Editorial
Einzelne Festsetzungen in Bebauungsplänen und vor allem in Gestaltungssatzungen können manchen ambitionierten Traum vom besonderen Zuhause schnell zum Luftschloss werden lassen. Die in dieser Ausgabe versammelten Projekte haben auf den ersten Blick nur eines gemeinsam: Es sind ausnahmslos Wohngebäude relativ kleiner Dimension. Der Schwerpunkt liegt dabei jedoch nicht auf dem Typus des Einfamilienhauses. Die Auswahl zeigt stattdessen auf, wie findige Entwerfer aus der Not knebelnder Restriktionen eine gestalterische Tugend machten. Oftmals haben dabei Architekten und Bauämter gemeinsam Möglichkeiten gefunden, guter Architektur und damit Baukultur einen Weg durch das Dickicht der Verordnungen und Auflagen zu bahnen. Qualitäten lassen sich allerdings auch mit einem völlig bebauungsplankonformen Ansatz herausbilden. red
Inhalt
Diskurs
03 Kommentar
Nobilissima Visione? – drohender Abriss der Bonner Beethovenhalle | Wolfgang Pehnt
06 Magazin
12 Letters from UK: Prince Charles' hitzige Liebe zur Architektur | Alex Haw
14 Im Blickpunkt
IBA 2010 in Sachsen-Anhalt | Cornelia Heller
Schwerpunkt
18 Bebauungsplankonform
19 Zum Thema – Inspiration oder Ärgernis? Städtebau zwischen Recht und Kunst | Rüdiger Krisch
22 Wohnhaus in Kronberg, Taunus Meixner Schlüter Wendt Architekten | Christoph Gunßer
30 Häuser für amerikanisches Wohnen in Rodenbach, Pfalzbayer | uhrig Architekten | Matthias Castorph
36 Wohnhaus in Wormeldange (L), Hermann Valentiny et Associés | Karl R. Kegler
42 Wohnanlage »22 Tops« in Wolfsberg (A), Holodeck Architects | Isabella Marboe
48 Villa in eDE (NL), Powerhouse Company | Anneke Bokern
Empfehlungen
56 Kalender
56 Ausstellungen
Moderne Moscheebauten (Augsburg) | Klaus F. Linscheid
Klaus Kinold (München) | Klaus F. Linscheid
58 Neu in...
...Graz (A) | Karin Tschavgova
...Kopenhagen (DK) | Clemens Bomsdorf
...Kaiserslautern | Matthias Castorph
60 Bücher
Trends
Energie
62 Das Zertifizierungssystem »Deutsches Gütesiegel Nachhaltiges Bauen« | Natalie Eßig
Technik Aktuell
66 Akustische Gestaltung von Kindertagesstätten | Dieter Ben Kauffmann, Philip Leistner, Andreas Theilig
Produkte
72 Produktberichte: Heizungs-, Klima-, Lüftungstechnik, Sanitärausstattung | Monika Zydeck
82 Schaufenster Glas | Monika Zydeck
84 Schwachstellen
Schäden durch neue Baustoffe und Bauweisen | Rainer Oswald
90 Planer / Autoren
91 Bildnachweis
92 Vorschau / Impressum
93 Detailbogen
Kronberg im Taunus: Haus F (Meixner Schlüter Wendt Architekten)
Zwillingshäuser
(SUBTITLE) Häuser für amerikanisches Wohnen in Rodenbach
Mitten hinein in die vielfältigen Wohnträume einer Eigenheimsiedlung setzten die Architekten zwei Doppelhäuser, die demonstrieren, dass auch unter Berücksichtigung aller Vorgaben Baukultur entstehen kann. Dabei ging es nicht nur darum, den Absichten, die mit dem Bebauungsplan verfolgt werden, zu entsprechen. Die Häuser müssen auch den unterschiedlichen Ansprüchen wechselnder Mieter gerecht werden, die sich aus der nahe gelegenen Ramstein Air Base rekrutieren.
