Editorial
Hintergründe
Baden wir noch oder wohnen wir schon, fragten wir uns in der Redaktion, die neusten Verheissungen der Sanitärindustrie betrachtend. Raum- und zeitgreifend sollen wir uns wohlfühlwaschen, in Salonstimmung und unter Tropenduschen. «Das Badezimmer geht fremd», berichtet Designredaktorin Meret Ernst dazu ab Seite 18 und erklärt in ihrer Titelgeschichte den Hintergrund: Vom genussvollen öffentlichen Ort wanderte das Baden in die Privatwohnung und dort vom Fenster verschämt tief in den Grundriss hinein. Nun drängt es zurück zu den Wohnräumen, ausgerüstet mit Eleganz und Elektronik, bereit zu neuen Ritualen. Die meisten Redaktorinnen und Redaktoren wohnen aber mietend und mitten in der Stadt. Was hat das alles mit uns zu tun, fragten wir. Die fotografischen Antworten finden Sie auf www.hochparterre-schweiz.ch.
Aus dem Bad auf die Strasse: Revolution im Autobau, fragt Designredaktor Urs Honegger. Er spürte vier Modelle von Elektromobilen auf und nimmt ab Seite 40 ihre Gestaltung auseinander. Spannender Hintergrund hier: Macht die Schweiz in der Autogestaltung kaum von sich reden, könnte sie im Design der Elektromobile tonangebend werden.
Dritter Hintergrund: In Andermatt hat Investor Samih Sawiris das erste Baugesuch seines Tourismusresorts eingereicht. Nicht für ein Luxushotel, nicht für Appartements, nicht für eine mondäne Villa. Sondern für einen zweistöckigen und 40 000 Quadratmeter grossen Infrastrukturbau, der als Garagen- und Techniksockel für das Feriendorf dienen soll. Unsere Bildmontage auf Seite 50 zeigt den Koloss.
Hintergründe zu Hochparterre-Geschichten liefern auch Sie uns, liebe Leserinnen und Leser: In den Briefen auf Seite 7 und in Kommentaren auf www.hochparterre-schweiz.ch. Starke und persönliche Anmerkungen erhielten unsere Beiträge zur Lage der teilzeitarbeitswilligen Mütter und Väter in der Architektur. Das freut uns!
Rahel Marti
Inhalt
06 Meinungen
08 Funde
11 Sitten und Bräuche
17 C-Ausweis
Titelgeschichte
18 Das Badezimmer geht fremd. Meret Ernst balanciert auf den fliessenden Übergängen von der Nasszelle zum Wohnbad und von gestern zu heute.
30 Fotografie: Kapelle und Kraftwerk. Über die Zusammenarbeit von Hans Danuser und Peter Zumthor.
32 Architektur: Schuldenberg im S AM. Was geschah im Schweizer Architekturmuseum Basel?
34 Architektur: Weisse Bauten in Rotkreuz. Roche baut aus, markant und hoch.
40 Design: Vom Antrieb zur Form. In der Werkstatt von vier Elektromobilen.
48 Wettbewerb: Weniger als Träumen. Das neue Verfahren der Genossenschaft «Mehr als Wohnen».
50 Architektur: Diskussion ums Podium. Das Andermatter Feriendorf soll mit einem Garagenbau beginnen.
54 Leute
58 Siebensachen
60 Bücher
64 Fin de Chantier
72 Raumtraum
Weisse Bauten in Rotkreuz
Im Stillen, aber mit lauter Architektur baut Roche Diagnostics ihre Fabriken zum Forschungs- und Dienstleistungzentrum aus. Markiert ist der Standpunkt und Standort mit einem Turm.
In Basel liefern sich die Pharmakonzerne Novartis und Roche einen Architekturwettbewerb. Sie engagieren berühmte Büros, die Medien kommentieren jede Etappe. Fast unbemerkt geht dagegen der Ausbau des Roche Diagnostics-Werks in Rotkreuz voran. Dabei erweitert der Konzern seine Fabriken zu einem internationalen Forschungs- und Kundenzentrum.
