Editorial
»First In – First Out« oder »Last In – First Out«? Stapeln oder reihen? Systematisch oder chaotisch? Wie die Lagerung erfolgt, welche Güter gelagert werden und wie der Ein- und Ausgang der Waren vonstatten geht, sind wesentliche Kenngrößen, die die Dimension und Grundrissorganisation der Lagergebäude beeinflussen und bei der Planung zwingend beachtet werden müssen. So entsteht ein relativ enges Korsett, in dem die Architektur oft vernachlässigt wird. Doch glücklicherweise gibt es auch rühmliche Ausnahmen, von denen wir auf den nächsten Seiten einige vorstellen. uk
Inhalt
Diskurs
03 Kommentar
Die Stärkung der Stärkeren – Zur 6. HOAI-Novelle | Werner Seifert
06 Magazin
12 Letters from UK
Bürgermeister von London | Tomas Klassnik
14 Im Blickpunkt
Architekturszene Hamburg | Claas Gefroi
Schwerpunkt
20 Lagern
21 Zum Thema – Lagermethoden und ihre architektonischen Hüllen | Wilhelm Klauser
22 Massivholzwerk in Aschaffenburg, Cornelsen Seelinger Architekten | Christoph Gunßer
32 Logistikzentrum in Bremen: Harald Schröder; Schulze Pampus Architekten | Robert Uhde
38 Logistikzentrum in Tübingen: Architekturbüro Schmitt | Christoph Gunßer
46 Baustoffgroßhandel in München: 03 Architekten | Karl J. Habermann
52 Sächsisches Hauptstaatsarchiv in Dresden: Schweger Associated Architects | Arnold Bartetzky
60 In die Jahre gekommen: ...Postpakethalle in München, Rudolf Rosenfeld, Herbert Zettel mit Ulrich Finsterwalder und Helmut Bomhard | Ira Mazzoni
Trends
Energie
74 Neue Wohnbauförderprogramme im Zuge schärferer Rechtsvorschriften | Sabine Healey
Produkte
80 Produktberichte
Sanitär- und Haustechnik, Treppen | Monika Zydeck
88 Infoticker
Monika Zydeck
Software
90 Neues vom Softwaremarkt | cf
94 Schaufenster
Oberflächen | Monika Zydeck
Anhang
96 Planer / Autoren
97 Bildnachweis
98 Vorschau / Impressum
Detailbogen
99 Aschaffenburg: Massivholzwerk (Cornelsen Seelinger Architekten)
102 Dresden: Staatsarchiv (Schweger Associated Architects)
Vom Baum zum Brett
(SUBTITLE) Massivholzwerk 3 der Pollmeier KG in Aschaffenburg
Fünfzig Millionen Euro für die technischen Anlagen, fünfundzwanzig Millionen für die bauliche Hülle – die Verteilung der Kosten bei diesem Werksneubau macht deutlich, wie stark sich die Architektur dem Fertigungsprozess unterzuordnen hatte. Dennoch ist es gelungen, ein Gebäude mit gestalterischem Anspruch zu schaffen, in dem die Produktionsabläufe für Mitarbeiter wie Besucher im Wortsinn »transparent« sind und das zudem Freiraum für Begegnung, Schulung und Präsentation lässt.
German beech steht auf den Bretterstapeln, die das Werk verlassen. Buchenholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft in Deutschland geht als Material für Möbel, Fußböden oder Spielzeug in alle Welt. Um insbesondere den Weltmarkt rasch mit unterschiedlichen Qualitäten beliefern zu können – der Exportanteil liegt bei achtzig Prozent – , expandiert der heute bereits führende Produzent von Laubschnittholz mit weiteren großen Werken in Süddeutschland und Frankreich. Vom rohen Baumstamm bis zum kundengerecht geschliffenen, sortierten und verpackten Brett reicht die Wertschöpfungskette. Nach dem Vorbild der Automobilindustrie sind die Abläufe hocheffizient organisiert. Eine firmeneigene Maschinenfabrik entwickelt viele der Einbauten selbst und optimiert den Produktionsprozess ständig weiter. Die Architektur muss diese Veränderungen aushalten, sie muss aber auch den dafür notwendigerweise immer höher qualifizierten Beschäftigten Orientierung und halbwegs humane Arbeitsbedingungen bieten. Mit herkömmlichen Sägewerken haben diese großen »Dampfer« denn auch nicht mehr viel gemein.
