Editorial

Das Titelbild dieses Hefts zeigt ein mechanisches Metronom, ein Gerät, das sich seit dem frühen 19. Jahrhundert als Taktgeber etabliert hat und mit unerbittlicher Strenge das Tempo in unzähligen Musikzimmern vorgibt. Auf Baustellen und in Planungsbüros kann man den tickenden Apparat nicht antreffen, es bestehen aber durchaus Parallelen zwischen Musik und Bauwesen: Die meisten Bauarbeiten folgen einem bestimmten Takt, und manchmal kann das vorgegebene Tempo nicht gehalten werden. Analog zu einer Symphonie ist eine detaillierte Bauplanung mit genauer Vorgabe von Tempi, Zeiten und Pausen für alle Akteure die unerlässliche Voraussetzung für die Realisierung eines Bauvorhabens. In der Architektur wird oft mit musikalischen Begriffen wie Rhythmus oder Harmonie zur Beschreibung eines Bauwerks operiert.

In diesem Heft beschreiben wir, gewissermassen im Zeichen des Metronoms, Beispiele von Bauwerken, bei denen der Takt beziehungsweise der Begriff des Takts eine entscheidende Rolle spielt. Takt und Rhythmus werden dabei im architektonischen Sinn von Gliederung von Bauwerken und Wiederholung von Elementen, im praktischen Sinn bezüglich des Bauablaufs oder im physikalischen Sinn als regelmässige Beanspruchung von Bauwerken interpretiert.

Der Takt beziehungsweise der Rhythmus der Waschbeton-Fassadenelemente – und der Fugen dazwischen – einer neuen Schulanlage in Obermeilen ZH wird im Beitrag «Rhythmische Fügung» thematisiert. Die hohen gestalterischen Anforderungen konnten in diesem Fall nur mit vorgefertigten Elementen erfüllt werden. Dadurch wurde auch der Fabrikationstakt der Fassadenelemente zu einem bestimmenden Faktor für den Bauablauf.
Für die Erstellung von Brücken über Eisenbahnanlagen ist das Taktschiebeverfahren häufig die am besten geeignete Baumethode.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Langensandbrücke im Einfahrtsbereich des Bahnhofs Luzern (S. 25 ff.). Die leicht geschwungene Stahlkonstruktion wächst dabei etappenweise, im Takt der Anlieferung der vorgefertigten Elemente, ohne den dichten Bahnverkehr zu beeinträchtigen.
Der Takt der Eisenbahn liegt dem Beitrag «Dynamik kurzer Brücken» zugrunde. Gemeint ist damit nicht der Taktfahrplan oder das Rattern der Räder über den Schienenstössen. Der schnelle Takt wird durch die Achsen der Wagen vorgegeben, die mit hoher Geschwindigkeit über die Neat-Strecken fahren werden. Die Auswirkungen dieses Belastungsstakkatos auf Brücken werden mit Simulationen und dynamischen Analysen untersucht.
Seit Beethovens Zeit ist die Musik «metronomisiert», bestimmen die tickenden Taktgeber die Arbeitsweise der Musiker nach weltweit anerkannten Regeln. Bezüglich einheitlicher Regeln besteht freilich kein Zusammenhang zwischen Bauwesen und Musik.
Aldo Rota

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Schulhauserweiterung Dietlikon | Heilpädagogische Schule Flawil

12 MAGAZIN
Zu wenig Geld für Biotopschutz | Parkplatzmanagement | Hochleistungswärmedämmung

18 RHYTHMISCHE FÜGUNG
Tina Cieslik
Architektur: Eine wohlproportionierte Fassade aus vorfabrizierten Waschbetonplatten verleiht dem Gebäudekomplex der Schule Obermeilen ZH ein einheitliches Gesicht.

25 LEGATO ÜBER ELF GLEISE
Claudio Pirazzi, Michel Thomann, Hanspeter Escher, Thomas Kloth
Ingenieurwesen: Wie ein Bogenstrich überspannen die Stahlträger der neuen Langensandbrücke den Bahnhof Luzern.