»Auch die beste Gestaltung der einzelnen Bauformen […] kann nichts frommen, wenn die große Form, die sie alle zusammenfasst, unzweckmäßig und hässlich ist. […] Umgekehrt ist es natürlich auch nicht zu vergessen, dass selbst die besten Bebauungspläne nichts frommen, wenn die Formen der Bebauung ihrem Sinn stracks entgegenlaufen und die jämmerlichen Formen unsrer heutigen Bauerei jeder Baugruppe ihren Stempel aufdrücken.«
Diese Feststellung von Paul Schultze-Naumburg hat auch nach über hundert Jahren noch Aktualität, wenn man die gebaute Realität in den Wohnsiedlungen in der Agglomeration betrachtet. Denn an der Fragestellung, wie Gesamtqualität von Siedlungen entstehen kann, in gegenseitiger Abhängigkeit von Einzelinteressen und öffentlichem Willen, individueller Architektur und Bebauungsplan, hat sich bis heute nichts geändert und lässt sich in jedem Neubaugebiet nachvollziehen.
Üblichkeitsbauten und Normalhausparadox
Die Wohnsiedlung, die in den letzten zehn Jahren am Dorfrand des westpfälzischen Rodenbach, einem Vorort von Kaiserslautern, entstand, besteht aus Einfamilien- und Doppelhäusern, die vorrangig an amerikanische Militärangehörige der nahe gelegenen Ramstein Air Base vermietet werden. Ein qualifizierter Bebauungsplan mit Gestaltungssatzung regelt die Genehmigungsfähigkeit. Die mediokre Gesamterscheinung des Ortsteils summiert sich aus den bunten Üblichkeitsbauten, mit ihren landläufig immergleichen formalen Ausblühungen der Erker, Gauben, Wintergärten, Tonnendächer, Säulenportale und den öden Vorgärten an den Wohnstraßen.
Bemerkenswert sind nur zwei Einfamilienhäuser in hellen Grautönen, die zwischen den anderen Bauten an der Südgrenze des Baugebietes stehen und durch ihre relative Zurückhaltung auffallen. Wie Zwillinge, baugleich, lediglich horizontal gespiegelt, markieren sie an den Abzweigungen, die hangaufwärts ins Neubaugebiet führen, die Straßenecken.
Die beiden Satteldachhäuser zeigen sich zum Hang hin traufständig, hangabwärts zweigeschossig, mit großen Öffnungen, bergwärts eingeschossig, mit kleinen Fenstern, die die Nebenräume belichten. Der Gebäudetyp ist für die Situation sinnfällig, die Aufenthaltsräume sind nach Süden hin ausgerichtet und die Erschließung sowie die Bäder und die Küche zum Hang hin nach Norden in einer schmalen Nebenraumzone. Die drei Individualräume im Obergeschoss sind nutzungsneutral geschnitten, das lang gestreckte Wohn- und Esszimmer im Erdgeschoss beansprucht die ganze Hausbreite und ist dreiseitig belichtet. Davor liegt über die gesamte Hausbreite eine ¬Veranda, die über die in den Hang eingeschnittene Einfahrt der im Keller liegenden Garage auskragt. Die hellen Markisen können die gesamte Veranda schließen und schaffen so einen sommerlichen Zusatzraum, der das schmale Wohnzimmer ideal erweitert. Auch Konstruktion und Materialität sind der Bauaufgabe und dem Umfeld angemessen: Betondecken und verputzte Ziegelwände mit Wärmedämmverbundsystem, das die Anforderungen der EnEV erfüllt. Graue Dachsteine sowie Holzfenster und einfache, braunschwarz gestrichene Stabgeländer ergeben im Wesentlichen das Bild eines »normalen« Hauses.
Der darüber hinausgehende formale Anspruch der Architekten zeigt sich in der subtraktiven Verformung des Baukörpers auf der Giebel- und rückwärtigen Eingangsseite. Statt additiver Vordächer und Vorbauten ergibt sich durch das skulpturale, winkelförmige Einziehen des Baukörpers die lang gestreckte Vorzone zum Hauseingang, in die auch die außen liegende Keller- und Garagentreppe mündet. Die Schnittflächen sind an Wand und Decke heller abgetönt und verstärken so die räumliche Wirkung. Im Gesamten eine ruhige und nachvollziehbare Architektur, die auf Nutzung, Lage und Budget zugeschnitten ist.
Die besondere Qualität liegt in der Selbstverständlichkeit, mit der auf die rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen reagiert wird: Man verkünstelt sich nicht in ambitionierten Details und gestalterischen Dogmen, sondern baut konventionelle »Normallösungen« wie zum Beispiel eine knapp vorgehängte Regenrinne, die den Dachrand klar akzentuiert. Eine Gestaltung, die nicht versucht, notwendige Bauteile mit hohem konstruktivem Aufwand und Schadensrisiko zu verbergen, sondern gestalterisch zu bewältigen. Man fragt sich, wenn man die Nachbarschaft betrachtet, warum dieses anscheinend so unspektakuläre Vorgehen offensichtlich der Sonderfall ist. Warum ist das Normale das Besondere?
