Editorial

Pavillon kommt von Schmetterling – «papilio», das im übertragenen Sinne schon zu Römerzeit auch Zelt bedeutete. Im 18. Jahrhundert mutiert der Pavillon im französischen und deutschen Sprachgebrauch zum kleinen Gartenhaus oder Festzelt. Wie auch immer ist ein Pavillon auch heute noch leicht, klein und hübsch – im urbanen Umfeld der Metropolen auch mal weniger klein. Die Leichtigkeit macht den Pavillon auch mobil und damit als Typologie für den Stahlbau prädestiniert. Als Sommerthema hat es der Pavillon in dieser Ausgabe von Steeldoc mit Leichtigkeit auf die Titelseite geschafft.

Der mobile Kunstpavillon für die Modemarke Chanel von Zaha Hadid macht den Auftakt. Wie eine wabbelige Qualle legt sich dieser expressive Raumkörper zeitweise in die Herzen der Modemetropolen dieser Welt. «Biomorphe Utopie» nennt sich diese Form der dekonstruktiven Weichheit in der Sprache der Architekturkritiker. Eine Herausforderung ist diese Form allemal für die Konstruktion und Logistik, denn sie soll innerhalb weniger Tage auf- und abbaubar sein und sich in normierten Schiffscontainern leicht und billig um den Globus schiffen lassen. Mit dem Thema Wasser geht es weiter: ein Strandcafé im englischen Littlehampton verkörpert Wellen, Schiffsrumpf und Strandgut gleichermassen – eine wohltuend frische und archaische Interpretation der sonst eher unterkühlt eleganten Seebäder Südenglands. Hier trägt die Hülle aus geöltem Stahl selbst. Leichtfüssig präsentiert sich die Vogelvoliere Bois de la Bâtie in Genf. Mit dem Geäste und Gesträuch des Naturparks scheinen die baumartigen Stahlstützen förmlich zu verwachsen. Dahinter steckt ein ausgeklügeltes Tragsystem, das die Baumstruktur zur funktionalen Form erhebt. Dieser Pavillon erhielt eine Anerkennung des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier.

Die Schlauchtypologie eignet sich für Ausstellungsräume und fürs Wohnen gleichermassen. Das Gute daran ist, dass diese modulare Konstruktionsweise theoretisch jederzeit fortgesetzt werden kann – je nach Bedarf. In Esch-sur-Alzette in Luxemburg beherbergt ein solcher Pavillon eine Ausstellung zum Thema Wirtschaftlichkeit, weshalb diese gleich am Konstruktionsprinzip demonstriert wurde: eine fortsetzbare Reihe von biegesteifen Rahmen auf einer auf Stützen schwebenden Plattform. Abgehoben ist auch das Wohnhaus zweier Profi-Flieger am Genfersee. Hier wurde ein für den Brückenbau typisches Tragsystem gewählt: der Vierendeelträger, d. h. eine steif verschweisste Rahmenkonstruktion, die keine Diagonalverstrebung braucht – wegen der Aussicht. Auch diesem spektakulären Haus verlieh die Jury des Prix Acier eine Anerkennung.

Zwei weitere kleine Bauten im urbanen Umfeld thematisieren beispielhaft die Mobilität und Schutzfunktion des Pavillons – einer davon, die Metallwerkstatt Dynamo in Zürich, erhielt ebenfalls eine Anerkennung des Prix Acier. Zuletzt schliesst wiederum die Kunst den Bilderbogen durch die Pavillon-Landschaft: eine Schutzhülle für einen Skulpturengarten im deutschen Wuppertal zeigt ein Höchstmass an Leichtigkeit und Transparenz. Wir wünschen viel Vergnügen beim detaillierten Studium und der Lektüre von Steeldoc.