Alle Mann an Deck
Im Massivholzwerk am Aschaffenburger Mainhafen – dem dritten nach dem Stammwerk im thüringischen Creutzburg – bildet ein sogenanntes Mannschaftsdeck das Zentrum der Anlage. Über der Kappanlage, an der Schnittstelle zwischen dem imposanten Holzlager am Hafenkai und dem eigentlichen Sägewerk, wurde es als gläserner Quader in die Dachlandschaft des Werks seitlich eingeklinkt. Hier laufen alle Wege der über hundert Mitarbeiter zusammen: Von der Pforte des Werksgeländes kommend, gibt sich das Deck als vorspringende Kanzel zu erkennen.
»Kommandobrücke« denkt man und erklimmt das Deck über die außenliegenden, skulpturalen Treppen oder den Aufzug. Der über dreihundert Meter lange und bis zu zweihundert Meter breite »Rumpf« des Werks, in dunkelgrau lackiertes Stahlblech gehüllt, ist allerdings auch von hier oben nicht überschaubar.
Vielmehr öffnet sich der Blick ins Innere des Sägewerks, wo Twinsägen die Stämme zunächst zu quaderförmigen Modeln, dann in mehreren Re-Saw-Schritten zu Bohlen oder Brettern verschiedener Größe und Qualität zerlegen. Es gibt also kein Gatter wie in herkömmlichen Sägewerken. Um die empfindlichen Bandsägen vor Schäden zum Beispiel durch Jagdmunition zu bewahren, durchlaufen die Stämme zunächst einen Scanner, wie man ihn von Flughäfen kennt.
Präzise Steuerung von Menschenhand
In die Halle, die selbst nicht temperiert ist, sind Kabinen eingefügt, in denen die Maschinenführer vor Monitoren und Schaltpulten sitzen. Insbesondere der Re-Saw-Prozess erfordert viel Umsicht – Unregelmäßigkeiten wie Äste oder Einschlüsse des Holzes erfordern rasche Entscheidungen. Ein weiterer Raum im Raum dient ausschließlich dem Schärfen der Sägeblätter.
Die frisch geschnittenen Bretter werden sodann nach Dicke sortiert und zu Stapeln aufgetürmt. Fahrerlose Gefährte bringen sie zum Dämpfen und Trocknen. Dieser Prozess entzieht sich jedoch schon der Übersicht aus dem Mannschaftsdeck.
Abgehängter Quader aus Stahl und Glas
Dafür bietet das Mannschaftsdeck vis-à-vis eine weite Sicht über die Hafen- und Stadtlandschaft; hinter den ortstypischen Ansammlungen von Schrott, Trucks und Containern ist in der Ferne das markante Geviert des Aschaffenburger Schlosses zu sehen. Diese Sicht-Seite des Decks ist als Cafeteria möbliert; eingestellte Wandelemente und große runde Oberlichter gliedern die gut tausend Quadratmeter des Decks, das, um die Abläufe im Sägewerk nicht zu stören, als Stahlfachwerkkonstruktion von der Decke abgehängt wurde – die im Abstand von 3,5 Metern durchlaufenden silbernen Zugbänder zonieren den Raum in Querrichtung, während längs Fachwerkträger im Abstand von knapp sieben Metern den Raum überspannen. Diese liegen auf den vorgefertigten Betonstützen der Hallenkonstruktion auf, von denen einige in der Fassadenebene der Halle sichtbar das Deck durchstoßen. Anders als die Haupthalle des Sägewerks mit ihren mächtigen, 21 Meter frei überspannenden Brettschichtholzträgern ist das Mannschaftsdeck ansonsten eine reine Stahlkonstruktion. Die Fachwerkträger unterstützen das filigrane Erscheinungsbild der Box. In bester Behnisch-Tradition – Architekt Martin Seelinger hat in den Achtzigern bei Behnisch in Darmstadt studiert – laufen die Träger hallenseits durch die doppelte Glasfassade hindurch: Innen besteht sie als thermische Hülle aus schlanken, isolierverglasten Holzrahmenprofilen; davor liegt, als zusätzlicher Lärm- und Staubfilter, eine silikonverfugte vorgespannte Einscheibenverglasung, in der Lüftungsklappen die sicher reichlich anfallende Warmluft ins Freie entlassen. Ein Putzbalkon im Zwischenraum gewährt indes keinen Zugang zur Außenseite – hier müssen von Zeit zu Zeit Kletterer die Putzarbeit übernehmen. Denn Staub entsteht viel im Betrieb – und Lärm. Sind die Maschinen in Aktion, vibriert auch das Mannschaftsdeck, stärker als auf manchem Ozeandampfer. Das stört sicher nicht nur Fotografen bei der Arbeit.