Annahme
Warum entstand hier in den beiden Einzelgebäuden Qualität, während dies bei den Bauten der Umgebung, die identische Anforderungen an Gebrauchsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit haben, offensichtlich nicht der Fall ist? Am Bebauungsplan kann es wohl nicht liegen, da doch alle Häuser im Neubaugebiet den gleichen Festsetzungen, die klar und nachvollziehbar formuliert sind, unterliegen. Wenige Festsetzungen regeln die Nutzung der Grundstücke (Bauraum, Wandhöhe und Geschossfläche), und die in den B-Plan integrierte Gestaltungssatzung reglementiert im Rahmen der gesetzgeberischen Möglichkeiten die Gestaltung der Dächer, Fassaden, Anbauten und Nebenanlagen.
Der Grund dafür ist, dass Bayer | Uhrig die Bedingungen des Bebauungsplans einfach angenommen haben. Ganz ohne Befreiungen, ohne ironische Reflexion der Festsetzungen und ohne die baurechtlichen Möglichkeiten bis zum Letzten auszuschöpfen, haben sie den Bebauungsplan als abstrakten Kontext und Möglichkeitsraum akzeptiert und im Freistellungsverfahren gebaut.
Denn wie will man sonst an einem Ort Hinweise für relevante Entwurfsentscheidungen bekommen, wenn Geschichte, Landschaft, Nutzung oder besondere Lebensweise im Kontext der überplanten Zersiedelungsflächen der Vorstadt fehlen, die dem Entwurf Impulse geben können?
Die Architekten verfolgen eine an sich sehr nahe liegende Strategie, die allgemein jedoch in Vergessenheit geraten zu sein scheint: einen Bebauungsplan als das anzunehmen, was er ist; eine möglichst gerechte wirtschaftliche Verteilung von Baurecht gepaart mit einer Gestaltungssatzung, die die wildesten Ausblühungen vermeiden will, und darin ein Haus entwerfen, das in der Alltäglichkeit bestehen kann. So einfach könnte es sein, auch im Unterschied zu den Planern, die sich in ihrer ambitionierten kreativen Freiheit eingeschränkt fühlen und märtyrerhaft, von Juristen unterstützt, in Auseinandersetzungen mit den Behörden für die in ihren Augen allein selig machende »Befreiungsarchitektur« der spektakulären Einzelbauten kämpfen.
Selbsterfüllende Prophezeiungen
In der Nachbarschaft führt das Prinzip der Grundflächenarithmetik dazu, dass sich Baukörper nicht nach architektonischen Gesichtspunkten entwickeln, sondern aus Gründen der Flächenmaximierung in alle Richtungen verformen. Im Bebauungsplan benannte Einschränkungen für Bauelemente (Gauben, Zwerchgiebel, Vor- und Rücksprünge), kommen anscheinend allein schon ihrer Erwähnung wegen reflexhaft zur Anwendung. Gestaltfestsetzungen als architektonische Musterbücher des 21. Jahrhunderts?
Vielleicht sind die ausufernden Bauformen mit den formalen Ausblühungen auch in der Haltung begründet, man müsse so bauen, wie es sich ein zukünftiger Nutzer vielleicht wünschen könnte – selbsterfüllende Prophezeiungen?
Normalhaus
Erwartungsbildern lassen sich die Zwillingshäuser in Rodenbach nicht so leicht zuordnen. Ihre Erscheinung beziehen sie aus einfachen, modernen architektonischen Operationen, wie zum Beispiel der volumetrischen Verformung des Hauskörpers oder dem Ablösen des Gebäudes vom Gelände sowie der großzügigen Verteilung der notwendigen Öffnungen – eine an sich bild- und methapherfreie Architektursprache. Es ist eine Architektur entstanden, die gerade ohne die heute gerne in der Fachpresse und von den Architekten evozierten Bilder auskommen kann und sie nicht für ihre Legitimation benötigt. Da ist es eigentlich unnötig, darüber zu spekulieren, ob man die Veranda als Anklang an den Porch eines Südstaatenhauses und die drei Fenster im Obergeschoss als die drei Dachgauben der Heimstatt der Waltons interpretieren möchte oder bei den Außenanlagen vielleicht ungewollt an Cézannes Bahndurchstich erinnert wird.