29 DYNAMIK KURZER BRÜCKEN
Pierre Wörndle
Ingenieurwesen: Dynamische Analysen zeigen, dass kurze Brücken aufgrund der hohen Zugsgeschwindigkeiten der Neat am stärksten durch Schwingungen gefährdet sind.

34 SIA
Revision CO2-Gesetz | Tag der Berufsgruppe Architektur | Mitgliedschaft für FH-Master | Qualitätskontrolle von Zement

37 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Rhythmische Fügung

Die im September 2008 eingeweihte Schule der Zürcher Architekten von Ballmoos Krucker im Meilener Ortsteil Obermeilen (ZH) überzeugt durch unaufgeregte Monumentalität. Die Anlage aus Neu- und Bestandsbauten ist in logistischer sowie in ästhetisch-konstruktiver Hinsicht sorgfältig durchkomponiert: Die Bauarbeiten wurden phasenweise bei laufendem Schulbetrieb ausgeführt, die Proportionierung der Fassade erinnert durch Dimension und Art der Fügung der vorfabrizierten Waschbetonplatten an urtümliche Mauern und verleiht dem Ensemble ein zusammenhängendes Erscheinungsbild.

Die Primarschule Obermeilen ist ein Konglomerat aus fünf Gebäuden, die ältesten Trakte gehen auf 1936 zurück. Die Anlage war sanierungsbedürftig, und als 2002 neue Richtlinien für den Schulbau mit höheren Anforderungen an das Raumprogramm in Kraft traten, bestand Handlungsbedarf. Aus dem von der Schule Meilen ausgeschriebenen Studienauftrag mit Präqualifi kation ging 2002 der Entwurf der Architekten von Ballmoos Krucker siegreich hervor. Ausschlaggebend dafür war unter anderem die sukzessive Realisierbarkeit des Um- und Neubaus bei laufendem Schulbetrieb. Im vorgeschlagenen Projekt sollten drei der bestehenden Bauten bzw. Trakte behutsam saniert, zwei abgerissen und durch drei Neubauten ersetzt werden (Abb. 5)

Bauen in Etappen

Der Entwurf baut auf einer durchgehenden Erschliessungsachse auf. Entlang dieses Ganges reihen sich, ausgehend von der gedeckten Eingangshalle an der Ecke Seidengasse / Bergstrasse, die einzelnen Gebäude Schulhaus A und B (mit Turnhallen), die Aula, der Kindergarten und das Schulhaus C. Obwohl die Eingangshalle die Haupterschliessung darstellt, ist der Zugang problemlos auch auf den anderen Seiten möglich. Um den durchgängigen Schulbetrieb während der Arbeiten gewährleisten zu können, war der Bauablauf in Etappen aufgeteilt. Die Neubauten sind leicht versetzt zum Bestand platziert, dadurch konnte der Unterricht während des Baus von Schulhaus A im danebenliegenden Altbau abgehalten werden. Nach der Inbetriebnahme des Neubaus wurde der Abbruch des bestehenden Gebäudes in Angriff genommen. Gleichzeitig starteten der Neubau von Schulhaus B und Aula und der Umbau des bestehenden Schulhauses zum Kindergarten.

Trakt A beherbergt neben zwölf Klassenzimmern mit dazugehörigem Gruppenraum auch das Lehrerzimmer und das Büro der Schulleitung sowie einen Raum für den Abwart. Schulhaus B ist komplexer. Neue und bestehende Bauten fügen sich zu einem vielschichtigen Gebilde zusammen, das ein heterogenes Raumprogramm beherbergt. Im Inneren reihen sich Bibliothek, Mittagstisch, ein Multifunktionsraum, eine Cateringküche, die Hausabwartswohnung, Klassenzimmer und Gruppenräume aneinander. Eine neue Doppelturnhalle deckt zusammen mit einer bestehenden Halle den Bedarf für Schul- und Vereinssport ab. Auf Kellerniveau gibt es eine Verbindung zur öffentlich zugänglichen Aula, ebenfalls einem Neubau. Trakt C und der Kindergarten wurden nur behutsam saniert. Letzterer erhielt Böden aus Eichenholz, es wurde eine Verbindung zwischen den Stockwerken geschaffen und eine Veranda zum Garten vor das Haus gesetzt.