Raum für Teamarbeit
Das Mannschaftsdeck vereint alle kommunikativen Funktionen des Betriebs: Büros, Kantine, Schulung, Präsentationen und die Umkleiden der Arbeiter, die von hier über interne Treppen in die Halle gelangen, wo es zusätzlich versetzbare Sanitär-Container gibt. Die Interieurs sind bis hin zu diesen Containern edel gestaltet, Grau- und Schwarztöne – das anthrazitfarbene Linoleum mag in dieser Umgebung nicht ganz unproblematisch sein – kontrastieren mit den weißen Decken und grellem Gelb, das der Architekt als Signalfarbe im ganzen Gebäude durchsetzte, auch an Maschinenteilen.
Bei der Vielzahl der Zulieferer und Systeme sei es ansonsten schwierig gewesen, eine schlüssige Gestaltung der Werkshallen zu verwirklichen. Man könne da als Architekt nur die schlimmsten Katastrophen verhindern. So wurden die riesigen Trockenkammern vom Hersteller komplett als silbern glänzende Fremdkörper neben den dunklen »Dampfer« gesetzt. Ganze Aggregate wie die mächtigen Luftfilteranlagen auf dem Dach seien wohl nie auf einem Plan aufgetaucht, merkt der Architekt an. Bei rein gestalterischen Fragen ließ ihm der Bauherr hingegen völlig freie Hand. So entwarfen Cornelsen Seelinger bereits das Stammwerk in Creutzburg mit Verwaltung und Gästehaus, und weitere Werke sind in Planung.
Lagern und Logistik
Ein jährlicher Durchsatz von 500 .000 Kubikmetern Holz auf dem relativ engen, zehn Hektar großen Gelände machte die Organisation von Anlieferung und Abtransport nicht einfach: Das Nassholzlager vorn am Kai – die Stämme müssen beregnet werden, damit sich keine Pilze bilden – ist auch auf dem Landweg für Lkw über die Pforte geradewegs zu erreichen. Die Zufahrt zum Firmengelände wurde dazu eigens auf die Nordseite verlegt, wo auch der Mitarbeiterparkplatz liegt. Vom Nassholzlager transportieren Bagger die Stämme zu der achtzehn Meter breiten Öffnung unter dem Mannschaftsdeck, wo Kappsäge, Scanner usw. warten.
Am anderen Ende der Verarbeitungskette stehen Schnittholzlager und Distribution. Hier reihen sich übersichtlich alle Sendungen: Dreimal die Woche fährt ein Frachter vom benachbarten Containerhafen nach Rotterdam; von dort geht es weiter nach Übersee. Da ein Container voller Holz zu schwer für den Transport auf der Straße wäre, ist es ein wesentlicher Vorteil des Aschaffenburger Standorts (vormals Kraftwerksgelände), dass der Containerhafen unmittelbar an das Werksgelände anschließt. Doch auch die Reste der Produktion werden sinnvoll verwertet: Förderbänder führen Abschnitte, Hackschnitzel und Sägemehl im zentralen, übersichtlichen Abfallbunker zusammen, wo sie entweder ins werkseigene Heizwerk (wärmetechnisch ist das Werk auf diese Weise autark) oder in die Papierindustrie wandern.