So stehen die beiden Häuser wie selbstverständlich entlang der Straße, die aus dem Dorf herausführt; spiegeln akzentuiert Elemente der im Ort vorhandenen dörflichen Alltagsbauten und zeigen, wie einfach es eigentlich trotz aller Zwänge sein könnte zu bauen, ohne auf architektonischen Anspruch zu verzichten. Da fügt es sich, dass man sich die Bauplätze an verschiedenen Ecken im Baugebiet mit gleicher Ausrichtung und Hangneigung geschickt aussuchen konnte – nicht nur um Zwillingshäuser als städtebaulichen Akzent in die heterogene Umgebung einzustreuen – sondern auch ganz pragmatisch, um einen Entwurf zweimal – einfach gespiegelt – verwenden zu können.db, Fr., 2009.05.01
01. Mai 2009 Matthias Castorph
verknüpfte Bauwerke
Zwillingshäuser in Rodenbach
Inspiration B-Plan
(SUBTITLE) Wohnhaus in Kronberg/Taunus
Baurechtliche Vorgaben werden von Architekten häufig als lästige Einschränkung ihrer Kreativität empfunden. Nicht so in diesem Fall: Hier löste der Bebauungsplan, frei interpretiert, eine ambivalente Verwandlung aus. Gepaart mit dem Spieltrieb der Entwerfer, gerann die Regel »Satteldach« zum schrägen Flugobjekt, das alle Blicke auf sich zieht.
Eigentlich wünschte der Bauherr ein Flachdach, kannte er doch frühere Häuser der Architekten, die stets eine mehr oder minder abstrakte Quaderform angenommen hatten (vgl. db 9/2007, S. 54–60 ). Nun besaß die fünfköpfige Familie aber im piekfeinen Kronberg ein Grundstück, dessen Bebauung durch einige baurechtliche Auflagen beschränkt war. Insbesondere wurde ein Satteldach verlangt.
Alltägliches wahrzunehmen und neu zu deuten – das reizt die Architekten Claudia Meixner, Florian Schlüter und Martin Wendt seit Langem. Also akzeptierten sie die Vorgaben des B-Plans und begannen mit dem Thema des »klassischen Hauses« zu spielen …
Am Anfang stand die Teilung des Hauses in eine offene Wohnebene, welche sich mit dem Rest der alten Obstwiese ringsum verbinden sollte, und eine geschlossenere Etage darüber für Schlaf- und Kinderzimmer. Damit war die Aufständerung beschlossen. Ein scheinbar über dem Gelände schwebender Baukörper sollte es sein.
Bauvoranfrage für ein Nashorn
Aus der ins Baufenster passenden länglichen Kiste wurde im Verlauf des Spiels die Kiste mit Knick, die Kiste mit Einkerbungen, Höfen, schließlich schrägte einer der Partner die Kanten gemäß der B-Plan-Vorgabe ab: 30 bis 35 Grad Dachneigung verlangte dieser, bei festgelegter Traufhöhe. Es war nun ein Satteldach, nur eben schwebend.
In dieser Phase des Mini-Modells habe die Form noch etwas von einem Nashorn gehabt, meint Florian Schlüter. War ein Nashorn genehmigungsfähig?
Es begann das Verhandeln. Der Bauvoranfrage fügte man sicherheitshalber Fotos dessen bei, was in benachbarten Baugebieten mit ähnlichen Reglements möglich gewesen war: eine erstaunliche Kakophonie, ernüchternd, was den Effekt baurechtlicher Bestimmungen betrifft – sollen sie doch eigentlich für ein harmonisches Gesamtbild sorgen!
Der örtliche Baudezernent zeigte sich denn auch offen für das schwebende Satteldach: »Schöne Architektur – nur schade, dass das Grundstück nicht größer ist!«, soll er gesagt haben. Er wusste wohl schon, in welchen Dimensionen der Nachbar plante.
Trotz deutlich abweichender Dachneigung – 26 Grad südlich, 9 Grad gen Norden – und Überschreitungen bei Traufhöhe und Baufenster passierte der Bauantrag den zuständigen Ausschuss. Am krassesten sollte jedoch die Materialwahl abweichen: Nicht Putz oder Holz, sondern dunkles Aluminiumblech umhüllt den Baukörper. Vermutlich weil dieses farblich dem regionaltypischen Schiefer ähnelt, gab es dennoch den Baufreigabeschein.