Räumliches Puzzle

Die Fassaden der Neubauten wurden mit grosszügig dimensionierten vorfabrizierten Waschbetonplatten realisiert. Die Massivität der scheinbar gestapelten Elemente lässt diese wie eine fest gefügte, solide Mauer wirken. Die ursprüngliche Konstruktion war auch tatsächlich so geplant, doch finanzielle Aspekte sowie die Auflagen für die Erdbebensicherheit (vgl. TEC21 19 / 2008) sprachen dagegen. Nun steht nur die unterste Reihe der Elemente auf den Fundamentriegeln, darüber sind die Platten wie bei einer herkömmlichen Fassadenverkleidung aufgehängt (Abb. 14). Ausgehend von den verschiedenen Funktionen der Platten wurden drei Elementtypen entwickelt: die selbsttragenden aufgehängten und abgestellten Platten mit je einer Dicke von 14 cm sowie die tragenden Elemente mit einer Dicke von 20 cm. Die Befestigung der aufgehängten Platten erfolgte über Hängezuganker, die in die innere tragende Betonwand eingebohrt wurden (Abb. 10). Im Element sind die Anschlussteile des Ankers eingelegt, ebenso das Gegenstück für die Distanzhalter. Bei den abgestellten Platten wird die Lastabtragung in das Fundament mit zurückversetztem Mörtelbett über einen Dorn gewährleistet. Die tragenden Stützen des Verbindungsgangs mit einer Dicke von 20 cm wurden beidseitig in Waschbeton ausgeführt und mussten daher in der Vorfabrikation stehend betoniert werden. Insgesamt wurden 522 vorfabrizierte Elemente eingebaut. Bei den Neubauten kam eine Mischbauweise zur Anwendung: Das Tragwerk aus Stahlbeton wurde vor Ort gegossen, nach dem Aufbringen der Dämmung wurden die vorfabrizierten Waschbetonelemente montiert. Von den Dimensionen der Verkleidung abgesehen, entspricht der Aufbau damit dem einer konventionellen hinterlüfteten Fassade.

Die Architekten entschieden sich aus verschiedenen Gründen für eine Hülle aus vorfabrizierten Elementen. Ein Anliegen war, die tragenden Stützen des Verbindungsganges und die Fassaden der Neubauten mit einer einheitlichen Oberfläche zu realisieren, tragende und vorgehängte Teile also aus demselben Material zu fertigen. Auf diese Weise liess sich neben der erschliessungstechnischen auch eine formale Verbindung zwischen Neubauten und Bestand herstellen. Der gedeckte Gang reicht bis an die Bestandsbauten, die tragenden Stützen aus Waschbeton stehen ohne falsche Ehrfurcht direkt vor den verputzten Fassaden. Die Verwendung von vorfabrizierten Elementen ist – entsprechende Planung vorausgesetzt – vor allem hinsichtlich der Berechen- und der Überprüfbarkeit von Vorteil. Zudem ist das Ergebnis reproduzierbar. Das gilt zum einen für die Präzision in den Dimensionen, zum anderen für die Oberfläche der Elemente. Bis die richtige Mischung von Zement und Zuschlagstoffen für die Fassadenelemente gefunden war, mussten mehrere Testreihen hergestellt werden. Zur Anwendung kam schliesslich ein gelblicher Weisszement mit einer Kiesmischung aus Jurakalksplittern, die Auswaschungstiefe beträgt 4 mm. Die Armierung erfolgte zweilagig mit Stahlnetzen bei einer Überdeckung von 30 mm. Das Aussehen der Oberfläche ist bei der Vorfabrikation trotz allfälligen Schwankungen in der Zusammensetzung der Zuschlagstoffe weit kalkulierbarer als bei der Herstellung von Bauteilen in situ, vor allem im Vergleich zu Sichtbeton.