Evelyn C. Frisch

Inhalt

03 Editorial

04 Mobile Art Pavillon, Hongkong, Tokio, New York
Kunst und Mode auf Reisen

08 East Beach Café, Littlehampton
Strandgut

10 Volière Bois de la Bâtie, Genf
Haute Couture

14 Ausstellungspavillon, Esch-sur-Alzette
Schwebender Leuchtkörper

16 Einfamilienhaus, Chardonne
Happy landing

20 Seeuferpavillon, Genf
Nomadenzelt aus Stahl

24 Metallwerkstatt Dynamo, Zürich
Stahlpilz

26 Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal
Gläserne Hülle für die Kunst

31 Impressum

Haute Couture

(SUBTITLE) Volière Bois de la Bâtie, Genf

In einem kleinen Waldstück mitten in der Stadt Genf steht diese federleichte Voliere, die sich in ihrer Struktur ganz den umstehenden Bäumen angleicht. Die aus Stahlrohr verschweissten Baumstützen folgen nur scheinbar einem natürlichen Wuchs – dahinter steckt ein raffiniertes Modell für die Optimierung des Tragsystems.

Das kleine Waldstück «Bois de la Bâtie» liegt auf einem Hügel der Stadt Genf. 1874 als öffentlicher Park mit einem Teich und einer künstlich angelegten Insel eröffnet, wurden nun unter einem Dach zwei neue Vo lieren errichtet, um im Falle einer drohenden Vogelgrippe den über hundert Vögeln des Parks Schutz zu bieten. Auf verschlungenen Wegen nähern sich die Besucher dem leichten, netzumspannten Raum, der mit dem umgebenden Wald zu einer Einheit verschmolzen scheint. Dieser behutsame, fast unsichtbare Eingriff in die Natur, die Klarheit der Struktur sowie die materialoptimierte konstruktive Umsetzung würdigte die Jury des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier 2009 mit einer Anerkennung.

Formfindung im Raumgitter

Das Dach entwickelt sich in freier Form und wird von Baumstützen getragen. Die Kontur dieses Daches folgt der Begrenzung durch die umstehenden Bäume und formt damit ebenfalls eine Art Baumkrone. Die insgesamt 16 Baumstützen scheinen natürlich gewachsen zu sein, gleicht doch kein «Baum» dem anderen. Sie sind jedoch durch ein streng modulares System definiert, welches den Aufwand für Fertigung und Montage reduziert. So folgt jeder «Baum» dem Rastermass des Raumgitters in Form eines stehenden Quaders mit einer Grundlänge von drei mal drei und einer Höhe von neun Metern. Dieses Raumgitter liefert die notwendigen Bezugspunkte für die Planung, Herstellung und Montage vor Ort.

Die Baumstützen wurden mit Rundrohren in verschiedenen Wandstärken ausgeführt – abhängig von den jeweils aufzunehmenden Kräften. Der gleichbleibende Durchmesser führt zu geometrisch bestimmten Verbindungen ohne hierarchische Ordnung und vermeidet dadurch komplexe Verschneidungen, so dass die konstruktive Umsetzung zügig und schlüssig möglich ist. Auch die Anschlusspunkte für Dach und Bodenplatte folgen diesem Raumgitter. So sind zwölf verschiedene Punkte für das Dach und vier für die Lastabtragung im Fundament möglich. Die Lage der Astgabeln, welche zugleich die unterschiedlichen Typen der «Bäume» bestimmen, folgt ebenfalls dem Raumgitter. Die horizontale Aussteifung des gesamten Gebäudes wird durch vier Baumstützen in V-Form gewährleistet, die systematisch verteilt zwischen den anderen zwölf angeordnet sind.

Das optimierte Stützenmodell

Die natürliche Schlichtheit dieser Baumstützen ist das Ergebnis eines ausgefeilten Entwicklungsprozesses: In Anlehnung an die Erkenntnisse von Antonio Gaudí diente in einer ersten Phase ein Modell mit hängenden Ketten zur Überprüfung des Systems. Ausgehend von einem realen Versuchsmodell wurde anschliessend mit Hilfe eines virtuellen Modells die Geometrie der baumartigen Stützen überprüft. Das virtuelle Modell wurde auch für die Untersuchung von Beanspruchungen herangezogen, welche auf die Tragstruktur einwirken können, wie Schnee, Wind oder Erdbeben.