Besuch vor Ort: krasse Kontraste
Wer heute in die enge Stichstraße einbiegt, sieht Baukulturen aufeinanderprallen. Geld allein – und bei Baulandpreisen um die tausend Euro für den Quadratmeter geht es hier um sehr viel Geld – macht auch architektonisch nicht glücklich, das sieht man hier. Neben dem konventionellen Massivbau des Nachbarn mit steilem, schwarz glasiertem Ziegeldach nimmt sich unser Haus zurückhaltend, geradezu zierlich aus. »Tarnkappenbomber« hat man es getauft, seit sich die falzlose Blechverkleidung um die (übrigens ebenfalls konventionelle) Konstruktion gelegt hat und die beweglichen »Landeklappen« über die Terrasse kragen – diese lassen sich mittels integrierter Elektromotoren hochschwenken, um mehr Licht in den Wohnraum zu lenken. Ganz so teuer wie ein Kampfjet wird das Objekt nicht gewesen sein, doch eine so raffinierte Spezialanfertigung hatte gewiss ihren Preis, den zu nennen die Bauherren sich scheuen.
Aus dem als Weiße Wanne ausgeführten Keller ragen die eingespannten Rundstützen und tragen (mit dem aussteifenden Treppenkern) die Betondecke und -längsseiten des Obergeschosses. Zwischen letzteren spannen Holzbalken, darauf folgt Holzschalung, Dichtbahn, Blechpaneele, hinterlüftet. So weit, so normal, ein wenig ruft die Hülle tatsächlich die dunklen Schindelhauben der siebziger Jahre ins Gedächtnis. Auch haustechnisch bietet der Bau nur Standard, er kommt ohne Lüftungssystem aus, eine Gasbrennwerttherme für Warmwasser und Fußbodenheizung reckt ihr Abgasrohr durchs Dach. Die Fenster bleiben mit gewöhnlicher Zweischeibenverglasung gleichfalls im Rahmen, und sie schließen nicht einmal moderne-typisch bündig mit der Außenhaut ab, was an der Absturzsicherung für die Kinder liegt. Die Glasfassade zu ebener Erde ist rahmenlos ausgeführt, an den Ecken verklebt, Schiebetüren lassen sich talwärts öffnen.
Die »Möblierung« der »hindurchfließenden« Wiese (O-Ton Architekten) mit eingestellten Volumina ist ablesbar: Die Küche und das Atelier der Hausherrin sind unter das schwebende Dach gerückt und durch Glasstreifen abgesetzt. Abgesenkt wie diese Räume ist leider auch der Hauseingang auf der Bergseite (wegen der Traufhöhenbeschränkung im B-Plan!), was dann, mit Verlaub, eher nach Kellereingang aussieht, indes die Offenheit dahinter um so mehr wirken lässt.
Rein vom Wohngefühl her ließe sich auch fragen, ob es so angenehm ist, auf der Terrasse »wie unterm Auto« zu stehen (Zitat Schlüter). Die dunkle Unterseite der »Landeklappen« wird der eine oder andere schon als sehr schwer und lastend empfinden. Aus gutem Grund wurde die technische Metapher im Innenraum verlassen. Dezente Grautöne und Weiß prägen hier neben dunklen Schiefer- und Parkettböden die Räume.
Poetisierung des Prosaischen
Woran sich alle, positiv oder negativ, erregen, ist also keineswegs eine Eleganz der Geste, technische Raffinesse oder die Delikatesse der Details. Moderne Villen diesen Typs wurden schon viele gebaut.
Spektakulär neu ist einzig die Form, die mit den Deutungen spielt. Wer sie auf den »Tarnkappenbomber« reduziert und damit nur den Technik-Fetischismus Porsche-fahrender Architekten verwirklicht sieht (nebenbei: Die Architekten fahren keinen Porsche), greift zu kurz. Eine gewisse Genugtuung über die listige Umdeutung des Bebauungsplans – zugestanden. Den Architekten ging es aber um mehr.
Zum einen ist es ihnen gelungen, den wirklich wunderschönen Baugrund mit dem fremdartigen Objekt nur (scheinbar) »leicht« zu besetzen, ihn nicht wie die Nachbarn zuzubauen. Vielleicht ist das Ding mitsamt seinen Bewohnern hier ja nur zu Besuch? Bodenständige Leute sind die Bauherren jedenfalls nicht gerade.