Seit 2007 entstanden im Gebiet Forren auffallende Bauten und ehrgeizige Projekte. Die Luzerner Architekten Scheitlin-Syfrig Partner entwarfen das Kundenzentrum und ein Personalrestaurant. Die Aussenräume des neuen Firmenquartiers gestaltet der Landschaftsarchitekt Günther Vogt. Als vorläufigen Höhepunkt planen Burckhardt Partner Architekten einen 67 Meter hohen Büroturm. Damit errichtet Roche ihr erstes Hochhaus in Rotkreuz und nicht in Basel, wo sie das 163 Meter hohe Prestige-Projekt von Herzog & de Meuron stoppte.
Fahren wir also nach Rotkreuz. Vom Bahnhof führt die Industriestrasse Richtung Forren, gesäumt von Gewerbegeblöckle. Nach zehn Minuten enden die Gebäude, genauer gesagt, es beginnen die Baugruben der kommenden. Über Abschrankungen hinweg leuchten der Besucherin zwei schneeweisse Neubauten entgegen, beide überzieht ein wirres Fassadennetz. Sofort ist klar: Da spielt eine höhere Architekturliga.
Die Firma
Der Roche-Konzern ist in zwei Unternehmen oder Divisionen gegliedert: Pharma und Diagnostics. Kurz gesagt: Die Division Diagnostics entwickelt Verfahren und Apparate für den Nachweis von Krankheiten, für deren Behandlung die Division Pharma Medikamente herstellt. Roches Geschichte in Rotkreuz begann 1971, als sie die Pharmafirma Tegimenta kaufte. Diese produzierte unter ihrem Namen weiter im Spickel zwischen den Autobahnen A4 und A14, im Gebiet Forren.
Dort konnte Roche 2006 Grundstücke hinzukaufen und entschied, das Werk für Diagnostics auszubauen. Bald sollen alle Arbeiten an deren Produkten hier stattfinden: Forschung, Produktion, Vermarktung, Schulung, Service. Rotkreuz ist also kein Ableger von Basel, sondern als Zentrum der Division Diagnostics eigenständig und weltweit vernetzt. 1400 Angestellte beschäftigt Roche Diagnostics und ist damit die drittgrösste Arbeitgeberin im Kanton Zug. Die Hälfte kommt aus der Schweiz, dreissig Prozent aus Deutschland, die übrigen aus 36 weiteren Ländern.
Der Masterplan
Für das Roche-Werk heisst das: Zu den Mechanikern stossen Marketingspezialisten, zu den Laboranten stossen Forscherinnen, zu den Magazinern Rechtsanwälte. Höher Gestellte stellen höhere Ansprüche: an den Arbeitsort, an den Arbeitsplatz. Darum hiess Andi Scheitlins und Marc Syfrigs Ziel: «Zwischen zwei Autobahnen in der Industriezone einen Ort schaffen, an den man gern arbeiten geht.» Die Luzerner Architekten hatten für Roche das viel beachtete Tagungszentrum auf der Halbinsel Buonas gebaut siehe HP 6-7 / 02, 12 / 2002. Nun kam der Auftrag, zusammen mit Günther Vogt, das Forrenareal vom Fabrik- in ein weltgewandtes Dienstleistungs- und Arbeitsquartier zu verwandeln.
Dazu setzten sie ein neues Gebäudeensemble vor das alte, vor die Fabriken. Es wird ein Vierklang aus Platz, zwei Quadern und Turm. Der Platz, steinern und 4000 Quadratmeter weit, bringt Luft und, eben, Platz. Ihn frieden die weissen Neubauten ein: das Personalrestaurant und das Kundenzentrum für Schulungen und Büros. Aus dem Platz aufragen wird der 67 Meter hohe Büroturm für 650 Arbeitsplätze der Verwaltung. Zurzeit verschafft er sich anhand seines gigantischen Baugespanns Präsenz.
Eine subtile Landschaftsarchitektur wird das Gelände rahmen. Das Büro Vogt recherchierte: Das Forren, eine leichte Senke, war ursprünglich ein Feuchtigkeitsgebiet und mit dem Zugersee verbunden. Die Landschaftsarchitekten fanden Spuren von Arten aus dieser Zeit, die heute exotisch und üppig anmuten. Diese Baum- und Straucharten sollen auf dem Platz und der Industriestrasse entlang die städtische Atmosphäre kontrastieren. Weil sich das Areal weiter wandeln wird, wollen Vogt Landschaftsarchitekten zudem dessen Ränder mit Baumgruppen betonen.