Die Baumstämme werden zumindest teilweise auf dem Wasserweg angeliefert. So konnte das Einzugsgebiet, das bei Lkw-Transport nur bis 150 Kilometer um das Werk reicht, beträchtlich erweitert werden. Die Mehrzahl der Buchen wird jedoch im nahen Spessart eingeschlagen, wo die Holzverarbeitung Tradition hat. Durch die Weltmarktorientierung der Firma, so wird betont, stelle man keine unmittelbare Konkurrenz zu den kleinen Sägewerken in der Region dar – Holz gibt es angeblich genug in den Wäldern, und der Einschlag geschieht nachhaltig. Die Globalisierung macht das Geschäft indes zugleich anfälliger für Nachfrageschwankungen. Derzeit sind die Lager voll, Kurzarbeit ist angesagt. Das Wachstumspotenzial sei gleichwohl enorm, meint der Architekt: Wenn erst die Chinesen Möbel aus German beech schätzen lernen …db, Do., 2009.06.04
04. Juni 2009 Christoph Gunßer
verknüpfte Bauwerke
Massivholzwerk 3
Ein Gehäuse für das kollektive Gedächtnis
(SUBTITLE) Sächsisches Hauptstaatsarchiv in Dresden
Mit ihrem Erweiterungsbau für das Hauptstaatsarchiv Dresden schufen die Architekten einen Speicher, der konsequent aus der Funktion des Lagerns und des Zurverfügungstellens entwickelt ist. Mit der bereits begonnenen Sanierung der benachbarten Altbauten werten sie den Denkmalbestand auf und verhelfen ihm zugleich zu mehr Funktionalität.
Als trutziger Palast von himmelsstürmender Höhe bietet sich das Hauptgebäude des Sächsischen Staatsarchivs in Dresdens Neustadt dar. Die Schaufassade an der Albertstraße zeigt über einer rustizierten, zweigeschossigen Sockelzone mächtige, kannelierte Pilaster in Kolossalordnung, die sage und schreibe sieben Obergeschosse übergreifen. Zwischen den beiden Pilasterpaaren fassen Wandvorlagen von gleicher Höhe die mittleren drei Achsen ein, die durch ausbuchtende, senkrechte Fensterbahnen mit applizierten Dekorationen aus Kupferplatten betont sind. Über der Traufe des weit vorkragenden Mansarddachs sind zwei weitere Geschosse angeordnet. Auch die übrigen Fassaden des auf einem fünfeckigen Grundriss errichteten, einen Innenhof umschließenden Großbaus geben sich pompös, allerdings nimmt ihre Instrumentierung mit Würdeformen proportional zum Schauwert ab.
Mogelbau des Späthistorismus
Der vom Dresdner Architekten Karl Ottomar Reichelt entworfene, 1915 fertiggestellte Bau ist eine grandiose Mogelpackung des Späthistorismus. Hinter der zwischen einem modernisierten Neoklassizismus, Neobarock und zaghaften Reflexen des Jugendstils schwankenden Pracht der Gebäudehülle verbergen sich fast ausschließlich normierte Magazinräume von rein funktionalem Zuschnitt. In der Sockelzone der Schaufront ist, wie es sich für einen Palast gehört, durch große Maueröffnungen eine repräsentative Eingangssituation angedeutet, doch tatsächlich ist das Gebäude von dieser Seite überhaupt nicht zugänglich. Durch Abstufungen des Dekorapparats wird von außen eine Hierarchisierung der Bauteile vorgenommen, die ein ähnlich differenziertes Raumprogramm vermuten lässt, aber im Innern keine Entsprechung findet: Mit Ausnahme des Kartensaals befinden sich die wenigen Repräsentationsräume des Staatsarchivs nicht im Hauptgebäude, sondern in dem an der Archivstraße angrenzenden, zeitgleich entstandenen Verwaltungsbau, der zwar ebenfalls opulent daherkommt, aber allein schon durch seine von der Albertstraße zurückgesetzte Lage und sein deutlich geringeres Volumen dem Magazinbau untergeordnet ist.
Für hundert Jahre sollten die Lagerkapazitäten des Staatsarchivs reichen. Schon seit der Errichtung von Reichelts Bauten wurde aber auf einem benachbarten Grundstück eine Reservefläche für einen Erweiterungsbau vorgehalten. Durch starken Zuwachs an Archivalien in der Nachwendezeit platzte der Magazinbau bereits etwas früher aus allen Nähten. Zugleich schritt der Verfall der beiden denkmalgeschützten, jahrzehntelang vernachlässigten Altbauten voran. Deshalb lobte der Freistaat Sachsen 2004 einen Architektenwettbewerb aus, der sowohl die Errichtung eines Neubaus als auch die Sanierung des Altbaubestands umfasste. Als Sieger wurde das im Bauen im Bestand erfahrende Büro Schweger Associated Architects gekürt.