Der digitale Prozess des Entwerfens lieferte die Grundlage für die dreidimensionalen Werkzeichnungen und für die Bearbeitung der Rohre mittels computergesteuerter Maschinen. Bei der Montage der Elemente in der Werkhalle und vor Ort kam das Raumgitter als Schablone erneut zum Einsatz. Handarbeit erforderte lediglich das Vernähen der Netzbahnen aus Edelstahl, welche als Hülle zwischen Dach und Bodenplatte gespannt wurden. Diese filigrane, fast unsichtbare Membran hüllt die in Grünund Weisstönen gestrichene Baumstruktur in eine Art Spinnengewebe, das wiederum den Bezug zur umgebenden Natur unterstützt.

Steeldoc, Fr., 2009.07.10

10. Juli 2009 Evelyn C. Frisch, Johannes Herold, Martina Helzel

Happy landing

(SUBTITLE) Einfamilienhaus, Chardonne

Wie eben erst gelandet, stützt sich das spektakuläre Einfamilienhaus am Steilhang des Genfer Sees ab. Die flugerprobte Bauherrschaft hat ihre Berufspassion auch in ihrem Wohnsitz umgesetzt: wie über eine Gangway steigt man seitlich in diesen schwebenden Wohnkörper aus Stahl und Glas ein und geniesst von hier einen unverbauten Blick aus der Höhe.

Nach einer zweijährigen berufsbedingten und privaten Reisezeit ohne festen Wohnsitz, suchten die Bauherren nach einem erschwinglichen und ansprechenden Domizil. Ein schmales Hanggrundstück mit Blick auf den Genfer See und die Alpen wurde als Bauplatz erworben mit der Auflage, dass lediglich ein geringer Teil des Terrains überbaut und das Haus nicht höher werden sollte, als die angrenzende Strasse. Angesichts dieser engen Vorgaben schlug das Architektenteam auf geständerten Quader aus Stahl und Glas. Diese schwebende Konstruktion lässt die Topographie praktisch unberührt und schafft so viel Freiraum für die Nutzung des Geländes als Garten.

Freie Grundrissnutzung

Die Räume mit ihren unterschiedlichen Nutzungen reihen sich im langgestreckten Baukörper nacheinander auf – dabei wechseln sich Nasszonen und Raumeinheiten ab. Die modulare Stahlstruktur definiert die Raumsequenzen. Die Küche in Kombination mit dem Esszimmer und der Wohnraum bilden den Abschluss zum See hin. Um Platz zu sparen, wurden Elemente wie Wandschränke, Cheminée sowie die Gebäudetechnik in die querliegenden Zwischenwände integriert. Mit Ausnahme der zum See gerichteten Stirnseite mit raumhohen Schiebefenstern sind alle Fenster festverglast. Für die erforderliche Luftzufuhr sorgen Klappen, die hinter den vertikalen Rahmen angeordnet sind.

Typologie Brücke

Die Box wurde wie eine Brücke als Vierendeel-Rahmentragwerk in vier Modulen konzipiert. Sie ist in Richtung Berg auf einer Betonwand und seeseitig auf zwei schlanken, schräggestellten Stützen aufgelagert. Die horizontale Steifigkeit in Querrichtung ist durch eine Blechverbunddecke in der Boden-Ebene und einen Dachverband unter dem Dachblech gewährleistet. Die Kräfte aus der Dachebene werden in der hinteren Stirnfassade durch einen Vertikalverband, im vorderen Bereich durch Rahmenwirkung in die Schrägstützen und weiter in die Fundamente geführt. Somit bleibt das Innere frei von Stützen oder tragenden Wänden und ermöglicht dadurch die optimale Ausnutzung des Grundrisses. Die Erschliessung erfolgt seitlich über eine hydraulische, einziehbare Treppe. Im Bereich der Böschungsmauer des Terrains steht ein Kellerraum zur Verfügung, der jedoch nur über eine Aussentreppe zugänglich ist.