Noch ist das Forren eine Grossbaustelle. Aber von den Neubauten geht eine offene Stimmung aus. Weiss sind sie aus Roche-Tradition. Otto Rudolf Salvisberg, in den Dreissigerjahren Firmenarchitekt, erfand das Weiss in Basel und setzte es fort in der Welt. Roche rüttelt nicht daran. Sauberkeit, klinische, und Funktionalität verbinden sich damit. Weiss war also Vorgabe, das Spiel damit aber erwünscht.
Produktprinzip in den Fassaden
Die Komplexität der Roche-Produkte, wurde den Architekten gesagt, gründe auf der Wiederholung einfacher Elemente. Dasselbe Prinzip präge ihre Bauten, erklären nun sie. Im Kundenzentrum ist das Bürorastermass von 1,65 Metern dieser wiederholte Keim. Es rhythmisiert Schulungsräume, Multispacebüros und es diktiert die Fassade: Fensterhöhen und -breiten entsprechen Bruchteilen von 1,65 Metern. Die Architekten reihten drei solcher Fensterformate aneinander und stapelten diese Felder.
Das Personalrestaurant ist geprägt durch sein inneres Betonfachwerk, eine schräge und geknickte statische Struktur. Deren Formen ergaben sich pragmatisch: Die maximalen Schrägen sind begrenzt durch die vertikalen Markisen, die jedes Fenster verdecken, aber nicht überlappen. Das Fachwerk trägt die markante Auskragung des Gebäudes ab. Die «formale Schein-Komplexität», so die Architekten, habe sich also aus der technischen Umsetzung der über dem Eingang gewünschten Auskragung ergeben. Wer genau hinschaut, entdeckt auch hier regelmässige, sich wiederholende Felder — das Wirre hat einen Schlüssel, gehorcht einer Ordnung.
Was irritiert: Beide Fassaden sind geschosslos, kantig, wild und weiss — aber nicht ähnlich, ihre Muster haben nichts gemein. Doch wäre es ein spannendes Spiel gewesen, das eine aus dem anderen zu entwickeln. Nun wirken die Bauten verwandt, ohne es zu sein, wie ein nicht eingelöstes Versprechen. Vielleicht war dafür zuwenig Zeit. Das enorme Bautempo forderte die Architekten. Für das Personalzentrum lagen nur drei Monate Planung und zwölf Monate Bauzeit drin. Das Kundenzentrum wuchs bei rollender Planung von 12 auf gut 50 Millionen Franken Bausumme, was das zusammengesetzt wirkende Volumen erklärt.
Die Wirkung
Warum die Netzfassaden? Aussicht lohne sich wenig im Industriegebiet, entschieden Scheitlin-Syfrig, es brauche spannende Innenräume. Tatsächlich sind die Netze von innen noch präsenter. In den Grossraumbüros des Kundenzentrums sind die einzelnen Fenster zwar gewöhnlich gross, erzeugen über die Raumlänge aber eine kleinteilige Ansicht. Im Personalzentrum wirken die aufgelösten Wände und Decken unruhig, da und dort aber auch gitterhaft. In beiden Gebäuden zeigt sich: Die Wirkung des Wirren ist schwierig zu kontrollieren und nicht überall gelungen. Vielleicht aber regen die Schrägen die Köche, die im Personalzentrum ebenfalls hinter Netz arbeiten, zu Abenteuern an — ein Vorteil für Roche Diagnostics, denn am Ende zählt nur das Essen für die Mitarbeitenden, sagt man der Besucherin. Doch sind diese offenbar zufrieden in den Neubauten und die Verantwortlichen davon begeistert.