Kontrapunkt der zweiten Moderne
Mit ihrem Magazinneubau an der Ecke von Archiv- und Erich-Ponto-Straße, der nach knapp zweijähriger Bauzeit im vergangenen Sommer eingeweiht wurde, setzen die Architekten einen Kontrapunkt zu Reichelts Erstbauten, wie er deutlicher kaum sein könnte. Denn während jene um der repräsentativen Außenwirkung willen die Funktion freizügigst negieren, ist dieser mit seltener Konsequenz aus seiner Funktion entwickelt.
Da ein Speichergebäude möglichst streng mit seinen Flächen und Volumina haushalten muss, entschieden sich die Architekten für die kompakte, raumsparende Form eines Quaders. Durch diesen Mut zur Reduktion schufen sie auf nur 6200 Quadratmetern Hauptnutzfläche – und damit 800 Quadratmetern weniger als in der Wettbewerbsausschreibung vorgesehen – Platz für die geforderten 32 Regalkilometer Archivgut und 460.000 Landkarten. Die fast vollständig geschlossenen Fassaden ermöglichen nicht nur die optimale Raumausnutzung durch Vergrößerung der Stellflächen, sondern erleichtern auch den Schutz der Archivalien vor Tageslicht wie vor klimatischen Schwankungen und vereinfachten, dank Reduzierung der Wärmeverluste, die im Wettbewerb geforderte Einhaltung des Passivhausstandards.
Das gut 15 Millionen Euro teure Gebäude ist einfach organisiert: Auf sechs oberirdischen und drei unterirdischen Geschossen gruppieren sich in der Regel vier große, rechteckige Räume um einen Erschließungskern, der Treppe, Aufzug und Installationsschächte aufnimmt. In jedem zweiten Geschoss wird die Raumdisposition gegenüber dem Kern um neunzig Grad gedreht – ein Prinzip, das an den Fassaden durch eine versetzte Anordnung der wenigen Fenster ablesbar ist. In den nur 2,38 Meter hohen Magazinräumen sind platzsparende Rollregalanlagen installiert, die einen schnellen Zugriff auf die Archivalien ohne Zuhilfenahme von Leitern erlauben. Mächtige Unterzüge tragen die Decken, deren zulässige Lasten etwa dreimal höher sind als im Bürobau. Dicke Stahltüren sollen im Brandfall die Ausbreitung des Feuers verhindern, die im Normalbetrieb nicht zu öffnenden Fenster die Entrauchung sicherstellen. Die Raumtemperatur beträgt konstant 18 Grad, die Luftfeuchtigkeit 51 Prozent. Einzig das Erdgeschoss weicht mit drei Metern Raumhöhe und einer großzügigeren Durchfensterung von dem spartanischen Regime des Baus ab, denn hier befinden sich die Restaurierungswerkstätten des Archivs und damit auch dauerhafte Aufenthaltsorte seiner Mitarbeiter. Ein unterirdischer Gang verbindet den Neubau mit dem Verwaltungs- und Magazinaltbau, wo die Archivalien künftig den Nutzern zugänglich gemacht werden.
Der Speicherfunktion des Erweiterungsbaus entspricht auch dessen äußere Erscheinung. Mit seiner Kantigkeit und den geschlossenen Mauerflächen strahlt er die Massivität eines in sich ruhenden, bergenden Gehäuses aus, das durch nichts erschüttert werden kann. Schwer und abweisend wie ein Bunker wirkt dieser Quader auf den ersten Blick. Bei näherem Hinsehen aber zeigen die scheinbar minimalistischen klinkerverkleideten Fassaden mit ihren wenigen Fenstereinschnitten nicht nur eine sorgfältig ausbalancierte Gesamtkomposition, sondern auch Hingabe an das Detail. Hier gibt es viel zu entdecken: Man bemerkt die unterschiedlichen Formate der im »Wilden Verband« vermauerten Vollklinker, ihr dezentes, zwischen Creme- und Sandtönen changierendes Farbspiel und die feine Reliefbildung, die sich durch die Unebenheit der Ziegel ergibt. Durch leicht eingerückte Ziegelreihen entstehen außerdem, gleichsam als Negativform eines Gesimses, umlaufende Linien, die, mit der erwähnten paarweisen Geschossanordnung im Innern korrespondierend, jeweils zwei Stockwerke zusammenfassen. Und wer ganz genau hinschaut, wird im Verlauf dieser Linien und in der Mitte der von ihnen gebildeten horizontalen Zonen offene vertikale Fugen ausmachen, die den Hohlraum zwischen der Stahlbetonkonstruktion des Gebäudes und seinem Klinkergewand belüften und zugleich kaum merklich jedes Einzelgeschoss akzentuieren.