Der hohe Präzisionsgrad in der Dimensionierung stellte dagegen auch ein Problem dar: Die Toleranzen des Rohbaus bewegten sich im Zentimeter-, die der vorfabrizierten Elemente im Millimeterbereich. Problematisch war besonders der Verbindungsgang, wo sich tragende Stützen, Attika- und Fassadenelemente treffen. Für die Montage musste daher ein detaillierter Ablauf entwickelt werden, der es erlaubte, vorfabrizierte Elemente an wichtigen Schlüsselstellen auszulassen. Nach der Montage der übrigen Platten wurden die fehlenden Puzzleteile vor Ort neu ausgemessen, mit den passenden Dimensionen hergestellt und eingesetzt. Ein weiteres Risiko bestand in der Beschädigung der vorfabrizierten Teile während der Montage. Die Reparatur auf der Baustelle ist, falls überhaupt möglich, aufwendiger als bei vor Ort angefertigten Teilen. Die ursprünglich industrielle Vorfabrikation wird damit zu einer Art wenn nicht Handwerk, so doch immerhin manufaktorischen Herstellung. Dennoch sind die vorgefertigten Elemente in der Herstellung eine kostengünstige Variante – bei gleichem Anspruch an die Oberfläche vor allem im Vergleich zu Sichtbeton und nur, wenn der Planungsaufwand nicht einberechnet wird. Um einwandfreie Optik und Präzision zu gewährleisten, wurde in Obermeilen darauf geachtet, den Elementbauer gemeinsam mit dem Baumeister auszuschreiben. Damit hatten von Ballmoos Krucker in der Vergangenheit bereits gute Erfahrungen gemacht.

Fuge und Fügung

Mit der Wahl einer Fassade aus vorfabrizierten Waschbetonelementen beschreiten von Ballmoos Krucker in gestalterischer Hinsicht einen auf den ersten Blick ungewohnten Weg. In der Schweiz erlebte diese Art der Konstruktion im Bauboom der 1960er-Jahre ihre Blütezeit, war aber – neben den offensichtlichen produktionstechnischen Vorteilen – in ästhetischer Hinsicht lange als seelenlos und banal stigmatisiert. Dennoch gab es Architekten wie die Franzosen Paul Bossard oder Emile Aillaud, die sich über die rein konstruktiven Fragen hinaus auch mit dem Gestaltungspotenzial dieser Baumethode auseinandersetzten. 1 Hier knüpfen die Arbeiten von von Ballmoos Krucker an. Auch ihnen gelingt es, durch die Beschaffenheit des Materials ebenso wie durch die Art der Fügung ästhetische Qualität zu schaffen. Bei der Schule Obermeilen lehnten die Architekten eine Putzfassade mit dem Hinweis auf die Funktion des Ensembles ab. Der öffentliche Charakter der Anlage sollte auch durch die Oberfläche transportiert werden.

Die Wirkung der Fassade wird primär durch das expressive Fugenbild erzeugt: Wie ein Netz überzieht es den Gebäudekomplex. Die Überhöhung der Nahtstelle durch den V-förmigen Anschnitt der offenen Fugen verweist auf die Dicke der Elemente und sorgt darüber hinaus für ein Gestaltungsmoment. Am oberen und am unteren Gebäudeabschluss wird die Abschrägung aufgehoben, die Fuge zu einem Schlitz verengt. Der Kontrast zwischen dem glatten Beton der offenen Naht und der strukturierten Oberfläche der Kalksplitter verstärkt diese Wirkung (Abb. 18). Die Fügung der Fassadenelemente entspricht Techniken aus dem Holzbau und verweist damit einmal mehr auf die handwerkliche Komponente des Verfahrens. Durch die komplexe Einarbeitung der nötigen Technik wie beispielsweise des Sonnenschutzes wird die Verbindungsstelle zu einem vielschichtigen räumlichen Knoten, einem überdimensionierten Tetrisspiel in 3-D.