Der Vergleich
Roche Diagnostics investiert über 200 Millionen Franken in den Ausbau von Rotkreuz. Der Vergleich mit dem Novartis Campus in Basel drängt sich auf. Doch er lässt Jürg Erismann, den Site Manager, kalt: «Mit rund 1400 Beschäftigten ist der Standort wesentlich kleiner und hat auch andere Funktionen zu erfüllen als der Novartis Campus.» Roches architektonischer Anspruch sei hoch, ziele aber auf andere Werte. «Die Architektur steht nicht im Vordergrund, sondern ist ein Mittel zum Zweck. Die Bauten müssen funktional und hochwertig sein, aber nicht zu jedem Preis.» Roche wolle keine Exklusivstimmung, den Mitarbeitern solle bewusst sein, woran sie arbeiteten — an Produkten und Dienstleistungen für die Gesundheit. Die Roche-Unternehmenskultur ist bodenständiger als jene der Novartis. Interessant auch: Novartis spricht nicht über Baukosten, Roche dagegen gab sie zu jedem Bau bekannt.
Das Hochhaus
Zum Abschluss steht die Besucherin an der Baustelle des Turms. In die Höhe baut Roche, weil der Platz im Forren sonst zu knapp wäre. Fünf renommierte Büros erhielten einen Studienauftrag: Miller Maranta, Bétrix Consolascio, Daniele Marques, Scheitlin-Syfrig und Burckhardt Partner. Hier war nun nichts Auffälliges erwünscht, denn das Hochhaus würde sich der Bauform wegen markant genug zeigen. Den Zuschlag erhielt das wenig überraschende Projekt von Burckhardt Partner, weil es in die zurückhaltende Roche-Architekturtradition passe.
Während Scheitlin-Syfrig Aussichtsfenster vermeiden, planen Burckhard Partner ein Glashaus. Aus den oberen Stockwerken werde man den Zugersee sehen. Auch soll das Haus Transparenz vermitteln. Sie tüfteln an einer ausgeklügelten, energetisch sparsamen Haustechnik und einem neuen Fassadensystem. Aber das Bild täuscht: Bei Sonne wird stets ein Teil der Fassaden mit Lamellen geschlossen sein. Auch wenn diese fein und perforiert sind, die Stimmung auf dem Platz könnte dies stören.
Der Cluster
Wieder zurück im Industriegebiet. Roche Diagnostics öffnet sich der internationalen Forschungswelt und wendet viel Geld auf für einen guten Arbeitsort. Aber das Areal ist eine Enklave in Rotkreuz, eine seltsame Situation. Warum den guten Anfang nicht zum Cluster ausbauen? Die entsprechenden Unternehmen wären in der Region. Als ihr Cluster könnte sich der Gewerbebandwurm zu einem ansprechenden und besonderen Arbeitsgebiet mausern.
Kommentar: Hochäuser om Zugerland
2002 kam die Studie «Hochhäuser im Kanton Zug — ein Grundsatzpapier» zum Schluss: Häuser über 25 Meter sind in zwei Gebieten landschafts- und siedlungsverträglich. An der Baarer- /Zugerstrasse im Zuger Zentrum und im Autobahndreieck von Rotkreuz. Dieses Gebiet liege attraktiv an der Autobahn und in einer spannenden Landschaftskulisse. Als städtebauliche Aufwertung des Industriegebiets sei ein Hochhaus mit Platz denkbar. Der Roche-Turm entspricht dem weitgehend.
Die Studie floss 2002 in die Richtplanrevision ein. Dort stand auch: Hochhäuser bedingen einen Bebauungsplan und Varianten aus Konkurrenzverfahren. Das Parlament aber zerzauste die Vorlage. Statt Konkurrenzverfahren steht im 2004 genehmigten Richtplan nur «Varianten» — diese können vom selben Architekten stammen. Und statt der zwei Gebiete dehnte das Parlament die Hochhauszone auf den «Teilraum 1» aus, der Oberwil, Zug, Baar, Steinhausen, Cham, Hünenberg und Rotkreuz zu weiten Teilen umfasst. Für diese Ausdehnung stark gemacht hatte sich auch die Architekten-Lobby. Hochhäuser in Gruppen sind sinnvoller als Einzeltürme – raum- und verkehrsplanerisch, für das Siedlungs- und das Landschaftsbild. Doch der Kanton verpasste es, die Entwicklung zu lenken. Weil im Niedrigsteuergebiet der Boden knapp wird, klopfen immer mehr Investoren mit Hochhausprojekten an. Die Folge werden über den Teilraum 1 verstreute Einzeltürme sein. Die planerische Vorarbeit war für die Katz. Von wenig Charakter zeugt, dass Architekten gegen die Beschränkung waren. Aber der Traum lockt halt, einmal den eigenen Turm bauen zu können. Und raumplanerisch falsch stehen ja immer nur die anderen.hochparterre, Mi., 2009.06.17
17. Juni 2009 Rahel Marti
Diskussion ums Podium
In Andermatt ging das erste Baugesuch ein: Als Fundament für das Resort dient ein mächtiger Garagen- und Technikbau.