Bei einem genaueren Blick stellt man auch fest, dass der Neubau bei all seiner Eigenständigkeit nicht als totaler Ignorant oder gar Provokateur seiner Nachbarn auftreten will. Leicht aus der Bauflucht der Archivstraße gedreht, verweigert er sich zwar einer linearen Fortsetzung der Gebäudereihe von Magazinaltbau und Verwaltungsbau. Durch die Drehung fügt er sich aber in die Flucht der Erich-Ponto-Straße ein und bemüht sich damit um einen Bezug zum benachbarten Neorenaissancebau des Sächsischen Justizministeriums. Und dennoch: Ganz ohne Konflikt geht es in dieser Kohabitation nicht zu. Vor allem das programmatische Flachdach des Neubaus lässt sich in dem von kaiserzeitlicher Architektur geprägten Umfeld kaum sozialisieren. Funktionalistische Konsequenz geht hier zulasten gutnachbarlichen Miteinanders.
Respektvolles Weiterbauen am Denkmalbestand
Der Konflikt wird sich allerdings wohl ein wenig entschärfen, sobald der Magazinaltbau und der Verwaltungsbau saniert sind. Zumindest farblich wird der Quader dann, wie von den Architekten beabsichtigt, mit den von Dreckschichten freigelegten Sandsteintönen der Nachbargebäude harmonieren. Neben der Restaurierung des Bestands, darunter auch der mit kostbaren Holz- und Keramikverkleidungen dekorierten, bemerkenswert gut erhaltenen Repräsentationsräume, sind bis zum Winter 2010/11 einige alles in allem denkmalverträgliche Umbauten geplant. So entsteht etwa anstelle des simulierten Eingangs an der Schauseite des Magazinaltbaus der neue Haupteingang, der in das durch einen Deckendurchbruch geschaffene Foyer führt. Dahinter öffnet sich ein großzügiges, fast die gesamte Gebäudehöhe einnehmendes Atrium, das durch eine Stahl-Glas-Überdachung des Innenhofs entsteht. Dieser imposante Raum wird als Besucherzentrum dienen, um das sich die künftigen Lesesäle gruppieren. So wird der Magazinaltbau schließlich doch noch zum repräsentativen Mittelpunkt des Archivensembles, und die großen Gesten seiner Fassaden erhalten nachträglich ihren Sinn.db, Do., 2009.06.04
04. Juni 2009 Arnold Bartetzky
verknüpfte Bauwerke
Sächsisches Hauptstaatsarchiv
Kultiviertes Hochregal
(SUBTITLE) Logistikzentrum Erbe Elektromedizin in Tübingen
Hochregallager stehen zumeist in der Landschaft wie die Kaaba von Mekka: kontext- und maßstabslos, unzugänglich und dunkel, ein Fall für Dekorateure. Doch damit gaben sich Architekt und Bauherr hier nicht zufrieden. Sie gestalteten den Block nicht nur mit Finesse, sie »verpackten« ihn auch mit Büros, die dem Logistikzentrum ein Gesicht geben.
Der Logistikplaner hätte halt eine Kiste hingesetzt, womöglich an einem geräumigeren, verkehrsgünstigeren Standort. Das schwäbische Familienunternehmen, das in Tübingen seit über 150 Jahren Medizintechnik entwickelt und produziert, wollte aber sein High-tech-Image im neuen Gebäude repräsentiert sehen und legte Wert auf kurze Wege zwischen Produktion und Lagerbetrieb. Also wandte man sich wieder an den »Hausarchitekten«, der bereits seit 25 Jahren die bauliche Entwicklung am einzigen Standort der Firma im Tübinger Vorort Derendingen gestaltet. Verwaltung, Forschung und Produktion waren von ihm linear entlang der angrenzenden Kreisstraße aufgereiht worden und sollten nun im neuen Lager und Verteilzentrum am südlichen Ende ihren – vorläufigen – logischen Abschluss finden.
