angewinkelt aus dem Baugrund und sind mit einer präzisen Gehrungslinie miteinander verbunden. Ausserdem ist die über mehrere Geschosse statisch freistehende Fassade vollflächig in Sichtbeton erstellt (Betonsorte: C30/37, XF4, Kieskörnung bis 16 mm). Dabei wurde dem Beton ein Farbzusatz (0.6 % gelbgrüner Farbzusatz 920 der Sika) beigemischt, der der Sichtbetonoberfläche zusammen mit der Schalung aus OSBPlatten eine gewisse «Weichheit» geben sollte.
Die Bauingenieure waren mit dieser aussergewöhnlichen Problemstellung mit Unbekanntem konfrontiert – sie mussten den Fertigungsprozess der Sichtbetonfassade neu entwickeln. Um ein wirtschaftliches Resultat zu erhalten, wählten sie bestehende Bausteine. Zu berücksichtigen galt es auch die hohen architektonischen Anforderungen bezüglich Oberflächenbeschaffenheit, Farbkonstanz, gleich bleibender Verarbeitung, Präzision der geneigten Flächen und schiefen Gehrungslinien sowie Anordnung, Tiefe und Unregelmässigkeit der 4 bis 12 cm dicken Einlagen (Pixels) (Abb. 12 und 13).
Ausschreibung trennt Spreu vom Weizen
Um ein diesen Ansprüchen gerechtes Erscheinungsbild der Fassade zu erhalten, schrieben die Planer die entsprechenden Baumeisterarbeiten in spezieller Weise aus: Die Vergabe wurde an die Bedingung geknüpft, dass die Bewerber an einer Besichtigung inklusive Besprechung teilnehmen und auf der Baustelle ein Modell im 1:1-Masstab erstellen, das die Planer in allen Belangen (Architektur, Ausführung, Qualität usw.) zufriedenstellt – die Baumeister hatten sich erst zu beweisen, bevor sie tatsächlich den Auftrag erhielten.
Die Bauingenieure teilten die Submission der Betonarbeiten ausserdem in zwei Lose auf, um, gemäss ihrer Aussage, die Spreu vom Weizen zu trennen: Los 1 wurden alle Sichtbetonarbeiten zugeordnet, in Los 2 wurde der Massenbeton ausgeschrieben. Diese Trennung ermöglichte den Planern eine allfällige Vergabeaufteilung zwischen Spezialarbeiten und «Massenproduktion» an verschiedene Unternehmen, was Kosten hätte einsparen können. Schliesslich führte aber eine einzige ARGE die Baumeisterarbeiten aus.
Das Risiko, dass bei einer solch komplexen Ausschreibung nur wenige Unternehmen offerieren und die eingegangenen Offerten sehr teuer ausfallen, ist gross. Auch in diesem Fall erhielten die Projektierenden für das Los «Sichtbeton» nur wenige Offerten. Im Laufe der Projektierung konnten Unternehmer und Planer jedoch ein wirtschaftliches Konzept entwickeln, mit dem alle anfallenden Kosten finanziell tragbar wurden – ohne Unternehmervarianten und Redimensionierungen. Eine Lösung innerhalb des Kostenvoranschlags wurde gefunden. Nach der Ausführung der Arbeiten bleibt aber für die Ingenieure die Frage, ob mit einem weniger strengen Leistungsverzeichnis und mehr Offerten eine günstigere Lösung hätte gefunden werden können. Allerdings hätten dann für einen so komplexen Bau Kostenrückstellungen bzw. eine Abgeltungsreserve bereitgestellt werden müssen – eine für die Bauherrschaft wohl weniger praktikable Vorgehensweise (Kostenwahrheit).
Neuentwicklung als Verlustgeschäft
Das gesamte Bauwerk war (nicht nur) aus ingenieurtechnischer Sicht eine äusserst aufwendige planerische Leistung. Im Speziellen hatten die Bauingenieure den Fertigungsprozess der Sichtbetonfassade neu zu entwickeln. Machbarkeitsdiskussionen mussten mit den Architekten geführt und Ausführungsdetails bestimmt und besprochen werden. Dies ist an sich nicht aussergewöhnlich, die gewählten Bausteine sind alle auf dem Markt erhältlich. Das Zusammensetzen aller Einzelelemente zum Erhalt eines möglichen, sicheren und darüber hinaus wirtschaftlichen Fertigungsprozesses bedarf aber eines breiten Fachwissens aller Beteiligten. Ein aufwendiger Prozess, der selbstverständlich auch entsprechend als planerische Leistung abgegolten werden muss.
Tschopp & Kohler Ingenieure meinen jedoch, gerade aus Kostengründen künftig auf solche «Abenteuer» verzichten zu müssen. Für sie war dieses Projekt aus wirtschaftlicher Sicht keinesfalls rentabel. So betrug der mittlere erarbeitete Stundenansatz nur Fr. 62.40 zuzüglich MwSt. – wobei die gesamte Verantwortung gemäss SIA-Norm zu tragen war. Die Bauingenieure sagen selber deutlich, dass sie die Ursache dafür zuerst bei sich selber suchen müssen. Es sei schwierig, vor Vertragsabschluss eine genaue Kostenschätzung anzugeben, da der Weg zum Ziel unbekannt sei. Ausserdem seien sie zu bereitwillig gewesen bei der Bestimmung der Schwierigkeitsgrade.
Um ein solches Projekt nicht nur für die Ausführung wirtschaftlich, sondern auch für die Planer rentabel zu erstellen, müsste die Leistung im eigentlichen Projekt vollumfänglich abgegolten werden, oder zumindest müssten das Resultat, die Erfahrungen und Synergien des beteiligten Teams in einem künftigen Projekt hoffentlich wieder genutzt werden können. Nur so könnten die Prozesse und das erworbene Know-how in Schalungs- und Betontechnik weiterentwickelt und damit schliesslich auch die Rentabilität gesteigert werden.TEC21, Fr., 2009.10.02
02. Oktober 2009 Clementine Hegner-van Rooden
verknüpfte Bauwerke
Erweiterung Historisches Museum