Der Betonbau wird die Ebene zwischen der Reuss und der Kantonsstrasse beinahe ausfüllen. Rund 300 Meter lang und 230 Meter breit soll das Podium werden, durchschnittlich 8,70 Meter hoch und zweigeschossig bis auf die Gassen für die Lastwagen. Im unteren Geschoss werden rund 900 Parkplätze sowie die gesamte Anlieferung untergebracht, im oberen die Haustechnik und Infrastrukturen, die Logistik, Lager für die Läden, Keller und andere Nebenräume, dazu die Energieversorgung und -aufbereitung der darauf stehenden Häuser. Die Grundfläche dieses imposanten Podiums soll rund 40 300 Quadratmeter betragen — mehr als fünf Fussballplätze.
Podium? Ein anmutiger Name für ein mächtiges Bauwerk. Zu den Baukosten kursieren Schätzungen. Erst war von 700 Millionen Franken die Rede, dann sei der Bau verkleinert worden, jetzt hört man von 400 Millionen Franken. Die Bauherrschaft, die Andermatt Alpine Destination Company AADC, gibt «grundsätzlich» keine Kosten bekannt; sie spricht von einem «zweistelligen Millionenbetrag», womit offen bleibt, ob das eher 10 oder eher 99 heisst.
Das Podium knackt für die AADC gleich mehrere Probleme. Erstens verschluckt es die Technik, die Anlieferungen, die Lager und die parkierten Autos. So wird zweitens das Resort obendrauf autofrei, kann Ferienstimmung zelebrieren. Drittens ist es komfortabel: Die Gäste fahren im Auto nach unten ins Parking und im Lift nach oben ins Haus — im Poloshirt von der eigenen bis in die Ferienwohnung. Und viertens schützt das Podium vor Katastrophen: Führt die Reuss Hochwasser — auch ein starkes, nur alle 100 Jahre auftretendes —, flutet sie die Stockwerke des Podiums, während das Dorf darauf trocken bleibt. Kurz: ohne das Podium kein Resort in Andermatt.
Der erste Schritt
«Das Podium», dies schreibt die AADC, «ist der erste Ort des Besucherkontakts. Deshalb ist eine erhöhte architektonische Gestaltung erwünscht.» Visualisierungen von Itten Brechbühl, den Generalplanern, zeigen Hallen in veredeltem Beton und kühlem Weiss. Ursprünglich hatten die Architekten der Appartementhäuser am Podium gearbeitet, das Altdorfer Büro Germann Achermann, seit Beginn dabei, bearbeitete das Podium für die Quartiergestaltungspläne. Anschliessend wurden, so Raymond Cron, Europa-Chef der Orascom, die Generalplanerleistungen ausgeschrieben und Itten Brechbühl erhielten den Zuschlag. Germann Achermann planen dafür die Ausführung des Luxushotels auf dem Bellevue-Areal. Itten Brechbühl arbeiteten den Nutzbau durch. Darauf mussten die Häuser-Architekten ihre Grundrisse den von unten heraufstossenden Liften und Treppen anpassen; dies ergab zwar teils unerklärliche Schrägen, doch die Wohnungsgrundrisse dürften nach dem Verkauf der Projekte sowieso weiter ändern. Vom Parkplatz werden die Gäste über allgemein zugängliche Treppenhäuser und Lifte in die Erdgeschosse der Häuser und Hotels gelangen; von dort führen an anderen Stellen private Treppen und Lifte weiter. Das heisst: Direkte Verbindungen der Ober- und der Unterwelt gibt es keine, auch nicht im Aussenraum. Ist der Gast einmal oben, soll er das Podium vergessen.