Diese ungewöhnlich reduzierte und gleichzeitig raffinierte und sorgfältig detaillierte Lösung eines Wohnhauses in Brückenform würdigte die Jury des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier 2009 mit einer Anerkennung.

Steeldoc, Fr., 2009.07.10

10. Juli 2009 Evelyn C. Frisch, Johannes Herold, Martina Helzel

Stahlpilz

(SUBTITLE) Metallwerkstatt Dynamo, Zürich

Im Spannungsfeld denkmalgeschützter Ensembles und Bauten aus den siebziger Jahren behauptet sich die neue Metallwerkstatt des Jugendkulturhauses Dynamo als eigenständiger Baukörper. Konstruktion und Verkleidung zeigen den Werkstoff und seine Verarbeitung präzise, unmittelbar und direkt.

Im Zuge umfangreicher Sanierungsarbeiten wurde in unmittelbarer Nähe zur Limmat eine neue Arbeitsstätte für junge Menschen mit zusätzlichem Büro- und Lagerraum erstellt. Die gut eingerichtete Werkstatt bietet den Benutzern um fangreiches Werkzeug für die Bearbeitung von Metall wie Schweissen, Stanzen oder Plasmaschneiden. Während des ganzen Jahres werden hier zudem zahlreiche Kurse, Workshops und Ausstellungen angeboten.

Aufgrund der beengten Platzverhältnisse wurden diejenigen Räume, die einen Abschluss erfordern, wie etwa das beheizbare Büro sowie das Lager für Material und Werkzeug, in den Kern des Gebäudes verlegt, während die eigentliche Werkstatt im Freien liegt. Das auf allen Seiten auskragende Vordach bietet einen gedeckten und stützenfreien Arbeitsbereich, der das ganze Jahr über genutzt werden kann. Grossflächige Flügeltüren sind vollständig in die Fassade integriert und machen so gegen Aussen sichtbar, wann die Werkstatt in Betrieb ist. Bei Betriebsschluss werden alle Türen mechanisch verriegelt und schützen so die dahinterliegenden Räume vor Vandalismus und Einbruch. Der Büroraum ist autonom in die Stahlkonstruktion eingestellt und im Inneren an Boden, Wand und Decke vollflächig mit OSB Platten belegt. Zur Verbesserung der Belichtung sind im Bereich vor dem Büro drei längliche Oberlichter in das Dach eingeschnitten.

Wechselspiel

Auf einem trapezähnlichen Grundriss tragen in die Bodenplatte eingespannte Stützen aus Profilstahl einen weit auskragenden Dachrost in gleicher Form, jedoch mit fast doppelter Fläche. Diese Tragkonstruktion ist an Fassade, Dachuntersicht und Dachrand mit einem industriell gefertigten, tiefgezogenen Lochblech aus Stahl überzogen. Abhängig von Blickwinkel oder Tageszeit sorgt diese Hülle für reizvolle Wechsel in der Wahrnehmung der Fassade: so wirkt der Pavillon einmal verschlossen, ein anderes Mal gewährt er Einblicke in die dahinterliegenden Räume. Der grosse Dachüberstand unterstreicht mit seinen Schattenwürfen die Tiefe des Baukörpers. Im Sonnenlicht verwandelt sich die Fassade in einen gleissenden, geschlossenen Metallvorhang. Durch die Beleuchtung des Inneren erscheint der Pavillon bei Nacht jedoch leicht und transparent.

Anerkennung Prix Acier 2009

Für den wirtschaftlichen Umgang mit dem Material, die sorgfältige Detaillierung bis hin zur Beschriftung und das raffinierte Wechselspiel zwischen Einfachheit im Äusseren und Komplexität im Inneren wurde die Metallwerkstatt mit einer Anerkennung des Schweizer Stahlbaupreises Prix Acier 2009 gewürdigt.

Steeldoc, Fr., 2009.07.10

10. Juli 2009 Evelyn C. Frisch, Johannes Herold, Martina Helzel

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