Dauerhafte Ordnung

Die Schule Obermeilen entwickelt eine für eine Schule ungewöhnliche Präsenz, die sich auf der Grenze zum Monumentalen bewegt, aber nie erdrückend wirkt. Die feine Detaillierung der Nahtstellen und die kontinuierliche Erinnerung an den menschlichen Massstab – z.B. durch den respektvollen, aber unsentimentalen Umgang mit dem Bestand – verhindern ein Kippen ins Pathetische. In der Gestaltung der Fassade ist es den Architekten gelungen, industrielle Fertigung und sinnliche Wirkung zu verknüpfen. Dass sich der starke äussere Eindruck im Inneren fortsetzt, ist ein positiver Aspekt. Einem auf den ersten Blick unstrukturiert wirkenden Ensemble wurde durch gestalterische Massnahmen ein zusammenhängendes Gesicht verliehen. Das lose Konglomerat der Gebäude, das durch den Verbindungsgang funktional und formal zusammengehalten wird, lässt sich problemlos durch weitere Teile ergänzen. Architektur wird als Prozess mit offenem Ausgang begriffen. Weiterbauen ist erwünscht.

Anmerkung: [01] In der Siedlung Créteil in Paris (1959–1962) arbeitete Paul Bossard mit kalkulierten Imperfektionen der Oberflächen und offenen Fugen. Emile Aillaud plante in Grigny (1967–1971) mit nur drei verschiedenen Elementtypen, variierte aber die Anordnung der Öffnungen innerhalb der Platten. Vgl.: Bruno Krucker, «Zum entwerferischen Potenzial der Vorfabrikation», in: Uta Hassler, Hartwig Schmid (Hrsg.): Häuser aus Beton. Wasmuth, Tübingen 2004, S. 203 ff.

TEC21, Fr., 2009.04.17

17. April 2009 Tina Cieslik

Legato über elf Gleise

Über der Bahnhofeinfahrt Luzern, einem der höchstfrequentierten Gleisfelder der Schweiz, muss die Langensandbrücke ersetzt werden. Unter erschwerten verkehrstechnischen Rahmenbedingungen wird der Neubau im Taktschiebeverfahren realisiert. Die Stahl-Tragkonstruktion soll auch einen städtebaulichen Akzent für die Aufwertung der angrenzenden Quartiere setzen.

Die Langensandbrücke in Luzern ist eine bedeutende Verbindung im städtischen Verkehrsnetz. Sie bindet das Tribschen-Quartier an die Neustadt Luzerns an. Täglich überqueren mehr als 22 000 Fahrzeuge die Brücke, davon rund 1100 Busse der örtlichen Verkehrsbetriebe vbl. Das Depot der vbl liegt nur wenige Fahrminuten entfernt, sodass sämtliche Busse des Netzes morgens und abends die Brücke passieren. Unter der Brücke verkehren täglich ca. 1200 Züge der SBB und der Zentralbahn. In diesem verkehrstechnischen Kontext stellt der Bau der neuen Langensandbrücke (Abb. 1) eine grosse Herausforderung dar. Insbesondere müssen in der Bauphase verschiedene betriebliche Anforderungen erfüllt werden:
– minimale Beeinträchtigung des Bahnbetriebes unter der Brücke im Bereich der Bahnhofeinfahrt Luzern
– minimale Einschränkung des städtischen Busbetriebes auf der bestehenden Langensandbrücke beziehungsweise Gewährleistung des Betriebes mittels geeigneter Massnahmen
– minimale Einschränkungen für den Motorfahrzeug- und Radverkehr sowie die Fussgänger.

Alles im Takt - beim Bauverfahren ...

Beim Entwurf des Tragwerkkonzepts der Brücke und beim daraus abgeleiteten Bauverfahren waren neben architektonischen und städtebaulichen Aspekten insbesondere die betrieblichen Anforderungen während des Baus zu beachten. Die gewählte einfeldige Stahl-Beton-Verbundkonstruktion erlaubt einen beträchtlichen Anteil an werkseitiger Vorfabrikation sowie ein effi zientes Zusammensetzen vor Ort.

Zwei torsionssteif miteinander verbundene Stahl-Hohlkastenträger mit einer Spannweite von ca. 80 m (Abb. 3) bilden den Brückenquerschnitt. Aussen an die Hohlkästen sind die Rad- / Gehwege als 5 m breite Kragarme angefügt. Auf der Fahrbahnplatte, die wie die Brüstungen in Stahlbeton ausgeführt ist, fi nden zwei Fahrstreifen und zwei Radstreifen in jeder Fahrtrichtung Platz (Abb. 8), was dem doppelten Angebot der alten Brücke entspricht.