Ohne Wahl
Die AADC hat nie einen Hehl aus dem Podium gemacht. Aber bis jetzt nahm kaum jemand Notiz davon. Pro Natura Uri vereinbarte mit Samih Sawiris Auflagen zum Golfplatz und zur Villenzone — vom Podium ist nicht die Rede. Im Bericht zu den Quartiergestaltungsplänen kommt das Podium nur zweimal vor, einmal geht es um den Hochwasserschutz, einmal um Parkplätze. Selbst nach der grossen Medienkonferenz vom 22. April las man über das Podium nur, es solle nun gebaut werden.
Das ist erstaunlich. Denn das Podium ist die Achillesferse des Resorts. Es stellt Samih Sawiris, den Investoren und Chef der AADC, vor eine Nicht-Wahl. Entweder, die AADC baut das Podium etappenweise. So kann sie die jeweils hinzustossenden Hotelbetreiber und Wohnungskäufer finanziell beteiligen. Das bedeutet aber eine jahrelange Baustelle — unmöglich für ein Feriendorf. Oder die AADC baut das Podium gleich zu Beginn ganz und schiesst das Geld dafür vor — ohne zu wissen, wie viele Wohnungen und Villen sie verkaufen kann, wie hoch ihre Erträge werden. Kurz: Das Podium ist ästhetisch und finanziell riskant. Aber unerlässlich.
Sawiris entschied: «Wir bauen das Podium gleich und ganz.» Und ergänzte locker: «Wenn wir keine Wohnungen verkaufen, wird der Garten eben grösser.» Zwei Tage nach der Medienkonferenz reichte die AADC das Baugesuch ein. Wie sie das Podium vorfinanzieren will, sagt sie nicht. Was bedeutet der Entscheid? Thomas Bieger ist Professor für Tourismuswirtschaft an der Universität St. Gallen und Resortexperte. Er erklärt: «Wenn zuerst unrentable Teile wie das Podium erstellt werden, müssen diese vorfinanziert werden. Das Geschäftsmodell funktioniert aber nur dann, wenn möglichst bald rentable Bereiche wie Wohnungen und Villen gebaut, damit Verkaufserlöse erzielt und die Auslastung der Infrastrukturen gesichert werden können.» Der Verkauf müsse innert eines nicht zu langen Zeitraums eine kritische Masse erreichen — sonst gerate das Finanzierungsmodell ins Wanken. Ob dies gelingt, hängt allein von externen Bedingungen ab — von der Wirtschaft und der Immobiliennachfrage in Schweizer Bergresorts. «Wie gut der Verkauf laufen wird, ist offen», sagt Bieger, «wegen der gegenwärtig schlechten Wirtschaftslage könnte es einige Zeit dauern.»
Garten alias Infrastruktur
Wann also bauen? Zwar betont Sawiris: «Gebaut wird nur, was verkauft ist.» Aber Grösse, so Thomas Bieger, ist eine Erfolgsbedindung: «Ein Resort braucht eine kritische Masse an Freizeitangeboten, an Wohnungen und an Gästen. Nur dann stimmt die Atmosphäre, nur dann funktioniert es.» Aus demselben Grund sind sichtbare Zeichen für ein Projekt der Superlative wie Andermatt nötig. Andernfalls schwindet das Vertrauen der Käufer, die Glaubwürdigkeit des Investoren und irgendwann ist die Luft draussen. Zwar liegt die Vermutung nahe, dass Sawiris die Millionen für das Podium erst vorschiesst, wenn er sein Geld zurückfliessen sieht. Aber die Abhängigkeiten könnten ihn zwingen loszulegen. Seine Garten-Bemerkung deutet darauf hin. Wenn das Podium und die ersten Häuser stehen und dann lange nichts mehr geht, soll die Plattform zum Garten werden.