Aber nein, nomadisch ist das Gebäude dann doch nicht. Denn zum anderen ruft es mit seiner Kontur das Wesen von Behausung in Erinnerung – das Dach, das jedes Kind einem Haus verpasst. Verfremdung macht sichtbar, das ist ein Merkmal der künstlerischen Avantgarde (der sich die Architekten mit ihrem inzwischen internationalen Renommee durchaus zurechnen). »Poetisierung des Prosaischen« hat das einmal jemand genannt.
So überhöht das Haus den Ort, macht ihn zum Wohn-Ort und setzt zugleich ein Zeichen gegen die Banalisierung des Bauens ringsum.
Weil es so spielerisch-provokant die Grenzen des Möglichen auslotet, wird das Haus sogar in Lifestyle-Magazinen herumgereicht. Tabu-Bruch zieht immer, und wenn es nur einen Zehn-Sekunden-Kick bringt.
Dabei möchten die Architekten nicht mit jenem »expressiven Geballere« (Schlüter) in einen Topf geworfen werden, welches derzeit die mediale Präsenz von Architektur stark prägt. CAD-Renderings à la Frank Gehry oder Zaha Hadid entbehren jedweder Bodenhaftung, bleiben beliebig. Seit Bilbao hat ein Kult des Noch-nie-Dagewesenen Investoren wie Bürgermeister ergriffen. Baurechtliche Bedenken werden von solch »großen Würfen« selbstverständlich hinweggefegt.
Das gemeine Wohngebiet fiel bislang freilich eher nicht in diese Kategorie. Wie unser Beispiel lehrt, muss das nicht von Übel sein.
Während wir den Kronberger Bebauungsplanern für die Mithilfe an diesem »schrägen« Entwurf nur danken können, bleibt leider festzustellen, dass der Zweck ihres Planens ansonsten gründlich verfehlt wurde. Dem Neubaugebiet bleibt nur zu wünschen, dass üppiges Grün sich rasch über die disparate Nachbarschaft legt.db, Fr., 2009.05.01
01. Mai 2009 Christoph Gunßer
verknüpfte Bauwerke
Wohnhaus F
Kunstgriff
(SUBTITLE) Wohnhaus am Moselufer in Wormeldange (L)
Ein kleines Weindorf an der Mosel, ein Grundstück inmitten eines Weinbergs, ein Künstler als Bauherr und ein Bebauungsplan, der Kubatur, Geschosshöhen und Dachneigung sehr genau vorgab. Dass die ungewöhnliche »Wohnskulptur« am Ortseingang so verwirklicht werden konnte, wie es der Bebauungsplan gerade nicht vorsah, ist der fantasievollen Klassifizierung einzelner Bauelemente zu verdanken – dem Baurecht wurde somit Genüge getan, und der Bauherr kann sich über ein besonderes Wohnerlebnis in exponierter Lage freuen.
Der mit rostrotem Corten-Stahl verkleidete Bau ist das Haus eines Diplomaten. Die Mosel ist hier etwa achtzig Meter breit; in ihrer Mitte verläuft die Grenze zwischen Luxemburg und Rheinland-Pfalz. Von der Terrasse über dem Ufer geht der Blick von der luxemburgischen auf die deutsche Seite.
Das korrodierte Verkleidungsmaterial mag zunächst gar nicht zu den Assoziationen passen, die man im Kopf mit den Weinbergen und Winzerstädtchen an der Mosel verbindet. Vor Ort stellt sich freilich keinerlei Disharmonie mit der Landschaft ein. Auf luxemburgischer Seite geht am Moselufer die gut ausgebaute Nationalstraße 10 direkt vor dem Haus entlang; die Hänge werden von natursteinverkleideten Böschungsmauern begleitet. Der Ort ist kein romantisches Idyll, sondern merklich durch die Eingriffe von Verkehr und Flurbereinigung in die Landschaft gekennzeichnet. Der Gebrauch eines industriellen Materials wirkt in diesem Umfeld keineswegs deplaziert.