Als Werkstoff für die Tragkonstruktion der Langensandbrücke wurde wetterfester Stahl gewählt (S355 Qualitäten J2 und K2 gemäss SIA 263 Anhang A). Seine Oberfläche ist mit einer dichten Eisenoxidschicht überzogen, die bei material gerechter Detailkonstruktion eine hohe Korrosionsbeständigkeit gewährleistet. Dadurch erübrigt sich ein zusätzlicher Korrosionsschutz, was geringere Bau- und Unterhaltskosten zur Folge hat. Damit auch die Schweissnähte die gleiche Korrosionsbeständigkeit aufweisen, enthält der Zusatzwerkstoff für die Schweissarbeiten dieselben Legierungselemente (zur Beständigkeit von Brücken aus wetterfestem Stahl siehe TEC21 21/2002, S. 23–29).

Der symmetrische Querschnitt erlaubt den Bau der Brücke in zwei Etappen. In der ersten Etappe kann die westseitige Halbbrücke gebaut und anschliessend der Verkehr auf die zwei neuen Fahrstreifen umgelegt werden. In der zweiten Etappe wird die bestehende Brücke rückgebaut und an gleicher Lage die zweite Halbbrücke erstellt. Danach werden die beiden Brückenhälften miteinander verbunden. Während der gesamten Bauzeit kann der Verkehr die Brücke ohne Einschränkungen passieren.

... beim Bauablauf

Mit dem eigentlichen Bau der Brücke kann erst begonnen werden, nachdem umfangreiche Vorarbeiten im Gleisfeld der SBB beendet sind. Dabei sind diverse Kabeltrassen frei- und umzulegen und die Aufhängungen der Fahrdrähte von der Brücke zu entfernen. Hierzu sind neue Abfangjoche mit entsprechenden Tiefenfundationen im Gleisfeld erforderlich. Beim Rückbau der alten Brücke wird die Stahlbetonstruktur in Elemente von bis zu 70 t zerschnitten, die von Schwerlastkranen ausgehoben werden. Die Arbeitsvorgänge werden aus Sicherheitsgründen auf die Anforderungen des Bahn-, Bus- und Strassenverkehrs abgestimmt. Je nach Art der Bohr- und Schneidarbeiten an der Brücke müssen die darunterliegenden Fahrleitungen ausgeschaltet sein. Der Aushebevorgang darf nur bei einer Vollsperrung des Strassen- und Bahnbetriebs erfolgen, wobei Sperrungen nur in den betrieblichen Nachtpausen möglich sind.

…bei der Vorfabrikation im Werk

Die Haupttragstruktur der Hohlkastenträger wird zu einem grossen Teil vorfabriziert. Dadurch können die Bauzeit vor Ort verkürzt und die Terminsicherheit erhöht werden. Zudem lassen sich die Konstruktionsgenauigkeit und die Ausführungsqualität steigern. Die Hohlkastenträger müssen in transportfähigen Elementgrössen hergestellt werden. Sie werden deshalb in vier Bauelementen von 20 m Länge, jeweils aus fünf Teilen bestehend, werkseitig vorfabriziert. Jedes Bauelement wird probehalber vormontiert (Abb. 3 und 4). Dadurch lässt sich die Passgenauigkeit der Längsschweissnähte garantieren, und geometrische Ungenauigkeiten auf der Baustelle werden vermieden.

... beim Transport auf die Baustelle und bei der Montage

Der Transport des Hohlkastenträgers auf die Baustelle erfolgt für jede Brückenhälfte in vier Etappen im Takt des Vorschubs (Abb. 2). Alle 20 Tage müssen die fünf Teilstücke eines Bauelements à 20 m Länge und 50 t Gewicht (Abb. 3) von Aigle nach Luzern transportiert werden. Die Anlieferung erfolgt in verkehrsschwachen Zeiten auf den Installationsplatz auf der Widerlagerseite Tribschen. In der Zeit zwischen den Transporten werden die fünf Stücke vor Ort zu einem kompletten Bauelement zusammengeschweisst, das anschliessend mit dem vorherigen Element querverschweisst wird. Die Längsnähte werden mit Hilfe eines Schweissautomaten ausgeführt.