Garten — wieder ein anmutiger Name. Thomas Bieger ist trockener: «Es gibt in jedem Land Beispiele von Resortprojekten, die nicht über den Bau der Infrastrukturen hinausgekommen sind.» Was, wenn der Bau oder der Resortbetrieb aus wirtschaftlichen Gründen gestoppt wird? Müssen dann die Andermatter auf der Militärbrache noch eine Ruine ertragen? Klar ist: Diesen Fall regeln die Bau- und Zonenordnung Andermatts BZO sowie der Infrastrukturvertrag zwischen dem Kanton und der AADC. So kann die AADC etwa den Golfplatz erst bauen, wenn sie «die integrale Realisierung» des Resorts «sichergestellt» hat. «Integral» bedeutet: Zwei Hotels, das Sportzentrum mit öffentlichem Hallenbad, Parkplätze und Verbindungen zwischen Resortbereichen. Zudem muss die AADC den Golfplatz rückbauen, sollte er fünf Jahre lang nicht genutzt werden. Was aber ist mit dem Podium und dem Resortdorf? Und was bedeutet «sichergestellt»? Auch diese Fragen regeln die Verträge -— aber der Kanton und die AADC halten diese Klauseln vertraulich. Offenbar gehen sie für Samih Sawiris aussergewöhnlich weit und er will vermeiden, bei weiteren Projekten gleich damit konfrontiert zu sein.
Kommentar: Wie steht es um Sawiris' architektonischen Anspruch?
Das Podium ist die Achillesferse des Resorts. Samih Sawiris muss es vorfinanzieren in einer wirtschaftlichen Lage, in der Erträge kaum vorauszuberechnen sind. Das Podium ist aber auch ein architektonischer Massstab: Es zeigt, wie der Investor als Bauherr tickt. Bisher schenkte er dem architektonischen Anspruch viel Gehör: Wettbewerbe, gute Architekten. Beim Podium kommt nun der knallharte Rechner hervor. Statt die Gestaltung den Resort-Architekten anzuvertrauen, zog er Generalplaner bei, um den Infrastrukturbau als solchen zu behandeln. Die Bilder zeigen eine kühl-elegante, aber austauschbare Tiefgarage — das gestalterische Gegenteil des aufwendig entwickelten, von örtlichen und regionalen Baumustern geprägten Resortdorfs obendrauf. Damit haben es die AADC und Sawiris verpasst, aus dem Unten und Oben eine Gesamtwelt zu schaffen. Eine, in der man seine Bergferien nicht in einer auswechselbaren Garage beginnt, sondern in der Atmosphäre des neuen Andermatt.
Die Architekten der Appartementhäuser haben Vorprojekte ausgearbeitet und geben sie der AADC in Kürze ab. Damit enden ihre Verträge. Und es kann sein, dass es das für sie war. Üblicher ist es, Bauprojekte zu verkaufen, Sawiris aber verkauft Vorprojekte, die der Käufer stark anpassen kann. Die Quartiergestaltungspläne enthalten zwar Richttexte und -skizzen zur Architektur. Entscheidend aber ist, wer schlussendlich baut, ob mit den ursprünglichen Architekten und mit welchen Qualitätsansprüchen. Darum ist es offen, wie das Resortdorf einst aussieht. Der Verlauf der Podiums-Planung verspricht jedenfalls wenig Spiel für Überdurchschnittliches.hochparterre, Mi., 2009.06.17
17. Juni 2009 Rahel Marti
Gleichberechtigte Partner
(SUBTITLE) Dreieinfamilienhaus
Das Grundstück am Ende der Sackgasse, dort wo das Einfamilienhausquartier in die Landwirtschaftszone übergeht, bot Platz für drei Wohnungen. Reihenhäuser? So ist das eingeklemmte Mittelhaus benachteiligt. Geschosswohnungen? So hat die mittlere Wohnung weder Garten noch Dachterrasse. Daher entwickelten die m3 Architekten aus Zürich ein sternförmig organisiertes Dreieinfamilienhaus. Darin ist jeder Teil gleichberechtigt, hat einen Garten und eine Dachterrasse mit Blick ins Glattal. Die drei Wohneinheiten sind bis auf die Ausrichtung identisch, stehen mit dem Rücken zueinander und bilden dort den spannendsten Raum des Dreizacks: den Lichthof über der gemeinsamen Eingangshalle. Wer das Haus von aussen betrachtet, versteht auf Anhieb nicht, wie es funktioniert. Die drei Teile sind nicht sofort zu erkennen, denn die einheitliche Farbe, die Einschnitte im Attikageschoss und das Spiel mit Fensterformaten verwischen die Eigentumsgrenzen. In jedem der drei Hausteile gibt es auf drei Geschossen 7 ½ Zimmer — und die sind intensiv genutzt: Neun Kinder sind hier daheim.hochparterre, Mi., 2009.06.17
17. Juni 2009 Werner Huber