Zwischen Hang und Strasse
Die Widersprüche, die sich aus der reizvollen Aussicht über die Mosel hinweg einerseits und der exponierten Lage an der Straße andererseits ergeben, sind an der heterogenen Nachbarbebauung abzulesen, deren Bewohner sich mit Sichtschutzpflanzungen vor unerwünschten Einblicken zu schützen suchen. Architekt und Bauherr haben hier einen anderen Weg gewählt. Die zur Mosel gewandte Fassade des 2007 fertiggestellten Baus ist vollständig verglast. Als Sonnenschutz für die südostorientierte Fassade dient ein vor das Haus gestelltes 2,30 Meter tiefes Bauteil von gleichem Umriss, gleicher Höhe und Breite wie das Haus. Ohne den Ausblick zu behindern, schirmt dieser »Portalgiebel« das Innere vor unerwünschten seitlichen Einblicken wie vor dem störenden Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos ab. Es ist der formalen Konsequenz des Entwurfs geschuldet, dass sich dieses höchst ungewöhnliche Bauteil, stringent aus der übrigen Struktur des Hauses ergibt. Die schlichte Kubatur eines giebelständigen Hauses mit Satteldach, die der Bebauungsplan vorgegeben hatte, wird an den Längsseiten durch drei cortenverkleidete Segmente gegliedert, die das Haus vom Boden bis zum First wie Klammern umschließen. Zwischen den Segmenten verlaufen Fugen aus Glas, die ebenfalls vom Boden bis zum First reichen. Die vertikalen Fensterbänder versorgen das Innere des in den Hang hineingebauten, elf Meter tiefen Hauses wirkungsvoll mit natürlichem Licht. Die vor das Haus gestellte Struktur bildet ein weiteres, viertes Segment, das nicht mehr zum Haus gehört, dessen Proportionen aber optisch verlängert. Durch diesen Kunstgriff entsteht ein Wechselspiel zwischen dem umbauten Volumen und der angedeuteten größeren Form. Die einzigen außen verwandten Materialien sind der rohe Corten-Stahl und transparentes Glas. Der kunstinteressierte Bauherr, der einen Teil seiner Freizeit der Malerei widmet, war von der sachlich-schlichten Architektursprache ebenso begeistert wie vom Kontrast dieser Materialien.
Von den drei Geschossen plus Dachgeschoss, die vom Straßenniveau aufragen, verschwinden zwei Geschosse im ansteigenden Hang. Küche und Essplatz sind im ersten Geschoss zur Straße hin angeordnet. Der Wohnbereich befindet sich auf gleicher Ebene auf der gegenüberliegenden Hangseite. Auch diese Zone ist großzügig, hell und freundlich. Sein Licht erhält der hier zweigeschossige Wohnbereich durch den Luftraum einer Galerie, die sich zu einer Terrasse auf der Hangseite öffnet. Zudem ist das Wohngeschoss, von außen unsichtbar, etwa 1,50 Meter tiefer in den Hang hineingebaut und erhält zusätzliche Helligkeit direkt von oben durch ein Oberlicht. Der Bebauungsplan hätte es zugelassen, den Hang auf dieser Seite ¬tiefer abzugraben, um den rückwärtigen Teil des ersten Geschosses durch Souterrainfenster zu belichten. Dass dies nicht geschah, hat zwei Gründe: Neben die Abneigung gegenüber einer Souterrainbelichtung trat das Problem, eine tiefere Abgrabung am Hang aufwendig abfangen zu müssen.
In der Hochwasserzone
Für die unterste Ebene wurden keine hochwertigen Nutzungen vorgesehen, da die Lage am Ufer der Mosel die Gefahr von Überschwemmungen mit sich bringt. Hier befinden sich lediglich Garage, Garderobe und unbelichtete Nebenräume. Der Hausanschlussraum liegt folgerichtig im ersten Stock. Schon die Bauphase führte die Sinnfälligkeit dieser Entscheidung vor, als ein Moselhochwasser bis zur Baustelle reichte, die durch einen Erdwall abgesichert werden musste. Die Konstruktion ist konventionell. Die ersten zwei Geschosse wurden in Stahlbeton errichtet, das dritte Geschoss gemauert. Das Dach ist ein herkömmliches Sparrendach. Die Verkleidung mit Blechen aus Corten-Stahl wurde aufgeschraubt. Als wasserführende Schicht liegt unter den Blechen eine Kunststofffolie.