Eine Besonderheit ist der Vorgang des Abladens von den Schwertransportern. Die Tieflader sind mit hydraulischen Pressen ausgestattet, die schwere Lasten bis 20 cm vertikal bewegen können. Das ermöglicht es, die Trägerteile ohne zusätzliche Hebegeräte präzise in Längsund Querrichtung auf die Hilfskonstruktion abzusenken. Die Längsstösse können anschliessend ohne weitere Anpassarbeiten direkt geheftet und dann geschweisst werden.

... beim Einschub

Die zusammengebauten Brückenelemente werden im Taktschiebeverfahren von der Seite Tribschen in Richtung Widerlagerseite Bundesplatz an ihren Bestimmungsort bewegt (Abb. 2). Diese Vorgehensweise wurde aufgrund der engen Platzverhältnisse auf dem Installationsplatz gewählt. Zudem ermöglicht sie die Konzentration aller Montage- und Schweiss arbeiten auf den Installationsplatz ausserhalb der schwer zugänglichen Gleisanlagen, was auch bezüg lich der Sicherheit Vorteile aufweist. Die Schiebevorrichtung besteht aus vier Elementen: – Zugeinheit (2 hydraulische 6-t-Habegger-Seilzüge mit 6-fach-Flaschenzug) – Gleitlager (Oberfläche poliertes CNS-Blech; Gleiter als PTFE-Neopren-Verbundkissen, Abb. 7) – Führung (seitlich am Untergurt angeordnet) – Rückhaltung

Die Gleitlager und die Führungen werden auf Hilfsjoche im Gleisfeld aufgesetzt (Abb. 5 und 6). Die Lage der Hilfsjoche ist durch die Gleistopologie und das Einschubprozedere vorgegeben. Die Rückhaltevorrichtung besteht ebenfalls aus einem Flaschenzug, der bei Bedarf auch als «Rückwärtsgang» eingesetzt werden kann. Der Einschiebevorgang, mit einer Geschwindigkeit von 8 – 10 m / h, darf über der stark frequentierten Bahnhofseinfahrt nur während der Nacht erfolgen (Abb. 5). Ein Vorbauschnabel erleichtert das Anlegen der Brücke auf den Hilfsjochen (Abb. 6) und dem Widerlager. Dieser ist besonders bei den ersten beiden Etappen hilfreich, da die noch kurze Brücke bei grossem Kragarm wenig Gegengewicht aufweist. In Abb. 2 A wird der erste Träger ohne dieses Teil angeliefert, in Abb. 2 B liegt er auf dem Widerlager und, mit dem Vorbauschnabel, auf dem ersten Hilfsjoch auf.

Der Einschubvorgang wird durch Kontrollmessungen überwacht. Neben der geometrischen Lage der Brücke werden laufend die Zwischenauflagerreaktionen sowie die Setzungen am Fuss der Hilfsjoche gemessen. Sowohl die ermittelten Kräfte als auch die Setzungen aus dem Einschub der ersten Brückenhälfte entsprechen gut dem numerischen Modell. Die Setzungen betrugen beim maximalen Lastfall (Kragarm mit 30 m Länge kurz vor Erreichen des Widerlagers) von 2600 kN nur 5 mm. Die zum Ausgleich grösserer Setzungen höhenverstellbar konstruierten Gleitlager (Abb. 7) mussten während des Einschubvorgangs nicht justiert werden.

Die erste Halbbrücke ist 2008 erstellt und Ende Jahr dem Verkehr übergeben worden. Die Arbeiten an der zweiten Halbbrücke wurden im März 2009 in Angriff genommen, sobald die alte Brücke vollständig abgebrochen war. Im Herbst werden die beiden Brückenhälften zusammengefügt, und Ende 2009 soll das fertige Bauwerk eröffnet werden.

TEC21, Fr., 2009.04.17

17. April 2009 Claudio Pirazzi, Michel Thomann, Hanspeter Escher, Thomas Kloth

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