Eine engagierte Mitarbeiterin übernahm das Projekt; etliche Varianten wurden ausgearbeitet, um eine sinnvolle Integration des Anbaus in den Bestand, eine praktikable Erschließung für Lieferanten und – nicht zuletzt – auch ein schlüssiges Erscheinungsbild zu erreichen. Die Hierarchie der Funktionen, mit der Verwaltung als Kopf, sollte gewahrt bleiben und »der Kopf nicht mit dem neuen Schwanz wedeln«, so der Wunsch des Bauherrn.
Komplexes logistisches Raumprogramm
Gleichwohl würde das neue Hochregallager mit knapp fünfzehn Metern Höhe den ein- bis zweigeschossigen Bestand mächtig überragen. Das Raumprogramm sah auf gut 1500 Quadratmetern sechs verschiedene Lagerbereiche vor: ein automatisches Kistenlager mit Platz für knapp 5000 Tablare von der Größe eines Backblechs – hier werden kleinere Pakete von rasant auf- und abgleitenden Hebezeugen verwaltet; nur fünf bis zehn Sekunden dauert ein Zugriff in dieses Depot. Daneben gibt es das eigentliche Hochregallager für größere Traglasten, wo – ebenfalls führerlose – Gabelstapler mit regulären Paletten bis zu einer Lagerhöhe von 11,75 Metern hantieren. 14 562 Kisten und Geräte finden hier Platz, sowohl für den Warenein- als auch den -ausgang. Verstaut wird nach dem gängigen Chaos-Prinzip, das heißt, wo gerade Platz ist. Die interne Logistik basiert auf dem etablierten Kanban-System, das den Nachschub für die einzelnen Fertigungsstufen als selbststeuernde Regelkreise organisiert; im Gegensatz zu zentral gesteuerten Lagersystemen melden hier die einzelnen Produktionsebenen der jeweils vorgelagerten Ebene ihren aktuellen Bedarf an Lagereinheiten und lösen gegebenenfalls eine Nachbestellung aus. Das macht den Fertigungsprozess flexibler und minimiert die Lagerhaltung. Separat gibt es noch ein Block- und Gasflaschenlager sowie eines für Sterilgut.
Büros als Gesicht
Den hohen Lagern zuzuordnen waren Bereiche für Kommissionierung, Warenein- und -ausgang sowie dazugehörige Büros. Da auf dem engen Restgrundstück wenig Spielraum für das Rangieren großer Lkws blieb und sogar noch eine spätere Erweiterungsfläche reserviert bleiben sollte, entschied man sich für die kompakte, zweigeschossige Anordnung dieser
Zusatzfunktionen zur Kreisstraße hin.
Die Büros prägen hier also das Gesicht des Areals, während die größeren Laderampen an der Schmalseite leicht abgesenkt angeordnet sind. Die Gebäude verlängern die bestehende Bauflucht; für die Anlieferung wurde ein Teil des angrenzenden Altbaus umgenutzt. Innenräumlich sollten die verschiedenen Bereiche möglichst offen gestaltet werden, um Fahrzeugen wenige Hindernisse zu bieten und Tageslicht in die Tiefe des Gebäudes zu holen. Lediglich zwischen Alt- und Neubau musste eine Brandwand errichtet werden, ansonsten überschaut man von der internen, sämtliche Bauabschnitte durchziehenden »Straße« alle Bereiche.
Fensterbänder erweitern das Blickfeld bis in die Umgebung; Oberlichter und die auf die Regalgassen abgestimmten Fensterschlitze im Hochregallager sorgen für eine angenehme Helligkeit. Umgekehrt ist die interne Offenheit und großzügige Verglasung bei Nacht von außen eindrucksvoll zu erleben. Dann scheint das Gebäude fast zu schweben. Überraschend wirkt vor allem die Farbigkeit im Inneren des metallgrauen Bauwerks.