Die Wärmeversorgung des Hauses wird durch zwei oberflächennahe Geothermiebohrungen von achtzig Metern Tiefe gewährleistet, die an einen Wärmetauscher angeschlossen sind. Der sonnenexponierte Hang, ein ehemaliger Weinberg, speichert in der Tiefe über das Jahr mehr als genug Wärmeenergie, um die Versorgung in der kalten Jahreszeit sicherzustellen. Im Sommer wird das Haus natürlich gekühlt. Die offenen Treppen und Grundrisse, ohnehin ein Merkmal des gesamten Baus, erlauben eine ungehinderte Luftzirkulation. Die natürliche Thermik bewirkt den Temperaturausgleich zwischen den kühleren Untergeschossen, die in die Erdmasse des Hangs eingebettet sind, und den exponierteren Obergeschossen. Die Glasflächen auf dem Dach können automatisch verschattet werden.
»möglich« und »erlaubt«
Dass gerade die Besonderheiten, die zur Originalität und Qualität des Entwurfs beitragen, aus baurechtlicher Perspektive ein Problem dargestellt haben, gehört zur Geschichte des Projektes. Durch einen Teilbebauungsplan, der drei benachbarte Parzellen am Ortseingang erfasste, waren bei Beginn der Planung Gebäudeform, Baugrenzen, Bauhöhe bereits genau bestimmt. Der vorgegebene giebelständige Haustyp mit Satteldach, der in der Darstellung des Bebauungsplans ein wenig an die Proportionen der bekannten -Monopoly-Häuschen erinnert, findet sich in der unmittelbaren Nachbarschaft nirgends. Gerade die uneinheitliche Umgebung, die ganz verschiedene Haustypen vorweist, dürfte aber dazu beigetragen haben, dass nach einer stärkeren Einheitlichkeit gesucht wurde. Für sich genommen begründet sich die giebelständige Grundform sinnvoll aus dem Zuschnitt der drei relativ schmalen und tiefen Parzellen, in die ein ehemaliger Weinberg aus dem Besitz der Familie des Bauherrn geteilt wurde. Der Bebauungsplan wurde in Abstimmung mit den Grundbesitzern von einem Architekturbüro in Esch-sur-Alzette entwickelt.
Ein Portalgiebel war in dieser Planung natürlich nicht vorgesehen. Genehmigungsrechtlich wurde das vor das Haus gestellte, skulpturale Segment daher erst über seine Klassifizierung als »Dachüberstand« möglich. Die geringfügige Erweiterung des Wohnbereichs in den Hang hinein stellte sich ebenfalls als Problem dar. Der über die Baugrenze hinausreichende Abschnitt wurde schließlich als (unterirdischer) »Erker« genehmigt. Eine Glasscheibe markiert die Grenze, ab der dieser Erker in einen ebenfalls baurechtlich erlaubten »Lichtschacht« übergeht.
Das Ziel des Teilbebauungsplans, an dieser Stelle des Ortseingangs eine möglichst ruhige, einheitliche Bebauung zu erhalten, ist durch das auffallende Haus relativiert. Die Realisierung des Projekts spricht andererseits für die Präsenz und für die Akzeptanz von interessanter zeitgenössischer Architektur im ländlichen Raum. In dieser Hinsicht lohnt sich durchaus ein Blick an die luxemburgische Mosel. Eine Reihe von spannenden Projekten ist in den Nachbargemeinden Wellenstein, Remich, Remerschen oder Schengen zu entdecken. Der kleine Ort Wormeldange leistet sich als beratendes Gremium eine mit Fachleuten besetzte Bautenkommission, die den Bürgermeister bei der Genehmigung von Projekten berät. Diese Kommission äußerte sich positiv zu der vorgestellten Planung und befürwortete auch die für diesen Standort ungewöhnliche Verkleidung des Hauses mit Corten-Stahl. Weniger die Haltung von Kommission und Bürgermeister als der Druck durch klagende Nachbarn zwingt die Gemeinde im Alltag aber zu einer immer strikteren Einhaltung des Baureglements. Ermessungsspielräume werden dadurch vermindert, Entscheidungen auf Gerichte verlegt. In diesem Fall unterblieb eine gerichtliche Auseinandersetzung nur deshalb, weil die formalen Einspruchsfristen bereits verstrichen waren, als von einem Nachbar Klage eingereicht wurde. Ein Haus mit vergleichbaren Abweichungen vom Bebauungsplan wird es an dieser Stelle daher wohl nicht mehr geben, auch wenn eine unmittelbar benachbarte Bauparzelle noch frei ist. Das rostrote Wohnhaus an der Mosel bleibt ein einmaliger Kunstgriff.db, Fr., 2009.05.01
01. Mai 2009 Karl R. Kegler
verknüpfte Bauwerke
Wohnhaus am Moselufer