Kühle Haut und farbige Organe
In dem Kontrast von innerer und äußerer Erscheinung sieht Projektleiterin Maren Dannien eine Parallele zu einem Organismus, der auch eine einheitliche Haut und vielfarbige Organe habe. Während also das Äußere des Anbaus und der umgenutzte Teil des Altbaus durch Aluminium in unterschiedlicher Form geprägt werden, strahlen die Bauteile drinnen in Signalfarben: die Betonstützen grellgelb, die Regale blau, das Sprinklersystem rot. Die eingestellten, von der Hallenkonstruktion durch eine Schattenfuge abgesetzten Büros bekommen einen Anstrich von Wohnlichkeit durch den in Wischtechnik aufgetragenen Putz. In den Büros im Obergeschoss kontrastiert eine Basis aus Französisch Blau mit warmen Kirschholz-Elementen.
Konstruktion und Fassade
Die Konstruktion hatte vor allem große stützenfreie Räume zu schaffen und bietet wenig Spektakuläres. Wegen des schwierigen Baugrunds und der empfindlichen Lagergerätschaften mussten die Bodenplatte vierzig Zentimeter stark mit einem Meter Unterbau und der Magnesiaestrich millimetergenau ausgeführt werden. Für den Lagerbereich wurde ein Stahlskelett konstruiert; über dreißig Meter werden hier stützenfrei überspannt. Den vorgelagerten, zweigeschossigen Gebäudeteil trägt aus Brandschutzgründen ein Stahlbetonfertigteilskelett. Hier liegen die Spannweiten bei bis zu vierzehn Metern. Die Außenwände bestehen aus einer industriebautypischen Stahl-Sandwich-Konstruktion.
Die Fassadengestaltung verdient zum Schluss eine nähere Betrachtung: Industriebau und Baukultur gehen ja eher selten eine Verbindung ein. Früher von Waschbeton, Faserzement oder Trapezblechen dominiert, kleiden sich Hallen wie Büros heute gern in Aluminium. Die Inflation dieses »neutralen«, pflegeleichten Baustoffs ist nicht nur unter dem Energie-Aspekt problematisch – angeblich wird mehr als die Hälfte der Weltstromerzeugung für die Elektrolyse und Verarbeitung dieses Metalls verbraucht, von den Umweltschäden bei der Gewinnung von Bauxit ganz abgesehen. Hier indes wurde der Baustoff, anders als bei Aldi und Co., mit Bedacht und Sorgfalt verwendet. Zum einen soll er einen materiellen Bezug zu den High-tech-Produkten der Firma herstellen, die in der Mehrzahl aus Metall bestehen, weshalb auch auf äußerst präzise Verarbeitung Wert gelegt wurde. Die Fassadengliederung verweist zudem, abstrakt, aber nachvollziehbar, auf den Inhalt der Gebäude.
Während der zweigeschossige Teil mit seiner gefalzten Bandstruktur und den Vordächern eine tektonische Reminiszenz an Tragen und Lasten darstellt – auch wenn die Fassade an einem Stahlskelett hängt und die Vordächer nur aus leichtem Attikablech bestehen –, sollen die vertikal montierten, in drei Grauschattierungen gehaltenen Paneele Assoziationen an das vertikal gestapelte Lagergut wie auch an Strichcodes wecken. Ornament als Versprechen, sozusagen.
Subtil ist insbesondere die Unterteilung der Fassade in fünf übereinander »gestapelte« Schichten, deren Höhe von unten nach oben zunimmt (von etwa zwei auf vier Meter). Dies hat wiederum keinen konstruktiven Bezug zum Innenraum, ergibt aber eine reizvolle scheinperspektivische Verkürzung der Bauhöhe. Der variierende Glimmer-Anteil der Lackierung entmaterialisiert die Fassade zusätzlich. Diese Finessen und die geschickte Gliederung der Baumassen auf engem Grund trugen dem Gebäude im vorigen Jahr eine Auszeichnung »guter Bauten« des Bundes Deutscher Architekten ein. Das Logistikzentrum sei »wegweisend für intelligenten Industriebau«, heißt es in der Begründung.db, Do., 2009.06.04
04. Juni 2009 Christoph Gunßer
verknüpfte Bauwerke
Logistikzentrum Erbe Elektromedizin